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Schaufenster Kultur.Region November 2012

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Musikantensprache / 29„Irlas quantn Fetzer stroman on!“ – „Dieguten Musikanten kommen schon!“ Mit diesemerwartungsvollen Ausruf konnte einDorfkirtag in Schwung kommen. Musikantenbedienten sich einer Geheimsprache. Musstensie doch coram publico schnell überfinanzielle Belange entscheiden: „Irlas Pink aHei?“ Hat der Mann, der einen Tanz bestellthat, überhaupt Geld? Irlas steht für das einleitendebestimmte/unbestimmte Pronomen,Pink ist der Mann, Hei das Geld, was wir inder Redewendung „Geld wie Heu“ kennen.„Für Nichtmusiker ungeeignet“Ich bekam 1993 vom Landwirt und KlarinettistenLeopold Hackl (1921–1996) ausMichelbach im Bezirk St. Pölten eine über 60Wörter umfassende in Maschinschrift angefertigteListe, die er Jahre zuvor mit seinemMusikkollegen Leopold Lechner (1911–1995)aus der Nachbargemeinde Pyhra angefertigthatte. Die Überschrift des Glossars lautet:„Sprache der Blasmusiker, übertragen vonunseren Alten Vorgängern. Für Nichtmusikerungeeignet. Streng geheim!!!“ Der Wortschatzdeckt sich im Großen und Ganzen mitden nahezu 140 Wörtern und über 20 Satzbeispielender aus mehreren Orten des Weinviertelsbekannten Musikantensprache. In derMonarchie und in der Zwischenkriegszeithatten die Weinviertler Kontakte zu böhmischenund mährischen Musikanten, derenGeheimsprachenvariante die „Fatzer- oderFetzersprache“ war. Der Name leitet sich vomlateinischen Verb facere = machen ab unddeutet an, dass die Musikanten die „Stimmungsmacher“sind.Die Geheimsprache der Musikanten ist mitder Sprache der Fuhrleute und Fahrendenverwandt, die als Dialekt bzw. Soziolekt, ebender Sprache einer bestimmten Berufsgruppe,vor allem gesprochen und kaum geschriebenwurde. Der Wortschatz dieser Sondersprachegeht auf das spätmittelalterliche Rotwelschzurück, das neben dem MittelhochdeutschenElemente des Jiddischen, Slawischen, Romani(Sprache der Roma und Sinti) und anderereuropäischer Sprachen enthält. Die Grammatikder Musikantensprache wurde der jeweilsortsüblichen Mundart entnommen. DasWort „Rotwelsch“ ist mit „unverständlicheSprache der Bettler“ zu übersetzen, die aufden spätmittelalterlichen Straßen anzutreffenwaren, wo sie mit anderen von der bürgerlichenGesellschaft ausgeschlossenen Menschen– Dirnen, Händlern und Hausierern,Handwerksburschen, Vagabunden, Schindernoder Landgerichtsdienern, herumziehendenKlerikern und natürlich auch Spielleuten– diese Geheimsprache entwickelten.Musikantensprachen sind im ganzen deutschenSprachraum und darüber hinaus inTschechien, Serbien, Bulgarien und Mazedoniennachgewiesen.Kuchlböhmisch, DonauspracheMobile Menschen, die über die Grenzen hinwegunterwegs waren und mit anderen mobilenMenschen handelten, arbeiteten oderMusik spielten, mussten sich verständigenkönnen. Was heute Englisch ist und für diegebildeten Schichten das Französische war,war eine jeweils an die Situation angepassteSprachmischung mit einem geringen Wortumfangund Satzbausteinen. Die böhmischenKöchinnen in Wien sprachen das sogenannteKuchlböhmisch. Friedrich Torberg hat in„Die Erben der Tante Jolesch“ den wunderbarenSatz überliefert: „Hausmajstr vypucujevotruv ibacia na klandru.“ [Der Hausmeisterputzt Vaters Überzieher am (Stiegen-)geländer.]Eine deutsch-böhmische Promenadenmischung,wobei die Wörter deutsch sind,Grammatik und Vorsilben aus dem Tschechischengebildet werden. Die Donauschifferbedienten sich der Versatzstücke aus denSprachen der Donauländer – Deutsch, Ungarisch,slawische Sprachen und Rumänisch.Und Gregor von Rezzori schreibt in „Blumenim Schnee“ über seine Kindheit in der Bukowinaund über seine Amme, die alle Sprachendie im Umlauf waren, vermischte. Rezzorispricht von einem Geheimidiom. „DerHauptteil dieses Idioms war ein niemals richtigund zur Gänze erlerntes Deutsch, dessenLücken ausgefüllt waren mit Wörtern undRedewendungen aus sämtlichen anderenZungen, die in der Bukowina gesprochenwurden. So war jedes zweite oder dritte Wortruthenisch, rumänisch, polnisch, russisch,armenisch oder jiddisch; auch ungarischeund türkische habe ich gefunden.“JenischeDer Musikantensprachwortschatz, der inNiederösterreich noch von alten Menschenverstanden wurde, hatte eine auffallendeÄhnlichkeit mit der Geheimsprache derJenischen, die bis in die 1950er Jahre als Lumpensammler,Scherenschleifer, Regenschirmmacher,Korbflechter oder Textilhausiererdurchs Land zogen. Neben ihrer europaweitenVerbreitung waren jenische Familien z. B.im kleinen Dorf Sitzenthal in Loosdorf beiMelk ansässig. Diese Menschen waren vomFrühling bis zum Spätherbst unterwegs, wurdenvon den Menschen des Mostviertels„Sitzenthaler“ genannt und wollten nicht mitden Roma verwechselt werden. Als Kindhabe ich sie erlebt und höre heute noch denSatz: „Mia san kane Zigeiner, mia sand Sitznthola!“,was ihnen aufgrund der Hautfarbeauch den Namen „weiße Zigeuner“ eintrug.Jenische wurden im 18. Jahrhundert von denGrundherrschaften sesshaft gemacht. DasSesshaftwerden setzte ihre Sprache dem Einflussder örtlichen Dialekte aus.Pink und MuschIn der Musikantensprache können wir mehrereThemenkreise ausfindig machen – nebender Musik, das Essen, Feste, Sex und Erotik.„A quante Monscharei“, ein gutes Essen,sollte für die Musikanten möglichst viel Busnoder Buslat, nämlich Fleisch enthalten (quantvom lat. Quantum = groß, gut, Monschareivom frz. manger, eben essen. Buslat geht aufjidd. bossor = Fleisch zurück. Bei Festenkonnte man die Musikanten hören, wie siedie Tanzenden kommentierten: „Irlas Oberpaniniglt mit seiner Musch!“ (Der Bürgermeistertanzt mit seiner Frau). Wobei beiOberpani das tschechische Wort pan = Herrund Musch auf das deutsche Wort Mutze fürweibliche Scham zurück zu verfolgen ist.Auch der schon öfters zitierte Pink (Mann)geht auf die rotwelsche Wurzel für Peniszurück, wobei das Pinkeln als gebräuchlicherAusdruck bekannt ist.Das Ende einer Geheimsprache ist meist miteinschneidenden politischen Ereignissen verbunden,für die niederösterreichische Musikantensprachewar das der Zweite Weltkrieg,andere haben ihre Aktivität nach dem ErstenWeltkrieg oder schon früher eingebüßt. /Text: Mella Waldstein und Bernhard Gamsjäger.Zusammenfassung eines Vortrags von BernhardGamsjäger, den der Volksmusikforscher und pensionierteLehrer bei der Sommerakademie <strong>2012</strong> desÖsterreichischen Volksliedwerkes in Weyregg amAttersee hielt.

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