Wirkfaktoren in der <strong>Schulden</strong>präventionWirkt <strong>Schulden</strong>prävention?3. Kritische Lebensereignisse können plötzlich zu höheren Ausgaben oder einemtieferen Einkommen führen und damit eine Verschuldung auslösen oder in eineÜberschuldung gleiten lassen. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfälle oder unerwarteteElternschaft sind wenig zu kontrollierende situative Auslöser von Überschuldung.BeständigesituativeFaktorenÜberschuldungPsychologischeFaktorenKritischeEreignisseAbbildung 1: Ursächliche Faktoren von Überschuldung Müller et al. (2011)Ökonomische, demografische und gesellschaftliche FaktorenSozioökonomische und demografische Merkmale, <strong>die</strong> zur ersten Kategorie gerechnet werdenkönnen, sind relativ stabil und eignen sich zur Identifikation der Ziel- bzw. Risikogruppe, wassie für (selektive) Präventionsinterventionen relevant macht (z.B. Lyons, 2004). Allerdings sindsie nur schwer veränderbar.Im Folgenden werden wichtige Faktoren aufgegriffen und <strong>die</strong> Ergebnisse entlang des Rahmenmodells(Abbildung 1) in Bezug zu Ver- und Überschuldung dargestellt.3.1 Demografische Faktoren und beständigesituative FaktorenGender:Die Mehrheit der Stu<strong>die</strong>n weist nach, dass Männer eher verschuldet sind <strong>als</strong> Frauen. So sindgemäss <strong>Schulden</strong>-Kompass in Deutschland von allen Verschuldeten mit Konsumentenkreditenin der Altersgruppe 18-24 Jahre 57% Männer und nur 43% Frauen (Reifner & Zimmermann,2005). Auch in anderen Untersuchungen waren <strong>die</strong> Schuldner mit grösserer WahrscheinlichkeitMänner (Davies & Lea, 1995; Gabanyi et al., 2007). Wang & Xiao (2009) konnten jedoch inihrer Befragung von 272 Collegestu<strong>die</strong>renden (mehrheitlich im 1. oder 2. Stu<strong>die</strong>njahr) keine24
Wirkfaktoren in der <strong>Schulden</strong>präventionWirkt <strong>Schulden</strong>prävention?Geschlechterunterschiede in Bezug auf Verschuldung feststellen. Dies mag damit zusammenhängen,dass in der von Wang et al untersuchten Population <strong>Schulden</strong> während des Studiums<strong>die</strong> allgemeine Norm und damit Geschlechterunterschiede hinfällig sind.In Bezug auf <strong>die</strong> <strong>Schulden</strong>höhe liegen unterschiedliche Ergebnisse vor: Entweder wird festgestellt,dass Männer höhere <strong>Schulden</strong> aufweisen (Nelissen et al., 2011) oder dass sich keinesignifikanten Geschlechterunterschiede feststellen lassen (Norvilitis, Merwin, Osberg, Roehling,Young & Kamas, 2006).In Bezug auf das möglicherweise mit Verschuldung zusammenhängende Finanzwissen 5 (sieheKapitel 4 zu Financial Literacy) sind <strong>die</strong> Befunde relativ konsistent: Männer weisen in mehrerenStu<strong>die</strong>n grösseres Finanzwissen auf <strong>als</strong> Frauen (Chen & Volpe, 1998; Chen & Volpe, 2002;Lusardi, Mitchell & Curto, 2010, Fonseca, Mullen, Zamarro & Zissimopoulos, 2012). Möglicherweiseflaut <strong>die</strong>se Tendenz unterdessen jedoch ab. So zeigen <strong>die</strong> Resultate der Umfrage Jump-Start (Coalition for Personal Finance Literacy), einer seit 1997 alle zwei Jahre stattfindendenBefragung von amerikanischen Stu<strong>die</strong>renden (High School und College), dass auf Highschool-Niveau das Finanzwissen generell abgenommen hat. 2008 wiesen männliche Stu<strong>die</strong>rende noch<strong>die</strong> besseren Testresultate auf <strong>als</strong> weibliche Stu<strong>die</strong>rende. In den neueren Umfragen lassen sichaber keine statistisch signifikanten Genderunterschiede mehr feststellen (Hung, Yoong & Brown,2012). Auf College-Niveau weisen zudem <strong>die</strong> Frauen bessere Resultate auf <strong>als</strong> <strong>die</strong> Männer(Mandell, 2008).Die Befunde in Bezug auf Genderunterschiede in den finanziellen Einstellungen und Verhaltensweisenfallen wiederum nicht einheitlich aus. Xiao et al. (1995, zitiert nach Borden, Lee,Serido & Collings, 2008) stellen fest, dass College-Studenten positivere Einstellungen zum Gebrauchvon Kreditkarten aufweisen <strong>als</strong> Studentinnen. Männer halten (persönliche) Finanzfragenfür wichtiger <strong>als</strong> Frauen und stufen ihre <strong>die</strong>sbezüglichen Kenntnisse höher ein <strong>als</strong> <strong>die</strong>se(Chen & Volpe, 2002). Hayhoe, Leach & Turner (1999) fanden, dass weibliche Stu<strong>die</strong>rendeverglichen mit männlichen Stu<strong>die</strong>renden mehr Kreditkarten besassen, was <strong>als</strong> Anzeichen füreine positivere Einstellung zu Kreditkarten gedeutet werden könnte. In weiteren Stu<strong>die</strong>n lassensich bei den Einstellungen zu Kreditkarten (Joo et al., 2003) oder bei den Einstellungen zu<strong>Schulden</strong> (Lea, Webley & Levine, 1993) keine signifikanten Geschlechterunterschiede ausmachen.Auch Anderson und Nevitte (2006) stellen in ihrer Untersuchung über Einstellungen zuSparsamkeit keine Geschlechterunterschiede fest.Ebenso fallen <strong>die</strong> Ergebnisse zu finanzbezogenen Verhaltensweisen nicht konsistent aus. Sozeigt sich in der Untersuchung von Hayhoe et al. (2000), dass Frauen mit grösserer Wahrscheinlichkeit<strong>als</strong> Männer ein schriftliches Budget erstellen, ihre Ausgaben planen, Rechnungen undQuittungen aufbewahren und regelmässig Geld für Ersparnisse zur Seite legen. In der Untersuchungvon Henry et al. (2001, zitiert nach Borden et al., 2008) erstellen weibliche Stu<strong>die</strong>rendeebenfalls mit grösserer Wahrscheinlichkeit ein Budget <strong>als</strong> männliche Stu<strong>die</strong>rende. Entgegen<strong>die</strong>sen Befunden, <strong>die</strong> auf ein vorsichtigeres finanzielles Verhalten von Frauen deuten,kommt Lyons (2004) zum Schluss, dass Frauen ein im Vergleich zu Männern ausgeprägtes Risikoverhaltenin Bezug auf Kreditkarten aufweisen. Dagegen ist für Sotiropoulos & d’Astous(2012) Gender kein signifikanter Prädiktor für „übermässigen Konsum mit Kreditkarten“. DieDaten des World Values Surveys (WVS), einer repräsentativen Untersuchung von Personen ab18 Jahren in Kanada, zeigen, dass Männer generell weniger sparen. Sobald Kinder da sind, lässtsich jedoch sowohl bei Frauen <strong>als</strong> auch bei Männern eine Zunahme des Sparverhaltens feststellen(Anderson & Nevitte, 2006).5siehe Glossar im Anhang25