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Abriss der <strong>Mechanik</strong>Rudolf Lehn Peter Breitfeld 1Störck-GymnasiumBad Saulgau5. September 20111. E-Mail: phbrf@t-online.de http://www.pBreitfeld.de


Das folgende Skript stellt die wichtigsten Gesetze und Rechentechniken zusammen, diebei der Behandlung von Problemen der <strong>Mechanik</strong> auftreten. Es werden die <strong>Mechanik</strong>des Massenpunkts und die <strong>Mechanik</strong> starrer Körper behandelt. Elastische Körper (mitAusnahme einfacher Beispiele bei Federn) oder die <strong>Mechanik</strong> der Flüssigkeiten werdenin diesem Skript nicht berücksichtigt.


Inhaltsverzeichnis1 <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts • 71.1 Kinematik • 71.1.1 Geschwindigkeit und Beschleunigung • 71.1.2 Zusammensetzung von Bewegungen • 81.1.3 Wurfbewegungen • 91.2 Dynamik • 91.2.1 spezielle Kräfte • 101.2.2 Beispiel: Bewegung auf der schiefen Ebene • 121.3 Rotationsdynamik • 141.3.1 Gleichförmige Kreisbewegung • 141.3.2 Gleichmäßig beschleunigte Kreisbewegung • 141.3.3 Allgemeine Rotationsbewegung • 141.3.4 Radialbeschleunigung bei gleichf. Kreisbewegung • 151.3.5 Trägheitskräfte bei Rotationsbewegungen • 151.4 Die Erhaltungssätze • 171.4.1 Arbeit und Energie • 181.4.2 Leistung • 201.4.3 Impuls und Stöße • 201.4.4 Drehimpuls • 221.5 Gravitation und Planetenbewegung • 231.5.1 Die Keplerschen Gesetze • 231.5.2 Energie im Gravitationsfeld • 251.5.3 Bahngleichung im Gravitationsfeld • 251.5.4 Gezeitenkräfte • 301.5.5 Bahnortbestimmung • 312 Der starre Körper • 362.1 Statik • 362.1.1 Kräfte • 362.1.2 Drehmoment • 372.1.3 Schwerpunkt (Massenmittelpunkt) • 382.2 Bewegungsgleichung starrer Körper • 39


Inhaltsverzeichnis2.2.1 Winkelgeschwindigkeit und -Beschleunigung • 392.2.2 Bewegungsgleichung der Translation • 392.2.3 Bewegungsgleichung der Rotation • 402.2.4 Rotationsenergie • 412.2.5 Drehimpuls • 412.2.6 Translation vs. Rotation • 422.2.7 Drehimpuls und Drehmoment • 422.3 Berechnung von Trägheitsmomenten • 432.3.1 Steinerscher Satz • 432.3.2 Trägheitsmomente ausgewählter Körper • 442.3.3 Bestimmung des Trägheitsmoments über Ähnlichkeiten • 462.4 Kreisel • 472.4.1 Kreiselbewegungen • 472.4.2 Kräftefreier Kreisel • 482.4.3 Eulersche Kreiselgleichungen • 504


Abbildungsverzeichnis1.1 Ort und Geschwindigkeit • 71.2 Vektoraddition • 81.3 Vektoraddition in Koordinaten • 81.4 Waagrechter Wurf • 101.5 schiefer Wurf • 101.6 Schrägaufzug • 131.7 Drehimpulskomponenten in der Ebene • 231.8 Die Kepler-Ellipse und der Flächensatz • 241.9 Gezeitenwirkung • 301.10 Bahnortbestimmung von Planeten • 312.1 Zusammensetzung von Kräften • 362.2 Gleichgewicht einer Leiter • 372.3 Zur Berechnung des Drehmoments • 382.4 Drehung um eine feste Achse • 402.5 Präzession eines Kreisels unter dem Einfluss der Schwerkraft • 422.6 zum Steinerschen Satz • 442.7 Zum Trägheitsmoment der Kugel • 452.8 Zum Trägheitsmoment einer rechteckigen Platte • 462.9 Lage des Trägheitsellipsoids • 482.10 Kräftefreier Kreisel • 50


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts1.1. KinematikDie Kinematik befasst sich mit der Bewegung von Körpern ohne auf die sie verursachendenKräfte einzugehen.1.1.1. Geschwindigkeit und BeschleunigungBewegungen eines Massenpunkts werden durch den Ortsvektor s des Massenpunktsbeschrieben. Er ist eine Funktion der Zeit: s = s(t)ys(t)∆ss(t+∆t)xAbb. 1.1 Ort und GeschwindigkeitMomentangeschwindigkeitBeschleunigungGleichförmige Bewegungv = dsdt = s ̇ = limΔt→a = dvdt = v ̇ = limΔt→s(t + Δt) − s(t)Δtv(t + Δt) − v(t)ΔtΔs= limΔt→ ΔtΔv= limΔt→ Δt(1.1)(1.2)v = konstant und s = v ⋅ t (1.3)


1. <strong>Mechanik</strong> des MassenpunktsGleichmäßig beschleunigte Bewegunga = konst; v = v + a ⋅ t; s = v ⋅ t + 1 2 a ⋅ t (1.4)Bei geradlinigen Bewegungen kann man auch mit Skalaren rechnen, dann vereinbarenwir, dass eine Bewegung in Richtung der Koordinatenachse positiv und eine Bewegungin die Gegenrichtung negativ gezählt wird.Beispiel Bremsvorgang Bremsvorgänge sind »ganz gewöhnliche« beschleunigte Bewegungenlängs einer Geraden. Nur haben hier die Vektoren v und a verschiedene Vorzeichen.Es gelten also bei als gleichmäßig angenommener Verzögerung a die Gleichungen:v = v − ats = v t − 1 2 at1.1.2. Zusammensetzung von BewegungenWeg-, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektoren addieren (überlagern) sich nachden Regeln der Vektoraddition. (»Kräfteparallelogramm«). Dies ist das sogenannte Superpositionsprinzip.cycbbb yaaxθθb xAbb. 1.2 VektoradditionAbb. 1.3 Vektoraddition in KoordinatenIn der Abb. 1.2 wird ist die Addition von Vektoren mit dem »Kräfteparallelogramm«gezeigt. Zur Berechnung der Länge des resultierenden Vektors c = a + b und des Winkelszwischen a und c könnte man trigonometrische Verfahren verwenden, z. B. denKosinussatz und den Sinussatz.Für die praktische Rechnung ist es allerdings meist günstiger, ein passendes (rechtwinkliges)Koordinatensystem zu benützen, so wie dies in der Abb. 1.3 gezeigt ist. Hierhat man die x-Achse willkürlich (aber geschickt!) in Richtung von a gelegt. θ ist der Winkelden b mit der x-Achse (und damit mit a) einschließt. In diesem Koordinatensystemhat nun a die Koordinaten a x = a und a y = 0 und für b gilt:b x = b cos θ und b y = b sin θ8


1.2. Dynamika und b sind dabei die Beträge der Vektoren. Wesentlich bei der Berechnung ist, dass sichdie Koordinaten der Vektoren addieren, dass also die Koordinaten von c alsberechnet werden.c x = a x + b x und c y = a y + b y1.1.3. WurfbewegungenWürfe stellen einen Spezialfall des Superpositionsprinzips dar. Bei allen Würfen erfolgtdie Beschleunigung allein durch die Schwerkraft. Die Anfangsgeschwindigkeit ist v .Man unterscheidet:• Senkrechter Wurf: Die Bewegung erfolgt allein in Richtung der Schwerkraft also vertikal.Es gibt senkrechte Würfe nach oben und nach unten. Da hier nur eine Richtungvorkommt, gelten die Formeln (1.4) der gleichmäßig beschleunigten Bewegungin skalarer Form. Die Beschleunigung a ist dabei gleich der Fallbeschleunigungg ≈ 9, 8 / . Beim Wurf nach oben haben v und a verschiedene Vorzeichen.• Waagrechter Wurf: (vgl. Abb. 1.4) Die Anfangsgeschwindigkeit ist in horizontalerRichtung, also senkrecht zur Richtung der Schwerkraft. Dabei gelten die Formeln:x = v t y = 1 2 gt v x = v v y = gt (1.5)• Schiefer Wurf: (vgl. Abb. 1.5). Dies ist der allgemeine Fall. Die Anfangsgeschwindigkeitv kann eine beliebige Richtung haben. Mit den Bezeichnungen von Abb. 1.5gelten die folgenden Gleichungen:x = v t cos α y = v t sin α − 1 2 gtv x = v cos α v y = v sin α − gt (1.6)Die Wurfbahnen erhält man, indem man aus den Parameterdarstellungen (1.5) bzw.(1.6) die Zeit t eliminiert. Im Falle des schiefen Wurfs erhält man z. B.gx y = x ⋅ tan α −2v cos α(1.7)1.2. DynamikDie Dynamik untersucht die Bewegung der Körper unter dem Einfluss von Kräften. AlsGrundlage dienen die Newtonschen Axiome:1. Trägheitsgesetz: Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigenBewegung, solange keine Kraft auf ihn wirkt.9


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunktsv 0xyv 0 sinαv 0yAbb. 1.4 Waagrechter Wurfv 0 cosαAbb. 1.5 schiefer Wurfx2. Newtonsches Grundgesetz: Die Änderung der Bewegung ist der einwirkendenKraft proportional.d(m ⋅ v)F = = dp(1.8)dt dtFür konstante Massen ergibt sich demnach:F = m ⋅ dvdt= m ⋅ a3. Wechselwirkungsgesetz: Kräfte treten immer paarweise als Wechselwirkungskräfteauf, die an verschiedenen Körpern angreifen: sie sind gleich groß, aberentgegengesetzt gerichtet.1.2.1. spezielle Kräfte1. Gravitationskraft:Newtonsches Gravitationsgesetz:M ⋅ mF = G (1.9)r dabei ist:M: Masse des felderzeugenden Körpersm : Masse des Körpers, auf den das Gravitationsfeld von M wirktG : Gravitationskonstante G = 6, 67 ⋅ 10 − ⋅ / Speziell: Masse und Radius der Erde: M = 5, 97 ⋅ 10 kg, R = 6370 kmDaraus ergibt sich für die Fallbeschleunigung g auf der Erdoberfläche und für dieGewichtskraft F G :g ≈ 9.81 / und F G = m ⋅ g10


1.2. Dynamik2. Elastische Kraft:Bei einem stabförmigen Körper verursacht eine Zug- oder Druckkraft ein LängenänderungΔl. Mit den folgenden Bezeichnungenl : Stablänge ohne KraftwirkungΔl: Längenänderung durch die Kraftwirkungε : Dehnung = Δl/l = relative LängenänderungA : QuerschnittsflächeF : Kraftσ : Spannung = F/AE : Elastizitätsmodulgilt dann das Hookesche GesetzF Δl= E ⋅A l⇔ σ = E ⋅ ε (1.10)Spannung und Dehnung sind zueinander proportional.Aus (1.10) folgt auch F ∼ Δl.Bei Federn schreibt man das Hookesche-Gesetz in der FormF = D ⋅ sDabei bezeichnet man D als Richtgröße, Federstarre oder Federsteifigkeit. s ist diedurch die Kraft F bewirkte Längenänderung.3. Reibungskräftea) zwischen Festkörpern:Hier wirken die Reibungskräfte immer parallel zur Berührungsfläche undsind der Bewegung entgegengerichtet. Es gilt die Näherungsformel:mit den Bezeichnungen:F R = μ ⋅ F N (1.11)F R : Reibungskraftμ : Reibungskoeffizient (hängt vom Material ab)F N : Normalkraft, das ist die Kraft, mit der die reibendenKörper aneinander gedrückt werden.• Haftreibung tritt auf, wenn der Körper auf seiner Unterlage ruht und inBewegung gesetzt werden soll.• Gleitreibung tritt dann auf, wenn sich die Körper gegeneinander bewegen.Es ist μ g < μ h .• Rollreibung tritt auf, wenn der Körper auf seiner Unterlage rollt. Es istμ r ≪ μ g11


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunktsb) in Gasen und Flüssigkeiten:Wenn sich ein Körper mit nicht zu hoher Geschwindigkeit durch ein Gasoder eine Flüssigkeit bewegt (laminare Strömungsverhältnisse), erfährt er eineReibungskraft, die proportional zur Geschwindigkeit v und der Viskosität η(=innere Reibung) der Flüssigkeit ist:F R = K ⋅ η ⋅ vDer Proportionalitätsfaktor hängt von der Form des Körpers ab.Für eine Kugel vom Radius r gilt das Stokessche Gesetz:F R = 6π ⋅ η ⋅ r ⋅ v (1.12)Für höhere Geschwindigkeiten (also turbulente Strömungsverhältnisse) wirddie Reibungskraft zu v proportional.F R = 1 2 c w ⋅ ρ ⋅ A ⋅ v (1.13)Dabei bedeuten:c w : Widerstandsbeiwert (abh. von der Form des Körpers)A: größter der Strömung entgegenstehender Körperquerschnittρ : Dichte des Gases bzw. der Flüssigkeit4. Trägheitskräfte:Trägheitskräfte treten in beschleunigten Bezugssystemen auf: Für einen außenstehendenBeobachter werden die Insassen einer Rakete, die bisher im freien Fall war,nun aber ihren Antrieb zündet, mit der Rakete beschleunigt. Auf die Insassen wirktalso die beschleunigende Kraft F = ma, die vom Raketenantrieb erzeugt wird.Die Insassen empfinden diesen Vorgang so, als ob sie plötzlich wieder der Schwerkraftausgesetzt wären. Körper, die vorher schwerelos in der Kabine herumschwebten,fallen nun wieder zu Boden. Sie erklären sich dies durch das Auftreten einerKraft, eben der Trägheitskraft.Prinzipiell lassen sich alle Aufgaben ohne die Einführung von Trägheitskräftenbearbeiten, indem man ein Inertialsystem als Bezugssystem wählt, also ein System, indem das Trägheitsgesetz gilt. Dennoch ist es manchmal der Anschauung zuträglich,ein beschleunigtes Bezugssystem zu wählen.1.2.2. Beispiel: Bewegung auf der schiefen EbeneIn der Abb. 1.6 ist ein Schrägaufzug gezeichnet. Es soll die Beschleunigung mit der sichdas System bewegt und die Kraft im Seil berechnet werden. Der Winkel der schiefenEbene gegen die Horizontale sei α.Solche Aufgaben mit mehreren Körpern löst man immer auf analoge Weise: Manbetrachtet für jeden der beteiligten Körper die angreifenden Kräfte in einem passendgewählten Koordinatensystem.12


1.2. DynamikyF Nm 1F SF Sm 2xαm 2 gm 1 gAbb. 1.6 SchrägaufzugDie Masse m bewegt sich nur in vertikaler Richtung, deshalb sind hier keine zweiAchsen nötig. Wir wählen eine Achse, die nach unten zeigen möge.Dann gilt für diesen Körper nach dem Newtonschen Grundgesetz »Summe der angreifendenKräfte = Masse mal Beschleunigung«:m g − F S = m a(⋆)Für die Masse m wählt man die x-Achse parallel zur Ebene nach rechts oben. An m greifen die folgenden Kräfte an: 1. die Schwerkraft, 2. die Normalkraft, die die Unterlageauf m ausübt und 3. die Seilkraft, die nach schräg oben wirkt. Wir schreiben nun dasNewtonsche Grundgesetz für jede Achsenrichtung an:x: F S − m g sin α = m a y: F N − m g cos α = 0Man beachte, dass Unterlagen immer eine Normalkraft auf den Körper ausüben, undweiter, dass der Winkel zwischen m g und der negativen y-Achse wieder α ist. DieZerlegung der Kraftvektoren erfolgt wie in Abb. 1.3.Nun hat man drei Gleichungen für die drei Unbekannten a, F N und F S , damit ist dasProblem gelöst. Aus (⋆) folgt z. B. F S = m g−m a, dies in die Gleichung für die x-Richtungliefert m g − m g sin α = m a + m a, alsoa = m − m sin αm + m g ⇒mF S = m g − m − m sin α g = m m g(1 − sin α)m + m m + m Ist m < m sin α, so wird a negativ, also m hochgezogen, eine Änderung des Ansatzesist nicht nötig.Man beachte auch, dass die Lösung lange nicht so einfach ist, wenn man die Achsenanders wählt, z. B. horizontal und vertikal. Dann müsste man mit den Unbekannten a x , a y ,F Nx , F Ny , F Sx und F Sy arbeiten und weitere Beziehungen, wie a x + a y = a berücksichtigen.13


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts1.3. RotationsdynamikBei Rotationsbewegungen betrachtet man die Größen Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung(englisch: angular velocity bzw. angular acceleration). Eine Rotationsbewegungist immer eine beschleunigte Bewegung, da sich der Geschwindigkeitsvektor inder Zeit ändert.Die Winkelgeschwindigkeit ω ist der Winkel (im Bogenmaß gemessen), der in der Zeiteinheitüberstrichen wird, und die Winkelbeschleunigung α ist die Änderung der Winkelgeschwindigkeitin der Zeiteinheit, alsoω = ΔφΔtundα = ΔωΔt(1.14)1.3.1. Gleichförmige KreisbewegungHier ist die Winkelgeschwindigkeit konstant, der Betrag des Geschwindigkeitsvektorsbleibt konstant, er ändert nur seine Richtung. Es gelten die Beziehungen:v = ω ⋅ r φ = ω ⋅ t α = 0 (1.15)Zwischen den Vektoren v, ω und r besteht der Zusammenhang:v = ω × r (1.16)Dabei zeigt ω in Richtung der Drehachse, und zwar gemäß der Rechte-Faust-Regel, d. h.in Richtung des Daumens, wenn die Finger der Kreisbewegung folgen.1.3.2. Gleichmäßig beschleunigte KreisbewegungHier ist die Winkelbeschleunigung konstant, somit gilt in Analogie zur Bewegung aufeiner Geraden:α = konstant ω = α ⋅ t φ = 1 2 αt (1.17)1.3.3. Allgemeine RotationsbewegungHier gilt:ω = ω(t) α = α(t) α = dωdt = d φdt Die Änderung der Geschwindigkeit Δv kann man in zwei Komponenten zerlegen, einein tangentialer Richtung Δv t und eine in radialer Richtung Δv r . Ihre Änderungen in derZeiteinheit sind die Tangentialbeschleunigung a t und die Radialbeschleunigung a rÄndert sich nur die Richtung der Geschwindigkeit, so liegt eine gleichförmige Bewegungauf gekrümmter Bahn vor. In diesem Fall ist a t = 0 und Δv steht auf v immersenkrecht.Ist |a r | konstant so liegt eine Kreisbewegung vor.14


1.3. Rotationsdynamik1.3.4. Radialbeschleunigung bei gleichf. KreisbewegungEin Massenpunkt läuft mit konstanter Winkelgeschwindigkeit auf einer Kreisbahn mitRadius r und Mittelpunkt im Koordinatenursprung. Dann ist der Ort r des Massenpunktsfestgelegt durch die Koordinaten x = r ⋅ cos ωt und y = r ⋅ sin ωt. Wir berechnenGeschwindigkeit und Beschleunigung durch koordinatenweises Ableiten nach t:r cos ωtr = r sin ωt −rω sin ωt⇒ v = rω cos ωt ⇒ a = −rω cos ωt−rω sin ωt = −ω rHieraus erkennt man, dass a immer auf den Kreismittelpunkt gerichtet ist. Weiter folgt:r cos ωtr ⋅ v = r sin ωt −rω sin ωt⋅ rω cos ωt = 0 ⇒ r ⟂ vFür den Betrag der Geschwindigkeit folgt erwartungsgemäß:v = v x + v y = r ω (sin ωt + cos ωt) = r ω Somit gelten bei der gleichförmigen Kreisbewegung die Beziehungen:v = rωa r = ω r = vr(1.18)Die Kraft, die die Radialbeschleunigung erzeugt, nennt man Zentripetalkraft, für sie giltF Zp = m ⋅ a r = mvr= mω r = 4π mrT (1.19)Dabei ist T = 2π/ω die Umlaufzeit des Körpers auf seiner Kreisbahn.Die Zentripetalkraft muss durch äußere Kräfte aufgebracht werden z. B. durch dieGravitation bei der Bewegung von Planeten, Monden oder Satelliten oder durch Reibungskräfteauf einem Karussell.1.3.5. Trägheitskräfte bei RotationsbewegungenIn rotierenden (also beschleunigten) Bezugssystemen treten zwei Arten von Trägheitskräftenauf, dies sind die Zentrifugalkraft und die Corioliskraft.Ein mitkreisender Beobachter fühlt sich nach außen gezogen. Er spürt die ZentrifugalkraftF Zf , deren Ursache seine Trägheit ist. Diese ist betragsmäßig gleich der Zentripetalkraft.Vom Zentrum einer mit ω rotierenden Scheibe schießt man eine Kugel radial mit derGeschwindigkeit v ab.15


1. <strong>Mechanik</strong> des MassenpunktsrotierendBAruhendIm ruhenden System bewegt sich die Kugel aufeiner Geraden zum Punkt B. Es ist r = vt. Fürden bewegten Beobachter hat sich die Kugelnach A bewegt. Sie beschreibt also keine geradeBahn. Dies schreibt er der Wirkung einerKraft zu, die den Körper quer zur Bewegungsrichtungablenkt. Es ist AB = ωrt = ωvt . Unterder Annahme einer konstanten Kraft ist dieAuslenkung wie bei einer gleichmäßig beschleunigtenBewegung, also AB = at . Daraus folgta = 2mωv. Dies ist die Coriolisbeschleunigung.Mittels komplexer Zahlen kann man alle diese Beziehungen recht einfach allgemeinherleiten: Es sei z = x + iy der Ort im rotierenden Koordinatensystem und z ′ = x ′ + iy ′der Ort im ruhenden System. Beide Koordinatensysteme haben ihren Ursprung in derScheibenmitte, zur Zeit t = 0 fallen die Achsen zusammen. Dann ist der Ort im ruhendenSystem zur Zeit t, in der sich die Scheibe um den Winkel φ(t) weitergedreht hat gegebendurch: z ′ = e φ(t) zLeitet man diese Beziehung zweimal nach der Zeit ab, so folgt mit Produktregel:dz ′dt = e φ dzdt + i dφdt z ⇒ d z ′dt = e φ ⎛ ⎜⎝d zdtdφ+ 2i dtdzdt − dφ dt z + i d φdt z⎞ ⎟⎠Schreiben wir wieder v, a, ω und α, dann gilta ′ = e φ a + 2iωv − ω z + izα ⇒ a = a ′ e −φ − 2iωv + ω z − iαzDie Kräfte im rotierenden System ergeben sich aus dem Newtonschen Grundgesetz:F = ma. a ′ ist die Beschleunigung relativ zum ruhenden System. Im rotierenden Systemändert sie ihre Richtung aufgrund der Rotation, somit ist der erste Term ma ′ e −iφ die imrotierenden System gemessene Kraft F. Man kann also schreiben:ma = F − 2imωv + mω z − imαzDer Summand −2imωv ist um den Winkel 90° im Uhrzeigersinn gegen v gedreht, diesist die Coriolis-Kraft, die eine Ablenkung quer zur Bewegungsrichtung liefert; der Summandmω z zeigt radial nach außen, dies ist die Zentrifugalkraft; schließlich zeigt −imαzwieder senkrecht zur radialen Richtung, diese Kraft wird verursacht durch die Winkelbeschleunigungder Scheibe. Da hier nur rechte Winkel für die Richtungen auftreten,kann man diese Größen auch in vektorieller Form mit dem Vektorprodukt darstellen:16


̈̇̇̇̇1.4. Die ErhaltungssätzeF Zf = −mω × (ω × r) F Cor = −2mω × v F α = −mα × r (1.20)Diese Beziehungen kann man auch direkt vektoriell bestimmen. Wir betrachten einruhendes Koordinatensystem mit den Einheitsvektoren e x , e y , e z . Daneben betrachtenwir ein zweites, gegen dieses beschleunigtes System mit den Einheitvektoren b x , b y , b z .Der Vektor s(t) zeige vom Ursprung des e k -Systems zum Ursprung des b k -Systems. Einbeliebiger Raumpunkt habe im ruhenden System den Ortsvektor r mit den Koordinatenx k und im beschleunigten System den Ortsvektor r ′ mit den Koordinaten ξ k . Dann giltersichtlich:r = s + r ′Diese Gleichung leiten wir nun zweimal ab, um die Beschleunigungen zu bekommen.Dabei nehmen wir an, dass das beschleunigte System mit der Winkelgeschwindigkeit ωgegen das ruhende System rotiere, dann gilt also b ̇ k = ω × b k . Dann hat man:r ̇ = s ̇ + ξ k b k + k=k=ξ k ̇ b k = ̇s + ξ k b k + ξ k (ω × b k )Und nochmal abgeleitet unter Beachtung von ̇ b k = ω × b k :r ̈ = s ̈ + ξ k b k + 2 ξ k (ω × b k ) + ξ k ( ω ̇ × b k ) + ξ k (ω × (ω × b k ))k=k=k=a = s ̈ + a ′ + 2ω × v ′ + ω × r ′ + ω × (ω × r ′ )In der letzten Gleichung sind die gestrichenen Größen die Beschleunigung a ′ = ∑ ξ̈k b k ,die Relativgeschwindigkeit v ′ = ∑ ξ̇k b k und der Ortsvektor r ′ = ∑ ξ k b k bezogen auf dasbeschleunigte System. Die Auflösung nach a ′ ergibt dann nach Multiplikation mit m dieKräfte:ma ′ =ma −⏟äußere Kraftms̈⏟d’Alembert-Kraftk=− 2mω × v ′⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟Corioliskraftk=k=− mω × (ω × r ′ )⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟Zentrifugalkraft− mω ̇ × r ′⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟Winkelbeschl.Typische äußere Kräfte sind Gravitation, elektrische und magnetische Felder, usw.Die d'Alembert-Kraft ist die durch die Translationsbeschleunigung hervorgerufeneTrägheitskraft. Damit haben wir wieder die Formeln von Gl. (1.20).1.4. Die ErhaltungssätzeIn der <strong>Mechanik</strong> hat man drei Erhaltungsgrößen: die Energie, den Impuls und den Drehimpuls.Erhaltungsgrößen zeigen ein »mengenartiges« Verhalten, d. h. steigt irgendwoder Wert einer Erhaltungsgröße, so muss er an einer anderen Stelle um denselben Wertsinken.Man sagt, die Erhaltungsgrößen können weder erzeugt noch vernichtet werden, ihre»Gesamtmenge« ist unverändert.17


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts1.4.1. Arbeit und EnergieDie Definition der Arbeit ist »Kraft mal Weg«, wobei nur die Kraftkomponente in Wegrichtungzur Arbeit beiträgt. Im Falle konstanter bzw. mit dem Ort veränderlicher Krafterhält man so für die Arbeit W die Definitionsgleichungen:W = F ⋅ s = F s ⋅ s = F ⋅ s ⋅ cos ∢(F, s) bzw. W = BF(s) ⋅ ds (1.21)Zu jeder Art von Kraft gibt es eine Arbeitsform:KraftArbeitsformGewichtskraft F = mg Hubarbeit W H = mg ⋅ ΔhFederkraft F = Ds Spannarbeit W S = DsReibungskraft F = μF N Reibungsarbeit W R = F R ⋅ sZur Herleitung der Gleichung für die Spannarbeit:W S = sD ⋅ x ⋅ dx = DsA1.4.1.1. Kinetische Energie:Schreibt man das Newtonsche Grundgesetz an und integriert beide <strong>Seite</strong>n über dx, dannergibt sich:W = BF(x) dx = Bmadx = BAAAm dvdtdx = B mv dv = A m(v B − v A )Die GrößeE kin = m ⋅ v (1.22)nennt man kinetische Energie, und es gilt somit:Änderung der Kinetischen Energie = Arbeit W = ΔE kin (1.23)Manchmal nennt man diese Größe auch Beschleunigungsarbeit, da es die Arbeit ist, dieman braucht, um einen Körper auf die Geschwindigkeit v zu bringen. Trotzdem spielt diekinetische Energie eine andere Rolle, als etwa die Hubarbeit, denn ihrer Formel liegt keineKraft zugrunde, sondern sie gibt nur an, wie groß die von einer Kraft aufzuwendendeArbeit sein muss, um die verlangte Geschwindigkeit zu erreichen. Das ist vergleichbar mitder Rolle der Zentripetalkraft, sie ist eigentlich auch keine Kraft; die Formel F Z = mω rgibt nur an, welche Kraft nötig ist, um einen Körper auf einer Kreisbahn zu halten; woherdann diese reale Kraft tatsächlich kommt, ob von der Gravitation, einem Seil oder einemMagnetfeld ist dabei gleichgültig.18


1.4. Die Erhaltungssätze1.4.1.2. Potentielle EnergieBetrachtet man die verschiedenen Kräfte, so stellt man fest, dass es zwei große Klassengibt: Bei der einen ist die Arbeit unabhängig vom Weg, längs dem sie verrichtet wurde, siehängt nur vom Anfangs- und Endpunkt des Wegs ab. Dazu gehören die Schwerkraft mitder Hubarbeit, die Spannkraft mit der Spannungsarbeit. Die andere Klasse liefert vomWeg abhängige Kräfte, bekanntestes Beispiel ist die Reibungskraft mit der Reibungsarbeit,schiebt man eine Kiste gegen die Reibung von A nach B und wieder zurück, dann ist diegesamte Arbeit keineswegs Null, wie dies etwa beim Heben der Kiste auf die Höhe hund anschließendem Absenken auf den Boden der Fall ist.Kräfte, deren Arbeit vom Weg unabhängig ist, nennt man konservative Kräfte. Ihnenkann man eine potentielle Energie zuordnen.Eine potentielle Energie hängt nur vom Ort ab. Man wählt ein sogenanntes Nullniveauund bezeichnet die Arbeit, die frei wird, wenn man den Körper vom Ort P aufs Nullniveaubringt, als die potentielle Energie am Ort P.Zur Hubarbeit gehört somit die Lageenergie (jede Höhe kann als Nullniveau verwendetwerden), zur Spannarbeit die Spannenergie (die Auslenkung s = 0 ist hier das Nullniveau).Es gibt aber keine Reibungsenergie.Folgende Beziehung definiert die potentielle Energie:ΔE pot = −W oder dE pot = −F dx ⇒ E pot = − PF(x) dx ⇒ F(x) = − dE potdx(1.24)Man beachte die hier getroffene Vorzeichenregelung: Etwa bei der Hubarbeit sind F =−mg und x = h entgegengerichtet, da die Schwerkraft nach »unten« die Höhe aber nach»oben« zeigt. Somit ist W(h) = −mgh negativ. Größere Höhe soll aber größere Lageenergiebedeuten. Daher das Minuszeichen, nun ist nämlich wie gewünscht E pot = +mgh ⩾ 01.4.1.3. EnergiesatzIn Gleichung (1.23) ist der Zusammenhang zwischen Arbeit und kinetischer Energieangegeben. Bei konservativen Kräften ist die Arbeit gerade die Änderung der potentiellenEnergie. Aus ΔE kin = W folgt ΔE kin = −ΔE pot oder ΔE kin + ΔE pot = 0.Das bedeutet, dass die Summe der Änderungen von kinetischer und potentiellerEnergie immer Null ist, sofern nur konservative Kräfte wirken. In diesem Fall ist also dieSumme von potentieller und kinetischer Energie konstant.Treten auch nichtkonservative Kräfte wie Reibung auf, dann kann W nicht zur Gänzeals ΔE pot geschrieben werden, sondern es bleibt ein Arbeitsanteil z. B. W R übrig. Indiesem Fall gilt: ΔE kin + ΔE pot = W R .Der Energiesatz besagt, dass Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann,dass also die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems unverändert ist. Durchdie Reibungsarbeit wird zwar mechanische Energie vernichtet, aber sie wirkt sich ineiner Erhöhung der inneren Energie des Systems, also der Energie der ungeordnetenMolekularbewegung aus. (Dies ist das Thema der Wärmelehre).19


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts1.4.2. LeistungDie Leistung P ist die in der Zeiteinheit verrichtete Arbeit, alsoP = W toderP = ΔWΔtoderP = dWdt⇒ P = F ⋅ v (1.25)Die ersten beiden Gleichungen geben die mittlere Leistung während der Zeit t bzw. Δtan, die beiden letzten die Momentanleistung. Die letzte Gleichung folgt aus dW = Fds,woraus die Beziehung nach Division mit dt wegen ds = v folgt.dtHieraus folgt z. B., dass die Leistung beim Fahren im Luftwiderstand wegen F ∼ v mit v wächst.1.4.3. Impuls und StößeDer Impuls (englisch: momentum) einer Masse m, die sich mit der Geschwindigkeit vbewegt, ist definiert als:p = m ⋅ v (1.26)Der Impuls ist ein Vektor, das macht ihn rechnerisch etwas komplizierter, einfacher ist dagegen,dass es keine verschiedenen Formen des Impulses gibt, der Impulserhaltungssatzgilt unverändert, ob Reibung oder nicht.Nimmt der Impuls eines Körpers zu, so muss ein anderer Körper dieselbe MengeImpuls verlieren. Da der Impuls ein Vektor ist, gilt diese Aussage für jede Koordinatenrichtung.1.4.3.1. voll elastischer gerader StoßDie Bewegung erfolge auf einer Geraden. Vor dem Stoß haben die Massen m und m die Geschwindigkeiten v und v und nach dem Stoß seien sie u und u . Ein Stoß heißtvoll elastisch, wenn die kinetische Energie beim Stoß erhalten bleibt, wenn also keineVerformung oder Reibung auftritt. Diesen Idealfall beobachtet man bei makroskopischenKörpern höchstens in guter Annäherung, er tritt aber bei Stößen mikroskopischer Teilchenwie Protonen durchaus auf.Die Summe der Impulse bzw. Energien istvor dem Stoß: p = m v + m v und E = m v + m v nach dem Stoß: p = m u + m u und E = m u + m u Daraus ergeben sich die Endgeschwindigkeiten: (Die Herleitung steht in nahezu jedemPhysikbuch)u = (m − m )v + 2m v m + m u = (m − m )v + 2m v m + m Etwas leichter zu merken ist die folgende Darstellung, bei der p den Gesamtimpuls vonoben und M = m + m die Gesamtmasse bezeichnet:u = 2p M − v und u = 2p M − v (1.27)20


1.4. Die Erhaltungssätze1.4.3.2. total unelastischer gerader StoßBeim total unelastischen Stoß bewegen sich die stoßenden Körper nach dem Stoß gemeinsamalso mit der gleichen Geschwindigkeit u weiter. Dabei werden die Körper i.a.verformt, d. h. mechanische Energie geht verloren, sie wird zur Verformung der Körperbenötigt.Es gilt dann der Impulssatz: p = m v + m v = (m + m )u = MuDaraus folgt:u = m v + m v m + m oder u = p M(1.28)1.4.3.3. Impulsänderung und KraftstoßDer Kraftstoß (englisch: Impulse, beachte die verschiedene Bedeutung in englisch unddeutsch!) ist definiert als FΔt. Multipliziert man das Newtonsche Grundgesetz F = mamit Δt, so folgt FΔt = maΔt = mΔv. Somit istImpulsänderung = KraftstoßDaraus folgt:dpdt = FDiese Beziehung gilt auch für veränderliche Massen, etwa bei Raketen und ist somit eineErweiterung der Formel F = ma. Newton hat sein Grundgesetz in dieser Form angegeben.Vergleiche (1.8).Dieses Gesetz ist analog zum Energiesatz: So, wie die Energie eines abgeschlossenenSystems nur durch Austausch von Arbeit (oder Wärme) geändert werden kann, so kannder Impuls eines abgeschlossenen Systems nur durch einen Kraftstoß geändert werden.1.4.3.4. RaketenEine im freien Raum befindliche Rakete stößt Verbrennungsgase mit der Geschwindigkeitc relativ zur Rakete (nach »hinten«) aus. Die in der Zeiteinheit ausgestoßene Gasmassesei μ. Die Masse der Rakete nimmt dadurch ab.Man betrachtet die Impulse zu den Zeitpunkten t und t + dt. Zur Zeit t ist die Masse mund die Rakete bewege sich mit der Geschwindigkeit v. Die Rakete hat also den ImpulsmvNach Ablauf der Zeit dt wurde die Gasmenge dm = −μdt < 0 ausgestoßen mit derGeschwindigkeit v − c relativ zum »Boden«, wenn man der Flugrichtung der Raketepositives Vorzeichen gibt. Die Raketenmasse ist dann nur noch m + dm. (dm < 0!) IhreGeschwindigkeit ist um dv gestiegen. Zur Zeit t + dt hat also die Rakete den Impuls(m + dm)(v + dv) und die ausgestoßene Gaswolke den Impuls −dm(v − c). (Die Vorzeichensind hier sehr sorgfältig zu beachten!)Da der Gesamtimpuls zu beiden Zeitpunkten gleich sein muss, folgt:mv = (m + dm)(v + dv) − dm(v − c) ⇒ −c dm = mdv + dv dm21


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts⇒ −c dm = m dvletzteres, weil dv dm als von zweiter Ordnung klein vernachlässigt werden kann. NachDivision mit dt und Beachtung von dm = −μdt folgt daraus sofort die erste Raketengleichung:cμ = m ⋅ aMan kann die letzte Gleichung von oben auch nach dv auflösen, dann bekommt mandurch Integrieren:Dies ist die zweite Raketengleichung.1.4.4. Drehimpulsdv = −c dm m ⇒ v − v = −c m dmm m = c ⋅ ln m mDer Drehimpuls (englisch: angular momentum) ist definiert alsL = r × p oder L = mr × v (1.29)Der Drehimpuls L bezüglich eines Punktes O ist also ein Vektor, der senkrecht zu der vonr und v aufgespannten Ebene steht. Bewegt sich m auf einer Kreisbahn mit MittelpunktO, so stehen r und v senkrecht aufeinander und L zeigt in Richtung der Drehachse. Dabeigiltv = ωr und L = mvr = mr ω und L = mr ω (1.30)Verläuft die Bewegung auf einer beliebigen Bahn in der Ebene, dann kann man v ineine radiale Komponente (v r ) und eine dazu senkrechte, die transversale Komponente(v θ ) zerlegen. Nur die transversale Komponente liefert einen Beitrag zum Drehimpuls.Vergleiche Abb. 1.7. Es gilt dort:1.4.4.1. DrehimpulsänderungL = mr ⋅ v θ mit v θ = r dθdtAus (1.29) und (1.8) folgt durch Ableiten:Dabei bezeichnetfolgtL = mr dθdt = mr ω(t)dLdt = dr dp dp× p + r × = r × = r × F = τ (1.31)dt dt dtτ = r × Fdas Drehmoment (englisch: torque). Es wird in älteren Büchern auch mit M oder Dbezeichnet. Siehe dazu auch Kapitel 2.In der Praxis berechnet man Drehmomente und Drehimpulse gern mit Hilfe einer»Wirkungslinie«. Beim Drehmoment betrachtet man etwa die Gerade, die durch »Verlängerung«des Kraftpfeils entsteht und den Abstand a des Drehpunkts von dieserWirkungslinie. Dann ist τ = Fa. Analog ist die Wirkungslinie beim Drehimpuls dieVerlängerung des Impulspfeils.22


1.5. Gravitation und PlanetenbewegungLOθa. mrθvrm.vθvvrAbb. 1.7 Drehimpulskomponenten in der Ebene1.4.4.2. DrehimpulserhaltungssatzDie Gleichung (1.31) zeigt, dass die Änderung des Drehimpulses von einem Drehmomentbewirkt wird. Greift kein Drehmoment an, so bleibt die Summe der Drehimpulsunverändert. Auch hier muss bei einer Erhöhung des Drehimpulses das Drehmomentirgendwo herkommen, also muss irgendwo anders Drehimpuls um denselben Wertvermindert werden.1.5. Gravitation und PlanetenbewegungZur Gravitationskraft vgl. Gleichung (1.9). Dieses Gesetz gilt zunächst nur für Punktmassenund wie man zeigen kann auch für kugelförmige Massen im Gebiet außerhalbder Kugeln.1.5.1. Die Keplerschen GesetzeMit den drei Keplerschen Gesetzen lassen sich die Bewegungen der Himmelskörper(auch künstlicher Satelliten) vorausberechnen. Vergleiche die Abb. 1.81.Keplersches Gesetz: Die Planetenbahnen sind Ellipsen, in deren einem Brennpunkt dieSonne steht.2.Keplersches Gesetz (Flächensatz): Der Fahrstrahl Sonne–Planet überstreicht in gleichenZeiten gleiche Flächen.23


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts3.Keplersches Gesetz: Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wiedie dritten Potenzen der großen Halbachsen:T T = a a (1.32)v 21r2PF M aBvr 1AAbb. 1.8 Die Kepler-Ellipse und der FlächensatzAnmerkungen: Wie die Rechnung zeigt, können sich Körper unter dem Einfluss derGravitation eines Zentralkörpers nicht nur auf Ellipsen, sondern auf beliebigen Kegelschnitten(also auch Parabeln und Hyperbeln) bewegen. Die Gesetze gelten in derselbenWeise auch z. B. für einen Planeten und seine Monde. Das zweite Keplersche Gesetzzeigt, dass auf einer Kreisbahn der Betrag der Geschwindigkeit konstant ist. Das dritteKeplersche Gesetz gilt in dieser Form nur dann exakt, wenn der Zentralkörper eine sehrviel größere Masse hat als die Planeten.Hinweise: In der Abb. 1.8 werden die schraffierten Flächen jeweils in der gleichen Zeitdurchlaufen. Die Strecke a ist die große Halbachse, im Punkt F steht der Zentralkörper.Die Punkte P und A heißen Perizentrum und Apozentrum. Bei der Sonne als Zentralkörperspricht man von Perihel und Aphel (lies: Ap-hel), bei der Erde von Perigäum und Apogäum,bei anderen Sternen von Periastron und Apastron. M ist der Mittelpunkt der Ellipse unddie Strecke MB nennt man die kleine Halbachse.Als Exzentrizität einer Ellipse bezeichnet man ε = MF/a.Betrachtet man sehr kleine Zeitabschnitte Δt, dann werden die Sektorflächen zu schmalen,dreieckigen Keilen und es folgt nach dem 2.Keplerschen Gesetz: r (v Δt) = r (v Δt) ⇒ r v = r v falls v i ⟂ r i (1.33)Die Gravitationskraft ist eine Zentralkraft, die Kraft wirkt immer längs der Verbindungslinievon Sonne und Planet. Damit ist nach Gleichung (1.31) das DrehmomentNull, also der Drehimpuls konstant. Genau das ist die Aussage des Flächensatzes. DieseFeststellung gilt für alle Zentralkräfte.24


1.5. Gravitation und Planetenbewegung1.5.2. Energie im GravitationsfeldDie Gravitationskraft ist eine konservative Kraft, die von ihr verrichtete Arbeit ist vomWeg unabhängig. Dies kann man formal sehen, wenn man den Weg in Komponenten inradialer und transversaler Richtung zerlegt. Nur die radialen Anteile tragen etwas zurArbeit bei. Somit existiert eine potentielle Energie des Gravitationsfelds, die allein vomAbstand von der felderzeugenden Masse abhängt. Beim Gravitationsfeld legt man dasNullniveau üblicherweise ins Unendliche, damit ergibt sich für die potentielle Energieeines Körpers der Masse m im Abstand r von der Masse M nach (1.24):E pot = −G r − Mm dx = −G Mm = m − GM∞ x r r (1.34)Hier ist auch wieder die Richtung von r und F entgegengesetzt. Den Ausdruckφ = − GM r(1.35)bezeichnet man als das Gravitationspotential der Felds der Masse M. Die potentielleEnergie des Gravitationsfelds ist eine Lageenergie. Da sie im Unendlichen den WertNull hat, muss sie bei Annäherung an die Zentralmasse abnehmen, dies tut sie, sie wirdnegativer. Bei dieser Wahl des Nullniveaus ist die Gravitationsenergie immer negativ.Das Feld komplizierterer Massenverteilungen lässt sich als Summe der Felder vonPunktmassen darstellen. Damit ergibt sich E pot (r) bzw. φ(r) durch Summierung (Integration)der Beiträge der einzelnen Massenelemente.Kugeln als Feldquelle: Eine kugelförmige Masse erzeugt in ihrem Äußeren dasselbe Feldwie eine punktförmige Masse gleicher Größe im Mittelpunkt der Kugel. (Eine Herleitungsteht z. B. in Halliday/Resnick [3].) Andererseits ist das Gravitationsfeld im Innern einerHohlkugel Null. Auf ein Teilchen im Innern einer Masse, etwa der Sonne, im Abstand rvom Mittelpunkt wirkt also nur die Anziehungskraft der inneren Kugel mit Radius r.Die Kräfte der äußeren Schichten heben sich alle gegenseitig auf.1.5.3. Bahngleichung im GravitationsfeldMit Vektorrechnung kann man die Bahn eines Körpers der Masse m unter dem Einflussder Zentralmasse M ≫ m berechnen: Nach dem Newtonschen Grundgesetz schreibtman:m d r= −GMmr ⇒ d r r= −GM (1.36)dt r dt r Multipliziert man diese Gleichung vektoriell mit r von links, so folgt durch einmaligesAufleiten:r × d r= −GMr × r = 0 ⇒ r × v = hdt r denn es gilt nach der Produktregel:ddtdr drr × =dt dt × drdt + r × d rdt = o + r × d r dt 25


1. <strong>Mechanik</strong> des MassenpunktsDies ist das zweite Keplersche Gesetz, also der Drehimpulserhaltungssatz, denn L = mhist der Drehimpuls.Multipliziert man die beiden Gleichungen vektoriell, dann ergibt sich:h × d r= −GM(r × v) × r = −GM(v(r ⋅ r) − r(r ⋅ v))dt r r Verwendet hat man den Entwicklungssatz für dreifache VektorprodukteMit der aus r = r folgenden Beziehung:ergibt sich:(a × b) × c = b(a ⋅ c) − a(b ⋅ c)2r ⋅ v = 2r drdt = drdt = drdt = 2rdr dth × d r= −GMdt r dr r − rdrdt dt = −GM d rdt rDurch Aufleiten folgt nun mit der Integrationskonstante −Ae (wo e ein Einheitsvektorsei, also e = 1) und anschließendem skalaren Multiplizieren mit r und Beachtung vonh = r × v und (h × v)r = h(v × r) = −h h × v = −GM r r − AeMit den Abkürzungen⇒ (h × v)r = −GMr − Ar cos φ ⇒p =hGMhGM = r(1 + A cos φ)GMund ε = AGMergibt sich durch Auflösen die Bahngleichung in Polarkoordinaten:pr =1 + ε cos φ(1.37)Dies ist das erste Keplersche Gesetz. Die Bahn ist ein Kegelschnitt.Für φ = 0 ist r minimal, das ist der Ort des Perizentrums. Für φ = π hat man maximalesr, das Apozentrum.Im Perizentrum kann die Bahn durch den Krümmungskreis des Kegelschnitts angenähertwerden. Der Krümmungskreis im Hauptscheitel eines Kegelschnitts hat immer denRadius p.Multipliziert man die Gleichung (1.36) mit r und integriert, dann bekommt man fürtdie Gesamtenergie12 mv = GMm + E oder E = 1 r2 mv − GMmr(1.38)26


1.5. Gravitation und PlanetenbewegungDie Gesamtenergie E ist die Summe von kinetischer und potentieller Energie.An der Stelle des Perihels ist die Entfernung vom Zentralkörper r p = p/(1 + ε) und dieGravitation hält den Körper auf der Krümmungskreisbahn mit Radius p. Die Zentripetalkraftmuss also gleich der Gravitation sein, alsomv p= GMmr p⇒ 1 2 mv = 1 GMmp2r p= GMmr p+ E ⇒ ε − 1 = 2pEGMmDamit haben wir den Zusammenhang der Bahngrößen p und ε mit den physikalischenGrößen M, h = L/m, und E hergestellt.Da ε ⩾ 0 sein muss und die Bahnform bestimmt, folgt, dass diese von der Gesamtenergiebestimmt ist, denn es gilt:E > 0 ε > 1 HyperbelbahnE = 0 ε = 1 ParabelbahnE < 0 ε < 1 EllipsenbahnEs bleibt noch das dritte Keplersche Gesetz zu zeigen: Nach dem zweiten KeplerschenGesetz gilt für die vom Fahrstrahl überstrichene FlächedA = r dφ = h 2 dtBerechnet man die Zeit für einen vollen Umlauf auf der Ellipse, dann folgt unter Verwendungder Formel für die Fläche einer Ellipse A = πab:T = dt = 2 h dA = 2 h A = 2 h πabNun gilt für die beiden Halbachsen a und b:Somit folgta = 1 2 p1 + ε + p1 − ε = pund b = a√1 − ε ⇒ b = ap1 − ε T = 4πh a b = 4πh a ap = 4πh a pErsetzt man noch p = h /GM, so bleibt schließlichT 4π=a GM(1.39)Dies ist das dritte Keplersche Gesetz.27


1. <strong>Mechanik</strong> des Massenpunkts1.5.3.1. Bewegung um gemeinsamen SchwerpunktIst m nicht vernachlässigbar klein gegen M, dann bewegen sich beide Massen um ihrengemeinsamen Schwerpunkt, in dem die Masse M + m vereinigt gedacht werden kann.Das soll nun näher betrachtet werden.Sei S der gemeinsame Schwerpunkt des Systems, r der Vektor von M nach m unds der Vektor von M nach S, dann gelten für die Bewegung von M und m nach demNewtonschen Grundgesetz bezüglich des Punktes S die Gleichungen:−M d s GMmr= und m d (r − s)= mdt r dt d rdt − d s dt = − GMmrr Ersetzt man mittels der ersten der beiden Gleichungen in der zweiten s, dann folgt:m d rdtr +Gmr = − GMmrr ⇒ m d r= −Gmr(M + m) ⇒dt r d r + m)r= −G(M (1.40)dt r diese Gleichung hat dieselbe Gestalt wie (1.36) nur tritt statt M hier M + m auf. Die ganzeobige Herleitung bleibt daher bis auf diese Änderung unverändert.Wenn wir noch die Energien betrachten, dann ist die kin. Energie im System desSchwerpunktes, wenn v , die Geschwindigkeiten von M und m sind:E kin = Mv + mv Weil aber für die Abstände r und r der Massen M und m vom Schwerpunkt gelten mussr r = v v = m Mundr + r = rfolgtr =mr und rM + m = MrM + mund für die Geschwindigkeit v der Masse m im System, in welchem M ruht:v v = r rundv v = r rDamit ist die kinetische Energie, wenn man die v i und r i mit obigen Gleichungen ersetzt:E kin = Mv r 2r + mv r = 1 mM2r 2 M + M v ≡ μv (1.41)wo μ hier die reduzierte Masse bezeichnet. Damit gilt nun auch (M + m)μ = Mm, womitsich potentielle Energie ergibt:E pot = − GMmrG(M + m)μ= −r(1.42)28


1.5. Gravitation und PlanetenbewegungDer Gesamtdrehimpuls L der Massen ist im SchwerpunktsystemL = Mr 1 × v + mr 2 × v m= M ⋅M + m r ×= μ ⋅ r × vmMv + m ⋅M + mM + m r ×Damit sind nun die folgenden beide Probleme gleichwertig:MM + m v• Die Massen M und m umlaufen ihren gemeinsamen Schwerpunkt (Schwerpunktsystem)• Ein Körper mit der reduzierten Masse μ = Mmder Masse M tot = M + m (Ruhsystem von M)M+mumläuft einen ruhenden KörperWir haben bisher alle Formeln für den Fall m ≪ M, also für eine ruhende ZentralmasseM hergeleitet und machen das auch weiterhin so. Die Übertragung auf den Fall nichtvernachlässigbar kleiner Masse m ist nun ganz leicht: Man ersetze in allen Formeln Mdurch die Gesamtmasse M + m und m durch die reduzierte Masse μ. In den meistenGleichungen taucht allerdings m gar nicht auf, was die Sache noch einfacher macht.1.5.3.2. BahngeschwindigkeitDie große Halbachse einer Ellipsenbahn ist das Mittel des Perihelabstands und desAphelabstands also a = (r p + r a )/2 = p/(1 − ε ) und somit r p = a(1 − ε). Betrachtet man dieGleichung (1.38) der Gesamtenergie, so kann man den Wert von E durch Einsetzen derWerte für das Perihel bestimmen:E = 1 2 mv p − GMm = 1 GMmp− GMmr p 2 r rp pErsetzt man hierin r p = p/(1 + ε) dann bekommt manDa der Energiesatz gilt, folgt:GMm2p ((1 + ε) − 2(1 + ε)) = GMm(−1 + ε )= − GMm2p2aE = 1 2 mv − GMmr= − GMm2a⇒ v = GM 2 r − 1 (1.43)aDie letzte Gleichung heißt Vis-Viva-Integral und erlaubt eine einfache Bestimmung derGeschwindigkeit des Planeten in Abhängigkeit von ihrem Abstand von der Sonne beieiner Ellipsenbahn.Bei einer Parabelbahn setze man a = ∞ und bei einer Hyperbelbahn ersetze man a durch−a. Bei einer Kreisbahn ist immer r = a und die Formel reduziert sich auf die Gleichheitvon Zentripetalkraft und Gravitation.29


1. <strong>Mechanik</strong> des MassenpunktsARBSrmMsaAbb. 1.9 Gezeitenwirkung1.5.4. GezeitenkräfteWir betrachten zwei Massen M und m mit den Radien R und r, die den Abstand avoneinander haben und sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt bewegen. Vgl. Abb. 1.9.Dabei sollen die beiden Körper nicht rotieren (wenn sie es doch tun, so ist das für dieGezeitenwirkung zunächst unerheblich), sie bewegen sich also um den gemeinsamenSchwerpunkt S so wie ein Blatt Papier, das man auf dem Tisch im Kreis herumführt, ohnees in sich zu drehen, also dass z.B. eine <strong>Seite</strong> des Blatts immer parallel zur Zimmerwandbleibt. Dann erkennt man, dass alle Punkte des Körpers M eine Kreisbewegung mitgleichem Radius ausführen, nämlich dem Radius s in Abb. 1.9.Nur die Mittelpunkte der Kreisbewegungen sind verschieden. Wir untersuchen dieGezeitenwirkung, die m auf M ausübt. Die Zentripetalkraft, um M auf der Kreisbahnzu halten, muss von der Gravitation aufgebracht werden, deshalb gilt für Kraft undBeschleunigung des Mittelpunkts von M:Mω s = GMma ⇒ ω s = Gma Für die Punkte A und B gilt analog für die BeschleunigungGm(a + R) undGm(a − R) Man sieht, dass in A die Anziehungskraft geringer als die benötigte Zentripetalkraft ist,dass also die Beschleunigung in A eine Restkomponente nach links besitzt.Analog ist in B die Anziehungskraft größer als die benötigte Zentripetalkraft, esverbleibt also eine Komponente nach rechts. Die Differenz zwischen den Kräften in A bzw.B und M versucht die Masse in »die Länge« zu ziehen, diese Gezeitenbeschleunigunghat die Größe:Gma − Gm(a + R) =Gm2GmRR(2a + R) ≈a (a + R) a Die letzte Näherung gilt, wenn man R ≪ a voraussetzt. So entstehen die beiden Flutbergeauf der Erde. Da sie rotiert, dreht sie sich unter den Flutbergen weg, so dass sie von derErde aus gesehen synchron mit dem Mond die Erde umlaufen.30


̃̃1.5. Gravitation und PlanetenbewegungMEPFEMφR ′RφF QRQR ′PFωΩ♈PiAbb. 1.10 Zur Bahnbestimmung. F ist der Ort der Sonne, M der Mittelpunkt der Ellipse bzw. Hyperbel und Pdas Perihel. R ist der momentane Ort des Planeten. Im rechten Bild sind die Ekliptik und die Bahnebene desPlaneten gezeichnet und die Winkel, welche die Lage der Bahnebene bestimmen. Das Bild links unten zeigt dieSituation bei Hyperbelbahnen.1.5.5. BahnortbestimmungIm rechten Bild sind die Kenngrößen für die Bestimmung der Bahn eingezeichnet. Dabeiist ♈ der Frühlingspunkt, von der aus in der Astronomie die Längengrade gezähltwerden. ist der aufsteigende und der absteigende Knoten, Ω die Länge des aufsteigendenKnoten, gemessen in der Ekliptikebene und schließlich ω die Länge des Perihels,gemessen in der Bahnebene. Zum Schluss benötigt man noch die Inklination i, das istdie Neigung der Bahn gegen die Ekliptik.Insgesamt braucht man zur vollständigen Bestimmung des Planetenorts 6 Zahlenangaben:drei für die Lage der Bahnellipse i, ω, Ω; zwei für die Form der Ellipse, z. B. aund ε und eine für die zeitliche Lage, etwa die Zeit des Periheldurchgangs T p . Bei einerParabelbahn ist ja a = ∞, deshalb braucht man bei ihr nur fünf Bahnelemente.Oft findet man bei der Angabe der Bahndaten statt ω die Größe ω = Ω + ω. Das isteine merkwürdige Winkelangabe, da ω Summe zweier nicht in einer Ebene liegendenWinkel ist.Um nun den Bahnort zu einer bestimmten Zeit t nach dem Periheldurchgang zubestimmen, wird der Flächensatz in der Form (vgl. nach Gleichung (1.36) und vor Gleichung(1.37)) r × r ̇ = h benützt. h ist hier die von r und ṙaufgespannte Parallelogramm-Fläche, diese ist in Polarkoordinaten gleich r dφ, da man r als Grundseite und rdφ als31


1. <strong>Mechanik</strong> des MassenpunktsHöhe verwenden kann. Damit ist hdt die vom Fahrstrahl im Zeitintervall dt überstricheneFläche. Weiter ergab sich oben, dass h = GMp ist. Diese Eigenschaften werdenwir im folgenden benützen.1.5.5.1. Bahnort bei EllipsenIm linken Bild der Abb.1.10 ist eine Bahnellipse gezeichnet und der Kreis, aus dem diesedurch Stauchung in der y-Richtung entstanden ist. Es soll der Ort des Planeten zu einerbestimmten Zeit t nach dem Periheldurchgang bestimmt werden. Dazu muss man denWinkel φ kennen, der in der Astronomie wahre Anomalie genannt wird. Anstatt diesendirekt berechnen zu wollen, benützt man den Hilfswinkel E, der exzentrische Anomaliegenannt wird. (Er ist der Mittelpunkt eines Kreises, dessen Zentrum nicht die Sonne, deralso »exzentrisch« ist.)Nach dem Flächensatz überstreicht ja der Fahrstrahl Sonne-Planet in gleichen Zeitengleiche Flächen. Deshalb berechnen wir mal die Fläche des Ellipsensegments FPR. Zunächstist die Fläche des Kreissegmentes MPR’, wenn man im Bogenmaß rechnet: a ⋅ E.Wir stauchen es auf das Ellipsensegment MPR, das gibt b a ⋅ a ⋅ E. Davon muss man nunnoch das Dreieck MFR abziehen, um das gewünschte zu bekommen. Damit ist nunFPR = b a ⋅ 1 2 a ⋅ E − MFr sin φ = abE − εab sin E (1.44) wobei r natürlich die Strecke FR ist. Andererseits ist auch MF = aε. Ist nun T die Umlaufszeitdes Planeten und t die Zeit seit dem Periheldurchgang, dann muss diese Flächegerade πabt/T sein. Daraus folgt die Keplersche Gleichung:E − ε sin E = 2π T⋅ t ≡ M (1.45)Man nennt M die mittlere Anomalie, das ist der Winkel, den der Planet überstreichenwürde, wenn er auf einer Kreisbahn mit konstanter Geschwindigkeit die Sonne umliefe.Die Keplersche Gleichung kann nicht geschlossen, sondern muss näherungsweisegelöst werden. Bei kleinen ε, wie sie bei den Planeten vorliegen, kann das einfacheIterationsverfahren des Typs x = g(x) verwendet werden, das bekanntlich konvergiert,falls in der Nähe der Lösung |g ′ (x)| < 1 ist. In diesem Falle ist g(E) = ε sin E − M, also|g ′ (E)| = |ε cos E| ⩽ ε < 1.Die mittlere Anomalie M kann über die Konstante h ausgedrückt werden, Es muss jain Gl.(1.44) FPR = ht gelten, damit ist wegen b = apabE − εab sin E = ht = √ GMp⋅ t ⇒ M = t √GMp GM= ⋅ t 2ab a Aus Abb.1.10 entnimmt man noch eine Beziehung: Es ista cos E = aε + r cos φ (1.46)32


̇1.5. Gravitation und PlanetenbewegungErsetzt man hier r mittels der Bahngleichung (1.37), dann bekommt man wegen p =a(1 − ε ):p cos φε + cos φa cos E = εa +⇒ cos E =1 + ε cos φ1 + ε cos φDamit kann man nun einen Zusammenhang zwischen E und φ herleiten. Bekanntlich istjatan φ 2 = 1 − cos φ1 + cos φwas man – so man es nicht in der Formelsammlung findet – über die Gleichheit cos 2α =cos α − sin α herleiten kann. Nun ist aber1 − cos E =(1 − ε)(1 − cos φ)1 + ε cos φund1 + cos E =(1 + ε)(1 + cos φ)1 + ε cos φDamit erhält man:tan φ 2 = 1 + ε 1 − ε tan E 2Aus der Bahngleichung r(1 + ε cos φ) = p = a(1 − ε ) und aus Gleichung (1.46) folgtrε cos φ = a − aε − r und rε cos φ = aε cos E − aε (1.47)und daraus sofort:r = a(1 − ε cos E) (1.48)Um also den Ort des Planeten zu einem gegebenen Zeitpunkt berechnen zu können,muss man die Lage der Bahn (s. o.) kennen, dann die Umlaufszeit und den Zeitpunkt desPeriheldurchgangs. Dann bestimmt man mit der Keplerschen Gleichung die exzentrischeAnomalie E und den Sonnenabstand r. Damit ist die Lage in ekliptikalen heliozentrischenKoordinaten bestimmt.1.5.5.2. Bahnort bei ParabelnFür die Parabel integrieren wir den Flächensatz direkt.h = r φ ⇒ ht = φ p dφ (1 + cos φ) In der zweiten Gleichung wurde für r die Bahngleichung mit ε = 1 (Parabel) eingesetzt.Um das Integral zu berechnen kann man die Standardsubstitution für gebrochenrationale Funktionen von trigonometrischen Funktionen machen, also setzt manu = tan φ 2⇒u = tan φ 2=1 − cos φ1 + cos φ⇒cos φ = 1 − u1 + u 33


1. <strong>Mechanik</strong> des MassenpunktsWeiter istdu = 1 12 cos φ dφ = (1 + tan φ) dφ = (1 + u ) dφDamit wird der Integrand:1 + cos φ = 1 + 1 − u1 + u = 21 + u ⇒dφ(1 + cos φ) = (1 + u ) duDamit hat man nunht = p φdφ(1 + cos φ) = p φφ=(1 + u ) du = p tan φ 2 + 1 3 tan φ 2 Mit h = GMp bekommt man schließlich mit dem Perihelabstand r p = p:tan φ 2 + 1 φ 3 tan 2 = 2 GM GM⋅ t = ⋅ t ≡ M (1.49)p 2r pDiese Gleichung heißt Barkersche Gleichung.Es liegt eine Gleichung dritten Grades intan(φ/2) vor, die eine reelle Lösung hat, die auf eine der folgenden Arten angegebenwerden kann (wo A = M gesetzt wurde):tan φ 2 = √√A + 1 + A − √√A + 1 − A=2tan 2 arctan √ tan arctan A (1.50)Die Gleichung gilt für positive M, für negative, also Zeiten vor dem Periheldurchgang,rechnet man mit dem Betrag und nimmt dann für φ das negative Vorzeichen. Für denAbstand von der Sonne bekommt man nun:pr =1 + cos φ = p1 + φ tan 2 = r p 1 + φ tan (1.51)2Die üblicherweise angegebene Bahngröße bei Parabeln ist nicht p, sondern der Perihelabstandr p = p.1.5.5.3. Bahnort bei HyperbelnBei Hyperbeln (vgl. Abb.1.10 links unten) gelten ja für die kartesischen Koordinateneines Punktes x = a cosh E und y = b sinh E. Damit bekommt man die Gleichungen:r cos φ = a cosh E − aε und r sin φ = b sinh EMit den Bezeichnungen von Abb.1.10 gilt damit bei Standardhyperbeln x − y = 1, sodass E gerade die Fläche des Stücks MPR ist ; eine Hyperbel mit den Halbachsen a und34


1.5. Gravitation und Planetenbewegungb entsteht daraus durch Streckung mit a in x-Richtung und mit b in y-Richtung, so dassdiese Fläche dann zu abE wird. Damit gilt für die von uns gesuchte Fläche des StücksPFR hier:PFR = MQR − FQR − MPR = ab cosh E sinh E − (a cosh E − aε)b sinh E − abE Somit istPFR = ab(ε sinh E − E) = ht = GMp ⋅ tWegen b = ap folgt wieder das Analogon zur Keplergleichung:ε sinh E − E =GMa ⋅ t ≡ M (1.52)Analog zur Ellipse haben wir wieder die Beziehungen (in der Skizze ist der Scheitellinks, also als Bahngleichung r(1 − ε cos φ) = p zu verwenden, auch ist bei Hyperbelnp = (ε − 1)a :a cosh E = aε + r cos φ ⇒ cosh E = ε + (ε − 1) cos φ1 − ε cos φWeiter gilt für Hyperbelfunktionen:=ε − cos φ1 − ε cos φ(1.53)tanh E2cosh E − 1 (ε − 1)(1 + cos φ)= =cosh E + 1 (ε + 1)(1 − cos φ)denn es ist:cosh E − 1 =(ε − 1)(1 + cos φ)1 − ε cos φundcosh E + 1 =(ε + 1)(1 − cos φ)1 − ε cos φDamit bekommt man fast dieselbe Gleichung wie bei Ellipsen:cot φ 2 = ε + 1 ε − 1 tanh E 2(1.54)Das passt, denn mit wachsendem E nimmt φ ab. Schließlich kann man auch noch dasAnalogon zu Gleichung (1.48) herleiten. Die Bahngleichung lautet ja nun r(1 − ε cos φ) =a(ε − 1) und aus Gleichung (1.53) folgt aε cosh E = aε + rε cos φ. Subtrahiert man diesebeiden Gleichungen, dann folgtr = a(ε cosh E − 1) (1.55)Das war wieder einmal ein schönes Beispiel für die große Analogie, die zwischenHyperbeln und Ellipsen herrscht, meistens muss man nur ein paar Vorzeichen ändern.35


2. Der starre KörperEin starrer Körper ist ein (idealisiertes) Gebilde, dessen Ausdehnung und Gestalt durchangreifende Kräfte nicht verändert werden kann. Insbesondere Rotationen eines starrenKörpers sind Gegenstand der Untersuchung. Vergleiche deshalb die bei der Rotationsbewegungin Abschnitt 1.3 eingeführten Größen Winkelgeschwindigkeit, Drehimpuls undDrehmoment.2.1. StatikDie Statik beschäftigt sich mit den starren Körper im Zustand der Ruhe und sucht dieBedingungen, unter denen die angreifenden Kräfte im Gleichgewicht sind.2.1.1. KräfteKräfte sind besondere Vektoren, sie haben nicht nur Betrag und Richtung, sondernauch einen Angriffspunkt, d. h. sie können nur entlang ihrer Wirkungslinie verschobenwerden.F 1F 2F 3F 4PFAbb. 2.1 Zusammensetzung von KräftenIn Abb. 2.1 ist die Zusammensetzung der Kräfte F , … , F zur resultierenden Kraft Fmit dem Kräftepolygon gezeigt. Alle Kräfte greifen an der Stelle P an, werden aber (nurzur Konstruktion) aneinandergehängt.Zur rechnerischen Behandlung ist es wieder besser ein geeignetes Koordinatensystem


2.1. Statikeinzuführen, dann gilt in jeder Koordinatenrichtung für die resultierende Kraft F:2.1.2. DrehmomentnF x = F i,x F y = F i,y F z = i=ni=Die Definition des Drehmoments ist Kraft mal Kraftarm, wobei man unter Kraftarm denAbstand der Drehachse von der Wirkungslinie der Kraft versteht.In Gleichungsform lautet die Definition:τ = r × F ⇒ τ = F ⋅ r ⋅ sin α (2.1)Das Drehmoment ist ein Vektor, seine Richtung erhält man aus der »Rechte-Faust-Regel«es zeigt in Richtung des Daumens, wenn die Finger der Drehbewegung folgen.Ein Körper befindet sich im Gleichgewicht, wenn die sowohl die Summe der angreifendenKräfte als auch die Summe der angreifenden Drehmomente Null ist, alsoni=F i,zn F i = oi=undn τ i = o (2.2)i=Handelt es sich um Drehungen nur um eine Achse, so kann man mit Skalaren rechnen,indem man z. B. eine Drehrichtung, etwa im Uhrzeigersinn als positiv nimmt.Beispiel:F WF NθαF RF GAbb. 2.2 Gleichgewicht einer LeiterEine Leiter der Länge L ist in Abb. 2.2 an eine glatte Wand (keine Reibung) gelehntund wird am Boden durch Reibung mit der Haftreibungszahl μ gehalten. Wie groß mussdie Haftreibungszahl mindestens sein, damit die Leiter nicht rutscht?37


2. Der starre KörperMan schreibt die Gleichgewichtsbedingungen für die Kräfte in x- und y-Richtung an.Die Wände üben auf die Leiter eine zu ihnen senkrechte Normalkraft aus:x ∶ F R − F W = 0 y ∶ F N − F G = 0Ebenso für das Drehmoment. Die Drehachse kann prinzipiell beliebig gewählt werden,aber praktisch geschickt ist es, sie so zu wählen, dass möglichst viele Drehmomente Nullwerden. Hier wählen den Auflagepunkt auf dem Boden.F G ⋅ L 2 cos α − F W ⋅ L sin α = 0 ⇒ F W = 1 2 F G cot αDamit ist auch F R = F G cot α und wegen F R ⩽ μF N = μF G ist schließlich μ ⩾ cot α.Die Kraft, die die Leiter auf den Boden ausübt ist nicht in Richtung der Leiter gerichtet,denn die Resultierende von F R und F N schließt mit der Vertikalen den Winkel θ ein,wobei tan θ = F R /F N = μ ist. Dies ist anders als bei einer durch ein Seil übertragenenKraft, diese wirkt immer in Richtung des Seils! Nehmen wir den Fall, dass μ = cot α ist,dann schneiden sich die Verlängerungen von F W , F G und der Resultierenden von F R undF N in einem Punkt. Denn die gestrichelte Linie schneidet die Verlängerung von F W imAbstand L sin α tan θ = Lμ sin α = L/2 cot α sin α = L/2 cos α vom Auflagepunkt auf demBoden. Dies ist aber die Entfernung des Mittelpunkts.2.1.3. Schwerpunkt (Massenmittelpunkt)zgm1gmx x x1 S 22gxAbb. 2.3 Zur Berechnung des DrehmomentsIm Schwerpunkt ist die Summe der angreifenden Drehmomente immer Null. ZurBerechnung geht man koordinatenweise vor, es giltm g(x S − x ) + ⋯ + m n g(x S − x n ) = 0 ⇒38


2.2. Bewegungsgleichung starrer Körperx S = m x + m x + ⋯ + m n x nm + m + ⋯ + m nEntsprechend für die anderen Koordinaten. Damit kann man die Vektorform dieserGleichungen angeben:⎛ n ⎞ n⎜ m i⎟ r S = m i r i (2.3)⎜⎝i=⎟⎠Unterstützt man den Körper im Schwerpunkt, dann bleibt er in jeder Lage im Gleichgewicht.Daher kann man den Schwerpunkt als Angriffspunkt des Körpergewichts wählen.i=2.2. Bewegungsgleichung starrer KörperDie allgemeine Bewegung eines starren Körpers setzt sich aus einer Translations- undeiner Rotationsbewegung zusammen.2.2.1. Winkelgeschwindigkeit und -BeschleunigungRotiert ein Körper um eine feste Achse, dann bewegt sich ein beliebiges Masseteilchendes Körpers auf einem Kreis mit Radius r und Winkelgeschwindigkeit v. Dabei hängtdie Geschwindigkeit des Teilchens vom Abstand r von der Drehachse ab. Es gilt diebekannte Beziehung v = ωr.Ist die Winkelgeschwindigkeit ω konstant, so liegt eine gleichförmige Kreisbewegungvor. Die Winkelgeschwindigkeit ist ein Vektor, zu ihrer Richtung vgl. den Abschnitt 1.3Äußere Kräfte bewirken eine Änderung der Winkelgeschwindigkeit, also eine Winkelbeschleunigungα = dωdtAnalog zu den verschiedenen Arten der Bewegung längs einer Geraden, definiert mandie Rotationsbewegungen eines starren Körpers um eine feste Achse:gleichförmige Rotation α = 0 ω = ω φ = ω ⋅ tgleichmäßig beschleunigte Rotation α = α ω = α ⋅ t φ = αt2.2.2. Bewegungsgleichung der TranslationDer starre Körper ist aus Masseelementen m , m , … , m n aufgebaut. An jedem Elementm i greifen innere Kräfte f i und äußere Kräfte F i an. Die Bewegungsgleichung für einMassenelement ist dann:m i a i = F i + f iZu jeder inneren Kraft gibt es aber nach dem Wechselwirkungsgesetz eine gleich große,entgegengesetzt gerichtete Kraft. Somit gilt für die Summe aller Kräfte und Beschleuni-39


2. Der starre Körpergungen:n m i a i = F i + i=ni=Die letzte Summe muss aber Null sein, weil sich alle inneren Kräfte gerade aufhebenmüssen. Führt man die Gesamtmasse M des Körpers ein, dann gilt:ni=f ini=m i a i = M ∑n i= m ia iM= Ma SDabei ist a s die Beschleunigung des Schwerpunkts. Somit gilt:Ma s = F⎛ n ⎞⎜ = F i⎟⎜ ⎟⎝i=⎠(2.4)2.2.3. Bewegungsgleichung der RotationRadωrFrAbb. 2.4 Drehung um eine feste AchseÄußere Kräfte erteilen dem starren Körper auch ein Drehmoment, sofern ihre Wirkungslinienicht durch den Schwerpunkt geht. In Abb. 2.4 soll die Kraft F konstant sein.Dann wird das Rad in eine gleichmäßig beschleunigte Rotationsbewegung versetzt.Beachte, dass der Ortsvektor r in dieser Abbildung nicht von der Radmitte, sondernvon einem beliebigen Punkt der Radachse ausgeht, trotzdem sind die Gleichungenv = ω × r und τ = r × Fweiterhin richtig.Der Abstand des Angriffspunkt der Kraft von der Drehachse ist mit r bezeichnet.40


2.2. Bewegungsgleichung starrer Körper2.2.4. RotationsenergieDas sich drehende Rad hat Energie gespeichert: das ist die kinetische Energie der Massenelemente.Die Energiezunahme ist gleich der von der angreifenden Kraft verrichtetenArbeit.Innerhalb der Zeit t verrichtet die Kraft die Arbeit:W = F s s = Frφ = Fr ⋅ 1 2 αtDie Rotationsenergie ist die Summe der kinetischen Energien der Massenelemente:n1E rot = 2 m iv =ii=Da E rot = W gilt, folgtni=12 m ir i ω = 1 n2 ω m i r = 1 ⎛ n ⎞⎜i m2 i r ⎟ α t i⎜ ⎟i=⎝i=⎠⎛ n ⎞nFr = ⎜ m i r ⎟ α ⇒ τ = Jα mit J =i m i r i⎜ ⎟⎝i=⎠i=Die Größe J heißt Trägheitsmoment (englisch: rotational inertia oder moment of inertia)des starren Körpers. Es hängt von der gewählten Drehachse ab. Es spielt für Rotationsbewegungendieselbe Rolle wie die Masse bei Translationsbewegungen. Das Symbol fürdas Trägheitsmoment ist nicht einheitlich: man findet J, I und Θ in der Literatur.Damit gelten nun die folgenden Grundbeziehungen:τ = Jα und E rot = 1 2 Jω (2.5)Durch die Einführung der Rotationsenergie kann man die kinetische Energie in einenAnteil der Translation mv s und einen Anteil der Rotation Jω aufspalten. Dies ist inder Energieerhaltung (vgl. Abschnitt1.4.1) zu berücksichtigen.2.2.5. DrehimpulsJedes Massenelement m i hat den Drehimpuls L i = r i m i v i = m i r ω, der GesamtdrehimpulsiL ist alsoL = L i = m i r i ω = m i r ω = JωiDiese Beziehung gilt nur bei festgehaltener Drehachse. Wird die Drehachse nicht festgehalten,dann ist die Richtung von L und ω i.a. nicht dieselbe.41


2. Der starre Körper2.2.6. Translation vs. RotationTranslationRotationGeschwindigkeit v Winkelgeschwindigkeit ωBeschleunigung a Winkelbeschleunigung αMasse m Trägheitsmoment J = mr Impuls p Drehimpuls LKraft F Drehmoment τkin. Energie E kin Rotationsenergie E rot2.2.7. Drehimpuls und DrehmomentWie der Impuls eines Systems durch einen Kraftstoß geändert werden kann, so wird derDrehimpuls eines Systems durch die Einwirkung eines Drehmoments während einesZeitraums Δt geändert. Da L = Jω ist kann man aus Gleichung (2.5) folgern:τ = Jα = J dωdt = dLdt(2.6)Diese Beziehung ist auch richtig, wenn die Richtungen von τ und L nicht parallel sind. DieÄnderung von L zeigt immer in Richtung von τ. Das bedeutet, dass der Drehimpulsvektorversucht, sich in Richtung des angreifenden Drehmoments zu stellen.τA∆ LmgLAbb. 2.5 Präzession eines Kreisels unter dem Einfluss der SchwerkraftIn der Abb. 2.5 ist die Bewegung eines Kreisels unter dem Einfluss der Schwerkraftgezeigt. Die Kreiselachse wird an der Stelle A unterstützt, das Gewicht des Kreiselsversucht die Achse nach unten zu kippen. Dadurch entsteht ein Drehmoment τ. Diesemist die Änderung des Drehimpulses ΔL parallel. Die Kreiselachse bewegt sich also nicht42


2.3. Berechnung von Trägheitsmomentennach unten, sondern nach hinten (na ja, nur so lange die Drehbewegung schnell genugist).Auch die Erdachse zeigt eine Präzessionsbewegung: Die Erde ist keine vollkommeneKugel, sondern ein Ellipsoid und die Erdachse ist gegenüber der Erdbahn geneigt, daherversucht die Anziehungskraft der Sonne die Erdachse aufzurichten. Diesem Versuchweicht die Achse durch eine Bewegung quer dazu aus. Dies führt zu einer Präzessionder Erdachse, deren Dauer etwa 26000 Jahre beträgt. Der Himmelsnordpol liegt nicht zuallen Zeiten beim Polarstern, sondern beschreibt einen Kreis mit 2 ⋅ 23, 5° am Himmelauf dessen Umfang der Polarstern liegt.Ein Kreiselkompass ist ein in allen Richtungen drehbar gelagerter Kreisel. Wegen derErhaltung des Drehimpulses zeigt seine Achse stets in dieselbe Richtung.2.3. Berechnung von TrägheitsmomentenDie Definition des Trägheitsmoments istnJ = m i r ⟶i r dmi=Die zweite Gleichung entsteht durch Grenzübergang, wenn man unendlich viele Massenelementezu betrachten hat, aus denen sich der Körper zusammensetzt.2.3.1. Steinerscher SatzDas Trägheitsmoment ist von der gewählten Drehachse abhängig. Der Steinersche Satzerlaubt die Berechnung des Trägheitsmoments bezüglich jeder parallelen Drehachse,wenn man ein Trägheitsmoment kennt. Er lautet:J A = J S + M ⋅ a (2.7)Dabei ist J A das Trägheitsmoment bez. einer Achse durch A und J S das Trägheitsmomentbez. einer parallelen Achse durch den Schwerpunkt. a ist der Abstand dieser Achsen.BeweisIn der Abb. 2.6 sollen die Achsen durch A und S senkrecht zur Zeichenebene stehen.Der Schwerpunkt S sei im Koordinatenursprung. Dann gilt:J A = r A dmJ S = r S dmr A = (a + x) + y y = r S − xJ A = (a + 2ax + r S ) dm = Ma + 2a x dm + J S43


2. Der starre Körperdmr Ar SyAaSxAbb. 2.6 zum Steinerschen SatzDer zweite Summand rechts ist nach Definition des Schwerpunkts 2aMx S = 0. Damit istder Steinersche Satz bewiesen.Bei flächenhaften Körpern (Scheiben) unterscheidet man zwischen dem »äquatorialen«und dem »polaren« Trägheitsmoment. Ersteres liegt vor, wenn die Achse in der Ebenedes Körpers liegt, letzteres, wenn die Achse senkrecht zur Scheibe steht.Steht die Scheibe in der x-y-Ebene, dann sind die Trägheitsmomente bez. der Achsengegeben durch (J z ist dann ein polares, J x und J y sind äquatoriale Trägheitsmomente):r = x + y ⇒J z = r dm = (x + y ) dm = x dm + y dm = J x + J y (2.8)2.3.2. Trägheitsmomente ausgewählter KörperIm Folgenden betrachten wir homogene Körper, das heißt die Dichte ρ der Körper sei anjeder Stelle gleich. Die Gesamtmasse ist jeweils M.2.3.2.1. Polares Trägheitsmoment eines ZylindersAchse ist Zylinderachse: Der Zylinder der Dicke h mit Radius R wird in konzentrischeRinge der Breite dr zerlegt. Dann ist dm = 2πrhρdr. SomitJ = r dm = 2πρh Rr dr = 1 2 MR (2.9)Achse auf dem Umfang:Dies wird mit dem Steinerschen Satz gelöst:J A = J S + Ma = MR + MR = MR2.3.2.2. Polares Trägheitsmoment eines HohlzylindersDer innere Radius ist R i und der äußere Radius ist R a . In Gleichung (2.9) muss man nurdie Integration statt von 0 bis R von R i bis R a erstrecken:J = 1 2 M(R a − R i ) (2.10)44


2.3. Berechnung von Trägheitsmomenten2.3.2.3. Äquatoriales Trägheitsmoment einer dünnen KreisscheibeDie Achse geht durch die Scheibenmitte:(2.8) J pol = 2J x und somit:Da aus Symmetriegründen J x = J y ist, gilt nachJ = 1 4 MR (2.11)Achse ist Tangente der Scheibe:Mit Steinerschem Satz:J A = J S + Ma = MR + MR = MRAchse hat Abstand a von Scheibenmitte:Mit Steinerschem Satz:J A = J S + Ma = 1 4 MR + Ma = M R4 + a 2.3.2.4. Trägheitsmoment einer KugelxrRdxAbb. 2.7 Zum Trägheitsmoment der KugelDie Achse gehe durch den Mittelpunkt. Wie in Abb. 2.7 wird die Kugel in Scheibensenkrecht zur Drehachse zerlegt. Gemäß (2.9) hat eine solche Scheibe das TrägheitsmomentdJ = 1 2 dMr mit dM = ρr π dx ⇒dJ = 1 2 πr dx = 1 2 πρ(R − x ) dx ⇒Somit giltJ = RdJ = πρ R(R − x ) dx = 4πR ρ 23−R5 RJ = MR (2.12)45


2. Der starre Körper2.3.2.5. Trägheitsmoment eines dünnen StabesAchse senkrecht zum Stab durch den Schwerpunkt: Ihre Querschnittsfläche sei A und dieLänge sei L. Der Stab wird in kleine Stücke der Dicke dx im Abstand x von der Achsezerlegt. Also dm = ρAdx. Es ist dann M = ρAL.Achse senkrecht zum Stab durch Stabende:J = x dm = ρA L/x dx = ML (2.13)−L/J A = J S + Ma = 112 ML + M L 2 ) = ML2.3.2.6. Polares Trägheitsmoment einer rechteckigen PlattedxbSxaAbb. 2.8 Zum Trägheitsmoment einer rechteckigen PlatteDie Achse gehe durch den Schwerpunkt der Platte. Sie wird gemäß Abb. 2.8 in rechteckigeStreifen zerlegt. Jeder solche Streifen hat bez. einer Achse durch seinen Schwerpunktnach (2.13) das Trägheitsmoment dm ⋅ b /12 mit der Masse dm = hbρdx = Mdx/(ab).Bezüglich einer dazu parallelen Achse durch den Schwerpunkt der Platte also nachSteinerdJ = 112 dm ⋅ b + dm ⋅ x = M ab12 + x dxJ = 2 M a a/ b 12 + x dx = M(a + b )⇒ J = Md mit d = a + b (2.14)2.3.3. Bestimmung des Trägheitsmoments über ÄhnlichkeitenLässt sich ein Körper in zu ihm ähnliche Teilkörper zerlegen, dann kann man mittels desSteinerschen Satzes sein Trägheitsmoment ohne Integration ermitteln.46


2.4. KreiselRechteckige Platte: Dazu macht man für das Trägheitsmoment den Ansatz: J = k ⋅ Mr und versucht die Konstante k zu bestimmen.Die rechteckige Platte von Abb. 2.8 kann man in vier Teilrechtecke mit den <strong>Seite</strong>n a/2und b/2 zerlegen. Mit dem Steinerschen Satz drückt man nun das Trägheitsmoment derPlatte durch die Trägheitsmomente der Teilplatten aus, dabei ist r mit r = (a/2) + (b/2) die Diagonale einer Teilplatte.J = 4 k ⋅ M 4 r 2 + M 4 ⋅ 116 (a + b )Setzt man beide Trägheitsmomente gleich, dann bekommt man k = und unter Beachtungvon d = 2r dann wieder J = Md .Kompliziertere Trägheitsmomente kann man mit Hilfe des Trägheitstensors berechnen.Siehe dazu den entsprechenden Abschnitt in [2].2.4. KreiselDieser Abschnitt ist mathematisch anspruchsvoller als die bisherigen. Es wird der Trägheitstensorund die Summenkonvention verwendet, vgl. dazu die Abschnitte in [2]. Fürdie Behandlung komplexerer Vektorausdrücke vgl. [1]. Ausführlichere Darstellungender Kreiselbewegung findet man in Büchern über theoretische <strong>Mechanik</strong> etwa in [4],Band I.2.4.1. KreiselbewegungenFür ein System von Massenpunkten (Kreisel) ist der Drehimpuls L und das Drehmomentτ wie üblich durchL = m n r n × ṙn und τ = r n × F n mit L ̇ = τ (2.15)ndefiniert, wobei nun die Ortsvektoren von einem festen Punkt des Kreisels aus gezähltwerden. Da bei der Bewegung alle Abstände |r n | gleich bleiben müssen, giltDamit bekommt man für den Drehimpuls:ndr n = dφ × r n = ω × r n dt (2.16)L = m n r n × (ω × r n ) = m n [ω ⊗ r n − ωr n ⊗ r n ] = ωJ = Jω (2.17)nnwobei J = ∫ dm(r 1−r⊗r) = ∑ m n (r 1−r⊗r) der Trägheitstensor und 1 der Einheitstensorist.47


̇̇2. Der starre Körper∇ ω E kinLω(a)ω LxE kin = konstJ(a)= 1r(a) 2Abb. 2.9 Lage des Trägheitsellipsoids J(a) = 1/r(a) und des Energieellipsoids E kin (ω) = konst bezüglichdes Drehimpulses L.Ähnlich kann man die kinetische Energie in Abhängigkeit von der Winkelgeschwindigkeitdarstellen:E kin = nm n r ̇ n = n m n(ω×r n ) = Für den Kreisel gelten also die folgenden Gleichungen:L = Jω E kin = ωJω = Lω ̇ L = τwobei die letzte Gleichung ausnm nω[r n ×(ω×r n )] = ωL = ωJω (2.18) ̇ E kin = ωτ (2.19)folgt.E kin = r n F n = (ω × r n )F n = ω r n × F n = ωτnnn2.4.2. Kräftefreier KreiselEin kräftefreier Kreisel wird im Schwerpunkt unterstützt, so dass die resultierendeSchwerkraft keine Kraft auf ihn ausübt. Daher kann man τ = 0 setzen, damit sind sowohlder Drehimpuls als auch die kinetische Energie gemäß Gl. (2.19) konstant. Zerlegt manω = ωa in Richtung und Betrag, dann ist das Trägheitsmoment bezüglich der Achse a gegebendurch J(a) = aJa. Zu jedem symmetrischen Tensor, also auch zum Trägheitstensorkann man ein Tensorellipsoid (vgl. [2]) bestimmen, das durch die GleichungxJx = x i J ik x k = 1Summenkonvention!bestimmt ist. Mit x = ra lautet diese GleichungaJa = J(a) = 1r(a) 48


2.4. KreiselZu jeder vom Mittelpunkt des Trägheitsellipsoids ausgehenden Richtung a liefert alsoder Abstand r(a) ein Maß für das zugehörige Trägheitsmoment. Nun kann man diekinetische Energie darstellen in der FormE kin = ωJω = ω aJa = ω J(a) = ω2r (2.20)Damit ist bei vorgegebener kinetischer Energie der Betrag der Winkelgeschwindigkeitfestgelegt, die Richtung darf allerdings noch beliebig sein. Es gilt ja nun: ω = √2E kin r(a).Damit liegen die Endpunkte der bei gegebenen kinetischer Energie möglichen Winkelgeschwindigkeitenauf einem zum (in Abb. 2.9 gestrichelt gezeichneten) Trägheitsellipsoidähnlichen Ellipsoid, dem Energieellipsoid (in Abb. 2.9 durchgezogen gezeichnet).Ist nun auch noch der Drehimpuls vorgegeben, dann bleibt von den möglichen Winkelgeschwindigkeitennur noch eine einzige übrig, denn es istL = Jω = ωJ = ∇ ω ⊗ ωJω = ∇ ω E kin = konst. (2.21)Da nach Gleichung (2.17) bei konstantem L und E kin ja immer noch E kin = Lω gilt, mussdie Komponente ω L von ω in Richtung von L ebenfalls konstant sein. In Gl. (2.21) ist derDrehimpuls als Gradient der kinetischen Energie dargestellt. Dieser steht senkrecht aufden Niveauflächen. Besitzt nun der Drehimpuls die in Abb. 2.9 eingetragene Richtung,so muss man diejenige unter den Ebenen mit der Normalen L aufsuchen, die gleichzeitigTangentialebene an das Energieellipsoid ist. Im Berührpunkt von Ellipsoid und Tangentialebeneliegt dann die Spitze des Vektors der Winkelgeschwindigkeit, die dann allein beivorgegebener Energie und vorgegebenen Drehimpuls möglich ist. Die Konstanz von ω Lbedingt nun, dass die Tangentialebene raumfest bleibt. Das Energieellipsoid kann alsonur solche Bewegungen ausführen, bei denen die Tangentialebene stets berührt wird.Man kann sich nun noch überlegen, dass das Ellipsoid an der Tangentialebene abrollenmuss, ohne zu schleifen. Sobald nämlich die Winkelgeschwindigkeit nicht durch denBerührpunkt ginge, entstünde ein Schleifen. Daher rollt das Energieellipsoid auf derTangentialebene entlang. Dasselbe gilt wegen der Ähnlichkeit für das Abrollen desTrägheitsellipsoids auf seiner dazu parallelen Tangentialebene.2.4.2.1. Einige ErgebnisseSind alle drei Hauptträgheitsmomente gleich, also J = J1, so ist das Trägheitsellipsoideine Kugel und es gilt L = Jω. Nun besitzen ω und L dieselbe Richtung. Die möglichenKreiselbewegungen sind also Rotationen mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um einebeliebig wählbare Achse.Etwas interessanter ist der Fall eines rotationssymmetrischen Kreisels mit J = J ≠ J .Nun ist das Trägheitsellipsoid ein verlängertes (J > J ) oder abgeplattetes Rotationsellipsoid.Die Symmetrieachse nennt man die Figurenachse. Beim Abrollen auf derTangentialebene beschreiben Figurenachse und Drehachse ω je einen Kegel um die AchseL. Die Figurenachse beschreibt den Nutationskegel, die Drehachse den Spurkegel. Die49


2. Der starre KörperLFN.K.LFωωS.K.P.K.Abb. 2.10 Der kräftefreie abgeplattete Kreisel mit Nutationskegel (N.K), Spurkegel (S.K.) und Polkegel (P.K.).Links das Trägheitsellipsoid und seine Tangentialebene, an der er abrollen muss, rechts die drei Kegel auf denendie diversen Achsen abrollen. F ist die Figurenachse.Punkte, die ω nacheinander auf dem Trägheitsellipsoid durchstößt bilden wieder einenKegel, diesmal um die Figurenachse. Er wird Polkegel genannt.Der Zeitablauf der Kreiselbewegung wird also dadurch beschrieben, dass der Polkegelam Spurkegel abrollt, wobei sich die Figurenachse gleichzeitig auf dem Nutationskegelbewegt. Spurkegel und Nutationskegel bleiben raumfest. Je nachdem, ob das Rotationsellipsoidverlängert oder abgeplattet ist, rollt der Polkegel mit der Außen- oder Innenseiteam Spurkegel ab.2.4.3. Eulersche KreiselgleichungenAus den GrundgleichungenL = ωJ = Jω̇ L = τ (2.22)soll nun die Winkelgeschwindigkeit ω bestimmt werden. Nun ist zu beachten, dassTrägheitstensor eines sich bewegenden Körpers im allgemeinen auch zeitabhängig seinkann. Nun ist ja:̇ L = d dt nm n r n × ṙn = d dt nm n r n × (ω × r)= m n ṙn × ṙn + m n r n × d dt (ω × r n)nn= 0 + m n r n × ( ω ̇ × r n ) + m n r n × [ω × (ω × r n )] = τnn(2.23)Der erste Ausdruck in dieser Gleichung ist ωJ, ̇ der zweite lässt sich noch mit demEntwicklungssatz umformen zu:⎡⎤ m n [ω ⊗ r n (ω × r n ) − (ω × r n ) ⊗ ωr n ] = 0 + ω × ⎢m n r n × (ω × r n ) ⎥ = ω × L (2.24)⎢⎥nn⎣⎦50


̇2.4. KreiselDamit wird Gl. (2.23) zuL ̇ = ωJ ̇ + ω × Jω = τ (2.25)Diese Gleichungen – komponentenweise geschrieben – sind die berühmten EulerschenKreiselgleichungen. Nun schreiben wir die Komponenten einmal aus (unter Verwendungder Summenkonvention):ω̇k J ki + ε ikl ω k J lm ω m = τ i i = 1, 2, 3 (2.26)Ausgeschrieben lautet das für den Fall, dass man sich auf die Einheitsvektoren der Eigenvektorendes Trägheitstensors bezieht; dann sind alle Komponenten von J außerhalbder Diagonale Null:ω̇ J − ω ω (J − J ) = τ ω̇ J − ω ω (J − J ) = τ (2.27)ω J − ω ω (J − J ) = τ Diese Differentialgleichungen sind tückisch; denn sie sind hinsichtlich der Unbekanntenω i nichtlinear und noch miteinander gekoppelt. Der einfache Fall des Kugelkreiselsgeht natürlich mühelos. Dann ist ja J = J = J = J und alle nichtlinearen Gliederverschwinden und das System ist entkoppelt.Die weitere Behandlung interessanter Fälle – schon des schweren symmetrischenKreisels – führt auf elliptische Integrale, und das ist zu viel für diesen Abriss. Aber dasFolgende kann man noch elementar behandeln:Präzession des schweren Kreisels:θdφLs L’τHier nehmen wir vereinfachend an, dass der Drehimpulsund die Winkelgeschwindigkeit in Richtungder Figurenachse des Kreisels liege, der außerhalbseines Schwerpunkts unterstützt wird. Gegenüberder Vertikalen (z-Richtung) schließe dieFigurenachse den Winkel θ ein. Der Schwerpunkthabe den Abstand s vom Auflagepunkt. Dann bewirktdas im Schwerpunkt angreifende Gewichtdas Drehmomentτ = mgs sin θ mit τ = dLdtDann gilt für die Beträge: dL = τdt = mgs sin θ dt. Damit zeigt dL (in der Skizze ist dasL ′ − L) in Richtung von τ (das ist ja schon bekannt).51


2. Der starre KörperAus der Figur erkennt man, dass (im Bogenmaß) gilt:dφ =dL mgs sin θdt=L sin θ L sin θDamit ist die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich der Schwerpunkt und damit dieFigurenachse um die z-Richtung dreht, die sog. Präzessionsfrequenz, gegeben durch:Ω = dφdt = mgsL= mgsJωwobei hier J das Trägheitsmoment bez. der Figurenachse ist.52


LiteraturLiteratur[1] Peter Breitfeld: Abriss der Vektorrechnung; Skriptenreihe des <strong>SFZ</strong> in Bad Saulgau,http://docs.sfz-bw.de/phag/downinfo.html; 1999ff; Vektoralgebra und Vektoranalysis.[2] Peter Breitfeld: Sammelsurium zur <strong>Mathematik</strong>; Skriptenreihe des <strong>SFZ</strong> in Bad Saulgau,http://docs.sfz-bw.de/phag/downinfo.html; 1999ff; Matrizen, Tensoren,Variationsrechnung.[3] David Halliday und Robert Resnick: Fundamentals of Physics; John Wiley & Sons;1988; Sehr guter allgemeiner Überblick. Es gibt auch eine Ausgabe in deutsch. isbn:0-471-63736-X.[4] Arnold Sommerfeld: Vorlesungen über theoretische Physik; Bd. I – VI; Verlag HarriDeutsch; 1989 – 2002; Paperback Nachdrucke. Die gegen Ende der 40er Jahredes 20. Jh. entstandenen Vorlesungen behandeln die klassische Physik in den Bänden:I. <strong>Mechanik</strong>, II. <strong>Mechanik</strong> der deformierbaren Medien, III. Elektrodynamik, IV. Optik,V. Thermodynamik und Statistik, VI. Partielle Differentialgleichungen der Physik. Die Relativitätstheorieist schon voll berücksichtigt, wenn auch zuweilen in heute nicht mehrganz üblicher Notation (Sechservektoren und imaginäre Schreibweise der Zeitkoordinate).Insbesondere der Bd. VI, der die partiellen Differentialgleichungen unddie sich aus ihnen ergebenden speziellen Funktionen behandelt, ist zeitlos gut. Dieisbn-Nummern sind 3-87144-37x-y, wobei x-y für die Bände I bis VI den Ziffern 4-3,5-1, 6-X, 7-8, 8-6 und 9-4 entspricht.53

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