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Zehn Jahre in Deutschland - University of Macau Library

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16 Studienabschluss und Rückkehrversuche 109W<strong>in</strong>dungen und Wendungen gab es auch <strong>in</strong> unserem Leben. Die deutschefaschistische Regierung erkannte das Wang J<strong>in</strong>gwei-Marionettenregime an.Das bee<strong>in</strong>trächtigte die Aufenthaltssituation der ch<strong>in</strong>esischen Studenten <strong>in</strong><strong>Deutschland</strong>: Wo konnte man e<strong>in</strong>e Verlängerung des Passes beantragen?Welcher Staat sollte ihn ausstellen? Das war e<strong>in</strong> entscheidendes Problem,das schnell gelöst werden musste. Ich sprach mit Zhang Wei und anderench<strong>in</strong>esischen Studenten darüber, und wir beschlossen, uns im Polizeirevierals Staatenlose zu melden. Nach <strong>in</strong>ternationalem Recht ist das möglich.„Staatenlos“ bedeutete, dass man ke<strong>in</strong>em Land gegenüber Pflichten hatte,aber auch von ke<strong>in</strong>em Land geschützt wurde. Das war sicher e<strong>in</strong> Risiko,aber wenn es nicht anders g<strong>in</strong>g, musste auch dieser Schritt se<strong>in</strong>. Seitdieser Zeit waren wir völlig frei, frei wie e<strong>in</strong> Vogel am Himmel, den jederverletzen konnte.Tatsächlich aber verletzte uns niemand. In der Zeit der Bombardementsund der Hungersnot g<strong>in</strong>g es mir recht gut. Ich trat mechanisch auf dieStraße, die ich sieben <strong>Jahre</strong> lang überquert hatte, kannte jedes Haus, jedenBaum. Selbst mit geschlossenen Augen hätte ich mich nicht verlaufen.Unerträglich <strong>in</strong>dessen waren die Sonntage. Gewöhnlich wanderte ichsehr früh zur Schillerwiese. Die Schritte bewegten sich wie von selbst<strong>in</strong> jene Richtung. Die Landschaft war unverändert. R<strong>in</strong>gs um die Wieseragten grüne Bäume empor, frische grüne Gräser dufteten. Doch ich warsehr e<strong>in</strong>sam. Me<strong>in</strong>e ch<strong>in</strong>esischen Freunde, die ich fast jede Woche hiergetr<strong>of</strong>fen hatte, lebten jetzt weit vone<strong>in</strong>ander entfernt. Das menschlicheLeben war unergründlich.Ich war traurig und e<strong>in</strong>sam.

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