Wirkfaktoren in der <strong>Schulden</strong>präventionWirkt <strong>Schulden</strong>prävention?sofort haben-Könnens“ (Elliott, 1997, Rosa, 2013). Nach Raijas, Lehtinen & Leskinen (2010)haben Entwicklungen auf dem Kreditmarkt (u.a. <strong>die</strong> wachsende Zahl der Anbieter), ein aggressivesKreditmarketing, der einfache Zugang zu verschiedenen Kreditprodukten und <strong>die</strong>positiven Einstellungen der Konsumentinnen und Konsumenten gegenüber Konsum auf Kreditzur Zunahme von Kreditaufnahmen beigetragen. Diese Entwicklungen haben in Europaihren Ursprung in der ökonomischen Periode ab den späten 70er-Jahren mit dem Aufkommendes Neoliberalismus, der Deregulierung der Finanz<strong>die</strong>nstleistungen, mit der zunehmend unsicherenBeschäftigungssituation in vielen Ländern und dem Wandel der Familienformen. DieZunahme der Verschuldung in vielen europäischen Ländern, insbesondere nach der ökonomischenKrise der späten 80er-Jahre, wird <strong>als</strong> eine Konsequenz <strong>die</strong>ses Phänomens beschrieben(Ramsay, 2012).Fazit zu den situativen FaktorenEin grundsätzliches Verschuldungsrisiko wird in der leichten Verfügbarkeit von Krediten, Kreditkarten,in der Verharmlosung von Kreditwerbung und dem Vorherrschen einer Kultur des„Alles sofort haben-Könnens“ gesehen. Ab dem 18. Lebensjahr steigen <strong>die</strong> Höhe der <strong>Schulden</strong>und Raten sowie <strong>die</strong> Zahl der Leasingverträge mit zunehmendem Alter an. Jugendliche undjunge Erwachsene aus Familien mit tiefem Einkommen und niedrigem Bildungsstatus sowievon Arbeitslosigkeit betroffene junge Erwachsene sind häufiger ver- oder überschuldet <strong>als</strong>Gleichaltrige. Männer leben etwas häufiger in <strong>Schulden</strong> <strong>als</strong> Frauen und <strong>die</strong>s obwohl sie in vielenStu<strong>die</strong>n eine höhere Finanzkompetenz zeigen <strong>als</strong> Frauen. Geschlechterunterschiede bezüglichdes Finanzwissens haben sich in jüngster Zeit angeglichen und lassen sich in neueren Stu<strong>die</strong>nnicht mehr nachweisen. Die statistische Tatsache, dass Frauen häufiger <strong>als</strong> Männer ein schriftlichesBudget erstellen, ihre Ausgaben planen, Rechnungen und Quittungen aufbewahren undregelmässig Geld für Ersparnisse zur Seite legen, bleibt aber bestehen. Mit Kreditkarten scheinenjunge Frauen hingegen risikofreudiger umzugehen <strong>als</strong> Männer. Widersprüchliche Ergebnisseliegen zu Genderunterschieden in Bezug auf Einstellungen und Verhaltensweisen vor. Sielassen keine verallgemeinernden Schlüsse zu und sind dadurch bedingt, dass Gender meistroutinemässig miterhoben, jedoch kaum in einen theoretisch fun<strong>die</strong>rten Erklärungszusammenhanggestellt wird.3.2 Psychologische FaktorenAuch zu der zweiten Kategorie möglicher Ursachen von Verschuldung, den psychologischenFaktoren, wurden verschiedene Stu<strong>die</strong>n durchgeführt. Als Faktoren mit der grössten Bedeutungzeigten sich folgende: Finanzfertigkeiten 8 , Finanzwissen 9 , Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstbewusstsein,Kontrollüberzeugung, Risikoeinstellungen, <strong>die</strong> Fähigkeit zum Belohnungsaufschub,Einstellung zu Konsum und Krediten und Werthaltungen (für eine Übersicht siehe Mülleret al., 2011). Müller et al. (2011) sind der Meinung, dass aus den bisherigen Untersuchungenein relativ ungeordnetes Konglomerat von Merkmalen resultiere, welche bislang ohne leitendeStruktur und Systematik untersucht wurden. Da Wirkungsmodelle aussagekräftiger sind<strong>als</strong> <strong>die</strong> Untersuchung isolierter Faktoren, sollen im Folgenden auch einige Modelle vorgestelltwerden, welche <strong>die</strong> Einflüsse auf Verschuldung und Überschuldung oder damit in Verbindung288siehe Glossar im Anhang9siehe Glossar im Anhang
Wirkfaktoren in der <strong>Schulden</strong>präventionWirkt <strong>Schulden</strong>prävention?stehende Variablen (wie z.B.: Materialismus, Kreditkartenschulden etc.) in Zusammenhängenund Wechselwirkungen beschreiben.Chaplin & John (2010) gehen der Frage nach, was Materialismus 10 bei Jugendlichen beeinflusst.Chaplin & John (2010) untersuchten hundert Jugendliche unter anderem mit der Youth MaterialismScale (YMS, Goldberg et al., 2003), einem Messinstrument, das über verschiedeneAussagen (z.B. „Wenn ich erwachsen bin werde ich umso glücklicher sein je mehr Geld ichhabe“) Materialismus <strong>als</strong> Grad von an Konsum und materiellen Werten orientierten Einstellungenerfasst. Die Autoren weisen nach, dass der Einfluss von Eltern und Peers, nebenihrer unbestrittenen Sozialisationsfunktion, noch in einem weiteren Sinn wirkt. In ihrer Stu<strong>die</strong>unter 12-18-Jährigen zeigte sich, dass Unterstützung der Eltern und Peers das Selbstwertgefühlder Jugendlichen stärken, was dazu führt, dass <strong>die</strong>se weniger zu materiellen Dingen greifen(müssen), um ein positives Selbstbild zu entwickeln. Auch <strong>die</strong> Beziehung zwischen Materialismusder Eltern und demjenigen der Jugendlichen wird über das Selbstwertgefühl beeinflusst.Sowohl der Materialismus der Eltern und der Peers korrelieren positiv mit dem Materialismusder Jugendlichen. Darüber hinaus wirkt sich Materialismus beider Gruppen negativ auf dasSelbstwertgefühl der Jugendlichen aus, was wiederum negativ mit Materialismus der Jugendlichenkorreliert (das Selbstwertgefühl der Jugendlichen wirkt <strong>als</strong>o <strong>als</strong> partieller Mediator aufden Materialismus der Jugendlichen). Der Einfluss von Peers wird meistens nur negativ gesehen<strong>als</strong> Gruppendruck, der bestimmt, was gekauft werden muss, um „dabei zu sein“. DieStu<strong>die</strong> von Chaplin & John zeigt jedoch auf, dass Eltern und Peers auch einen positivenEinfluss ausüben können, der materialistischen Tendenzen entgegenwirkt.Gathergood (2012) untersuchte Erwachsene in 1234 englischen Haushalten. Es zeigte sich,dass ein Mangel an Selbstkontrolle und ungenügende Financial Literacy positiv mit der Nicht-Rückzahlung von Konsumkrediten und (selbstberichteter) Überschuldung zusammenhängt.Konsumenten, <strong>die</strong> Probleme mit ihrer Selbstkontrolle haben, neigen dazu, in verstärktem AusmassFinanz<strong>die</strong>nstleistungen 11 , bzw. –Angebote zu nutzen, <strong>die</strong> zwar leicht zugänglich, jedochmit hohen Kosten verbunden sind. Personen mit wenig Fähigkeit zur Selbstkontrolle ten<strong>die</strong>renallgemein zu impulsiverem Verhalten und sind deshalb mit grösserer Wahrscheinlichkeit weiterenRisiken ausgesetzt. Insgesamt hat der Mangel an Selbstkontrolle einen grösseren Einflussauf <strong>die</strong> Verschuldung <strong>als</strong> das tiefe Niveau der Financial Literacy.Der soziale Vergleich unter Jugendlichen beeinflusst deren Konsumverhalten. Griskevicius(Griskevicius et al., 2007, zitiert nach Nelissen et al., 2011) konnte aufzeigen, dass Personenmit einem hohen Bedürfnis nach sozialem Ansehen häufig Konsum <strong>als</strong> Strategie wählen, umsoziales Ansehen zu erlangen. Weiter ist schon länger bekannt, dass auch Individuen, <strong>die</strong> ihrensozialen Status <strong>als</strong> bedroht erleben (etwa weil sie in einem bestimmten Gebiet Misserfolgeerlebten) eine erhöhte Konsumbereitschaft zeigen (Braun & Wicklund 1989, zitiert nachNelissen et al., 2011; Akhaabi 2010 12 ). Und schliesslich konnte im Experiment ebenfalls nachgewiesenwerden, dass Individuen nach dem Erleben eines Status- oder Machtverlusts mehrkonsumieren (Rucker & Galinski, 2008, 2009, zitiert nach Nelissen et al., 2011). Nelissen et al.(2011) gehen dem Zusammenhang von Statusmotiven und Konsum und Verschuldung beiJugendlichen im Alter von 13-19 Jahren nach. Sie unterscheiden drei Statusmotive, <strong>die</strong> denKonsum beeinflussen: Statusverbesserung, Statuserhalt und Statuswiederherstellung. Es zeigtsich, dass der Wunsch nach Statuswiederherstellung ein unabhängiger Prädiktor für <strong>die</strong><strong>Schulden</strong>höhe der Jugendlichen darstellt. Ausserdem konnte nachgewiesen werden, dass der10 siehe Glossar im Anhang11 siehe Glossar im Anhang12 Die Originalpublikation konnte hier nicht konsultiert werden, <strong>die</strong> Aussage basiert auf dem Abstract.29