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Schreiben im Krieg Schreiben vom Krieg - Universidade de ...

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Son<strong>de</strong>rdruck aus:<strong>Schreiben</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong><strong>Schreiben</strong> <strong>vom</strong> <strong>Krieg</strong>Feldpost <strong>im</strong> Zeitalter<strong>de</strong>r WeltkriegeHerausgegeben vonVeit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jan<strong>de</strong>rEssen 2011


Konferenz <strong>im</strong> Museum für Kommunikation Berlin,13. bis 15. September 20101. Auflage April 2011Satz und Gestaltung: Klartext Medienwerkstatt GmbH, EssenUmschlagbild Vor<strong>de</strong>rseite: Deutsche Soldaten be<strong>im</strong> <strong>Schreiben</strong> von Feldpostbriefenum 1915Umschlagbild Rückseite: Deutscher Feldpostbrief mit Gefallenenvermerk, 1942.Druck und Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH, Großburgwe<strong>de</strong>l© Klartext Verlag, Essen 2011ISBN 978-3-8375-0461-3Alle Rechte vorbehaltenwww.klartext-verlag.<strong>de</strong>


193Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?Feldpostbriefe und <strong>Krieg</strong>serfahrung <strong>de</strong>r Kämpfer <strong>de</strong>rspanischen Blauen Division an <strong>de</strong>r Ostfront, 1941–1945Xosé-Manoel NúñezI. Der Bürgerkrieg als <strong>Krieg</strong> gegen die Fein<strong>de</strong> Spaniens,u. a. »die Russen«Das spanische reaktionäre Gedankengut verbreitete <strong>im</strong> ersten Drittel <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rtsein stereotypes, diffuses Bild von Russland, das sich <strong>im</strong> Wesentlichen auf dieVorstellung <strong>de</strong>r Rückständigkeit Russlands und auf eine gewisse Faszination für alles›Orientalische‹ beschränkte. Es hatte nur wenige kulturelle Vermittler zwischen Osteuropaund Spanien gegeben und viele Informationen stammten aus Berichten vonspanischen Sozialisten und Kommunisten über ihre Reisen in die Sowjetunion in <strong>de</strong>n1920er und 1930er Jahren, Schriften, die in <strong>de</strong>r Regel die Bewun<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Autoren fürdas kommunistische Reg<strong>im</strong>e wi<strong>de</strong>rspiegelten. Die spanischen Rechten hielten dagegen<strong>de</strong>n Sowjetkommunismus seit 1917/18 für einen Verbün<strong>de</strong>ten <strong>de</strong>r Fre<strong>im</strong>aurer und<strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums, <strong>de</strong>r sich die Zerstörung <strong>de</strong>r westlichen christlichen Zivilisation, undganz beson<strong>de</strong>rs Spaniens, <strong>de</strong>m Bollwerk <strong>de</strong>s europäischen Katholizismus, zum Zielgesetzt habe. Dennoch blieb in <strong>de</strong>n antikommunistischen Kreisen in Spanien das Bild<strong>de</strong>s Russen und <strong>de</strong>s sowjetischen Kommunismus eher vage und ging nicht über dieallgemein üblichen Verteufelungen hinaus. So wur<strong>de</strong>n während <strong>de</strong>s Bürgerkrieges dierepublikanischen Gegner häufig als russische Rotarmisten o<strong>de</strong>r als Befehlsempfängerrussischer Offiziere dargestellt, aber diese russischen Soldaten wur<strong>de</strong>n, abgesehen vonvereinzelten, rein rhetorischen Abbildungen, nicht als rassisch min<strong>de</strong>rwertige Untermenschendiffamiert.¹Ähnliches galt für das Bild <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>n. Im aufständischen Lager dominierte während<strong>de</strong>s Bürgerkrieges unter <strong>de</strong>n spanischen Faschisten ganz ein<strong>de</strong>utig ein antisemitischerDiskurs, aber es war ein »Antisemitismus ohne Ju<strong>de</strong>n«. Zwar galten die Ju<strong>de</strong>n, genausowie die Kommunisten und Fre<strong>im</strong>aurer, als ewige Verschwörer, aber man betrachtete sienicht als eine biologisch <strong>de</strong>finierte Rasse, son<strong>de</strong>rn lediglich als Mitglie<strong>de</strong>r einer an<strong>de</strong>renReligion und einer an<strong>de</strong>ren Kultur. Ebenso verteufelte die franquistische Propaganda1 Vgl. u. a. Pablo Sanz Guitián: Viajeros españoles en Rusia. Madrid 1995, und Juan Avilés Farré:La Fe que vino <strong>de</strong> Rusia: La revolución bolchevique y los españoles (1917–1931), Madrid 1999.


194 Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?zwar das Ju<strong>de</strong>ntum, unterschied diesen eher kulturellen Begriff jedoch nicht <strong>de</strong>utlichvon <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s jüdischen Volkes.²Während <strong>de</strong>s spanischen Bürgerkrieges (1936–1939) spiegelten die Feldpostbriefevieler Soldaten <strong>de</strong>s aufständischen Lagers die Präsenz dieser Postulate in ihrer Vorstellungsweltwi<strong>de</strong>r. Viele franquistische Freiwillige und Soldaten waren davon überzeugt,gegen Russen o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>stens gegen ›russifizierte‹ Spanier und auch gegen ausländischeSöldner <strong>im</strong> Dienst <strong>de</strong>s internationalen Kommunismus zu kämpfen. »Der Russe«wur<strong>de</strong> zu einem Symbol <strong>de</strong>s ›roten‹ Spanien, ohne dass <strong>de</strong>r Begriff »<strong>de</strong>r Russe« <strong>vom</strong>ethnischen o<strong>de</strong>r kulturellen Standpunkt aus näher <strong>de</strong>finiert wor<strong>de</strong>n wäre und weiterhindiffus blieb. Vier Jahre später zitierten einige spanische Soldaten bei <strong>de</strong>r ersten Begegnungmit russischen Bauern, Frauen und Kin<strong>de</strong>rn, die ihre Ablehnung <strong>de</strong>s kommunistischenReg<strong>im</strong>es zum Ausdruck brachten, diese negative Einstellung als einen Beweisfür ihre eigenen Überzeugungen:»Wir sind erschrocken über die Rückständigkeit in diesen bolschewistischen Dörfern[…]. Alle einhe<strong>im</strong>ischen Bewohner, die nicht evakuiert wor<strong>de</strong>n sind, wollennichts von <strong>de</strong>n Russen [sic] wissen, und wenn man sie nach Stalin fragt, dann antwortensie alle, dass man ihn mit <strong>de</strong>m Hals an einen Baum fesseln sollte, <strong>de</strong>nn dieseLeute haben sehr unter <strong>de</strong>m russischen Reg<strong>im</strong>e gelitten.«³Zwischen Juli 1941, als sich die ersten Truppenteile mit ca. 18.000 Freiwilligen in Marschsetzten, und Februar 1944 kämpften an <strong>de</strong>r Ostfront ca. 47.000 spanische Soldaten in<strong>de</strong>r so genannten Spanischen Freiwilligendivision bzw. <strong>de</strong>r 250. (spanischen) Divisiono<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Blauen Division, wie man sie <strong>im</strong> Allgemeinen nannte.⁴ Für <strong>de</strong>n größten Teil<strong>de</strong>r ersten Gruppe <strong>de</strong>r Freiwilligen, in ihrer Mehrheit überzeugte Falangisten, war <strong>de</strong>rRusslandfeldzug eine Fortsetzung <strong>de</strong>s spanischen Bürgerkrieges. Sie waren überzeugt,in <strong>de</strong>n Reihen einer unbesiegbaren Armee (<strong>de</strong>r Wehrmacht) zu marschieren. Feldpost-2 Vgl. Gonzalo Álvarez Chillida: El antisemitismo en España. La <strong>im</strong>agen <strong>de</strong>l judío (1812–2002),Madrid 2002, beson<strong>de</strong>rs 381–420, sowie Isabelle Rohr: The Spanish Right and the Jews, 1898–1945: Antisemitism and Opportunism, Brighton 2007.3 Der Brief wur<strong>de</strong> in einer lokalen Zeitung abgedruckt: Carta <strong>de</strong> Rusia. Lo que cuenta un voluntario<strong>de</strong> la División Azul, in: Voluntad, 8.2.1942, 4.4 Zur militärischen und diplomatischen Geschichte <strong>de</strong>r Blauen Division gibt es zahlreicheUntersuchungen, sowohl von spanischen als auch von <strong>de</strong>utschen und amerikanischen Historikern.Die beste Synthese bietet bisher Xavier Moreno Juliá: La División Azul. Sangre españolaen Rusia, 1941–1945, Barcelona 2004. Zur Problematisierung <strong>de</strong>r Motive <strong>de</strong>r Freiwilligen, vgl.Xosé-Manoel Núñez: An Approach to the Social Profile and i<strong>de</strong>ological motivations of theSpanish Volunteers of the ›Blue Division‹, 1941–1944, in: S. Levsen/Ch. Krueger (Hg.): WarVolunteering in Mo<strong>de</strong>rn T<strong>im</strong>es, Basingstoke 2010, 248–274.


Xosé-Manoel Núñez195briefe und Tagebuchaufzeichnungen <strong>de</strong>s Zeitraums Juli-September 1941 (d. h. während<strong>de</strong>r Reise nach Deutschland, <strong>de</strong>s Aufenthaltes auf <strong>de</strong>m Truppenübungsplatz Grafenwöhrund ihres Abmarsches an die Ostfront) waren voller Bewun<strong>de</strong>rung für die <strong>de</strong>utscheWehrmacht und das <strong>de</strong>utsche Volk. Allerdings kamen in vielen Beobachtungenauch schon vorhan<strong>de</strong>ne Stereotypen zum Ausdruck, gera<strong>de</strong> auch bei <strong>de</strong>n Bemerkungenüber die Geschlechterbeziehungen: Den Soldaten fiel vor allem auf, dass die Religionfür die <strong>de</strong>utschen Frauen selbst <strong>im</strong> katholischen Bayern kaum eine Rolle spielte, währenddiese statt<strong>de</strong>ssen eine nationale Revolution befürworteten. Die Bewun<strong>de</strong>rungfür Deutschland und die Deutschen wur<strong>de</strong> nicht nur von <strong>de</strong>n knallharten Falangisten,son<strong>de</strong>rn auch von an<strong>de</strong>ren Freiwilligen geteilt. Die Feldpostbriefe <strong>de</strong>s Soldaten AlfredoRodríguez, in <strong>de</strong>ssen Familie mehrere Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r franquistischen Repressionzum Opfer gefallen waren, spiegelten <strong>de</strong>n ›anstecken<strong>de</strong>n‹ Einfluss <strong>de</strong>r Waffenkamera<strong>de</strong>nwi<strong>de</strong>r: »Wir wer<strong>de</strong>n die Russen einfach zerquetschen«, schrieb er En<strong>de</strong> Juli 1941.Und auch wenn für ihn an erster Stelle Essen, Trinken und gute Unterhaltung kam, sokonnte er sich <strong>de</strong>nnoch nicht <strong>de</strong>m allgemeinen Enthusiasmus entziehen, <strong>de</strong>r in Grafenwöhrin <strong>de</strong>r Luft lag.⁵ Die späteren Marschbataillone die über Deutschland fuhrenund auf <strong>de</strong>m Truppenübungsplatz Hof stationiert wur<strong>de</strong>n äußerten eine ganz ähnlicheBegeisterung, wie <strong>de</strong>r Soldat Manuel Tarín zwei Jahre später mitteilte.⁶II. Beschützer o<strong>de</strong>r Bystan<strong>de</strong>rs?Die spanischen Freiwilligen und die Ju<strong>de</strong>nAls die Spanier während ihres Marsches an die Ostfront eine Realität kennenlernten,von <strong>de</strong>r sie vorher nur vage und stereotype Vorstellungen gehabt hatten, fielen dieReaktionen von Fall zu Fall an<strong>de</strong>rs aus. Hinsichtlich <strong>de</strong>r Zustän<strong>de</strong> <strong>im</strong> besetzten Polenzeigen einige Feldpostbriefe und Tagebuchaufzeichnungen, dass sich für die Soldatendas schon vorher existieren<strong>de</strong> Bild <strong>de</strong>r märtyrerhaften und katholischen polnischenNation bestätigte. Das verarmte und gleichzeitig antikommunistische Volk, Opferzweier Besatzungen, erweckte bei <strong>de</strong>n spanischen Faschisten Erstaunen und Bewun<strong>de</strong>rung.Gleichzeitig wur<strong>de</strong>n sie durch <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung in <strong>de</strong>n östlichenGebieten Polens häufig auftreten<strong>de</strong>n Antisemitismus und <strong>de</strong>n damit einhergehen<strong>de</strong>nAntikommunismus in ihrer Theorie von <strong>de</strong>r »jüdischen-kommunistischen Verschwörung«bekräftigt.Zu<strong>de</strong>m sympathisierten die Spanier mit <strong>de</strong>m Katholizismus <strong>de</strong>r polnischen Bevölkerungund sie waren überzeugt, dass Polen für das »christliche Abendland« wie<strong>de</strong>rer-5 Brief <strong>de</strong>s Soldaten Alfredo Rodríguez Pérez an seine Eltern, Grafenwöhr, 25. Juli 1941 (Privatarchivvon Herr F. X. Fernán<strong>de</strong>z Naval, Santiago <strong>de</strong> Compostela).6 Brief von Manuel Tarín Sala an Remedios Rebollo, 18.8.1943 (Privatarchiv von Herr FranciscoRebollo Ortega, Torrevieja, AFR).


196 Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?obert wor<strong>de</strong>n war. Das hin<strong>de</strong>rte die spanischen Freiwilligen allerdings nicht daran, diepolnischen Bauern gelegentlich zu bestehlen o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Bäuerinnen gegen Geld Liebesdienstezu verlangen.⁷ Aber das polnische Volk, das 1939 gleichermaßen ein Opfer<strong>de</strong>r Sowjets und <strong>de</strong>r Deutschen gewor<strong>de</strong>n war, wur<strong>de</strong> ganz selbstverständlich als eineuropäisches Volk beschrieben.Was war mit <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n? Die spanischen Freiwilligen sahen bei ihren Fußmärschendurch das östliche Polen große Ghettos, wie z. B. Grodno und Oszmiania (heute Hrodnaund Oshmyany, Weißrussland). Auch in Vilnius und Riga, wo große Lazarette für diespanischen Truppen eingerichtet wor<strong>de</strong>n waren, gab es Ghettos, in <strong>de</strong>nen aus Mitteleuropa<strong>de</strong>portierte Ju<strong>de</strong>n lebten. Die Spanier hatten ohne große Hemmungen Umgangmit <strong>de</strong>r jüdischen Bevölkerung, um gelegentlich Waren mit ihnen zu tauschen o<strong>de</strong>rihre Dienste in Anspruch zu nehmen; und in einigen Fälle pflegten Freiwillige sexuelleBeziehungen zu jüdischen Frauen, zum Entsetzen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Offiziere <strong>de</strong>s Verbindungsstabeszur Wehrmacht.⁸ Aber diese Erfahrungen bewirkten keine grundsätzlicheVerän<strong>de</strong>rung <strong>im</strong> kulturellen Antisemitismus <strong>de</strong>r spanischen Faschisten.⁹In ihren Feldpostbriefen erwähnten die Spanier die Ju<strong>de</strong>n meistens nicht, doch ineinigen Tagebüchern fin<strong>de</strong>t man Bemerkungen zur Lage <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n besetztenOstgebieten Polens. In <strong>de</strong>r Regel nahmen die Spanier durchaus wahr, dass die Ju<strong>de</strong>nvon <strong>de</strong>n Deutschen ganz ein<strong>de</strong>utig diskr<strong>im</strong>iniert wur<strong>de</strong>n, doch meistens reagierten siemit Desinteresse. Es scheint, als hätten es die Divisionäre als selbstverständlich empfun<strong>de</strong>n,dass die Ju<strong>de</strong>n einen sechszackigen gelben Stern tragen mussten o<strong>de</strong>r dass sie<strong>de</strong>n Bürgersteig nicht betreten durften. Statt<strong>de</strong>ssen beschrieben die Soldaten vor allemdas Aussehen <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n und ihre Art, sich zu klei<strong>de</strong>n – in diesen Städten lebten vorallem orthodoxe Ju<strong>de</strong>n –, ihre Armut und ihre schicksalsergebene Demut, stereotypeElemente <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>im</strong> konservativen spanischen Gedankengut. Vor allemäußerten die Spanier kein Mitleid; ganz <strong>im</strong> Gegenteil beschrieben z. B. die FalangistenEnrique Menén<strong>de</strong>z Gundín und Jesús Martínez Tessier die Armut <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n in fastneutralem Ton. Der erste schrieb am 31. August 1941, dass in <strong>de</strong>r Stadt Grodno »vieleJu<strong>de</strong>n leben, die eine Armbin<strong>de</strong> tragen […] Sie betrachten uns mit <strong>de</strong>m ganzen Hass7 José Manuel Castañón: Diario <strong>de</strong> una aventura (con la División Azul 1941–1942), Gijón 1991,186.8 <strong>Krieg</strong>stagebuch <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Verbindungsstabes bei <strong>de</strong>r spanischen Division 250, 13.8.1941–24.7.1942, Eintrag <strong>vom</strong> 1.9.1941, in: Bun<strong>de</strong>sarchiv-Militärarchiv (BA-MA), Freiburg <strong>im</strong> Breisgau,RH 26–250/2.9 Vgl. Xosé-Manoel Núñez: Sharing or Witnessing Destruction? The Blue Division and the NaziHolocaust, in: A. Gómez López-Quiñones/S. Zepp (Hg.): The Holocaust in Spanish Memory.Historical Perceptions and Cultural Discourse, Leizpig 2010, 65–84.


Xosé-Manoel Núñez197<strong>de</strong>r israelitischen Rasse gegenüber <strong>de</strong>m Faschismus«.¹⁰ Martínez Tessier schrieb am8. September 1941 Folgen<strong>de</strong>s:»Die Ju<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n gezwungen, am rechten Arm eine weiße Armbin<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Sternihrer Rasse zu tragen. Diese Gestalten sind so, wie wir sie von so vielen Beschreibungenund Fotografien kennen. Sie wer<strong>de</strong>n für die härtesten Aufgaben eingesetzt, undsie haben keinerlei Rechte.«¹¹Erst in <strong>de</strong>n nach 1945–50 veröffentlichten Erinnerungen wur<strong>de</strong>n die Ju<strong>de</strong>n meistenspositiver beschrieben. So interpretierten die Verfassern die vereinzelten Proteste spanischerSoldaten gegen die Misshandlung jüdischer Häftlinge durch Deutsche in Grodno,Riga o<strong>de</strong>r Vilnius als einen Beweis <strong>de</strong>r positiven, nicht antisemitischen Einstellung <strong>de</strong>rSpanier gegenüber <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n. Doch abgesehen von einigen Fällen, in <strong>de</strong>nen spanischeSoldaten einzelne Ju<strong>de</strong>n unter ihren Schutz stellten, was nicht als Beispiel für die Einstellung<strong>de</strong>r gesamten Blauen Division verallgemeinern kann,¹² wäre es angemessener,die Haltung <strong>de</strong>r spanischen Freiwilligen <strong>de</strong>r Blauen Division gegenüber <strong>de</strong>r jüdischenFrage als einen typischen Fall von ›Bystan<strong>de</strong>rs‹ <strong>de</strong>s Holocausts zu beschreiben.III. Russland und die RussenWie sahen die spanischen Faschisten Russland? Im Prinzip fan<strong>de</strong>n sie ihre Vorstellungen<strong>vom</strong> Sowjetkommunismus und von <strong>de</strong>n Zustän<strong>de</strong>n, die ihrer Meinung nach <strong>im</strong>Falle eines Sieges <strong>de</strong>r Republikaner <strong>im</strong> spanischen Bürgerkrieg in Spanien geherrschthätten, bestätigt. Die Armut <strong>de</strong>r russischen Bauern <strong>im</strong> Wolchow- und Leningra<strong>de</strong>rGebiet, ihre als rückständig und barbarisch gelten<strong>de</strong>n Bräuche, ihre Untertänigkeitund ihr angeblich »tragischer Fanatismus«, <strong>de</strong>r sich bei <strong>de</strong>n Älteren in Form einesreligiösen Fanatismus und bei <strong>de</strong>n Jungen in Form eines militanten Atheismus äußerte,aber auch die sexuelle Freizügigkeit von Frauen und Männern, all dies unterstrich in<strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r spanischen Freiwilligen die ver<strong>de</strong>rblichen sozialen Auswirkungen <strong>de</strong>sKommunismus, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zusammenhalt <strong>de</strong>r Familie und <strong>de</strong>r bäuerlichen Gemeinschaftzerstörte. Russland stellte ›einen Rückschritt <strong>de</strong>r Geschichte‹ dar, als Ergebnis <strong>de</strong>s stalinistischenTerrors und <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>s Eigentums, <strong>de</strong>r Ordnung und <strong>de</strong>r sozialen10 <strong>Krieg</strong>stagebuch <strong>de</strong>s Soldaten Fe<strong>de</strong>rico Menén<strong>de</strong>z Gundín, Eintrag <strong>vom</strong> 31.8.1941, abgedrucktbei Ramón Cela: En Rusia con la División Azul, Ponferrada 2010, 140–41.11 <strong>Krieg</strong>stagebuch <strong>de</strong>s Unterfeldwebels Jesús Martínez Tessier, Eintrag <strong>vom</strong> 8.9.1941 (Archiv <strong>de</strong>rFamilie Martínez-Reverte, Madrid).12 So etwa bei Wayne Bowen:«A Great Moral Victory«: Spanish Protection of Jews on the EasternFront, 1941–1944, in: R. Rohrlich (Hg.): Resisting the Holocaust, Oxford/New York 1998,195–211.


198 Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?und geistigen Werte. So schrieb <strong>de</strong>r Freiwillige Jesús Martínez Tessier in seinem Tagebuch,dass »sich die Einhe<strong>im</strong>ischen mit Lumpen be<strong>de</strong>cken, und alle scheinen einernie<strong>de</strong>ren Rasse anzugehören«.¹³ Die bolschewistischen »materialistischen Barbaren«,so schrieb <strong>im</strong> Februar 1943 <strong>de</strong>r Feldwebel Ra<strong>im</strong>undo Sánchez, wollten Russland von <strong>de</strong>rzivilisierten Welt isolieren, und aus diesem Grund unterdrückten sie je<strong>de</strong> individuelleästhetische und künstlerische Regung: »in Russland gibt es keine Ästhetik, hier gibt eskeine Philosophie, nur <strong>de</strong>n Kompass und die Mathematik mit ihrer exakten Knappheit,von Individualismus keine Spur.«¹⁴ Ähnliche Ansichten lassen sich in <strong>de</strong>n Briefen vonkurz zuvor an <strong>de</strong>r Front eingetroffenen Freiwilligen o<strong>de</strong>r in Tagebüchern fin<strong>de</strong>n: Dasrussische Volk sei einfach rückständig, es kenne keine Hygiene: »Das ›Sowjetparadies‹war wirklich fortschrittlich.«¹⁵ Der Leutnant Juan Romero-Osen<strong>de</strong> machte bei seinemEintreffen in Grodno einen ähnlichen Eintrag, als er einige Ferienhotels sah, »die we<strong>de</strong>rBä<strong>de</strong>r noch ähnliche Annehmlichkeiten hatten«, ein klarer Beweis dafür, dass man sich»an <strong>de</strong>n Toren <strong>de</strong>s Paradieses befand.« Und bei <strong>de</strong>r Ankunft an <strong>de</strong>r Front am Wolchownotierte er am 17. Oktober, dass die russischen Holzhäuser »eher Ställen ähneln«.¹⁶Und <strong>de</strong>r Oberleutnant Arenales vertraute am 28. Mai 1942, kurz nach seiner Ankunftin <strong>de</strong>m Dorf, in <strong>de</strong>m er hinter <strong>de</strong>r Frontlinie untergebracht war, seinem Tagebuch an:»Das Dorf hätte man schlechter nicht bauen können, die Häuser sind alle aus Holz,und in ihrem Inneren herrscht ein wenig empfehlenswerter Gestank, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Stallbil<strong>de</strong>t einen Teil <strong>de</strong>s Hauses, wie ein weiteres Z<strong>im</strong>mer, das ist das russische Paradiesvon <strong>de</strong>m die Roten geträumt haben!, man hätte gute Lust, sie alle hierherzubringen,damit ihnen klar wird, wie sie betrogen wur<strong>de</strong>n.«¹⁷Auch <strong>de</strong>r Hauptmannarzt Manuel <strong>de</strong> Cár<strong>de</strong>nas beschrieb in seinem Tagebuch am21. April 1942 nach seiner Ankunft in Luga das buntgescheckte Aussehen <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung,und in seinen Notizen mischten sich die Beobachtungen <strong>de</strong>r Anzeichen <strong>de</strong>rArmut und vorgefasste Stereotypen:13 <strong>Krieg</strong>stagebuch von Jesús Martínez Tessier, Eintrag <strong>vom</strong> 19.9.1941.14 Brief <strong>de</strong>s Freiwilligen Ra<strong>im</strong>undo Sánchez Aladro an seine <strong>Krieg</strong>spatin Joaquina Cabero,17.2.1943 (Museo <strong>de</strong>l Pueblo <strong>de</strong> Asturias, Gijón, R.6410, A6/15–5).15 Feldpostkarten von Soldaten <strong>de</strong>r Blauen Division, 22.11.1941 und 19.12.1941, abgedruckt in:Manuel Vázquez Enciso: Historia postal <strong>de</strong> la División Azul. Españoles en Rusia, Madrid1995, 133 u. 135.16 Juan Romero Osen<strong>de</strong>: Diario <strong>de</strong> Operaciones. Campaña <strong>de</strong> Rusia (Privatarchiv von AnaRomero Masia, A Coruña), Einträge <strong>vom</strong> 24. August 1941 und 17. Oktober 1941.17 Diario <strong>de</strong> Operaciones e <strong>im</strong>presiones <strong>de</strong>l Teniente Provisional Benjamín Arenales En la Campaña<strong>de</strong> Rusia, o. D. [1942], 23 (Privatarchiv von Carmelo <strong>de</strong> las Heras, Madrid).


Xosé-Manoel Núñez199»Die meisten Leute sind Russinnen je<strong>de</strong>n Alters, in Lumpen geklei<strong>de</strong>t, fast alle miteinem Kopftuch in schreien<strong>de</strong>n Farben um <strong>de</strong>n Kopf […]. Von Zeit zu Zeit sieht manalte mujiks [Bauern], die wie Apostel aussehen, mit weißen o<strong>de</strong>r blon<strong>de</strong>n Bärten un<strong>de</strong>benfalls langen Haaren und hellen Augen, <strong>de</strong>ren trauriger Blick fast getrübt ist von<strong>de</strong>n vielen bitteren Sachen, die sie ihr Leben lang haben ansehen müssen.«¹⁸Aber an diesen Zustän<strong>de</strong>n trug nicht nur <strong>de</strong>r unmenschliche Kommunismus Schuld,son<strong>de</strong>rn auch die Tatsache, dass das halbasiatische russische Volk unter <strong>de</strong>m Eindruck<strong>de</strong>r Härten eines unwirtlichen Lebensraumes und geprägt durch ihre jahrhun<strong>de</strong>rtelangeUnterwerfung unter ›pseudoasiatische‹ Despoten <strong>de</strong>n gna<strong>de</strong>nlosen Kommunisten einleichtes Opfer gewesen sei. Dementsprechend zeigten die spanischen Faschisten gegenüber<strong>de</strong>m russischen Volk keinen biologischen, wohl aber einen kulturellen Rassismus,sichtbar in ihrer Geringschätzung <strong>de</strong>r ›unterwürfigen Seele‹ <strong>de</strong>r Russen.Der eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re kultivierte Soldat glaubte auch, in Russland die exotischen undmystischen Bil<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rzuerkennen, die sich in <strong>de</strong>r russischen Literatur fan<strong>de</strong>n, Stereotypenüber Sowjetrussland, die schon vor 1936 Eingang in die antikommunistischePropaganda in Spanien gefun<strong>de</strong>n hatten. So schrieb <strong>de</strong>r Hauptmannarzt Cár<strong>de</strong>nas überdie Zivilbevölkerung in Luga, dass »alle aus einem Roman von Tolstoi o<strong>de</strong>r Andreiev zustammen scheinen«. Solche Stereotypen waren schon vor <strong>de</strong>m Abmarsch nach Russland<strong>im</strong> Denken mancher Freiwilliger fest verankert. Die Verlobte eines falangistischenlokalen Anführers schrieb ihm Folgen<strong>de</strong>s aus Spanien, kurz nach<strong>de</strong>m sie erfahren hatte,dass ihr Verlobter jetzt die Frontlinie erreicht hatte:»Als Du <strong>im</strong> wahren Europa warst, machte ich mir keine Sorgen, aber jetzt, wo Duwirklich in Russland bist, <strong>de</strong>nke ich, dass es für Dich nicht angenehm ist. Ich habeeinige russische Romane gelesen und sie haben mir gefallen, aber seit<strong>de</strong>m ich Tschechowgelesen habe […] fühle ich eine tiefe Abneigung gegen dieses Land, das ich mirschmutzig und kalt vorstelle. Um es Dir zu beschreiben: mit einer klebrigen undstinken<strong>de</strong>n Kälte, so wie ein fettiger Anzug, o<strong>de</strong>r einer dieser Umhänge <strong>de</strong>r Fleischer,mit <strong>de</strong>nen sie Fleisch abla<strong>de</strong>n, so stelle ich mir die Gegend vor. Außer<strong>de</strong>m habensie uns von <strong>de</strong>n Leuten erzählt, und das in einer Art und Weise, dass ich sie mir alsunterwürfige Leute vorstelle, weil sie zu nichts an<strong>de</strong>rem in <strong>de</strong>r Lage sind <strong>de</strong>nn alsUntergebene zu dienen anstatt ihren Verstand zu schärfen, […] während diejenigen,die ein wenig schlauer sind, anscheinend ihren Verstand in <strong>de</strong>n Dienst von List undHe<strong>im</strong>tücke stellen.«¹⁹18 <strong>Krieg</strong>stagebuch <strong>de</strong>s Hauptmannarztes Manuel <strong>de</strong> Cár<strong>de</strong>nas Rodríguez (Privatbesitz von JoséManuel <strong>de</strong> Cár<strong>de</strong>nas, San Sebastián), Einträge <strong>vom</strong> 19. und 21. April 1942.19 Brief von Dolores Gancedo an <strong>de</strong>n Freiwilligen Alberto Martín Gamero, Toledo, 23.10.1941(Archiv <strong>de</strong>s Verfassers, AV).


200 Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?Gestützt wur<strong>de</strong>n solche Einschätzungen von <strong>de</strong>n weitverbreiteten Theorien <strong>de</strong>r Sozialhygiene,<strong>de</strong>nen zufolge es nicht <strong>de</strong>m Zufall, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n naturgegebenen Charakterzügeneines Volkes zu verdanken war, wenn dieses <strong>im</strong> Schmutz und in Armutlebte. Auch <strong>de</strong>swegen wollte man diese rauen, kaum zivilisierten und wenig attraktivenMenschen nicht auf eine Stufe mit <strong>de</strong>n europäischen Kämpfern stellen, ganz ähnlichwie es auch viele <strong>de</strong>utsche und italienische Soldaten in ihren Briefen von <strong>de</strong>r Ostfrontschrieben.²⁰ Diejenigen Offiziere und Soldaten, die in <strong>de</strong>r spanischen Frem<strong>de</strong>nlegiongedient und die schon in <strong>de</strong>n 1920er Jahren in <strong>de</strong>n Marokkokriegen gekämpft hatten,konnten auf ähnliche Erfahrungen während ihrer Dienstjahre in Afrika bei <strong>de</strong>rBegegnung mit <strong>de</strong>n Berbern zurückblicken.²¹ Für viele Freiwillige waren <strong>de</strong>swegen dieErlebnisse in Afrika fast zwangsläufig das Vergleichsschema für ihre Beobachtungen inRussland. Manuel <strong>de</strong> Cár<strong>de</strong>nas notierte am 19. April 1942 seine Eindrücke von einemBauernmarkt in Pskov/Pleskau: »das Aussehen <strong>de</strong>r Leute und <strong>de</strong>r schlechte Gerucherinnern mich an einen Marktplatz in Marokko.« Glaubt man <strong>de</strong>n Journalisten undfalangistischen Reisen<strong>de</strong>n, dann roch Russland förmlich nach Mauren und nach <strong>de</strong>mOrient.Aus verschie<strong>de</strong>nen Tagebüchern und einigen Feldpostbriefen spricht die offene Verachtungfür die unterwürfige Seele <strong>de</strong>s russischen Volkes. So interpretierten zumin<strong>de</strong>stdie spanischen Faschisten das passive und fügsame Verhalten <strong>de</strong>r Bauern und <strong>de</strong>rrussischen <strong>Krieg</strong>sgefangenen als einen Beweis für das sklavische Naturell <strong>de</strong>r Slawen,ein Ergebnis <strong>de</strong>r jahrhun<strong>de</strong>rtelangen Unterwerfung <strong>de</strong>s russischen Volkes unter <strong>de</strong>nDespotismus, <strong>de</strong>r nicht zur europäischen Tradition gehörte. Die Seele <strong>de</strong>s Volkes sei»verschlafen«, so Jesús Martínez Tessier, und die Russen vermittelten mit ihren »faulenBewegungen« <strong>de</strong>n Eindruck, »ewig mü<strong>de</strong> zu sein«.²² So blieb das russische Volk <strong>de</strong>nSpaniern fremd, und sein Charakter, eine Mischung aus Apathie und Fatalismus, rätselhaft,auch wenn die Spanier <strong>de</strong>n Russen Eigenschaften <strong>de</strong>s guten Wil<strong>de</strong>n zugestan<strong>de</strong>n,eines pr<strong>im</strong>itiven Menschen, <strong>de</strong>r jedoch sein Schicksal kaum eigenständig lenkenkonnte und wollte.²³ Russland war einfach »ein gottverlassenes Land, Hitze, Mücken,20 Vgl. Klaus Latzel: Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer <strong>Krieg</strong>? <strong>Krieg</strong>serlebnis – <strong>Krieg</strong>serfahrung1939–1945, Pa<strong>de</strong>rborn 2000 [1998], 171–182, sowie Thomas Schlemmer: Erster Teil:Das italienische Heer <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> gegen die Sowjetunion 1941 bis 1943. Militär- und erfahrungsgeschichtlicheAspekte eines gescheiterten Abenteuers, in: <strong>de</strong>rs. (Hg.): Die Italiener an <strong>de</strong>rOstfront 1942/43. Dokumente zu Mussolinis <strong>Krieg</strong> gegen die Sowjetunion, München 2005,1–75.21 Vgl. Gustau Nerín: La guerra que vino <strong>de</strong> África, Barcelona 2005, 204–206.22 <strong>Krieg</strong>stagebuch von Jesús Martínez Tessier, Eintrag <strong>vom</strong> 19.9.1941.23 Brief von Dionisio Ridruejo, später abgedruckt in <strong>de</strong>rs.: Con fuego y con raíces. Casi unasmemorias, Barcelona 1976, 229–230.


Xosé-Manoel Núñez201also anstelle <strong>de</strong>s Paradieses – von <strong>de</strong>m sie <strong>im</strong>mer sprachen – war es die Hölle«²⁴. Damitunterschied sich <strong>de</strong>r Blick <strong>de</strong>r Spanier auf Russland kaum von <strong>de</strong>m, was auch die Briefe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Soldaten ab En<strong>de</strong> Juni 1941 übermittelten.²⁵ Sogar Zeugnisse, aus <strong>de</strong>neneine tief <strong>im</strong> katholischen Glauben verwurzelte Menschlichkeit sprach, waren nicht ganzfrei von dieser Ambivalenz. Im August 1943 schrieb Manuel <strong>de</strong> Cár<strong>de</strong>nas: »Russland,wo sich das Leben so stark von <strong>de</strong>m unsrigen unterschei<strong>de</strong>t […] reizt die Neugier meinerAugen noch mehr, sich zu öffnen«. Aber auch er verglich die russischen Bauern mitKin<strong>de</strong>rn, die, auch wenn »sie augenblicklich viel Hunger und Armut ertragen müssen«,wie er am 20. Mai 1943 zugab, »anscheinend selbst dann von Natur aus Bettler sind,wenn sie <strong>im</strong> Überfluss leben«.²⁶Aber diese Zustän<strong>de</strong> waren nicht nur eine Folge <strong>de</strong>r materiellen Armut, <strong>de</strong>s Wirkens<strong>de</strong>s Kommunismus und <strong>de</strong>r Fügung <strong>de</strong>r Geschichte. Der gepeinigte Geist war <strong>de</strong>mrussischen Volk zutiefst zu Eigen, ein Produkt <strong>de</strong>r extremen kl<strong>im</strong>atischen Bedingungenund <strong>de</strong>s wenig fruchtbaren Lan<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r harten Lebensumstän<strong>de</strong>. Die Tatsache, dassdie Russen nicht in <strong>de</strong>r Lage gewesen seien, eine eigenständige architektonische Tradition<strong>de</strong>r Steinbauten zu schaffen, galt <strong>de</strong>n Spaniern als Beweis dafür, dass die Slawen<strong>im</strong> Grun<strong>de</strong> keinen ›Sinn für die Tradition‹ hatten, genauso wie <strong>de</strong>r russische Bauernichts von <strong>de</strong>r eigenen Geschichte verstün<strong>de</strong>. Aus diesem Grund, argumentierte <strong>de</strong>rSoldat Álvaro <strong>de</strong> Laiglesia, sei es besser, dass diese herzlichen, aber auch abgestumpftenLeute niemals »ihr Zelt in unserer Zivilisation aufschlagen«. Und umso gerechtfertigterschien darum <strong>de</strong>r Einsatz <strong>de</strong>r Blauen Division in Russland: um <strong>de</strong>n Feind in seinerHöhle <strong>vom</strong> christlichen Abendland fernzuhalten.²⁷In einem Aspekt allerdings unterschie<strong>de</strong>n sich die Ansichten <strong>de</strong>r spanischen und <strong>de</strong>r<strong>de</strong>utschen Soldaten über Russland ganz entschei<strong>de</strong>nd. Im Weltbild <strong>de</strong>r Spanier konnteRussland durch die Konversion gerettet wer<strong>de</strong>n, mit Hilfe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>reinführung <strong>de</strong>rReligion durch die ›Armeen Europas‹, ganz <strong>im</strong> Gegensatz zum biologistisch-genetischenRassismus, <strong>de</strong>n die spanischen Divisionäre bei vielen ihrer <strong>de</strong>utschen Kamera<strong>de</strong>nkennenlernten. Eine solche Sichtweise eröffnete die Möglichkeit einer spirituellen Erlösung<strong>de</strong>s russischen Volkes, vor allem durch die Wie<strong>de</strong>reinsetzung <strong>de</strong>r Religion – selbstwenn es sich nicht um <strong>de</strong>n Katholizismus han<strong>de</strong>lte. In ihren Erinnerungen berichteteneinige Divisionäre von ihren Bemühungen, <strong>de</strong>r Gottesfurcht und <strong>de</strong>n christlichenTugen<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r zu ihrem Recht zu verhelfen, vor allem durch ein Einwirken auf dierussischen Kin<strong>de</strong>r. In ihrer eigenen Wahrnehmung behan<strong>de</strong>lten die spanischen Soldatendie russische Bevölkerung <strong>im</strong> Alltag weniger brutal als die <strong>de</strong>utschen Truppen, wasin <strong>de</strong>r Praxis be<strong>de</strong>utete, dass die Spanier die sowjetischen Bauern zwar auch beraub-24 Brief <strong>de</strong>s Soldaten Manuel Tarín Sala an Remedios Rebollo, 5.6.1942 (AFR).25 Latzel, 145–56.26 Tagebuch von Manuel <strong>de</strong> Cár<strong>de</strong>nas, Einträge <strong>vom</strong> 20. Mai, 22. August und 31. August 1942.27 Alvaro <strong>de</strong> Laiglesia: El infierno <strong>de</strong> los hielos soviéticos, in: El Español, 16.1.1943, 1–2.


202 Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?ten und ausplün<strong>de</strong>rten, dass sie sie aber nicht so häufig töteten. Allem Anschein nachbeteiligten sich die spanischen Soldaten hinter <strong>de</strong>r Frontlinie kaum an <strong>de</strong>n Repressaliengegenüber <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung, und auch bei <strong>de</strong>r Bekämpfung <strong>de</strong>r Partisanen spieltensie keine wichtige Rolle.²⁸IV. Spanische Soldaten und russische FrauenDie spanischen Soldaten bezogen, wie die an<strong>de</strong>ren Divisionen <strong>de</strong>r Heeresgruppe Nord,bevorzugt in <strong>de</strong>n russischen Dörfern unmittelbar hinter <strong>de</strong>r Frontlinie Quartier. DieBelegung war ausgesprochen dicht: mehrere Soldaten besetzten die ärmlichen Bauernhäuser,die oft nur aus zwei o<strong>de</strong>r drei Räumen bestan<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen auch noch eineganze Familie leben musste.²⁹ In <strong>de</strong>n nach 1945 veröffentlichten autobiographischenZeugnissen und <strong>de</strong>n romanhaften Erzählungen folgte die Darstellung <strong>de</strong>r Beziehungen<strong>de</strong>r spanischen Soldaten zur Zivilbevölkerung, vor allem Frauen, Greisen und Kin<strong>de</strong>rn,die in <strong>de</strong>n besetzten Dörfern geblieben waren, weitgehend <strong>de</strong>mselben Schema. Demzufolgepflegten die spanischen Soldaten gutnachbarliche Beziehungen zu <strong>de</strong>n Bauern,geprägt von Respekt, Wertschätzung und sogar einer gewissen Solidarität zwischenbei<strong>de</strong>n Seiten, so dass die Einhe<strong>im</strong>ischen be<strong>im</strong> Abmarsch <strong>de</strong>r Spanier fast in Tränenausgebrochen seien. Im Nachhinein, während <strong>de</strong>s Kalten <strong>Krieg</strong>es, entwickelte sich dieseInterpretation zu einem Diskurs, mit <strong>de</strong>ssen Hilfe sich die Beteiligung <strong>de</strong>r Spanier amRusslandfeldzug rechtfertigen ließ: Die Blaue Division sei einer <strong>de</strong>r wenigen moralischenSieger <strong>de</strong>s Weltkrieges, da sie sich nicht einmal indirekt an <strong>de</strong>r nationalsozialistischenVernichtungspolitik beteiligt habe.Glaubt man <strong>de</strong>n vielen nachträglichen Zeugnissen <strong>de</strong>r ehemaligen Freiwilligen, kames häufig zu Liebesbeziehungen zwischen spanischen Soldaten und russischen Bäuerinnen.Mehrfach verboten Anweisungen <strong>vom</strong> Generalstab <strong>de</strong>r Blauen Division solcheBeziehungen, sei es auf Tanzveranstaltungen o<strong>de</strong>r bei Privatbesuchen. Natürlichpflegten nicht nur Spanier sexuelle Beziehungen zu Russinnen.³⁰ Aber <strong>im</strong> Unterschiedzu an<strong>de</strong>ren Beziehungen en<strong>de</strong>ten einige <strong>de</strong>r Liebschaften zwischen Spaniern und Rus-28 Vgl. dazu ausführlicher Xosé-Manoel Núñez: ¿Eran los rusos culpables? Imagen <strong>de</strong>l enemigoy políticas <strong>de</strong> ocupación <strong>de</strong> la División Azul en el frente <strong>de</strong>l Este, 1941–1944, in: Hispania,LXVI : 223 (2006), 337–392.29 Anlage zum Bericht <strong>de</strong>s Hauptmann Collatz ab 38 Armeekorps, 5.5.1942, in: BA-MA, RH26–250/3.30 Vgl. Stephen Fritz: Frontsoldaten. The German Soldier in World War II, Lexington 1995,78–79. Fritz betont, dass die Liebschaften <strong>de</strong>n Soldaten an <strong>de</strong>r Ostfront, auch mit russischenFrauen, vor allem die Illusion einer Zuflucht vor <strong>de</strong>n Gräueln <strong>de</strong>s <strong>Krieg</strong>es boten.


Xosé-Manoel Núñez203sinnen mit einer unerlaubten Hochzeit.³¹ Viele <strong>de</strong>r spanischen Freiwilligen unterhielteneher platonische Beziehungen mit <strong>de</strong>n jungen Frauen, mit <strong>de</strong>nen sie sich nur inZeichensprache verständigen konnten und von <strong>de</strong>nen sie einige Worte auf Russischlernten: »meine gute Freundin Tatiana (19 Jahre) versucht, mir Russisch beizubringen,obwohl ich mich kaum anstrenge. Bislang habe ich nur ›jorasó‹ = hübsch und ›linblin‹= ich liebe dich gelernt.«³² Und einige Soldaten, die wie<strong>de</strong>r nach Spanien zurückgekehrtwaren, schickten in ihren Briefen an die Kamera<strong>de</strong>n in Russland auch Grüßean die Bäuerinnen, die sie kennengelernt hatten: »Ich erinnere mich ständig an Clara,Maria und Wiera, sagt ihnen bitte was Ihr für richtig haltet, vor allem <strong>de</strong>r ›pañenkita‹,für die ich Euch bald ein Foto von mir schicken wer<strong>de</strong>«, schrieb <strong>de</strong>r Soldat López <strong>im</strong>November 1943 an seine ehemaligen Kamera<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Ostfront.³³ Im April <strong>de</strong>sselbenJahres schrieb <strong>de</strong>r Unterfeldwebel Antonio Herrero seiner Mutter, dass er, nach<strong>de</strong>m erregelmäßig an <strong>de</strong>n Gottesdiensten <strong>de</strong>r Osterwoche teilgenommen hatte, ein »wun<strong>de</strong>rbaresFestessen und danach eine unterhaltsame Tanzveranstaltung mit einhe<strong>im</strong>ischenMädchen, die sie mit ihren klassischen Tänzen beehrt hätten«³⁴ besucht habe. Und <strong>de</strong>rstrenggläubige katholische Soldat Manuel Tarín, <strong>de</strong>r seiner Verlobten während seinesFronteinsatzes ständig versichert hatte, dass er sich überhaupt nicht für die einhe<strong>im</strong>ischenFrauen interessiere, erhielt nach seiner Rückkehr nach Spanien einen Brief vonseinen Kamera<strong>de</strong>n, die nach Estland versetzt wor<strong>de</strong>n waren. Sie schrieben ihm nichtnur, dass sie weiterhin »mit <strong>im</strong>mer mehr Kraft gegen <strong>de</strong>n verdammten Kommunismuskämpften«, son<strong>de</strong>rn sie übermittelten ihm auch Grüße von »<strong>de</strong>r kleinen Witwe« undbedauerten, dass es in <strong>de</strong>m estnischen Dorf, in <strong>de</strong>m sie jetzt stationiert seien, »keine›panienkas‹« gebe.³⁵Es ist wenig wahrscheinlich, dass es sich bei diesen eher <strong>de</strong>m Zufall geschul<strong>de</strong>tenBeziehungen um wirkliche Liebesbeziehungen han<strong>de</strong>lte. Die russischen Frauen, aufdie die Divisionäre trafen, entsprachen kaum <strong>de</strong>m zeitgenössischen Schönheitsi<strong>de</strong>al<strong>de</strong>r Iberer, zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>rjenigen, die nicht <strong>vom</strong> Land stammten. In ihren Briefen undTagebüchern beschrieben die Spanier die russischen Frauen als wenig attraktiv, durchdie harte Arbeit und dieEntbehrungen vorzeitig gealtert, schmutzig und in Lumpengeklei<strong>de</strong>t, die häufig das wahre Alter <strong>de</strong>r Frauen verbargen – was mancher Soldat erst31 Vgl. Telegramme <strong>de</strong>s Oberkommando <strong>de</strong>s Heeres an die Heeresgruppe Nord, 20.5.1942, undTelegramm <strong>de</strong>s AOK 18 an die Heeresgruppe Nord, 12.6.1942 (BA – MA, RH 19III/493).32 Brief <strong>de</strong>s Soldaten Roberto Rivera an Carmen Ortiz, 26.8.1942, abgedruckt bei Manuel DeRamón/Carmen Ortiz: Madrina <strong>de</strong> guerra. Cartas <strong>de</strong>s<strong>de</strong> el frente, Madrid 2003, 355–356.33 Brief <strong>de</strong>s Soldaten A. López an Antonio Herrero Castellano, Zaragoza, 25.11.1943 (AV). Daspolnische Wort »panienka« (Mädchen) wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Spaniern als russische Bezeichnungfür Mädchen übernommen.34 Brief <strong>de</strong>s Soldaten Antonio Herrero Castellano an seine Mutter, 25.4.1943 (AV).35 Brief <strong>de</strong>s Soldaten M. J<strong>im</strong>énez an Manuel Tarín, Taps (Estland), 27.12.1943 (AFR).


204 Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?dann merkte, wenn er sich anschickte, seiner Eroberung ›die Krone aufzusetzen‹ – undsie hielten sich kaum an die traditionellen Moralvorstellungen; sie entsprachen alsokaum <strong>de</strong>m Fraueni<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r spanischen Freiwilligen.³⁶ Mitte September 1941 beschriebJesús Martínez-Tessier in seinem Tagebuch <strong>de</strong>n Eindruck, <strong>de</strong>n die ersten russischenBäuerinnen, <strong>de</strong>nen er begegnete, bei ihm hinterließen:»Die Frauen haben überhaupt nichts Frauliches. Ihr einziger Schmuck ist ein weißesTuch ›auf <strong>de</strong>m Kopf‹, o<strong>de</strong>r ein Kappe o<strong>de</strong>r Mütze. Die restliche Kleidung ähnelt inSchnitt, Farbe und Aussehen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Männer. Es ist völlig unmöglich, einen Sei<strong>de</strong>nstrumpfzu sehen. Auch das Benehmen ist das von Mannweibern.«³⁷Einen ganz ähnlichen Eindruck hatte <strong>de</strong>r Falangist Fe<strong>de</strong>rico Menén<strong>de</strong>z Gundín, <strong>de</strong>rungefähr zur gleichen Zeit versicherte, in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r weißrussischen Stadt Raduneine attraktive Bäuerin kennengelernt zu haben: »Zum ersten Mal sehe ich eine Frau –ich meine ein Frau, <strong>de</strong>nn seit wir Deutschland verlassen haben, haben wie keine Frauenmehr gesehen, son<strong>de</strong>rn nur in Lumpen eingewickelte Figuren«.³⁸Die Spanier <strong>de</strong>uteten die Tatsache, dass die russischen Bäuerinnen meilenweit <strong>vom</strong>I<strong>de</strong>albild <strong>de</strong>r spanischen Frau – bzw. <strong>de</strong>r spanischen und europäischen Mittelschichten<strong>im</strong> Allgemeinen – entfernt waren, nicht nur als ein Anzeichen für die Rückständigkeit<strong>de</strong>r ländlichen Welt, son<strong>de</strong>rn vor allem als einen weiteren Beweis für die sowjetischenZustän<strong>de</strong>, die alle Anzeichen <strong>de</strong>r Fraulichkeit getilgt hätten. Im Juni 1942 schrieb <strong>de</strong>rLeutnant Benjamín Arenales, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m russischen Dorf, in <strong>de</strong>m er untergebracht wor<strong>de</strong>nwar, Kontakt mit einigen einhe<strong>im</strong>ischen Mädchen aufgenommen hatte, dass nurdie Lehrerin, die <strong>de</strong>n spanischen Offizieren Russisch beibrachte, sein Interesse geweckthätte, »<strong>de</strong>nn es scheint, dass sie sich wäscht, was nicht sehr häufig vorkommt.«³⁹ In<strong>de</strong>n meisten Fällen han<strong>de</strong>lte es sich bei <strong>de</strong>n Beziehungen wohl eher um einen – galanten– sexuellen Zeitvertreib mit Bäuerinnen, die die Spanier rückständig, schmutzigund pr<strong>im</strong>itiv, und außer<strong>de</strong>m ten<strong>de</strong>nziell promisk und unmoralisch fan<strong>de</strong>n.36 Brief <strong>de</strong>s Unterfeldwebels Ra<strong>im</strong>undo Sánchez Aladro an Joaquina Cabero, 18.1.1943 (Museo<strong>de</strong>l Pueblo <strong>de</strong> Asturias, Gijón, R.6410, 16/15–3).37 <strong>Krieg</strong>stagebuch von Jesús Martínez Tessier, Eintrag <strong>vom</strong> 14.9.1941.38 <strong>Krieg</strong>stagebuch von Fe<strong>de</strong>rico Menén<strong>de</strong>z Gundín, Eintrag <strong>vom</strong> 7.9.1941, in: Cela, En Rusia, 141.39 <strong>Krieg</strong>stagebuch <strong>de</strong>s Leutnants Benjamín Arenales, 29 (Eintrag <strong>vom</strong> 5.6.1942).


Xosé-Manoel Núñez205V. Fanatiker und Abenteurer:Die letzten Verteidiger <strong>de</strong>r ›Neuen Ordnung‹Nach <strong>de</strong>r Rückkehr <strong>de</strong>r Blauen Division nach Spanien zwischen Dezember 1943 undFebruar 1944, als das franquistische Reg<strong>im</strong>e begann, sich von <strong>de</strong>n Achsenmächten zudistanzieren, um zu gewährleisten, dass die Alliierten nach En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Weltkrieges dasÜberleben <strong>de</strong>s Reg<strong>im</strong>es dul<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n, beschlossen etwa 400–500 Spanier, in Einheiten<strong>de</strong>r Wehrmacht o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Waffen-SS zusammen mit ihren <strong>de</strong>utschen Kamera<strong>de</strong>n biszum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>Krieg</strong>es zu kämpfen. Auch Dutzen<strong>de</strong> von spanischen Fremdarbeitern tratenEinheiten <strong>de</strong>r Wehrmacht und <strong>de</strong>r Waffen-SS bei, und es gab sogar einige ehemaligeFreiwillige <strong>de</strong>r Blauen Division, die erneut von Spanien nach Deutschland reisten, umsich <strong>de</strong>r Wehrmacht anzuschließen. In Berlin fungierte das Iberoamerikanische Institutals eine Art geistiges Zentrum dieser Soldaten, für die das Institut sogar auf Spanischeine Zeitung veröffentlichte, in <strong>de</strong>r es die theoretischen Grundlagen für einen neuen»falangistischen Nationalsozialismus« zu legen versuchte. Die letzten spanischen Soldatenunter <strong>de</strong>r Flagge <strong>de</strong>s NS waren eine relativ kleine Gruppe, in <strong>de</strong>r sich Fanatiker,Abenteurer und <strong>Krieg</strong>sveteranen <strong>de</strong>r Blauen Division sogar mit Dieben und Verbrechernmischten; wobei Letztere von <strong>de</strong>r franquistischen Regierung nicht als Kämpferanerkannt und nach ihrer Rückkehr nach Spanien sogar vor Gericht gestellt wur<strong>de</strong>n.⁴⁰Die Motivation für <strong>de</strong>n Eintritt in die Wehrmacht unterschied sich kaum von <strong>de</strong>nenan<strong>de</strong>rer europäischer Freiwilliger, die seit 1943 <strong>de</strong>r Waffen SS beigetreten waren.⁴¹Die Spanier die bereit waren, ihr Leben für das Überleben <strong>de</strong>s Dritten Reiches zuopfern, sahen in <strong>de</strong>m Weltkrieg <strong>de</strong>n einzigen Weg, um die Russen von Spanien fernzuhalten.Außer<strong>de</strong>m hielten sie sich für die ›wahren‹ Falangisten, die <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r allmählichenAnpassung <strong>de</strong>s franquistischen Reg<strong>im</strong>es an die neue geostrategische Lage inWesteuropa ablehnten. Statt<strong>de</strong>ssen blieben sie <strong>de</strong>n Postulaten, die sie schon am 18. Juli1936 be<strong>im</strong> Ausbruch <strong>de</strong>s spanischen Bürgerkrieges auf ihre Fahnen geschrieben hatten,weiterhin treu: Antikommunismus und die Verteidigung <strong>de</strong>s christlichen Abendlan<strong>de</strong>s.Nicht umsonst bezeichneten sie sich selbst als die »jungen Rebellen« <strong>de</strong>r Falange.Ein Sammlung von Feldpostbriefen spanischer Freiwilliger <strong>de</strong>r Wehrmacht und <strong>de</strong>rWaffen-SS, die zwischen November 1944 und März 1945 verfasst und zum IberoamerikanischenInstitut Berlin geschickt wur<strong>de</strong>n, gibt Auskunft über die Motive und Erfahrungendieser ›letzten Fanatiker‹. Die meisten Freiwilligen begrün<strong>de</strong>ten, ganz ähnlichwie 1936 und 1941, ihre Entscheidung mit ihrem eisernen Antikommunismus, <strong>de</strong>r für40 Vgl. Kenneth W. Estes: A European Anabasis – Western European Volunteers in the GermanArmy and SS, 1940–1945, 2003, online unter: www.gutenberg-e.org/esk01/main.html, undWayne Bowen: The Ghost Battalion: Spaniards in the Waffen SS, 1944–1945, in: The Historian,63:2 (2001), 373–385.41 Vgl. Jean-Luc Leleu: La Waffen-SS. Soldats politiques en guerre, Paris 2007, 261–277.


206 Zwei Fronten, ein <strong>Krieg</strong>?sie gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>r Notwendigkeit war, Deutschland bis zur letzten Minutegegen die Russen zu verteidigen. Doch sie selber sahen sich nicht als Nationalsozialisten,und noch weniger als ›germanisierte‹ Spanier. Die letzten spanischen Kämpfer fürdas Dritte Reich bezeichneten sich als »wahre« Falangisten, <strong>de</strong>ren wichtigstes Ziel dieVollendung <strong>de</strong>r nationalen und sozialen Revolution in Spanien war, unbeeinflusst von<strong>de</strong>r katholischen Kirchen und <strong>de</strong>n konservativen Gruppen <strong>de</strong>r spanischen Gesellschaft.Der Glaube <strong>de</strong>r letzten Freiwilligen an die ›anhalten<strong>de</strong> Revolution‹ <strong>de</strong>r Falange verbandsich <strong>de</strong>mzufolge mit <strong>de</strong>m Motto <strong>de</strong>r Verteidigung Europas, das sie vor <strong>de</strong>m ›asiatischen‹Bolschewismus retten wollten. Vom Gedankengut <strong>de</strong>s Nationalsozialismus fin<strong>de</strong>nsich dagegen kaum Spuren. Im Oktober 1944 schrieb Juan M. Pons, ein spanischerFreiwilliger <strong>de</strong>r Wehrmacht, dass »wir jetzt in <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r Wehrmacht sind und<strong>de</strong>n Kampf für Spanien weiterführen, <strong>de</strong>n wir am 18. Juli 1936 begonnen haben«, nunaber »unter einer an<strong>de</strong>ren Flagge«.⁴² Einen Monat später schrieb <strong>de</strong>r WehrmachtssoldatJosé Luis Ibáñez dass jene Spanier, die <strong>de</strong>m Erbe <strong>de</strong>r Falange treu geblieben waren,jetzt mit Deutschland aber nicht für Deutschland kämpften: »für Gott, Spanien und dienational-syndikalistische Revolution«.⁴³ Sechs spanische Fremdarbeiter begrün<strong>de</strong>tenEn<strong>de</strong> Dezember 1944 ihr Vorhaben, <strong>de</strong>r Waffen-SS beizutreten, damit, die Aufgabe »diewir in unserem Land am 18. Juli 1936 angestrebt haben, und die noch nicht fertig ist«,⁴⁴zu vollen<strong>de</strong>n. Wie <strong>de</strong>r baskische Falangist José-Ignacio Imaz, <strong>de</strong>r als Sanitäter in einemBraunschweiger Lazarett arbeitete, <strong>im</strong> Dezember 1944 schrieb, zeigten die spanischenFreiwilligen <strong>de</strong>r Waffen-SS <strong>de</strong>r Welt, dass es »die Alte Gar<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Falange« <strong>im</strong>mer nochgab, auch wenn sie jetzt in Deutschland kämpfte.⁴⁵ In einigen Ausnahmefällen hattensich sogar Soldaten, die <strong>im</strong> Bürgerkrieg auf republikanischer Seite gekämpft hatten,<strong>de</strong>m Nationalsozialismus angeschlossen, aus <strong>de</strong>r inneren Überzeugung, dass das NS-Reg<strong>im</strong>e wahrhaftig eine »sozial-revolutionäre Orientierung« habe. So schrieb AdolfoGonzález-Almenara, dass das Dritte Reich das »wahre Vaterland aller Arbeiter Europas«sei.⁴⁶Der Glauben an die ›europäische‹ Propaganda <strong>de</strong>s Dritten Reiches und an das Projekteiner totalitären Neuordnung Europas, in <strong>de</strong>r Spanien unter <strong>de</strong>r SchirmherrschaftDeutschlands eine privilegierte Rolle spielen wür<strong>de</strong>, stellte für die spanischen Freiwilligenein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Handlungsmotiv dar. David Gómez überquerte am 15. August42 José María Pons Mascaró: Españoles …!, in: Enlace, 29.1.1945, 3.43 José Luis Ibáñez Pajares: Horas <strong>de</strong>cisivas, in: Enlace, 23.11.1944, 6.44 Brief von Jesús Ochoa Miranda und sechs weiteren Spaniern, St. Valentin (Wien) 8.1.1945,Gehe<strong>im</strong>es Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz, Berlin [GstA], I. Ha 318/586.45 Brief von José Ignacio Imaz, Lan<strong>de</strong>skrankenhaus Braunschweig, 29.12.1944, in GStA, I. Ha318/586.46 Brief von Adolfo González Almenara an Martín <strong>de</strong> Arrizubeta, Kratzan, 7.1.1945, in GStA, I.Ha 218/586.


Xosé-Manoel Núñez2071944 zusammen mit zwei an<strong>de</strong>ren Falangisten die spanisch-französische Grenze undgelangte bis Chemnitz, wo die drei sich bereit erklärten, »wie<strong>de</strong>r die feldgraue Uniformanzuziehen um sich an <strong>de</strong>r Aufgabe einer Neuordnung Europas zu beteiligen«.⁴⁷Ganz ähnlich argumentierte <strong>de</strong>r ehemalige Divisionär Antonio Lucena, <strong>de</strong>r, fasziniertvon »diesem hervorragen<strong>de</strong>n Deutschen Reich«, und <strong>de</strong>ssen Sieg stellvertretend einen»Sieg für uns alle« wünschte.⁴⁸In an<strong>de</strong>ren Feldpostbriefen erscheint <strong>de</strong>r Antikommunismus als die wichtigste, wennnicht die einzige Motivation, für <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>s Autors in die Wehrmacht.⁴⁹ LorenzoOcañas, einem Unteroffizier, <strong>de</strong>r nach seiner Teilnahme an <strong>de</strong>r Verteidigung Berlinsin russische Gefangenschaft geriet, kamen bei <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r zerbombten <strong>de</strong>utschenStädte die »Erinnerungen an meine He<strong>im</strong>at«, weil sie ihm klarmachten, »was aus Spaniengewor<strong>de</strong>n wäre, wenn die Moskauer Ungeheuer ihre Füße auf unseren Bo<strong>de</strong>ngesetzt hätten […] Ich schließe meine Augen und sehe mein eigenes Dorf in Flammenund die spanische Kultur von <strong>de</strong>n roten Bomben zerstört«. Sogar 1954, als er nach seinerEntlassung aus <strong>de</strong>r russischen Gefangenschaft nach Spanien zurückkehrte, war er<strong>de</strong>r Meinung, dass <strong>de</strong>r spanische Bürgerkrieg noch nicht been<strong>de</strong>t sei.⁵⁰All diese Beispiele weisen darauf hin, dass <strong>de</strong>r wichtigste Antrieb für <strong>de</strong>n Eintrittin die Waffen-SS und die Wehrmacht ab 1944 sogar bei <strong>de</strong>n extrem fanatischen spanischenFreiwilligen mit ihrer weit zurückliegen<strong>de</strong>n <strong>Krieg</strong>serfahrung während <strong>de</strong>s spanischenBürgerkrieges zusammenhing. Dagegen übernahmen die Spanier, die sich biszum letzten Moment für das Überleben <strong>de</strong>s Dritten Reiches einsetzten, keine Elemente<strong>de</strong>r nationalsozialistischen Weltanschauung, sieht man von <strong>de</strong>r ›europäischen‹ Rhetorik<strong>de</strong>r Nazis und einigen nationalsozialistischen Leitsprüchen ab. Ihre Motivationfür <strong>de</strong>n Kampf entnahmen sie einer Mischung von eher s<strong>im</strong>plen aber sehr effektivenElementen: <strong>de</strong>m Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen <strong>de</strong>m ›zivilisierten Europa‹und <strong>de</strong>r ›asiatischen Barbarei‹, zwischen Gott und <strong>de</strong>n ›Gottlosen‹. Solche Feindbil<strong>de</strong>rwaren ihnen nicht neu. Der <strong>Krieg</strong> war jedoch ein an<strong>de</strong>rer.47 Brief von David Gómez an Martín <strong>de</strong> Arrizubieta, Spanier Lager [sic], Chemnitz Auto-Union,25.12.1944, in GStA, I. Ha 318/586.48 Brief von Antonio Lucena an Martín <strong>de</strong> Arrizubieta, Kornwesthe<strong>im</strong>, 7.1.1945, in GStA, I. Ha318/586.49 Briefe von Juan Sánchez Peñalver, Reservelazarett Rinteln, 15.3.1945, und von Jesús CorralMartín, 6.1.1945, GStA, I. Ha 318/586.50 Moisés Puente: Yo, muerto en Rusia. Memorias <strong>de</strong>l alférez Ocañas, Madrid 1954, 20–22.

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