Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library
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152 Zehn Jahre in DeutschlandMahlzeiten pro Tag. Zum Frühstück gab es zu Hause eine Kanne Tee undzwei Scheiben Brot. Mittags aß ich warm in einer Gaststätte oder in derMensa. Abends aß ich zu Hause. Meine Vermieterin hatte für mich etwasvom Mittagessen zurückbehalten. Daher genoss ich auch ein warmesAbendessen, wie in China üblich. Und nachdem Frau Oppel sich mit denchinesischen Essgewohnheiten auskannte, bereitete sie mir sorgfältig dasAbendessen zu. Ich freute mich sehr, nach der täglichen Arbeit im Institutzu Hause ein warmes Essen zu bekommen, und war meiner Vermieterindafür herzlich dankbar.Nach dem Abendessen arbeitete ich in meinem Zimmer. Um 22 Uhrerschien Frau Oppel, nahm das Bettzeug, legte es aufs Sofa und strichdie Bettdecke glatt. Diese Arbeit war einfach. Ich hätte das auch tunkönnen, aber das wollte sie nicht. Für ihren Sohn, der vorher diesesZimmer bewohnte hatte, hatte sie das auch jeden Tag gemacht. Nachder Arbeit unterhielt sie sich mit mir. Sie berichtete mir haargenau alles,was sie den ganzen Tag gemacht hatte: wen sie gesehen, was sie gekauft,was sie erlebt hatte und wo sie gewesen war – sie erzählte eins nachdem anderen. Ihre Schilderungen waren anschaulich und freundlich. Ichkonnte nichts dazu sagen und ihren Ausführungen nur wortlos zuhören,zunächst ganz einfach deshalb, weil kurz nach meiner Ankunft meinedeutschen Sprachkenntnisse in Deutschland nicht ausreichten, und fürmeine Deutschkenntnisse war es hilfreich, ihr jeden Tag eine halbe Stundezuzuhören. Frau Oppel wurde wirklich zu meiner Lehrerin. Ich brauchtesie nicht einmal zu bezahlen. Das sah sie als selbstverständlich an. Nachihrem täglichen Bericht wünschten wir uns „Gute Nacht, schlafen Sie gut!“Dann ging sie in ihr Zimmer. Ich stellte meine Schuhe vor die Tür, die sieam nächsten Morgen putzte. Mein Tag ging zu Ende und ich legte michschlafen.
23 Meine Vermieterin 153Frau Oppel verrichtete auch alle anderen Arbeiten, wie Wäsche undBettwäsche waschen oder Warmwasser für die Dusche vorbereiten. Dasdeutsche Oberbett war mit Entenfedern gefüllt. Diese Federn rutschtenim Bezug hin und her. Sie waren nicht zu bändigen. Am Anfang konnteich mich nicht daran gewöhnen, denn während ich schlief oder michim Traum bewegte, wanderten die Entenfedern von einer Seite auf dieandere. Da türmten sie sich auf zu einem Berg, die andere Seite war ganzflach. So konnte die Decke natürlich keine Kälte abhalten. Oft wachte ichauf vor Kälte. Als ich das meiner Vermieterin erzählte, lachte sie, bis ihrdie Tränen runterliefen. Sie erklärte mir dann genau, wie ich das Federbettbenutzten musste. Ich fühlte mich wie ein Kind. Es war schön, dass siesich so fürsorglich um mich kümmerte.Frau Oppel schien ein harmonisches Familienleben zu führen. Ihr Mannwar ehrlich und tolerant. Der einzige Sohn lebte nicht zu Hause. DasEhepaar liebte seinen Sohn wie eine glänzende Perle auf der Handfläche.Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ihr Mann dem Sohn, der inDarmstadt studierte, jeden Monat Wurst und Brot per Post schickte.Ihr Mann hatte Beinprobleme und hinkte. Er konnte zwar an einemStock gehen, aber nur mit viel Mühe. Trotzdem nahm er die Last aufsich und hinkte Monat für Monat zur Post. Während einer Urlaubsreise,auf der sie einmal ihren Sohn besuchten, fanden die beiden in seinemZimmer im Studentenwohnheim jene Lebensmittel wieder, die der Vatertrotz aller Strapazen regelmäßig zur Post getragen hatte. Wurst und Brotlagen verschimmelt und vertrocknet unter dem Schreibtisch. Zu Hausezurück, berichtete Frau Oppel mir darüber am Abend. Sie war erschüttert.Unverständlich, dass ihr Mann mit seinen kranken Beinen nach wie vorzur Post humpelte und seinem Sohn weiterhin Wurst und Brot schickte.Ich musste gleich an den chinesischen Satz eines Gedichtes denken:
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