Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library
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124 Zehn Jahre in Deutschland20. Acht Jahre Kriegsfeuer 36– Ein Brief von zu Hause wiegtschwerer als Gold.Die Lage wurde mit jedem Tag gefährlicher, das war nicht zuleugnen.In dieser Situation wurde auch meine Sehnsucht nach der Heimat immerstärker. Sie ließ sich mit der Sehnsucht nach meiner Mutter kurz nachmeiner Ankunft in Göttingen nicht vergleichen.Dieses Gefühl wurde nicht durch irgendwelche Diskriminierungenvon deutscher Seite mir gegenüber ausgelöst. Nein, im Gegenteil.Die Besonnenheit der Deutschen war mein Trost. Sie taten das, wassie tun sollten, und zeigten keine Spur von Nervosität, zum Beispielbei Bombenangriffen. Lange hatte ich gedacht, die sogenanntenBombenteppiche stellten die extremste Belastung dar. Nein, es gabnoch Schlimmeres. Anfangs sah es so aus: Wenn sich feindliche36Gemeint ist der chinesische Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression (1937 - 1945).
20 Acht Jahre Kriegsfeuer – Ein Brief von zu Hause wiegt schwerer als Gold. 125Flugzeuge dem deutschen Luftraum näherten, wurde Alarm ausgelöst.Es gab verschiedene Stufen des Alarms, je nach Entfernung derFlugzeuge. Flogen sie weg, folgte die Entwarnung. Wir gehorchtendem Alarm bedingungslos und handelten nie zuwider. Die Deutschenhielten eben Disziplin und Ordnung ein. Später machte der Krieg ander Ostfront keine Fortschritte, Deutschland wurde von allen Seitenumzingelt. Die Luftschutzkapazität, mit der die Faschisten einst wiemit einer unübertroffenen Errungenschaft geprahlt hatten, war jetztvöllig unzureichend. Feindliche Flugzeuge konnten jederzeit die Stadtüberfliegen, bei Tag und in der Nacht. Sie konnten Bomben abwerfenoder mit Maschinengewehren herunterfeuern. Die Sirenen und derAlarm hatten ihre Funktion verloren. Rund um die Uhr herrschte nunAlarmzustand. Die Sirenen heulten ununterbrochen. Wenn wir das Hausverließen, schauten wir zuerst zum Himmel, ob sich Flugzeuge näherten.Wenn ja, versteckten wir uns unter den Dächern der Häuser in denStraßen. Verschwanden die Flugzeuge, kehrten wir zum Alltag zurück.Ich hörte häufig, Dörfer und selbst Kühe seien mit großen Kalibernbeschossen worden. Diese Nachrichten, dazu das Dröhnen der Flugzeugeerfüllten die Menschen mit Furcht, aber sie blieben ruhig und gelassen.Unvorstellbar ruhig und gefasst verhielt sich die Bevölkerung auchangesichts der zunehmend knappen Lebensmittelversorgung, die sichkriegsbedingt immer mehr verschärfte. Die Deutschen klagten undjammerten nicht. Manchmal entwickelten sie einen eigenartigen Humor.Ich hatte in einer Zeitung eine Karikatur gesehen: Eine Familie saß amTisch beim Essen. Der Onkel nahm mit der Gabel ein Stück Hasenbratenund lobte: „Das schmeckt ausgezeichnet!“ Der Neffe, der ihm gegenübersaß, senkte den Kopf und hatte Tränen in den Augen. Er hatte denHasen großgezogen. Witzig war das eigentlich nicht. Es war eher eine
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20 Acht <strong>Jahre</strong> Kriegsfeuer – E<strong>in</strong> Brief von zu Hause wiegt schwerer als Gold. 125Flugzeuge dem deutschen Luftraum näherten, wurde Alarm ausgelöst.Es gab verschiedene Stufen des Alarms, je nach Entfernung derFlugzeuge. Flogen sie weg, folgte die Entwarnung. Wir gehorchtendem Alarm bed<strong>in</strong>gungslos und handelten nie zuwider. Die Deutschenhielten eben Diszipl<strong>in</strong> und Ordnung e<strong>in</strong>. Später machte der Krieg ander Ostfront ke<strong>in</strong>e Fortschritte, <strong>Deutschland</strong> wurde von allen Seitenumz<strong>in</strong>gelt. Die Luftschutzkapazität, mit der die Faschisten e<strong>in</strong>st wiemit e<strong>in</strong>er unübertr<strong>of</strong>fenen Errungenschaft geprahlt hatten, war jetztvöllig unzureichend. Fe<strong>in</strong>dliche Flugzeuge konnten jederzeit die Stadtüberfliegen, bei Tag und <strong>in</strong> der Nacht. Sie konnten Bomben abwerfenoder mit Masch<strong>in</strong>engewehren herunterfeuern. Die Sirenen und derAlarm hatten ihre Funktion verloren. Rund um die Uhr herrschte nunAlarmzustand. Die Sirenen heulten ununterbrochen. Wenn wir das Hausverließen, schauten wir zuerst zum Himmel, ob sich Flugzeuge näherten.Wenn ja, versteckten wir uns unter den Dächern der Häuser <strong>in</strong> denStraßen. Verschwanden die Flugzeuge, kehrten wir zum Alltag zurück.Ich hörte häufig, Dörfer und selbst Kühe seien mit großen Kalibernbeschossen worden. Diese Nachrichten, dazu das Dröhnen der Flugzeugeerfüllten die Menschen mit Furcht, aber sie blieben ruhig und gelassen.Unvorstellbar ruhig und gefasst verhielt sich die Bevölkerung auchangesichts der zunehmend knappen Lebensmittelversorgung, die sichkriegsbed<strong>in</strong>gt immer mehr verschärfte. Die Deutschen klagten undjammerten nicht. Manchmal entwickelten sie e<strong>in</strong>en eigenartigen Humor.Ich hatte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeitung e<strong>in</strong>e Karikatur gesehen: E<strong>in</strong>e Familie saß amTisch beim Essen. Der Onkel nahm mit der Gabel e<strong>in</strong> Stück Hasenbratenund lobte: „Das schmeckt ausgezeichnet!“ Der Neffe, der ihm gegenübersaß, senkte den Kopf und hatte Tränen <strong>in</strong> den Augen. Er hatte denHasen großgezogen. Witzig war das eigentlich nicht. Es war eher e<strong>in</strong>e