12Buch des MonatsDAS BUCH DES<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> 5/<strong>84</strong>Der Ich-Erzähler, der auch den Namendes Autors trägt, entdeckt nach einemschweren Verkehrsunfall eine neue Facetteder Sexualität. Er ist fasziniert vonden Verletzungen und Entstellungen,die als Folge eines Autounfalls auftretenkönnen, Bilder von zerschmettertemGlas, zerrissenem Metall und deformiertenArmaturen bekommen eine erotischeKomponente.Zunächst glaubt er sich allein mitseiner Obsession, doch je länger er sichauf den Ausfallstraßen Londons herumtreibt,immer auf der Suche nach neuenUnfällen, die ihn stimulieren, desto mehrLeute bemerkt er, die offensichtlich diegleichen Ziele haben. Er macht die Bekanntschaftvon Vaughan, einem Mann,dessen Körper von den Narben zahlreicherUnfälle gezeichnet ist. Vaughanmacht keinen Hehl aus seinen perversenVorlieben, und der Erzähler gerät immermehr in seinen Bann. Gemeinsamstreifen sie durch die Straßen, stets denPolizeifunk eingeschaltet, um schnellstmöglichan die Stätten schwerer Unfällezu gelangen. Schauplatz ihrer Sexualitätwird das Auto, wo sie sich entweder mitProstituierten vergnügen und dabei inder Vorstellung bizarrer Unfalle schwelgen,oder aber die Narben und Mißbildungenanderer, gleichgesinnter Unfallopfererkunden.Doch langsam wird deutlich, daß essich bei diesen Handlungen letztlich nurum einen Ersatz handelt – einen Ersatzfür den grandiosen Unfall, bei dem sieeinen letzten , tödlichen Orgasmus erleben.Vaughan macht als erster den entscheidendenSchritt, in einem sorgsamarrangierten Unfall findet er den Tod.Beim Anblick der Leiche wird dem Erzählerklar, daß auch er in absehbarerZeit so enden wird – eine Aussicht, dieihm durchaus willkommen ist.BemerkenswertDem Roman eilt der Ruf voraus, eshandle sich um einen Schocker, einenTabubrecher, ein pornographischesWerk. Offensichtlich verspricht mansich in der Verlagsszene dank dieses Rufesein besonders gutes Geschäft, dennfast zeitgleich mit der Hardcoverausgabeerscheint bei Hohenheim die Paperback-Fassung, und schon jetzt steht fest, daßder Roman bei Bastei als Taschenbuchherauskommen wird.Ob der Roman tatsächlich als schockierendempfunden wird, wird in ersterMONATSG. BallardCRASH(Crash)Linkenheim 1985, Edition PhantasiaDeutsch von Joachim KörberLinie davon abhängen , was der Rezipientbislang gelesen hat. Daß Autos undSexualität viel miteinander zu tun haben,dürfte hinlänglich bekannt sein, wennauch dies Thema bisher noch nicht inRomanform verarbeitet wurde. Einenpornographischen Anstrich hat das Werkzweifellos, denn Ballard läßt nichts aus,was man in einem Auto treiben kann,und so tropft recht häufig Sperma aufdie Vinylsitze. Andererseits dürfte esdem Leser recht schwer fallen, aus diesergeballten Ladung Sexualität den beipornographischen Darstellungen zu erwartendenLustgewinn zu ziehen, daes sicher nicht jedermanns Sache ist, inFahrzeugarmaturen eine geheime Erotikzu entdecken. Von daher wird man demGang der Handlung eher mit klinischemInteresse als mit Lüsternheit folgen.Der tiefere SinnBallard selbst hält den Roman für einwarnendes, hochgradig politischesBuch, für einen Hinweis darauf, daß diemoderne, immer brutaler und gleichzeitigimmer technologischer werdendeGesellschaft dem Menschen mehr undmehr Möglichkeiten einräumt, seine pathologischenWunschträume auszuleben.Man mag dies so sehen , und mit Hilfeeiniger interpretatorischer Klimmzügekönnte man es sogar anhand des Buchesnachweisen, auch wenn dieser Nachweiskaum sehr überzeugend ausfallen dürfte.Dem globalen, die ganze Gesellschaftumfassenden Anspruch des Autors wirdder Roman jedenfalls nicht gerecht. WasBallard hingegen gelang, ist die schonfast erschreckend überzeugende Darstellungvon Menschen, deren erotischeFixierung auf das Auto über das normaleMaß hinausgeht - wobei allein schon derTerminus normales Maß sehr zu denkengeben sollte. Wie anders als erotisch istschließlich das Gefühl zu bezeichnen,das ein Autobesitzer empfindet, der sicherstmals in seinen soeben neu gekauftenWagen setzt, die Polster streichelt, dieArmaturen bewundert und den typischenGeruch eines fabrikneuen Autos einatmet.Und als erotisch ist schließlich auchdie morbide Schaulust anzusehen, dieMenschenmengen an den Orten spektakulärerUnfalle zusammentreibt – wobeies in diesem Zusammenhang sichersinnvoll ist, sich zu vergegenwärtigen,daß Sexualität und Gewalt in einem sehrengen Zusammenhang stehen.Derartige Zusammenhänge machtBallard in brillanter Weise deutlich, indemer kraß und ohne Scheu von Sexualitätspricht, wenn Sexualität gemeintist, statt diese Emotion in sonst üblicherManier nur dezent anzudeuten . Daß erdabei eine Sexualität beschreibt, die es indieser Form nicht (oder noch nicht gibt),könnte man ihm vielleicht vorwerfen,wäre da nicht jenes fatale Gefühl, seinBericht sei möglicherweise doch keineFiktion, sondern eher das Ergebnis einerscharfen Beobachtungsgabe. Der Fahrstilmancher Leute jedenfalls legt denVerdacht nahe, Ballards Figuren hättendurchaus ihre Entsprechungen in derRealität.Harald Pusch
<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> 5/<strong>84</strong> 13Buch des MonatsJoachimMüllerSpeilerg auf+SchwäbischDreharbeiten zu JoeyWir sind nicht mehr auf der ARCHENOAH-Wetterstation in den unendlichenWeiten des Weltraumes, sondern ineinem engen, klaustrophobischen Gangeines Labyrinths. Das Besondere andiesem nebulösen Irrgarten, der in unheimliches,blaues Licht getaucht ist: erführt direkt ins Jenseits. Und in selbigesschreitet der 9jährige JOEY.Das ist der Höhepunkt des neuenLeinwandspektakels vom schwäbischenFilm-Wunderkind Roland Emmerich.Seinen neuen Film JOEY dreht er seitJuli 19<strong>84</strong> im schwäbischen Sindelfingenab. Aber auch nach den 13 Wochenharter Dreharbeiten ist der nervenaufreibendeund geldfressende Zelluloid-Kampf immer noch nicht zu Ende. ZurZeit nämlich haben die beiden BerlinerSpecial-Effekt-Spezialisten Wolf ArminLange und Frank Schlegel alle Händevoll zu tun.Der 29jährige Absolvent der Hochschulefür Fernsehen und Film sorgtebereits mit seinem Debüt-Film DASARCHE- NOAH-PRINZIP für einigesAufsehen: Als Abschlußfilm an der.HFF wollte Emmerich einen deutschen<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong>-Film drehen. Obwohlihn damals jeder warnte, setzte derschwäbische Jungfilmer alles auf eineKarte . So wurde aus einem Abschlußfilmmit einem 20.000 Mark Budget ein1,5 Millionen-Spektakel in Superbreitwandund Dolby-Stereo. DAS ARCHENOAH-PRINZIP fand sogar den Weg indie Berliner Filmfestspiele und hat – allenUnkenrufen zum Trotz – sein Geldlängst eingespielt. Emmerich jedenfallsist ein Außenseiter in hiesiger Kinolandschaftgeblieben. Er schert sich um keinOberhausener Manifest und er interessiertsich auch in seinem neuesten Filmüberhaupt nicht für die Vergangenheits-Bewältigung; das überläßt er Leutenwie Herzog, Schlöndorff oder Wenders.Seine Kinovorbilder sind über dem großenTeich zu finden. Emmerich nämlichist ein echter Anhänger der letzten zehnJahre Hollywood , Spielberg, Scott oderLucas.Wie beim ARCHE NOAH-PRINZIPdreht er auch diesmal in heimatlichschwäbischenGefilden. Er filmt in ausrangiertenLager- und Fabrikhallen inder Nähe von Silldelfingen oder auch„on location“ im Steinbruch bei Döffingen.Er bleibt seinem Grundsatz treu,nicht im Studio zu drehen. Die Studiosnämlich sind viel teurer als wenn manin Lagerhallen oder Fabrikhallen dreht.Das so gesparte Geld kann dann zumBeispiel für die Trickeffekte verwendetwerden. Schließlich soll JOEY wie eineMultimillionen-Dollar-Produktion aussehen,denn der filmbesessene Unternehmersohnschielt nicht auf den deutschenMarkt: sein Blick ist auf das Land derunbegrenzten (Film-) Möglichkeiten gerichtet.Deshalb sprechen die Darstelleralle englisch und erst im Synchronstudiowerden den Schauspielern die deutschenStimmen verpaßt.Das Labyrinth aus Sperrholz, Sägemehlund Gips ist aufgebaut. Auf demSet erscheinen die Darsteller und dassind außer der TheaterschauspielerinEva Kryll (die gerade vor der Kamerades Meisterregisseurs Stanley Kubricksteht) allesamt Laien. Und es sind nahezuausschließlich Kinder. Die hat sichEmmerich vor allem bei den Pattonville-Kasernen in der Nähe von Ludwigsburgausgesucht: Sie sollen schließlich möglichst„amerikanisch“ aussehen. SobaldJoshua, Tammy und Sean das Studiobetreten, geht es los: da wird geulkt,gespielt und rumgehüpft. Ein umherfliegenderBall macht fast meinem Fotoden Garaus: Emmerich hat‘s wahrlichnicht leicht. Der Streß steht ihm auchim Gesicht geschrieben und obwohl dieZeit drängt – man wollte schon morgensdrehen und jetzt ist bereits 17.00 Uhr –zeigt er ein erstaunliches Einfühlungsvermögen.So bringt er es denn auchmeistens fertig, die Kinder richtig durchdas Szenario zu dirigieren. Am Tag alsdie Labyrinth-Szene abgedreht wird, diekünstlichen Spinnweben von den Wändenhängen und die Nebelmaschinenauf vollen Touren laufen, hat EmmerichPech: Einer der Nachwuchs-Mimen istnirgends aufzutreiben. Aber auch das gehörtdazu, Improvisations-Talent.Von Josh Morrell, dem 9jährigenJOEY-Darsteller sind alle begeistert. Erist der witzigste und aufgeweckteste der