Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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13.07.2015 Aufrufe

76 Zehn Jahre in Deutschland12. Die ersten zwei JahreDie Qinghua-Universität und der Deutsche AkademischeAustauschdienst hatten vertragliche Vereinbarungen überzweijährige Studienaufenthalte in Deutschland. Ich hatte vor, zwei Jahre inDeutschland zu studieren. Diese zwei Jahre bildeten aber nur den erstenAbschnitt meiner zehn Jahre in Deutschland.Insgesamt verliefen die geplanten zwei Jahre ruhig, es gab keine Sturmflut,keine starken Erschütterungen. Hitler war bereits vor einigen Jahren andie Macht gelangt. Er wurde wie verrückt vergöttert. Ich kannte eineFrau, jung und hübsch. Zufällig sprach ich mit ihr über Hitler. Da platztesie heraus: „Es wäre mir eine übergroße Ehre, wenn ich Hitler ein Kindgebären könnte.“ Ich staunte. So etwas hätte ich mir im Traum nichtvorstellen können. Ich hatte Hitler niemals persönlich gesehen, hörte aberoft im Radio seine bellende Stimme. Unter den Deutschen waren nur ganzwenige gegen ihn. Seine SA (Sturm Abteilung) und SS (Schutz Staffel)gehörten überall zum Straßenbild. Wir nannten die braun Uniformierten„braune Hunde“, die schwarz Uniformierten „schwarze Hunde“. Diebraunen und die schwarzen Hunde machten uns chinesischen Studenten

12 Die ersten zwei Jahre 77keine Schwierigkeiten. Im Laden oder beim Besuch von Freundensagten die Deutschen „Heil Hitler!“ und wir „Guten Morgen!“, „GutenTag!“ oder „Guten Abend!“. Jeder machte das so, wie es ihm gefiel.Brunnenwasser vermischt sich nicht mit Flusswasser, man mischt sichnicht in die Angelegenheiten des anderen ein. Mit Deutschen sprachenwir nie über Politik.In Wirklichkeit standen die Zeichen sowohl in China als auch inDeutschland auf Sturm. Schon zwei Jahre später hatte sich die Lage totalverändert.Das musste ich beobachten, aber ich war machtlos. Ich wünschte mir einruhiges Leben und versuchte, meine eigene Haut in dem Chaos zu retten.Äußerlich wirkte der Alltag in den Straßen lebhaft, die Versorgung warausreichend. Das Lebensmittelmarken-System war noch nicht eingeführt.Wer Geld hatte, konnte alles kaufen. Jeden Morgen frühstückte ich zuHause Brötchen, Milch, Butter und Käse mit einer Tasse schwarzenTee. Dann ging ich ins Sanskrit-Institut zum Unterricht oder zumSelbststudium. Mittags aß ich außerhalb in einer Gaststätte. Anschließendkehrte ich ins Institut zurück. Ein Mittagsschläfchen kannte ich nicht.Nachmittags wieder Unterricht oder Lesen. Etwa um sechs Uhrabends kam ich nach Hause. Die Vermieterin ließ mir etwas von ihremMittagessen übrig. Zum Abendessen bekam ich deshalb etwas anderes alsdie Deutschen, die nur Brot und Wurst aßen und Tee tranken.Ein solches Leben ging in Ordnung, ich war damit zufrieden.Am Sonntag trafen sich die chinesischen Studenten in Göttingen, ohnesich eigens verabredet zu haben, auf der Schillerwiese, die außerhalb desStadtkerns am Fuße eines Berges lag: Long Piyan, Tian Dewang, WangZichang, Huang Xitang und Lu Shoudan. Die Wiese war das ganze Jahrhindurch über und über grün. In der Umgebung ragten alte Bäume

12 Die ersten zwei <strong>Jahre</strong> 77ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten. Im Laden oder beim Besuch von Freundensagten die Deutschen „Heil Hitler!“ und wir „Guten Morgen!“, „GutenTag!“ oder „Guten Abend!“. Jeder machte das so, wie es ihm gefiel.Brunnenwasser vermischt sich nicht mit Flusswasser, man mischt sichnicht <strong>in</strong> die Angelegenheiten des anderen e<strong>in</strong>. Mit Deutschen sprachenwir nie über Politik.In Wirklichkeit standen die Zeichen sowohl <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a als auch <strong>in</strong><strong>Deutschland</strong> auf Sturm. Schon zwei <strong>Jahre</strong> später hatte sich die Lage totalverändert.Das musste ich beobachten, aber ich war machtlos. Ich wünschte mir e<strong>in</strong>ruhiges Leben und versuchte, me<strong>in</strong>e eigene Haut <strong>in</strong> dem Chaos zu retten.Äußerlich wirkte der Alltag <strong>in</strong> den Straßen lebhaft, die Versorgung warausreichend. Das Lebensmittelmarken-System war noch nicht e<strong>in</strong>geführt.Wer Geld hatte, konnte alles kaufen. Jeden Morgen frühstückte ich zuHause Brötchen, Milch, Butter und Käse mit e<strong>in</strong>er Tasse schwarzenTee. Dann g<strong>in</strong>g ich <strong>in</strong>s Sanskrit-Institut zum Unterricht oder zumSelbststudium. Mittags aß ich außerhalb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gaststätte. Anschließendkehrte ich <strong>in</strong>s Institut zurück. E<strong>in</strong> Mittagsschläfchen kannte ich nicht.Nachmittags wieder Unterricht oder Lesen. Etwa um sechs Uhrabends kam ich nach Hause. Die Vermieter<strong>in</strong> ließ mir etwas von ihremMittagessen übrig. Zum Abendessen bekam ich deshalb etwas anderes alsdie Deutschen, die nur Brot und Wurst aßen und Tee tranken.E<strong>in</strong> solches Leben g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Ordnung, ich war damit zufrieden.Am Sonntag trafen sich die ch<strong>in</strong>esischen Studenten <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen, ohnesich eigens verabredet zu haben, auf der Schillerwiese, die außerhalb desStadtkerns am Fuße e<strong>in</strong>es Berges lag: Long Piyan, Tian Dewang, WangZichang, Huang Xitang und Lu Shoudan. Die Wiese war das ganze Jahrh<strong>in</strong>durch über und über grün. In der Umgebung ragten alte Bäume

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