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Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung ...

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mittlerweile sogar in Uni-Seminaren sowie in der <strong>Literatur</strong>wissenschaft. Mit dem Begriff „Diskurs-Pop“ bezog man sich vor allem auf die sperrige <strong>und</strong> verkopfte, sich an Alltagsbetrachtungenentzündende Gesellschaftskritik der Songtexte. Doch der Begriff meint auch die Diskurse derPostmoderne <strong>und</strong> der Poptheorie, die nicht nur die Songlyrik maßgeblich prägen, sondern explizitthematisiert werden: Camp, Montage, Eklektizismus, der Tod des Autors, das „Ende der großenErzählungen“ (Lyotard) sowie die Symbiose aus Hochkultur <strong>und</strong> populärer Kultur, aus demkünstlerisch Anspruchsvollen <strong>und</strong> dem Banalen, wie sie Leslie Fiedler 1968 in seinemeinflussreichen Aufsatz Cross the border – close the gap proklamierte.Hier soll natürlich vor allem Letzteres interessieren. Besonders bei Tocotronic <strong>und</strong> Blumfeld wirddie Unterwanderung des <strong>Hohe</strong>n durch das Banale überdeutlich. In beider Werk kommen zahlloseintertextuelle Anspielungen – bis hin <strong>zu</strong> dreist übernommenen, ans Plagiat grenzenden Zitaten – aufdie Höhenkammliteratur (Flaubert, Nietzsche, Rilke, Benn, Celan, Bachmann, Bernhard etc.) vor,die dann <strong>zu</strong>gleich aber sowohl thematisch als auch formal verwoben werden mit Elementen derpopulären <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>n Kultur, des Trivialen bis Albernen (deutsche Schlager, TV-Trash, scheinbarbanale Alltagsbetrachtungen, sprachlich-poetische Klischees, gewollt lächerliche Wortspiele, Reimeetc.). Durch diese Konfrontation des <strong>Hohe</strong>n (Kanonisierung, ästhetischer Anspruch) mit demFlachen (Populäres, Oberflächliches, Banales) entsteht ein ironisches Spannungsfeld <strong>und</strong> damit eineIrritation des Rezipienten, dem es aufgetragen ist, die schwer <strong>zu</strong> vereinbaren Dissonanzen deutendauf<strong>zu</strong>lösen – geschweige denn <strong>zu</strong> ergründen, ob das Gehörte ernst oder ironisch <strong>zu</strong> verstehen ist.Diese interpretatorische Unbestimmtheit <strong>und</strong> Mehrdeutigkeit, die Offenheit des Kunstwerks (Eco),ergibt sich also aus der Verknüpfung des <strong>Hohe</strong>n mit dem Flachen; diese dritte Kategorie sollheuristisch „das Tiefe“ genannt werden.Um die drei Kategorien kurz <strong>zu</strong> veranschaulichen: Die Ballade Tausend Tränen tief von Blumfeldverknüpft volksliedhaft-romantische Elemente mit trivialem Schlager-Kitsch. Sie nimmt sich beimersten Hören ebenso flach aus wie ihr Titel Tiefe suggeriert. Wenn es nun am Ende des Songs heißt„es könnte viel bedeuten“, dann zitiert der Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer damit nicht nurwörtlich aus einen Gedicht Ingeborg Bachmanns, sondern er lässt mit diesem Verweis aufVieldeutigkeit auch einen ratlosen Rezipienten <strong>zu</strong>rück mit der Frage nach dem Sinn <strong>und</strong> derästhetischen Funktion einer solchen Mehrfachcodierung. Oder in Tocotronics Gesang des Tyrannen:Hier proklamiert ein ironisch gezeichneter Dichter-Fürst, der „Graf von Monte Schizo“, pathetischseine Würde, um sie im selben Atem<strong>zu</strong>g als hohl <strong>und</strong> nichtssagend <strong>zu</strong> entwerten:In mirBrennt das ewige FeuerIn mir

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