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„Für Frieden, Freiheit und Fortschritt“ - IG Metall

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Prof. Dr. Kh. A. GeißlerDas erfahren wir ja auch sonst in diesem sichzunehmend schneller modernisierenden Leben.Als Hotelgast beispielsweise erlebt manganz Ähnliches am morgendlichen Frühstücksbüffet:Dort sind die Wahlmöglichkeitengewachsen, das Frühstück wurde aber dadurchnicht unbedingt besser. Die <strong>Freiheit</strong>zwischen fünf Teebeuteln entscheiden zu dürfenist durch den Nachteil erkauft, den Teenicht mehr serviert zu bekommen <strong>und</strong> zusätzlichnoch eine Auswahl an Teebeuteloffertentreffen zu müssen. Zwar trägt der Kaiser neueKleider, neuerdings besonderes gerne die derschillernden Pluralität <strong>und</strong> die der farbenfreudigenFlexibilität, aber – das sollte man nichtvergessen – auch in neuen Kleidern bleibt erimmer noch der Kaiser.Durch die gravierende Ausweitung der Bildungsbeteiligungder Erwachsenen habensich die gesellschaftlichen Strukturen nichtgr<strong>und</strong>sätzlich geändert. So hat sich die Verteilungdes Produktivvermögens kaum verändert.Nicht das Einkommen wird durch Bildungsbeteiligungneu verteilt, sondern nur dieMöglichkeiten, über Bildungsmaßnahmen zumehr Einkommen zu gelangen. Dies hat u.a.den Effekt, dass die gesellschaftlichen Problemlagenden Individuen aufgebürdet werden.Lernangebote sind dafür das erfolgreichste<strong>und</strong> problemloseste Mittel. Die Ungleichheiten,die Ungerechtigkeiten werden ertragen,weil die Verheißung durch den Besuchvon Bildungsveranstaltungen mitgeliefertwird, dass sich diese durch Lernen verringernwürden. Immer mehr Menschen glauben andie Lebenslagen verändernde Kraft der Weiterbildung.Immer mehr Menschen knüpfendamit an die relativ unrealistischen Verwertungsperspektivenvon Bildung an, speziell anjene, dass über Wissen <strong>und</strong> Können, <strong>Freiheit</strong><strong>und</strong> Macht zu erlangen sei. Mobilität <strong>und</strong> Flexibilität,die Imperative der Erfolgreichen,werden schließlich so zur lebensgestaltendenPerspektive (<strong>und</strong> nur zur Perspektive) derNicht-Erfolgreichen <strong>und</strong> das sichert den Erfolgreichenweiter den Erfolg. Anders ausgedrückt,die Möglichkeiten, immerzu lernen zukönnen, sollen die Ungerechtigkeiten in derGesellschaft <strong>und</strong> speziell die in der Arbeitsweltverdecken <strong>und</strong> damit entschärfen. Eswird so getan, als wären die Ungerechtigkeitender Arbeitswelt Lerndefizite, die dem Einzelnenanzulasten sind. Das wohlbekannte<strong>und</strong> politisch auch immer wieder erfolgreicheMuster, die Opfer gesellschaftlicher Problemlagenzu Tätern ihrer Problemsituation zu machen,lässt sich über Appelle zu Lernanstrengungenbesonders erfolgreich durchsetzen. Sowerden gesellschaftliche Verlierer zu individuellenLernversagern <strong>und</strong> zur Lernunwilligengestempelt. Nicht mehr länger ist es dieFaulheit, die Unwilligkeit zur Arbeit, die denjenigenals moralisches Defizit angelastetwird, die an den Rand der Gesellschaft gedrücktwerden. Es ist heutzutage die vermuteteWeigerung bzw. die zugeschriebene Unfähigkeit,das zu lernen, was den Erfolg garantiert.Nicht mehr durchs Beten <strong>und</strong> seit einigenJahren auch nicht mehr durchs Arbeitenlässt sich das Heil auf Erden finden, nur werlernt, kann auf Erlösung hoffen.Und beim Hoffen bleibt’s dann auch.Italo Svevo hatte das bereits geahnt. Vor 100Jahren hat er uns diese Illusion, dass wirdurchs Lernen zu mehr Wohlstand kommen,mit einer kleinen Erzählung zerstört.„Der Liebe Gott war eines Tages guter Laune<strong>und</strong> sagte: „Ich will die sogenannten Entrechtetenbefreien. Von St<strong>und</strong> an sollen jene, dienichts besitzen, Verstand haben, die Besitzendendagegen einen gänzlich leeren Kopf.Dann wird der Besitz wenigstens zum Teil ohneZweifel bald in andere Hände übergehen.Nach einer Generation erlebte der alte Herreine große Überraschung. Diejenigen, denener den Verstand geschenkt hatte, waren ärmerals je zuvor, <strong>und</strong> die, denen er ihn genommenhatte, waren immer noch reicher geworden.“Svevo konnte damals nicht erahnen, dass sichh<strong>und</strong>ert Jahre später die Weiterbildner in all

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