Zu Ernst Jünger - gesamtausgabe
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240 11 Teil: Aussprache über Ernst JüngerII1 Von Ernst JÜnger19J.9/40241gleitenlassen in das pessimistische »Umsonst« - sondern »aktiverNihilismus«.»Daß irgend Etwas hundertmal wichtiger ist als die Frage, obwir uns wohl oder schlecht befinden: Grundinstinkt aller starkenNaturen, - und folglich auch, ob sich die Anderen gut oderschlecht befinden. Kurz, daß wir ein Ziel haben, um dessentwillenman nicht zögert, Menschenopfer zu bringen, jede Gefahr zulaufen, jedes Schlimme und Schlimmste auf sich zu nehmen: diegn?ße Leidenschaft.«9 Der Wille zur Macht, n. 26 (1887) (vgl. untenS. 11 oben!lO)Und was ist das Ziel, das dieser Nihilismus hat, obzwar »Nihilismusbedeutet«: »Es fehlt das Ziel« (»Der Wille zur Macht«,n. 2, 1887)? Es ist in der Tat das Ziel der Ziellosigkeit - das einfache»Ja« sagen zu dem, was ist und als seiend erkannt ist - zumWillen zur Macht als Grundcharakter des Wirklichen.Diesem Jasagen ist gemäß die »Analytik« (»Der Wille zurMacht«, n. 10, 1887), die alles zergliedert, aber nicht um lediglichalles aufzulösen, sondern um das Letzte zu stoßen, »zu dem wirhinunter kommen«; im Unterschied zum »Historismus«, der vomWirklichen wegsieht und alles erklärt und alles versteht undnichts anerkennt und der deshalb der Nihilismus der Schwächeder»passive Nihilismus« heißt. Und fast mit denselben Worten,durch die Nietzsche den aktiven Nihilismus kennzeichnet, bestimmter das Wesen der »heroischen« Haltung, die »Ja« sagt zudem, was ist - zum »Realen«, ohne Rücksicht auf sich selbst.Der aktive Nihilismus ist daher der äußerste Realismus -; genauer,dieser »Realismus« ist erst der eigentliche Nihilismus. Washier »Realismus« genauer heißt, wie das Reale aussieht, das erbejaht und wie und ob er die Realität dieses Realen und damit9 Die große Leidenschaftmacht unbedenklich, braucht und verbraucht Überzeugungen als Mittel.Alle »Gläubigen« sind abhängig, können nicht sich und können überhauptnicht Zwecke setzen.»Das Frei-blicken-Können« Vlll, 294.10 [In diesem Band S. 245 f.]sich selbst zureichend begreift, das sind Fragen, denen wir unsnicht werden entziehen können, die aber in die eine Frage gehören:was im Augenblick unsere Geschichte »ist«.Jünger selbst bezeichnet seine Haltung oder besser diejenigedes Menschentums, das er heraufkommen sieht, als »heroischenRealismus«. Dem entspricht sein Denkverfahren: es ist durch unddurch »Analytik« im Sinne des unausgesetzten, zergliederndenSichtbarmachens der »Realität«. Dem widerspricht nicht, daßJünger zugleich und ständig die Welt des Traumes aufsucht undTraumlandschaften entwirft. So wie die Metaphysik zum notwendigenGegenspiel die Mystik hat, so gehört zum Realismus, insbesonderezum nihilistischen, die Phantastik. Diese Bemerkungensollen Ernst Jünger und seine Schriften nicht überall in gängigenTiteln unterbringen, sondern sie wollen nur anzeigen, aus welcherHaltung her für ihn der Weltkrieg zur mqjJgebenden Wirklichkeitwurde.Diese Haltung und ihre entsprechende Darstellung und Leistungin Jüngers Schriften bietet demnach eine unserem geschichtlichenAugenblick nähere und faßlichere Ausprägung dermetaphysischen Grundstellung Nietzsches, als dessen Schilderungender geschichtlichen Lage in den 70er und 80er Jahren desvorigen Jahrhunderts. Sie zeigen aber zugleich unmittelbar, wieunabhängig Nietzsches entscheidende Gedanken und die jedesDenkers von den vordergründigen Bildern seiner »Zeit« sind, ausder er sich doch wieder nicht lösen kann.Wenn aber in Nietzsches Metaphysik sich die abendländischeMetaphysik überhaupt vollendet, und wenn die Metaphysik derGrund der abendländischen Geschichte ist, dann muß auch in derMetaphysik selbst der Grund des schwachen und des starkenNihilismus erkannt werden.Mehr noch und anders als im Bezirk der politischen und kriegerischenKämpfe kann in dem alles umspannenden und bergendenBezirk des Geistes nur aus äzYJersten Positionen her gefragtund gedacht und entschieden werden.Um in diesen Bezirk einen Blick zu tun und vielleicht eines
242 TL Teil: Aussprache über Ernst JüngerIIL Von Ernst Jünger 1939/40243Tages darin Fuß zu fassen, versuchen wir eine Auseinandersetzungmit Ernst Jünger. Nicht als ob wir von ihm eine Entscheidung,ja auch nur die Vorbereitung einer solchen erwartenkönnten. Der heroische Realismus ist ja im Wesen nicht nur derVerzicht auf die Vorbereitung und Gründung anfänglicher Entscheidung,sondern er muß als ein eigenartiges Verhältnis zur Verwüstungerkannt werden. Unter Verwüstung aber verstehen wirnicht die bloße Zerstörung des Vorhandenen, sondern die Untergrabungder Möglichkeit jeder anfänglichen Entscheidung aufGrund der Übernahme des Wirklichen und d. h. zuvor dessen, wasfür Wirklichkeit gehalten wird. Dies verwehrt nicht, daß ein solchesZeitalter - und zwar aus dem ihm allein verfüglichen Gesichtskreisher - sich selbst noch als »Übergang« ahnt. (Blätterund Steine 1 1, 212 f.)Der Vorgang dieser metaphysisch verstandenen Verwüstungschließt ferner nicht aus, sondern im Gegenteil ein die Pflege undden Genuß überkommener Kultur und ihrer ausgesuchtesten Güter- wofür Jünger selbst ein Beweis ist durch die Art, wie er sichnach seiner Weise in allen Schatzhäusern des Denkens, Dichtensund Wissens bewegt. Voran steht wiederum ähnlich wie beiNietzsche - nur ohne dessen wesentlichen Bezug zum Griechentum- die Vertrautheit mit dem Geist und Stil der französischenDichter und »Denker«. Diese »Bildung« ist nicht nur sehr unhistorisch,sondern vor allem ganz ungeschichtlich und gibt sich zuweilenspielerisch und fast kokett.Das »Aktive« und die »Aktion« des »heroischen Realismus« istkein Kampf gesetzt, daß wir darunter verstehen den Austrag,d. h. die Entfaltung und Gründung wesentlicher Entscheidungen.Der realistische Heroismus, der Heroismus vor der Realität alssolcher ist das endgültige Ja zu dem, was ist und zu dem, wie derJasagende selbst ist und nichts weiter. Dieser Heroismus verabscheutden Lärm; der einzige Rest von Lärm besteht vielleicht" Ernst Jünger: Blätter und Steine. A.a.o.noch darin, daß er sich überhaupt noch als »Heroismus« benennt.Auch hier hat Nietzsehe schon klar gesehen, wie eine Bemerkungaus dem Jahr 1888 zeigt (Der Wille zur Macht, n. 349): »Indeß:der wirkliche Heroismus besteht darin, daß man nicht unter derFahne der Aufopferung, Hingebung, Uneigennützigkeit kämpft,sondern gar nicht kämpft. .. >So bin ich; so will ich' s: hol' euchder Teufel!
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240 11 Teil: Aussprache über <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>II1 Von <strong>Ernst</strong> JÜnger19J.9/40241gleitenlassen in das pessimistische »Umsonst« - sondern »aktiverNihilismus«.»Daß irgend Etwas hundertmal wichtiger ist als die Frage, obwir uns wohl oder schlecht befinden: Grundinstinkt aller starkenNaturen, - und folglich auch, ob sich die Anderen gut oderschlecht befinden. Kurz, daß wir ein Ziel haben, um dessentwillenman nicht zögert, Menschenopfer zu bringen, jede Gefahr zulaufen, jedes Schlimme und Schlimmste auf sich zu nehmen: diegn?ße Leidenschaft.«9 Der Wille zur Macht, n. 26 (1887) (vgl. untenS. 11 oben!lO)Und was ist das Ziel, das dieser Nihilismus hat, obzwar »Nihilismusbedeutet«: »Es fehlt das Ziel« (»Der Wille zur Macht«,n. 2, 1887)? Es ist in der Tat das Ziel der Ziellosigkeit - das einfache»Ja« sagen zu dem, was ist und als seiend erkannt ist - zumWillen zur Macht als Grundcharakter des Wirklichen.Diesem Jasagen ist gemäß die »Analytik« (»Der Wille zurMacht«, n. 10, 1887), die alles zergliedert, aber nicht um lediglichalles aufzulösen, sondern um das Letzte zu stoßen, »zu dem wirhinunter kommen«; im Unterschied zum »Historismus«, der vomWirklichen wegsieht und alles erklärt und alles versteht undnichts anerkennt und der deshalb der Nihilismus der Schwächeder»passive Nihilismus« heißt. Und fast mit denselben Worten,durch die Nietzsche den aktiven Nihilismus kennzeichnet, bestimmter das Wesen der »heroischen« Haltung, die »Ja« sagt zudem, was ist - zum »Realen«, ohne Rücksicht auf sich selbst.Der aktive Nihilismus ist daher der äußerste Realismus -; genauer,dieser »Realismus« ist erst der eigentliche Nihilismus. Washier »Realismus« genauer heißt, wie das Reale aussieht, das erbejaht und wie und ob er die Realität dieses Realen und damit9 Die große Leidenschaftmacht unbedenklich, braucht und verbraucht Überzeugungen als Mittel.Alle »Gläubigen« sind abhängig, können nicht sich und können überhauptnicht Zwecke setzen.»Das Frei-blicken-Können« Vlll, 294.10 [In diesem Band S. 245 f.]sich selbst zureichend begreift, das sind Fragen, denen wir unsnicht werden entziehen können, die aber in die eine Frage gehören:was im Augenblick unsere Geschichte »ist«.<strong>Jünger</strong> selbst bezeichnet seine Haltung oder besser diejenigedes Menschentums, das er heraufkommen sieht, als »heroischenRealismus«. Dem entspricht sein Denkverfahren: es ist durch unddurch »Analytik« im Sinne des unausgesetzten, zergliederndenSichtbarmachens der »Realität«. Dem widerspricht nicht, daß<strong>Jünger</strong> zugleich und ständig die Welt des Traumes aufsucht undTraumlandschaften entwirft. So wie die Metaphysik zum notwendigenGegenspiel die Mystik hat, so gehört zum Realismus, insbesonderezum nihilistischen, die Phantastik. Diese Bemerkungensollen <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong> und seine Schriften nicht überall in gängigenTiteln unterbringen, sondern sie wollen nur anzeigen, aus welcherHaltung her für ihn der Weltkrieg zur mqjJgebenden Wirklichkeitwurde.Diese Haltung und ihre entsprechende Darstellung und Leistungin <strong>Jünger</strong>s Schriften bietet demnach eine unserem geschichtlichenAugenblick nähere und faßlichere Ausprägung dermetaphysischen Grundstellung Nietzsches, als dessen Schilderungender geschichtlichen Lage in den 70er und 80er Jahren desvorigen Jahrhunderts. Sie zeigen aber zugleich unmittelbar, wieunabhängig Nietzsches entscheidende Gedanken und die jedesDenkers von den vordergründigen Bildern seiner »Zeit« sind, ausder er sich doch wieder nicht lösen kann.Wenn aber in Nietzsches Metaphysik sich die abendländischeMetaphysik überhaupt vollendet, und wenn die Metaphysik derGrund der abendländischen Geschichte ist, dann muß auch in derMetaphysik selbst der Grund des schwachen und des starkenNihilismus erkannt werden.Mehr noch und anders als im Bezirk der politischen und kriegerischenKämpfe kann in dem alles umspannenden und bergendenBezirk des Geistes nur aus äzYJersten Positionen her gefragtund gedacht und entschieden werden.Um in diesen Bezirk einen Blick zu tun und vielleicht eines