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SFT 5/84 - Science Fiction Times

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<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> 5/<strong>84</strong> 5in Reinkultur für eine problematischeSache zu halten, ohne es jetzt gleich alsFalschgeld zu diffamieren, mit dem dieNatur uns betrügt. In der Ökonomie derEvolution gehört das Glück nicht zu denangestrebten Zielen, sondern zu den vielfaltigenMarken auf dem Wege dahin.Die Natur hat nämlich das Prinzip derVerhaltenssteuerung durch positive undnegative Verstärker schon lange vor denBehavioristen erfunden. Was wir an Lebensweisheitam Ende erreichen können,ist nicht viel mehr, als diesen Hinweisreizenzu folgen. „Selbstverwirklichung“ist im Grunde ein viel zu hochtrabendesWort dafür.Jeder Versuch jedoch, die Natur zuübertölpeln und den direkten Durchbruchin den Glückstopf zu erzwingen,endet unweigerlich in der Katastrophe.Ein bedenkenswertes Beispiel dafürbietet die Laboratoriumsratte, die durchKnopfdruck über eine Sonde ihr eigenesLustzentrum im Gehirn permanentreizt – bis an ihr „selig Ende“. Jeder Heroinsüchtigesteht jedoch für denselbenFall – oder in gewisser Weise eben auchjeder Bewohner des Frankeschen Orchideenkäfigs;denn wenn man sein ganzesLeben im permanenten Glücksrauschverbringt, ist es letztlich vom Standpunktder Evolution ohne Bedeutung, ob dieserRausch 1 Stunde dauert, 1 Jahr oder 1Ewigkeit.Wenn man das Problem von diesemStandpunkt aus betrachtet, kann manFrankes Buch (wohl auch im Sinne desAutors) als eine Warnung interpretieren; denn wer möchte schon seine Hand dafürins Feuer legen, daß die Menschheiteinmal die Kraft aufbringen wird, diesebreite und bequeme Sackgasse zu meiden,wenn sie sich je auftun sollte?ZENON,BORGES UND ICHIn einer Buchbesprechung macht BOR-GES einmal eine Bemerkung, die aufden ersten Blick sehr provokativ erscheint.„Die Katholiken“, so schreibt erund fügt auf seine sanft perfide Art hinzu,„(ich meine die argentinischen Katholiken)glauben an eine überirdischeWelt, ich habe jedoch bemerkt, daß siesich nicht für sie interessieren. Bei mir istdas Gegenteil der Fall: mich interessiertsie, aber ich glaube nicht an sie.“ WennBORGES meist reichlich entlegene philosophischeund theologische Problemeaufwirft, so nicht, um sie (womöglich„endgültig“) zu lösen, sondern vielmehrihrer ästhetischen Qualitäten wegen undum den Schwindel des Denkens auszukosten.BORGES reflektiert die Problemenicht, die er anspricht, er erzählt sie.So wie einige seiner besten ErzählungenQuasi-Essays sind, sind die meistenseiner Essays Quasi-Erzählungen. BOR-GES hat die Grenzen zwischen den Gattungenverwischt, um neue, erstaunlicheEffekte zu erzielen.Es versteht sich, und BORGES läßtdas mehr als einmal unverhüllt durchblicken,daß vor diesem Hintergrund dieFrage nach der Wahrheit, die die Philosophenso bewegt, von ganz untergeordneterBedeutung wird. So bleibt für ihnbeispielsweise das klassische Paradoxdes ewigen Wettlaufs zwischen Achillesund der Schildkröte trotz all der einschneidendenWiderlegungen, die es imLaufe von mehr als zwei Jahrtausendenerfahren hat (oder gerade deswegen?),von unvermindertem Interesse.Achilles kann die Schildkröte nichteinholen, so argumentiert ZENON, derWettlauf kann nie zu einem Ende kommen,so wie keine Bewegung je an ihrZiel gelangt, weil sich zwischen Startpunktund Ziel unendlich viele Punkteeinschieben lassen, zwischen denen unendlichviele Distanzen bestehen, die zudurchqueren eben auch unendlich vielZeit beansprucht. Dieses Paradox sollnicht nur die Wirklichkeit des Raumesin Frage stellen, sondern zugleich auch,und das ist der Punkt, der das besondereInteresse von BORGES auf sichzieht, die, wie er schreibt, „ unverletzlichereund feiner geartete der Zeit“.Er resümiert seinen Oberblick über diebekannten Widerlegungsversuche vonARISTOTELES bis BERGSON undRUSSEL mit der lapidaren Bemerkung,ZENON sei unwiderlegbar, es sei denn,wir könnten uns zur Idealität von Raumund Zeit bekennen.Ich will meine Sympathie nicht verhehlenmit diesem metaphysischen David,der unerschrocken eine ganze Riegevon Geistesriesen in die Schranken fordert.Ich meine sogar, daß es im Prinziprichtig ist, darauf zu beharren, daß diesesParadox, das aus dem Denken herausgewachsenist, mit den Mitteln des Denkensallein nicht zu lösen ist. ZENONdominiert im Grunde alle seine Widerleger,indem er ihnen seine Prämissenaufzwingt, deren wichtigste das Primatdes Denkens über die Wirklichkeit ist.Er stellt ein mathematisches Modell desBewegungsablaufs vor, das den offenkundigenMangel hat, die beobachtbarenEreignisse nicht angemessen beschreibenzu können. Aus diesem Fehlschlagzieht er jedoch nicht den naheliegendenSchluß, daß sein Modell falsch seinkönnte, er kommt vielmehr zu dem überraschendenErgebnis, mit den beobachtetenEreignissen könne etwas nicht stimmen.Diese Argumentation nimmt alssichere Prämisse an, ein Denkgebilde,ein formales Modell, könne einen Testfür die Wirklichkeit abgeben. Akzeptiertman diese Prämisse, gerät man jedochunweigerlich in das Dilemma, feststellenzu müssen, daß sich jeder Ereignisfolgezahlreiche formale Modelle unterlegenlassen, die u.U. zu recht unterschiedlichenKonsequenzen führen. Sie könnennicht alle zugleich gültig sein; aber wiesoll eine Entscheidung zwischen ihnengetroffen werden, ohne auf empirischeArgumente zurückzugreifen? – Es zeigtsich sehr schnell: Modelle sind beliebig,die Wirklichkeit ist es nicht. Darausfolgt, daß die theoretische Rekonstruktionder Wirklichkeit, die unser Denkenerzeugt, sich erst an der Empirie bewährenmuß.Wenn man diese Prämisse akzeptiert,dann ist ZENON bereits widerlegt. Woaber steckt der Fehler seines Modells?Oder sollte man eher fragen: Wie funktioniertder Trick? – Ein Beobachter verfolgtden Wettlauf zwischen Achilles undder Schildkröte. Er registriert dabei fortlaufenddie jeweils erreichten Positionender Wettkämpfer. Er tut das jedoch nicht,wie zu erwarten wäre, in gleichmäßigenAbständen, etwa jede Sekunde, sonderner verkürzt systematisch fortlaufend denBeobachtungszeitraum. Dieser Kunstgriffgestattet es ihm, den Punkt, an demAchilles die Schildkröte einholt, hinauszuschieben.Dieses Spiel kann man inder Tat ad infinitum fortsetzen, da sichzwischen Start und Ziel des Wettlaufsunendlich viele Punkte einschieben lassen.Dieses Vorgehen setzt die beliebigeTeilbarkeit der Zeit voraus. Nun ist mathematischsicher jede Strecke beliebigoft teilbar, woraus man jedoch noch langenicht folgern kann, daß dieses auch fürjede Zeitstrecke gilt. Es wäre ja durchaus

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