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Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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138 <strong>Zehn</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>sehr anders s<strong>in</strong>d. Pr<strong>of</strong>essor Braun glaubte, dass es im Ch<strong>in</strong>esischenke<strong>in</strong>e Konjugationen und Dekl<strong>in</strong>ationen gibt, sei vielleicht e<strong>in</strong> Vorteil.Das erlaube dem Leser große gedankliche Freiheiten, anders als <strong>in</strong> den<strong>in</strong>dogermanischen Sprachen, deren Formen unveränderlich und absolutstarr seien.Pr<strong>of</strong>essor Braun war e<strong>in</strong> Mann mit vielen Fähigkeiten, zudem e<strong>in</strong>wahrer Künstler im Umgang mit Ölfarben. E<strong>in</strong>es Tages schlug er mirplötzlich vor, mich zu porträtieren. Ich willigte gern e<strong>in</strong> – mit derFolge, dass ich nun Tag für Tag lange bei ihm zu Hause kerzengeradeModell sitzen musste. Nachdem das Bild fertig war, bat er mich umme<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung. Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Fachmann, aber das Bild ähnelte mir sehr,e<strong>in</strong> zufriedenstellendes Porträt. Auch im künstlerischen Bereich hattePr<strong>of</strong>essor Braun se<strong>in</strong> Können bewiesen. Pr<strong>of</strong>essor Braun hatte nicht vieleArtikel und Monographien herausgegeben. Die Stärke der deutschenWissenschaft war Sprach- und Textkritik. Das war jedoch nicht se<strong>in</strong>eDomäne. Um <strong>in</strong> der ch<strong>in</strong>esischen Term<strong>in</strong>ologie zu sprechen: Er war starkim logischen Abstrahieren. Er hatte e<strong>in</strong> Buch über die russische Literaturim zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts geschrieben. Dar<strong>in</strong> setzte ersich <strong>in</strong>tensiv mit den Werken von Dostojewski und Tolstoi ause<strong>in</strong>ander.Se<strong>in</strong>e Darlegungen vertraten e<strong>in</strong>zigartige Ansichten, tiefschürfendeGedanken und scharfe Beobachtungen, wie sie selten bei e<strong>in</strong>em Autorzu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. Leider erregte er damit nicht sehr viel Aufmerksamkeit.Ich hatte <strong>of</strong>t das Gefühl, dass er e<strong>in</strong>sam und alle<strong>in</strong> war. Kurz gesagt,Pr<strong>of</strong>essor Braun hatte an der Gött<strong>in</strong>ger Universität bislang ke<strong>in</strong>e Karrieregemacht. Er war nicht e<strong>in</strong>mal Ord<strong>in</strong>arius, geschweige denn Mitglied derAkademie. E<strong>in</strong>mal erzählte er mir, dass es an der Universität <strong>in</strong> Straßburge<strong>in</strong>e freie Pr<strong>of</strong>essorenstelle gebe und er daran denke, dorth<strong>in</strong> zu gehenund mich mitzunehmen. Als ich nach mehr als vierzig <strong>Jahre</strong>n <strong>Deutschland</strong>

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