Goethe aus Goethe gedeutet - im Shop von Narr Francke Attempto

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13.07.2015 Aufrufe

te hindurch angenommen werden darf, hat er selbst insofern nahegelegt, als er inspäten Jahren in Dichtung und Wahrheit bereits hinsichtlich der Leipziger Zeit(1765–1768) schreibt:Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben übernicht abweichen konnte, nämlich dasjenige was mich erfreute oder quälte,oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mitmir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingenzu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. Die Gabe hierzu warwohl Niemand nötiger als mir, den seine Natur immerfort aus einem Extremein das andere warf. Alles was daher von mir bekannt geworden, sind nurBruchstücke einer großen Konfession, welche vollständig zu machen diesesBüchlein ein gewagter Versuch ist. 8Aber obwohl alles von Goethe Mitgeteilte auf Lebenserfahrung beruhte 9 , wie er ineinem wichtigen Brief festhält, geschah solche Mitteilung, wie erwähnt, in ihrem„Wie“ verändert, geschah sie auf mannigfache Weise verschlüsselt. Fragen wir,welche Mittel der Dichter einsetzte, um auf ein im Mitgeteilten Verborgenes hinzuweisen,so finden wir eine Vielzahl von Praktiken, die dem Zweck dienen,Geheimnisse zu umkreisen. Eine wesentliche, immer wieder angewandte Methode,ist die der Analogie. So stellt Goethe fest:Mittheilung durch Analogieen halt ich für so nützlich als angenehm; der AnalogeFall will sich nicht aufdringen, nichts beweisen, er stellt sich einem andernentgegen, ohne sich mit ihm zu verbinden: Mehrere analoge Fälle vereinigensich nicht zu geschlossenen Reihen, sie sind wie gute Gesellschaft die immermehr anregt als giebt. 10Wieder spricht Goethe hier von „Mitteilungen“, von Erlebtem. Dieser Verhaltenheitder Vermittlung von Inhalten entspricht auf der Ebene des Stils die Litotesoder Untertreibung. Ein Brief an Schiller klärt darüber auf:[…] Der Fehler, den Sie mit Recht bemerken, kommt aus meiner innerstenNatur, aus einem gewissen realistischen Tic, durch den ich meine Existenz,meine Handlungen, meine Schriften den Menschen aus den Augen zu rückenbehaglich finde. So werde ich immer gern incognito reisen, das geringere Kleidvor dem bessern wählen, und, in der Unterredung mit Fremden oder Halbbekannten,den unbedeutendern Gegenstand oder doch den weniger bedeutendenAusdruck vorziehen, mich leichtsinniger betragen als ich bin […]. 11Gemäß seinem Analogie-Denken suchte und fand Goethe auch in Leben undWerk früherer Dichter der verschiedensten Zeiten und Zonen Parallelen zu seinemeigenen Leben, was er zuweilen bloß mit Zitaten anzeigte, die der Leser8 DuW II, 7; FA 14, S. 309 f.9 An Carl Jacob Ludwig Iken, 27. Sept. 1827; HA Briefe 4, S. 250.10 Sprüche in Prosa; FA 13, S. 77 (1.521; H 1247), s. auch: „Nach Analogien denken ist nicht zuschelten; […]” ebd., S. 44 (1.282; H 532).11 9. Juli 1796; Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Nach den Handschriften des GoetheundSchiller-Archivs herausgegeben von Hans Gerhard Gräf und Albert Leitzmann, Frankfurta. M. / Wien / Zürich 1964. S. 179 f.6

erkennen sollte. Auf diese Weise konnte Goethe problemlos an bereits vorgegebeneSituationen anknüpfen. Meist ließ er es aber nicht dabei bewenden, sondernüberbot in solchen Fällen die Haltung des Vorgängers oder setzte einer negativenEinstellung eine eigene, positive, entgegen. Selber sprach er von „WiederholtenSpiegelungen“ (von denen später noch die Rede sein wird) oder er nannte solcheSichtweise in eigener Wortschöpfung „symphronistisch“ 12 , um mit dieser Bezeichnungdas rein Gedankliche, ‚Logische’ der Analogie durch den Einschluß desGemütes (φρήν) zu erweitern. Analogie oder, eben umfassender, Symphronismusgab Goethe auch die Möglichkeit, sich selbst oder geliebte Mitmenschen in mythische,allegorische oder Figuren der Literatur zu projizieren und so aus der Zeit zuheben.Des weiteren konnte er, Petrarca nachfolgend, Namen verschlüsselt in seineDichtung übernehmen oder sie in parechetischer Abwandlung in Teile trennen,um sie so in verschiedenster Variation, auch übersetzt, als Chiffren zu verwenden.Er spielte etymologisch mit Namen seiner Umwelt, holte aus Wortfeldern, denensie angehören, Chiffren zu seinem Gebrauch, gelegentlich auch hier in Übersetzungin eine andere Sprache. Zudem wurden ihm in der Nachfolge Dantes undPetrarcas auch gewisse Zahlen bedeutsam.Geheimes sollte verhüllt bleiben, aber dennoch die Möglichkeit seiner Aufdekkungbieten. Fingerzeige auf ‚verborgene Wahrheit’ hat Goethe immer wiedergegeben, und im folgenden seien einige wenige seiner Hinweise auf Thesen undMethoden herausgegriffen:Das Wahre ist gottähnlich; es erscheint nicht unmittelbar, wir müssen es ausseinen Manifestationen erraten. (Aus: Makariens Archiv 13 .)Es ist nicht immer nötig daß das Wahre sich verkörpere; schon genug, wennes geistig umher schwebt und Übereinstimmung bewirkt; wenn es wie Glokkentonernst-freundlich durch die Lüfte wogt. (Aus: Betrachtungen im Sinne derWanderer 14 )Die beiden Aphorismen aus den Wanderjahren von 1829 verhelfen zu einem besserenVerständnis des folgenden, wesentlich früher entstandenen Gedichts, indem Goethe auf kleinstem Raum Einblick in einige seiner immer wieder angewandtensprachlichen Kunstmittel gewährt. Dabei handelt es sich um Anklängean Schriften, die als bekannt vorausgesetzt werden können, wie um heimlicheWortspiele, um eine immer wieder thematisch mittels Buchstabenkombinationeneingesetzte Sprachmusik, besonders auch um Metrik als Ausdrucksmittel und umbezeichnete wie auch um unausgesprochen belassene Symbole:„Warum ist Wahrheit fern und weit?Birgt sich hinab in tiefste Gründe?“Niemand verstehet zur rechten Zeit! –Wenn man zu rechter Zeit verstünde;12 WMWJ, 2, 2; FA 10, S. 425, Z. 7.13 FA 10, S. 746, Nr.3; auch in Sprüche in Prosa, FA 13, S. 53, (1. 333; H 619).14 FA 10, S. 561, Betrachtungen im Sinne der Wanderer, Nr. 26; auch FA 13, S. 40 (1. 250; H 466).7

erkennen sollte. Auf diese Weise konnte <strong>Goethe</strong> problemlos an bereits vorgegebeneSituationen anknüpfen. Meist ließ er es aber nicht dabei bewenden, sondernüberbot in solchen Fällen die Haltung des Vorgängers oder setzte einer negativenEinstellung eine eigene, positive, entgegen. Selber sprach er <strong>von</strong> „WiederholtenSpiegelungen“ (<strong>von</strong> denen später noch die Rede sein wird) oder er nannte solcheSichtweise in eigener Wortschöpfung „symphronistisch“ 12 , um mit dieser Bezeichnungdas rein Gedankliche, ‚Logische’ der Analogie durch den Einschluß desGemütes (φρήν) zu erweitern. Analogie oder, eben umfassender, Symphronismusgab <strong>Goethe</strong> auch die Möglichkeit, sich selbst oder geliebte Mitmenschen in mythische,allegorische oder Figuren der Literatur zu projizieren und so <strong>aus</strong> der Zeit zuheben.Des weiteren konnte er, Petrarca nachfolgend, Namen verschlüsselt in seineDichtung übernehmen oder sie in parechetischer Abwandlung in Teile trennen,um sie so in verschiedenster Variation, auch übersetzt, als Chiffren zu verwenden.Er spielte etymologisch mit Namen seiner Umwelt, holte <strong>aus</strong> Wortfeldern, denensie angehören, Chiffren zu seinem Gebrauch, gelegentlich auch hier in Übersetzungin eine andere Sprache. Zudem wurden ihm in der Nachfolge Dantes undPetrarcas auch gewisse Zahlen bedeutsam.Gehe<strong>im</strong>es sollte verhüllt bleiben, aber dennoch die Möglichkeit seiner Aufdekkungbieten. Fingerzeige auf ‚verborgene Wahrheit’ hat <strong>Goethe</strong> <strong>im</strong>mer wiedergegeben, und <strong>im</strong> folgenden seien einige wenige seiner Hinweise auf Thesen undMethoden her<strong>aus</strong>gegriffen:Das Wahre ist gottähnlich; es erscheint nicht unmittelbar, wir müssen es <strong>aus</strong>seinen Manifestationen erraten. (Aus: Makariens Archiv 13 .)Es ist nicht <strong>im</strong>mer nötig daß das Wahre sich verkörpere; schon genug, wennes geistig umher schwebt und Übereinst<strong>im</strong>mung bewirkt; wenn es wie Glokkentonernst-freundlich durch die Lüfte wogt. (Aus: Betrachtungen <strong>im</strong> Sinne derWanderer 14 )Die beiden Aphorismen <strong>aus</strong> den Wanderjahren <strong>von</strong> 1829 verhelfen zu einem besserenVerständnis des folgenden, wesentlich früher entstandenen Gedichts, indem <strong>Goethe</strong> auf kleinstem Raum Einblick in einige seiner <strong>im</strong>mer wieder angewandtensprachlichen Kunstmittel gewährt. Dabei handelt es sich um Anklängean Schriften, die als bekannt vor<strong>aus</strong>gesetzt werden können, wie um he<strong>im</strong>licheWortspiele, um eine <strong>im</strong>mer wieder thematisch mittels Buchstabenkombinationeneingesetzte Sprachmusik, besonders auch um Metrik als Ausdrucksmittel und umbezeichnete wie auch um un<strong>aus</strong>gesprochen belassene Symbole:„Warum ist Wahrheit fern und weit?Birgt sich hinab in tiefste Gründe?“Niemand verstehet zur rechten Zeit! –Wenn man zu rechter Zeit verstünde;12 WMWJ, 2, 2; FA 10, S. 425, Z. 7.13 FA 10, S. 746, Nr.3; auch in Sprüche in Prosa, FA 13, S. 53, (1. 333; H 619).14 FA 10, S. 561, Betrachtungen <strong>im</strong> Sinne der Wanderer, Nr. 26; auch FA 13, S. 40 (1. 250; H 466).7

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