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Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung ...

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14.30 – 18.00 SektionenRaum 324 Raum 322Sektion D1: Kriminalroman <strong>und</strong>DerivateModeration: Dag Hedman (Göteborg)14.30 – 15.00 Fuminari Niimoto (Tokio)Kriminalroman als Alibi. FriedrichGlausers parodierendes Romanprojektder Moderne15.00 – 15.30 Annie Bourguignon (Nancy)<strong>Hohe</strong> oder <strong>niedere</strong> Kriminalliteratur ?Henning Mankells Danslärarensåterkomst <strong>und</strong> Stefan Slupetzkys Der Falldes Lemming15.30 – 16.00 Georg Pichler (Alcalá de Henares)Zwischen Hoch <strong>und</strong> Tief ist nichtDazwischen. Das Spiel mit trivialen <strong>und</strong>hochliterarischen Elementen im Werk vonWolf Haas16.00 – 16.20 Diskussion Diskussion16.20 – 16.40 Kaffeepause KaffeepauseSektion E1: <strong>Literatur</strong> <strong>und</strong>MassenmedienModeration: Françoise Willmann(Nancy)16.40 – 17.10 Anneli Fjordevik (Dalarna / Uppsala)Zur Rolle der internetbasierten Fanfiktionim Grenzland zwischen Leser- <strong>und</strong>Verfasserschaft17.10 – 17.40 Gesa SingerRuhm <strong>und</strong> Trivialität: medialeInszenierung in der <strong>Literatur</strong>17.40 – 18.00 Diskussion DiskussionSektion D2: Bühne <strong>und</strong> Film im frühen20. Jahrh<strong>und</strong>ertModeration: Anneli Fjordevik (Dalarna/ Uppsala)Chiara Maria Buglioni (Mailand /München)Von der Narrativität <strong>zu</strong>r dramatischenGestalt:<strong>Hohe</strong> <strong>und</strong> <strong>niedere</strong> <strong>Literatur</strong> auf der Bühneder Weimarer RepublikCécile Vidal-Oberlé (Paris)Pantomime, Marionettentheater <strong>und</strong>Singspiel im Theater Arthur Schnitzlers alseine Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit den« höheren » dramatischen GattungenMartina Zerovnik (Wien)Wort gegen Bild. Positionen der <strong>Literatur</strong><strong>zu</strong>m Film während der Kino-Debatte, 1909-1929Sektion E2: Unterhaltung <strong>und</strong>"Sch<strong>und</strong>"Moderation: Thomas Hecken (Siegen)Henriett Lindner (Budapest)Schaubudenkultur <strong>und</strong> literarischeUnterhaltung – Taschenspielertricks imdeutschen Geheimb<strong>und</strong>romanSimone Sauer-Kretschmer (Bochum)Nieder(e)Schriften – Bordellromane <strong>und</strong>Dirnenbiographien als <strong>Literatur</strong> von ganzUnten?20.00 Abendessen im Grand Café Foy (1, place Stanislas)


30. November 20139.30 – 11.20 SektionenRaum 324 Raum 322Sektion F1: Veränderungen in derliterarischen WertungModeration: Julia Genz (Tübingen)9.30 – 10.00 Simone Orzechowski (Metz)Otto Flakes unbequemer Spagatzwischen hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong>10.00 – 10.30 Santha Kumari (Thiruvananthapuram)Die Tendenz <strong>zu</strong>r Trivialliteratur in Billardum halb zehn von Heinrich Böll –veranschaulicht durch Vergleich mit DieBlechtrommel von Günter Grass10.30 – 11.00 Matthias Aumüller (Wuppertal)Zum literarischen Anspruchsystemkonformer DDR-<strong>Literatur</strong>11.00 – 11.20 Diskussion DiskussionSektion F2: Von Walser <strong>zu</strong>m PopModeration: Cécile Chamayou-Kuhn(Nancy)Megumi Wakabayashi (Tokio)Grenzüberschreitungen im Räuber-Roman:Robert Walsers ironisches Spiel mitliterarischen GattungenAndreas Heimann (Mainz)Popu-leeres Individuum <strong>und</strong> Goethe:Die Krise des Subjekts in Elfriede JelineksPop-Roman wir sind lockvögel baby!Ruven Karr (Saarbrücken)„Ich bin Graf von Monte Schizo / <strong>und</strong> singediesen Hit so“ – Das <strong>Hohe</strong>, Flache <strong>und</strong>Tiefe im deutschsprachigen Diskurspop11.20 – 11.35 Kaffeepause11.35 – 12.05 Plenarvortrag (Raum 324)Arata Takeda (Chicago)Nützliche Dialektik. Zur historischen Interdependenz von hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong>12.05 AbschlussdiskussionAls Verlängerung der Tagung wird angeboten:13.00 Mittagessenca. 14.30 Stadtführung


Präsentation der Referenten <strong>und</strong> ihrer Beiträge(alphabetisch geordnet)


Dr. Matthias Aumüller, Bergische Universität Wuppertal (Deutschland)Zum literarischen Anspruch systemkonformer DDR-<strong>Literatur</strong>Systemkonforme DDR-<strong>Literatur</strong> wurde <strong>und</strong> wird von vielen westlichen <strong>Literatur</strong>wissenschaftlern<strong>und</strong> -kritikern meist als trivial eingeschätzt, während denselben Werken von der DDR-<strong>Literatur</strong>wissenschaft <strong>und</strong> -kritik sowie von westdeutschen Marxisten <strong>zu</strong>mindest implizit der Statusernst <strong>zu</strong> nehmender <strong>Literatur</strong> <strong>zu</strong>geschrieben wurde. Teilweise finden sich die von westdeutschen<strong>Literatur</strong>kennern als trivial empf<strong>und</strong>enen Werke im Kanon der offiziellen DDR-<strong>Literatur</strong>geschichte.Es liegt nahe, diese ästhetischen Differenzen als Ausdruck konträrer politisch-ideologischerVorstellungen <strong>zu</strong> interpretieren.In meinem Beitrag möchte ich diesen Weg der Parallelisierung von ästhetischer <strong>und</strong> politischerLesart jedoch nicht gehen, sondern die jeweiligen Argumente am Beispiel einiger DDR-Aufbauromane aus den 50er Jahren prüfen. Dabei wird sich zeigen, dass die Argumente jeweilsandere Aspekte der <strong>Literatur</strong> berücksichtigen <strong>und</strong> daher nicht einfach aufeinander beziehbar sind.Für die Trivialitätsthese werden z. B. folgende Argumente vorgebracht: Absehbarkeit derHandlungsverläufe, Dominanz <strong>und</strong> Eindeutigkeit der ideologischen Botschaft, variationsarme,konventionelle literarische Verfahren. Gegen die Trivialitätsthese ließe sich anführen: Es gibt eineDDR-eigene Trivialliteratur (die sich von den Aufbauromanen unterscheidet <strong>und</strong> im Westen nieberücksichtigt wurde), durchgehende Politisierung der Handlung, „Verargumentierung“ derHandlung durch moralische, politische <strong>und</strong> ökonomische Elemente.Es stellt sich vor diesem Hintergr<strong>und</strong> die Frage, ob die nicht-marxistischen Urteile marxistischer<strong>Literatur</strong> auf der Basis einer bestimmten, nämlich modernistischen Poetik gefällt werden (so dieVerteidigung der marxistischen Seite) oder ob die Poetik, die den westdeutschen Aussagen überDDR-<strong>Literatur</strong> <strong>zu</strong>gr<strong>und</strong>e liegt, gewissermaßen objektiv ist.Auf das Problem der Trivialität von systemkonformer DDR-<strong>Literatur</strong> lässt sich damit dieGr<strong>und</strong>satzfrage jeglicher interkultureller <strong>Literatur</strong>wissenschaft abbilden: Wie lassen sich Urteileüber fremdkulturelle Phänomene fällen? Meine Antwort lautet mit Be<strong>zu</strong>g auf die DDR-Aufbauromane, dass sich das Problem lösen lässt, indem man der Beurteilung der DDR-Aufbauromane eine im Hinblick auf die gegensätzlichen Positionen (z. B. Ambivalenznorm dermodernistischen Seite vs. Monovalenznorm der marxistischen Seite) neutrale Poetik <strong>zu</strong>gr<strong>und</strong>e legt.


M.A. Chiara Maria Buglioni, Università degli Studi, Mailand (Italien) / Ludwigs-Maximilians-Universität, München (Deutschland)Von der Narrativität <strong>zu</strong>r dramatischen Gestalt: <strong>Hohe</strong> <strong>und</strong> <strong>niedere</strong> <strong>Literatur</strong> auf der Bühne derWeimarer RepublikAm 25. April 1926 findet die Uraufführung von Fegefeuer in Ingolstadt statt, als Sonntagsmatinéeder Jungen Bühne Moriz Seelers unter der Regie von Paul Bildt/Bertolt Brecht. Kaum vier Jahrespäter debütiert Vicki Baums Menschen im Hotel unter der Regie von Gustav Gründgens amTheater am Nollendorfplatz, als Gastspiel vom Deutschen Theater Max Reinhardts. Dieberühmtesten Theatermenschen der Weimarer Republik haben sich also eingesetzt, um zwei Stückeauf<strong>zu</strong>führen, die von Frauen verfasst wurden. Im literarischen Feld der 1920er Jahre sind beideBühnenstücke das prominenteste Beispiel für eine weibliche Dramaturgie, deren Zuordnung <strong>zu</strong>rhohen/<strong>niedere</strong>n <strong>Literatur</strong> durch männlichen Einfluss bekräftigt wurde.Marieluise Fleißers Drama wurde von Herbert Ihering sowie von Alfred Kerr als einegelungene theatralische Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit vorgefassten Darstellungen <strong>und</strong> vorbestimmtenMöglichkeiten einer Provinzgesellschaft betrachtet <strong>und</strong> gilt noch heute als Vorbild des kritischenVolksstücks. Die Berliner Aufführung von Vicki Baums Werk wurde hingegen 1930 von vielen alsbloß leichtsinnige Unterhaltung angesehen, mit welcher der weitblickende Reinhardt denVergnügungsnerv seiner Generation noch <strong>zu</strong> treffen versuchte. Heut<strong>zu</strong>tage findet sie in der Vicki-Baum-Forschung kaum Beachtung, obwohl sie eine regelrechte Triumphgeschichte in Gang setzte,<strong>und</strong> zwar den Welterfolg vom Grand Hotel betitelten Broadway-Musical <strong>und</strong> vom späterengleichnamigen Hollywood-Film.Trotz ihrer andersartigen Rezeption spielten Fegefeuer in Ingolstadt <strong>und</strong> Menschen im Hoteleine gleichermaßen bemerkenswerte Rolle in der Theatergeschichte der zwanziger Jahre: Einerseitslöste Fleißers Stück einen heftigen Medienrummel aus, welcher als Anzeichen für die Aufnahmeavantgardistischen Theaters in den 1920er Jahren betrachtet werden kann, andererseits diente VickiBaums Bühnenfassung des eigenen Romans einem Theaterbetrieb, der sich notwendigerweisepopulären bzw. kommerziellen Formen öffnete. Auch die Prätexte beider Dramen bezeugen voneiner unterschiedlichen Position im literarischen Feld der Weimarer Republik: Gehört das Urbildvon Marieluise Fleißers Drama, die 1923 in der Zeitschrift „Das Tagebuch von Stefan Grossmann“veröffentlichte Erzählung Meine Zwillingsschwester Olga, zweifellos <strong>zu</strong>r Hochliteratur, so nimmtder erstmals in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ als Fortset<strong>zu</strong>ngsroman gedrückte Bestseller VickiBaums eine eher umstrittene Position im <strong>Literatur</strong>kanon ein – die <strong>Literatur</strong>wissenschaft der letztenJahrzehnte hat sich ja bemüht, den Wert des Romans auf<strong>zu</strong>decken, aber das Etikett U-Kunst wird


Menschen im Hotel immer noch leicht angehängt.Am Beispiel beider Dramen wird daher die Frage untersucht, ob <strong>und</strong> wie dieTranskodifikation epischer Texte in dramatische Formen den Status „hohe <strong>Literatur</strong>“ bzw. „<strong>niedere</strong><strong>Literatur</strong>“ verstärken kann. Zum anderen soll das Verhältnis zwischen Publikumserwartungen <strong>und</strong>Inszenierungsmöglichkeiten erörtert werden, das im Theater der 1920er Jahre herrschte: DerBearbeitungsprozess beider Stücke wurde nämlich von Regisseuren, Intellektuellen <strong>und</strong> Impresariossehr stark beeinflusst, als hätten sie die Grenze hohe/<strong>niedere</strong> <strong>Literatur</strong> befestigen wollen.Feuchtwanger, Brecht <strong>und</strong> Seeler trieben ihre damalige Protegée Marieluise <strong>zu</strong>r Radikalisierung inSachen Experimentierens, während Gründgens <strong>und</strong> Reinhardt nur die Pseudo-Kunst, das Kitsch,den kurzlebigen Gebrauchscharakter in Baums Werk hervorhoben.Dr. Anneli Fjordevik, Universität Dalarna / Universität Uppsala (Schweden)Zur Rolle der internetbasierten Fanfiktion im Grenzland zwischen Leser- <strong>und</strong> VerfasserschaftMit Hilfe der digitalen Technik haben heute auch Laien die Möglichkeit, eigene Texte, Filme,Spiele, Musikstücke usw. im Internet <strong>zu</strong> „publizieren“ <strong>und</strong> somit mit professionellenKulturproduzenten <strong>zu</strong> konkurrieren. Die Grenze zwischen Produzenten <strong>und</strong> Zuschauern bzw.Konsumenten ist durch diese „Mitmachkultur“ (participatory culture) erheblich verändert worden.Ein Bereich, der mit dem Heranwachsen des Internets große Verbreitung gef<strong>und</strong>en hat, ist dieFanfiktion. Fanfiktion sind Texte, die von einer existierenden literarischen Welt ausgehen. Eshandelt sich dabei oft um Fantasy-Welten, aber auch klassisch kanonisierte Werke wie Stolz <strong>und</strong>Vorurteil, Lolita, Faust oder sogar die Bibel kommen vor. Diese werden auf irgendeine Weiseweitergeführt, indem der Fanfiktion-Verfasser mit dem existierenden Text einfach fortfährt, ihn ausanderen Perspektiven als die ursprüngliche erzählt oder Charaktere weiterentwickelt, die in derVorlage Nebenrollen einnahmen.In diesem Beitrag soll mit Ausgangspunkt in der Fanfiktion-Webseite www.fanfiktion.de die Rolleder Fanfiktion im Allgemeinen <strong>und</strong> die metatextuelle Dimension der Fanfiktion-Texte <strong>zu</strong>rphantastischen Jugendromanreihe der Tintenwelt-Trilogie (Tintenherz 2003, Tintenblut 2005 <strong>und</strong>Tintentod 2007) von Cornelia Funke im Besonderen diskutiert werden. Vor den Fanfiktion-Textensteht meistens ein Kommentar des jeweiligen Verfassers <strong>zu</strong>m „publizierten“ Beitrag. Ausgehendvon diesen author‘s notes soll die Annäherung der Fanfiktion-Schreiber <strong>und</strong> -Schreiberinnen <strong>zu</strong>rVorlage erläutert werden; wie sie sich da<strong>zu</strong> verhalten <strong>und</strong> wie sie ihre Rolle in der Beziehungzwischen den literarischen Vorlagen <strong>und</strong> ihren „neuen“ Texten betrachten, kurz ihre Rolle im


Grenzland zwischen Leser- <strong>und</strong> Verfasserschaft.Dr. Gabriela Fragoso, Universidada Nova, Lissabon (Portugal)Triviale Jugendliteratur im Deutschen Kaiserreich am Beispiel von Werken Sophie Wörishöffers<strong>und</strong> C. FalkenhorstsIn meinem Beitrag gehe ich der Frage nach, inwieweit die Ideologie einer Epoche ihren Widerhallin trivialen Texten für die Jugend findet. Der Schwerpunkt wird auf Werken des ausgehenden19.Jahrh<strong>und</strong>erts liegen. Diese Epoche bot sich gerade<strong>zu</strong> da<strong>zu</strong> an, eine von nationalistischer <strong>und</strong>militaristischer Gesinnung geprägte Pädagogik <strong>zu</strong> verbreiten. Im Zentrum meines Beitrags steht dieAbenteuer- <strong>und</strong> Reiseliteratur, die im Deutschen Kaiserreich Hochkonjunktur hatte.Sowohl Sophie Wörishöffer (1838-1890) wie auch C. Falkenhorst (1853-1913) gehören <strong>zu</strong> einerlangen Reihe von Autoren der sogenannten populären Massenliteratur. In ihren in Rekordauflagenerscheinenden Werken präsentierten sie der deutschen Jugend eine Weltanschauung, die von derÜberlegenheit der christlich-abendländischen Kultur ausging. Ideologisch waren ihre Texte infestgefahrenen Klischees verhaftet <strong>und</strong> erhielten ihren trivialen Charakter durch ihre starre Struktur,die stereotypen Handlungsverläufe <strong>und</strong> einen standardisierten Sprachgebrauch.Andererseits aber boten sie den jungen Lesern Unterhaltung <strong>und</strong> vermittelten ihnen Kenntnisse überfremde Länder. Daher ist es nicht abwegig, sie in der Folge der aufklärerischen Tradition des 18.Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>zu</strong> sehen, welcher Autoren wie Joachim Heinrich Campe (Die Entdeckung vonAmerika) oder Johann Georg Friedrich Pabst (Die Entdeckung des fünften Welttheils) angehören.Im Gegensatz <strong>zu</strong> denen von Campe <strong>und</strong> Pabst fehlt den Texten von Wörishöffer <strong>und</strong> Falkenhorstjedoch der dialogische Charakter, der es den Lesern ermöglicht, Sachverhalte <strong>zu</strong> hinterfragen <strong>und</strong>sich ein ausgewogeneres Urteil <strong>zu</strong> bilden. Dies wird durch die auktoriale Erzählsituation verhindert.Dennoch trafen solche Jugendbücher den Geschmack einer breiten Bevölkerungsschicht, die füreine nationalistische <strong>und</strong> chauvinistische Indoktrination empfänglich war.


PD Dr. Julia Genz, Universität Tübingen (Deutschland)Kunst, Kitsch <strong>und</strong> HochkulturDie Frage, wie man Kitsch eindeutig von Kunst unterscheiden kann, ist Gegenstand unendlicherDebatten <strong>und</strong> hat <strong>zu</strong> verschiedensten Erklärungsversuchen geführt. Untrennbar verb<strong>und</strong>en ist sie mitder Frage, was Kunst eigentlich von Kitsch unterscheidet. Damit erscheint das Problem nicht sosehr als den Kunstwerken inhärent, sondern als Diskursphänomen. Oft genug wird ein <strong>und</strong> dasselbeKunstwerk in unterschiedlichen Zeiten <strong>zu</strong>nächst als Kunst <strong>und</strong> später als Kitsch empf<strong>und</strong>en (oderumgekehrt). Der Vortrag bietet einen theoretischen Ansatz, diskursive Zuschreibungen <strong>zu</strong>untersuchen, mittels derer ein Werk der Hochkultur bzw. dem Kanon <strong>zu</strong>geordnet wird. Damit<strong>zu</strong>sammenhängend werden negative Werturteile wie Banalität, Trivialität <strong>und</strong> Kitsch unterschieden<strong>und</strong> ihr Zustandekommen erklärt.Prof. Dr. Thomas Hecken, Universität Siegen (Deutschland)<strong>Literatur</strong>, Kanon, MedienkonkurrenzObwohl die Massen- <strong>und</strong> Popkultur sowohl den Kanon der Museen, der öffentlich-rechtlichenSendeanstalten <strong>und</strong> der Universitäten als auch der statushohen Rezipienten erreicht hat, gilt dies fürdie <strong>Literatur</strong> nicht in gleichem Maße. Im Unterschied <strong>zu</strong> Musik, Film, Fotografie wird derGenreliteratur <strong>und</strong> anderen Titeln, die oftmals der populären <strong>Literatur</strong> <strong>zu</strong>geordnet werden, wenigerAufmerksamkeit <strong>und</strong> Anerkennung <strong>zu</strong>teil. Der Vortrag will diese Lage schildern, analysieren <strong>und</strong>Gründe für sie angeben.Prof. Dr. Dag Hedman, Universität Göteborg (Schweden)Ariadne rediviva. Zur Bearbeitung Christian Heinrich Postels des antiken Ariadnethemas für dieHamburger Oper.Eine der Hauptquellen <strong>zu</strong> den griechisch-römischen Mythen für Verfasser <strong>und</strong> Künstler war stetsOvids Metamorphoses. Schon der erste moderne Librettist, der Florentiner Ottavio Rinuccini(1562―1621), baute alle seine vier grossen Libretti auf Ovid: La rappresentazione di Dafne (1594),L’Euridice (1600), L’Arianna (1607/08) <strong>und</strong> Il Narciso (1608?). Da Rinuccini für den Medici-Hof


arbeitete <strong>und</strong> ausserdem eine Nachahmung des antiken Dramas erstrebte, kann man nur in einemsehr eingeschränkten Sinne von Popularisierungen des Stoffes in seinen Werken sprechen.Christian Heinrich Postel (1658―1705) befand sich 80 Jahre später in einer ganz anderenArbeitssituation: er hatte den Auftrag, für die Hamburger Oper am Gänsemarkt den Text für eineAriadneoper <strong>zu</strong> verfassen. Der Hamburger Opernbetrieb war ein Unternehmen, das sich einbreiteres Publikum <strong>zu</strong>wandte. Nicht aufwartende Hofleute, die eine Opernvorführung als einen Teilihres Dienstes betrachteten, sondern ein zahlendes Publikum, das auf seine Kosten kommen wollte,musste Postels Text gefallen. Darum hat er durchgreifende inhaltliche Veränderungen gegenüberOvids Text vorgenommen, verglichen <strong>zu</strong> Rinuccini. In Postels Die schöne <strong>und</strong> getreue Ariadne(1691) hat der Verfasser das Äusserste gemacht, um seinem Publikum ein ergreifendes <strong>und</strong>unterhaltendes Stück <strong>zu</strong> bieten, mit Möglichkeiten, bühnerische Pracht <strong>zu</strong> entfalten(Bühnenbildumwandlungen, Balettszenen <strong>und</strong> dergleichen), das gleichzeitig als Gr<strong>und</strong>lage fürJohann Georg Conradis (um 1645―99) Musik dienen sollte.Mit welchen Mitteln arbeitet Postel? Was hat er von Ovid übernommen? Was hat er verändert? Washat er neugedichtet? In wiefern hält er sich <strong>zu</strong> den aristotelischen Regeln <strong>und</strong> die Vorschriften desDekorum, die im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert so wichtig waren? Was ist zeittypisch/modern für 1691? WelcheWirkung erzielt Postel auf das Publikum mit seinen jeweiligen Veränderungen <strong>und</strong> Neudichtungen?Der Hauptgedanke ist es, in diesem Vortrage die Refunktionalisierung des Stoffes für dieHamburger Aufführungen <strong>zu</strong> untersuchen <strong>und</strong> <strong>zu</strong> sehen, inwiefern dabei eine ästhetischeUmwertung angebracht ist. Dabei werden Vergleiche <strong>zu</strong> Ovid <strong>und</strong> Rinuccini, aber auch <strong>zu</strong> anderenBearbeitern des beliebten Ariadnestoffes, gemacht, um einen motivgeschichtlichen Abriss zeichnen<strong>zu</strong> können.In der Forschung, die sich mit Fragen <strong>zu</strong>r ”höheren” <strong>und</strong> ”<strong>niedere</strong>n” <strong>Literatur</strong> befassen, hat mansich kaum für Libretten interessiert. Ein Ziel der vorgeschlagenen Darstellung wird sein, <strong>zu</strong> zeigen,dass es sich lohnt, diese Textgattung mit dieser Problemstellung <strong>zu</strong> untersuchen.M.A. Andreas Heimann, Universität Mainz (Deutschland)Popu-leeres Individuum <strong>und</strong> Goethe. Die Krise des Subjekts in Elfriede Jelineks Pop-Roman wir sindlockvögel baby!Der Name Otto trägt als Palindrom die Arbitrarität der Zeichen in besonderer Weise sichtbar in sich<strong>und</strong> lädt <strong>zu</strong> einem Spiel der/mit Zeichen ein. Das vermeintlich feste Zeicheninventar, wird geradedurch eine mögliche Spiegelung, als gesetzte, artifizielle Größe enttarnt.


Die beiden Os <strong>und</strong> die wie Additionszeichen dazwischen liegenden Ts reizt Elfriede Jelinek inihrem Roman „wir sind lockvögel baby!“, das im Namen Otto bereits angelegte Spiel mitSignifikanten <strong>und</strong> Signifikaten auf<strong>zu</strong>nehmen <strong>und</strong> <strong>zu</strong> erweitern. Erweiternd, weil sich, analog <strong>zu</strong>Charlottes Frage: „Wer spielt nicht gern mit Ähnlichkeiten?“, bereits in Goethes letztem Roman„Wahlverwandtschaften“, ein Spiel mit dem Namen Otto findet, auf das etwa Walter Benjaminverweist. Auffällig an Goethes Figurenkonstellation ist, dass alle Hauptfiguren durch den NamenOtto (sprachlich) verb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> somit bereits eine Krise des Subjekts vorausgedacht wird, die<strong>zu</strong>gleich eine Krise der Zeichen <strong>und</strong> der Zeichenhoheiten ist.Das Experiment Goethes wird von Jelinek in ihrem erstpublizierten Roman popkulturell ausgebaut.Die Sprache von Trivialliteratur kopierend, schichten sich Figuren, wie Mickey Mouse, Batmanoder der Weiße Riese, auf Personen wie die Beatles oder Roy Black <strong>und</strong> verändern deren tradiertesBild. Sie alle sind die titelgebenden Lockvögel, die schon längst in die Sprache des Lebens selbsthineinwirken <strong>und</strong> nicht mehr nur <strong>zu</strong>m Kauf von Produkten animieren sollen.In der Idee Otto kulminiert in Jelineks Text sowohl das ambivalente Moment des Collagetextes, alsauch der Verlust von Subjektivität in einer vom Fernsehen bestimmten Spaßgesellschaft. An ihrenimmer wieder im Text auftauchenden Simulakren an Ottos, die sowohl als Konsumenten, als auchals handelnde Figuren, schwangere Frau oder Mörder erscheinen können, zeigt sich der Verlust desIndividuums: Variante ist nicht Reichtum, sondern Ödnis.Verortet die Frankfurter Schule in ihrer kritischen Auseinanderset<strong>zu</strong>ng, ebenso wie vieleJelinekinterpreten, aber fast nur ein konformistisches Moment im Pop, erkennen die späteren,poststrukturalistischen Thesen auch das produktive Moment für eine Gesellschaft, welchesebenfalls bei Jelinek <strong>zu</strong> finden ist <strong>und</strong> bedacht werden muss.Dabei geht es nach Deleuze <strong>und</strong> Guattari nicht um eine postmarxistische Lesart, also um eineÖkonomie des Pop, sondern vielmehr um die Sprache, die Modi <strong>und</strong> gar die Chancen, die der Popofferiert. Um diesem wieder ein Stück seiner verbrauchten Subversivität ab<strong>zu</strong>trotzen, ist eserforderlich, die <strong>zu</strong>handene Sprache einer erneuten Prüfung <strong>zu</strong> unterziehen. Aus einer Sprache derVielen, der Mehrheitssprache, wird infolgedessen ein Minderheitlich-Werden, in dem die Sprachesich selbst <strong>zu</strong> entkommen versucht. Diesem doppelten Spiel der Signifikanten konstatieren beideDenker die Möglichkeit einem diskursiven Kapitalismus; der Foucaultschen Macht, <strong>zu</strong> entgleiten.In der Sprache des Pop sehen sie die Chance, sich der vorherrschenden <strong>und</strong> bestimmenden Sprache<strong>zu</strong> widersetzen. Pop wird von ihnen als Wörterflucht begriffen. Eine Flucht, die es ermöglicht denSprechenden innerdiskursiv <strong>und</strong> <strong>zu</strong>gleich aufbegehrend <strong>zu</strong> verstehen.Meine Untersuchungen möchten somit sowohl eine literarische Anbindung Jelineks <strong>zu</strong> kanonischenTexten beleuchten, als auch die vielschichtige Verwobenheit <strong>zu</strong>r Populärkultur aufzeigen. Denn nurin dieser – bisher kaum beachteten – Symbiose, offeriert sich das subversive Moment der


Jelinekschen Prosa, die zwischen Popkultur <strong>und</strong> Klassik ossziliert.Prof. Dr. Franz Hintereder-Emde, Universität Yamaguchi (Japan)Snow White Reloaded — Grimms Märchen im digitalen ZeitalterMärchen gelten im Blick auf hohe <strong>und</strong> <strong>niedere</strong> <strong>Literatur</strong> als Spezialgattung. Aufgr<strong>und</strong> ihreshybriden Charakters <strong>und</strong> je nach Zielgruppe werden sie der Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur oder imFalle der Kunstmärchen der hohen <strong>Literatur</strong> <strong>zu</strong>gerechnet. Aber auch die Unterhaltungsindustriemacht sich den hohen Wiedererkennungswert ihrer Motivik <strong>und</strong> der stereotypenFigurenkonstellationen <strong>zu</strong> eigen.Die vergangenen Jahrzehnte brachten einen enormen Fortschritt in der digitalen Filmtechnik. 2012wurden mit „Mirror, mirror“ <strong>und</strong> „Snow White and the Huntsman“ zeitgleich zwei aufwendigeAdaptionen von Schneewittchen in 3D-Technik produziert.Aber auch im traditionellen Kulturbereich spielen Märchenstoffe eine unübersehbare Rolle. ImBlick auf die Adaptionen des Schneewittchen-Stoffes über längere Zeiträume hinweg werden dieVeränderungen bei Übergängen von einem <strong>zu</strong>m anderen Medium (Text, Film, Comic, Drama,Ballett etc.), aber auch zwischen verschiedenen Kulturen <strong>und</strong> Sprachen vorgestellt.Angefangen von Robert Walsers „Schneewittchen-Dramolett“ bis hin <strong>zu</strong>r Comic-Adaption „TheFables“ <strong>und</strong> modernen Filmversionen sollen Fragen des Potentials der Märchen zwischen, bzw.jenseits von hoher <strong>und</strong> niedriger <strong>Literatur</strong> diskutiert werden.Mag. phil. Timon Jakli, Universität Wien (Österreich)Volkspoesie <strong>und</strong> Volk zwischen hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong>Die vorgestellten Überlegungen sind Teil eines Dissertationsprojektes, das mit dem DOC-Stipendium der österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert wird <strong>und</strong> sich mitIdentitätsformationen im ausgehenden 18. <strong>und</strong> beginnenden 19. Jahrh<strong>und</strong>erts auseinandersetzt.Die Begriffe Volkspoesie <strong>und</strong> Volk stellen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts in Deutschlandein semantisches Kampffeld verschiedener Diskurse literarischer, ästhetischer <strong>und</strong> politischer Naturdar. Die den Begriffen inhärenten Differenzen, die Koselleck et al. in Geschichtliche Gr<strong>und</strong>begriffefestmachen, werden hier wirkmächtig: Es wird eine Differenz innen/außen konstruiert, jedoch auch


innerhalb der als Erzählgemeinschaft konzipierten „imagined community“ (Benedict Anderson) gibtes die soziologisch festgemachte Grenze oben/unten. Die historische Betrachtung schließlichimaginiert noch die Differenz vergangen/gegenwärtig. Der Vortrag nimmt diesebegriffsgeschichtlichen Forschungsergebnisse auf <strong>und</strong> macht sie durch Anwendung der FeldtheoriePierre Bourdieus <strong>und</strong> der Dichotomieforschung Peter Bürgers fruchtbar.Innerhalb des literarischen Feldes wird seit dem Siebenjährigen Krieg der Begriff Volkspoesie imKampf um symbolisches Kapital von verschiedenen Akteuren mit Bedeutung aufgeladen. Dabeigeht es jedoch nicht nur um die Verteilung symbolischen <strong>und</strong> materiellen Kapitals <strong>und</strong> dieAbgren<strong>zu</strong>ng gegeneinander im <strong>Literatur</strong>betrieb, sondern auch um die <strong>zu</strong>nehmendeAusdifferenzierung von hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong>. Dies ist insbesondere wichtig, da im Zuge derBemühungen um Volkslieder <strong>und</strong> Märchen diese Grenzen verwischt werden: Formen <strong>und</strong>Gattungen <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong> werden nobilitiert <strong>und</strong> steigen in den hohen Bereich der <strong>Literatur</strong> auf,die sich jedoch klar von unterbürgerlichen Praktiken ab<strong>zu</strong>grenzen sucht. In weiterer Folge sinkendie artifiziell überformten Gebilde wieder ab <strong>und</strong> werden Teil einer national inspiriertenKulturgemeinschaft. Diese Prozesse können durch eine Untersuchung von Texten Herders,Friedrich Nicolais, Gottfried August Bürgers, des Göttinger Hainb<strong>und</strong>es, Jacob <strong>und</strong> WilhelmGrimms sowie Arnim/Brentanos beschrieben werden.Im Vortrag wird gezeigt, wie diese Wechselbeziehung zwischen hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong> mit dersozioökonomischen Realität der Akteure, aber auch mit das literarische Feld transzendierendenIdentitätsbildungsprozessen <strong>zu</strong>sammenhängt. Dies geschieht anhand der Kontroversen zwischenHerder, Bürger <strong>und</strong> Nicolai (in Be<strong>zu</strong>g auf Lieder <strong>und</strong> Kunstballaden) sowie zwischen Grimm-Arnim/Brentano (in Be<strong>zu</strong>g auf Märchen). Anhand dieser beiden Gattungsbeispiele wird dieProblematik <strong>und</strong> Interessensgeleitetheit der Zuschreibung von „Volksmäßigkeit“ erhellt <strong>und</strong> wiesich diese <strong>zu</strong>m bestehenden <strong>Literatur</strong>system <strong>und</strong> seiner Einteilung in hohe <strong>und</strong> <strong>niedere</strong> <strong>Literatur</strong>verhält.M.A. Ruven Karr, Universität des Saarlandes (Deutschland)„Ich bin Graf von Monte Schizo / <strong>und</strong> ich singe diesen Hit so“ – Das <strong>Hohe</strong>, Flache <strong>und</strong> Tiefe imdeutschsprachigen Diskurs-PopDie in den 1990er Jahren gegründeten Hamburger Bands Blumfeld, Tocotronic <strong>und</strong> Die Sternezählen <strong>zu</strong> den bekanntesten Vertretern des Diskurs-Pop. Was als dilettantisch-schrammeliger Indie-Rock für ein kleines erlesenes Publikum begann, fand längst reges Interesse in den Feuilletons <strong>und</strong>


mittlerweile sogar in Uni-Seminaren sowie in der <strong>Literatur</strong>wissenschaft. Mit dem Begriff „Diskurs-Pop“ bezog man sich vor allem auf die sperrige <strong>und</strong> verkopfte, sich an Alltagsbetrachtungenentzündende Gesellschaftskritik der Songtexte. Doch der Begriff meint auch die Diskurse derPostmoderne <strong>und</strong> der Poptheorie, die nicht nur die Songlyrik maßgeblich prägen, sondern explizitthematisiert werden: Camp, Montage, Eklektizismus, der Tod des Autors, das „Ende der großenErzählungen“ (Lyotard) sowie die Symbiose aus Hochkultur <strong>und</strong> populärer Kultur, aus demkünstlerisch Anspruchsvollen <strong>und</strong> dem Banalen, wie sie Leslie Fiedler 1968 in seinemeinflussreichen Aufsatz Cross the border – close the gap proklamierte.Hier soll natürlich vor allem Letzteres interessieren. Besonders bei Tocotronic <strong>und</strong> Blumfeld wirddie Unterwanderung des <strong>Hohe</strong>n durch das Banale überdeutlich. In beider Werk kommen zahlloseintertextuelle Anspielungen – bis hin <strong>zu</strong> dreist übernommenen, ans Plagiat grenzenden Zitaten – aufdie Höhenkammliteratur (Flaubert, Nietzsche, Rilke, Benn, Celan, Bachmann, Bernhard etc.) vor,die dann <strong>zu</strong>gleich aber sowohl thematisch als auch formal verwoben werden mit Elementen derpopulären <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>n Kultur, des Trivialen bis Albernen (deutsche Schlager, TV-Trash, scheinbarbanale Alltagsbetrachtungen, sprachlich-poetische Klischees, gewollt lächerliche Wortspiele, Reimeetc.). Durch diese Konfrontation des <strong>Hohe</strong>n (Kanonisierung, ästhetischer Anspruch) mit demFlachen (Populäres, Oberflächliches, Banales) entsteht ein ironisches Spannungsfeld <strong>und</strong> damit eineIrritation des Rezipienten, dem es aufgetragen ist, die schwer <strong>zu</strong> vereinbaren Dissonanzen deutendauf<strong>zu</strong>lösen – geschweige denn <strong>zu</strong> ergründen, ob das Gehörte ernst oder ironisch <strong>zu</strong> verstehen ist.Diese interpretatorische Unbestimmtheit <strong>und</strong> Mehrdeutigkeit, die Offenheit des Kunstwerks (Eco),ergibt sich also aus der Verknüpfung des <strong>Hohe</strong>n mit dem Flachen; diese dritte Kategorie sollheuristisch „das Tiefe“ genannt werden.Um die drei Kategorien kurz <strong>zu</strong> veranschaulichen: Die Ballade Tausend Tränen tief von Blumfeldverknüpft volksliedhaft-romantische Elemente mit trivialem Schlager-Kitsch. Sie nimmt sich beimersten Hören ebenso flach aus wie ihr Titel Tiefe suggeriert. Wenn es nun am Ende des Songs heißt„es könnte viel bedeuten“, dann zitiert der Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer damit nicht nurwörtlich aus einen Gedicht Ingeborg Bachmanns, sondern er lässt mit diesem Verweis aufVieldeutigkeit auch einen ratlosen Rezipienten <strong>zu</strong>rück mit der Frage nach dem Sinn <strong>und</strong> derästhetischen Funktion einer solchen Mehrfachcodierung. Oder in Tocotronics Gesang des Tyrannen:Hier proklamiert ein ironisch gezeichneter Dichter-Fürst, der „Graf von Monte Schizo“, pathetischseine Würde, um sie im selben Atem<strong>zu</strong>g als hohl <strong>und</strong> nichtssagend <strong>zu</strong> entwerten:In mirBrennt das ewige FeuerIn mir


Kalt, modern <strong>und</strong> teuerIn mirStrahlt das ewige LichtIn mirDoch dahinter gibt es nichts.In meinem Beitrag möchte ich das Verhältnis zwischen dem <strong>Hohe</strong>n, Tiefen <strong>und</strong> Flachen anhand desWerks vornehmlich von Tocotronic <strong>und</strong> Blumfeld bestimmen <strong>und</strong> seine Beziehung <strong>zu</strong> zentralenTheoremen der Postmoderne sowie der Popliteratur diskutieren.Prof. Dr. Santha Kumari, University of Kerala, Thiruvananthapuram (Indien)Die Tendenz <strong>zu</strong>r Trivialliteratur in Billard um halb zehn von Heinrich Böll – veranschaulicht durchVergleich mit Die Blechtrommel von Günter GrassAuch ‚hohe’ Schriftsteller führen manchmal bewußt/unbewußt triviale Elemente in ihre Werke ein,wie z.B. Heinrich Böll. Seine Frühromane, wie z.B. Billard um halbzehn erlebten daher einePopularität wie Trivialromane. Die Trivialität in Billard um halbzehn entsteht vor allem durch diesentimentale leichtverständliche Sprache ohne Individualität. Der Schreibstil zeigt eine unnötigePseudokomplexität: Die zehn Perspektiven im Roman tragen kaum <strong>zu</strong>r Bereicherung bei, da sieohne Vielfältigkeit wirken. Die Motive fehlen an Originalität <strong>und</strong> bleiben statisch in ihrer Identität.Sie führen <strong>zu</strong>r Klassifizierung der Charaktere in ‚gute’ <strong>und</strong> ‚böse’ wie im Märchen. Die gutenerregen Mitleid, um <strong>zu</strong>r blinden Identifikation ein<strong>zu</strong>laden. Die Frauen spielen bei Sex eine naivepassive Rolle. Sie erscheinen als fromme, empfindsame, geduldig leidende Wesen. Ihr Leben kreistsich um die Familie <strong>und</strong> sie verehren ihre Ehemänner. Es ist ein Frauenbild wie in trivialenFrauenromanen. Auch ohne eine kompetente Kenntnis der deutschen politischen Geschichte in derersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, der die drei Generationen im Roman entstammen, kann man denRoman verstehen. Auch der Roman Die Blechtrommel von Günter Grass erschien in dem gleichenJahr, d.h. 1959. Auch er behandelt die gleiche Thematik der drei Generationen in einer Familie, aufder die politischen Entwicklungen in dem gleichen Zeitraum wie im Bölls Roman ihre Spurenhinterließen. Aber Grass’ Sprache ist ausgeprägt individualisierter Art <strong>und</strong> fehlt an Sentimentalität.Auch sein Schreibstil ist höchst komplex wie originell. Die Motive ändern ihre Identität vomKontext <strong>zu</strong> Kontext im Roman; der/die Leser/in muß sie also jedesmal neu interpretieren. Ohne einekompetente Interpretation der Motive kann man diesen Roman von Grass nicht verstehen, da die


Motive sich aus dem Stoff des Romans selbst entwickeln. Die Frauencharaktere spielen eine vonder Gesellschaft unnotierte, aber bedeutende Rolle. Man kann sie weder ‚gut’ noch ‚böse’ nennen,<strong>zu</strong>mal der Erzähler/Grass in keiner Weise eine Partei ergreift. Der/die Leser/in kann sichinfolgedessen mit ihnen nicht emotional identifizieren. Die Frauen sind vor allem gekennzeichnetdurch ihre virulente weibliche Sexualität. Mit Macht über Familie/Männer bestimmen sie auf eineindirekte unnotierbare Weise die Richtlinien der Gesellschaft. Der Roman wird erzählt aus derPerspektive von Oskar in der Familie, der nun in einer Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalt sitzt. Der/die Leser/inkann also nicht alles glauben, was er sagt. Mit übermenschlichen Gaben versehen erscheint ervielmehr wie ein polyvalentes Symbol als Mensch. Selbstverständlich wirkt er verfremdend fürden/die Leser/in. Ohne eine kompetente Vorkenntnis der hier verstreuten Fragmente der politischenEntwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts kann man diesen Roman von Grass nichtkompetent rezipieren. Während Bölls Billard um halb zehn das Mitleid <strong>und</strong> die Sentimentalitätdes/der Lesers/Leserin erregt <strong>und</strong> eine passive Rezeption ermöglicht, erregt Grass’ DieBlechtrommel die Gedanken <strong>und</strong> verlangt eine kompetente aktive Rezeption. Während Bölls Romandie Massen unterhält, klärt Grass’ die Elite auf. Während Bölls Roman selbst im Jahre seinesErscheinens, d.h. 1959 zwei Editionen erlebte, <strong>und</strong> schon im Jahre 1964 in der sechsten Edition dieVerkaufszahl 76 000 Exemplare erreichte, mußte Grass’ Roman, der im gleichen Jahr wie Böllserschienen war, bis 1968 warten, um <strong>zu</strong>mindest 20 000 Exemplare verkauft <strong>zu</strong> werden. Und<strong>Literatur</strong>wissenschaftler diagnostizieren solche Popularität als Symptom für Trivialität.Dr. Stefan Lindinger, Universität Athen (Griechenland)Emanuel Schikaneder als Populärdramatiker am Beispiel der 'Philippine Welserinn' <strong>und</strong> andererSchauspieleDer Name Emanuel Schikaneder (1751-1812) ist den meisten Kulturinteressierten heute nur nochals Librettist von Wolfgang Amadeus Mozarts 'Zauberflöte' geläufig. Zu Lebzeiten jedoch gehörteer <strong>zu</strong> den erfolgreichsten Theatermachern des süddeutschen Raumes, als Prinzipal verschiedenerTheatertruppen <strong>und</strong> als Verfasser einer großen Zahl eigener Schauspiele. Wie er selbst einräumte,stand für ihn immer die Publikumswirksamkeit seiner Werke im Vordergr<strong>und</strong>. „Die allgemeinegesammelte Thränenärnte dieses Stückes“, so Schikaneder in einer Vorrede, „ist mir Beweiß <strong>und</strong>Befriedigung für meine Arbeit. Mein einziger Hauptzweck dabey ist, für die Kasse des Direkteurs<strong>zu</strong> arbeiten, <strong>und</strong> <strong>zu</strong> sehen was die größte Wirkung auf der Bühne macht, um ein volles Auditorium<strong>und</strong> gute Einnahmen <strong>zu</strong> erzielen.“ Der kommerzielle Erfolg stellt jedoch keinen Gegensatz <strong>zu</strong> denliteraturgeschichtlichen Hauptströmungen der 'hohen ' <strong>Literatur</strong> dar, sondern basiert gerade auf


Schikaneders feinem Gespür für die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Dramatik. DieGedankenwelt der Spätaufklärung <strong>und</strong> des Sturm-<strong>und</strong>-Drang wird von ihm aufgegriffen <strong>und</strong>popularisiert. Im Hintergr<strong>und</strong> steht die angesprochene Doppelfunktion Schikaneders als Impresario<strong>und</strong> als Stückeschreiber. Der Aufführungspraxis der Werke anderer – <strong>zu</strong> Schikaneders Repertoirezählten Shakespeare, Lessing <strong>und</strong> der frühe Goethe, aber auch eine Reihe weitgehend vergessenerSchauspiele – entsprang dessen eigene literarische Produktion.In diesem Vortrag soll der Schwerpunkt auf einigen der thematisch anspruchsvolleren StückeSchikaneders liegen. Zunächst erfolgt ein Blick auf das Soldatendrama 'Der Grandprofos' (1784),das sich an Heinrich Ferdinand Möllers Theatererfolg 'Der Graf von Walltron' anlehnt, <strong>und</strong> dasRitterschauspiel 'Hanns Dollinger' (1788), das in der Nachfolge von Goethes 'Götz' steht. Diesebeiden Werke können aufgr<strong>und</strong> der in ihnen enthaltenen, die populäraufklärerische Gedankenweltergänzenden spektakulären Elemente – Militärlager, Schlachten, ritterliche Zweikämpfe <strong>zu</strong> Pferd –auch als Vorläufer der modernen Eventkultur angesehen werden.Danach soll exemplarisch das Stück 'Philippine Welserinn, die schöne Herzogin von Tirol' (1780)analysiert werden, an dem Schikaneders Erfolgsrezept besonders deutlich wird. In der 'PhilippineWelserinn' wird der auch von Hebbel aufgegriffene Agnes-Bernauer-Stoff unter Verwendunganderer Namen <strong>und</strong> Örtlichkeiten dramatisiert <strong>und</strong> mit einem glücklichen Ausgang versehen, denndie bürgerliche Kaufmannstochter Philippine schafft es im Gegensatz <strong>zu</strong> Agnes Bernauer, <strong>zu</strong>rHerzogin auf<strong>zu</strong>steigen. Schikaneder selbst hatte Joseph August von Törrings damals überauserfolgreiche 'Agnes Bernauerin' aufgeführt <strong>und</strong> schon bei dieser Gelegenheit den Schluss derTragödie – die bürgerliche Protagonistin wird von den Exponenten der Adelsherrschaft umgebracht– kurzerhand abgewandelt <strong>und</strong> mit einem Happy End ausgestattet, um den Publikumserfolg desStückes noch <strong>zu</strong> steigern. Gemeinsam ist beiden Werken die zeittypische Kritik am Hof <strong>und</strong> an dervom Adel dominierten Gesellschaft. Die 'Philippine Welserinn' ist auch insofern ein lohnenderGegenstand für eine nähere Betrachtung, als sie <strong>zu</strong>gleich als bürgerliches Trauerspiel in derPopularversion eines Rührstücks <strong>und</strong> als Vorläufer des Wiener Volksstücks nach Art einesFerdinand Raim<strong>und</strong> (es gibt einen Berggeist) gelesen werden kann.Insgesamt gilt für dieses Stück, was für Emanuel Schikaneders Dramatik im allgemeinen gilt: dieGrenzen zwischen der vermeintlich '<strong>niedere</strong>n' <strong>und</strong> der heute als kanonisch geltenden 'hohen'<strong>Literatur</strong> erweisen sich als fließend, <strong>und</strong> es besteht eine Wechselwirkung zwischen diesen beidenPolen, denn der Verfasser übernimmt viele thematische <strong>und</strong> stilistische Anregungen aus der 'hohen'<strong>Literatur</strong> in einen '<strong>niedere</strong>n', bei oberflächlicher Betrachtung nur am Erfolg orientierten literarischen


Kontext, trägt aber durch deren Popularisierung in seinen Inszenierungen <strong>und</strong> eigenen Werken auch<strong>zu</strong>r Rezeption der 'hohen' <strong>Literatur</strong> <strong>und</strong> somit <strong>zu</strong>r Verbreitung von deren Anliegen <strong>und</strong> derenÄsthetik bei.Dr. Henriett Lindner, Katholische Péer-Pázmány-Universität Piliscsaba-Budapest (Ungarn)Schaubudenkultur <strong>und</strong> literarische Unterhaltung – Taschenspieltricks im deutschenGeheimb<strong>und</strong>romanDie zweite Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts scheint die Zeit der skandalösen Persönlichkeiten <strong>und</strong> derGeheimgesellschaften <strong>zu</strong> sein, das Auftreten von berühmt-berüchtigten Persönlichkeiten, wieCagliostro <strong>und</strong> Mesmer, oder Gerüchte von geheimen Gesellschaften schärfen das Interesse der<strong>Literatur</strong> für Magie <strong>und</strong> Scharlatanerie. Um 1800 also spricht <strong>und</strong> schreibt man gern überScharlatane, Straßen- <strong>und</strong> Kleinkünstler, Freimaurer <strong>und</strong> Rosenkreuzern, Geheimgesellschaften,Illuminaten sowie Teufels- <strong>und</strong> Todesbeschwörungen, über Zauberei <strong>und</strong> Betrügerei. Mikroskop,Fernrohr, Spiegel, Linsen <strong>und</strong> allerlei optische Mittel dienen <strong>zu</strong> dieser Zeit nicht lediglich derWissenschaft, sondern auch der durch Sensationslust gesteigerten Unterhaltung. Welchepopulärkulturelle Bedeutung physikalische Versuche <strong>und</strong> Tricks oder öffentlich veranstalteteSeancen in der zeitgenössischen Unterhaltungskultur tragen, erklärt uns ein kurzer Einblick in dieBände der Natürlichen Magie, aus allerhand belustigenden <strong>und</strong> nützlichen Kunststücken bestehend,<strong>zu</strong>sammengetragen von Johann Christian Wiegleb. WIEGLEB, genannt auch kurz Wieglebs Magie,oder in Funks Natürliche Magie <strong>und</strong> das Gantz natürliche Zauberlexikon.Im Vortrag gilt es, die literarische Rezeption der populärkulturellen Ereignisse derSchaubudenpraktiken im deutschsprachigen Geheimb<strong>und</strong>roman, einer der populärsten Gattung derUnterhaltungsliteratur um 1800, <strong>zu</strong> untersuchen. Die durch aufklärirische Bildungsmaximemotivierten Darstellungen von „ganz natürlichen“ Zaubertricks stellen <strong>zu</strong>nächst mutmaßlicheQuellen für unsere Beispieltexte von Schiller <strong>und</strong> E.T.A. Hoffman dar. Während aber die<strong>Literatur</strong>wissenschaft über die Aufgabe in Verlegenheit gerät, Schillers Versuch in einerpopulärliterarischen Gattung mit dem Bild des Klassikers in Einklang <strong>zu</strong> bringen, erscheint es fürdie einschlägige Forschung als leicht verständlich, E.T.A. Hoffmann als einen Unterhaltungsautorseiner Zeit an<strong>zu</strong>sehen. Schillers Romanfragment Der Geisterseher, E.T.A Hoffmanns Roman DieElixiere des Teufels <strong>und</strong> seine Erzählung Der Sandmann sollen nun in den kulturgeschichtlichenKontext der zeitgenössischen Schaubudenzauberei gestellt werden. Über die positivistischnachweisbare Einwirkung hinaus soll auf die Anwendung von physikalischen <strong>und</strong> optischen Tricks,


eispielsweise des Magnetismus, der Laterna Magica, des Fernrohrs oder der Camera Obscurasowie auf die psychologischen Manipulationen <strong>und</strong> Scharlatanerie fokussiert werden. Es soll andiesen Texten exemplifiziert werden, wie Zaubertricks <strong>und</strong> magisch-betrügerische Manipulation inden Schiller- <strong>und</strong> Hoffmann-Texten literarisiert werden, nämlich als Vorbilder der Textgestaltung,<strong>und</strong> als Modelle <strong>zu</strong>r Erzählerkalkül <strong>und</strong> Unterhaltungsstrategie.Prof. Fuminari Niimoto, Tsuda College Kodaira, Tokio (Japan)Krimi als AlibioderFriedrich Glausers parodierendes Romanprojekt der ModerneFriedrich Glauser (1896 -1938) war zweifelsohne eine der tragischsten Gestalten derdeutschsprachigen Schweizer <strong>Literatur</strong> des 20. Jhs. Zu seinen Lebzeiten bewegte er sichausschließlich in den unteren Regionen der Gesellschaft: nach dem Rauswurf aus dem Gymnasiumkurz vor der Matura arbeitete er als Fremdenlegionssoldat in Afrika, Tellerwäscher in Paris, alsBergmann in Kohlengruben in Belgien, Krankenwärter in der Schweiz. Dazwischen wurde erwegen Morphiummissbrauchs mehrmals in Heilanstalten interniert <strong>und</strong> psychiatrisch behandelt.Auch schriftstellerisch begibt er sich in die <strong>niedere</strong>n Region der literarischen Gattung: er schriebfünf Kriminalromane <strong>und</strong> einen Fremdenlegionsroman, <strong>und</strong> er war damit in jenen Genres tätig, dieals minderwertige Unterhaltung betrachtet <strong>und</strong> in der <strong>Literatur</strong>geschichte eher marginal positioniertwurden. Diese Gattungen gaben ihm jedoch den Raum <strong>und</strong> Rahmen, in dem er unbehelligt seinschriftstellerisches Experiment weiter verfolgen konnte. Wie er in seinem Offener Brief über dieZehn Gebote für den Kriminalroman schrieb, legte er das Hauptgewicht seines Schreibens nichtunbedingt auf das Fabrizieren einer spannungsvollen Handlung, sondern auf die Beschreibung desLebens, das „unlogisch, packend, traurig <strong>und</strong> grotesk <strong>zu</strong>gleich“ weiterläuft. Auch imFremdenlegionsroman Gourrama kümmerte er sich nicht sehr um das Fabulieren einerAbenteuergeschichte in der exotischen afrikanischen Landschaft. Was er da beschrieb, warwiederum das sinnlose, bruchstückhafte, körperliche Leben der pseudonymen, fast namenlosenSoldaten im hitzigen, langweiligen Legionsalltag.In meinem Vortrag wird gezeigt, wie meisterhaft Glauser unter dem Alibi der populärenUnterhaltungsliteratur seine schmerzhafte, doch auch glückliche Lebensrealität <strong>zu</strong>m Ausdruckbrachte <strong>und</strong> damit die versteifte, <strong>zu</strong>r Norm gewordene Unterscheidung der hohen <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>n<strong>Literatur</strong> <strong>zu</strong> unterminieren verstand.


Dr. Caroline Olsson, Paris (Frankreich)High versus low fiction within the Scandinavian historical genreIt is not always easy to tell literary works of fiction from those regarded as mass-market or subgenericnovels. The difference can sometimes be quite subtle. Several classical authors haveproduced juvenilia belonging to popular genres. In their early years, Victor Hugo, Alexandre Dumasand Honoré de Balzac, for example, wrote fantasy and horror novels, sometimes <strong>und</strong>er a penname.When it comes to a genre such as the historical novel, it becomes especially difficult trying todistinguish “respectable” literature from popular productions. Since its origins in the beginning ofthe nineteenth century, the historical genre has indeed been closely linked to entertaining narrativesand adventure stories, traditionally rated as lowbrow fiction. Nowadays, it can still be hard toclassify Walter Scott’s novels. Sometimes, the reading public associates them with British classicsand sometimes with children’s literature.We would like to explore the bo<strong>und</strong>ary between those historical novels that can be considered eliteand “low” ones. Needless to say, the borderline often appears to be both thin and subjective, notseldom drawn in an arbitrary way. We shall examine a few Scandinavian novels, mostly Swedish,set in the Viking era and the Middle Ages. Many similarities appear when we compare Röde Ormby Frans G. Bengtsson (The Long Ships in English, Die rote Schlange or Die Abenteuer des RödeOrm in German), published between 1941 and 1945, and Gerpla (The Happy Warriors, Dieglücklichen Krieger), published in 1952 by the Icelander Halldór Kiljan Laxness. Both writers havechosen to draw greatly on medieval sources and they treat the ancient material more or less in thesame way: they look upon the Viking ancestor with humour and sarcasm. Despite these obviouspoints of likeness, Bengtsson’s book is often classed as light reading and has even been described asa teen novel, whereas Laxness’ literary talent was acknowledged by the Swedish Academy in 1955,when he received the Nobel Prize. We shall try to <strong>und</strong>erstand why these books have been receivedso differently, since it doesn’t seem linked either to the period in which the plot takes place or to thehumoristic style. In the second part of our survey, we wish to examine two Swedish novels, set inthe thirteenth century: Bjälboarvet by Verner von Heidenstam (The Bellbo Heritage, Die Erben vonBjälbo), published in 1907, and Arvet efter Arn by Jan Guillou ([The Heritage of Arn; not yettranslated into English], Das Erbe), issued in 2001. They deal with the struggle for power of BirgerJarl and his two sons, Valdemar and Magnus III (known as Magnus Ladulås in Sweden, which


means “Barnlock”). We shall try to determine if the two novels differ by their themes and stylisticchoices and if these disparities can explain why Heidenstam’s Bjälboarvet is considered highliterature (he also received the Nobel Prize in literature in 1916), whereas literary critics tend to rateArvet efter Arn by Guillou as popular fiction.Dr. Simone Orzechowski, Université de Lorraine, Metz (Frankreich)Otto Flakes unbequemer Spagat zwischen hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong>Nach anfänglichen Schwierigkeiten war dem Schriftsteller <strong>und</strong> Essayisten Otto Flake (1880-1963) kurz nach der Veröffentlichung seiner ersten Werke ein steiler Erfolg vergönnt, da er bereits1913 den zweiten Roman bei dem damals hoch angesehenen S. Fischer Verlag veröffentlichte <strong>und</strong>gleichzeitig Zugang <strong>zu</strong>r renommierten Neuen R<strong>und</strong>schau hatte.Die zahlreichen Werke <strong>und</strong> Beiträge, die in den folgenden Jahren bei Fischer erschienen,gaben dem selbstbewussten Flake die Gewissheit, <strong>zu</strong> den wichtigen Stimmen seiner Zeit <strong>zu</strong> zählen<strong>und</strong> führten ihn da<strong>zu</strong>, seinen literarischen Stellenwert <strong>zu</strong> überschätzen. Die Diskrepanz zwischenSelbstwahrnehmung <strong>und</strong> tatsächlichem literarischem Stellenwert wuchs dramatisch in den nächstenJahrzehnten, in denen <strong>zu</strong>nächst die Leser <strong>und</strong> dann die anspruchsvollen Verlage sich von Flakeabwandten.Die Renaissance war dann nur im Kontext der Massenliteratur – beim Bertelsmann Lesering –möglich; sie sicherte Flake zwar einen materiell sorglosen Lebensabend, genügte aber offensichtlichnicht, um die Verbitterung des alten Schriftstellers über den literarischen Abstieg wett<strong>zu</strong>machen.Im Gr<strong>und</strong>e ist diese Verbitterung der Ausdruck der Widersprüchlichkeit zwischen Flakesliterarischen Ansprüchen <strong>und</strong> der tatsächlichen literarischen Qualität seiner Produktion: trotzwiederholter Versuche – z.B. der Neuauflage eines Teils der Werke in den 70er Jahren unter derLeitung von Rolf Hochhuth – Flake in die hohe <strong>Literatur</strong> hoch<strong>zu</strong>hieven, fand sein Romanwerk niedie von seinem Autor erhoffte literarische Anerkennung. Gleichzeitig blieb aber auch der Erfolg beieinem breiten Publikum aus; trotz des groβen Aufwands des Bertelsmann-Hauses gelangte Flakenie annähernd <strong>zu</strong> der Berühmtheit einer Courths-Mahler.Das mag daran liegen, dass seine Romane eigentlich hybride Werke sind, die aufgr<strong>und</strong> ihrerEigenart weder die Leser der hohen noch die der <strong>niedere</strong>n <strong>Literatur</strong> ansprechen.Im Rahmen dieser Tagung wäre es m.E. interessant, zwei Aspekte heraus<strong>zu</strong>arbeiten:- die Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung <strong>und</strong> Selsbtinszenierung als „groβer


Schriftsteller“ <strong>und</strong> dem tatsächlichen literarischen Wert der Romane- die misslungene Hybridität der Romane.Prof. Dr. Georg Pichler, Universidad de Alcalá (Spanien)Zwischen Hoch <strong>und</strong> Tief ist nicht Dazwischen. Das Spiel mit trivialen <strong>und</strong> hochliterarischenElementen im Werk von Wolf HaasDer österreichische Autor Wolf Haas ist bekannt geworden als Schöpfer des Detektivs Brenner, dener seit 1996 in bisher sieben Kriminalromanen recht unspektakuläre Mordfälle aufklären lässt.Zugleich aber gibt der unbeholfene Privatdetektiv literarisch Rätsel auf. Einerseits durch dieSprache der Texte, eine auf den ersten Blick holprig wirkende Mischung aus Umgangssprache <strong>und</strong>Hochdeutsch, voll von Ellipsen, mündlichen Redewendungen <strong>und</strong> intra- wie intertextuellenReferenzen, Kalauern <strong>und</strong> Wortspielen, die auf den zweiten Blick hohes literarisches Niveau hat.Andererseits sind die Romane geprägt durch ihre Erzählinstanz, die sich aller möglichenerzähltechnischen Kunstgriffe bedient <strong>und</strong> ein souveränes Vexierspiel mit Elementen derTrivialliteratur vor dem Hintergr<strong>und</strong> von hochliterarischen Referenzen durchführt. Auch der RomanDas Wetter vor 15 Jahren (2006) ist ein Spiel auf mehreren Ebenen: Im Text selbst wird dasSchreiben eines – r<strong>und</strong>weg trivialen – Romans in Dialogform dargestellt <strong>und</strong> nachvollzogen, dieunterschiedlichen Funktionsweisen von realem Autor, fiktionalem Autor <strong>und</strong> Figuren werdendurcheinandergeworfen, <strong>und</strong> auf einer extratextuellen Ebene werden die verschiedensten Ritualedes <strong>Literatur</strong>betriebs durchexerziert. Der scheinbar simple Text erweist sich bei einer genauerenLektüre als ausgeklügelte Persiflage auf sich selbst, die alle möglichen literarischen Konventionenaufnimmt, durchspielt <strong>und</strong> parodiert. Der 2012 erschienene Roman Verteidigung derMissionarsstellung nimmt erneut das Motiv des Liebesromans auf <strong>und</strong> wandelt es aufverschiedenen Ebenen ab. Auch dieser Text, der voll von Bezügen <strong>zu</strong>r Semiotik <strong>und</strong> <strong>zu</strong>rHochliteratur ist, entzieht sich sowohl einer gattungsmäßigen Einordnung als auch einer eindeutigenInterpretation.In meinem Beitrag soll gezeigt werden, wie Wolf Haas Versatzstücke aus der Trivialliteratur durchden Einsatz von hochliterarischen Erzähltechniken <strong>und</strong> Anspielungen sowie durch die Anwendunglinguistischer Theorien <strong>zu</strong> einem neuen Dritten verarbeitet, das nicht nur literarische Qualitätenaufweist, die Haas in die sprachkritische Tradition der österreichischen <strong>Literatur</strong> stellen, sondern ihnauch deutlich von der seit einem guten Jahrzehnt in Mode gekommenen zeitgenössischenösterreichischen Kriminalliteratur unterscheidet.


Dr. Jesko Reiling, Universität Bern (Schweiz)Totgesagte leben länger!?! Literarische Zombies suchen ihre LeserDer Zombie erfreut sich <strong>zu</strong>rzeit ausgesprochener Beliebtheit. Nicht nur in Filmen, Büchern <strong>und</strong>Comics ganz unterschiedlicher Machart taucht „the livingdead“ auf, sondern auch inphilosophischen, anthropologischen <strong>und</strong> kulturgeschichtlichen Texten erfreut sich der Untote einesvitalen Interesses. Als Figur der gegenwärtigen Kulturkritik verkörpert er das „Posthumane“schlechthin <strong>und</strong> steht für den triebhaft konsumgierigen Menschen <strong>und</strong> das stumpfe Arbeitstier, demdas Menschliche abhanden gekommen ist. Als Schreckensfigur symbolisiert er den Verlust jeglicherIdentität <strong>und</strong> steht aufgr<strong>und</strong> seiner epidemischen Verbreitung für die totale <strong>und</strong> radikale Bedrohungalles Humanen. Die Karriere des Zombies ist ebenso erfolgreich wie kurz. Aus dem haitianischenVoodookult stammend, fand der Zombie seit den 1930er Jahren Eingang ins amerikanischeFilmschaffen <strong>und</strong> erlebte 1968 durch den <strong>zu</strong>m erhaltenswerten Kulturgut erklärten Film Night of theLiving Dead des amerikanischen Regisseurs George A. Romero seine Inthronisierung in derPopulärkultur. Seither ist der Zombie als eines der wenigen außereuropäischen Monster aus demArsenal der Horrorgestalten nicht mehr weg<strong>zu</strong>denken.Im Fokus meines Beitrags soll ein bislang kaum in den Blick genommener Aspekt der medialenZombiehistorie näher betrachtet werden: der literarische Zombie. Von vereinzelten Vorgängernabgesehen, gibt es das Subgenre des Zombie-Romans erst seit r<strong>und</strong> 20 Jahren, das durch seinegroße Diversität das einst dominierende Image der bluttriefenden Splatterliteratur überw<strong>und</strong>en hat.Mit diesem Genre hat man den sehr seltenen Fall vor sich, zeitnah beobachten <strong>zu</strong> können, wie sicheine literarische Gattung ausbildet. Mittlerweile hat sie ihren Platz im literarischen Feldeingenommen <strong>und</strong> schärft nun ihre Konturen. Aus traditioneller literarästhetischer Perspektivebetrachtet, musste die Zombie-<strong>Literatur</strong> dabei von ungünstigen Bedingungen ausgehen: AlsHorrorliteratur gehört sie nicht nur traditionellerweise <strong>zu</strong>r <strong>niedere</strong>n <strong>Literatur</strong>, die Affinität <strong>zu</strong>mMedium des (Horror-)Films scheint diese Verortung <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> befestigen.Die Tatsache jedoch, dass in jüngster Zeit erstmals Zombie-Romane verfilmt wurden (Max Brooks:World War Z [2006, für 2013 angekündigt], Isaac Marion: Warm Bodies [2010, bereits im Kino]sowie die Adaptation des Comics The Walking Dead [seit 2003, Fernsehserie seit 2010]), deutet aufeine ‚neue‘ (‚höhere‘) Qualität der Romane hin – früher folgte die <strong>Literatur</strong> den Horrorfilmen.Zudem hat, wie erwähnt, die Figur des Zombies in Bereiche der Hochkultur Ein<strong>zu</strong>g gehalten(Philosophie, Anthropologie, Naturwissenschaften, vgl. oben) <strong>und</strong> ist auch im Bereich der


Kindermedien präsent, womit sich die Frage erhebt, welchen Einfluss diese Gegebenheiten auf dasliterarische Genre haben. Mein Beitrag möchte sich mit verschiedenen Ansätzen <strong>und</strong> Möglichkeiten<strong>zu</strong>r Einordnung des Genres <strong>und</strong> der Einzeltexte im literarischen Feld beschäftigen: Was bieten dieTexte an, um eingeordnet <strong>zu</strong> werden? Wie kann man außertextuell die Zuschreibungenuntersuchen? Reicht die Tatsache aus, dass die Zombie-<strong>Literatur</strong> ihren Weg nicht ins Feuilleton derPrintmedien findet, sie als <strong>niedere</strong> <strong>Literatur</strong> ab<strong>zu</strong>tun? Wenn in den (Internet-)Rezensionen dieTrivialität kein Thema ist: lässt sich das als implizite Wertung <strong>und</strong> Hochschät<strong>zu</strong>ng verstehen? Und:inwiefern beeinflussen sich Genre <strong>und</strong> Einzelwerk in der Rezeption? Verhindert das Genre, das einEinzeltext als hohe <strong>Literatur</strong> wahrgenommen wird?Die Zombie-<strong>Literatur</strong> reicht formal von der klassischen Romanform mit auktorialem Erzähler,dokumentarischen Schreibstilen (Reportagen u. ä.) über Tagebücher, Briefromane sowie Komödienbzw. heiteren Texten bis hin <strong>zu</strong> <strong>Literatur</strong>parodien von Klassikern wie etwa Goethes Werther(Susanne Picard: Die Leichen des jungen Werther [2011]) oder Jane Austens Pride and Prejudice(Seth Grahame-Smith: Stolz <strong>und</strong> Vorurteil <strong>und</strong> Zombies [2010], engl. Originalausgabe Pride andPrejudice and Zombies [2009]). Inhaltlich setzen die Texte ebenfalls ganz unterschiedlicheSchwerpunkte <strong>und</strong> reichen von soziologischen ‚Studien‘ (neue Gesellschaftsformen nach derZombie-Apokalypse) bis hin <strong>zu</strong> psychologischen Analysen (Umgang mit dem Verlust vonVerwandten, Verhalten in Lebensgefahr etc.); das Geschehen kann in historischem Milieu(Mittelalter, 18. Jahrh<strong>und</strong>ert) oder aber in der Gegenwart bzw. Zukunft spielen, gut oder böse endenetc. Es lassen sich Intertextualitäten, Referenzen auf Naturwissenschaften <strong>und</strong> Technik, Bezüge <strong>zu</strong>rgegenwärtigen Lebenswelt <strong>und</strong> Populärkultur entdecken – kur<strong>zu</strong>m (<strong>und</strong> provokativ): aus ästhetischformalerPerspektive, aber auch inhaltlich ließen sich <strong>zu</strong>mindest einige der Zombie-Romanedurchaus als ‚hohe‘ <strong>Literatur</strong> verstehen. – Diese Einordnungen gilt es <strong>zu</strong> diskutieren.Prof. Dr. Mario Saalbach, Universität des Baskenlandes, Vitoria-Gasteiz (Spanien)Verlorene Heimat <strong>und</strong> Fiktion: Zwischen historischer Aufarbeitung <strong>und</strong> TrivialisierungAls Teil der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in den Medien hat seit den 1990er Jahren dieDarstellung des im Dritten Reich <strong>und</strong> Zweiten Weltkrieg verursachten Leidens allmählich die Suchenach den Tätern <strong>und</strong> Verantwortlichen <strong>und</strong> ihre Anklage abgelöst. In diesem Kontext wird auch demLeiden Deutscher eine nicht <strong>zu</strong> übersehende Beachtung geschenkt: dem Leiden derZivilbevölkerung bei der Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten oder dem Leiden beioder als Folge der Vertreibung aus den Ostgebieten, die schät<strong>zu</strong>ngsweise 13 Millionen Menschen


ihrer Heimat beraubte. Insbesondere die Vertriebenenschicksale haben zahlreiche Schriftsteller <strong>zu</strong>rliterarischen Aufarbeitung des Themas bewegt, oft im Rahmen von rekonstruierterFamiliengeschichte: Aus den Erfahrungen der Großeltern, die Krieg <strong>und</strong> Vertreibung bewusstmiterlebt haben, versuchen die Jüngeren für die eigene Identitätskonstruktion relevanteAnhaltspunkte <strong>zu</strong> gewinnen.Als einschlägige Titel wären hier Romane von Autoren <strong>zu</strong> nennen, die in den 1950er Jahren geborenwurden: u. a. Reinhard Jirgl, "Die Unvollendeten” (2003); Stephan Wackwitz, "Ein unsichtbaresLand" (2003); Thomas Medicus, "In den Augen meines Großvaters" (2004), aber ebenfalls vonsolchen, deren Geburtsdatum noch in den Zweiten Weltkrieg fällt, wie Christoph Hein,“Landnahme" (2004), oder auch – aus einer gänzlich anderen Perspektive – W. G. Sebald,"Austerlitz” (2001). Auch die Novelle des Kriegsteilnehmers Günter Grass, "Im Krebsgang" (2002),darf in diesem Kontext nicht vergessen werden.Parallel <strong>zu</strong>r literarischen Produktion nehmen sich auch eine Reihe von Verfilmungen, <strong>zu</strong>meistFernseh-Produktionen, des Vertriebenenthemas an. Bekanntestes Beispiel dürfte der Zweiteiler "DieFlucht" (2007) sein, aber auch Filme wie "Der Untergang der Gustloff" (2008), "Die Kinder desSturms" (2009) oder auch "Eine Liebe in Königsberg" (2006) wären hier <strong>zu</strong> nennen.Insbesondere der literarischen Produktion wurden mitunter Oberflächlichkeit <strong>und</strong> Trivialisierungvorgeworfen. Die Darstellung der Problematik als nur ein Teil einer zeitlich viel weiter gefasstenBetrachtung werde der Tragweite des Themas <strong>und</strong> dem durch Vertreibung verursachten Leidennicht gerecht. In diesem Beitrag soll einerseits überprüft werden, ob der Vorwurf derOberflächlichkeit im Einzelfall gerechtfertigt ist. Andererseits soll untersucht werden, wie hochkünstlerischer <strong>und</strong> ästhetischer Wert der Ergebnisse fiktionaler Vergangenheitsaufarbeitung imgenannten thematischen Zusammenhang an<strong>zu</strong>setzen sind, ob die Produkte qualitativ einer kritischenPrüfung standhalten oder ob sie eher <strong>zu</strong>m Niveau trivialer Unterhaltung tendieren.M.A. Simone Sauer-Kretschmer, Universität Bochum (Deutschland)Nieder(e)Schriften – Bordellromane <strong>und</strong> Dirnenbiographien als <strong>Literatur</strong> von ganz Unten?Bücher <strong>und</strong> Dirnen kann man mit ins Bett nehmen, schrieb Walter Benjamin in seiner (ganze dreizehnUnterpunkte versammelnden) Auflistung über die Gemeinsamkeiten von käuflichen Frauen<strong>und</strong> Büchern. Doch was geschieht, wenn die einstige Bettgenossin sich aufschwingt <strong>und</strong> selbst <strong>zu</strong>rFeder greift, um ihre Lebenserinnerungen auf<strong>zu</strong>zeichnen?


Genau dies ist die dem so genannten Skandalroman Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einerWienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt (1906) vorangestellte Autofiktion, um ein größtmöglichesMaß an vermeintlicher Authentizität des Erzählten <strong>zu</strong> suggerieren. Doch weder ist eine ehemaligeProstituierte die Autorin des Textes, noch wird hier tatsächlich die Geschichte einer Dirne erzählt,sondern bloß die Erinnerung an vielfältige sexuelle [sic!] Erfahrungen im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalterevoziert.Der Roman Der heilige Skarabäus (1909) von Else Jerusalem hingegen spielt ebenfalls im WienerRotlichtmilieu, hat jedoch einen ganz anderen Anspruch: Die Autorin will besonders ihre weiblicheLeserschaft über das Leben <strong>und</strong> Leiden im Bordell aufklären <strong>und</strong> damit den Erzählungen von Kurtisanen<strong>und</strong> Luxusprostitution, die eine lange literarische Tradition haben, einen realistisch-naturalistischenSpiegel vorhalten. Besonders explizit wird dies anhand der Lebensgeschichte Miladas, einerjungen Frau, die schon im Bordell geboren wurde, der es jedoch durch Fleiß <strong>und</strong> Disziplin gelingt,alphabetisiert <strong>zu</strong> werden <strong>und</strong> sich weit darüber hinaus <strong>zu</strong> bilden. So endet die Erzählung um Milada,als eines von wenigen der im Text dargestellten Hurenschicksale, auch nicht im Bordell, Spital oderArmenhaus, sondern in ländlicher Idylle, da Milada mit der Zeit <strong>zu</strong>r selbstbestimmten Autorin ihresLebens geworden ist.In meinem Vortrag möchte ich verschiedene Dirnenromane der <strong>Literatur</strong> um 1900 kontrastieren <strong>und</strong>ihre zeitgenössische Rezeption wie Klassifizierung durch Wissenschaft <strong>und</strong> Feuilleton untersuchen,um der Frage nach<strong>zu</strong>gehen, ob, <strong>und</strong> wenn ja, inwiefern es sich bei diesen Texten um '<strong>niedere</strong> <strong>Literatur</strong>'handelt.Dr. Gesa Singer, Georg August Universität Göttingen (Deutschland)Ruhm <strong>und</strong> Trivialität: mediale Inszenierung in der <strong>Literatur</strong>Nicht erst seit der zeitgenössischen Abwertung <strong>und</strong> der späteren Nobilitierung von Heinrich Heinedurch die Kritik lässt sich beobachten, wie eng der Verwurf der Trivialität gegenüber Autoren <strong>und</strong>ihren Schriften mit dem sozialen, politischen <strong>und</strong> intellektuellen Gepräge einer Zeit inWechselbeziehung steht <strong>und</strong> ebenso einer späteren Kanonisierung <strong>und</strong> Aufwertung weichen kann.Aber <strong>zu</strong>nehmend ist literarische Produktion auch an den Publikumsgeschmack gekoppelt <strong>und</strong> wirddurch mediale Inszenierungen mitbestimmt.In Daniel Kehlmanns Roman ‚Ruhm‘ (2009), einer Sammlung von neun miteinander verb<strong>und</strong>enenErzählungen, wird das heutige Phänomen literarischer Popularität in Zeiten medientechnischer


Präsenz literarisch verarbeitet <strong>und</strong> dem Leser anschaulich gemacht. Nicht <strong>zu</strong>letzt hat diesePublikation des ‚Star‘-Autors, der durch ‚Die Vermessung der Welt‘ selbst <strong>zu</strong> Popularität gelangte,Ein<strong>zu</strong>g in den (ungeschriebenen) Kanon aktueller deutscher <strong>Literatur</strong>, auch in derAuslandsgermanistik, gehalten <strong>und</strong> steht als Lektüre für Deutsche Sprachzertifikate auf denLeselisten.Mein Beitrag soll anhand einiger kommentierter Textauszüge, Rezensionen sowieliteraturtheoretischer Überlegungen die Anlage des Romans als literarischer Diskursbeitrag <strong>zu</strong>mThema Ruhm <strong>und</strong> Trivialität herausarbeiten <strong>und</strong> die Bedingungen beschreiben, die zeitgenössische<strong>Literatur</strong>en in den Bereich der ‚hohen‘ <strong>Literatur</strong> aufsteigen lassen.Dr. Arata Takeda, University of Chicago (USA)Nützliche DialektikZur historischen Interdependenz von hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong>Peter Szondi fasste in seiner Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert GeorgeLillos Argument für das Einführen von Personen mittlerer <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r Stände als tragischenHelden mit den Worten <strong>zu</strong>sammen: „Nicht der Bürger braucht die Tragödie, sondern die Tragödieden Bürger“. Die Vorstellung, die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels markiere einephilanthropische Öffnung der vornehmsten <strong>Literatur</strong>gattung gegenüber den nichtadeligen Schichtender Gesellschaft, erweist sich vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser pragmatischen Begründung alsgutgläubige Illusion. Im Hinblick auf die traditionelle Unterscheidung zwischen hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r<strong>Literatur</strong> stellt sich dementsprechend die berechtigte Frage, ob tatsächlich das Publikum über dievorhandene <strong>Literatur</strong> hinaus eine auf seinen Geschmack <strong>zu</strong>geschnittene Unterhaltungsliteraturbrauche, oder ob nicht eher umgekehrt die <strong>Literatur</strong>, aus pragmatischen Gründen, neben dembestehenden Publikum ein begeisterungsfähiges Massenpublikum brauche. Die ebenfalls im18. Jahrh<strong>und</strong>ert vor sich gehenden Umwäl<strong>zu</strong>ngen in der <strong>Literatur</strong>geschichte, wie etwa der Streitzwischen Regeldrama <strong>und</strong> Drama des Sturm <strong>und</strong> Drang oder der Aufstieg des bis dahin alsmoralisch suspekt geltenden Romans innerhalb der epischen Gattung, rücken bei dieserFragestellung in ein neues Licht: Sie alle finden als Kämpfe zwischen als hoch geltenden Formen<strong>und</strong> für nieder gehaltenen Formen der <strong>Literatur</strong> statt, <strong>und</strong> dennoch führen sie keineswegs <strong>zu</strong>rAbschaffung der einen durch die anderen, sondern tragen vielmehr <strong>zu</strong>r Erschließung von größeremPublikum <strong>und</strong> <strong>zu</strong>r Bereicherung der <strong>Literatur</strong> insgesamt bei. Welche Interessen werden dabei


verfolgt? Welche Strategien kommen <strong>zu</strong>r Anwendung? Welche Bedürfnisse werden angesprochen?Der vorliegende Beitrag will diesen <strong>und</strong> anderen Fragen nachgehen <strong>und</strong> daraus neue Erkenntnisseüber die historische Interdependenz von hoher <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>r <strong>Literatur</strong> gewinnen.Dr. Patricia Viallet, Université Jean Monnet, Saint-Etienne (Frankreich)Volksdichtung im Spannungsfeld zwischen „<strong>niedere</strong>r“ <strong>und</strong> „hoher“ <strong>Literatur</strong>: der exemplarische„Grenzfall“ des Grimmschen BuchmärchensAnhand der für die aufklärerische Einstellung <strong>zu</strong>m Volksmärchen charakteristischen BehauptungWielands, „Ammenmärchen, im Ammenton erzählt, mögen sich durch mündliche Überlieferungfortpflanzen, aber gedruckt müssen sie nicht werden” 1 , soll eine Überlegung über den Platz desMärchens als einer Gr<strong>und</strong>form der Volksdichtung in der <strong>Literatur</strong> der 1. Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>ertsdurchgeführt werden. Bekannt ist die auf Herder fußende Aufwertung der Volksdichtung, in der der„Geist”, bzw. die „Seele” des Volkes <strong>zu</strong>m Ausdruck kommen solle. Am Beispiel des Märchens läßtsich aber konkreter zeigen, wie die Romantiker – auch von Herder ausgehend – zweiunterschiedliche (<strong>und</strong> sogar gegensätzliche) Auffassungen <strong>zu</strong>r Volksüberlieferung entwickelt haben:eine ästhetisch-literarische, <strong>zu</strong>r freien Bearbeitung des Überlieferten führend (bei Arnim <strong>und</strong>Brentano <strong>und</strong> deren Volksliedersammlung Des Knaben W<strong>und</strong>erhorn z. B.), <strong>und</strong> eine metaphysische,mythisch-volksgeb<strong>und</strong>ene, auf treue Wiedergabe des mündlich Erzählten zielend (v. a. bei denBrüdern Grimm, den fleißigen ‚Sammlern’ <strong>und</strong> Herausgebern der Kinder- <strong>und</strong> Hausmärchen).Diese gr<strong>und</strong>sätzliche – auch durch den historischen Zusammenhang bedingte – Unterscheidungerlaubt nicht nur, der berühmten romantischen Kontroverse um das Verhältnis von Natur- <strong>und</strong>Kunstpoesie gerecht <strong>zu</strong> werden, sondern auch den Standort einer „hohen” <strong>und</strong> einer „<strong>niedere</strong>n”<strong>Literatur</strong> in (früh- <strong>und</strong> hoch-)romantischer Perspektive näher <strong>zu</strong> bestimmen. Nur so versteht man,wie Friedrich Schlegel aller Wesensbestimmung der romantischen Poesie als „Universalpoesie”<strong>zu</strong>m Trotz 2 darauf beharrt, die Volksdichtung in eine „Volkspoesie für das Volk” <strong>und</strong> in eine1C. M. Wieland, Vorrede <strong>zu</strong> Dschinnistan, oder auserlesene Feen- <strong>und</strong> Geister-Mährchen, Winterthur 1810.2s. das berühmte 116. Athenäum-Fragment: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. IhreBestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie <strong>zu</strong> vereinigen […]. Sie will <strong>und</strong> soll auch Poesie <strong>und</strong>Prosa, Genialität <strong>und</strong> Kritik, Kunstpoesie <strong>und</strong> Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen […]” (F. Schlegel,Kritische Ausgabe seiner Werke, hrsg. von E. Behler, 35 Bände, Paderborn/München/Wien/Zürich 1958ff., II, S. 182).


„Volkspoesie für Standespersonen <strong>und</strong> Gelehrte” 3 <strong>zu</strong> teilen, also bei einer ideologischenGrenzziehung bleibt, die von einer <strong>zu</strong> dieser Zeit weiterbestehenden kulturellen Kluft zwischen dem„<strong>Hohe</strong>n” <strong>und</strong> dem „Niederen” zeugt. Dass das Märchen dennoch von den Frühromantikern <strong>zu</strong>m„Canon der Poësie” (Novalis) 4 erhoben wurde, ist nicht das geringste Paradox – auch einemWieland als gelegentlichem Märchenautor anhaftend! –, auf das wir im Laufe dieser Untersuchungstoßen werden <strong>und</strong> das vielleicht nur im Spiel einer gegenseitigen <strong>und</strong> auch <strong>zu</strong>r Erhaltung beiderFormen der Volks- <strong>und</strong> Kunstdichtung notwendigen Befruchtung <strong>und</strong> Abgren<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> lösen ist.Dr. Cécile Vidal-Oberlé, Université Paris I Panthéon-Sorbonne (Frankreich)Pantomime, Marionettentheater <strong>und</strong> Singspiel im Theater Arthur Schnitzlers als eineAuseinanderset<strong>zu</strong>ng mit den « höheren » dramatischen GattungenMeist wird Arthur Schnitzlers dramatisches Werk als ein einheitliches Ganzes wahrgenommen, <strong>und</strong>zwar weniger aufgr<strong>und</strong> förmlicher Merkmale als wegen der bevor<strong>zu</strong>gten Themenkonstellation <strong>und</strong>der vorherrschenden Gefühlslage, die beide gern als typisch für das Wien der Jahrh<strong>und</strong>ertwendebetrachtet werden. Beim näheren Untersuchen lassen sich aber erstaunliche Besonderheiten bei derWahl der dramatischen Formen erkennen : In Arthur Schnitzlers Theater wird auf eine großeVielfalt dramatischer Formen <strong>und</strong> Traditionen <strong>zu</strong>rückgegriffen, wobei « höhere » <strong>und</strong> « <strong>niedere</strong> »Formen einander entgegengesetzt oder gar miteinander kombiniert werden.Dies mag innerhalb eines Theaterstücks vorkommen. Im frühen Einakter Alkandis Lied etwa wirdmanch gehobene Gattung aus der Überlieferung gleichsam dekonstruiert, indem Schnitzler z.B. dasBarockdrama <strong>zu</strong> einem Boulevardstück bzw. <strong>zu</strong> einer Farce werden lässt. Ähnlich lässt sich inLiebelei eine Zerlegung <strong>und</strong> Herabstufung von dem Muster des bürgerlichen Trauerspiels verfolgen.Dadurch entsteht eine Dialektik zwischen höheren <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>n Formen, wobei intertextuelleElemente massiv eingesetzt werden. Mal werden sie aus « Klassikern » entlehnt (so derkonsequente Be<strong>zu</strong>g auf Faust im Singspiel Der Tapfere Kassian), mal stammen sie aus anderenTheaterstücken Arthur Schnitzlers. Auf die Spitze getrieben wird das Verfahren, wenn derDramatiker sein feierlich anmutendes Schauspiel in 5 Akten Der Schleier der Beatrice in die3Ibid., S. 166 (4. Athenäum-Fragment).4Novalis, Das Allgemeine Brouillon, in Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hrsg. von P.Kluckhohn <strong>und</strong> R. Samuel, 4 Bände, Stuttgart 1960, III, S. 449.


commedia dell'arte-nahe Pantomime Der Schleier der Pierrette umdichtet <strong>und</strong> dabei -gattungsmäßig- beide entgegengesetzten Pole eines <strong>und</strong> desselben dramatischen Stoffes <strong>zu</strong>untersuchen scheint. Auch das Verfahren des Metatheaters (Der grüne Kakadu, Zwischenspiel bzw.Zum Großen Wurstel) <strong>und</strong> das Einsetzen des Marionettentheaters (Zum Großen Wurstel sowie diefrühere Fassung Der Tapfere Cassian) untermauern die Annahme: Durch die dialektischeAuseinanderset<strong>zu</strong>ng von gehobenen <strong>und</strong> <strong>niedere</strong>n, trivialeren Formen wird systematisch die Fragenach einer Neu-Orientierung des theatralischen Schaffens aufgeworfen, <strong>und</strong> zwar in einer Zeitsowohl eines gewissen Historizismus als auch einer Krise der überlieferten Werte <strong>und</strong> Formen.Die deutliche Betonung der Theatralität durch die Pantomime, das Puppenspiel oder das Singspielmag also <strong>zu</strong>gleich Ausdruck von Schnitzlers Zweifeln an der Relevanz der überlieferten « hohen »dramatischen Formen <strong>und</strong> <strong>zu</strong>kunftsweisend bzw. programmatisch sein : Es entsteht der Eindruck,als ob das festgestellte Zurückgreifen auf volkstümliche Formen (Farce, Commedia , WienerVolkstheater, Boulevard...) dem dramatischen Schaffen <strong>zu</strong> einer neuen Vitalität <strong>und</strong> Legitimitätverhelfen sollte.Zweck des Beitrags ist die Dynamik, die Arthur Schnitzler so in seinem dramatischen Werkeinsetzt, weiter <strong>zu</strong> erforschen, indem vor allem die Pantomimen, Marionettenstücke <strong>und</strong> dasSingspiel berücksichtigt werden. Herangezogen werden auch Schnitzlers Austausche mit demMünchner Marionettenspieler Paul Brann sowie die Rezeption dieser Theaterstücke.Prof. Megumi Wakabayashi, Tokyo Gakugei University (Japan)Grenzübertretungen im Räuber-Roman: Robert Walsers ironisches Spiel mit literarischen GattungenEin charakteristischer Zug von Robert Walsers Romanen <strong>und</strong> Prosastücken sind die häufigenspielerisch-gegensätzlichen Ausdrücke, die sich durch ihre ironische Ambivalenz dem logischdiskursivenVerstehen entziehen.Bereits Walsers Romane aus der Berliner Zeit zeigen diese provokative Ambiguität: der ersteRoman Geschwister Tanner (1907) täuscht zwar formal einen traditionellen Roman vor, aber schonhier unterläuft er die traditionellen Darstellungsformen; Jakob von Gunten (1909) testet nochstärker die Grenzen des Genres Roman aus. Bei seiner Veröffentlichung galt er den meisten Lesernals rätselhaft <strong>und</strong> unverständlich. Vor allem provozierte die Ablehnung von Bildung durch denjungen Helden <strong>und</strong> die Negation des bürgerlichen Bildungsideals.Nach der Publikation des dritten Romans 1909 konnte Walser keinen Roman mehr veröffentlichen,obwohl er in der Tat einige schrieb, deren Manuskripte allerdings verloren gegangen sind. Als er


seinen letzten Roman Der Räuber 1925 niederschrieb, galt er in der literarischen Öffentlichkeitlängst als Schriftsteller, der keine Romane schreibt. Statt groß angelegter Werke schrieb er nurunzählige kurze Prosastücke. Damit wurde ihm <strong>zu</strong>nehmend die Anerkennung als Schriftstellerverweigert, er galt als gescheitert, sein Prosa-Stückwerk wurde belächelt. Der Räuber-Roman ist einletzter, ironischer Versuch, die Romanform <strong>zu</strong> bedienen. Er lässt dabei die traditionelleGattungsform hinter sich, besser gesagt, er treibt ein provokatives <strong>und</strong> <strong>zu</strong>gleich poetisches Spiel mitden klassischen Gattungen.Die Hauptfigur des „Räubers“ spielt auf Schillers klassischen Helden an, der für seine Gerechtigkeit<strong>zu</strong>m Mordbrenner wird. Walsers Räuber verübt keine Verbrechen, außer, dass er mit dem Ich-Erzähler die Gesetze des Romans bricht.Hierin liegt bereits ein Hinweis auf Walsers Gattungsübertretungen, mit denen er die Legitimität dertraditionellen „großen“ <strong>Literatur</strong> in Frage stellt. Ich gehe der Frage nach, mit welchendarstellerischen Mitteln Walser das gegensätzliche Schema von „groß <strong>und</strong> klein“, „hoch <strong>und</strong>niedrig“ problematisiert.Dr. Annemarie Weber, Universität Bielefeld (Deutschland)Kinder-<strong>und</strong> Jugendliteratur:vom lowbrow- <strong>zu</strong>m highbrow-Segment der rumäniendeutschen <strong>Literatur</strong>Die rumäniendeutsche <strong>Literatur</strong> ist dank des Büchnerpreisträgers Oskar Pastior <strong>und</strong> derNobelpreisträgerin Herta Müller heute <strong>zu</strong>mindest als Begriff im deutschen Sprachraum bekannt,wenn auch weiterhin große Unsicherheit in seinem Gebrauch herrscht. Der Begriff bezeichnet dieHerkunft der beiden Autoren. Sie gehörten bis <strong>zu</strong> ihrer Aussiedlung (Pastior 1968, Müller 1987) <strong>zu</strong>der durch politisch-ideologische Grenzen nach außen nahe<strong>zu</strong> hermetisch abgeschlossenen, imInneren reich ausdifferenzierten, durch die deutsche Sprache <strong>und</strong> eine jahrh<strong>und</strong>ertealteSiedlungsgeschichte geprägte deutschen Kulturgemeinschaft in Rumänien.Die „rumäniendeutsche <strong>Literatur</strong>“ wurde in einer liberalen Phase der Ceaușescu-Diktatur, Ende der1960er, Anfang der 1970er Jahre als das Konzept einer eigenständigen Minderheitenliteratur – dasder deutschsprachigen Bevölkerung in Rumänien – entworfen <strong>und</strong> theoretisch modelliert. DerBegriff lässt sich systemtheoretisch als selbstreferentielle Identitätsbeschreibung bezeichnen. Dierumäniendeutsche <strong>Literatur</strong> begriff sich als ein eigenes, an der Schnittstelle zweierNationalliteraturen, der rumänischen <strong>und</strong> der deutschen, konstituiertes Subsystem. Die


Selbsteinschät<strong>zu</strong>ng schwankte zwischen dem Bewusstsein der Randständigkeit (wasMinderwertigkeitskomplexe erzeugte) <strong>und</strong> dem Selbstwertgefühl interkultureller Mehrwertigkeit(was das Bedürfnis nach Anschluss an das „Zentrum“, die Anerkennung im Ausland beförderte <strong>und</strong>nicht <strong>zu</strong>letzt die Ausreise vieler Autoren, begünstigte).Das Bestreben, ins Zentrum vor<strong>zu</strong>rücken, bei dem gleichzeitig dauerhaften Verdacht, mehrfachrandständig (<strong>zu</strong>r rumänischen <strong>und</strong> <strong>zu</strong>r deutschen <strong>Literatur</strong>) <strong>zu</strong> sein, hat im genannten Zeitraum <strong>zu</strong>einer großen ästhetischen Anstrengung geführt, die sehr effizient war, weil sie von Autoren,Kritikern <strong>und</strong> auch einigen Verlagslektoren gleicherweise unternommen wurde. Durch diesenästhetischen Selektionsdruck bildete sich eine Elite rumäniendeutscher Autoren heraus <strong>und</strong> einehighbrow-<strong>Literatur</strong>, die segregierend auf andere Segmente des Systems wirkte. So wurden dieDialektliteratur <strong>und</strong> die Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur (KJL) <strong>zu</strong>nächst vollständig aus dem Bereichder „ernst<strong>zu</strong>nehmenden <strong>Literatur</strong>“ ausgeschlossen. Die Anfang der 1980er Jahre <strong>zu</strong>nehmendeGängelung der Autoren <strong>und</strong> Verlage durch die Zensur, die drastische Zurücknahme der Freiheiten<strong>und</strong> Ressourcen durch die politische Macht führten <strong>zu</strong> einer zeitweiligen Aufwertung dieserlowbrow-<strong>Literatur</strong>en, die – auch vom politischen System weniger beachtet – einigen Autoren mehrAusdrucksfreiheit versprachen.Mein Vortrag will das wechselvolle Geschick der rumäniendeutschen KJL nachzeichnen von der(im Sinne des sozialistischen Realismus) anerkannten Allgemeinliteratur (in den 1950er Jahren)über die gering geschätzte „kleine <strong>Literatur</strong>“ in den 1970er Jahre, <strong>zu</strong>r ästhetischen Aufwertung derKJL Anfang der 1980er Jahre <strong>und</strong> ihrer erneuten Abwertung in den letzten Jahren der Diktatur.Dabei wird die rumäniendeutsche KJL nicht nur als Teilsystem der rumäniendeutschen <strong>Literatur</strong>dargestellt, sondern auch in ihren Verflechtungen <strong>und</strong> Interaktionen mit dem politischen System,den kulturellen Institutionen (Schule, Verlage, Printmedien), den Referenzliteraturen (rumänische,sowjetische, DDR), anderen kulturellen Subsystemen (Bildende Kunst, Pädagogik, Lehre <strong>und</strong>Forschung).Dr. Michael Weitz, Universität Athen (Griechenland)Verfilmte <strong>Literatur</strong> bei Chris KrausZur kulturellen Logik der Trivialisierung durch Medienwechsel<strong>Literatur</strong>verfilmungen gelten oft als prekär. Für viele mag die Verfilmung literarischer Texte nur


auf die Trivialisierung ihrer Vorlagen hinauslaufen. Dies liegt an der kulturellen Kodierung desMediums Film. Filme neigen, so das kulturelle Vorurteil, stärker <strong>zu</strong>m Trivialen als <strong>Literatur</strong>,weshalb denn auch <strong>Literatur</strong>verfilmungen <strong>zu</strong>weilen besonders dann als gelungen gelten, wenn sie,wie etwa Fassbinders Effie Briest wie literarische Texte funktionieren. Andererseits stellt <strong>Literatur</strong>heut<strong>zu</strong>tage gern die cineastische Sozialisation ihrer Leser in Rechnung <strong>und</strong> spielt mit filmischenReferenzen, die sich gerade nicht durch Literarizität auszeichnen. Filmemacher <strong>und</strong> Autorenrechnen sowohl mit den Möglichkeiten anderer Medien <strong>und</strong> Künsten als auch mit bestimmtenkulturellen Wertungsschemata <strong>und</strong> bereichern damit ihren eigenen Ausdrucksspielraum. Anhandder Arbeiten des deutschen Autors <strong>und</strong> Filmemachers Chris Kraus werde ich Aspekte eines solcherweiterten Ausdrucksspielraums vorstellen <strong>und</strong> erörtern. Wenn es um die Erörterung vonWertungsschemata geht, die gerade durch den Medienwechsel sichtbar werden, sind Kraus‘Arbeiten ein Glücksfall. Denn seine Filme spielen nicht nur immer wieder auf kulturelleBewertungsmuster an, die mit unterschiedlichen Medien <strong>und</strong> Künsten verb<strong>und</strong>en sind (in seinemvielleicht bekanntesten Film Vier Minuten aus dem Jahr 2006 ist es die klassische Musik) <strong>und</strong> siesind auch selbst nicht nur einfach im Spannungsfeld von inszenierter Trivialität <strong>und</strong> literarischemAnspruch an<strong>zu</strong>siedeln, sondern inszenieren den Medienwechsel als Arbeit an kulturellenWertungsmustern. Dies gilt sowohl für den Film Poll aus dem Jahr 2010, der das Leben <strong>und</strong> die<strong>Literatur</strong> der deutschen Schriftstellerin Oda Schaefer (1900-1988) in Szene setzt als auch für denFilm Scherbentanz (2002), der eine Verfilmung eines gleichnamigen, von Kraus verfassten Romansist.Dr. habil. Françoise Willmann, Université de Lorraine, Nancy (Frankreich)Die Last des Didaktischen in der Science-FictionDie Anfänge der Science Fiction sind eng verb<strong>und</strong>en mit der Entwicklung von Naturwissenschaft<strong>und</strong> Technik am Ende des 19.Jahrh<strong>und</strong>erts. In sogenannten « wissenschaftlichen Romanen », dieUnterhaltung <strong>und</strong> Belehrung bieten wollten, sollten die Segnungen dieser Fortschritte einembreiteren Publikum schmackhaft gemacht werden. Dass der heutigen Science Fiction weiterhin derRuf des Trivialen anhaftet, liegt möglicherweise u.a. an dem Verdacht, es ginge ihr immer nochvorwiegend darum, naturwissenschaftliches Wissen an den Mann <strong>zu</strong> bringen, oder gar die W<strong>und</strong>erder Technologien <strong>zu</strong> preisen, es sei denn sie schlage sich ins entgegengesetzte Lager <strong>und</strong> warne vorden drohenden Katastrophen. Zwar lässt sich die heutige Science Fiction nicht auf dieAuseinanderset<strong>zu</strong>ng mit Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik reduzieren, doch bleibt diese Tendenz eine


wichtige Dimension des Genres. Hier soll anhand einiger Beispiele (F. Schätzing, A. Eschbach, A.Fehrenbach) der Umgang mit dem didaktischen Impetus näher beleuchtet werden.Mag phil. Martina Zerovnik, Universität Wien (Österreich)Wort gegen Bild. Positionen der <strong>Literatur</strong> <strong>zu</strong>m Film während der Kino-Debatte, 1909-1929 5Der Film gehört <strong>zu</strong> den einschneidendsten Entwicklungen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Er bestimmte dieKulturdiskussion der Moderne <strong>und</strong> hatte weitreichende Folgen für die Produktion <strong>und</strong> Rezeptionvon Kultur.Wesentlich dafür war das Eindringen des Films in traditionelle Kultursphären <strong>und</strong> der wachsendeAnspruch, eine eigene Kunstform <strong>zu</strong> sein, womit er das bürgerliche Kunstverständnis ins Wankenbrachte. Schließlich setzte die so genannte Kino-Debatte ein, als die Produzenten den Film nachdem anfänglichen Status einer Attraktion als eine „Kunst des Erzählens“, die in formaler <strong>und</strong>inhaltlicher Anlehnung an Theater <strong>und</strong> <strong>Literatur</strong> entwickelt wurde, lancierten. So wurde in denJahrzehnten 1909 bis 1929 unter Intellektuellen, Künstlern <strong>und</strong> Schriftstellern diskutiert, was Filmüberhaupt sei <strong>und</strong> welcher Stellenwert ihm innerhalb der oder gegenüber den traditionellenKunstformen <strong>zu</strong>gesprochen werden sollte. Als Massenmedium, Zerstreuung, Ergebnis technischerProduktion <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> seiner Reproduzierbarkeit war er aus Sicht der Kulturpessimisten einAusdruck für den nicht nur kulturellen, sondern auch moralischen Verfall der Gesellschaft.Schriftsteller griffen nicht nur mit feuilletonistischen Stellungnahmen in die Diskussion ein,sondern behandelten das Phänomen Film auch in ihren literarischen Texten oder schrieben für denFilm.Im Vortrag werden Positionen <strong>und</strong> Argumente der Kino-Debatte daraufhin hinterfragt, welcheMotive <strong>und</strong> Funktions<strong>zu</strong>schreibungen sich hinter ihnen verbergen. Haltungen der Annäherung oderAbgren<strong>zu</strong>ng (der <strong>Literatur</strong> <strong>zu</strong>m Film) werden näher betrachtet <strong>und</strong> es wird gezeigt, dass inkulturpessimistischen Positionen Mechanismen von Ausgren<strong>zu</strong>ng <strong>und</strong> Vereinnahmung <strong>zu</strong>m Tragenkommen, denn nicht <strong>zu</strong>letzt brachte der Film eine beachtliche kultursoziologische Veränderung mitsich. In ihm bekamen die „kleinen Leute“, von denen sich das (Bildungs-)Bürgertum mit dem„Genuss“ von (Hoch-)Kultur bewusst abgrenzte <strong>und</strong> um die sich wiederum manchezeitgenössischen Autoren bemühten, eine eigene Kulturform.Letzten Endes zeigt eine Analyse der Kino-Debatte, dass es sich bei dem Verhältnis von <strong>Literatur</strong><strong>und</strong> Film weniger um eines der Konkurrenz handelte, als vielmehr um ein produktives,5 nach Anton Kaes: Kino-Debatte. Texte <strong>zu</strong>m Verhältnis von <strong>Literatur</strong> <strong>und</strong> Film, 1909-1929, Hg. Anton Kaes, München 1978.


wechselseitiges Verhältnis – unabhängig davon, ob es von einer positiven oder negativen Haltunggetragen wurde.Dr. Sabine Zubarik, Universität Erfurt (Deutschland)Walter Moers’ <strong>und</strong> seine Zamonien-Romane: ein literaturwissenschaftliches SchlaraffenlandWalter Moers ist bekannt für Buchtitel, deren Zuordnung zwischen Comic, Satire, Klamauk,Fantasy <strong>und</strong> Kinderliteratur changieren. Das bekannteste seiner literarischen Geschöpfe, Käpt’nBlaubär, begann 1988 seine Karriere <strong>zu</strong>nächst als deutsche Kinderbuchfigur, stieg aber 1999 alsHauptfigur <strong>und</strong> Erzähler des ersten der insgesamt sechs Zamonien-Romane[1] <strong>zu</strong>m Liebling derErwachsenen auf, übersetzt in zahlreiche Sprachen <strong>und</strong> medialisiert auf der Bühne <strong>und</strong> im Film.Moers gewann unter anderem den Adolf-Grimme-Preis (1994) <strong>und</strong> den Phantastik-Preis der StadtWetzlar (2005).Wenn Selbstreflexivität als Zeichen von Literarizität mitausschlaggebend ist für dieRangeinordnung von Werken, so stünden Moers’ Romane an sehr hoher Stelle, denn nichts ist dortausgreifender thematisiert als Bücher, Bibliothekswesen, <strong>Literatur</strong>betrieb, Autorschaft, Schrift <strong>und</strong>Sprache. Die Zamonienserie zeichnet sich <strong>zu</strong>dem durch ein dichtes Geflecht von intra- <strong>und</strong>intertextuellen Verweisen aus, solchen die tatsächlich Be<strong>zu</strong>g nehmen auf Autoren <strong>und</strong> Werke derWeltliteratur (z.B. Goethe, Keller, Grimms Märchen, E.T.A. Hoffmann), aber auch solchen, dieIntertextualität lediglich fingieren <strong>und</strong> parodieren. Anhand von Fußnoten, eingefügtenLexikonartikeln <strong>und</strong> Referenzen auf vorherige oder <strong>zu</strong>künftige Romane der Serie wird einintellektuelles Spiel mit Autor-, Herausgeber- <strong>und</strong> Übersetzerfiktion betrieben. Moers’ Stil könnteman durchaus hyper-rhetorisch nennen, kein Wort bleibt ein-deutig, <strong>zu</strong> durchtrieben ist die Technikder Allusionen, Anagramme <strong>und</strong> anderweitigen Wortspiele. Mitunter erinnern seine Techniken anfranzösische Autoren der experimentellen Oulipo-Gruppe (z.B. in Der Fönig (2002), wodurchgehend die Buchstaben F <strong>und</strong> K miteinander vertauscht werden). Auch medial hat Moerseiniges für die Analyse <strong>zu</strong> bieten, denn die Mischung aus Illustration <strong>und</strong> Text, viel mehr aber nochdie Inszenierung von Text als Illustration durch typographische Verfahren lassen sowohl eineAnspielung auf mittelalterliche Emblematik als auch moderne Comiczeichnung erkennen.Meine These ist, dass die an Rabelais angelehnte Überzeichnung des Grotesken auf inhaltlicherEbene ihre literarische Erfüllung in der Überbietung von – manchmal all<strong>zu</strong> offenk<strong>und</strong>iger –


Literarizität findet. Die Zuordnung <strong>zu</strong>r gehobeneren <strong>Literatur</strong>, die aufgr<strong>und</strong> der genanntenVerfahren mehr als gerechtfertigt erscheint, wird so durch ihr Übermaß gleichermaßen ad absurdumgeführt. Ein solcherart schlaraffenlandähnliches rhetorisches <strong>und</strong> stilistisches Aufgebot ist eben keinexklusiv ausgewähltes Mahl der Kompositionsrafinesse. So gelingt es Moers, im Genre desKlamauks <strong>und</strong> der lustigen Unterhaltung <strong>zu</strong> bleiben, während seine Schreibweise einehochliterarisierte ist, die literaturwissenschaftliche Anerkennung verdient.[1] Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär, 1999, Ensel <strong>und</strong> Krete, 2000, Rumo & Die W<strong>und</strong>er imDunkeln, 2003, Die Stadt der Träumenden Bücher, 2004, Der Schrecksenmeister, 2007, DasLabyrinth der Träumenden Bücher, 2011.

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