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Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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23 Me<strong>in</strong>e Vermieter<strong>in</strong> 155hielt sie an ihren Vorurteilen beharrlich fest. Es gab e<strong>in</strong>e nette Katholik<strong>in</strong>,die für me<strong>in</strong>e Vermieter<strong>in</strong> monatlich die Wäsche wusch. Diese Katholik<strong>in</strong>,e<strong>in</strong>e alte Jungfer und älter als Frau Oppel, vielleicht um die sechzig <strong>Jahre</strong>,war arm, hatte ke<strong>in</strong>en Beruf gelernt und bestritt ihren Lebensunterhalt alsHaushaltshilfe. Sie war ehrlich und sprach nicht viel, war aber überzeugteKatholik<strong>in</strong>. Alles, was sie nicht für ihr außergewöhnlich schlichtes Lebenbenötigte, spendete sie der Kirche. Wahrsche<strong>in</strong>lich h<strong>of</strong>fte sie nach ihremTod auf e<strong>in</strong>en Platz im Himmel. Me<strong>in</strong>e Vermieter<strong>in</strong> sagte mir <strong>of</strong>t, dassTherese, so hieß die Katholik<strong>in</strong>, ihrem Glauben so treu sei wie Gold.Aber treu zu se<strong>in</strong> war e<strong>in</strong>e Sache, Religion e<strong>in</strong>e andere. Wenn sie darübersprachen, g<strong>in</strong>gen ihre Me<strong>in</strong>ungen ause<strong>in</strong>ander. Abends erzählte sie mirdavon und konnte ihre Kritik nicht verhehlen.Kurzum, me<strong>in</strong>e Vermieter<strong>in</strong> war e<strong>in</strong>e Person, die manchmal ungerechtund vore<strong>in</strong>genommen war und sich nicht um die großen D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> derWelt kümmerte. E<strong>in</strong> ganz eigener, aber auch e<strong>in</strong> ganz normaler Mensch,nett, ehrlich und e<strong>in</strong>fach.Ihr Leben bestand nicht nur aus Sonnensche<strong>in</strong>, und natürlich hatte auchsie Enttäuschungen h<strong>in</strong>nehmen müssen. So erfuhr ich von ihr, dass vordem Ersten Weltkrieg viele deutsche Familien Gold zu Hause hatten.Nach diesem Krieg gab es e<strong>in</strong>e verheerende Inflation <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>.Da war auch ihr bisschen Gold nichts mehr wert. Während des ZweitenWeltkrieges musste sie mit wenig Geld den Haushalt bestreiten. FrauOppel <strong>in</strong>teressierte sich nicht für Politik. Sie war weder für Hitler nochgegen ihn, aber sie schwamm mit dem Strom und schimpfte auf dieJuden. Sie war nicht aktiv, sie war e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Mitläufer<strong>in</strong>.Sie hatte ke<strong>in</strong>e Beziehungen zu Menschen auf dem Lande. Daher fehltees ihr genau wie mir an Lebensmitteln. Während des Krieges wurde ihrMann immer dünner. Später ist er dann gestorben. Sie hatten die ganze

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