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Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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21 Me<strong>in</strong>e Lehrer 133Pr<strong>of</strong>essor Waldschmidt besaß e<strong>in</strong> Abonnement für das Gött<strong>in</strong>gerTheater, das er allerd<strong>in</strong>gs nicht mehr wahrnehmen konnte, nachdem ere<strong>in</strong>gezogen worden war. Deshalb bat er mich, se<strong>in</strong>e Frau e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> derWoche zu begleiten. Ich holte sie nach dem Abendessen ab und führtesie <strong>in</strong>s Theater. Es wurden auch Opern, Konzerte, Klavierkonzerte,Viol<strong>in</strong>enstücke und anderes aufgeführt. Die Künstler kamen alle vonaußerhalb, manche sogar aus dem Ausland. Sie waren sehr berühmt. DieBühne war taghell erleuchtet. Die Männer erschienen geschniegelt undgebügelt, die Frauen trugen Perlen und Juwelen – Abende voll friedlicherAtmosphäre. Nach me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung gab es während der Aufführungenke<strong>in</strong>e Luftangriffe. Wie die Besucher darauf reagiert hätten, vermag ichnicht zu sagen. Wenn wir nach e<strong>in</strong>er Theater-Vorstellung nach draußeng<strong>in</strong>gen, fanden wir uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vollkommen anderen Welt wieder.Wegen der angeordneten Verdunklung herrschte totale F<strong>in</strong>sternis. Ke<strong>in</strong>Lichtstrahl war zu sehen. Obwohl ich nichts erkennen konnte, brachteich die Frau me<strong>in</strong>es Pr<strong>of</strong>essors tastend den langen Weg bis unterhalb desBerges nach Hause. Danach setzte ich me<strong>in</strong>en Nachhauseweg spät nachtsalle<strong>in</strong> <strong>in</strong> vollkommener Stille fort. Nur me<strong>in</strong>e eigenen Schritte warenzu hören – e<strong>in</strong> schönes Gefühl. In dieser Situation hatte ich besondersstarkes Heimweh.Ich er<strong>in</strong>nere mich auch an me<strong>in</strong>en zweiten Lehrer, Pr<strong>of</strong>essor Emil Sieg.Se<strong>in</strong>e Familiengeschichte ist mir weniger bekannt. Se<strong>in</strong>e Frau hatte ichallerd<strong>in</strong>gs kennengelernt. Sie war kle<strong>in</strong>, dünn und machte e<strong>in</strong>en gütigenE<strong>in</strong>druck. Töchter, Söhne oder andere Verwandte hatte ich nicht gesehen.Beide besaßen e<strong>in</strong> sehr stilles und e<strong>in</strong>sames Zuhause. Die Eheleute warensich von Herzen zugetan und treu ergeben. Als ich ihn traf, hatte er dieSiebzig schon überschritten. Unter allen <strong>in</strong>- und ausländischen Lehrern,die mir <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben begegnet s<strong>in</strong>d, hat Pr<strong>of</strong>essor Sieg sich am

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