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Rede von Manfred Nowak - Ludwig Boltzmann Institut für ...

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<strong>Manfred</strong> <strong>Nowak</strong>Festveranstaltung zum 90. Geburtstag <strong>von</strong> Felix ErmacoraMenschenrechte zwischen Staat und WeltgesellschaftParlament Wien, 14. Oktober 2013Liebe Helga, zu Beginn möchte ich Dir und Deiner zahlreich erschienenen Familie mit allerHerzlichkeit zu diesem Festtag gratulieren. Es war Deine Idee, im letzten Advent in gemütlicherRunde bei Fritz Gehart, als Du an Andreas Khol und mich die Frage gerichtet hast, ob wir nicht ausAnlass <strong>von</strong> Felix‘ 90. Geburtstag eine Veranstaltung organisieren könnten, um ihn zu feiern und unsseines Wirkens zu erinnern. Es war eine tolle Idee, und die große Zahl jener Menschen, die heuteAbend gekommen sind, um Felix Ermacora zu ehren, zeigt, wie sehr er auch knapp 20 Jahre nachseinem Tod noch in unserem Leben präsent ist. Ich weiß, dass er als Ehemann nicht immer so präsentwar wie Du Dir das gewünscht hättest, aber er war ein wahrlich außergewöhnlicher Mensch, Politikerund Wissenschaftler, der sehr viel <strong>für</strong> unser Land, <strong>für</strong> viele Menschen in dieser Welt und <strong>für</strong> dasAnsehen Österreichs in der Welt geleistet hat.Liebe Barbara, ich möchte Dir und Deinen MitarbeiterInnen mit ebenso großer Herzlichkeit danken,dass Du als Präsidentin des Nationalrats auf meine Bitte, ob wir diese Veranstaltung im Parlamentabhalten können, sofort positiv reagiert hast, obwohl Du wusstest, dass dieser Zeitpunkt, so knappnach den Nationalratswahlen, denkbar schlecht ist. Deine spontane Bereitschaft zeigt, dass FelixErmacora weit über die Grenzen seiner Partei hinaus anerkannt und geschätzt wird, auch wenn er alsPolitiker nicht immer pflegeleicht war und, wie wir eben gesehen haben, sich in der Oppositionsrolleviel wohler gefühlt hat als in der Großen Koalition, und „Paukenschläge der Rhetorik“ statt„primitiver Argumente“ eingefordert hat. Viele seiner Ausführungen über die Politikverdrossenheit,über Abgeordnete, die Gesetze beschließen, die sie nicht gelesen haben, über das mangelnde Geldan den Universitäten, über die Sinnhaftigkeit eines Berufsheers und die Notwendigkeit einesrationaleren Diskurses im Hinblick auf die Reform des Bundesheeres, und über die mangelhafte undscheinheilige Menschenrechtspolitik der Europäischen Union würde er heute genauso treffendformulieren wie vor 20 Jahren, weil diese Fragen nichts an Aktualität eingebüßt haben. Er würdeauch nicht schweigen über den Zynismus, mit dem die Innen- und JustizministerInnen der EU nurwenige Tage nach der Tragödie <strong>von</strong> Lampedusa zur normalen Tagesordnung übergingen und an ihrerverfehlten und Menschen verachtenden Migrations- und Flüchtlingspolitik festhalten.Ich habe Felix Ermacora in einer seiner legendären Vorlesungen und Seminare über die AllgemeineStaatslehre kennen und schätzen gelernt, wo man Hegel noch im Original lesen musste, um mitredenzu können. Wo sind diese Zeiten geblieben? Seine Intellektualität und Vielseitigkeit, sein Blick überdie engen Grenzen Österreichs und über die Methodik des Rechtspositivismus hinaus, die ihm häufig1


die Kritik des Methodensynkretismus eingebracht hat, waren ebenso wie seine inter-aktivenVorlesungen und unkonventionellen Assistenten an der eher traditionellen rechtswissenschaftlichenFakultät der Universität Wien zu Beginn der 1970er Jahre außergewöhnlich. Deshalb freute ich michsehr, als er mir noch vor Abschluss meines Studiums Anfang 1973 einen Assistentenposten anbot,der mein weiteres Leben prägen sollte. Er feierte in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag (wo<strong>für</strong> ihmseine damaligen SchülerInnen und Helga Stadler eine 1. Festschrift schenkten) und schien am Zenitseines wissenschaftlichen Schaffens angekommen zu sein. Sein ganzes Wesen strahlte unermüdlicheEnergie und Schaffenskraft aus. Er hatte 1970 sein monumentales Werk zur Allgemeinen Staatslehreveröffentlicht, das heute als Höhepunkt einer inzwischen ausgestorbenen wissenschaftlichenDisziplin gilt. Viele fragten sich, was sie aus rechtswissenschaftlicher Sicht nach Felix Ermacora nochSinnvolles forschen und schreiben sollten. Im gleichen Jahr hatte er auch eine ÖsterreichischeVerfassungslehre publiziert: eine Disziplin, die sich in Österreich keiner großen Beliebtheit erfreute,die ihm aber das politologische Rüstzeug gab, als er ein Jahr später in den Nationalrat einzog. Als ichgleich nach meinem Dienstantritt gebeten wurde, seine Vorlesung über BesonderesVerwaltungsrecht im SS 1973 zu betreuen, wusste ich noch nicht, dass ich im Lauf dieses Semestersein ganzes Skriptum <strong>von</strong> über 300 Seiten schreiben sollte, das wir auf Matrizen abzogen und laufendin den Vorlesungen austeilten. Denn es gab damals kein Lehrbuch, und die Studierenden sollten einentsprechendes Service erhalten, kostenlos, versteht sich. Ich musste etwas schmunzeln, wie er indem Interview mit Johannes Kunz betonte, dass er neben all seinen anderen Tätigkeiten natürlichimmer seinen Lehr- und Prüfungsverpflichtungen an der Universität Wien in vollem Maßenachgekommen sei, was natürlich ohne die bedingungslose Unterstützung seiner AssistentInnennicht möglich war, wie die heute anwesenden ehemaligen MitarbeiterInnen Felix Ermacoras sicherbezeugen können. Damals saßen wir noch zu viert mit einem gemeinsamen Telefon und ein paarSchreibmaschinen in beengten Bibliotheks-Räumlichkeiten der Universität am Ring. Aber dieAusbeutungssituation hat sich seither nicht wirklich geändert. Ich muss immer unwillkürlich an Felixdenken, wenn mich meine eigenen MitarbeiterInnen heute liebevoll, aber wenig schmeichelnd„Sklavenhalter“ nennen.Ich durfte auch ein bisschen an seinem dreibändigen Werk über die Menschenrechte in der sichwandelnden Welt mitwirken, das zu einem Standardwerk über die Geschichte und Bedeutung derMenschenrechte wurde. Hier konnte er wahrlich aus dem Vollen schöpfen, war er doch seit 1959Mitglied der Europäischen Menschenrechtskommission und Leiter der österreichischenRegierungsdelegation in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Für den Europarathatte er an den ersten Factfinding Missionen in Griechenland und Nordirland teilgenommen undPionierarbeit geleistet, <strong>für</strong> die UNO untersuchte er jedes Jahr bis zum Ende der Apartheid dieMenschenrechtsverletzungen im südlichen Afrika. Ich erinnere mich noch sehr gut, als wirgemeinsam die Nachricht vom blutigen Putsch General Pinochets gegen die demokratisch gewählteRegierung unter Salvador Allende am 11. September 1973 in Chile erfuhren. Kurz darauf schrieb erals Präsident der UNO-Menschenrechtskommission Geschichte, als er der Witwe Allendes einBeileidstelegramm schickte (was damals noch als unzulässige Einmischung in die Souveränität Chileskritisiert wurde) und eine Untersuchungskommission über Folter und Verschwindenlassen in Chileforderte, die schließlich eingesetzt wurde und dessen Mitglied er durch mehrere Jahre hindurch war.Ein Jahrzehnt später wurde er Sonderberichterstatter über die Menschenrechte in Afghanistan, eine2


wahrlich herausfordernde Funktion, die er bis zu seinem Lebensende ausübte und die auch einengewissen Anteil an seinem allzu frühen Tod hatte.Ich selbst hatte nur einmal die Gelegenheit, ihn auf einer seiner vielen Factfinding-Missionen zubegleiten. Im Jahr 1986 untersuchten wir gemeinsam auf Einladung der brasilianischenBischofskonferenz die Vertreibungen und Ermordungen landloser Bauern durch reicheGroßgrundbesitzer im Norden Brasiliens. Es war eine extrem anstrengende Mission und ichbewunderte Felix nicht zuletzt <strong>für</strong> sein physisches Durchhaltevermögen. Eine ganze Nacht langdiskutierten wir heftig und emotional mit einem deutschen Jesuitenpater, ob es sich bei derTheologie der Befreiung um eine marxistische Bewegung handle oder nicht. Der Gedanke, dass unterden Kutten der Bischöfe und Priester, mit denen wir auf holprigen Straßen durch den brasilianischenUrwald fuhren, in primitiven Unterkünften wohnten und an improvisierten Feldmessen teilnahmen,möglicherweise verkappte Marxisten steckten, beschäftigte ihn noch lange Zeit und ließ ihn auch beider Abfassung unseres Berichts nicht mehr los. Diese Episode zeigt ein wenig die ideologischeGespaltenheit Felix Ermacoras. Als Mensch und als Abgeordneter vertrat er durchauswertkonservative Ideen. In Wikipedia ist etwa zu lesen, dass er „keine Berührungsängste mit politischAndersdenkenden“ hatte, wie mit deutschnationalen Burschenschaften, und dass er einer derwenigen ÖVP-Mitglieder war, „die in der rechtsextremen Aula publizierten“. Aber als internationalhoch geachteter Menschenrechtsexperte setzte er sich bedingungslos und vorbehaltslos <strong>für</strong> dieOpfer <strong>von</strong> Menschenrechtsverletzungen ein, und zwar unabhängig <strong>von</strong> ihrer Herkunft, Religion oderideologischen Orientierung. „Menschenrechte ohne Wenn und Aber“ hieß folgerichtig eines seinerletzten Bücher mit deutlich autobiographischen Zügen.Felix Ermacora war der herausragende Pionier der Menschenrechte in Österreich. Durch seinewissenschaftliche Beschäftigung mit dem Staatsrecht und der Allgemeinen Staatslehre kannte er dasPhänomen Staat mit all seinen Facetten, Nuancen, Stärken und Schwächen wie kaum ein anderer. Einstarker, demokratisch legitimierter und rechtsstaatlich orientierter Staat war seiner Meinung nach<strong>für</strong> den wirksamen Schutz der Menschenrechte unabdingbar. Immer wieder betonte er, dass derStaat seine eigentliche Legitimation und Souveränität nur aus dem umfassenden Schutz derMenschenrechte beziehen kann, eine Idee und Vision, die mit dem modernen Konzept derSchutzverantwortung („Responsibility to Protect“) in den Vereinten Nationen heute langsam realeGestalt annimmt. Das bedeutet aber auch, dass die Souveränität schrittweise auf die internationaleGemeinschaft übergeht, wenn Regierungen nicht willens oder nicht in der Lage sind, ihre eigeneBevölkerung gegen schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord undVerbrechen gegen die Menschlichkeit auf wirksame Weise zu schützen. Wie kaum ein anderer hat erseine Überzeugung der Legitimität des internationalen Menschenrechtsschutzes gegenüber demtraditionellen Argument der staatlichen Souveränität in den Vereinten Nationen und andereninternationalen Organisationen vertreten und durch seine praktische Menschenrechtsarbeitumgesetzt. Die Anerkennung dieses universellen Prinzips auf der WienerWeltmenschenrechtskonferenz 1993 kann auch als eines seiner bleibenden Verdienste bezeichnetwerden: Die Menschenrechte im Übergang vom Staat zum Weltstaat.3


Ein Jahr vor dieser Weltkonferenz haben Hannes Tretter und ich gemeinsam mit Felix Ermacora das<strong>Ludwig</strong> <strong>Boltzmann</strong> <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Menschenrechte gegründet. Dort war <strong>für</strong> ihn ein Zimmer <strong>für</strong> die Zeitnach seinem Ausscheiden aus der Universität Wien reserviert, das er leider nicht mehr wirklich inAnspruch nehmen konnte. Aber wir versuchen im Rahmen dieses <strong>Institut</strong>s, die wissenschaftlicheErforschung der Menschenrechte und ihre praktische Umsetzung in seinem Sinne weiterzuführen.Besonders freut es mich auch, dass die Universität Wien in letzter Zeit die wachsende Bedeutung derMenschenrechte als inter-disziplinäres Forschungsgebiet erkannt hat und dass wir auch dort mitvereinten Kräften seine Ideen und Visionen weiter verfolgen können. In diesem Sinne möchte ichauch der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät, allen voran ihrem Dekan Heinz Mayer, demVerein der Freunde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und nicht zuletzt Anna Müller-Funk da<strong>für</strong>danken, dass diese Fest-Veranstaltung gemeinsam mit dem <strong>Ludwig</strong> <strong>Boltzmann</strong> <strong>Institut</strong> <strong>für</strong>Menschenrechte, Barbara Prammer und Fritz Neugebauer hier in den Räumlichkeiten desNationalrats veranstaltet wird, wo Felix Ermacora zwei Jahrzehnte hindurch gewirkt und viele Spurenhinterlassen hat.4

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