13.07.2015 Aufrufe

Review of "Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus ...

Review of "Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus ...

Review of "Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rezensionennoch eine Rolle, wenn Augustin eine innere und eine äußere mentale Dreieinheit ›memoria,intellegentia, voluntas‹ unterscheidet. Der Autor macht erneut deutlich, daß der aus diesenWesensmomenten bestehende Geist ein permanentes, substantielles Wissen (nosse) seinerselbst sowie aller anderen reinen Denkinhalte besitzt. Es fehlt jedoch der Hinweis auf einephilosophisch bedeutsame Konsequenz aus der Neubewertung der memoria als memoria interior:Als das Versteck <strong>des</strong> <strong>Geistes</strong> (abditum mentis; trin. XIV, 6, 9 – 7, 9), als ›Ort‹ apriorischer,ewiger Wissensinhalte, die sich im einzelnen Denkakt (cogitatio) als Gedanken aus der ›verborgenenTiefe‹ <strong>des</strong> <strong>Geistes</strong> selbst entfalten, ist die memoria Voraussetzung, Ursprung,›Haupt‹ der mens und ins<strong>of</strong>ern sogar mit ihr identisch.<strong>Die</strong> letzten drei Kapitel <strong>des</strong> vorgestellten Ban<strong>des</strong> analysieren verschiedene Aspekte <strong>des</strong>15. Buches De trinitate sowie sprachphilosophische Überlegungen Augustins auch in anderenSchri=en: Das neunte Kapitel referiert den zu Beginn <strong>des</strong> 15. Buches vorgenommenenabschließenden Vergleich der im Geist vorgefundenen Trinität mit derjenigen Gottes undkann hier unberücksichtigt bleiben.Angesichts der Schöpfungskra= <strong>des</strong> Fleisch gewordenen göttlichen Wortes im Johannesevangeliumuntersucht Augustin im 15. Buch De trinitate das Denken bzw. die Gedankender mens als locutio cordis bzw. verba mentis, die (analog zum göttlichen Wort) als konstitutivfür die <strong>menschlichen</strong> Handlungen gedacht werden. »Sprache als Spiegel der Dreifaltigkeit«heißt entsprechend Kapitel X der Arbeit Brachtendorfs. Hier stellt der Autor Augustinswirkungsmächtige Theorie <strong>des</strong> inneren Wortes vor – unter besonderer Berücksichtigungder Wahrheit und Falschheit <strong>des</strong> verbum internum und nicht ohne Augustins erneute Auseinandersetzungmit der Skepsis der Neueren Akademie ausführlich zu besprechen. Hierzumuß allerdings angemerkt werden, daß Augustin – der, wie Brachtendorf richtig darstellt,die skeptische Haltung der Akademiker bezüglich der Täuschungen im Bereich sinnlicherWahrnehmungen teilt – mit seinem Hinweis, an der Wahrheit der Wahrnehmungen dürfenicht gezweifelt werden, keineswegs antiskeptisch argumentiert: Von Cicero kannte Augustindie Auffassung, Wahrnehmungsinhalte für sich selbst genommen seien wertneutral,auch der Skeptiker füge sich den Sinneswahrnehmungen und stimme ihnen mitunter sogarzu. Brachtendorf deutet nicht klar genug an, daß Augustin o= – auch in seinen antiskeptischenArgumentationen – selbst durchaus skeptisch verfährt.Das 11. und letzte Kapitel »Das innere Wort – ein semantisches Konzept?« untersuchtAugustins Sprachauffassungen in De dialectica, De magistro, De doctrina christiana, Confessiones Iund natürlich in De trinitate XV. Auch Platons Kratylos sowie sprachkritische Äußerungenvon Sextus Empiricus werden exkursorisch berücksichtigt. Brachtendorfs Motiv für diesessprachphilosophische Kapitel ist die m. E. völlig verfehlte Einschätzung Hans-Georg Gadamers,Augustins Sprachspekulationen in De trinitate brächen mit der von Platon begründetenTrennung von Sprache und Denken. Daß, wie so häu;g, ausgerechnet der PlatonischeDialog Kratylos – der Augustin unbekannt war und ca. 1000 Jahre lang auch unbekanntblieb – als Zeugnis für die vermeintliche Sprachlosigkeit <strong>des</strong> Denkens seit Platon herangezogenwird, ist bedauerlich: Zwar wird in dieser im Grunde aporetisch endenden Schri= alsZwischenergebnis festgehalten, die Dinge selbst seien epistemologisch wichtiger als dieWörter, mit denen sie bezeichnet würden, aber es werden eben auch nur einzelne Wörter,nicht aber Sätze thematisiert. <strong>Die</strong>s jedoch hat Platon selbstkritisch im Theaitetos sowie imSophistes <strong>nach</strong>geholt und damit nicht nur die enge Ver


Rezensionenzurückzuführen, daß Brachtendorf die Fachliteratur zu Platons Sprachphilosophie völligunbeachtet gelassen hat. — <strong>Die</strong> Kerngedanken von De dialectica und das sprachkritische Ergebnisvon De magistro – Sprache lehre nichts, vielmehr erfahre derjenige, der eine Sprachelerne, nur die Bezeichnungsfunktion der Wörter als Zeichen für die notwendigerweise zuvorbekannte Sache selbst – werden gut verständlich und ausführlich dargestellt. Daß diehier formulierte Abwertung der Wörter, die Augustin (im Gegensatz zu Platon) pars pro totoauf die gesamte Sprache ausdehnt, eine der Quellen für die ›Tradition‹ der Sprachlosigkeit<strong>des</strong> Denkens sein könnte, ist nicht zuletzt <strong>des</strong>halb naheliegend, weil es immerhin über 90De-magistro-Handschri=en aus einer Zeit gibt, in der die sprachphilosophisch relevantenSchri=en Platons unbekannt waren. — Richtig stellt Brachtendorf auch die Theorie <strong>des</strong>Spracherwerbs aus Confessiones I dar. <strong>Die</strong> Vermutung, Augustin scheine mit dem Hinweis,nicht die »Großen hätten ihn sprechen gelehrt, sondern er selbst, … seine Grundthese, Gegenstandserfahrungsei nicht durch Sprache ersetzbar, unzulässigerweise auf den Spracherwerbüberhaupt auszudehnen« (S. 298), ist allerdings falsch: Was Augustin hiermit zumAusdruck bringen will, ist die (zuvor vom Autor richtig wiedergegebene) Einsicht, daß dieSprach-Fähigkeit, die den Spracherwerb erst ermöglicht, nicht vermittelbar ist, sondernvielmehr zur Natur <strong>des</strong> Menschen gehört. Lehrbar sind lediglich die Vokabeln und die<strong>Struktur</strong> der Sprache, in die man hineingeboren wird, nicht aber das Sprechen-Können. —Auch die Bewertungen und Funktionen der Sprache in De doctrina christiana werden kurzund gut wiedergegeben; eine abschließende Zusammenfassung der sprachphilosophischenBemühungen Augustins vor De trinitate weist auf die epistemologische Abwertung derSprache in allen herangezogenen Texten hin und stellt richtig fest, daß es in ihnen »keineTendenzen … [gibt], die in Gadamers Sinne zu einer Hinterfragung sowohl der konventionalistischenals auch der naturalistischen Sprachauffassung führen könnten« (S. 302). DemFazit »<strong>Die</strong> Rede von der ›cogitatio‹ als innerem Wort ändert nichts an Augustins Abwertungder Sprache gegenüber dem Denken« (S. 307) ist also zuzustimmen.<strong>Die</strong> notwendigen kritischen Bemerkungen zu Brachtendorfs Arbeit richten sich sowohlan den Verlag als auch an den Autor: Das äußerliche Erscheinungsbild legt die Vermutungnahe, daß der Text (incl. Satzspiegel) so übernommen wurde, wie der Autor ihn eingereichthat; auch scheint der Vorgang <strong>des</strong> gründlichen Lesens von Typoskripten und Druckfahnenvor der Publikation nicht mehr zu den Aufgaben <strong>des</strong> Lektorats zu gehören. Bei<strong>des</strong>zusammen führt dazu, daß ein Werk publiziert wurde, das typographischen Ansprüchen aneinigen Stellen nicht gerecht wird und in dem darüber hinaus zu viele Fehler in Orthographieund Interpunktion übersehen wurden. Wahrscheinlich ist die bei Publikationsvorhabeno= vorhandene Zeitnot Mutter dieser und weiterer Mängel, die z. B. darin bestehen,daß häu;g mit Siglen zitiert wird, deren Auflösung ein dann aber nicht vorhandenes Abkürzungsverzeichnisverspricht, oder darin, daß alle Erscheinungsorte ausgeschrieben werden,Frankfurt am Main aber durchweg mit »Ffm« angegeben wird (auch im Literaturverzeichnis)– ein Umstand, der zumin<strong>des</strong>t für ausländische Leser unkomfortabel sein dür=e.Ferner wurden o:enbar nicht alle Querverweise aktualisiert bzw. auf ihre Korrektheit hinüberprü=: SobrauchtderanBrachtendorfsMemoria-Analyse in Confessiones X Interessierte,auf die im ersten Kapitel hingewiesen wird (S. 42, Anm. 133), eine ganze Weile, um dieseauch zu ;nden, da es weder das im Querverweis genannte »Kap. III 6« noch einen Sachindexgibt, der hier hilfreich wäre. — Auch ein Satz wie »›nomen‹ ist eine ›vocabula‹ und ›vocabula‹ein ›nomen‹« ist sicher nur der Zeitnot wegen unkorrigiert stehengeblieben. —Warum Brachtendorf De magistro <strong>nach</strong> der veralteten zweisprachigen Ausgabe von Carl JohannPerl zitiert – sowohl den lateinischen Text, dem die gleichfalls veraltete CSEL-Editi-255


Rezensionenon von 1961 zugrunde liegt, als auch die deutsche, nicht immer gelungene Übersetzung –,ist nicht <strong>nach</strong>vollziehbar, zumal das Literaturverzeichnis die CCSL-Edition von 1970 sowieeine weitaus neuere und bessere zweisprachige Ausgabe angibt, die den CCSL-Text an einigenentscheidenden Stellen korrigiert. <strong>Die</strong> deutschen Zitate aus den Confessiones entstammeno:ensichtlich der alten, o= problematischen Übersetzung einer zweisprachigen Ausgabe(die z. B. animus mit »Ich« übersetzt – sicher einer der Gründe für immer wiederkehrendeunpassende Modernisierungen Augustins), der wohl auch die lateinischen Nachweiseentnommen wurden (die CCSL-Edition fehlt im Literaturverzeichnis – ebenso wie die1986 erschienene CSEL-Edition der Soliloquia, einer Augustin-Schri=, dieo:enbar <strong>nach</strong>der für Forschungszwecke wenig geeigneten zweisprachigen Artemis-Ausgabe zitiert wurde).— Dennoch: Johannes Brachtendorf schließt mit seinem Buch eine Forschungslücke,die darin besteht, daß Augustins De trinitate aus philosophischer Perspektive seit Jahrzehntennur noch partiell, nicht aber als Gesamtwerk analysiert und kritisch gewürdigt wurde(mit der denkbaren Kritik an Augustin selbst hält der Autor sich allerdings weitestgehendzurück). Sein Buch leistet jedoch das, was De trinitate o= vermissen läßt: Es erklärt detailliert,genau und textnah die Zusammenhänge der zentralen, jedoch sehr unterschiedlichenThemen dieser umfangreichen Schri=, deren Bedeutung für die Philosophiegeschichtenicht hoch genug eingeschätzt werden kann.Klaus Kahnert (Bochum)MATTHIAS PERKAMS, Liebe als Zentralbegri: der Ethik <strong>nach</strong> Peter Abaelard. (Beiträge zur Geschichteder Philosophie und Theologie <strong>des</strong> Mittelalters, N. F. 59) Münster: Aschendor:2001. XIV, 395 S. Kart. € 51,20. ISBN 3-402-04009-3.Im Mittelpunkt der Diskussionen um den ethischen Ansatz <strong>des</strong> Peter Abaelard stand bisherüberwiegend <strong>des</strong>sen Schri= Ethica sive Liber scito teipsum, die einzige uns bekannte monographischeAbhandlung zur Ethik im Mittelalter. Mit dieser Fokussierung ging auch eineKonzentration auf die Leitbegri:e diesesWerks(consensus, intentio und voluntas) sowieeineKontroverse über den Charakter der Abaelardischen Ethik einher: Zwar bestand ein weitgehenderKonsens darüber, daß Abaelard den Blick vom rein äußerlichen Ablauf der Handlungauf die innere Intention <strong>des</strong> Handelnden lenkt und in dieser die wesentliche sittlicheQualität <strong>des</strong> Handlungszusammenhangs lokalisiert; umstritten war (und ist) jedoch die Frage,inwiefern hieraus zwangsläu;g ein reiner Subjektivismus im Sinne einer zugespitztenGesinnungsethik resultiert. Während die Vertreter der Subjektivismus-These (J. Schiller,J. Rohmer, O. Lottin, J. Gründel, R. Blomme) Abaelard vorwarfen, daß unter seinen Prämissenjegliche Handlung gut und gerechtfertigt sei, s<strong>of</strong>ern sie dem Handelnden gut erscheinebzw. nicht seinem Gewissen widerspreche (auch wenn dieses vielleicht irrig ist),gab es in der jüngeren Forschung einige Reinterpretationen (R. J. van den Berge, L. E. Bacigalupo),denen zufolge auch im Rahmen von Abaelards Intentionalitätsethik durchausjede einzelne Handlung als objektiv gut oder schlecht quali;ziert werden kann. <strong>Die</strong> Kernfrage,wie <strong>nach</strong> Abaelard nun feststellbar ist, ob eine einzelne Handlung wirklich oder bloßscheinbar gut ist, konnte jedoch auf der Textbasis der Ethica, neben der subsidiär meist nurnoch der Römerbriefkommentar und die Collationes sive Dialogus inter Philosophum, Iudaeum etChristianum Berücksichtigung fanden, nicht überzeugend beantwortet werden.256

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!