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Grundlagen - Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft (ZAR) - KIT

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B. NormenhierarchieEuroparecht (reiner Anwendungs-/kein Geltungsvorrang!)GrundgesetzVölkerrecht (vgl. Art. 59 II GG, Art. 25 GG)Formale GesetzeVerordnungen und SatzungenVerwaltungsakte, öffentlich-rechtliche VerträgeFormale Landesgesetze (Achtung! Art. 31 GG)Landesverordnungen/ -satzungenVerwaltungsakte, öffentlich-rechtliche VerträgeC. Aufbau von RechtsnormenDie meisten Rechtsnormen bestehen aus zwei typischen Elementen:- Beschreibung der Situation, <strong>für</strong> die die Norm eingreifen soll (Tatbestand)- Regelung, was in dieser Situation geschehen soll (Rechtsfolge)Es handelt sich um eine Wenn/Dann-Formel bzw. ein Konditionalprogramm:Tatbestand („wenn“) + Rechtsfolge („dann“). Erst wenn man den Tatbestand geprüft und <strong>für</strong> einschlägigbefunden hat, kommt man zur Prüfung der Rechtsfolge.I. TatbestandHier sind die einzelnen Tatbestandsmerkmale „abzuarbeiten“. Unproblematisches kann kurz gefasstwerden (! Urteilsstil), die wirklichen Probleme des Falls müssen aber immer im Gutachtenstil erörtertwerden.II. Rechtsfolge (insb. Ermessen)Ist der Tatbestand einer Norm erfüllt, greift die Rechtsfolge ein. Bei Ermächtigungsgrundlagen sindhier wenige Fälle zu unterscheiden:1. Die Formulierungen „ist zu“ oder „hat“ deuten im Regelfall auf eine gebundene Entscheidungder Behörde hin, d.h., dass sie z.B. keine andere als die in der Norm festgelegteRechtsfolge treffen kann.2. „kann“ signalisiert (meistens!) Ermessen. Hier hat die Behörde noch eine eigene Entscheidungzu treffen (Grund: Sachnähe der Verwaltung; Gesetz kann nicht jeden Fall vorhersehen).3. „soll“-Vorschriften verpflichten die Behörde grundsätzlich zum Tätigwerden, wenn der gesetzlicheTatbestand erfüllt ist. Von der <strong>für</strong> den Normalfall gesetzlich vorgeschriebenenRechtsfolge darf nur in Ausnahmefällen abgesehen werden. Nur wenn ein Sonderfall vorliegt,steht der Behörde Ermessen zu.2


D. AuslegungsmethodenGesetze und Normen sind selten eindeutig. Sie sind meistens abstrakt formuliert und müssen durchden Rechtsanwender ausgelegt werden. Da<strong>für</strong> gibt es vier wichtige Methoden:1. Grammatische Auslegung (Auslegung nach dem Wortlaut)2. Systematische Auslegung (Auslegung im Gesetzeskontext)3. Historische Auslegung (Auslegung nach der Entstehungsgeschichte)4. Teleologische Auslegung (Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm)Obwohl es unter den Auslegungsmethoden keine wirkliche Rangfolge gibt, sind in der Regel derWortlaut und der Zweck einer Norm zielführend.Beispiel: § 5 I 1 Nr.1 BImSchG„Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betrieben, dass […] schädlicheUmwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen<strong>für</strong> die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.“Frage: Gibt § 5 I 1 Nr.1 BImSchG einem Anwohner A, der in derselben Straße, aber nicht unmittelbarneben der Anlage wohnt, ein sog. subjektives öffentliches Recht? ! Man muss durch Auslegungbestimmen, ob die Norm zu seinem Schutz bestimmt ist (und nicht nur zum Schutz der Allgemeinheit).Wortlaut: § 5 I 1 Nr.1 BImSchG erwähnt als Schutzobjekt neben der Allgemeinheit auch die„Nachbarschaft“.Die Frage ist aber, ob der Anwohner hier unter diesen Begriff fällt. Mit „Nachbarschaft“ könntennur die unmittelbar angrenzenden Nachbarn gemeint sein, oder aber auch die nähere Umgebung derAnlage. Deshalb braucht man einen weiteren Auslegungsschritt:Sinn und Zweck: Mit dem BImSchG allgemein und mit den Pflichten nach § 5 im Besonderenversucht der Gesetzgeber, schädliche Auswirkungen von emissionsträchtigen Anlagen auf Menschenmöglichst gering zu halten, vgl. § 1 BImSchG. Gefährdet werden aber – abhängig von Größeund Bauart einer Anlage – nicht nur die unmittelbaren Nachbarn, sondern auch Personen in der näherenUmgebung. Der Zweck der BImSchG erfordert es deshalb, diese unter den gleichen Schutz zustellen. Dementsprechend muss auch § 5 I 1 Nr.1 BImSchG ausgelegt werden.Ergebnis: § 5 I Nr.1 BImSchG gibt auch A ein subjektives öffentliches Recht.3


E. Das Prinzip der VerhältnismäßigkeitStaatliches Handeln darf Bürger nicht übermäßig einschränken. Daher gilt das Gebot derVerhältnismäßigkeit als allgemeiner Leitgedanke staatlichen Handelns. Die Behörde mussdie Ausübung ihres Ermessens daran ausrichten.Die Verhältnismäßigkeit wird in vier Schritten geprüft:1. Verfolgt die Behörde mit der Maßnahme einen legitimen Zweck?Negativbeispiel: Behörde lässt „Strafzettel“ an alle Halter pinkfarbener Autos verteilen,weil sie die Farbe aus dem Stadtbild verbannen möchte.2. Ist die Maßnahme der Behörde geeignet, den legitimen Zweck zu fördern?Negativbeispiel: P hat den Raser R im Visier, der gerade mit weit überhöhter Geschwindigkeitdurch ein Stadtgebiet fährt. Anstatt ihn anzuhalten, veranlasst er eine Durchsuchungder Wohnung des R.3. Ist die Maßnahme erforderlich? (nur dann, wenn es kein gleich geeignetes, aber milderesMittel gibt ! Vergleich mit anderen hypothetischen Eingriffsakten)Negativbeispiel: P sitzt in seinem Dienstfahrzeug und verfolgt den Raser R. Anstatt ihn mitSirene etc. zum Anhalten zu bewegen, veranlasst er eine Totalsperrung der Straße.4. Ist die Maßnahme angemessen? (Abwägung zwischen Mittel und Zweck; wird der Adressatder Maßnahme unverhältnismäßig belastet?)Negativbeispiel: P steht gerade am Straßenrand und bemerkt den R, der mit leicht überhöhterGeschwindigkeit an ihm vorbeifährt. Weil er – mangels verfügbaren Einsatzfahrzeugs –keine andere Möglichkeit sieht, den R anzuhalten, zieht er seine Pistole und zerschießt dieReifen des R.4


F. Die ErmessensfehlerlehreDie Behörde hat das Ermessen pflichtgemäß auszuüben, Art. 20 III GG, § 40 VwVfG, § 114S. 1 VwGO.Aus einem Umkehrschluss aus § 68 I 1 VwGO und § 114 S. 1 VwGO ergibt sich, dass alleindie Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit bei Gericht – und damit im Gutachten –geprüft wird. Irrelevant ist es demnach, ob eine andere mögliche Entscheidung zweckmäßigeroder besser gewesen wäre.§§ 40 VwVfG, 114 S. 1 VwGO geben keine Vorgaben bzgl. der Grenzen des Ermessens. Daallerdings die Behörde nicht „frei“ in Ermessen ist, sondern „pflichtgemäß“ zu handeln hat,musste ein Rahmen definiert werden, in dem sich die Behörde bewegen kann, der gleichzeitigdie Kontrollgrenzen <strong>für</strong> die Gerichte beschreibt.Hier hat sich die sog. Ermessensfehlerlehre durchgesetzt. Die Gerichte prüfen also nur, obdie Behörde folgende Fehler gemacht hat (hierbei ist es vollkommen irrelevant, ob die Behördeden Fehler absichtlich oder rein „aus Versehen“ gemacht hat!) (die Unterteilung ist jenach Lehrbuch unterschiedlich, hier nach Detterbeck, Allg. VerwR, Rn. 328 ff.):- Ermessensnichtgebrauch: die Behörde hat überhaupt kein Ermessen angestellt, obwohl ihrein solches von Gesetzes wegen eingeräumt ist.- Ermessensüberschreitung: die Behörde trifft eine Entscheidung, die außerhalb des gesetzlichabgesteckten Rechtsfolgerahmens liegt. (bspw.: Behörde erhebt eine Gebühr von 100 €, obwohldie einschlägige Gebührenordnung nur eine Gebühr zwischen 40 € und 80 € vorsieht.)- Ermessensfehlgebrauch:- Zweckverfehlung: die Behörde hat erkennbar den Zweck der Norm verkannt (bspw.: DieBehörde lädt einen seit langer Zeit unfallfrei Fahrenden beim ersten und nicht allzu schwerwiegendenVerkehrsverstoß zur Verkehrserziehung vor. Die Vorladung ist vom Wortlautdes § 48 StVO gedeckt. Sie verfehlt aber Sinn und Zweck dieser Vorschrift, ungenügendeKenntnisse des Straßenverkehrsrechts zu beheben und das Verantwortungsbewusstsein derVerkehrsteilnehmer wachzurufen- Abwägungsdefizit: die Behörde hat nicht alle Umstände des Falles in ihre Abwägung einbezogen,die nach Lage der Dinge und nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben zu berücksichtigenwaren.- Ermessensmissbrauch: die Behörde stellt sachfremde Erwägungen an (bspw. Abschleppeneines grünen PKWs, weil seine Farbe das Stadtbild verunstaltet.)5


- Verstoß gegen Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze: die Behörde hat selbstverständlichbei ihrer Ermessensausübung auch die Grundrechte zu beachten, insbesonderespielt der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG eine entscheidende Rolle, der zu einer Selbstbindungder Verwaltung führen kann.- Ermessensreduzierung auf Null: Unter bestimmten Voraussetzungen kann es der Fall sein,dass nur eine einzige Entscheidung der Behörde rechtmäßig ist, sodass sie keine Wahlmöglichkeitmehr hat. Die Behörde ist dann zum Tätigwerden verpflichtet. Dies ist meistensdann der Fall, wenn Grundrechte betroffen sind. (bspw: ein Polizist sieht, wie ein Passantangegriffen wird. Nach §§ 1, 3 PolG steht ihm ein Ermessen zu, ob und wie er Eingriffenkann. Hier ist sein Ermessen bzgl. des „Ob“ auf Null reduziert, da wegen Art. 2 II 1 GG derStaat seine Bürger schützen muss). In dieser Kategorie spielt auch die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzipseine wesentliche Rolle, s.u.G. Zur Falllösunga. GutachtenstilDas Charakteristikum der Juraklausur ist der Gutachtenstil. Gehen Sie bei der Argumentationimmer in vier Schritten vor:1. Obersatz: Legen Sie den Prüfungsgegenstand fest. Im Obersatz muss klargestellt werden,welcher Sachverhalt den Tatbestand bzw. einzelne Tatbestandsmerkmale welcher Norm erfüllenkönnte. Formuliert wird dies im Konjunktiv („könnte“, „müsste“) oder mit vergleichbarenFormulierungen („Fraglich ist, ob…“).2. Definition: Hier werden die zu prüfenden Tatbestandsmerkmale abstrakt näher bestimmt,verwenden Sie hier keinen Konjunktiv mehr3. Subsumtion: Anschließend wird detailliert geprüft, ob der konkrete Sachverhalt unter dieDefinition fällt und somit das zuvor definierte Tatbestandsmerkmal erfüllt ist. Hier ist ebenfallskein Konjunktiv zu verwenden.4. Untersatz/Ergebnis: Beantworten Sie hier die Frage, die Sie im Obersatz aufgeworfen haben.6


Fallbeispiel:Sachverhalt (verkürzt): A eröffnet eine Bierkneipe. Er ist mehrmals vorbestraft wegen des Besitzesvon Betäubungsmitteln. Die zuständige Behörde spricht ein Verbot auf Grundlage von § 35 Gewerbeordnungaus. Prüfen Sie in einem Gutachten, ob das Verbot ausgesprochen werden durfte.Gutachten:1. Obersatz: Aufgrund seiner Vorstrafen könnte A als Gewerbetreibender unzuverlässig im Sinn von§ 35 GewO sein.2. Definition: Unzuverlässig ist, wer nicht die Gewähr da<strong>für</strong> bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunftordnungsgemäß ausüben wird.3. Subsumtion: Hier müssen die Informationen im Sachverhalt ausgewertet werden. Zum Beispiel:A ist zwar vorbestraft wegen Drogenbesitzes. Jedoch stand keines der Delikte in Zusammenhangmit einer gastronomischen Tätigkeit. Außerdem liegt die letzte rechtskräftige Verurteilung bereitsmehrere Jahre zurück und A ist seitdem nicht mehr auffällig geworden. Desweiteren hat er medizinischeund psychologische Betreuungsangebote in Anspruch genommen. Alles in allem ist zugunstendes A davon auszugehen, dass er sich in Zukunft gesetzestreu verhalten wird und insbesondereauch seine Gaststätte dementsprechend führt.4. Ergebnis: A ist nicht unzuverlässig im Sinn von § 35 GewO. Die Verbotsverfügung der Behördeerging deshalb rechtswidrig.Nicht immer muss der Gutachtenstil so strikt eingehalten werden. Unproblematisches können Sieauch im Urteilsstil feststellen. Es kommt darauf an, wo die Probleme des Falles liegen.b. PrüfungsschemataAnfechtungs- und VerpflichtungsklageDie Klage vor dem Verwaltungsgericht ist der „reguläre“ Weg des Bürgers, sich gegen Maßnahmender Exekutive zur Wehr zu setzen. Welche Art der Klage er dabei erheben muss, richtet sich nachdem „Klagebegehren“ (vgl. § 88 VwGO). Um herauszufinden, welche Klage statthaft ist, muss mansich deshalb immer zuerst fragen: Was will der Kläger?Im Umweltrecht sind Anfechtung- und Verpflichtungsklage die relevanten Klagearten, weil dieBehörde hier fast immer durch Verwaltungsakt handeln wird. Die materiellen Voraussetzungen desVA finden sich in § 35 S.1 VwVfG.7


1.) Maßnahme einer Behörde:o Maßnahme: jede Handlung mit Erklärungsgehalto Behörde: Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (§ 1 Abs. 4BVwVfG, § 1 Abs. 2 LVwVfG)2.) auf dem Gebiet des öff. Rechts3.) zur Regelung: WE, die auf das verbindliche und einseitige Setzen einer Rechtsfolge gerichtetist - Begründung, Änderung, Aufhebung, bindende Feststellung oder Verneinung einesRechts (z.B. Genehmigungsentscheidung)4.) eines Einzelfalles5.) mit Außenwirkung: wenn Maßnahme kein reines Verwaltungsinternum ist, sondern Pflichtenoder Rechte <strong>für</strong> Außenstehende begründet, ihre Rechtsstellung betrifftAnfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO:- Ziel: Aufhebung eines Verwaltungsakts- Typischer Fall: Kläger will belastenden Bescheid abwehren- Klage ist begründet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und der Klägerdadurch in seinen Rechten verletzt istVerpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO- Ziel: Erlass eines abgelehnten / unterlassenen Verwaltungsakts- Typischer Fall: Kläger begehrt Genehmigung / Erlaubnis- Klage ist begründet, wenn die Ablehnung / Unterlassung des VA rechtswidrig war und derKläger in seinen Rechten verletzt ist. Das ist der Fall, wenn der Kläger einen Anspruch aufErlass des VA hat.Klagebefugnis (relevant <strong>für</strong> AK und VK)# Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten (! subjektives öffentliches Recht)o (+), wenn Adressat einer belastenden Maßnahme, da hier zumindest eine Verletzung derallg. Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht kommto (+), wenn eine einmal gewährte Begünstigung entzogen wurde: das möglicherweise verletztesubj.-öff. Recht liegt dann gerade in dieser Begünstigung! – Bsp: Widerruf einerGenehmigungo (+) bei Grundrechten: Prototypen des subjektiven öff. RechtsAber: auf diese darf nur zurückgegriffen werden, wenn keine einfach-gesetzlichen Schutznormeneinschlägig sind! Denn diese gehen als leges speciales den Grundrechten vor! DieGrundrechte werden hier nur <strong>für</strong> die Interpretation herangezogen.o (-), wenn offensichtlich nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletztsein können8


# <strong>für</strong> Dritte/Nachbarn: sie müssen sich auf drittschützende Normen berufen können; eineNorm ist nach der Schutznormtheorie drittschützend, wenn sie nicht nur den Interessen derAllgemeinheit, sondern auch den Interessen Einzelner zu dienen bestimmt ist (nicht bloßerReflex!)# Bei der Verpflichtungsklage ist die Klagebefugnis dann gegeben, wenn der Kläger einen möglichenAnspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts hat.9

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