Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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13.07.2015 Aufrufe

12 Zehn Jahre in Deutschlandstärken. Zwar konnte ich kaum Lebenserfahrungen aufweisen, aber seineAbsichten konnte ich wohl durchschauen. Unglücklicherweise mangeltees mir seit jeher an den Charaktereigenschaften, die erforderlich sind,wenn man Verbände und dergleichen gründen und am Leben erhaltenwill. Ich war weder großsprecherisch noch schmeichlerisch veranlagt,auch wollte ich nicht mit den Ehefrauen irgendwelcher Herren Ma-Jiang spielen. Kurzum, der Verband war ein Schlag ins Wasser. Es tatmir außerordentlich leid, aber ich schaffte es nicht. Der Direktor sagtezu den anderen: „Xianlin ist eben sehr ruhig.“ Song war wirklich einwürdiger Beida-Absolvent, beschlagen in der chinesischen Kultur und inder klassischen Literatur. Er verwendete in seiner knappen Bemerkungdas Wort „ruhig“. Dieses Wort alleine war beredter als tausend Wörter,wie Wang Guowei einmal gesagt hat. Das bedeutet, ein oder zwei Wörterzeigten bereits das Ganze. Zu allem Unglück war ich kein Idiot und besaßzudem eine Portion gesunden Menschenverstand. Intuitiv verstand ichsofort, worauf es hinaus lief: Die Reisschüssel drohte meiner Hand zuentgleiten.Ich musste fortgehen.Aber wohin? „Hebt man den Blick, sieht man bis ans Ende der Welt.“ 14Ich befand mich in einer Menschenmenge, und nirgendwo war meinZuhause. Im Grunde genommen waren mein Leben und meine Lagenicht so schlecht. Mit meinen Schülern kam ich gut aus, ich war erst 23Jahre alt und trat sehr bescheiden auf. Viele meiner Schüler waren fast imgleichen Alter, einige sogar etwas älter als ich. Ich zählte sie zu meinenFreunden. Für eine große Zeitung gab ich eine Literaturbeilage heraus.Auch Artikel der Schüler wurden darin veröffentlicht, was für diese sehr14Yan Shu 晏 殊 (991 – 1055), Song – Dynastie, Dichter; aus: „Schmetterlingen lieben Blumen“(《 蝶 恋 花 》).

1 Schwärmerei vom Auslandsstudium 13attraktiv war. Zu den Kollegen pflegte ich ein ebenso gutes Verhältnis.Fast jede Woche suchten wir einmal gemeinsam ein Wirtshaus auf. UnserGehalt war hoch, die Preise niedrig und unsere Freundschaft erlaubtekeine Knausrigkeit. Von außen betrachtet führte ich augenscheinlich eingöttliches Leben.Im Innern aber war ich tief bedrückt. Ich musste fort.Fort von hier! Meine heiligen Träume aus dieser Zeit kreisten um das„sich im Ausland vergolden lassen“. Oft hing ich im Gartenpavillon mitseinen künstlichen Felsen und blühenden Rosenstöcken meinen Auslands-Träumereien nach. Im Neonlicht und bei einem Glas Wein hatte ichzudem das Gefühl, dass meine Reisschüssel wackelte. In meinem nochjugendlichen Alter wuchsen mir vor lauter Sorgen bereits graue Haare.Ich konnte mich beim besten Willen nicht zusammenreißen. So manchesMal dachte ich: Du solltest einfach in den Tag hineinleben, denn du bistratlos, und Illusionen helfen dir gar nichts. Ein Sprichwort lautet: „DerWagen findet schon seinen Weg über den Berg, wenn er erst einmal dortangekommen ist.“ Also warten wir einfach ab, bis mein Wagen sein Zielgefunden hat.Doch so einfach ging das leider nicht. Die Nachrichten über dasAuslandsstudium anderer drangen immer häufiger an mein Ohr. Auchich zitterte am ganzen Körper, wenn ich diese Nachrichten hörte.Weit entfernt sah ich die erhabenen Berge und die mächtigen StrömeEuropas und stellte mir das göttliche Leben der anderen vor. Ich, einNormalsterblicher, getrennt bin ich durch tausend Berge.So verbrachte ich ein ganzes Jahr.

12 <strong>Zehn</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>stärken. Zwar konnte ich kaum Lebenserfahrungen aufweisen, aber se<strong>in</strong>eAbsichten konnte ich wohl durchschauen. Unglücklicherweise mangeltees mir seit jeher an den Charaktereigenschaften, die erforderlich s<strong>in</strong>d,wenn man Verbände und dergleichen gründen und am Leben erhaltenwill. Ich war weder großsprecherisch noch schmeichlerisch veranlagt,auch wollte ich nicht mit den Ehefrauen irgendwelcher Herren Ma-Jiang spielen. Kurzum, der Verband war e<strong>in</strong> Schlag <strong>in</strong>s Wasser. Es tatmir außerordentlich leid, aber ich schaffte es nicht. Der Direktor sagtezu den anderen: „Xianl<strong>in</strong> ist eben sehr ruhig.“ Song war wirklich e<strong>in</strong>würdiger Beida-Absolvent, beschlagen <strong>in</strong> der ch<strong>in</strong>esischen Kultur und <strong>in</strong>der klassischen Literatur. Er verwendete <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er knappen Bemerkungdas Wort „ruhig“. Dieses Wort alle<strong>in</strong>e war beredter als tausend Wörter,wie Wang Guowei e<strong>in</strong>mal gesagt hat. Das bedeutet, e<strong>in</strong> oder zwei Wörterzeigten bereits das Ganze. Zu allem Unglück war ich ke<strong>in</strong> Idiot und besaßzudem e<strong>in</strong>e Portion gesunden Menschenverstand. Intuitiv verstand ichs<strong>of</strong>ort, worauf es h<strong>in</strong>aus lief: Die Reisschüssel drohte me<strong>in</strong>er Hand zuentgleiten.Ich musste fortgehen.Aber woh<strong>in</strong>? „Hebt man den Blick, sieht man bis ans Ende der Welt.“ 14Ich befand mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Menschenmenge, und nirgendwo war me<strong>in</strong>Zuhause. Im Grunde genommen waren me<strong>in</strong> Leben und me<strong>in</strong>e Lagenicht so schlecht. Mit me<strong>in</strong>en Schülern kam ich gut aus, ich war erst 23<strong>Jahre</strong> alt und trat sehr bescheiden auf. Viele me<strong>in</strong>er Schüler waren fast imgleichen Alter, e<strong>in</strong>ige sogar etwas älter als ich. Ich zählte sie zu me<strong>in</strong>enFreunden. Für e<strong>in</strong>e große Zeitung gab ich e<strong>in</strong>e Literaturbeilage heraus.Auch Artikel der Schüler wurden dar<strong>in</strong> veröffentlicht, was für diese sehr14Yan Shu 晏 殊 (991 – 1055), Song – Dynastie, Dichter; aus: „Schmetterl<strong>in</strong>gen lieben Blumen“(《 蝶 恋 花 》).

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