Zu Ernst Jünger - gesamtausgabe

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276 Anhangnahme im Spiel der Regel des Gewohnten und Gemäßen zugelassen,und rückt alsbald selbst in das Gewöhnliche wird langweiligund daher irgendwann gewaltsam zugunsten scheinbar desNieseltsamen beseitigt. Überall waltet hier ganz verhüllt und unkennbar- was nirgends ein Seiendes und durch Rückzug daraufdie Nähe des Seyns, das alle Verlorenheit an das Seiende mehrund mehr in die Verlassenheit des Seienden vom Seyn stößt. Wodie Übermacht des nur Seienden eine völlige Seinsvergessenheitin ihren eigenen sich vergessenden Wirbel hinabstößt, da ist fürdie Wissenden das Seyn in der nächsten Nähe. Für das bloße Meinendes Wirklichen bleibt diese Nähe, wenn sie genannt wird, dasnichtige Nichts.Daß Ihnen jetzt Hölderlin ganz in der Ferne bleibt, ist wesentlicherals eine künstlich gewollte Zuwendung voller Täuschungsmöglichkeiten;denn Hölderlin ist uns fern, weil wir immer nochzu gern mit Tagesnöten und Stimmungen ihn überfallen und ihmeine unmittelbare Antwort entreißen wollen, die jene beschwichtigensoll.Aber aus der Zugehörigkeit der Fragenden und Wissenden zueinander,wird da und dort doch einmal Einer aufbrechen undden Weg fmden, der nie zur Straße werden darf.Daß Sie selbst oft und gern nach Freiburg denken, ist schön;und dessen dürfen Sie gewiß sein, daß Ihnen ein Denken zu Ihrem»Stand« entgegenkommt. 4Martin HeideggerLieber G.Aus einem Brief an einzelne Krieger277Meßkirch im November 1939.Ihr Brief wurde mir zur Freude, weil aus ihm der Mut zur Besinnungspricht. Dieser Mut ist edel; denn er unterstellt sich derWürde, die von der Verborgenheit des Wesens aller Dinge ausstrahlt.Das Unscheinbare dieses Mutes schützt ihn vor öffentlichenAuszeichnungen.Doch nicht jedes Nachdenken ist schon Besinnung, und nichtjedes Meinen ist schon Denken. Dieses beginnt erst dort, wo derMensch in einen Entwurf des Seins des Seienden sich los wirftund, das Seyn fragend, erfährt, daß er der Geworfene dessen ist,was er befragt des Seyns. Wird der Denkende aber inständig inder Frage nach der Wahrheit des Seyns und nach dem Seyn derWahrheit, dann steht er in der Besinnung. Sie kennt nicht die Erörterungvon I..ehrmeinungen. Sie sucht nur durch wesentliche Erfahrungenhindurch Wege in die Wahrheit des Seyns. Allein auf dieStöße und Winke, die zu solchen Wegen weisen, spricht sie an.Sie schreiben: }}... ich bin Ernst Jünger näher als je zuvor gekommen.«Und dabei erwachte mir die Erinnerung an unserenletzten Gang auf der »Eichhalde« mit dem weiten Blick auf dieOberrheinlandschaft. Wir sprachen von »Wäldchen 125«1 undbedachten, inwiefern es der Schlüssel zu Jüngers Denkart sei.Jetzt trifft es sich gut, daß Sie das Buch »in einem selbst gebautenUnterstand« lesen. Dieser gemäße Ort verhindert jede nur »literarische«Wirkung. Das ganze Werk Ernst Jüngers ist eine einzigeund echte Standnahme in der Grundstellung Nietzsches, desletzten Metaphysikers. Es macht alle bisherige Schriftstellerei»über« Nietzsche wesenlos; denn Jünger hat den »Willen zurMacht« nicht als den Inhalt einer »Lehre« beredet und übernommenund verbessert, sondern er macht aus wesentlichen Erfah-4 Ruhe wenn nicht dann [?)Ernst Jünger: Das Wäldchen 195. A.a.o.

278 AnhangEin Brief an einzelne Krieger279rungen mit scharfen und kalten Augen das Sein des Seienden alsWillen zur Macht sichtbar. Nirgends begibt sich dieser denkendeKrieger in die Niederungen eines schweifenden Zergliederns dervorhandenen Zustände. Nie beschreibt er nur eine geschichtliche»Situation«; sondern sein Denken ist so, wie das Seiende im Ganzenist - ist eine Gestalt des Willens zur Macht. Sein Denken undSagen hat »Arbeitscharakter«. »Arbeit« ist der nüchterne, jedenSchein von »Psychologie« vermeidende unserem Jahrhundertgemäßere Name für den »Willen zur Macht«. Und der menschentümliche»Repräsentant« des Willens zur Macht heißt »der Arbeiter«.Das Wort nennt metaphysisch-anthropologisch die Gestaltdes Menschentums, das sich in der Meisterung des Seiendenvollendet, das im Ganzen und durchgängig Wille zur Macht ist.Der »Arbeiter« gilt somit nicht als der Wortbegriff für eine Vorstellung,die eine bisher bekannte Erscheinung, den gesellschaftlichenStand, die Klasse und die Massengruppe der »Arbeiter« insAllgemeine ausweitet. Dieser soll vielmehr aus der ständisch­-volklichen Bewertung und einer »sozialen« Betreuung herausund künftig in seiner metaphysischen Bestimmung ernst genommenwerden. Der Soldat ist »Arbeiter«, insgleichen der Denker;nicht weil beide, sei es mit der »Faust« oder der »Stirn« »arbeiten«,d. h. für den Gemeinnutzen Ersprießliches leisten, sondernweil sie dem Seienden im Ganzen als Willen zur Macht standhaltend,dieses Seiende je in ihrer Weise sind. 2Die Haltung dieses Standhaltens nennt Jünger den »heroischenRealismus«. Weil nach Nietzsehe für den»Willen zur Macht« dieÜbermächtigung seiner selbst als Ermächtigung in die höhereMöglichkeit von Macht wesentlich ist, gehört zur Realität des Realendie Zerstörung. Ihr Einschluß in das »Reale« ist am Ende derabendländischen Metaphysik drohender gedacht als in Hegels»Negativität«, und unberechenbarer, ohne die Aufhebung in dasGefahrenlose des »Absoluten«. Das Zerstörerische im Willen zurMacht meint überhaupt nie die gemeine Vernichtung, sondern2 totale Mobilmachung Le Ko.bezeichnet die ständige Wiederkehr des »Dämonischen« im stetsGleichen des »Elementaren«. Dies aber läßt sich nie im bloßenVorstellen zur Kenntnis nehmen; weil es bedrohend-zerstörenddas gewohnt Alltägliche durchbricht, kann dieses Ungewöhnliche(Phantastische) nur in einer Phantastik gewußt werden; sie bedenktdas »Abenteuerliche« und »Traumhafte« und wird so einBestandstück der sich vollendenden Metaphysik im Sinne einesnotwendigenDie »Phantastik« entspricht der »Mystik«,die in den vormaligen Stufen der Metaphysik die berechenbare(rationale) Wirklichkeit durch die unberechenbare (irrationale)ergänzte. Jüngers Phantastik ist innerhalb seines Denkenssowenig »subjektiv« wie Nietzsches »Lehre« von der ewigen Wiederkehrdes Gleichen beide machen nur Ernst mit dem Sein desSeienden (im Sinne des Realen) als Wille zur Macht. Dieser »Realismus«besagt: dem Seienden als Willen zur Macht standhaltenund standhaltend es sein; darin liegt: die zum Sein gehörige Zerstörungund die Art des damit verhängten Untergangs ertragendergestalt, daß nie das Los des Menschen ins Gewicht feHlt. WennNietzsehe in dieser Weise das »Heroische« begreift, dann ist derRealismus, der die Realität des Realen als Wille zur Macht erfahrt,in sich notwendig »heroisch«. Der Name »heroischer Realismus«sagt dann zweimal dasselbe oder er ist die nicht sogleich eindeutigeAussage darüber, daß das Seiende den Seinscharakter des Willenszur Macht hat. Dieser Entwurf des Seienden im Ganzenkommt aus einer verborgenen Wurfbahn, die als Geschichte derMetaphysik noch kaum bisher ins Wissen trat, sofern Wissen einAnderes meint als die historische Kenntnis von Lehrmeinungenund der Lebensumstände ihrer»Vertreter«. Alle Metaphysik fragtnach dem Sein des Seienden, indem sie vom Seienden her auf dessenSein hinaus und von diesem zum Seienden zurückdenkt. DasSeiende ist als das Seiende in seinem Wesen schon entschiedenund stets das Maßgebende für die Bestimmung des Seins. JeneEntscheidung wird als eine solche weder erfahren noch durchfragt.Das »Sein« und was das »heißt«, ist im voraus dasmann Verständliche. Die Metaphysik vollzieht im Lichte des Seins

276 Anhangnahme im Spiel der Regel des Gewohnten und Gemäßen zugelassen,und rückt alsbald selbst in das Gewöhnliche wird langweiligund daher irgendwann gewaltsam zugunsten scheinbar desNieseltsamen beseitigt. Überall waltet hier ganz verhüllt und unkennbar- was nirgends ein Seiendes und durch Rückzug daraufdie Nähe des Seyns, das alle Verlorenheit an das Seiende mehrund mehr in die Verlassenheit des Seienden vom Seyn stößt. Wodie Übermacht des nur Seienden eine völlige Seinsvergessenheitin ihren eigenen sich vergessenden Wirbel hinabstößt, da ist fürdie Wissenden das Seyn in der nächsten Nähe. Für das bloße Meinendes Wirklichen bleibt diese Nähe, wenn sie genannt wird, dasnichtige Nichts.Daß Ihnen jetzt Hölderlin ganz in der Ferne bleibt, ist wesentlicherals eine künstlich gewollte <strong>Zu</strong>wendung voller Täuschungsmöglichkeiten;denn Hölderlin ist uns fern, weil wir immer nochzu gern mit Tagesnöten und Stimmungen ihn überfallen und ihmeine unmittelbare Antwort entreißen wollen, die jene beschwichtigensoll.Aber aus der <strong>Zu</strong>gehörigkeit der Fragenden und Wissenden zueinander,wird da und dort doch einmal Einer aufbrechen undden Weg fmden, der nie zur Straße werden darf.Daß Sie selbst oft und gern nach Freiburg denken, ist schön;und dessen dürfen Sie gewiß sein, daß Ihnen ein Denken zu Ihrem»Stand« entgegenkommt. 4Martin HeideggerLieber G.Aus einem Brief an einzelne Krieger277Meßkirch im November 1939.Ihr Brief wurde mir zur Freude, weil aus ihm der Mut zur Besinnungspricht. Dieser Mut ist edel; denn er unterstellt sich derWürde, die von der Verborgenheit des Wesens aller Dinge ausstrahlt.Das Unscheinbare dieses Mutes schützt ihn vor öffentlichenAuszeichnungen.Doch nicht jedes Nachdenken ist schon Besinnung, und nichtjedes Meinen ist schon Denken. Dieses beginnt erst dort, wo derMensch in einen Entwurf des Seins des Seienden sich los wirftund, das Seyn fragend, erfährt, daß er der Geworfene dessen ist,was er befragt des Seyns. Wird der Denkende aber inständig inder Frage nach der Wahrheit des Seyns und nach dem Seyn derWahrheit, dann steht er in der Besinnung. Sie kennt nicht die Erörterungvon I..ehrmeinungen. Sie sucht nur durch wesentliche Erfahrungenhindurch Wege in die Wahrheit des Seyns. Allein auf dieStöße und Winke, die zu solchen Wegen weisen, spricht sie an.Sie schreiben: }}... ich bin <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong> näher als je zuvor gekommen.«Und dabei erwachte mir die Erinnerung an unserenletzten Gang auf der »Eichhalde« mit dem weiten Blick auf dieOberrheinlandschaft. Wir sprachen von »Wäldchen 125«1 undbedachten, inwiefern es der Schlüssel zu <strong>Jünger</strong>s Denkart sei.Jetzt trifft es sich gut, daß Sie das Buch »in einem selbst gebautenUnterstand« lesen. Dieser gemäße Ort verhindert jede nur »literarische«Wirkung. Das ganze Werk <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>s ist eine einzigeund echte Standnahme in der Grundstellung Nietzsches, desletzten Metaphysikers. Es macht alle bisherige Schriftstellerei»über« Nietzsche wesenlos; denn <strong>Jünger</strong> hat den »Willen zurMacht« nicht als den Inhalt einer »Lehre« beredet und übernommenund verbessert, sondern er macht aus wesentlichen Erfah-4 Ruhe wenn nicht dann [?)<strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>: Das Wäldchen 195. A.a.o.

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