Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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13.07.2015 Aufrufe

244 Zehn Jahre in Deutschlanddie Reisenden mit Geld. Überall gab es daher heftige Diskussionen undStreitereien. Die meisten Passagiere rauchten. Es ging drunter und drüberauf dem Zwischendeck. Luft und Lärm schufen ein vielstimmiges Lied,das sogar den Schiffslärm in den Schatten stellte.Wir wohnten in der Ersten Klasse und bildeten mit den anderenchinesischen Studenten in der Zweiten Klasse eine privilegierte Gruppe.Wie laut und schmutzig es da draußen auch sein mochte, wir machteneinfach die Tür zu. In unseren Kabinen war es ruhig und sauber.Manchmal brauchten wir allerdings auch frische Luft und mussten anDeck. Es lag nur einen Schritt entfernt, aber dieser eine Schritt gestaltetesich außerordentlich schwierig. Es war nicht einfach, sich einen Weg durchdie Menschen zu bahnen. An Deck sah ich plötzlich unter den vielenMenschen eine Studentin, die mit uns gemeinsam an Bord gegangenwar. Sie hatte in Belgien und Frankreich studiert. Ihre Augen warengeschlossen, sie aß und trank nichts. Sie bewegte sich auch nicht. Einigestiegen über ihren Körper. Als jemand über sie stolperte und Wasser aufihr Gesicht schüttete, reagierte sie immer noch nicht, wie bewusstlos.Ihre Augenlider regten sich nicht. War sie eingeschlafen? War sie wach?Ich wusste es nicht. So lag sie einige Tage bis Shanghai. Erstaunlich! DieStudentin hatte Mathematik studiert und war eine überzeugte Katholikin.Ihrer Miene konnte ich nicht ansehen, ob sie Nonne war. Egal, sie hattesicherlich ihren persönlichen Gott. Anders konnte ich mir ihr Gongfu-Verhalten auf dem Schiff nicht erklären.Ich glaubte nicht an Gott und wollte auch nicht bewegungslos liegen. Ichwollte essen, trinken, mich bewegen und denken. Nun lag meine Heimatunmittelbar vor mir. Das elfjährige Leben im Ausland war beendet.Nacheinander tauchten die Erlebnisse aus diesem Leben vor meinenAugen auf. Tausend Gedanken entströmten meinem Herzen. Ich wollte

39 In den Armen der Heimat 245sie über meinem Heimatland ausschütten. Was sollte ich sagen? Vorelf Jahren war ich noch jung und hatte wenig Erfahrung. Mit meinemganzen Herzen hatte ich mich entschieden, meine Heimat zu verlassen,um China zu retten und zu vergolden. Ursprünglich waren nur zwei Jahregeplant, die ich mit zusammengebissenen Zähnen überstehen wollte. Aberich war nicht in der richtigen Zeit geboren. Der Krieg in Deutschlanddauerte endlos. Aus zwei Jahren waren elf geworden. Was ich in derZeit an Schwierigkeiten, Härten und Ungerechtigkeit erlebt und wie vielRückschläge ich erlitten hatte, darüber wollte ich nicht mehr nachdenken.Alle Tage hatte ich gehungert und die Todesgefahr vor Augen gehabt.Die britischen und amerikanischen Flugzeuge flogen zu jeder Zeitüber unseren Köpfen. Zwischen Leben und Tod lag nur eine Sekunde.Tausend Male hatte ich Glück gehabt und war dem Tod um Haaresbreiteentkommen. Seit einigen Jahren gab es keine Nachricht von Zuhause.Meine nächsten Verwandten waren alt, meine Frau jung und die Kindernoch klein, meine Mutter begraben. Ihr Geist sorgte sich bestimmt ummich. Ich sehnte mich nach dem Tag, an dem ich meine Erlebnisse inmeiner Heimat ausschütten konnte. Jetzt war sie vor meinen Augen, dieZeit war gekommen, aber was konnte ich ausschütten?Ich konnte nicht bewegungslos daliegen wie die Katholikin. Ich lehntemich an die Reling und konzentrierte mich auf die herumwälzendenWellen im Meer. Mein Herz wälzte sich noch stärker herum, als esdie Wellen taten. Während meiner Zeit in Europa hatte ich viele Malegedacht, wenn ich meine Heimat wiedersehen würde, müsste ich aufdie Knie fallen und ihren Boden küssen, sie sanft streicheln und Tränenvergießen. Das fiel mir jetzt schwer. Ich hatte tief in meinem HerzenProbleme damit, und mein Blick war nicht mehr frei. In Saigon hatteich von den dort lebenden Chinesen, die China liebten, ab und zu

39 In den Armen der Heimat 245sie über me<strong>in</strong>em Heimatland ausschütten. Was sollte ich sagen? Vorelf <strong>Jahre</strong>n war ich noch jung und hatte wenig Erfahrung. Mit me<strong>in</strong>emganzen Herzen hatte ich mich entschieden, me<strong>in</strong>e Heimat zu verlassen,um Ch<strong>in</strong>a zu retten und zu vergolden. Ursprünglich waren nur zwei <strong>Jahre</strong>geplant, die ich mit zusammengebissenen Zähnen überstehen wollte. Aberich war nicht <strong>in</strong> der richtigen Zeit geboren. Der Krieg <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>dauerte endlos. Aus zwei <strong>Jahre</strong>n waren elf geworden. Was ich <strong>in</strong> derZeit an Schwierigkeiten, Härten und Ungerechtigkeit erlebt und wie vielRückschläge ich erlitten hatte, darüber wollte ich nicht mehr nachdenken.Alle Tage hatte ich gehungert und die Todesgefahr vor Augen gehabt.Die britischen und amerikanischen Flugzeuge flogen zu jeder Zeitüber unseren Köpfen. Zwischen Leben und Tod lag nur e<strong>in</strong>e Sekunde.Tausend Male hatte ich Glück gehabt und war dem Tod um Haaresbreiteentkommen. Seit e<strong>in</strong>igen <strong>Jahre</strong>n gab es ke<strong>in</strong>e Nachricht von Zuhause.Me<strong>in</strong>e nächsten Verwandten waren alt, me<strong>in</strong>e Frau jung und die K<strong>in</strong>dernoch kle<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>e Mutter begraben. Ihr Geist sorgte sich bestimmt ummich. Ich sehnte mich nach dem Tag, an dem ich me<strong>in</strong>e Erlebnisse <strong>in</strong>me<strong>in</strong>er Heimat ausschütten konnte. Jetzt war sie vor me<strong>in</strong>en Augen, dieZeit war gekommen, aber was konnte ich ausschütten?Ich konnte nicht bewegungslos daliegen wie die Katholik<strong>in</strong>. Ich lehntemich an die Rel<strong>in</strong>g und konzentrierte mich auf die herumwälzendenWellen im Meer. Me<strong>in</strong> Herz wälzte sich noch stärker herum, als esdie Wellen taten. Während me<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> Europa hatte ich viele Malegedacht, wenn ich me<strong>in</strong>e Heimat wiedersehen würde, müsste ich aufdie Knie fallen und ihren Boden küssen, sie sanft streicheln und Tränenvergießen. Das fiel mir jetzt schwer. Ich hatte tief <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em HerzenProbleme damit, und me<strong>in</strong> Blick war nicht mehr frei. In Saigon hatteich von den dort lebenden Ch<strong>in</strong>esen, die Ch<strong>in</strong>a liebten, ab und zu

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