Besetzt - Hueber

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BesetztDer Passagier und andere Geschichten | ISBN 978-3-19-201666-0 | © Hueber Verlag 2008

<strong>Besetzt</strong>Der Passagier und andere Geschichten | ISBN 978-3-19-201666-0 | © <strong>Hueber</strong> Verlag 2008


1Johannes nahm die letzten beiden Stufen auf einmal undzog, etwas außer Atem, den Schlüssel aus der Tasche. Ersteckte ihn ins Schloss und wollte aufschließen.Der Schlüssel passte nicht.Das konnte nicht sein. Letzte Woche hatte er diese Türdoch schon einmal aufgeschlossen, die Tür zu seiner neuenWohnung, auf dem Nachhauseweg vom Notar, bei dem erendlich den Kaufvertrag unterschrieben hatte, nachwochenlangen Diskussionen mit der Wohnungsgesellschaftüber den Kaufpreis. Und die Verhandlungen mit der Bankwären im letzten Moment auch fast noch gescheitert, aberam Ende hatte er die Hypothek bekommen. Jetzt endlichgehörte die Wohnung ihm. Sie war nicht groß, zwei Zimmer,Küche, Bad, normaler Standard. Gerade richtig füreine Person. Heute war er bei IDEA gewesen und hatte dieKüchenmöbel gekauft, und am Wochenende wollte er einziehen,die Umzugsfirma war schon bestellt.Er versuchte es noch einmal, vergeblich. Hatte er sich imStockwerk geirrt? Er sah um sich. Das kalte Neonlichtbeleuchtete die weißen Wände des Flurs. Drei weitereTüren, noch ohne Klingelschilder, wahrscheinlich warendie anderen Bewohner auch noch nicht eingezogen. KeinWunder, das Haus war erst vor wenigen Wochen fertiggeworden. Im Treppenflur roch es immer noch etwas nachFarbe.Dritter Stock, zweite Tür links. Das war seine Wohnung,kein Zweifel. Er betrachtete den Schlüssel, funkelnagelneulag er in seiner Hand. Was jetzt? Er sah auf die Uhr. Zu spätfür den Schlüsseldienst, Freitagabend um kurz nach neunwürde niemand mehr kommen. Er könnte höchstens denNotfall-Service anrufen. Aber das wäre übertrieben, er6Der Passagier und andere Geschichten | ISBN 978-3-19-201666-0 | © <strong>Hueber</strong> Verlag 2008


Der Mann musterte ihn langsam von oben nach unten,während er gleichmütig weiterkaute.„Wieso Ihre Wohnung?“, sagte er und steckte sich denRest des Brötchens in den Mund.„Na hören Sie mal!“, rief Johannes.„Entschuldigung, Sie müssen sich in der Tür geirrt haben,das ist nicht Ihre Wohnung.“ Er wischte sich die Hände ander Hose ab.Ein weiterer Mann erschien, mit einem Schnauzbart undeinem Piercing in der Unterlippe. Er stellte sich neben denanderen und lehnte sich dann an die Wand, mit verschränktenArmen.„Das soll nicht meine Wohnung sein? Ich werde dochwohl meine Wohnung kennen. Diese Wohnung habe ichletzte Woche gekauft!“Der Schnauzbärtige sah ihn nachsichtig lächelnd an.„Das kann nicht sein, diese Wohnung habe ich gemietet,letzte Woche, zusammen mit meinen drei Kollegen.“ Vonhinten näherten sich zwei weitere Männer und stellten sichneben die beiden anderen.Johannes merkte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.„Ich bitte Sie, auf der Stelle meine Wohnung zu verlassen!“Der kleine Untersetzte sah zu den anderen, blickte wiederzu Johannes und zuckte mit den Schultern.„Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen möchten. Wirhaben zu tun, wir sind gerade beim Auspacken“, sagte erund machte die Tür zu.Johannes starrte die geschlossene Tür an. Er lockerte seinenKrawattenknoten. Was jetzt? Das war doch grotesk. Erklingelte erneut und hämmerte dann mit beiden Fäustengegen die Tür. „Aufmachen, oder ich hole die Polizei!“ Hinterder Tür blieb es ruhig, nur hinten war die Musik wiederangestellt worden.8Der Passagier und andere Geschichten | ISBN 978-3-19-201666-0 | © <strong>Hueber</strong> Verlag 2008

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