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Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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32 <strong>Zehn</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>Das war also Haerb<strong>in</strong>.Wer sich hier aufhielt, unternahm gewöhlich e<strong>in</strong>e Bootsfahrt aufdem Songhua-Fluss zu machen. Auch wir wollten uns das nichtentgehen lassen. Es war die Zeit zwischen Sommer und Herbst, dieTagestemperatur gemäßigt. Wir mieteten e<strong>in</strong> Boot und fuhren den Stromentlang. Leichter Nebel lag über dem Wasser, und das Boot glich e<strong>in</strong>emBlatt. Weit <strong>in</strong> der Ferne spannte sich e<strong>in</strong>e Eisenbrücke wie e<strong>in</strong> farbloserRegenbogen über den Fluss mit re<strong>in</strong>er glatten Wasseroberfläche, und derFluss wimmelte von Reisenden. Wir waren begeistert und unterhieltenuns heiter und amüsiert. Das Boot wurde von zwei weißrussischenJungen gefahren. Der mit den Rudern <strong>in</strong> den Händen war zu unsererÜberraschung bl<strong>in</strong>d, der andere steuerte das Boot. Erstaunlich. DerSonghua-Fluss existierte für uns plötzlich nicht mehr. Vor unseren Augenstand alle<strong>in</strong> der bl<strong>in</strong>de weißrussische Junge. Wir hatten Fragen, konntenuns aber nicht verständigen. Es war klar, dass der Bl<strong>in</strong>de aus e<strong>in</strong>er armenFamilie stammte. Se<strong>in</strong>e Eltern – wenn sie noch lebten – hatten wohl ke<strong>in</strong>eandere Wahl, als den Sohn diese gefährliche Arbeit machen zu lassen.Der breite Fluss, das tiefe Wasser, überall lauerten Gefahren. E<strong>in</strong> Mannmit guten Augen musste schon jederzeit vorsichtig se<strong>in</strong>, geschweige denne<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>der Knabe! Aber er ruderte froh und zufrieden. Ich wusste nicht,warum. Weil er nichts sehen konnte? Ich blickte nach allen Seiten, dieLandschaft blieb unverändert, ich dachte jedoch nur an, diesen bl<strong>in</strong>denJungen. Die Ausflügler, die Wellen, die Eisenbrücke und die Natur, alleswar verschwunden. Ich malte mir aus, dass se<strong>in</strong>e Eltern und Geschwisterwahrsche<strong>in</strong>lich auf se<strong>in</strong>e Rückkehr warteten. Mit se<strong>in</strong>em selbst verdientenGeld kaufte er der Familie e<strong>in</strong> „Xleb“, damit sie nicht verhungerte. Wannaber war die Familie nach Haerb<strong>in</strong> geflüchtet? Das wusste ich natürlichnicht. Gehörte se<strong>in</strong>e Familie <strong>in</strong> der Zarenzeit zum Adel? War er vielleicht

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