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Blick in die Zukunft: Industrie 4.0

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<strong>Blick</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong>: <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>Die Fusion von Produktionsstechnik, Informationstechnologie und Internet Von Walter SimonMan stelle sich e<strong>in</strong>e fast menschenleereFabrikhalle vor, <strong>in</strong> der Fahrroboter wie vonGeisterhand gesteuert Fertigungsanlagenund Abfüllstationen anfahren, um Rohl<strong>in</strong>ge,Halb- oder Fertigprodukte anzuliefern oderabzuholen. Die zu erledigenden Arbeitsschrittewurden nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Masch<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>programmiert,sondern kommen von demWerkstück, das zu bearbeiten ist. Dieser Rohl<strong>in</strong>gist „<strong>in</strong>telligent“. Der Kunde kann den Produktionsstandse<strong>in</strong>es Auftrages onl<strong>in</strong>e kontrollierenund sich beruhigt zurücklehnen.„Alles paletti“. Die Produktionsdaten gehenautomatisch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tablets oder Smartphonesder Mitarbeiter e<strong>in</strong>schließlich der LKW-Fahrer,damit <strong>die</strong>se entsprechend disponierenkönnen. Natürlich „denkt“ auch <strong>die</strong> Masch<strong>in</strong>emit und gleicht den Auftrag mit dem nochvorhandenen Material und gibt Order an dasjeweilige Transportsystem, Nachschub beizubr<strong>in</strong>gen.In der Buchhaltung wird der Auftragautomatisch fakturiert.<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> ermöglicht <strong>die</strong> vertikale Integrationvon technischen und kaufmännischenAufgaben und Prozessen. Tritt nun aber doche<strong>in</strong> Problem auf, beispielsweise der Ausfalle<strong>in</strong>es Fertigungsroboters, ergeht Meldung andas Werkstück, das sich nun e<strong>in</strong>e andere Fertigungsstationsucht, soweit <strong>die</strong>se verfügbarist. Auch das geschieht vollautomatisch. Istdas Fertigungsmodul nicht „ansprechbar“,prüft das <strong>in</strong>telligente Produkt, ob gegebenenfallsder übernächste Produktionsschrittvorgezogen werden könnte. Das war und istheute noch Sache der Fertigungsplanung. Im<strong>4.0</strong>-Zeitalter prüft und entscheidet der e<strong>in</strong>gebetteteMikroprozessor darüber. Er klärtmittels M2M-Kommunikation (Mensch-zu-Masch<strong>in</strong>e) <strong>in</strong> Sekundenschnelle <strong>die</strong> Situa tionund trifft se<strong>in</strong>e Entscheidungen. Das sichbisher passiv verhaltende Material bekommte<strong>in</strong>e aktive Rolle.Das Attribut „<strong>in</strong>telligent“ wird dem Produktdurch e<strong>in</strong>en erbsengroßen Mikroprozessorverliehen, der sich im oder am Produkt bef<strong>in</strong>det.Hierfür hat sich der Begriff „e<strong>in</strong>gebetteteSysteme“ (Embedded Systems, ES)durchgesetzt. Der Chip kann als e<strong>in</strong>e ArtF<strong>in</strong>gerabdruck im Produkt verbleiben, sodass es lokalisierbar oder identifizierbar ist.Im Haushalt f<strong>in</strong>det man solche ES an Heizkostenerfassungsgeräten,<strong>die</strong> nicht mehrabgelesen werden brauchen, weil sie denVerbrauch funkgesteuert, beispielsweise anTechem, melden.E<strong>in</strong>gebettete Systeme s<strong>in</strong>d Komb<strong>in</strong>ationenaus Kle<strong>in</strong>stcomputer und Software,<strong>die</strong> <strong>in</strong> andere Systeme (Geräte) e<strong>in</strong>gebettet<strong>die</strong>se kontrollieren, steuern und regeln.Beispiele: Herzschrittmacher, implantierteBiosensoren, Mikrowellen-Geräte, ABS,Handys, NavigationssystemeIndividualisierung des Produktsund Dezentralisierungder FertigungAufbau e<strong>in</strong>esE<strong>in</strong>gebettetenSystemsPlötzlich meldet sich e<strong>in</strong> guter Kunde mite<strong>in</strong>em Sonderwunsch, der schnellstens erfülltwerden soll. Er benötigt 500 Produkte,beispielsweise Kurbelwellen. Die Produktionarbeitet gerade an e<strong>in</strong>em Auftrag für e<strong>in</strong>enanderen Abnehmer mit e<strong>in</strong>er Losgröße von10 000 Stück. Im Normalfall ist es fast unmöglich,den Sonderauftrag <strong>in</strong> <strong>die</strong> laufendeProduktion e<strong>in</strong>zuschleusen, ohne das immenseKosten entstehen. Es gilt <strong>die</strong> Regel:Je mehr identische Produkte im Fertigungsfluss,um so ger<strong>in</strong>ger <strong>die</strong> Kosten (economyof scale).In der <strong>4.0</strong>-Produktion wären sogar Losgrößenvon 1 – also Unikate – machbar. E<strong>in</strong>e<strong>in</strong>dividuelle Fertigung ersche<strong>in</strong>t möglich. E<strong>in</strong>Rohl<strong>in</strong>g wird mit e<strong>in</strong>em Chip ausgestattetund sucht sich se<strong>in</strong>en Weg durch <strong>die</strong> Produktion.Leider steht ke<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>e für <strong>die</strong>volle Bearbeitungszeit zur Verfügung. DerRohl<strong>in</strong>g hilft sich, <strong>in</strong>dem er <strong>die</strong> Leerlaufzeitenan anderen Masch<strong>in</strong>en nutzt. DasUnikat wird rechtzeitig fertig. Wir beschreitene<strong>in</strong>e Schleife von der E<strong>in</strong>zel- zur Serienfertigungzurück zur E<strong>in</strong>zelfertigung, letztereohne Produktivitätsverlust.Heute noch werden <strong>die</strong> Abläufe zentral vonder Produktionsleitung gesteuert und der Arbeitsvorbereitungkoord<strong>in</strong>iert. Im nächstenJahrzehnt geht <strong>die</strong> Initiative vom Werkstückbeziehungsweise dem e<strong>in</strong>gebetteten Chipaus, <strong>in</strong> dem das Fertigungsprogramm für <strong>die</strong>Masch<strong>in</strong>e nebst virtuellen Zeichnungen gespeichertist. Das Produkt <strong>die</strong>nt als Informationsträger,auf dem alle Prozessparametergespeichert s<strong>in</strong>d. Die von der ISO 9001 geforderteRückverfolgbarkeit von Produktenwird hier bestens gewährleistet. Es steuertsich selbst durch <strong>die</strong> Produktion. Wir gehen<strong>in</strong> das Zeitalter dezentraler Fabrikation.In der „<strong>in</strong>tegrierten <strong>4.0</strong>-Fabrik“‚ wird nichtmehr sequentiell, also der Reihe nach gear-38Industrial Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g 2/2013www.refa.de


M ANAGEMENTSTRATEGIENbeitet, wie man es vom Fließband her kennt,sondern entkoppelt, flexibel und <strong>in</strong>tegriert.Sie besteht aus Fertigungs<strong>in</strong>seln, Anlagenoder Robotern, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl von Operationenausführen können. Die Kommunikationerfolgt funkgesteuert über das Internet,da e<strong>in</strong>e Verkabelung der Fabriksysteme vonder Menge her kaum denkbar wäre. DerMate rialtransport erfolgt über funk- undsensorgesteuerte Transportsysteme.All <strong>die</strong>s deutet auf e<strong>in</strong>en Paradigmenwechselh<strong>in</strong>. Hierfür wurde der Begriff „<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>“kreiert. Diese IT-aff<strong>in</strong>e Nummerierung weistauf den Charakter der <strong>4.0</strong>-Version <strong>in</strong>dustriellerFertigung h<strong>in</strong>. Sie wird nicht durchWasser- und Dampfkraft oder Elektrizitätgetrieben, sondern durch das Internet.Die IKT als Auslöser und Treiberder <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>E<strong>in</strong> Cyber-physical System ist e<strong>in</strong> Verbundvon mechanischen und elektronischenKomponenten, <strong>die</strong> über e<strong>in</strong> Netzmite<strong>in</strong>ander kommunizieren und sich koord<strong>in</strong>ieren.Bei <strong>die</strong>sen Komponenten handeltes sich <strong>in</strong> der Regel um e<strong>in</strong>gebetteteSysteme, <strong>die</strong> jetzt im Verbund wirken.Die Fertigungssysteme und Produkte der„smart factory“, so e<strong>in</strong>e der Bezeichnungenfür <strong>die</strong> zukünftige Produktionsweise, s<strong>in</strong>dmit e<strong>in</strong>gebetteten Systemen ausgestattet,<strong>die</strong> vernetzt funktionieren. Man spricht von„cyber-physical systems“ (CPS). Da <strong>die</strong>sesaus mehreren, oftmals autonomen E<strong>in</strong>zelteilenbesteht, wird es als „system of systems“charakterisiert. Hier gilt <strong>die</strong> aristotelischeErkenntnis, nach der das Ganze mehr als <strong>die</strong>Summe se<strong>in</strong>er Teile ist.Immer mehr drahtlose IKT-Komponentendr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den Alltag der Menschen und <strong>die</strong>Berufswelt e<strong>in</strong>. Diese s<strong>in</strong>d als Bestandteilvon „D<strong>in</strong>gen“ (Produkte, Gegenstände, Objekte)drahtlos vernetzt und <strong>in</strong> der Lage, ihreUmwelt zu erfassen und <strong>in</strong>teraktiv zu reagieren.Das Internet besteht also nicht mehrnur aus Menschen, sondern auch aus D<strong>in</strong>gen– darum der Begriff „Internet der D<strong>in</strong>ge“.Beim Internet der D<strong>in</strong>ge werden Gegenständejedweder Art durch Programmierbarkeit,Speichervermögen und Sensoren<strong>in</strong>telligent, kommunikations- und steigerungsfähig.Grundlage ist RFID (Radio FrequencyIdentification).<strong>Industrie</strong> 1.0 <strong>Industrie</strong> 2.0 <strong>Industrie</strong> 3.0 <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>Ende 18. JahrhundertMechanische Produktionsanlage(Webstühle)Wasser- undDampfkraftBeg<strong>in</strong>n 20.JahrhundertMassenproduktion(Fließband)Elektrische EnergiePhasen und Paradigmen der <strong>in</strong>dustriellen EntwicklungIm klassischen Comput<strong>in</strong>g waren reale undvirtuelle Welt strikt getrennt. Das d<strong>in</strong>glicheInternet hat den Prozess der Verschmelzungbeider Welten <strong>in</strong> Gang gesetzt. Die Fusionwird über <strong>die</strong> beschriebenen CPS hergestellt,durch das Zusammenspiel von e<strong>in</strong>gebettetenSystemen, Anwendungsgeräten und IKT-Infrastrukturen. Um zweckorientiert zusammenzuwirken,erhalten Gegenstände e<strong>in</strong>e„persönliche“ Internet-Adresse, <strong>die</strong> für <strong>die</strong>Interaktion auf der Basis von Internetprotokollennotwendig ist.Die Voraussetzungen hierfür s<strong>in</strong>d durch dasneue Internetprotokoll IPv6 gegeben. Warenbis vor kurzem nur 4,3 Milliarden Internetadressenmöglich, s<strong>in</strong>d es jetzt 340 Sextillionen(nummerisch: 340.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000).Während das Internet <strong>die</strong> <strong>in</strong>frastrukturelleGrundfunktion der Übertragung bietet,ermöglicht das Internet der Dienstespezielle onl<strong>in</strong>e-Anwendungen, <strong>die</strong> miteigenen IP-Protokollen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netzwerkfunk tionieren.Mit den neuen Dienstangeboten „2.0“können technische, soziale, wissensbasierteund freundschaftliche Beziehungenzwischen Benutzern aufgebaut werden(Social Media).Das Internet für sich alle<strong>in</strong> ermöglicht ke<strong>in</strong>epraktische Nutzung. Millionen von Computerns<strong>in</strong>d lediglich e<strong>in</strong> „leeres“ Netzwerk.Es bedarf entsprechender Dienste, <strong>die</strong> gewünschteAufgaben erledigen. Im World WideWeb werden Webseiten übertragen. Outlookermöglicht den Empfang und Versand von E-Mails. Wer über eBay e<strong>in</strong>- oder verkauft oderbei Google sucht, bewegt sich im Internet derDienste. Er nutzt e<strong>in</strong>en Dienst, ohne <strong>die</strong> Software<strong>in</strong>stallieren zu müssen. Die wird aus der„Wolke“ (Cloud) abgerufen. Hier spricht manvom „Internet der Dienste“‘.Beg<strong>in</strong>n 1970er-JahreAutomatisierungdurch Elektronikund ITComputer IntegratedManufactur<strong>in</strong>g –e<strong>in</strong> <strong>4.0</strong>-Vorläufer-Flop21. JahrhundertInformatisierungdurch Internetund CPSFabrikmanager, denen <strong>die</strong> CIM-Erfahrung(Computer Integrated Manufactur<strong>in</strong>g) ausden 1980er-Jahren noch <strong>in</strong> den Knochensteckt, me<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> der <strong>4.0</strong>-<strong>Industrie</strong> ,,altenWe<strong>in</strong> <strong>in</strong> neuen Schläuchen“ zu erkennen.CIM scheiterte an der fehlenden oder unausgereiftenIKT-Technik. H<strong>in</strong>zu kam <strong>die</strong> Visione<strong>in</strong>er menschenleeren Fabrik, <strong>die</strong> Ängsteund Gegenwehr auslöste. Heute bef<strong>in</strong>denwir uns, zum<strong>in</strong>dest was <strong>die</strong> Technik angeht,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er komfortableren Situation. Das,was benötigt wird, ist im Privatbereich derMenschen längst im E<strong>in</strong>satz, beispielsweiseMultimedia, Social-Media- und Cloud-Technologien, Tablets und Smart-Phones. Siekönnten auch der <strong>Industrie</strong> im <strong>4.0</strong>-KontextNutzen bieten. Außerdem verfügt <strong>die</strong> deutsche<strong>Industrie</strong> über langjährige Erfahrungenmit e<strong>in</strong>gebetteten Systemen und entsprechendesSoftware-Know-how. Seit gut 15Jahren gibt es Ideen und Lösungen, <strong>die</strong> demGedankengut der <strong>4.0</strong>-Produktionsweise entsprechen.So werden <strong>in</strong> Autofabriken <strong>die</strong> imFertigungsfluss bef<strong>in</strong>dlichen Fahrzeuge mite<strong>in</strong>em RFID-Transponder (Radio FrequencyIdentification) ausgestattet, mit denen derProduktionsleitstand <strong>in</strong> Echtzeit über denFertigungsfortschritt <strong>in</strong>formiert wird.Aufgrund <strong>die</strong>ses technologischen Reifegrades<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem hohen Potenzial unseresMasch<strong>in</strong>en- und Werkzeugbaus soll<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>, so der Wunsch der Bundesregierung,den Status e<strong>in</strong>er Leuchtturmtechnologie„made <strong>in</strong> Germany“ bekommen.Von der Wertschöpfungskette 3.0zum Wertschöpfungsnetzwerk <strong>4.0</strong><strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> soll nicht nur <strong>die</strong> Produktivitätvorantreiben, sondern auch <strong>die</strong> Chance zuneuen Geschäftsmodellen bieten. Schon heutebeherbergen viele <strong>Industrie</strong>unternehmenwww.refa.de Industrial Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g 2/2013 39


M ANAGEMENTSTRATEGIENunter ihrem Dach <strong>in</strong>terne und externe Dienstleister,etwa im Market<strong>in</strong>g, Rechnungswesen,Vertrieb und Personalbereich. Viele Dienstleistungens<strong>in</strong>d um e<strong>in</strong>en <strong>Industrie</strong>arbeitsplatzherum angesiedelt. Insbesondere im IKT-Bereichwird sich e<strong>in</strong>e Vielzahl neuer Dienstleistungsjobsentwickeln. Hier ist, so wie seitvielen Jahren, der größte Zuwachs zu erwarten,<strong>in</strong>sbesondere im Softwarebereich. Wenn<strong>die</strong> virtuelle mit der realen Welt immer mehrverschmilzt und Daten immens an Bedeutunggew<strong>in</strong>nen, könnte <strong>die</strong> Datenverarbeitung alsSekundärmarkt fast wichtiger werden als derPrimärmarkt selbst.Es bieten sich auch Chancen für vielfältigeDienstleistungen. Das beschleunigt denWandlungsprozess vom Produktherstellerh<strong>in</strong> zum produzierenden Dienstleister. Denkbarwäre, dass Fabriken nicht mehr produktorientiert,etwa als Telefonfabrik gebautwerden, sondern als Anbieter verwandterProduktionstechnologien. Für <strong>die</strong> Herstellungverschiedener Produkte ließe sich dasWerk jeweils schnell umrüsten. Das Wissenund Können, über das früher der schwäbischeMetallfacharbeiter oder der Sol<strong>in</strong>gerBesteckmacher verfügten, geht auf IKT-Fertigungskomponentenüber.Verursacher des <strong>in</strong>dustriellen <strong>4.0</strong>-Sprungesist das Internet. Das Internet ist der Auslöserund (An-)treiber des <strong>in</strong>dustriellen Fortschritts.Man agiert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netz. Wer ane<strong>in</strong>em Tornetz unten zieht, verformt dessensymmetrische Struktur. Jeder Knotenim Netz hängt mit allen anderen Knotenzusammen. Darum wird auch <strong>die</strong> <strong>in</strong>formationstechnischeVernetzung mit Zulieferern,Kunden und sonstigen Geschäftspartnern zue<strong>in</strong>em wichtigen Wettbewerbsfaktor.Jede Änderung am Produkt oder im Produktionsverlaufzieht aufwändige Tätigkeitenbei allen Geschäftspartnern nach sich. Dieseerfordern den E<strong>in</strong>satz abgestimmter, verzahnterIKT-Systeme. Man bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Wertschöpfungsnetzwerk. So bedenkeman, dass 250 Systemlieferanten an derHerstellung der BMW-7er-Reihe mitwirken.78 % der Wertschöpfung an PKWs wird vonden Zulieferern geleistet und nur 22 von denHerstellern selbst.Im <strong>4.0</strong>-Rahmen funktioniert <strong>die</strong> Zusammenarbeitzwischen den Automobilherstellernund deren Zulieferern aber nur, wenn <strong>die</strong>Kompatibilität der verschiedenen Dateiformateder Beteiligten gegeben ist. Die Partnere<strong>in</strong>es Wertschöpfungsnetzwerkes müssensich verständigen und Daten austauschenkönnen. Sie benötigen Softwaresysteme,<strong>die</strong> als „Simultandolmetscher“ für <strong>die</strong> verschiedenenSoftwaresysteme und Datenformatefungieren – oder eben e<strong>in</strong>heitlicheSoftwareprogramme. Hier liegt gegenwärtignoch e<strong>in</strong>es der zu lösenden Hauptprobleme.Es geht aber nicht nur um <strong>die</strong> Orchestrierungder Softwareanwendungen. Der Erfolgvon <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> steht und fällt mit demZusammenwachsen von Masch<strong>in</strong>enbau, Automatisierung,Elektronik und IKT. Ke<strong>in</strong>e derGruppen kann das Thema alle<strong>in</strong> bewältigen.Zu bewältigen wären aber noch andereProbleme, beispielsweise <strong>die</strong> mangelndeRechtssicherheit, ausreichende Bandbreiten,<strong>die</strong> Datensicherheit bei unternehmensübergreifendenNetzwerken, <strong>die</strong> Akzeptanz der<strong>4.0</strong>-Version <strong>in</strong>dustrieller Arbeit und <strong>die</strong> Qualifikationder beteiligten Mitarbeiter.Gew<strong>in</strong>ner und VerliererDer Begriff „Vierte <strong>in</strong>dustrielle Revolution“kl<strong>in</strong>gt sehr brachial. Vielleicht sollte man denBuchstaben „R“ streichen, so dass „Evolution“übrig bleibt. Bestimmte Entwicklungenkönnten sich aber als Folge des MoorschenBeschleunigungsgesetzes und der Halbwertzeitdes Wissens sprunghaft vollziehen.Auch Lean Management war zunächst e<strong>in</strong>schwaches Signal im Bus<strong>in</strong>ess-Äther, wurdeschnell stärker und ist heute <strong>Industrie</strong>alltag.Alles, was dauert, währt zu lange, vor allem,wenn <strong>die</strong> Schätzungen des aus <strong>4.0</strong> resultierendenProduktivitätsfortschritts zutreffen:30 % Produktivitätsfortschritt (!) im Kontextvon <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> bedeutet aber auch,menschliche durch masch<strong>in</strong>elle Arbeit zuersetzen. Das impliziert e<strong>in</strong>en weiterenRückgang des prozentualen Anteils der <strong>in</strong>der <strong>Industrie</strong> beschäftigten Menschen. Von1991 bis 2007 fiel <strong>die</strong>ser Anteil von 29 auf20 % und wird bis 2020 nach Schätzungendes Autors nochmals um 5 Punkte s<strong>in</strong>ken,ohne Berücksichtigung der aus <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>resultierenden Zusatzeffekte.Nach e<strong>in</strong>er volkswirtschaftlichen Faustregelsteigt <strong>die</strong> Arbeits losigkeit um e<strong>in</strong> Prozentpro drei Prozent gewachsener Wirtschaftsleistung.Gleichwohl wird der Anteil wissensbasierterTätigkeiten <strong>in</strong> der <strong>Industrie</strong>zunehmen, <strong>in</strong> F&E, Konstruktion, Market<strong>in</strong>g,Personal und Rechnungswesen.Fast zeitgleich zu Beg<strong>in</strong>n der Diskussionum <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> gaben zwei renommierteArbeitsmarktforscher des Massachusetts Instituteof Technology, McAfee und Erik Brynjolfson,ihre Untersuchungsergebnisse überden Zusammenhang von Digitalisierung undArbeitsabbau bekannt. Sie kamen zu demErgebnis, dass <strong>die</strong> digitale Revolution mehrJobs vernichten würde, als sie neue schaffe.Die Ökonomen warnten vor tektonischenVerschiebungen <strong>in</strong> der Arbeitswelt.Natürlich wissen <strong>die</strong> MIT-Forscher, dass <strong>die</strong>digitale Revolution weltweit neue Arbeitsplätzeschuf. Jede Arbeit brachte neue Arbeithervor. Aber was ist, wenn auch <strong>die</strong> neu geschaffeneArbeit größtenteils <strong>in</strong>formatisiertund automatisiert verrichtet wird? Viele ITbasierteTätigkeiten befassen sich letztendlichmit Algorithmen. Je nach dem Grad ihrerStrukturierung können solche Jobs auch vone<strong>in</strong>er Masch<strong>in</strong>e verrichtet werden. Die Listeder Tätigkeiten, <strong>in</strong> denen Masch<strong>in</strong>en bessers<strong>in</strong>d als Menschen, wird immer länger. DerKampf „Mensch gegen Technik“ könnte zugunstender Technik entschieden werden.Literatur[1] Bundesm<strong>in</strong>isterium für Wirtschaft und Technologie(BMWi): AUTONOMIK für <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> Produktion, Produkte,Dienste im multidimensionalen Internet der <strong>Zukunft</strong>.Berl<strong>in</strong>, 2012[2] Promotorengruppe Kommunikation der ForschungsunionWirtschaft – Wissenschaft: Kagermann, H.; Wahlster,W.; Helbig, J.: Deutschlands <strong>Zukunft</strong> als Produktionsstandortsichern. Umsetzungsempfehlungen fürdas <strong>Zukunft</strong>sprojekt <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>. Abschlussbericht desArbeits kreises <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>, Berl<strong>in</strong>, 2013[3] Simon, W.: GABALs großer Methodenkoffer <strong>Zukunft</strong>:Grundlagen und Trends, Offenbach: Gabal, 2011[4] Simon, W.: Abschied von der Normalarbeit. Berufsweltund Arbeitsplatz im Umbruch. Auerbach: Verlag WissenschaftlicheScripten, 2012 V ERFASSERProf. Dr. Walter SimonLeiter des Corporate University CentersBad NauheimKontakt: prof.simon@onl<strong>in</strong>e.dewww.profsimon.dewww.virtual-uni.deWalter Simon moderiert das Diskussionsforum„Von CIMsalabim zu <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>“auf dem 39. Deutschen Industrial-Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g-Kongressam 7. November 2013<strong>in</strong> Darmstadt. Weitere Informationen:www.refa.de/events+foren40Industrial Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g 2/2013www.refa.de

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