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Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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38 <strong>Zehn</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>Im Zug hatten wir die Essens- und Getränkefrage gut gelöst. Mit denToilettengängen gab es allerd<strong>in</strong>gs große Schwierigkeiten. In jedem Wagenbefanden sich vierzig bis fünfzig Fahrgäste. Es standen aber nur zweiToiletten zur Verfügung, die <strong>of</strong>t belagert waren. Jeden Tag stand ich sehrfrüh auf. Ich dachte, dass es eigentlich zeitig genug se<strong>in</strong> müsste, aber vorder Toilette stand dann schon e<strong>in</strong>e lange Schlange. Schnell stellte ich michan und wartete sehnsüchtig. Wie viel Zeit brauchte man? Man putztesich die Zähne, wusch sich das Gesicht und leerte noch Darm und Blase.Wenn e<strong>in</strong>er Verstopfung hatte, war das für die anderen schlimm. DerDarm drehte sich im Bauch, und die Schlange wurde nicht kürzer. Was füre<strong>in</strong> Gefühl!Natürlich gab es nicht nur Schwierigkeiten. Manchmal kam auch Freudeauf. Wir sechs ch<strong>in</strong>esischen Studenten trafen uns <strong>of</strong>t <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Abteil. Wirwaren zwar Kommilitonen an der Q<strong>in</strong>ghua-Universität gewesen, hattenfrüher jedoch mite<strong>in</strong>ander wenig Kontakt gehabt. Jetzt im Zug wurdenwir vertraute Freunde, saßen zusammen und plauderten locker undungezwungen, junge Männer von dreiundzwanzig oder vierundzwanzig<strong>Jahre</strong>n. Wir kannten die Welt noch nicht, die voller Rosen, farbig undglänzend vor uns lag. Wir hatten klare Augen, durchsichtige Herzenund sprachen ohne Hemmungen. Nie g<strong>in</strong>g uns der Gesprächsst<strong>of</strong>f aus.In dem kle<strong>in</strong>en Abteil herrschte e<strong>in</strong>e fröhliche Stimmung. Manchmalermüdete uns das Reden, dann spielten wir Schach. Der Physiker WangZhuxi war dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Meister. Wir fünf spielten e<strong>in</strong>zeln gegen ihn undhatten die erste, zweite und dritte Partie verloren. Auch zu fünft hattenwir gegen ihn ke<strong>in</strong>e Chance. Dem Philosophen Qiao Guanhua half se<strong>in</strong>ePhilosophie da auch nicht viel. In den acht oder neun Tagen sah ich ihnnicht e<strong>in</strong>mal gew<strong>in</strong>nen.Wenn wir ke<strong>in</strong>e Lust mehr zum Plaudern oder Schachspielen hatten,

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