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Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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13 Die Familie von Zhang Yong 85betrachtete sich selbst als Mitglied e<strong>in</strong>er Mandar<strong>in</strong>familie und uns alsNormalsterbliche. Beamte und das normale Volk unterschieden sich wieHimmel und Erde, beides gehörte nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Topf. Wenn sie zu redenbegann, hieß es am Anfang fast immer „wir Mandar<strong>in</strong>familien“ und „ihrVolksfamilien“. Dabei war sie ganz <strong>of</strong>fen und natürlich und nahm ke<strong>in</strong>Blatt vor den Mund. Wir hörten zu, staunten und lachten. Manchmalmachten wir uns e<strong>in</strong>en Spaß und erhoben unsere Stimme dagegen: „Essen Sie, die Mandar<strong>in</strong>e, nicht auch mit Essstäbchen? Tr<strong>in</strong>ken Sie nichtauch aus e<strong>in</strong>er Tasse?“ Sie erkannte unsere Absicht aber nicht und redeteweiter von „Beamtenfamilien“ und „e<strong>in</strong>fachen Leuten“. Sie war <strong>in</strong> dieserH<strong>in</strong>sicht völlig abgehoben, wir „Normalsterbliche“ standen ratlos vor ihr.Ihr Sohn Zhang Yong war klug genug, das Verhalten se<strong>in</strong>er Mutternicht zu missbilligen. Er war e<strong>in</strong> schweigsamer Mensch, pietätvoll undgehorsam. Nie unterbrach er se<strong>in</strong>e Mutter. Aber wenn er die Brauenzusammenzog, wurde deutlich, dass er nicht besonders froh über ihreReden war. Er grübelte <strong>of</strong>t vor sich h<strong>in</strong>, vielleicht über mathematischeFragen, vielleicht über anderes. Mit se<strong>in</strong>er Mutter sprach er selten.Die alte Dame wohnte alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihrer Wohnung, hatte ke<strong>in</strong>e weiterenVerwandten, ke<strong>in</strong>e deutschen Freunde und kam mit niemandem <strong>in</strong>sGespräch. Sie musste sehr e<strong>in</strong>sam se<strong>in</strong>. Traf sie uns „e<strong>in</strong>fachen Leute“,freute sie sich außerordentlich und sagte: „Ich muss euch e<strong>in</strong>e großartigeGeschichte erzählen.“ Dabei rang sie nach Luft. Die so genannte„großartige Geschichte“ war <strong>in</strong> der Tat ohne Bedeutung. Sie redete wiee<strong>in</strong> leer laufendes Weberschiffchen. Tante Zhang las weder Bücher nochZeitungen, und so waren ihre Gesprächsthemen natürlich sehr begrenzt.Nach drei Sätzen schon begann sie erneut, von Zhang Shizhao zusprechen. Sie erzählte von ihrer Hochzeitsfeier. Zhang war damals schone<strong>in</strong> hoher Beamter und behandelte se<strong>in</strong>e Ehefrau nach westlicher Manier.

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