Mit zitternder Hand umklammerte eine ehemals aufrechte Gestalt, nun gebeugt, mit der einenausgezehrten Hand einen Wanderstab. Die Linke barg der Wanderer innerhalb seines Mantels umeinen unförmigen Gegenstand. Rührigen Blickes dachte er an die Zeit die war und jene diekommen mochte: „Hab keine Furcht, du trittst nicht mehr als grauer Knappe vor deine Brüder, sondern nunals weißer Ritter des Herrn der Knochen! Sie werden nicht auf deine Erfahrungen verzichten können, so droht dirkein Leid!“ Der gestandene Ritter blickte auf seinen alten Meister hinab: „Aber Bruder... ich denkenicht an mich, sondern eher an Euch. Was wenn...?“ „...sei still! Mir wird nichts geschehen“, unterbrach derWanderer seinen Begleiter. Nur langsam schritten die Reisenden voran. Nichts lief ihnen weg,niemand würde auf sie warten. Am nächsten Tag würden sie Mersingen wohl erblicken.*10<strong>Das</strong> <strong>Konsistorium</strong> <strong>1030</strong> <strong>BF</strong>--------------------------------------------------
Kapitel II- Ein <strong>Konsistorium</strong> vorzubereiten -Markgräfliche Residenz Burg Mersingen, Baronie Pulverberg, am 1. Boron des Jahres<strong>1030</strong> <strong>BF</strong>Die ersten winterlichen Flocken waren gefallen, und die Stille wurde immer wieder vomKrächzen der allgegenwärtigen Raben unterbrochen, die zu Dutzenden die Luft über BurgMersingen erfüllten. Als würden sie die ankommenden Gäste begrüßen, die seit denMorgenstunden unablässig in die mächtigen Mauern der alten Feste strömten. Von unzähligenHufen und Fuhrwerken durchfurcht war das dünne weiße Schneebett, welches sich über denWeg gelegt hatte, einem nassen, dreckigen Schneematsch gewichen, dessen Ränder von allerleiVolk gesäumt wurde. Die langen Jahre in unmittelbarer Nähe zur Stammfeste des HausesMersingen hatten die Scheu so gelindert, dass Bauern und Dörfler neugierig herbeiströmten, umdie Scharen von Ordensrittern zu beäugen, die zum Teil aus weiter Ferne herbeigeeilt waren, umüber die Zukunft des Ordens, seinen Weg und seine Ziele zu beraten.Der Burghof bot den Ankömmlingen ein Bild der emsigen Betriebsamkeit. Ordensknechteschleppten Holzbänke in den Rittersaal, Mägde, Diener und Köche mühten sich, die Ankunfteiner ganzen Hundertschaft vorzubereiten. Bereits vor Sonnenaufgang hatten die Bäcker ihrWerk begonnen, so dass nun der Duft ihrer Backwaren die Luft schwängerte. Überall hastetenKnappen umher, die Schilde ihrer Ritter vor sich her tragend oder auf der Suche nach RitterMarjan von Rabenmund-Dreglingen, des Markgrafen Adjutanten. Dieser hatte jedoch alle Mühe,die vielen Marschälle, Komture, Würdenträger und hochgestellten Ordensleute aufstandesgemäße Unterkünfte zu verteilen. Denn auch wenn Burg Mersingen weit mehr MenschenObdach bieten konnte, so waren die Privatgemächer mit ihren Annehmlichkeiten begrenzt. Undschon witterten die ersten Bevorzugung, Missgunst und Vetternwirtschaft. Ein wahrlich nicht zubeneidender Auftrag.„Lasst mir nur diesen einen Moment…“, seufzte Marjan gerade einmal wieder in einem friedlichenAugenblick, als eine schwere, schwarze Kutsche in den Burghof einfuhr. Von einer Treppe in denHof hinunter beobachtete Gernots Adjutant, wie der Kutscher halten ließ, ein Knecht die Tritteseitlich ausklappte, dienstbeflissen die Türe öffnete und einem älteren Herren im Gewand einesGeweihten aus dem Gefährt half, dem drei weitere Ordensmänner folgten. „Oh je, jetzt geht derSpaß erst richtig los“, dachte Marjan sich, als er des spitzzüngigen Abtes von Garrensand ansichtigwurde, der seine Nase sofort prüfend in die Winterluft hielt und dann mit milchig-trüben Augenseine Umgebung abzutasten schien. Es dauerte keinen Herzschlag, dann hatte er auch schon denabgekämpften Adjutanten erspäht, der jetzt – einmal mehr seufzend – die Stufen herabeilte, umdie Gäste aus dem <strong>Kosch</strong> zu begrüßen. „Ehrwürden Calamun, welch Ehre und Freu…“, setzte Marjanfreundlich an. Mehrere Worte gestattete der alte Abt ihm auch nicht, denn mit eiskalter Mienefuhr er ihm über den Mund: „Was habt Ihr Euch eigentlich bei dieser Narretei gedacht?!? Wisst Ihreigentlich, dass dies einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Lex Boronia darstellt? Diese Angelegenheit wurdebereits mit dem Justiziar disputiert – und verlasst Euch darauf, das Ganze wird noch ein Nachspiel haben!“giftete Calamun weiter. Seine Begleiter schwiegen, jedoch legte ihm einer der Männer<strong>Das</strong> <strong>Konsistorium</strong> <strong>1030</strong> <strong>BF</strong>--------------------------------------------------11