Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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13.07.2015 Aufrufe

196 Zehn Jahre in Deutschlandaber lebte ich nicht nur seit fünf Jahren, sondern seit zweimal fünf Jahrenin Göttingen. Und es hatte mir gut gefallen! Es waren zehn Jahre, die,so habe ich am Anfang des Buches geschrieben, wie ein unwirklicherFrühlingstraum verflogen sind. Wenn mir zu jenem Zeitpunkt jemandgesagt hätte, ich müsse weitere zehn Jahre bleiben, wäre ich nicht in dieLuft gegangen. Ich hätte mich gefreut.Aber es war Zeit für mich zu gehen. Ich hatte meine Heimat, meineFamilie, meine Verwandten und meine Frau. Das linderte meinenAbschiedsschmerz.Die einzige Möglichkeit, von Deutschland nach China zu kommen, botdamals der Weg über die Schweiz. Dort unterhielt die Guomindang-Regierung eine Botschaft. Zhang Wei und ich informierten uns überall,wie wir in die Schweiz fahren könnten. Wir erfuhren von der Existenzeiner Schweizer Familie in Göttingen und besuchten sie. Eine Fraumittleren Alters, eine Hausfrau, empfing uns sehr freundlich, konnte unsaber nicht weiterhelfen. Wir mussten ein Visum in Hannover beantragen.Also fuhren Zhang Wei und ich über 100 Kilometer mit einem Bus in dieLandeshauptstadt.Hannover war die größte und älteste Stadt in der Nähe von Göttingen.Aber war das wirklich noch eine Stadt? Aus der Ferne hatte ich noch dieSilhouette zahlreicher Hochhäuser erblickt, aber aus der Nähe war nurnoch ein Trümmerfeld zu sehen. Die zum Teil eingestürzten Gebäudeerinnerten an die Reste einer römischen Arena. Es gab Straßen, aufdenen tatsächlich wieder ein paar Autos fuhren, aber sie waren voll vonkleinen und großen Bombentrichtern. Die Bürgersteige erregten unsereAufmerksamkeit. Die Bauweise der Hochhäuser ähnelte derjenigen invielen größeren deutschen Städten. Gleich, wie hoch sie empor ragten,sie hatten auf jeden Fall einen Keller. Der durfte aber nicht bewohnt

31 Leb wohl, Göttingen! 197Göttinger Wallwerden. Jeder Familie wurden ein oder zwei Kellerräume zugeordnet, umdort alltägliche Lebensmittel wie Kartoffeln, Äpfel, Erdbeermarmelade,Eierbriketts oder Holz und ähnliche Dinge zu lagern. Dass es für dieseRäume einmal noch andere Nutzungsmöglichkeiten geben würde,hätte früher wohl niemand gedacht. Als der Krieg ausbrach, glaubtendie Deutschen an die Lüge ihrer faschistischen Führung, dass dieamerikanischen und englischen Flugzeuge harmlos wie aus Pappe seienund die deutsche Grenze nicht überfliegen könnten. In großen Städtenwaren viel zu wenig Luftschutzbunker gebaut worden. Dann kam dieErnüchterung. Die angeblich aus Pappe hergestellten Flugzeuge derFeinde waren zu Stahl geworden. Die Lüge der Nazis zerplatzte wieeine Seifenblase. Die Menschen konnten nur in die Keller flüchten, umsich vor den Einschlägen zu retten. Doch sie fanden keinen Schutz.Die Bomben durchdrangen ihre Häuser und legten sie in Schutt undAsche. Sie explodierten im Innern der Gebäude, die dann einstürztenund die Keller verschütteten. Die Menschen da unten waren hilflos.

196 <strong>Zehn</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>aber lebte ich nicht nur seit fünf <strong>Jahre</strong>n, sondern seit zweimal fünf <strong>Jahre</strong>n<strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen. Und es hatte mir gut gefallen! Es waren zehn <strong>Jahre</strong>, die,so habe ich am Anfang des Buches geschrieben, wie e<strong>in</strong> unwirklicherFrühl<strong>in</strong>gstraum verflogen s<strong>in</strong>d. Wenn mir zu jenem Zeitpunkt jemandgesagt hätte, ich müsse weitere zehn <strong>Jahre</strong> bleiben, wäre ich nicht <strong>in</strong> dieLuft gegangen. Ich hätte mich gefreut.Aber es war Zeit für mich zu gehen. Ich hatte me<strong>in</strong>e Heimat, me<strong>in</strong>eFamilie, me<strong>in</strong>e Verwandten und me<strong>in</strong>e Frau. Das l<strong>in</strong>derte me<strong>in</strong>enAbschiedsschmerz.Die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, von <strong>Deutschland</strong> nach Ch<strong>in</strong>a zu kommen, botdamals der Weg über die Schweiz. Dort unterhielt die Guom<strong>in</strong>dang-Regierung e<strong>in</strong>e Botschaft. Zhang Wei und ich <strong>in</strong>formierten uns überall,wie wir <strong>in</strong> die Schweiz fahren könnten. Wir erfuhren von der Existenze<strong>in</strong>er Schweizer Familie <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen und besuchten sie. E<strong>in</strong>e Fraumittleren Alters, e<strong>in</strong>e Hausfrau, empf<strong>in</strong>g uns sehr freundlich, konnte unsaber nicht weiterhelfen. Wir mussten e<strong>in</strong> Visum <strong>in</strong> Hannover beantragen.Also fuhren Zhang Wei und ich über 100 Kilometer mit e<strong>in</strong>em Bus <strong>in</strong> dieLandeshauptstadt.Hannover war die größte und älteste Stadt <strong>in</strong> der Nähe von Gött<strong>in</strong>gen.Aber war das wirklich noch e<strong>in</strong>e Stadt? Aus der Ferne hatte ich noch dieSilhouette zahlreicher Hochhäuser erblickt, aber aus der Nähe war nurnoch e<strong>in</strong> Trümmerfeld zu sehen. Die zum Teil e<strong>in</strong>gestürzten Gebäudeer<strong>in</strong>nerten an die Reste e<strong>in</strong>er römischen Arena. Es gab Straßen, aufdenen tatsächlich wieder e<strong>in</strong> paar Autos fuhren, aber sie waren voll vonkle<strong>in</strong>en und großen Bombentrichtern. Die Bürgersteige erregten unsereAufmerksamkeit. Die Bauweise der Hochhäuser ähnelte derjenigen <strong>in</strong>vielen größeren deutschen Städten. Gleich, wie hoch sie empor ragten,sie hatten auf jeden Fall e<strong>in</strong>en Keller. Der durfte aber nicht bewohnt

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