Zu Ernst Jünger - gesamtausgabe

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13.07.2015 Aufrufe

236 11 Teil: Aussprache über Ernst Jünger111 Von Ernst Jünger1939/40237uns die Einsicht schon leichter zufallen, daß Geschichte, Werkund Menschentum wesentlicher Art nur sein können aus der sichselbst nie kennenden Leidenschaft zur großen Stille des Seins.Ernst JüngerSein Dichten, Denken und Sagen ist durch den ersten Weltkriegbestimmt. Das gilt nun freilich von allem, was in der Nachkriegszeitoder, wie wir jetzt gemäßer sagen, in der Zwischenkriegszeitals menschlich-geschichtliches Tun und Denken sich verwirklichte.Aber Jünger hat vom kriegsfreiwilligen Schützen bis zumInfanterieleutnant und Stoßtruppführer die volle Zeit des Weltdurchgekämpft,sieben Mal verwundet und mit dem ho­Hausorden und dem Pour le merite ausgezeichnet.Allein dies trifft auf manch Andere auch zu, die vielleichtvorzeitig fielen oder, wenn durchgekommen, schweigen.Aber auch das Schreiben von »Kriegsbüchern« aus solchen Erfahrungenheraus kann Ernst Jünger nicht auszeichnen, selbstdann nicht, wenn man ihn als Schriftsteller besonders hoch einschätzt.Das »Rumänische Tagebuch«! von Hans Carossa, dasKriegstagebuch des jungen Bernhard von der Marwitz (»Stirbund Werde«2), die Erzählung»Verlorener Posten«3 von FriedrichFranz von Unruh über einige Kampftage des badischen Leibregimentsan der Lorettohähe (1916) all diese Schriften habenihren eigenen unvergleichlichen Rang neben Jüngers »Das Wäldchen125«.Doch Jünger hat den Geist des Frontkämpfers ins Werk geprägtmit dem Willen, ihn lebendig zu erhalten und dieses Soldatentumals einen neuen Menschenschlag vorbildlich zu machen. Werl Hans Carossa: Rumänisches Tagebuch. j 924., Bernhard von der Marwitz: Stirb und Aus Briefen und Kriegstagebuchblättern.Hrsg. v. H. von Koenigswald. Breslau 1931., Friedrich Franz von Unruh, Verlorener Posten. Schilderung aus der Loretto.Schlacht. Hamburg 1935.wagte jedoch zu bestreiten, daß dies alles von vielen Anderen weitlauter und breiter versucht und verwirklicht wurde?Der Sozialismus der »Frontsoldaten«, die »Kameradschaft« desGrabenkämpfers, der »Nationalismus« der wirklichen alldas wurde nach dem Krieg zum »Ideal« erhoben; undübertrug man Formen des kriegerischen Lebens in die Neugestaltungdes politischen Kampfes und der Gemeinschaften; bei welchemVorgang nicht allein der Schlag der Frontsoldaten, sondernein davon noch wesentlich verschiedener - der des Freikorpskämpfersmitmaßgebend wurde. 4Ernst Jünger denkt nun gewiß aus den Erfahrungen des Frontkämpfers,aber er verläßt alsbald und immer sicherer die Erscheinungenwie Sozialismus, Nationalismus, Kameradschaft und Gemeinschaft;denn er erkennt, daß diese Erscheinungen entwederwie die erst genannten Sozialismus und Nationalismus dem bürgerlichenVorkriegszeitalter angehören, auch dann, wenn sieabgewandelt und verschmolzen werden; oder daß sie wie Kameradschaftund Gemeinschaft Weisen menschlicher Zusammengehörigkeitsind, die jederzeit wertvoll bleiben, deshalb aber auchsich geschichtliche prägende Mächte sein können.Jünger sieht das Soldatentum und überhaupt das Menschentumdes Weltkrieges und diesen selbst jenseits oder besser gesagtdiesseits von Sozialismus und Nationalismus; dies aber deshalb,weil er, wie kein anderer, den Weltkrieg sogleich metaphysischerfährt; das will zunächst sagen als ein Geschehnis des Seiendenim Ganzen. Er ist in seinem Denken nach dem Kriege nicht in dieüberkommenen Bezirke der Vorstellungen über Geschick undMenschentum zurückgekehrt, um von da aus dann den Krieg zuein vom Autor durchgestrichener Einschub:] Wie weit dabei die AusundÜbertragung, aber auchkriegerischer }>Lebensformen«etwa das Vorkommen von sogenannten »Stoßtrupprednern«. (Mankann das Wort übrigens nur verstehen, wenn man von vornherein darauf verzichtet,klar und scharf zu denken - so wie etwa bei dem Wort »Nachwuchsfahrer«;solche Worte sind nicht bloß f,""D'm,,,..dem die Anzeichen des wohl rn,'l.e,nl.lv,,,,,,hrung des Sprachwesens.)

:238 11 Teil: Aussprache über Ernst Jüngerbeschreiben und zu erklären - sondern er versucht umgekehrt,dem andersartigen Wesen des ersten Weltkrieges standzuhalten,um in der Absetzung zu ihm das Vorkriegszeitalter hinter sich zulassen und das Gegenwärtige neu - d. h. aus ihm selbst zu bestimmen.Das ist die Grundabsicht seiner Kriegsbücher »In Stahlgewittern«51920; »Das Wäldchen H~5«6 1925; »Feuer und Blut«71925. Aber diese Absicht fand nun erst allmählich ihre sichereGestalt, was etwa ein Vergleich der endgültigen »Revision« von»In Stahlgewittern«8 1933 mit dem Buch von 1920Bei all diesen Bemühungen erkannte Jünger, daß in NietzschesLehre vom Willen zur Macht bereits die Metaphysik ins Wissenund ins Wort gehoben und d.h. eben gegründet ist, auf deremunerkannten Grund der Weltkrieg und die Nachkriegszeit Geschichtewurde.Dieser Hinweis auf Nietzsehe meint allerdings etwas wesentlichanderes als das, was die Kulturpropaganda der westlichenDemokratie im ersten und in diesem »Weltkrieg« vorzubringenweiß, daß der »Krieg«, durch die Deutschen verursacht, ein Ausdruckder Nietzscheschen Lehre von der »blonden Bestie« sei.Nietzsehe erkannte vielmehr, daß die westlichen Demokratienund die Art ihrer Vorrangstellung in der Neuzeit am maßgebendenBeginn dessen stehen, was wir heute über Nietzsehe hinausvon einem ganz weiten, aber vielleicht dann wesentlichen Begriffher als »Kommunismus« bezeichnen müssen, womit weder eine»Partei«, noch eine »Weltanschauung«, sondern die metaphysischeEndstellung der Neuzeit gemeint ist. Nietzsches Grundgedankenin dieser entscheidenden Richtung durchzudenken, wagt, Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers v.Ernst Jünger, Kriegsfreiwilliger, dann Leutnant und Kompanieführer im Füs.­Prinz Albrecht v. Preußen. Hannover 1920.Ernst Jünger: Das Wäldchen 125. Eine Chronik aus den Grabenkämpfen1918. Berlin 1925.1 Ernst Jünger: Feuer und Blut. Ein kleiner Ausschnitt aus einer großenSchlacht. Magdeburg 1925.• Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Ein14. Auflage. Berlin1934. [= dritte Bearbeitung des Textes, VorwortIIIT/on Ernst Jünger 19J9/40 :239man dort am wenigsten, wo man seinen Namen und aufgegriffeneSätze gegen das Deutschtum ins Feld führt; aber auch dieDeutschen selbst wagen und vermögen dies nicht. Nur Ernst Jüngerhat hier etwas Wesentliches begriffen; ob er dabei schon denBereich der eigentlichen metaphysischen Entscheidungen betretenund d.h. immer auch überhaupt erst entfaltet hat und gemäßseiner Denkweise jemals entfalten kann, bleibt eine Frage fürsich. Jedenfalls ist Jüngers Einsprung in die metaphysischeNietzsches wesentlicher als die zur Zeit sehr oberflächlicheAuswertung Nietzschescher Gedanken durch Spengler.Es ist nun freilich zu wenig gesagt, wenn man vermerkenmächte, Jünger sei in seinem Denken wesentlich von Nietzsehe»beeinflußt«j denn erstens bleibt bei solchen FeststellungenNietzsehe lediglich ein »Name« und zweitens kann nur derjenigevon einem wesentlichen Denker be-einflußt werden, der selbstein echtes Fragen mit- und ihm entgegenbringt; von großen Denkernund Dichtern »beeinflußt« zu sein, das ist nur das Glückjener, die den Umkreis des Kleinen bereits verlassen haben. Jüngerist weder ein »Nietzscheaner« im üblichen Sinne, noch hat ernur gewisse Gedanken und Forderungen übernommen wie etwaD'Annunzio und Mussolini, der seinen angeblich NietzscheschenGeist auch noch ganz gut mit seinen Beziehungen zum Vatikan in»Einklang« bringt. Von all solchen fragwürdigen, ja vielleichtunsauberen Ausräuberungen einzelner Gedanken Nietzsches istbei Jünger nichts zu finden. Er hat vielmehr, durch eigene Erfahrungengeführt und durch Nietzsches Denken hellsichtig geworden,Jenes erfahren, was Nietzsehe als das Tiefste bezeichnet, zudem wir hinunter kommen, den Willen zur Macht als den Grundcharakterdes Wirklichen.Jünger stellt sich dieser Wirklichkeit und faßt Fuß im Bezug zuihr. Er weicht der metaphysischen Grundstellung, die NietzschesDenken bereits bezogen hat, nicht aus. Nietzsche selbst hat sie mitdem Namen bezeichnet, der erstmals von dem russischen DichterTurgenjew geprägt wurde: als Nihilismus. Aber Nietzsches Nihi­1ismus ist nicht der Nihilismus der »Schwäche«, das bloße Sich­

236 11 Teil: Aussprache über <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>111 Von <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>1939/40237uns die Einsicht schon leichter zufallen, daß Geschichte, Werkund Menschentum wesentlicher Art nur sein können aus der sichselbst nie kennenden Leidenschaft zur großen Stille des Seins.<strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>Sein Dichten, Denken und Sagen ist durch den ersten Weltkriegbestimmt. Das gilt nun freilich von allem, was in der Nachkriegszeitoder, wie wir jetzt gemäßer sagen, in der Zwischenkriegszeitals menschlich-geschichtliches Tun und Denken sich verwirklichte.Aber <strong>Jünger</strong> hat vom kriegsfreiwilligen Schützen bis zumInfanterieleutnant und Stoßtruppführer die volle Zeit des Weltdurchgekämpft,sieben Mal verwundet und mit dem ho­Hausorden und dem Pour le merite ausgezeichnet.Allein dies trifft auf manch Andere auch zu, die vielleichtvorzeitig fielen oder, wenn durchgekommen, schweigen.Aber auch das Schreiben von »Kriegsbüchern« aus solchen Erfahrungenheraus kann <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong> nicht auszeichnen, selbstdann nicht, wenn man ihn als Schriftsteller besonders hoch einschätzt.Das »Rumänische Tagebuch«! von Hans Carossa, dasKriegstagebuch des jungen Bernhard von der Marwitz (»Stirbund Werde«2), die Erzählung»Verlorener Posten«3 von FriedrichFranz von Unruh über einige Kampftage des badischen Leibregimentsan der Lorettohähe (1916) all diese Schriften habenihren eigenen unvergleichlichen Rang neben <strong>Jünger</strong>s »Das Wäldchen125«.Doch <strong>Jünger</strong> hat den Geist des Frontkämpfers ins Werk geprägtmit dem Willen, ihn lebendig zu erhalten und dieses Soldatentumals einen neuen Menschenschlag vorbildlich zu machen. Werl Hans Carossa: Rumänisches Tagebuch. j 924., Bernhard von der Marwitz: Stirb und Aus Briefen und Kriegstagebuchblättern.Hrsg. v. H. von Koenigswald. Breslau 1931., Friedrich Franz von Unruh, Verlorener Posten. Schilderung aus der Loretto.Schlacht. Hamburg 1935.wagte jedoch zu bestreiten, daß dies alles von vielen Anderen weitlauter und breiter versucht und verwirklicht wurde?Der Sozialismus der »Frontsoldaten«, die »Kameradschaft« desGrabenkämpfers, der »Nationalismus« der wirklichen alldas wurde nach dem Krieg zum »Ideal« erhoben; undübertrug man Formen des kriegerischen Lebens in die Neugestaltungdes politischen Kampfes und der Gemeinschaften; bei welchemVorgang nicht allein der Schlag der Frontsoldaten, sondernein davon noch wesentlich verschiedener - der des Freikorpskämpfersmitmaßgebend wurde. 4<strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong> denkt nun gewiß aus den Erfahrungen des Frontkämpfers,aber er verläßt alsbald und immer sicherer die Erscheinungenwie Sozialismus, Nationalismus, Kameradschaft und Gemeinschaft;denn er erkennt, daß diese Erscheinungen entwederwie die erst genannten Sozialismus und Nationalismus dem bürgerlichenVorkriegszeitalter angehören, auch dann, wenn sieabgewandelt und verschmolzen werden; oder daß sie wie Kameradschaftund Gemeinschaft Weisen menschlicher <strong>Zu</strong>sammengehörigkeitsind, die jederzeit wertvoll bleiben, deshalb aber auchsich geschichtliche prägende Mächte sein können.<strong>Jünger</strong> sieht das Soldatentum und überhaupt das Menschentumdes Weltkrieges und diesen selbst jenseits oder besser gesagtdiesseits von Sozialismus und Nationalismus; dies aber deshalb,weil er, wie kein anderer, den Weltkrieg sogleich metaphysischerfährt; das will zunächst sagen als ein Geschehnis des Seiendenim Ganzen. Er ist in seinem Denken nach dem Kriege nicht in dieüberkommenen Bezirke der Vorstellungen über Geschick undMenschentum zurückgekehrt, um von da aus dann den Krieg zuein vom Autor durchgestrichener Einschub:] Wie weit dabei die AusundÜbertragung, aber auchkriegerischer }>Lebensformen«etwa das Vorkommen von sogenannten »Stoßtrupprednern«. (Mankann das Wort übrigens nur verstehen, wenn man von vornherein darauf verzichtet,klar und scharf zu denken - so wie etwa bei dem Wort »Nachwuchsfahrer«;solche Worte sind nicht bloß f,""D'm,,,..dem die Anzeichen des wohl rn,'l.e,nl.lv,,,,,,hrung des Sprachwesens.)

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