Zu Ernst Jünger - gesamtausgabe

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216 11 Teil: Aussprache über Ernst Jünger1 Ernst Jünger, der Arbeiter. 1932217Freidenkerei wie als maßgebende Anregung für neue Lehren der»Biologie«, Psychologie und Psychoanalyse. Man »kennt« dabeinatürlich auch Nietzsches Lehre vom »Willen zur Macht« undverschafft ihr grobe und platte »Anwendungen« im sogenannten»Leben«. Aber man übernimmt eine »Lehre« oder verdächtigtdamit den Standpunkt eines Menschen, der nur, weil er krankund angeblich schwach war, das Gegenwunschbild von Gesundheitund Gewalt zu predigen versuchte. Und so feiert die vonNietzsehe ins Äußerste getriebene psychologische Entlarvung vonHaltungen und Wünschen ihre Triumphe über Nietzsche selbst,und plätschert dabei schließlich an der leersten Oberfläche hinund her; die Einen verurteilen Nietzsehe und damit »seine Philosophie«als unheroisch, weil Nietzsehe 1870 als bloßer Krankenwärterschon am Schreien und Anblick der Verwundeten zusammenbrach.Andere halten ihn für einen soldatischen Menschen,weil er als Artillerist in Naumburg diente; die Einen nehmen ihnals großen Deutschen und die Anderen verdächtigen ihn alsFeind des »Reiches«, der als »ewiger Kurgast« im Ausland vor derWirklichkeit ausgewichen sei (Stoeving 1 [?]).Schon das vorbeigehende Hinweisen auf solche »Stellungnahmen«leiht ihnen einen Wert, den sie nicht verdienen; und dennochmüssen wir davon hören, um doch zu ahnen, welche Richtungslosigkeitund Willkür heute alle »geistigen« »Haltungen«zersetzt, um nicht zu meinen, das seien nur Oberflächenerscheinungenjdas sind sie auch, aber sie sind es nur, weil jede Bereitschaftzur Besinnung geschwunden ist, so daß auch Menschen, dieeine ernste »Beschäftigung« mit Nietzsehe für sich in Anspruchnehmen können, in Wahrheit doch nur taumeln.Dann können z. B. »Rasseforscher« sich für Verehrer Nietzsches,als des Lehrers vom Willen zur Macht, halten, ohne bedenkenzu müssen, daß Nietzsehe gerade in den Jahren der fruchtbarstenArbeit am »Willen zur Macht« (1886/7) in sein Notizbuch! [Die Entzifferung ist nicht sicher. Curt Stoeving (1863-1939) ist jener Maler,der nach 1894 mehrere Gemälde und Reliefs des kranken Nietzsehe anfertigte.]schrieb: »Maxime: Mit keinem Menschen umgehn, der an demverlognen Rassen-Schwindel Antheil hat.« - »Wieviel Verlogenheitund Sumpf gehört dazu, um im heutigen Mischmasch-EuropaRassenfragen aufzuwerfen!« (XIII, 356)Das einzige und wesentliche Verhältnis zu Nietzsehe kannüberhaupt und zumal innerhalb der Stickluft seiner jahrzehntelangen»Wirkung« nur auf zwei Wegen entspringen: entwederdurch eine Grunderfahrung des Wirklichen als Wille zur Macht,oder durch ein ursprüngliches Erfragen des Willens zur Macht alseiner Wirklichkeit, deren Wesen schon durch den Anfang derabendländischen Geschichte entschieden ist, welcher Anfang ja,wie jeder Anfang, nie hinter uns liegt, sondern stets neu vor unssteht.Jüngers Grunderfahrung, die ihn im Bereich des WirklichenFuß fassen läßt, dessen Wirklichkeit als Wille zur Macht waltet,ist die Erfahrung des ersten Weltkrieges.Aber diese Feststellung muß recht verstanden werden.1. Jünger will nicht das »Kriegserlebnis« auswerten zur Erneuerungund Verlebendigung vorgegebener und fernerhin zupflegender Weisen und Bezirke des »Lebens« (Nationalismus,Sozialismus, Kameradschaft, Gemeinschaft); vielmehr ist dieKriegserfahrung selbst die Erfahrung einer Wirklichkeit, diefortan das Wirkliche überhaupt und jedes Verhältnis zu ihr neubestimmen solL2. Jünger hat nicht den Krieg zunächst wie ein Ding an sich erfahren,um ihn dann mit Hilfe einer »Weltanschauung« nachträglichzu deuten; sondern diese Kriegserfahrung ist in sich,wie jede Erfahrung, eine Auslegung des Wirklichen und eineEntscheidung des Verhältnisses zu ihm. Aber sogar diese Auslegungkommt wiederum nicht hinter der Erfahrung hersondern geht mit ihr zugleich ihr voraus -legt den Bereich zuvorauseinander, aus dem her das Erfahrene so begegnet, wie esbegegnet. Der Krieg wird von Jünger bereits im Wahrheitsbezirkder Metaphysik Nietzsches erfahren; freilich ist dieserErfahrungshorizont nicht mit einem Schlag überallhin durch­

218 11 Teil: Aussprache über Ernst Jünger1 Ernst Jünger, der Arbeiter. 19J2219sichtig und geprägt - vor allem deshalb nicht, weil die Gestaltdieses Krieges während seines VerlatifS sich wesentlich gewanoderbesser gesagt, in ihrem noch zurückgehaltenen Wesenerst spät - seit den riesigen Materialschlachten sich offenbarthat.Aber auch die nachkommende Prägung und Gestaltung desKriegers und seines Krieges der Materialschlachten ist Jünger inseinen Schriften nur schrittweise geglückt, was zugleich wiederdie Echtheit und Einmaligkeit der Grunderfahrung bezeugt;nach dieser Hinsicht ist ein Vergleich der Schrift »Der Kampf alsinneres Erlebnis«" 1922 mit dem Werk »Der Arbeiter« 1932 sehrlehrreich.Jünger hatte nicht das Buch mit dem Titel »Nietzsehe, Der Willezur Macht« im Tornister sondern er wurde von Feuer und Blut,von Tod und der Arbeit, vom Schweigen und Donnern der Materialschlachtals Erscheinungen des Willens zur Macht betroffen.Jünger hat nicht nur als Führer mit einem sagenhaften Mutseine Männer zu einem unbedingten Gefolge fortgerissen, er hatsich selbst übertroffen, indem ihm die Stärke und Entschiedenheitder Besinnung und des Wortes zuteil wurde.Jünger schreibt über Augenblicke der Materialschlacht (DerKampf als inneres Erlebnis. 7. Aufl. 1938. S. 96 3 ): »Aber wennjetzt, gerade jetzt, wo uns die Granateinschläge wie ein Wald vonfeurigen Palmen umgeben, jemand uns diese Worte [»Vaterland«,»Ehre«, »Pflicht«] zurufen wollte, so würde er nur einen wildenFluch zur Antwort bekommen. Hier ist kein Raum für Begeisterung,und, ja das muß wohl gesagt werden, hier findet eine Arbeitstatt, die fast bewußtlos geleistet wird und insofern einen tierischenCharakter hat.«42 Ernst Jünger: Der Kampf als inneres Erlebnis. Berlin 1922.3 Ernst Der Kampf als inneres Erlebnis. Siebente Auflage. Berlin 1938.[Jünger frühen Kriegsbücher »In Stahlgewittern«, »Der Kampf als inneresErlebnis«, »Das Wäldchen 125« und »Feuer und Blut« häufig überarbeitet.Bereits die zweite Auflage von »Kampf als inneres Erlebnis« (Berlin 1926) wurdeneu bearbeitet.]• [Hervorhebungen von Heidegger.]Hier stellt wie von selbst das entscheidende Wort »Arbeit« sichein, ohne daß es schon als Wesenswort und Leittitel gebrauchtwäre. Und nicht minder deutlich S. 42: »Mittags hockten wir oftin einem Sonnenfleck des Grabens beisammen, rauchend undschweigend, denn wir kannten uns schon so lange, daß wir unsnichts mehr zu sagen hatten. Durch unerbittliche Verhältnissezusammengeschmiedet wie Galeerensklaven, waren wir meistmürrisch und mochten uns kaum mehr sehen. Manchmal schritteiner von denen dahinten an uns vorüber, sehr eilig, geschäftig, inder Hand eine Karte, von roten und blauen Linien und Zeichenbedeckt. Sehr einfach, die blauen Striche waren wir und die rotender Feind. Wir sahen, daß er rasiert war, daß seine Stiefel glänzten,daß er für das, was uns ankotzte, Interesse hatte, und machteneine Reihe bitterer Witze darüber. Dann schloß uns dasGefühl der Front zusammen, jenes Gefühl einer tierischenZusammengehörigkeit auf Leben und Tod, von dem sie in derHeimat soviel schrieben und sprachen, und unter dem sie anscheinendden rauschenden Einklang des Sturmschreis und dasVorwärts der Hörner im Morgenrot verstanden. Ach, wie langeschon hatten wir jenes Heldentums schillernde Haut mit demschmutzigen Kittel der Tagelöhner vertauscht.« - (V gl. S.103; 113 f.)Um den Zusammenhang Jüngers mit Nietzsche anzudeuten,hat man auch sogleich, selbst auf den Umschlag des Buches »DerArbeiteN, ein Wort Nietzsches beigezogen, das in dem aus NietzschesNachlaß zusammengestellten Buch »Der Wille zur Macht«als n. 764 steht: »Die Arbeiter sollen einmal leben wie jetzt dieBürger; - aber über ihnen, sich durch Bedürfnislosigkeit auszeichnend,die höhere Kaste: also ärmer und einfacher, doch im Besitzder Macht.« Dieses Wort Nietzsches klingt noch wie ein Hohn aufdas, was Jünger im »Arbeiter« denkt. Dieses Wort stammt auchnicht vom »alternden« Nietzsehe, wie auf dem Umschlag steht;es gehört in das entscheidende Jahr 1882 unmittelbar vor dem»Zarathustra«; Nietzsche war da 38 Jahre alt und einen »alternden«Nietzsche hat es überhaupt nie gegeben. Mit dieser Zwi­

218 11 Teil: Aussprache über <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>1 <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>, der Arbeiter. 19J2219sichtig und geprägt - vor allem deshalb nicht, weil die Gestaltdieses Krieges während seines VerlatifS sich wesentlich gewanoderbesser gesagt, in ihrem noch zurückgehaltenen Wesenerst spät - seit den riesigen Materialschlachten sich offenbarthat.Aber auch die nachkommende Prägung und Gestaltung desKriegers und seines Krieges der Materialschlachten ist <strong>Jünger</strong> inseinen Schriften nur schrittweise geglückt, was zugleich wiederdie Echtheit und Einmaligkeit der Grunderfahrung bezeugt;nach dieser Hinsicht ist ein Vergleich der Schrift »Der Kampf alsinneres Erlebnis«" 1922 mit dem Werk »Der Arbeiter« 1932 sehrlehrreich.<strong>Jünger</strong> hatte nicht das Buch mit dem Titel »Nietzsehe, Der Willezur Macht« im Tornister sondern er wurde von Feuer und Blut,von Tod und der Arbeit, vom Schweigen und Donnern der Materialschlachtals Erscheinungen des Willens zur Macht betroffen.<strong>Jünger</strong> hat nicht nur als Führer mit einem sagenhaften Mutseine Männer zu einem unbedingten Gefolge fortgerissen, er hatsich selbst übertroffen, indem ihm die Stärke und Entschiedenheitder Besinnung und des Wortes zuteil wurde.<strong>Jünger</strong> schreibt über Augenblicke der Materialschlacht (DerKampf als inneres Erlebnis. 7. Aufl. 1938. S. 96 3 ): »Aber wennjetzt, gerade jetzt, wo uns die Granateinschläge wie ein Wald vonfeurigen Palmen umgeben, jemand uns diese Worte [»Vaterland«,»Ehre«, »Pflicht«] zurufen wollte, so würde er nur einen wildenFluch zur Antwort bekommen. Hier ist kein Raum für Begeisterung,und, ja das muß wohl gesagt werden, hier findet eine Arbeitstatt, die fast bewußtlos geleistet wird und insofern einen tierischenCharakter hat.«42 <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>: Der Kampf als inneres Erlebnis. Berlin 1922.3 <strong>Ernst</strong> Der Kampf als inneres Erlebnis. Siebente Auflage. Berlin 1938.[<strong>Jünger</strong> frühen Kriegsbücher »In Stahlgewittern«, »Der Kampf als inneresErlebnis«, »Das Wäldchen 125« und »Feuer und Blut« häufig überarbeitet.Bereits die zweite Auflage von »Kampf als inneres Erlebnis« (Berlin 1926) wurdeneu bearbeitet.]• [Hervorhebungen von Heidegger.]Hier stellt wie von selbst das entscheidende Wort »Arbeit« sichein, ohne daß es schon als Wesenswort und Leittitel gebrauchtwäre. Und nicht minder deutlich S. 42: »Mittags hockten wir oftin einem Sonnenfleck des Grabens beisammen, rauchend undschweigend, denn wir kannten uns schon so lange, daß wir unsnichts mehr zu sagen hatten. Durch unerbittliche Verhältnissezusammengeschmiedet wie Galeerensklaven, waren wir meistmürrisch und mochten uns kaum mehr sehen. Manchmal schritteiner von denen dahinten an uns vorüber, sehr eilig, geschäftig, inder Hand eine Karte, von roten und blauen Linien und Zeichenbedeckt. Sehr einfach, die blauen Striche waren wir und die rotender Feind. Wir sahen, daß er rasiert war, daß seine Stiefel glänzten,daß er für das, was uns ankotzte, Interesse hatte, und machteneine Reihe bitterer Witze darüber. Dann schloß uns dasGefühl der Front zusammen, jenes Gefühl einer tierischen<strong>Zu</strong>sammengehörigkeit auf Leben und Tod, von dem sie in derHeimat soviel schrieben und sprachen, und unter dem sie anscheinendden rauschenden Einklang des Sturmschreis und dasVorwärts der Hörner im Morgenrot verstanden. Ach, wie langeschon hatten wir jenes Heldentums schillernde Haut mit demschmutzigen Kittel der Tagelöhner vertauscht.« - (V gl. S.103; 113 f.)Um den <strong>Zu</strong>sammenhang <strong>Jünger</strong>s mit Nietzsche anzudeuten,hat man auch sogleich, selbst auf den Umschlag des Buches »DerArbeiteN, ein Wort Nietzsches beigezogen, das in dem aus NietzschesNachlaß zusammengestellten Buch »Der Wille zur Macht«als n. 764 steht: »Die Arbeiter sollen einmal leben wie jetzt dieBürger; - aber über ihnen, sich durch Bedürfnislosigkeit auszeichnend,die höhere Kaste: also ärmer und einfacher, doch im Besitzder Macht.« Dieses Wort Nietzsches klingt noch wie ein Hohn aufdas, was <strong>Jünger</strong> im »Arbeiter« denkt. Dieses Wort stammt auchnicht vom »alternden« Nietzsehe, wie auf dem Umschlag steht;es gehört in das entscheidende Jahr 1882 unmittelbar vor dem»Zarathustra«; Nietzsche war da 38 Jahre alt und einen »alternden«Nietzsche hat es überhaupt nie gegeben. Mit dieser Zwi­

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