Prof. Dr. Kh. A. Geißlerihren unterschiedlichen Ausprägungen, ob alsTrainer, als Dozentinnen, als Kursleiter, alsTeamer – oder wie sie alle heißen <strong>und</strong> nochheißen werden – angetreten sind, Gott beidieser Arbeit zu unterstützen.Es sieht so aus, dass auch Sie nicht erfolgreicherals Gott sein werden.Gr<strong>und</strong> zum feiern?Es geht heute darum, ein Jubiläum zu feiern:50 Jahre <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Bildungsstätte Lohr. DiesenAnlass aber will ich dazu nutzen, noch etwasweiter zurückzublicken. 1872 hielt WilhelmLiebknecht vor dem Dresdner Arbeiterbildungsvereineinen Festvortrag mit dem Titel:„Wissen ist Macht – Macht ist Wissen.“ Liebknechtbediente sich der Formulierung desgroßen englischen Aufklärers Francis Bacon.„Wissen ist Macht“ <strong>und</strong> ergänzte sie durch dieFormel „Macht ist Wissen“ um damit der damaligenliberalen Programmatik: „Wissen istMacht – Bildung macht frei“ etwas entgegenzusetzen.Liebknecht insistierte in seinem Vortragdarauf, dass die Veränderung der gesellschaftlichenVerhältnisse das primäre Ziel derBildungsanstrengungen der Arbeiter sei. Er bestandauf dem gesellschaftsverändernden Potentialvon Bildung, das daraufhin auszurichtenist, dass es wirkliche Bildung erst ermöglicht.Er plädiert quasi für einen pädagogischenMünchhausen-Trick. Bildung, so seineAussage, innerhalb ungerechter Verhältnissemacht nicht frei, nur jene Bildung macht frei,die zur Herstellung gerechter Verhältnisseführt, damit dann in einer gerechten Gesellschaftwahre Bildung erst möglich wird. Kurzgesagt, <strong>Freiheit</strong> erringt man durch politischesHandeln, nicht durch Bildung. Inzwischensind fast 130 Jahre vergangen <strong>und</strong> wir habenes erfahren können, dass Bildung, wenn überhaupt,nur in äußerst geringem Maße zurMehrung sozialer Gerechtigkeit <strong>und</strong> zurEmanzipation der Subjekte beizutragen vermochte.Es gibt eben – um aus einer anderenBildungsstätte zu zitieren, die wie diese hier,auch gerade 50 Jahre alt geworden ist – ausden „Minima Moralia“, es gibt keine richtigesLeben im falschen – <strong>und</strong> richtige Bildungauch nicht.Wenn heute von Bildung, besonders aber vonLernen <strong>und</strong> Wissen gesprochen wird, dannheißt das zuallererst, die Menschen demMarkt unter den Bedingungen der Globalisierungals Ressource zuzuführen. „Macht machtWissen“. Das ist die Formel, mit der die heutigeRealität zu beschreiben wäre. Dass ichheute mit vielen anderen Menschen weltweitlernen muss, was Seperatorenfleisch, was einOzonloch <strong>und</strong> eine Bio-Tonne ist, das ist dochnicht Zeichen meiner Macht , sondern meinerOhnmacht.Bei jener <strong>Freiheit</strong>, die uns auch heute noch<strong>und</strong> mehr denn je für unsere Lernbemühungenversprochen wird, handelt es sich um diegleiche <strong>Freiheit</strong>, die uns der ADAC vor einemJahrzehnt versprach, als er freie Fahrt für freieBürger forderte. Es ist die <strong>Freiheit</strong>, schnell imStau landen zu können. Die <strong>Freiheit</strong>svorstellungdes ADAC ist die Karikatur der <strong>Freiheit</strong>,ebenso wie der postmoderne Klon den wir„Arbeitskraftunternehmer“ nennen, die Persiflageauf den souveränen Menschen ist.Er hat das gleiche Verhältnis zum wirklichSelbständigen wie der Bic Mac zum guten Essen<strong>und</strong> die Life-Sendung zum wirklichen Leben.Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass vor25 Jahren, als man an dieser Bildungsstättekonsequenterweise den Sachverhalt feierte,ein viertel Jahrh<strong>und</strong>ert alt geworden zu sein,man am Ende der Jubiläumsfeier singenderweisealle Brüder aufforderte, sich zur Sonne<strong>und</strong> zur <strong>Freiheit</strong> hin zu bewegen. Nun ja, dieZeiten haben sich geändert. Trotzdem scheintes mir ein Missverständnis zu sein, wenn diesesProgramm in jenem Sinne verstandenwird, die Sonne in Mallorca <strong>und</strong> die <strong>Freiheit</strong>in Lernveranstaltungen zu suchen.
Prof. Dr. Kh. A. GeißlerEs tut mir leid, Ihnen keine allzu hoffnungsfroheBotschaft überbringen zu können. Das wäreauch sehr widersprüchlich, da ich Ihnen jazu zeigen versuchte, dass mit Lernen, Bildung<strong>und</strong> Wissen die Menschen eher an das Seilder Hoffnung angeb<strong>und</strong>en als von diesem befreitwerden. Und das nicht erst seit heute.Seit heute aber geschieht dies lebenslang –oder besser: lebenslänglich. An solcher sanfterVorm<strong>und</strong>schaft haben wir mehrheitlichGefallen gef<strong>und</strong>en. Trotzdem dürfte es m.E.etwas mehr sein. Träumen wir wenigstens voneinem Zustand, in dem die Subjekte es ablehnen,sich den machtstabilisierenden Verführungendes Lernens zu unterwerfen. Träumenwir von einer Lernkultur, in der die Lernendennicht mehr zu der sie mit endloserHetze belastenden Aufgabe verurteilt werden,ihrem immer rascher verfallenden Marktwerthinterherzulaufen.Zu lernen wäre also zuallererst, vom Lernenals Problemlöser Nummer Eins wieder loszukommen,<strong>und</strong> zu lernen wäre, dass Lernennicht der Königsweg zur <strong>Freiheit</strong> ist.Lasst Euch – durch noch so viele Lernanstrengungen– bitte nicht dumm machen!!!Aber wir sollten nicht nur träumen, um denAlltag von seinem Grau zu befreien. Eine andereMöglichkeit besteht auch darin, zu feiern.Wer feiert, muss nicht lernen. Feiernmacht frei, viel mehr als es das Lernen tut.Und wenn eine Institution des Lernens zu feiernversteht, dann weiß sie von dieser Realität.Und sie weiß auch um die Tatsache, dassLeben nicht identisch mit Lernen ist <strong>und</strong> Wissennicht mit Macht.Macht Euch also ans Feiern <strong>und</strong> benehmtEuch möglichst dabei nicht allzu feierlich.Zum Weiterlesen:Geißler Kh. A./Orthey F. M.: Der große Zwangzur kleinen <strong>Freiheit</strong>. Berufliche Bildung imModernisierungsprozeß. Hirzel-Verlag, Stuttgart1998.