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„Für Frieden, Freiheit und Fortschritt“ - IG Metall

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50Jahre<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Bildungsstätte Lohr1951 - 2001 Bildungsstätte in Bildern <strong>und</strong> Dokumenten<strong>„Für</strong> <strong>Frieden</strong>, <strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> <strong>Fortschritt“</strong>


Liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen!Am 29. September 1951 wurde die Bildungsstätte Lohr der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>feierlich eröffnet. Um das eigene Wissen zu erweitern, um neueKenntnisse <strong>und</strong> Kompetenzen zu entwickeln sind seither viele Teilnehmer<strong>und</strong> Teilnehmerinnen nach Lohr gekommen. Politisch <strong>und</strong> gesellschaftlichEinfluss zu nehmen, im Betrieb aktiv Arbeitnehmerinteressenwahrzunehmen, einen Beitrag zur Stärkung der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> zu leistenwaren zu allen Zeiten die Ziele gewerkschaftlicher Bildungsarbeitan der Bildungsstätte Lohr.Die Methoden haben sich in den Jahren verändert - sind mit der Zeitgegangen - haben gesellschaftliche Bedingungen <strong>und</strong> unterschiedlicheLebensweisen berücksichtigt. Auch das Haus ist nicht mehr dasselbe,es wurde im Verlauf der Jahre neuen Ansprüchen <strong>und</strong> Erfordernissenentsprechend ausgebaut.Die Broschüre „50 Jahre <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Bildungsstätte Lohr in Bildern <strong>und</strong>Dokumenten“ zeigt einige Wege der Entwicklung auf. Sie soll ein Erinnern<strong>und</strong> Wiedererkennen ermöglichen, aber auch einen Blick nachvorne zulassen. Die Dokumentation zeigt auch viele Menschen, dievhier gearbeitet, gelehrt <strong>und</strong> gelernt haben, die mit Spaß <strong>und</strong> Freudedabei waren. Ihnen allen gilt unser ganz besonderer Dank. Ein besondererDank geht auch an Wolfgang Kucera, der die Dokumentationzum 50-jährigen Geburtstag der Bildungsstätte konzipiert hat.Gerd HofLeiter der Bildungsstätte Lohr


InhaltBegrüßung Gerd Hof 6Klaus Zwickel 12Die politischen Herausforderungen der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>und</strong>die Aufgaben der BildungsarbeitWolf Jürgen Röder 21Bildungsarbeit ist Zweckbildung für sozialeAuseinandersetzungenProf. Dr. Kh. A. Geißler 41„Lernen, lernen, lernen: Warum eigentlich?“vWolfgang Kucera 53Zur Geschichte der Bildungsstätte LohrArtikel im Lohrer Echo 71Die rote Burg hat Geburtstag


50 Jahre Bildungsstätte LohrVon Gerd Hof(Leiter der Bildungsstätte)Liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, sehr verehrteGäste, sehr geehrter Herr Bürgermeister Selinger,schon vor fünfzig Jahren im Nachkriegsdeutschlandhat die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> bereits die große Bedeutungder Bildungsarbeit für die Organisationerkannt. Der Heidehof in Dortm<strong>und</strong> wurdeim März 1951 eröffnet,die BildungsstätteLohr Ende September des gleichen Jahres alssüddeutsche Bildungsstätte. Die Gr<strong>und</strong>steinlegungwar im März 1951, der Seminarbetriebwurde im Oktober aufgenommen. Inzwischenhaben wir es geschafft Lohr ist jetzt die ältesteBildungsstätte der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> ist im Verlaufe der Jahre größergeworden. Die Bildungsarbeit ist mitgewachsen.Die Bildungsstätte <strong>und</strong> die Bildungsarbeitist im Verlaufe der Jahre nicht so gebliebenwie sie war. Seminarschwerpunkte, -Themen<strong>und</strong> -Inhalte haben sich verändert. Methoden<strong>und</strong> Didaktik wurden weiterentwickelt<strong>und</strong> den Erfordernissen der Zeit angepasst.Viele Themen sind geblieben: Zweckbildungfür soziale Auseinandersetzungen, politischeOrientierungen, Fachbildung, Persönlichkeitsbildung,Teilnehmerorientierungsind Fragen, die bis heute Diskussionen ander Bildungsstätte <strong>und</strong> im Bildungsbereichinsgesamt bewegen. Auch heute steht die <strong>IG</strong><strong>Metall</strong>, <strong>und</strong> mit ihr die Bildungsarbeit vorgroßen Herausforderungen. Aber sie sindanderer Natur als vor 50 Jahren. Die Anforderungenan aktive <strong>und</strong> kompetente Gewerkschafterin Betrieben <strong>und</strong> der Gesellschaftsind angesichts der komplexen <strong>und</strong>vielschichtigen Handlungsbedingungen differenziertergeworden. Es haben sich Lebensweisen,Lebensstile, Lernbereitschaft,Motivation <strong>und</strong> Lerngewohnheiten unsererTeilnehmer verändert. Die Bildungsarbeit


Gerd Hofder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, versucht dem Rechnung zu tragen.Es gibt Bildungsmaßnahmen, die konkretmit Betriebsräten, Vertrauensleuten <strong>und</strong>ihren Verwaltungsstellen, geplant <strong>und</strong> durchgeführtwerden. Die Bildungsstätte unterstütztdurch örtliche Projekte der Mitgliederentwicklung,betriebsnahe Qualifizierung<strong>und</strong> Beratung die praktische Arbeit vor Ort.Qualifizierungsreihen, Bausteinkonzepte fürVertrauensleute dienen der Stärkung <strong>und</strong> Entwicklungunserer betrieblichen Gestaltungskraft.Durch Praxisberatung <strong>und</strong> Teamentwicklungfördern wir die Handlungsfähigkeit<strong>und</strong> die Zusammenarbeit von Gremien.reichlich, um sich in den gesellschaftlichenDiskurs einzumischen. Bildungsarbeit ist immerwieder gefordert, Dialoge zu organisieren<strong>und</strong> ein Zukunftsforum für unterschiedlicheMeinungen <strong>und</strong> Auffassungen zu sein.Für das Ansehen der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> sind qualifizierte<strong>und</strong> kompetente Vertrauensleute, Betriebsräte,Jugendvertreter, Referenten <strong>und</strong>viele andere Funktionäre von zentraler Bedeutung.Die Frauen <strong>und</strong> Männer, die die<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> am Arbeitsplatz, im Betriebsrat, inihrer Arbeitsgruppe vertreten, repräsentierendie <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>. Überzeugenden <strong>und</strong> kompetentenInteressenvertretern fällt die Mitgliederwerbungleichter. Dazu beizutragen istauch weiterhin strategische Aufgabe der Bildungsarbeit.Ziel unserer Bildungsarbeit ist es, für die Bewältigungpraktischer Aufgaben der InteressenvertretungHandlungshilfen <strong>und</strong> angemesseneProblemlösungen zu erarbeiten. Prozessbegleitende,betriebsnahe Bildungsarbeit<strong>und</strong> Projekte, lösungsorientierte Beratung istnötig. Aufgabe der Bildungsarbeit ist es zumgewerkschaftlichen Erfolg beizutragen <strong>und</strong>sich auch daran messen zu lassen.In der Bildungsarbeit ist auch Platz „Jenseitsder aktuellen Beschlusslage“ relevante gesellschafts-<strong>und</strong> gewerkschaftspolitische Themenzu diskutieren, sich über Zukunftsfragen <strong>und</strong>gesellschaftliche Perspektiven Gedanken zumachen. In aktuellen Seminaren zur Fragender Entwicklung des Sozialstaats in der EU,zur Politik <strong>und</strong> den Machtverhältnissen imZeitalter der Globalisierung. Themen gibt esEs geht in diesem Zusammenhang auch umunsere Werte <strong>und</strong> Orientierungen. <strong>Freiheit</strong>,Demokratie, Gerechtigkeit, Solidarität, <strong>Frieden</strong>;was bedeuten sie heute , wie können wirsie selber leben – denn nur dann gelingt es sieglaubwürdig zu vertreten. Dazu braucht esWissen, Einschätzungsvermögen von Realitäten,die Kenntnis von Durchsetzungsstrategien<strong>und</strong> das Erlernen von Kommunikations<strong>und</strong>Gesprächsfähigkeiten.Es gab zwei große Umbauten der Bildungsstätte.1986 hat Hans Mayr, Vorsitzender der<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> bei der Wiedereröffnung gesprochen<strong>und</strong> damals die Aufgaben der Bildungsarbeitwie folgt beschrieben:“ Unsere Bildungsarbeitsoll die Voraussetzungen für dieDurchsetzung unserer Forderungen im Betrieb<strong>und</strong> in der Gesellschaft verbessern. UnsereBildungsarbeit ist gleichzeitig ein Beitragzu einer demokratischen, an solidarischenPrinzipien orientierten sozialstaatlichen Ent-


Gerd Hofwicklung in der B<strong>und</strong>esrepublik“. Ein hoherMaßstab an die Bildungsarbeit, der uns auchden Auftrag erteilt, unsere Arbeit zu hinterfragen<strong>und</strong> auf Wirksamkeit zu prüfen, Neues zuerproben <strong>und</strong> kreativ zu sein <strong>und</strong> auch Bewährteszu erhalten.Wir haben im Bildungsbereich weiterhinnoch viel vor:◆ in der Mitgliederentwicklung◆ in der Förderung der Aktivitäts- <strong>und</strong>Beteilungsbereitschaft unsererMitglieder <strong>und</strong> Funktionäre◆ in der Entwicklung politischer Kompetenzenliegen zentrale AufgabenIn unserem Projekt „Weiterentwicklung dergewerkschaftlichen Bildungsarbeit“ werdenwir daran arbeiten.Danke für die Aufmerksamkeit.


Fotos von der Feier


Die politischen Herausforderungen der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong><strong>und</strong> die Aufgaben der BildungsarbeitKlaus Zwickel, 1.Vorsitzender der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>Sehr geehrter Herr Bürgermeister,sehr verehrte Gäste,liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen,jedem, der in diesen Tagen eine öffentlicheRede hält, geht es sicher ähnlich wie mir. Esfällt schwer, sich sofort dem eigentlichen Themazuzuwenden.Zu schrecklich, zu unfassbar waren die Ereignissedes 11. September in den VereinigtenStaaten, als dass man zur Tagesordnung übergehenkönnte.Ich will deshalb auch hier <strong>und</strong> heute das anden Anfang setzen, was mich bewegt, wasmich umtreibt <strong>und</strong> was mir Sorgen bereitet.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,„Wenige Minuten haben die Welt verändert“.Dieser Satz wurde in den vergangenen Tagenmillionenfach gesprochen <strong>und</strong> gedruckt.Ganz langsam verwischen die Bilder, die unsseit dem 11. September in Angst <strong>und</strong> Schrekkenversetzen. Viele Menschen sagen, „ichhabe Angst“ <strong>und</strong> stellen die Frage: „Wird esKrieg geben?“ Wer kann diese Frage letztlichbeantworten? Wer kann eine solche Entwicklungausschließen?Was wir aber tun können <strong>und</strong> müssen ist: Wirmüssen mahnen! Mahnen, dass aus der Tragödiein Amerika keine fortgesetzte Eskalationvon Hass <strong>und</strong> Gewalt werden darf.Ich finde, es ist ein Zeichen der Hoffnung,dass die Stimmen, die zur Besonnenheit mahnen,in den letzten Tagen ebenfalls zunehmen.Die Rede des B<strong>und</strong>espräsidenten war eineAufmunterung zur Besonnenheit. Ich denke,es kann keine Diskussion darüber geben,dass die Akteure des internationalen Terrorsmit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt<strong>und</strong> auch bekämpft werden müssen. Dafürbraucht das amerikanische Volk unsere Unterstützung<strong>und</strong> Solidarität. Ich glaube auch,dass die meisten Menschen spüren, dass dieseine ganz schwierige Gratwanderung zwischenpolitischen Mitteln <strong>und</strong> militärischemEinsatz ist. Nur so ist für mich zu erklären,dass offensichtlich eine breite Mehrheit auchin Deutschland sich für einen militärischenEinsatz der Amerikaner ausspricht. Dass dieseZustimmung in Amerika um die 90 % beträgtist zwar für uns kaum nachvollziehbar. Esscheint aber Fakt zu sein. Amerika ist erstmalsim eigenen Land angegriffen worden <strong>und</strong> essind die Symbole der Macht, die getroffenwurden.Das ist aber nur die eine Seite. Das andere ist:Erstmals erlebt die Welt in einer völlig neuen<strong>und</strong> nicht kalkulierbaren Dimension, wieblinder Fanatismus zu allem bereit ist. Dahersind die Vergleiche, die jetzt gelegentlichauch herangezogen werden, falsch. Dieser Fanatismus<strong>und</strong> die Bereitschaft, ohne Skrupelunschuldige Menschen in die Luft zu sprengen,kann durch nichts erklärt werden oderauch nur ansatzweise verständlich sein. Jedervon uns kann morgen in einem Flugzeug sitzen,das von einem Mordkommando zurBombe auf eine Stadt, ein Atomkraftwerk benutztwird.Dass dies geht, ist seit dem 11. SeptemberRealität. Gegen diesen Terror muss es eineglobale Koalition geben <strong>und</strong> das hat Folgen.


Klaus ZwickelWer dies nicht sieht, der handelt nach demMotto: „Wasch mir den Pelz, aber mach michnicht nass“. Hier beginnt es, für jeden Einzelnen,aber auch für uns als Gewerkschaftschwierig zu werden. Weil Einschätzungenmit Positionen, die bisher richtig waren, nichteinfach fortgeschrieben werden können. Hierdenke ich, hat Europa eine besonders verantwortungsvolleRolle zu übernehmen. Europamuss Solidarität mit Besonnenheit verbinden.Dies gilt auch für uns. Unsere Mahnung darfnicht heißen, sich gegen Amerika zu stellen.Dies ist nicht die St<strong>und</strong>e, Versäumnisse <strong>und</strong>Fehler zu addieren. Es ist die Zeit, zu versuchen,auf die zukünftige Entwicklung Einflusszu nehmen. Richtig ist mit Sicherheit, dass derKampf gegen den internationalen Terror langedauern wird.D.h., unsere Mahnung <strong>und</strong> was wir sonst dazubeitragen können, muss deutlich machen,dass neben allen politisch/diplomatischen<strong>und</strong> rechtsstaatlichen Mitteln auch die Beseitigungder wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Ursachenin den verschiedenen Regionen derWelt, das Ziel sein muss. Nur wenn neben anderenUrsachen auch diese vermindert bzw.beseitigt sind, schwindet für die religiösen<strong>und</strong> politischen F<strong>und</strong>amentalisten der Nährbodenfür ihren Hass <strong>und</strong> die Sympathie fürdie Terroristen. Dies ist ein langer Weg. Wennwir ihn gehen, verändern wir die Welt im positivenSinne.Ein zweites, worauf wir besonders achtenmüssen <strong>und</strong> selbst gefordert sind: In Deutschlandhat das Zusammenleben <strong>und</strong> ganz besondersdas zusammen Arbeiten, bei allenProblemen gerade der letzten Jahre, insgesamtgut funktioniert. Die deutschen Gewerkschaftenhaben sehr viel dazu beigetragen. Esgibt jetzt Anzeichen dafür, dass die Spannungenzwischen Deutschen <strong>und</strong> Ausländern zunehmen.Vor allem gegen türkische Mitbürger.Terror wird gleichgesetzt mit Moslem, mit derislamischen Religion <strong>und</strong> Kultur. Hier sindwird besonders gefordert. Wir müssen besondereZeichen setzen, damit ein Glaubenskriegin den Betrieben <strong>und</strong> der Gesellschaft keinenweiteren Nährboden bekommt.Zeichen setzen heißt: Sichtbare Zeichen derZusammenarbeit, der gemeinsamen Interessen<strong>und</strong> Sorgen, der Toleranz <strong>und</strong> der Fre<strong>und</strong>schaft.Solche Zeichen müssen jetzt schnell <strong>und</strong> invielfältiger Art organisiert werden. Es kommtnicht darauf an, dass große Veranstaltungengemacht werden, es kommt darauf an, dasswir viele Zeichen in den Betrieben, in derKommune, in <strong>und</strong> außerhalb der Gewerkschaftshäuser<strong>und</strong> unseren Bildungsstättensetzen. Leitmotiv muss sein: Gemeinsam gegenTerror <strong>und</strong> Gewalt, für <strong>Frieden</strong>, <strong>Freiheit</strong>Gerechtigkeit <strong>und</strong> Toleranz eintreten.Bei aller Trauer, bei allem Entsetzen; der Terrordarf uns nicht lähmen.Deshalb sehr geehrter Herr Bürgermeister,sehr verehrte Gäste,liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen,begehen wir heute trotz alledem den 50. Geburtstagder Bildungsstätte Lohr.Wir sollten diesen Anlass nutzen um einerseitsüber 50 Jahre gewerkschaftliche Bildungsarbeitnachzudenken <strong>und</strong> uns anderer-


Klaus Zwickelseits sich Gedanken um die zukünftige Bildungsarbeitin der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> zu machen.Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> hat schon vor 50 Jahren, nurwenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, inden Jahren des Wiederaufbaus, die große Bedeutungzentraler Bildungsarbeit erkannt. DerHeidehof in Dortm<strong>und</strong> wurde im März 1951eröffnet, die Bildungsstätte Lohr schon wenigeMonate später - im September des gleichenJahres. Von der Gr<strong>und</strong>steinlegung im März1951 bis zum Beginn des Seminarbetriebs imOktober 1951 vergingen nur wenige Monate.Bau der Bildungsstätte LohrDies zeigt, mit welchem Elan an dem Aufbauder Bildungsarbeit gearbeitet wurde. In späterenJahren waren die Zeiträume zwischendem Beginn der Umbauarbeiten <strong>und</strong> der Aufnahmedes Seminarbetriebes immer ein weniglänger.Seinerzeit galt es die Organisation aufzubauen<strong>und</strong> unsere Funktionäre <strong>und</strong> Mitglieder ingesellschafts- <strong>und</strong> gewerkschaftspolitischenThemen fit zu machen. In den Seminarenwurden Betriebsräte <strong>und</strong> Vertrauensleute fürihre Arbeit in Betrieben qualifiziert. Die gewerkschaftlicheInteressenvertretung, Rolle<strong>und</strong> Aufgaben der Gewerkschaften in der entstehendenRepublik spielten für diese Arbeiteine wesentliche Rolle. Damals hatte die <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> 1,3 Millionen Mitglieder <strong>und</strong> war diegrößte gesellschaftspolitische Organisationder B<strong>und</strong>esrepublik. Damit sie sich entwickeln<strong>und</strong> funktionieren konnte, musste sieFunktionäre gewinnen <strong>und</strong> qualifizieren.Heute wie damals ist die Bildungsstätte gutausgelastet. Ich hoffe, das freut auch den Bürgermeister.Wenn 2.000 Gewerkschafterinnen<strong>und</strong> Gewerkschafter pro Jahr nach Lohr kommen,in das schöne Franken, wird die eineoder andere Mark in der heimischen Wirtschaftgelassen.Auch heute steht die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>und</strong> mit ihr dieBildungsarbeit vor großen Herausforderungen.Sie sind anderer Natur als vor 50 Jahren.Veränderungsgeschwindigkeiten in der Gesellschaft,in der Wirtschaft, in den Unternehmen<strong>und</strong> Betrieben haben gewaltig zugenommen.Es ist nichts neues, wenn ich am heutigenTag vor diesem Kreis wiederhole, was ichim Zusammenhang mit unserer Zukunftsdebattenicht müde werde immer wieder zu sagen:Nämlich, dass die Veränderungen derletzten zehn Jahre sowohl inhaltlich als auchvom Umfang größere Veränderungen gewesensind, als in den 30 Jahren zuvor. Die <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> - <strong>und</strong> wir in ihr - müssen uns dieser Dimension<strong>und</strong> dieser Dynamik bewusst werden.Wir müssen <strong>und</strong> wir wollen mit den gesellschaftlichenUmwälzungen <strong>und</strong> VeränderungenSchritt halten.Wir sind gefordert, uns dieser Dimension <strong>und</strong>dieser Dynamik zu stellen <strong>und</strong> wir wissenschon heute, dass die Veränderungen derkommenden 30 Jahre einen noch größerenVeränderungsprozess bedeuten werden. Esliegt auf der Hand, dass dabei der Bildungsarbeitin der Gewerkschaft eine herausragendeBedeutung zukommt.


Klaus ZwickelSehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr verehrteGäste,liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen,Die politischen Herausforderungen der Globalisierungsind für uns allgegenwärtig. DasZusammenwachsen der Europäischen Unionsowie deren Erweiterung fordern auch vonuns eine Antwort. Wenn wir <strong>Metall</strong>er alsMahner auftreten <strong>und</strong> deutlich machen, dassdie Europäische Union keine Veranstaltung alleinvon Finanzdienstleistern <strong>und</strong> multinationalenUnternehmen ist, dann mahnen wir,dass Europa innerhalb der Europäischen Unionin seiner Gesamtheit ein sicherer Ort füralle Arbeitnehmer werden muss:◆ Gleicher Lohn für gleiche Arbeit,Tarifvertragssicherheit <strong>und</strong> kein Lohndumping,◆ geregelte sichere Arbeitsbedingungenmit einheitlichen Standards◆ <strong>und</strong> eine Freizügigkeit für Arbeitnehmer,die nicht nur auf dem Papiersteht.Allein diese wenigen Themen zeigen, dassaufbauend auf 50 Jahre Bildungsarbeit tagtäglichneue Herausforderungen entstehen, diewir nur mit einer aktiven Bildungsarbeit fürunsere Funktionäre lösen können.In vielen Gesprächen mit Kolleginnen <strong>und</strong>Kollegen am Arbeitsplatz, im Gespräch mitBetriebsräten <strong>und</strong> in vielen Gesprächenaußerhalb der Betriebe wird immer wiederdeutlich, dass die Kenntnis über wirtschaftlicheZusammenhänge eine immer währendeHerausforderung für die Gewerkschaftsarbeitist. Das Schlagwort Globalisierung hat ja inerster Linie wenig damit zu tun, dass internationalerWarenaustausch stattfindet, dasSchlagwort Globalisierung wird dazu benutzt,regionale oder nationale Märkte zu deregulieren.Finanzmärkte sind die Marktplätze der heutigenZeit <strong>und</strong> es wird deutlich, dass immer wenigerdie Produktion von Gütern oder industrienaheDienstleistungen das zentrale Interessewirtschaftlichen Handelns sind.Gegenwärtig stellen wir fest, dass sich dieseEntwicklung graduell verändert. Es ist wichtignicht zu vergessen, dass erst mit der Produktionvon Gütern Werte geschaffen werden, dieerst die Basis für Dienstleistungen <strong>und</strong> staatlichesVerwaltungshandeln bieten. Dies müssenwir nicht nur einmal im beruflichen Leben,dieses müssen wir mehrmals im beruflichenLeben unseren Mitgliedern <strong>und</strong> Funktionärenüber die Bildungsarbeit vermitteln.Dies ist unser Beitrag zur Globalisierung <strong>und</strong>dies wird unser Beitrag sein, um der grenzenlosenDeregulierung Einhalt zu gebieten.Die Umwälzung in der Produktion, in der Arbeitsorganisationstellen uns in Punkto Kreativität,Kompetenz <strong>und</strong> Flexibilität in der Vertretungder Interessen unserer Mitglieder vorganz neue Herausforderungen. Um dem gerechtzu werden, ist eine moderne Bildungsarbeiterforderlich.Dieses können wir nicht erreichen, in dem wirdie Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen bitten, im stillenKämmerlein zu Hause schlaue Bücher zulesen. Dies können wir nur schaffen, in demwir mit qualifizierten Lehrern <strong>und</strong> Lehrerinnenin unseren Bildungsstätten das Rüstzeugfür den Alltag in die Hand geben. Unverzichtbarist dabei das Gespräch in den Bildungsstättenmit den Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen ausverschiedenen Regionen <strong>und</strong> Betrieben derB<strong>und</strong>esrepublik.Sehr geehrter Herr Bürgermeister, verehrteGäste,liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen,Gerade in diesen Tagen wird uns allen besondersdeutlich, wie wichtig die politische Bildungfür unsere Demokratie ist. Informiert-


Klaus Zwickelheit, Teilnahmebereitschaft in Politik <strong>und</strong> Gesellschaft,Kritikfähigkeit, Gemeinsinn, Toleranz<strong>und</strong> Zivilcourage sind wichtig für dasFunktionieren unserer Demokratie. In Krisenzeitenwird dies besonders bewusst. Es sindKompetenzen, die gerade durch unsere gewerkschaftspolitischeBildung gefördert <strong>und</strong>gestärkt werden. Das gute Ansehen, das Imageder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, sind die qualifizierten <strong>und</strong>kompetenten Vertrauensleute, Betriebsräte,Jugendvertreter, Referenten, eben alle Menschen,die die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> am Arbeitsplatz, imBetriebsrat, in Verhandlungen mit dem Arbeitgebervertreten.Glaubwürdige <strong>und</strong> kompetente Interessenvertretererwerben sich den nötigen Respekt, umim wirtschaftlichen Leben anerkannt zu werden.Verb<strong>und</strong>en mit einer hohen Mobilisierungsfähigkeitder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> sind diese Kompetenzender Gr<strong>und</strong> für unsere Durchsetzungskraft,die unser Bild in der Öffentlichkeit prägt. Diesespositive Bild in der Öffentlichkeit wirdaber nur erreicht, weil wir in der Lage sind,auf sehr differenzierte Verhältnisse in der Wirtschaftmit differenzierten Lösungsmöglichkeitenzu reagieren.Wir haben Mitglieder in großen Industrieunternehmen<strong>und</strong> wir haben Mitglieder in kleineren<strong>und</strong> mittleren Unternehmen mit völligunterschiedlichen Strukturen. In einigen Unternehmenist der wirtschaftliche Erfolg mitHänden greifbar <strong>und</strong> in anderen Unternehmenwird um das Überleben gekämpft. Industrieunternehmen,Handwerksbetriebe <strong>und</strong>Dienstleistungsunternehmen erfordern differenzierteLösungsansätze. Angefangen bei flexiblenTarifvereinbarungen über Betriebsverfassung<strong>und</strong> Mitbestimmung in den Betriebenbis hin zu f<strong>und</strong>ierter Information für unsereMitglieder decken wir eine Fülle von Aufgabenab.Die Bildungsarbeit der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> muss für dieBewältigung dieser Aufgaben praktischeHandlungshilfen <strong>und</strong> angemessene Problemlösungenerarbeiten. Maßgeschneiderte Bildungsarbeit,lösungsorientierte Beratung istgefragt.Bildungsarbeit muss zum gewerkschaftlichenErfolg beitragen <strong>und</strong> Bildungsarbeit muss sichan diesen Kriterien messen lassen.Die tagtäglichen Herausforderungen im Betriebgeben genug Stoff, um uns in der Bildungsarbeitfür die kommenden 50 Jahre r<strong>und</strong>um die Uhr zu beschäftigen. Dabei dürfen wirnicht vergessen, dass wir mit dem Bild des aktivenGewerkschafters, der aktiven Gewerkschafterineine Vorstellung verbinden, dienicht allein kompetente Ansprechpartner fürLösungsmöglichkeiten, für Lösungsalternativenim Betrieb im Auge haben.Eine aktive Gewerkschafterin, ein aktiver Gewerkschaftermuss sich ein Bild von der gesamtgesellschaftlichenSituation machen. Sieoder Er muss politisch Position beziehen <strong>und</strong>dazu ist es erforderlich, sich über die politischenZusammenhänge f<strong>und</strong>iert zu informieren.Die Entwicklung des Sozialstaates in derEuropäischen Union, die Politik <strong>und</strong> dieMachtverhältnisse im Zeitalter der Globalisierungbieten genügend Aktionsräume, die überden Betrieb hinaus gehen.<strong>Freiheit</strong>, Demokratie, Gerechtigkeit, Solidarität<strong>und</strong> <strong>Frieden</strong>, was bedeuten sie uns heute?Wie leben wir in dieser Zeit, in der sich täglichdie Werte in der Welt verändern? Wiekönnen wir in diesen enormen Umstrukturierungsprozessenuns als Menschen selbst wiederfinden?Wenn wir diese Sicherheit haben, wie kämpfenwir dann für unsere Werte im Alltag <strong>und</strong>wie bieten wir den Menschen Anknüpfungspunkte<strong>und</strong> Orientierungsmöglichkeiten inder Diskussion mit uns? Mir ist wichtig:Die Bildungsarbeit muss die Zukunftsdebatte


Klaus Zwickelder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> aktiv fördern <strong>und</strong> mitgestalten.Mit der Zukunftsdebatte fangen wir ja nichtbei null an.Themen aus der Zukunftsdebatte sind Themen,mit denen wir uns in der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, inden Betrieben, in der Freizeit mit Fre<strong>und</strong>en<strong>und</strong> Nachbarn bereits jetzt schon intensiv auseinandersetzen.Mit der Zukunftsdebatte wollenwir ein Forum bilden, das aktuelle Debattenaufgreift, Zukunftsthemen anpackt <strong>und</strong>den politischen Dialog nicht nur innerhalbder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> sondern auch mit Menschen fördert,die bis jetzt noch nicht gewerkschaftlichorganisiert sind <strong>und</strong> die wir zumindest für unsereIdeen erreichen wollen. Wir können diesenProzess, der von uns mitgestaltet werdenmuss, nur dadurch beeinflussen, dass wir mitKompetenz, Sachverstand <strong>und</strong> aktivem Selbstbewusstseinunsere Position in der Öffentlichkeitklarmachen. Dieses werden wir ohne Bildungsarbeitnicht erreichen können.Die Bildungsarbeit ist für den Erfolg der <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> von großer Bedeutung. Klar ist, dassviele aktuelle Fragen der gesamten <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>◆ wie die Mitgliederentwicklung,◆ die besten Wege unserer, Durchset- zungsfähigkeit zu stärken,◆ die Ziele unserer Arbeitszeitpolitik,◆ die Ergebnisse des Bündnisses fürArbeit,◆ die Ergebnisse unserer Tarifpolitik◆ <strong>und</strong> noch vieles mehrnachhaltige Bildung fällt hoffentlich vielesleichter. Ich möchte der Bildungsstätte Lohr<strong>und</strong> der gesamten Bildungsarbeit weiterhinviel Erfolg wünschen.In diese guten Wünsche schließe ich denDank an alle Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter,an alle Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen der BildungsstätteLohr ein, die diesen Ort der Bildungfür unsere <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> zu einem unserergewerkschaftlichen Eckpfeiler gemacht haben.Jedem einzelnen gilt unser Dank <strong>und</strong> ichbin mir sicher, dass jeder der hier her kommt,diese Dankbarkeit empfindet. In der Bildungsarbeittätig zu sein, erfordert Kreativität, Beharrlichkeit<strong>und</strong> viel Kraft. Es ist ein Privileg,dieses tun zu dürfen. Es erfordert jedoch genauso viel Einsatzbereitschaft <strong>und</strong> Überzeugungdazu. Gerade hierfür möchte ich michausdrücklich bedanken.sich in der Bildungsarbeit konzentriert wiederfinden.Manch einer erwartet von der Bildungsarbeitsogar Lösungen für all diese offenenFragen. Diese kann sie natürlich nicht lösen,aber sie kann Austauschmöglichkeiten<strong>und</strong> Diskussionsforen anbieten.Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>und</strong> ihre Bildungsarbeit stehtvor großen Herausforderungen. Bei der Bewältigungder Zukunftsaufgaben brauchenwir einen langen Atem. Durch wirksame <strong>und</strong>


Fotos von der Feier


Bildungsarbeit ist Zweckbildung für sozialeAuseinandersetzungenWolf Jürgen Röder, geschäftsführendesVorstandsmitglied der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, unsere Bildungsarbeitläuft gut. Über Mangel an Teilnehmernkönnen wir generell nicht klagen.Unsere Bildungsstätten sind gut ausgelastet.Die Verzahnung der betrieblich-regionalenBildungsarbeit mit der Arbeit der Bildungsstättenhat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt.Warum also Weiterentwicklung der Bildungsarbeit?Unsere Bildungsarbeit ist keine Volkshochschule.Sie ist Zweckbildung für die sozialenAuseinandersetzungen, für die gewerkschaftlicheInteressenvertretung, für die Organisation.Sie ist als solche integraler Bestandteil derOrganisation. Sie erfüllt Aufträge <strong>und</strong> leistetDienste. Sie ist Organisationsarbeit.Zugleich ist sie ein eigenständiger Bereich mitder Distanz zur gewerkschaftlichen Tagesarbeit,die notwendig ist, um Probleme <strong>und</strong> Defizitezu analysieren, um eine Plattform fürStrategiedebatten zu bilden.Die besondere Rolle, die die Bildungsarbeit inder Organisation hat, macht sie jedoch nichtzu einem Ort, an dem völlig frei von den Problemen<strong>und</strong> Zwängen des Tagesgeschäftes gearbeitet<strong>und</strong> gelernt werden kann, an dem nurpolitische Weisheit <strong>und</strong> Klarheit herrscht.Die materielle, insbesondere die finanzielleGr<strong>und</strong>lage der Bildungsarbeit ist prinzipiellgesichert, was vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Gesamtsituationder Organisation ja nicht selbstverständlichist.Dies ist Ausdruck eines breiten Konsensesüber die Bedeutung <strong>und</strong> Notwendigkeit derBildungsarbeit, <strong>und</strong> es ist auch ein Ausdruckvon Akzeptanz für das, was wir tun.Aber: Diese besondere Rolle bietet größereChancen, neben sich zu treten, Luft zu holen<strong>und</strong> sich über manches klar zu werden. Bildungsarbeitals Bestandteil der Organisationzu begreifen, heißt nicht nur zu sehen, dassProbleme der Organisation auch Problemeder Bildungsarbeit sind.Es sind Probleme, die sich in der Bildungsarbeitreproduzieren. Wie in der Gesamtorganisationstellt sich mit der Bearbeitung der Probleme- so gesehen - zugleich die Aufgabe,die Bildungsarbeit konzeptionell <strong>und</strong> strukturellweiter zu entwickeln.Bildungsarbeit kann einen Beitrag zur Bewältigungder Zukunftsfragen der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> lei-


Wolf Jürgen Rödersten, sie kann sie aber nicht allein oder stellvertretendfür die Organisation lösen. Aberman kann von ihr erwarten, dass sie die Zukunftsfragen<strong>und</strong> Probleme dieser Organisationadäquat aufnimmt <strong>und</strong> geeignete Konzepteals Beitrag zur Bearbeitung <strong>und</strong> Lösung entwickelt.Lasst mich dies an drei gravierenden Problemendeutlich machen, die wir zur Zeit haben,<strong>und</strong> die meines Erachtens Ausdruck der Defensivesind, in der wir uns politisch befinden:An den Problemen1. Mitglieder,2. Beteiligung <strong>und</strong>3. politische Orientierung.Natürlich liegt unser Schwerpunkt in der Organisationder Großbetriebe, die Großbetriebesind für die Ausgestaltung unseres betrieblichenHandelns <strong>und</strong> für die Tarifpolitik prägend,wir brauchen sie für die tarifpolitischenAuseinandersetzungen. Aber, wir haben esmit einem tiefgreifenden Strukturwandel inden Unternehmen zu tun, Großkonzerne werdenin immer kleinere Einheiten zerlegt.Wenn aus einem Unternehmen plötzlich 10,1. Wir haben ein Mitgliederproblem.Wir haben es nicht nur mit Mitgliederrückgängendurch Arbeitsplatzverluste zu tun. NebenAustritten, die wir leider zu verzeichnenhaben, haben wir es vor allem mit „Nicht-Eintritten“zu tun. Wir haben auch ein Strukturdefizitunserer Mitgliedschaft.Was meine ich damit? Unsere Mitgliedschaftbildet die Struktur der Arbeitnehmer-schaft inIndustrie <strong>und</strong> Handwerk unseres Organisationsbereichesnicht mehr ab. Die Gruppe dermännlichen Fach- <strong>und</strong> Industriearbeiter ist inder Organisation am stärksten repräsentiert. Invielen Betrieben unseres Organisationsbereichesist sie aber inzwischen eine eher kleinereGruppe. Da spreche ich insbesondere Betriebeaus dem Bereich der sich entwickelndenindustriellen Dienstleistungen <strong>und</strong> der NewEconomy an. Die Beschäftigten in diesen Bereichensind bei uns unterrepräsentiert, ebensosind Frauen, Angestellte, Jugendliche, Ausländer,ArbeitnehmerInnen aus Kleinbetriebengemessen an ihrer Zahl in der Wirtschaftunterrepräsentiert.20, 30 oder 40 Betriebe werden, ist es häufignicht mehr möglich, gewerkschaftliche Interessenvertretungaufrecht zu erhalten.Die Bildungsarbeit spiegelt diese Probleme.In unseren Seminaren bilden wir mit unsererTeilnehmerstruktur die Mitgliederstrukturziemlich genau ab. In unseren gr<strong>und</strong>lagenbildendenSeminaren sind Großbetriebe überproportionalvertreten. Hart ausgedrückt, wirreproduzieren das Strukturdefizit.Mit gewerkschaftlicher Bildungsarbeit versuchenwir, einen Beitrag zu leisten, auch in Kooperationmit dem Mitgliederprojekt – die immernoch tragenden Gruppen <strong>und</strong> Belegschaftenzu erhalten <strong>und</strong> auszubauen.Wir versuchen auch, einen Beitrag zu leisten,Mitgliederarbeit durch geeignete Qualifizierungsmaßnahmenbei vielen mittleren <strong>und</strong>


Wolf Jürgen Röderkleinen Betrieben zu unterstützen. Dabei könnenwir aber nicht stehen bleiben. Wir müssenneue inhaltliche <strong>und</strong> strukturelle Bildungs-<strong>und</strong> Qualifizierungsangebote entwickeln,um neue Teilnehmergruppen <strong>und</strong>über diese auch neue Mitgliedergruppen zugewinnen.Wir müssen unsere Bildungsarbeit so organisieren,dass neben den Teilnehmerinnen <strong>und</strong>Teilnehmern aus den gut organisierten Großbetriebenauch Menschen aus kleineren <strong>und</strong>mittleren Unternehmen, aus den neuen industriellenDienstleistungsbereichen, aus derNew Economy, zu uns finden, um sich zuqualifizieren.Kleine Bemerkung am Rande: Gerade die Gestaltungvon Arbeitsverträgen im Zusammenhangmit prekären Beschäftigungsverhältnissenoder dem Typ des neuen „Arbeitskraftunternehmers“ist ein hervorragendes Beispiel,das näher am Interessengegensatz <strong>und</strong>dem Ursprung <strong>und</strong> Existenzgr<strong>und</strong> gewerkschaftlicherOrganisation liegt, als manchesandere.Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang:Der gesellschaftliche Bedeutungszuwachsberuflicher Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung istunübersehbar. Die Begriffe „Wissensgesellschaft“<strong>und</strong> lebenslanges, besser „lebensbegleitendesLernen“, sind in aller M<strong>und</strong>e.Für viele Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong> Arbeitnehmersteht die Frage der Weiterbildung im Zentrum,<strong>und</strong> es gibt viele private Initiativen, sichweiter zu qualifizieren.Hier ist uns mit dem Weiterbildungstarifvertragin Baden-Württemberg ein wichtigerSchritt nach vorn gelungen.Berufliche Weiterbildung boomt, politischeBildung dagegen ist insgesamt rückläufig. VieleOrganisationen <strong>und</strong> Institutionen fahren diepolitische Bildungsarbeit zurück.Auch wenn es mich auf der einen Seite stolzmacht, dass die Gewerkschaften, insbesonderedie <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, inzwischen der größte Anbieterpolitischer Bildungsarbeit in dieser Republiksind, so ist es gleichzeitig ein Trauerspielfür den Zustand unserer Gesellschaft.Wir müssen einräumen, dass das ThemaDurchsetzung <strong>und</strong> Gestaltung von Weiterbildungin unserer Bildungsarbeit bisher eine untergeordneteRolle gespielt hat.Reinhard Bahnmüller vom Tübinger Forschungsinstitutfür Arbeit <strong>und</strong> Technik, derschon viele Untersuchungen für die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>gemacht hat, fragte uns auf einer Zukunftstagungim März 2001 in Sprockhövel: „Warumnicht ‚Politisierung des Nützlichen“?Damit meinte er, unsere Bildungsarbeit in Teilenso zu gestalten, dass sie zertifizierbar <strong>und</strong>damit zumindest teilweise auch beruflich verwertbarwird. Damit meinte er auch die Weiterbildungsberatungfür unsere Mitglieder. Mitder Formulierung „Politisierung des Nützlichen“meint er ausdrücklich nicht, dass unserepolitische Bildungsarbeit, insbesondere dieGr<strong>und</strong>lagenbildung, nicht nützlich sei. Mitdieser Formulierung fordert er uns auf, einenBlick über den Tellerrand hinaus zu werfenauf die individuellen Interessen an Weiterbildung.Mit diesen Überlegungen stehen wir nochganz am Anfang. Aber: Unsere Projektmanagementausbildung,die inzwischen eingefahren<strong>und</strong> anerkannt ist, ist ein gutes Beispiel.Wer sie näher kennt, weiß, sie ist eine zugleichpolitisch <strong>und</strong> beruflich verwertbare sozial-methodischeKompetenz. Ich denke, indiesem Sinne sollten wir zukünftig über „diePolitisierung des Nützlichen“ weiter nachdenken.Hier können sich Chancen für uns eröffnen,sowohl für unsere bisherigen Teilnehmer,als auch für neuere Teilnehmergruppen.


Wolf Jürgen Röder2. BeteiligungLiebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, neben demMitgliederproblem haben wir ein Beteiligungsproblem.Vielfach wird über mangelnde Aktivitäten vonMitgliedern <strong>und</strong> ehrenamtlichen Funktionärengeklagt. Auch wenn mit den letztenVertrauensleutewahlen die Zahl unserer Vertrauenskörperwieder gestiegen ist - was ichfür einen großen Erfolg halte - kennen wir alledie reale Situation der Aktivität <strong>und</strong> der Teilnahmean unserer gemeinsamen Arbeit. Ichmeine damit nicht die gut organisierten <strong>und</strong>hervorragend laufenden „Highlights“ in unseremOrganisationsbereich, die wir glücklicherweiseauch haben. Ich meine damit dieVielzahl unserer Betriebe in der Fläche, wo esnach wie vor erheblicher Anstrengungen bedarf,um wenigstens die gr<strong>und</strong>legenden Funktionengewerkschaftlicher Interessenvertretungzu besetzen.Im Bildungsbereich haben nicht wenige Referentenarbeitskreisegroße Nachwuchssorgen<strong>und</strong> Probleme, ihre Arbeit zu gestalten. Auchhier könnten wir argumentieren, dass dieskein allzu großes Problem ist, wenn wir unsdaran orientieren, dass wir bisher in entscheidendenSituation noch immer mobilisierungsfähigwaren.Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der schnellen Umbrüchein den Betrieben <strong>und</strong> in unserer Gesellschaft,vor dem Hintergr<strong>und</strong> von meistzentral gesteuerter Dezentralisierung <strong>und</strong> Verlagerungvon Auseinandersetzungen auf diebetriebliche Ebene, vor dem Hintergr<strong>und</strong> derNotwendigkeit, dass wir uns in den Betriebenmit Gestaltungsvorschlägen einmischen <strong>und</strong>auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> unseres gesellschaftspolitischenAnspruches ist Beteiligungein ernstes Problem. Oft sind es unsere eigenenStrukturen, die Einbeziehung <strong>und</strong> Beteiligungverhindern.Aus meiner Sicht gibt es eine wichtige Ursachefür die mangelnde Beteiligung: Viele ehre<strong>und</strong>hauptamtliche Funktionäre sind noch ungeübt<strong>und</strong> unerfahren in der Organisation <strong>und</strong>Gestaltung von Diskussions- <strong>und</strong> Beteiligungsprozessen,im Praktizieren neuer Arbeitsformen<strong>und</strong> Techniken, wie z.B. der Projekt-<strong>und</strong> Netzwerkarbeit, in der Dezentralisierung<strong>und</strong> Delegation von Entscheidungen,ohne dabei das große Ganze aus dem Augezu verlieren.Das Beteiligungsproblem haben wir auch inder Bildungsarbeit. Wie gesagt: Mit unseremBildungsangebot erreichen wir viele Mitglieder<strong>und</strong> ehrenamtliche Funktionäre kaumoder gar nicht. Ich kann mich mit einer solchenArt von Exklusivität nicht anfre<strong>und</strong>en.Nach dem, was wir wissen, <strong>und</strong> durch verschiedeneBefragungen bestätigt bekommen,müssen wir uns um unsere betriebs- <strong>und</strong> tarifpolitischenF<strong>und</strong>amente durchaus Sorgen machen.Wir haben hier einen großen Qualifizierungsbedarf<strong>und</strong> Rückstand, der nicht kleinerwird, wenn wir an die Fluktuation beiWahlen <strong>und</strong> die dadurch kontinuierlich notwendigeQualifizierung von Nachwuchs denken.Für mich steht die Frage ganz oben an: sollenwir nicht Fragen der Tarifpolitik wieder stärkerin unsere Gr<strong>und</strong>lagenbildung einbeziehen,sie zu einem Schwerpunkt machen <strong>und</strong> nichtnur zum Thema für Spezialisten?Wir brauchen eine breitere gr<strong>und</strong>legendeQualifizierung, die stärker als bisher eingehtauf unsere gr<strong>und</strong>legenden gewerkschaftlichenHandlungsfelder, eben die Tarifpolitik <strong>und</strong> dieBetriebspolitik.Es geht in der Zukunft nicht um ein Wenigeran gewerkschaftlicher Gr<strong>und</strong>lagenbildung, esgeht um ihre Weiterentwicklung, ihre Verbreiterungbei den erhöhten Qualifizierungsanforderungen,die wir heute haben, es geht umihren Ausbau.


Wolf Jürgen Röder3. Politische BeteiligungWir haben ein Problem mit unserer politischenOrientierung. Nicht unbedingt, weil esunterschiedliche Auffassungen in der Organisationgibt. Die gab es in der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> schonimmer.Nein, ich denke, unser Problem besteht darin,dass unter heutigen Bedingungen die Erarbeitungzukunftsweisender politischer Strategien<strong>und</strong> Visionen von einer zukünftigen Gesellschaftschwieriger <strong>und</strong> komplexer gewordenist.Gewerkschaftliche Realpolitik, die sich nuram hier <strong>und</strong> heute Machbaren orientiert, führtletztlich zur Sinn- <strong>und</strong> Existenzkrise.Gewerkschaften brauchen Werte <strong>und</strong> Normen,die Identität <strong>und</strong> Zusammenhalt begründen<strong>und</strong> über den Tag hinaus weisen. Gewerkschaftenbrauchen Utopien <strong>und</strong> Visionen.Anders gesagt: Sie müssen an ihren Wertenfesthalten, an der Solidarität, an der <strong>Freiheit</strong>,an der Gleichheit, an der sozialen Gerechtigkeit.Um diese Ideen, die für die Organisierungvon Solidarität unverzichtbar sind, müssenwir kämpfen, müssen verhindern, dass ihr Bedeutungsgehaltvom politischen Gegner umdefiniertwird.Ich denke, hier liegt auch die Gr<strong>und</strong>lage unsererZukunftsdebatte mit den entsprechendenLeitthemen.Es gilt, Zukunftsperspektiven mit der entsprechendenpolitischen Orientierung zu erarbeiten,<strong>und</strong> sie in Einklang zu bringen mit derEntwicklung unserer Organisationsstruktur. Inder Gesamtorganisation <strong>und</strong> in der Bildungsarbeit.Wir müssen uns in erster Linie mit dem Neoliberalismuskonzeptionell auseinandersetzen.Eine Besonderheit der unter den StichwortenGlobalisierung, Neoliberalismus firmierendenIdeologien <strong>und</strong> Prozesse ist: sie sind nicht das,was sie zu sein beanspruchen.Die Vertreter <strong>und</strong> Anhänger des Neoliberalismus,das heißt, der freien - von staatlichen<strong>und</strong> sozialen Regelungen befreiten - wirtschaftlichenEntwicklung behaupten, er bringeallen Beteiligten materiellen <strong>und</strong> sozialenErfolg <strong>und</strong> Wohlstand. Und das ist für sie dannauch gerecht <strong>und</strong> demokratisch.In Wirklichkeit führen die gegenwärtigen Umwälzungsprozessesowohl an den Rändernder prosperierenden Volkswirtschaften alsauch in ihren Zentren für die Arbeitnehmerinnen<strong>und</strong> Arbeitnehmer zu Ausgrenzung, strukturellerArbeitslosigkeit <strong>und</strong> Armut. Noch niewaren Reichtum <strong>und</strong> Lebenschancen auf demGlobus so ungleich verteilt wie in der Gegenwart.Die Politik des Wettbewerbs führt nicht nur zueiner Zunahme von Konkurrenz, sie führtauch zu einer nie da gewesenen Konzentrationwirtschaftlicher Macht, die sich vielfachstaatlichen Regeln entzieht <strong>und</strong> deren globaleOperationen sich fast im „regelfreien“ Raumbewegen.Es besteht die Gefahr, dass der Neoliberalismus<strong>und</strong> die Art <strong>und</strong> Weise der gegenwärtigenGlobalisierungsdiskussion gerade in Deutschlanddas historische Bündnis von Kapitalismus,Sozialstaat <strong>und</strong> Demokratie <strong>und</strong> die dieseminne wohnende Produktivität gefährdet<strong>und</strong> sprengt.Natürlich sind viele Fragen offen. Alte Sozialstaatsmodellesind nicht einfach in die Zukunftfortschreibbar, Sozialsysteme brauchenneue Perspektiven, wir brauchen Antwortenauf viele Fragen.


Wolf Jürgen RöderAber die Gr<strong>und</strong>lage sind unsere alten Werte,auf die werden wir nicht verzichten, an ihnenwerden wir festhalten, <strong>und</strong> eben deswegenbrauchen wir gerade heute Optionen fürihre zukunftsfähige Gestaltung.Ort <strong>und</strong> Plattform hierfür,◆ für den Kampf um unsere Ideen◆ für die Auseinandersetzung,nicht nur mit dem Neoliberalismus, sondernmit Ideologien insgesamt, ist unsere politischeBildungsarbeit. Sie muss skeptisch sein gegenalle Arten von Versprechungen <strong>und</strong> die genanntenProzesse reflektieren.Eins dürfte klar sein: Vor dem Hintergr<strong>und</strong> vonDifferenzierung <strong>und</strong> Individualisierung derArbeitnehmerschaft entsteht Solidarität immerweniger naturwüchsig oder quasi automatischdurch den Druck der Verhältnisse. Sie lässtsich auch immer weniger durch Appelle anMoral <strong>und</strong> Loyalität zur Organisation herstellen.Sie wird immer stärker im Diskurs zu erarbeitensein, als zweckmäßiges Bündnis selbstbewussterMenschen mit sehr unterschiedlichenLebensstilen <strong>und</strong> sehr unterschiedlichen Auffassungen.Wie lange sie anhält, wie viel Herzblut <strong>und</strong>Energie die Menschen aufwenden, um sie zupraktizieren, hängt vom Ziel ab, auf das siesich verständigen. Dieser Diskurs ist nichtleicht zu führen. Er wird nicht einfacher, wennman bedenkt, dass wir unseren Begriff der Solidaritäterweitern müssen. In doppelter Hinsicht,so meine ich: Über den Betrieb <strong>und</strong> dieOrganisation hinaus zu anderen sozialenGruppen, Bewegungen <strong>und</strong> Organisationen;über die Grenzen unseres Landes hinweg zuMenschen, Gewerkschaften <strong>und</strong> sozialen Bewegungenin anderen Ländern.Das gleiche gilt für unsere Idee der sozialenGerechtigkeit. Wir müssen sie um die ökologische<strong>und</strong> internationale Dimension erweitern.Vor dem Hintergr<strong>und</strong> von Globalisierung<strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen ökonomischen<strong>und</strong> ökologischen Risiken <strong>und</strong> Folgen geht esheute nicht mehr nur um materielle <strong>und</strong> sozialeBedingungen, sondern um die Teilhabean Lebenschancen.Für diese Auseinandersetzung ist unsere politischeBildungsarbeit unverzichtbar. Deswegenkönnen <strong>und</strong> wollen wir den Weg, denheute viele private <strong>und</strong> öffentliche Organisationen<strong>und</strong> Institutionen gehen, nicht gehen.Wir wollen <strong>und</strong> werden unsere politische Bildungsarbeitnicht zurückfahren. Sie zu erhalten<strong>und</strong> auszubauen schaffen wir jedoch nur,wenn wir sie weiter entwickeln.Für die Zukunft unserer politischen Bildungsarbeitmüssen wir – so denke ich – folgendeFragen beantworten:1. In Anlehnung an Oskar Negt, der fragte,„Was muss ein Arbeiter heute wissen bzw.können, um sich in der Welt zurecht zufinden“ müssen wir fragen, ob unser Themenkatalognoch stimmt, das heißt, ob erdie heute gesellschaftspolitisch relevanten<strong>und</strong> unabdingbaren Themen enthält.2. Sind diese Themen erkennbar für den, dersich unser Bildungsprogramm anschaut<strong>und</strong> gerne ein Seminar besuchen möchte?3. Sind diese so konzipiert, dass sie gründlichbearbeitet werden können, d.h. dass siedie Analyse- <strong>und</strong> Kritikfähigkeit, damit diepolitische Orientierung <strong>und</strong> gleichzeitigdie politisch-strategische Kompetenz derTeilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmer steigern ?4. Sind unsere Strukturen so gestaltet, dass siedie Zugangs- <strong>und</strong> Teilnahmemöglichkeitfür alle, also auch von denen, die nicht ausgut organisierten Strukturen unserer Arbeitkommen, erleichtern <strong>und</strong> erhöhen?


Wolf Jürgen RöderDas sind Fragen, mit denen wir uns alle intensivauseinandersetzen solltenLiebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lasst michdas eben Gesagte um einen zusätzlichenAspekt erweitern.Im Rahmen unseres Arbeitsvorhabens „Weiterentwicklunggewerkschaftlicher Bildungsarbeit“haben wir im ersten Halbjahr 2001 eineReihe von Zielgruppenworkshops durchgeführt.Zielgruppenworkshops mit Kolleginnen<strong>und</strong> Kollegen, die an unseren Seminarenteilgenommen haben, aber auch mit Menschen,die dies noch nicht getan haben.Workshops mit Vertrauensleuten, mit Betriebsräten,jeweils aus Großbetrieben oderKlein- <strong>und</strong> Mittelbetrieben, mit Werbern <strong>und</strong>Beteiligten an ME-Projekten, mit Aktiven inNetzwerken <strong>und</strong> in der ehrenamtlichen Beratungsarbeit<strong>und</strong> mit ehrenamtlichen Referentinnen<strong>und</strong> Referenten.Diese Workshops wurden durch das ISO-Institutin Köln wissenschaftlich begleitet. UnserKollege <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong> Joke Frerichs hat sie ausgewertet.Zwei positive Bemerkungen vorweg:1. Die zusammengefassten Ergebnisse dieserWorkshops spiegeln aus anderer Sicht,nämlich der unserer Teilnehmerinnen <strong>und</strong>Teilnehmer, die politischen Herausforderungen,vor die sich die Organisation heutegestellt sieht, <strong>und</strong> wie ich sie eben angesprochenhabe. Das ist aus meiner Sichtdurchaus positiv zu werten.Ein Auseinanderklaffen unserer Sichtweisenüber die Zukunft der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>und</strong> der Erwartungen,Wünsche <strong>und</strong> Fragen unserer Teilnehmerinnen<strong>und</strong> Teilnehmer würde michschon zum Nachdenken bringen.2. Es gibt eine überwiegend positive Resonanzauf die Angebote <strong>und</strong> Vielfalt derheutigen gewerkschaftlichen Bildungsarbeit.Wäre es anders, würde mich das auchals zuständiges Vorstandsmitglied sehrnachdenklich stimmen.Deutlich wird durch die Ergebnisse, dass dieGr<strong>und</strong>struktur unserer Bildungsarbeit einestarke Bestätigung findet. Unsere Teilnehmerinnen<strong>und</strong> Teilnehmer wünschen sich weiterhin:◆ eine gesellschaftspolitische Gr<strong>und</strong>lagenbildung,die politische Orientierungbietet,ergänzt durch◆ ein flexibles Bildungs- <strong>und</strong> Beratungsangebotvor Ort, möglichst betriebsnah,◆ Qualifizierungsmöglichkeiten im Bereichsozial-methodischer Kompetenz,◆ ein differenziertes Angebot an Fachseminaren,◆ mit Möglichkeiten der Weiterqualifizierung.Nun könnten wir sagen, das bietet gewerkschaftlicheBildungsarbeit alles bereits. Betrachtenwir die Bedarfe aber genauer, erkennenwir viele neue Herausforderungen.Die Workshops zeigen uns: GewerkschaftlicheHandlungsprobleme in Großbetriebensind völlig andere als die in Klein- <strong>und</strong> Mittelbetrieben.In den Großbetrieben geht esprimär um den „Umgang mit Komplexität“.Betriebsräte <strong>und</strong> Vertrauensleute dort brauchenZusammenhangwissen, z.B. um Teilstrategiendes Unternehmens in ihrer Handlungslogikzu erkennen <strong>und</strong> eine Vielzahl von Einzelprojektenin einem Großbetrieb in einensystemischen Kontext stellen zu können.Betriebsräte <strong>und</strong> Vertrauensleute tun sich oftschwer, die Relevanz <strong>und</strong> den inneren Zusammenhangeinzelner Maßnahmen im Rah-


Wolf Jürgen Rödermen der unternehmerischen Gesamtstrategiezu bewerten <strong>und</strong> einzuordnen. Hier zeigt sichdeutlich, dass einzelne Qualifizierungsmaßnahmenzur Entwicklung von Handlungs- <strong>und</strong>Gestaltungskompetenz oft nicht mehr ausreichendsind.Wir haben daraus bereits Schlussfolgerungengezogen <strong>und</strong> neue prozessbegleitende Formenvon Qualifizierung entwickelt. Diese giltes in Zukunft zu festigen <strong>und</strong> auszubauen.Im Gegensatz dazu bestätigen die Workshopsunsere Einschätzung, dass es in den Klein<strong>und</strong>Mittelbetrieben vielfach zu allererst umden Aufbau gewerkschaftlicher Strukturengeht. Es zeigt sich, dass netzwerkförmige Arbeitsweisengute Erfolge erzielen. Und eszeigt sich, dass hierbei Bildungsarbeit oft „Initialfunktionen“übernehmen kann. UnsereTeilnehmer wollen auf der einen Seite Orientierungswissenüber die Zusammenhänge <strong>und</strong>Entwicklungsperspektiven in Wirtschaft, Politik<strong>und</strong> Gesellschaft, sie wollen aber gleichzeitigauch konkretes Handlungswissen zurBewältigung betrieblicher Alltagsprobleme erwerben.Diese Erwartungen <strong>und</strong> Anforderungen an gewerkschaftlicheBildungsarbeit stellen uns dabeinicht nur vor inhaltlich-konzeptionelleHerausforderungen. Sie stellen uns auch vorHerausforderungen, die jeweils richtige Organisationsformfür Bildungs- <strong>und</strong> Qualifizierungsangeboteauf den unterschiedlichen Arbeitsebenenzu finden.Einen weiteren organisationspolitischenAspekt möchte ich dabei nicht übergehen:Wir haben ein Problem mit der Flächendeckungunserer Bildungsarbeit.Es sind nur 36 Verwaltungsstellen aus demB<strong>und</strong>esgebiet, die über 50 Prozent aller Teilnehmeran zentralen Seminaren stellen. Dabeihandelt es sich nicht nur - wie man leichtvermuten könnte - um große Verwaltungsstellen.Unter diesen 36 finden sich auch eineReihe kleinerer <strong>und</strong> mittlerer Verwaltungsstellen.Aus den restlichen 140 Verwaltungsstellenkommen die anderen 50 Prozent der Teilnehmer.Was bedeuten diese Zahlen?Für uns gibt es eine klare Relation zwischeneiner aktiven regionalen Bildungsarbeit <strong>und</strong>der Zahl der Teilnehmer an zentralen Seminaren.Die 36 erwähnten Verwaltungsstellenzeichnen sich alle durch eine gute regionaleBildungsarbeit aus, die flexibel <strong>und</strong> aktuellauf Bedarfe reagiert <strong>und</strong> dabei die nötigeGr<strong>und</strong>lagenqualifizierung nicht vergisst.Sorgen bereitet uns die Situation in Verwaltungsstellen,die nicht in eine aktive Bildungsarbeiteingeb<strong>und</strong>en sind. Wir sprechen hiervon „weißen Flecken“ auf der Landkarte unsererBildungsarbeit.Wir müssen es wieder schaffen, durch entsprechendeAktivitäten <strong>und</strong> Programme dieBildungsarbeit in diesen „weißen Flecken“ zurevitalisieren <strong>und</strong> zu reaktivieren.Liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, gewerkschaftlicheBildungsarbeit steht vor vielenHerausforderungen. Vor politischen Herausforderungen,wie wir sie in der Gesamtorganisationvorfinden, vor differenzierten Anforderungen<strong>und</strong> Erwartungen unserer Teilnehmerinnen<strong>und</strong> Teilnehmer <strong>und</strong> vor organisationspolitischenHerausforderungen. DiesenHerausforderungen wollen wir uns mit unseremArbeitvorhaben stellen.Wie differenziert diese sind, möchte ich an einigenBegriffs- bzw. Widerspruchspaarenillustrieren.Eine unserer klassischen Anforderungen - einePosition, die ich teile - ist: Wir wollen eine füralle offene betriebs- <strong>und</strong> branchenübergreifendeBildungsarbeit machen, für Teilnehmer


Wolf Jürgen Röderaus allen Verwaltungsstellen <strong>und</strong> allen Betriebsgrößen.Wir wollen dies, um Betriebssyndikalismuszu überwinden <strong>und</strong> die gemeinsamenpolitischen Perspektiven <strong>und</strong> dieStrategien der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> zum Thema <strong>und</strong> zumInhalt der Seminare machen. Bildungsarbeitals Ort, an dem sich die Organisation trifft<strong>und</strong> miteinander diskutiert <strong>und</strong> arbeitet. Einerichtige, eine notwendige Anforderung.Dem gegenüber steht die ebenso richtige wienotwendige Anforderung nach Ange-boten,die ein attraktives lebensbegleitendes Lernenermöglichen sollen, für die KollegInnen, diedie Nachwuchsqualifizierung hinter sich haben.Wir haben auf der einen Seite strukturierteZugänge von Teilnehmern zu unseren Seminaren,Teilnehmer aus gut organisierten Betriebenmit Bildungsbeauftragten <strong>und</strong> Vertrauenskörpern.Auf der anderen Seite haben wir esmit Individualzugängen zu tun, beidenen Teilnehmer sich interessen<strong>und</strong>themenorientiert für Seminareentscheiden. Nach unseren Erfahrungengilt dies insbesondere fürTeilnehmer aus Klein- <strong>und</strong> Mittelbetrieben.Wir haben Anforderungender Großbetriebe nach Qualifizierungihrer VK’s <strong>und</strong> Betriebsräteebenso zu erfüllen, wie wir dieKlein- <strong>und</strong> Mittelbetriebe der <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> mit unseren Angeboten <strong>und</strong>Organisationsformen bedienenmüssen.Dem gegenüber steht aber die Anforderungnach Zielgruppenorientierung, nach Bildungsarbeitfür Handlungskollektive, für einzelneGremien <strong>und</strong> Gruppen, die gemeinsampolitische Interessenvertretung organisieren,die gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten. Eineebenso richtige, wie heute wichtige Anforderung.Weiter: Wir haben die Aufgabe, <strong>und</strong> es istauch unser Ziel, dass gewerkschaftliche Bildungsarbeiteine gezielte Nachwuchsqualifizierungfür die nachwachsenden Generationenvon Funktionären, Vertrauensleuten <strong>und</strong>Betriebsräten anbietet.Unsere Teilnehmer kommen ausder traditionellen Arbeitnehmerschaftwie der Stahl- <strong>und</strong> Automobilindustrie,dem Maschinenbau <strong>und</strong> derElektroindustrie.Gleichzeitig haben wir, wenn auch noch inviel zu geringer Zahl, Teilnehmer aus Betriebender „New Economy“.Wir haben ausreichend Teilnehmer für dieDurchführung von 14-Tage-Seminaren <strong>und</strong>wissen, dass wir gleichzeitig große Teilnehmergruppenhaben, die kürzere Seminarformenvorziehen, egal, aus welchen Gründen.Wir haben es gerade in Bezug auf den zentralenSeminarplan mit langen Planungs- <strong>und</strong>Vorlaufzeiten für die Entwicklung neuer Semi-


Wolf Jürgen Rödernare zu tun <strong>und</strong> leben gleichzeitig mit der Anforderung,flexibel <strong>und</strong> kurzfristig auf aktuelleBedarfe zu reagieren. Diese Liste ließe sichnoch fortsetzen, aber ich möchte es dabei bewendenlassen.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn ichmich dem Thema unserer zukünftigen Strukturen,unseres neuen Modells zuwende, stehtfür mich im Vordergr<strong>und</strong> die Frage, was ist dasVerbindende in unserer gewerkschaftlichenBildung.Unsere Rahmenkonzeption schlägt hier eineeinfache, aber auch weitreichende Antwortvor: „Die Sachen klären <strong>und</strong> die Menschenstärken“. Die Sachen klären, also die Analyseder gesellschaftlichen Verhältnisse, der kapitalistischenLogik <strong>und</strong> ihrer Zwänge, die Aufklärungüber gesellschaftliche <strong>und</strong> ökonomischeVerhältnisse sind gr<strong>und</strong>legender Bestandteilgewerkschaftlicher Bildung.Die Menschen stärken, spiegelt das Individuelle,das Persönliche als Komponente unsererBildungsarbeit.Das Politische des Individuellen, des Persönlichenals die Voraussetzung gemeinsamenHandelns zu sehen, ist meiner Auffassungnach der Schlüssel für erfolgreiche Bildungsarbeit.Auch wenn wir in Kategorien des gemeinsamenHandelns, des Solidarischen in unserenverschiedenen Organisationsformen denken,geht alles vom Individuum mit seinen Fragen,Ambivalenzen, Hoffnungen <strong>und</strong> Kompetenzenaus.Darum gehören diese beiden Aspekte zusammen.Ihre Verbindung bildet für mich das Politischeunserer Bildungsarbeit, den Kern unsererpolitischen Bildungsarbeit. Unsere Teilnehmerinnen<strong>und</strong> Teilnehmer brauchen politischeOrientierung, brauchen die politischeAnalyse <strong>und</strong> sie brauchen gleichzeitig einehohes Niveau an fachlichem Wissen <strong>und</strong> sozialerKompetenz. Sie brauchen politischesSelbstbewusstsein.Für mich gilt es, stärker als bisher, in diesemSinne integrierte Formen gewerkschaftlicherBildungsarbeit zu entwickeln.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vor diesemHintergr<strong>und</strong>, aufbauend auf den erfolgreichen<strong>und</strong> positiven Veränderungen der letzten Jahre,haben wir eine erste Ideenskizze, ein Modell,für die zukünftige Struktur unserer Bildungsarbeitentworfen.Warum ein solches Modell, ein solcher Vorschlag?Natürlich gibt es von allen Beteiligten zahlreicheIdeen <strong>und</strong> Vorschläge zur Weiterentwicklung.Das zeichnet gerade die Bildungsarbeiteraus. Ich habe deutlich gemacht: Vielesläuft gut in der Bildungsarbeit. Es gibt aberauch Kritik an bisherigen Strukturen, es gibtSchwachstellen <strong>und</strong> es gibt Ideen, die Defiziteabzubauen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist esmeiner Meinung nach Aufgabe des VorstandsbereichsBildung, ein Modell vorzuschlagen,das eine konstruktive <strong>und</strong> gezielte Weiterarbeitermöglicht.Wir brauchen ein neues Modell, das unseremweiterentwickelten Bildungsverständnis entspricht<strong>und</strong> das den organisatorischen Rahmenfür die heute veränderten Anforderungenbildet. Ein Modell, das möglichst vielen Anforderungen,Ideen, Wünschen <strong>und</strong> Vorstellungengerecht wird. Nicht zu 100 Prozent,den Anspruch habe ich nicht, aber doch weitgehend<strong>und</strong> als Gr<strong>und</strong>lage für unsere gemeinsameweitere Arbeit.Ich bin überzeugt davon, dass ein solches Modellsinnvoll <strong>und</strong> hilfreich ist für die Diskussionin den nächsten Monaten, weil es Orientierung<strong>und</strong> Richtung für unsere Arbeit gibt.


Wolf Jürgen RöderLiebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, was ist nununser Vorschlag, unser Modell?Die nächste Folie präsentiert eine Gr<strong>und</strong>überlegung:Wir werden zukünftig – genauso wieheute – auf der einen Seite Bildungsangeboteim zentralen Seminarplan <strong>und</strong> auf der anderenSeite „Bildung nach Maß“ haben. Auf allendrei Ebenen, auf der Ebene der regionalenBildungsarbeit, der Bezirke <strong>und</strong> der Bildungsstätten.Natürlich weiß ich, dass diese Begriffe dabeinicht genau zutreffen. Bildungsangebotemeint nicht die von jeder Bedarfsermittlung<strong>und</strong> jeder Erfahrung losgelöste Entwicklungvon Seminaren. Bildungsangebote meint vielmehr,dass wir wie bisher verfahren <strong>und</strong> Wegeder gemeinsamen Diskussion mit unseren potenziellenTeilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmernbrauchen, genauso wie die Diskussion mitden Bildungssachbearbeitern der Verwaltungsstellen<strong>und</strong> mit den Bezirkssekretären.Bildungsangebote meint auch, die organisationspolitischenBedarfe aufzugreifen, z.B. dieZukunftsdebatte mit ihren Anforderungen anunsere strategische Kompetenz <strong>und</strong> Kreativität.Ebenso beschreibt der Begriff „Bildungnach Maß“ eher den Prozess der Entstehungvon anforderungs- <strong>und</strong> bedarfsgerechter Bildungsarbeit.Hier entsteht Bildungsarbeit an der Schnittstellezwischen denjenigen, die Bedarfe <strong>und</strong>Anforderungen haben, also unseren Teilnehmerinnen<strong>und</strong> Teilnehmern, dem VK, dem Betriebsrat,einer Verwaltungsstelle, einer Branche,<strong>und</strong> denjenigen, die die Kompetenz haben,Bildungsarbeit zu machen, also Euchoder den Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern an einerBildungsstätte. In einem gemeinsamen Beratungsprozesssteht am Ende eine neue Konzeption,eine neue Idee von Bildungsarbeit,die dann gemeinsam durchgeführt wird.Unter „Bildung nach Maß“ verstehen wir -Bildung <strong>und</strong> Beratung,◆ Prozess begleitende Bildungsarbeit,◆ Qualifikationsreihen sowie◆ Projekt- <strong>und</strong> Prozesskompetenz.Entsprechend den betrieblichen, örtlichen<strong>und</strong> bezirklichen Anforderungen <strong>und</strong> insbesonderein Kooperation mit den Bildungsstätten.Hier ist in den letzten Jahren viel entstanden,an den Bildungsstätten stehen für diese Formvon Bildungsarbeit zur Zeit 40 Prozent ihrerKapazität zur Verfügung, mit steigender Tendenz.Diesen Bereich möchten wir zukünftigweiter fördern <strong>und</strong> entfalten.Unter Bildungsangeboten verstehen wir insbesondereauch <strong>und</strong> schwerpunktmäßig denBereich der gesellschafts- <strong>und</strong> gewerkschaftspolitischenBildung <strong>und</strong> die Frage der Nachwuchsqualifizierung.Zur zukünftigen Struktur gehört, dass wir unsereBildungsarbeit in zwei Säulen strukturieren<strong>und</strong> weiter entwickeln. Die linke Säulezeigt dabei die für die Zukunft unserer Organisationso wichtige Nachwuchsausbildung.Unsere Bildungsarbeit hat immer die zentraleAufgabe der Qualifizierung des Nachwuchsesan JAV’lern, Vertrauensleuten <strong>und</strong> Betriebsrätengehabt. Dies soll auch so bleiben. Ohneeine qualifizierte <strong>und</strong> professionelle Nachwuchsausbildungist unsere Überlebensfähigkeitgefährdet. Wir wollen diese Nachwuchsausbildungstärken <strong>und</strong> weiter entwickeln.Wir brauchen eine politisch orientierende<strong>und</strong> handwerklich qualifizierende Ausbildungfür die nachwachsenden Generationenunserer Funktionäre. Sie ist eine tragende Säulegewerkschaftlicher Bildungsarbeit.Genauso brauchen wir aber die Entfaltung<strong>und</strong> Entwicklung von Formen lebensbegleitendenLernens. So wichtig Nachwuchsaus-


Wolf Jürgen Röderbildung auf der einen Seite ist, so wichtig istheute Qualifizierung als lebensbegleitenderProzess der praktischen Arbeit vor Ort wieauch vor dem Hintergr<strong>und</strong> unserer politischstrategischenGesamtaufgaben zu sehen. Dazugehört die Funktion der Bildungsarbeit alsWerkstatt für Zukunftsfragen.Wo, wenn nicht in der gewerkschaftlichenBildungsarbeit, die Raum <strong>und</strong> Zeit bietet fürDebatten, Kontroversen, Visionen <strong>und</strong> Utopien,ist der richtige Ort für die Diskussion unsererstrategischen Zukunftsfragen. Bildung istZukunft. Für diese Organisation <strong>und</strong> für dieMenschen in unserer Gesellschaft.Ich möchte, dass die gewerkschaftliche Bildungsarbeitsich dieser Aufgabe, unserer Zukunftsdebatte,wieder stärker annimmt <strong>und</strong> einenwichtigen <strong>und</strong> guten Beitrag leistet.Bei der zukünftigen Ausgestaltung unserer Bildungsarbeitwerden wir uns auch präziser alsbisher mit der Frage der von uns zu stärkenenKompetenzen auseinander zu setzen haben.Das erste Kompetenzfeld ist die politischeOrientierung <strong>und</strong> die politisch-strategischeKompetenz.Politische Orientierung heißt hier kritischeAnalyse unserer gesellschaftlichen <strong>und</strong> ökonomischenVerhältnisse, <strong>und</strong> die Erarbeitungeiner klaren Interessenposition. Politisch-strategischeKompetenz betont stärker die politischeHandlungs- <strong>und</strong> Gestaltungsfähigkeitunserer Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmer.Natürlich geht es in der gewerkschaftlichenArbeit auch um fachliche Kompetenz. UnsereAktiven müssen heute in vielfachen Formenallen komplexen Anforderungen in der Tarifpolitik,der Betriebspolitik, der Betriebsratsarbeit<strong>und</strong> der Vertrauensleutearbeit gerechtwerden. Ich brauche hier nicht im einzelnenzu erklären, wie differenziert gewerkschaftliche<strong>und</strong> betriebliche Interessenvertretung inden eben angesprochenen Handlungsfeldernheute geworden ist.Hier brauchen wir eine Verbesserung unsererQualifizierung, eine Professionalisierung betrieblicher<strong>und</strong> gewerkschaftlicher Interessenvertretung.Der nächste Bereich sind die sozial-methodischenKompetenzen.In den letzten Jahren haben wir auf diesemGebiet sehr viel getan. Unsere Erfahrungenzeigen, dass die Erweiterung <strong>und</strong> Ergänzungunserer bisherigen Angebote durch ein starkausgebautes Feld sozial-methodischer Kompetenzgenau der richtige Ansatz ist <strong>und</strong> vieldazu beiträgt, unsere Handlungsfähigkeit <strong>und</strong>Gestaltungskompetenz weiter zu verbessern.Kompetenzen wie Kommunikation, Gesprächsführung,Moderation <strong>und</strong> Visualisierung,wie auch Projekt- <strong>und</strong> Prozesskompetenzsind heute unumgängliche Bestandteileguter interessenbezogener Betriebsrats- <strong>und</strong>Vertrauensleutearbeit.Wenn wir hier diese drei Felder genau unterscheiden,hat es den Gr<strong>und</strong>, ein klareres Bildvon diesen Kompetenzen zu bekommen, diewir in unserer Qualifizierung gemeinsam mitunseren Teilnehmern erarbeiten müssen.Im Seminar selber wollen wir diese Kompetenzfelderim didaktischen Prozess eher miteinanderintegrieren.Wir stellen die Entwicklung unserer konzeptionellenAnsätze, des Gesamtkonzeptes wieder einzelnen Seminarkonzepte unter Leitfragen,die sich auf die erforderlichen Kompetenzenbeziehen. Die konkrete Bearbeitungunserer Vorschläge in Projektgruppen, die bereitsangefangen hat, geht von diesen Fragenaus:


Wolf Jürgen RöderWelche Kompetenzen brauchen heute Vertrauensleute<strong>und</strong> Betriebsräte, um eine gute,professionelle <strong>und</strong> klare Interessenpolitik zumachen? Ebenso wie die Frage: Was erwartenwir – die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> – von unseren Interessenvertretern?Auch wir haben klare Vorstellungen über dieQualifikation <strong>und</strong> Kompetenz unserer Interessenvertreter.Auch sie sind Gr<strong>und</strong>lage derzukünftigen konzeptionellen Gestaltung unsererSeminare.Liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, lasst michnoch einmal kurz zusammenfassen:Wir brauchen ein Bildungssystem, das flexibelgenug ist, die unterschiedlichen Betriebsgrößen<strong>und</strong> damit die unterschiedlichen Problemlagenaufzufangen.Und wir brauchen eine Struktur, die transparenterist als das, was sich in den letzten Jahrenentwickelt hat.Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist unser Vorschlageiner zukünftigen modularen Angebotsstrukturin der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>-Bildungsarbeit entstanden,ein Vorschlag, von dem wir hoffen, dasser diesen vielfältigen Anforderungen gerechtwird, ein Vorschlag, der in den nächsten Monatendie Gr<strong>und</strong>lage für weitere Diskussionenum unsere Arbeit sein soll.Wir gehen weiterhin davon aus, dass in derRegion die Einfürungsqualifizierung für unsereFunktionäre <strong>und</strong> Mitglieder erfolgt.Die zukünftige Gestaltung der regionalen Bildungsarbeitwird im Rahmen unseres Arbeitsvorhabensnoch ein großer Schwerpunkt sein.Diese Arbeit werden wir gemeinsam mitEuch, den Vertreterinnen <strong>und</strong> Vertretern derVerwaltungsstellen, der Bezirke im nächstenJahr organisieren. Auf der Ebene der Bildungsstättenversuchen wir eine Form zu finden, diedie beiden von mir dargestellten Säulen gewerkschaftlicherBildungsarbeit abbildet.Die politische Debatte der Organisation zeigtdie vielfachen Herausforderungen, vor denenwir stehen. Mit der Vielfalt heutiger Anforderungen<strong>und</strong> mit der komplexen Realität despolitischen Alltags der Organisation steigenauch die Anforderungen an eine differenzierteKompetenzentwicklung unserer handelndenAkteure - in Betrieb, Organisation <strong>und</strong> Gesellschaft.Zur Nachwuchsqualifizierung:Entsprechend unserer Kompetenzanforderungenwollen wir aus verschiedenen Modulenbzw. Seminaren Ausbildungsgänge bilden,die in Summe eine anforderungsgerechteQualifikation bieten. Ein Ausbildungsgang bestehtaus mehreren Modulen, wir denken anca. 4 bis 6.Jedes Modul hat einen Themen- <strong>und</strong> Kompetenzschwerpunkt.Wir verfolgen das Ziel, ineinem Modul verschiedene Kompetenzfelderkonzeptionell <strong>und</strong> didaktisch miteinander zuverknüpfen.


Wolf Jürgen RöderZiel ist auch, dass unsere Kolleginnen <strong>und</strong>Kollegen einen Ausbildungsgang, d.h. alleModule, komplett besuchen, um so etwas wieeine abger<strong>und</strong>ete, abgeschlossene Qualifizierungzu erreichen.Jeder Ausbildungsgang wird ein Einstiegsseminarenthalten. Wir gehen aber davon aus,dass es nach dem Einstiegsseminar keine festgelegteReihenfolge der Module gibt. Die Kolleginoder der Kollege soll sich entsprechendihrer aktuellen Bedarfe <strong>und</strong> Interessen dieModule in der Reihenfolge selbst zusammenstellen können.Da wir es nicht nur mit Teilnehmerinnen <strong>und</strong>Teilnehmern zu tun haben, die geplant <strong>und</strong>gezielt solche Ausbildungsgänge besuchenwerden, wollen wir auch die Möglichkeitschaffen, in einen Ausbildungsgang seitlicheinzusteigen, entsprechend des Interesses <strong>und</strong>der Motivation des einzelnen Teilnehmers.Dann ist Ziel, dass unsere pädagogischen Mitarbeiterinnen<strong>und</strong> Mitarbeiter den betreffendenTeilnehmer intensiv beraten <strong>und</strong> ihn anleiten,den gesamten Ausbildungsgang zu besuchen.Wir überlegen ebenfalls, einen solchenAusbildungsgang zu zertifizieren, durcheine qualifizierte Teilnehmerbestätigung.Ich denke, das ist heute der richtige Weg, erworbeneQualifikationen über ein solchesZertifikat auch auszudrücken <strong>und</strong> den Kolleginnen<strong>und</strong> Kollegen zur Verfügung zu stellen.Neben den beiden modularen Ausbildungsgängen„VL-kompakt“ <strong>und</strong> „BR-kompakt“, diesozusagen die Gr<strong>und</strong>lage auf der Ebene derBildungsstätten darstellen, werden wir darüberhinaus weitere aufgabenorientierte Ausbildungsgängeanbieten. Hier steht der zukünftigeAufgabenbezug unserer Kolleginnen<strong>und</strong> Kollegen im Mittelpunkt:◆ als Tariffachleute im Lohnausschuss,◆ als Sicherheitsfachkräfte, etc.Ebenso denken wir an einen Ausbildungsgangfür Referentinnen <strong>und</strong> Referenten. Vorstellbarsind weitere Ausbildungsgänge für ehrenamtlicheBerater <strong>und</strong> Mitarbeiter in Netzwerkenwie für Wirtschaftsausschussmitglieder,um nur zwei Beispiele zu nennen.Diese aufgabenorientierten Ausbildungsgängesollen die notwendige Vertiefung für Spezialaufgabenbringen.Daneben wollen wir in der Säule des lebensbegleitendenLernens <strong>und</strong> der Zukunftswerkstatteine themenorientierte Qualifizierung<strong>und</strong> Weiterbildung anbieten. Wir denken hierbeian etwa zehn Seminartypen, die wir jährlichaktualisieren wollen. Sicher nicht alle jedesJahr - aber ich denke, dass wir drei odervier entsprechend der aktuellen Situation jeweilsaustauschen werden.Diese zehn Seminartypen wollen wir in diesenThemenfeldern anbieten:◆ Gewerkschaftliche/gesellschaftspoliti-sche Fragen<strong>und</strong> historische Themenmit aktuellem Bezug,◆ Politische Ökonomie <strong>und</strong> Wirtschafts-theorie,◆ strategische, betriebspolitischeFragen,◆ tarifpolitische Strategiefragen.Weitere Themenfelder sind vorstellbar.Bei all diesen Seminaren gehen wir davon aus,dass sie zum einen aktuell sind, dass sie zumandern strategisch ausgerichtet <strong>und</strong> zukunftsorientiertsind. Alle Seminare oder Module, diewir zukünftig anbieten, ob in der Nachwuchsqualifizierungoder im Bereich der Weiterbildung,werden attraktive Themen im Titel haben.Wir wollen weg von den heutigen Bezeichnungenwie A II oder BR II, die für viele Teilnehmer,insbesondere die, die nicht über organisierteZugänge kommen, nicht aufschlussreich<strong>und</strong> interessant sind. Uns geht es um attraktiveTitel, die auch einen Anreiz für den Se-


Wolf Jürgen Röderminarbesuch bilden.Diese Struktur, die ich hier im Groben vorgestellthabe, die unserem jetzigen Diskussionsstandentspricht, soll die bisherige Angebotsstrukturdes zentralen Seminarplans ablösen.Damit verb<strong>und</strong>en ist gleichzeitig die Reduzierungder heute über 100 Seminartitel indem „Neckermann-Katalog“ unseres aktuellenBildungsangebotes - wie einige ja böswilligsagen - auf eine geringere Anzahl von Seminartiteln.Mit dieser Struktur wollen wirauch einen Beitrag leisten zu der größerenTransparenz unseres Systems, das heute zuunübersichtlich geworden ist.Lasst mich noch etwas genauer eingehen aufdie modularen Ausbildungsgänge.Wie schon gesagt, ein modularer Ausbildungsgangbesteht aus ca. vier bis sechs Seminaren.Jeder modulare Ausbildungsganghat ein Einführungsseminar. Vorstellbar sindhier Themen wie „Gr<strong>und</strong>lagen gewerkschaftlicherInteressenvertretung“.Es soll aber zugleich auch eine Beratung fürdie Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmer über dieGestaltung der zukünftigen Qualifizierungenthalten.Mögliche Themen für den AusbildungsgangVertrauensleute haben wir hier aufgeführt:Ich denke, dass insbesondere in der Ausbildungder Vertrauensleute wieder eine tarifpolitischeGr<strong>und</strong>lagenbildung erfolgen muss.Wir alle wissen, wie sehr in den letzten Jahrendie Gr<strong>und</strong>qualifikation in einem zentralenHandlungsfeld unserer Arbeit verloren gegangenist. Tarifpolitik muss ein Bestandteilder Gr<strong>und</strong>qualifizierung aller Vertrauensleutesein.Genauso wollen wir ein Seminar mit Themender politischen Ökonomie für alle Vertrauensleuteanbieten. Hier geht es um gesellschaftspolitischeGr<strong>und</strong>positionen wie auch um diemeiner Meinung nach dringend erforderlicheQualifizierung ökonomischer Kompetenzenbei unseren Vertrauensleuten.Ebenso sind Seminarschwerpunkte zur sozialmethodischenKompetenz vorstellbar.Der Ausbildungsgang für die Betriebsräte hateine ähnliche Gr<strong>und</strong>struktur:Ausgehend von einem Einführungsseminarbauen sich darauf verschiedene Module auf.Hier sind als Themen vorstellbar:◆ Beschäftigungspolitik für Betriebsräte,◆ Arbeitszeitfragen,◆ rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen wie auch Themenaus dem sozial-methodischenBereich, so z.B. Kommunikation <strong>und</strong>Konflikt.Bei der Gestaltung dieser modularen Ausbildungsgängeist es für uns eine große Herausforderung,die Vergleichbarkeit der Modulebzw. Seminare, was die Inhalte <strong>und</strong> die Didaktikbetrifft, zwischen den Schulen zu gewährleisten.Die Einführung modularer Ausbildungsgängeist für uns verb<strong>und</strong>en mit dem Aufbau einesSystems der Qualitätssicherung unserer Seminare,über das wir gemeinsam Kriterien vonMindestinhalten, Didaktik <strong>und</strong> Methodik entwickelnwollen.Es ist unser Ziel, dass an allen Bildungsstättendiese Ausbildungsgänge angeboten werden,es also für den Teilnehmer egal ist, welchesModul er an welcher Bildungsstätte besucht.Sie sollen gleiche Inhalte <strong>und</strong> gleiche Qualitäthaben <strong>und</strong> unseren gemeinsamen Anforderungenentsprechen.Soweit in den Gr<strong>und</strong>zügen unser Vorschlag,unser Modell. Was geschieht nun zur St<strong>und</strong>edamit <strong>und</strong> wie geht es weiter?


Wolf Jürgen RöderAuf der einen Seite werden wir in den nächstenWochen das, was ich heute hier vorgetragenhabe, in einem Papier zusammenfassen<strong>und</strong> der Diskussion in den Bezirken <strong>und</strong> Regionenzur Verfügung stellen. Wir wollen unserModell diskutieren, wir wollen Anregungen,Hinweise <strong>und</strong> Kritik hören, wir wolleneinen Dialog über dieses Modell, um es zuverbessern <strong>und</strong> weiter zu entwickeln. VorläufigerEndpunkt dieses Diskussionsprozesses isteine b<strong>und</strong>esweite Bildungstagung, die wir fürJuni 2002 in Sprockhövel planen. Auf dieserBildungstagung wollen wir gemeinsam weiteran diesen Vorstellungen diskutieren <strong>und</strong> unsüber den gemeinsamen Weg verständigen.Im Jahr 2003 würden wir gerne modellhaftsolche Ausbildungsgänge als Angebot an denBildungsstätten erproben.Neben der Erarbeitung eines Entwurfes für einGesamtkonzept, für den ich heute den Rahmenvorgestellt habe, haben wir bereits aufgr<strong>und</strong>der Zustimmung in den letzten Monatenin vielen Vordiskussionen zu unserem Modellmit konkreten Arbeitsschritten begonnen.Eine weitere Projektgruppe beschäftigt sichgesondert mit Fragen der Qualitätssicherung,mit Standards, mit Fragen der Didaktik, mitden Anforderungen, die wir insgesamt an solcheModule haben.Die Projektgruppen haben ihre Arbeit imSeptember 2001 begonnen. Wir erwarten Ergebnissevon ihnen im 2. Quartal 2002, diewir dann ebenfalls in die Bildungstagung inSprockhövel einbringen.Wir wollen bis zur Bildungstagung in Sprockhöveleine intensive Phase der Diskussionüber diesen Vorschlag, wir brauchen Anregungen<strong>und</strong> Kritik. Dafür sind wir offen.Wir werden in den nächsten Wochen <strong>und</strong>Monaten auf verschiedenen Bildungssachbearbeitertagungen,auf Geschäftsführerkonferenzen<strong>und</strong> in Referentenarbeitskreisen überunsere Vorschläge beraten.Heute freue ich mich auf eine intensive, konstruktive<strong>und</strong> kreative Diskussion mit Euch.Referat:Wolf Jürgen RöderJanuar 2002Wir haben im Vorstandsbereich Bildung zurSt<strong>und</strong>e 4 Projektgruppen eingerichtet - bestehendaus Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern der Bildungsstätten,Abteilungssachbearbeitern <strong>und</strong>Experten aus dem Bildungsbereich.Es gibt jeweils eine Projektgruppe, die einkonkretes Modell eines modularen Ausbildungsgangsfür Vertrauensleute wie für Betriebsräteerarbeitet. Das heißt, diese Projektgruppenerarbeiten anfangs ein Kompetenzprofil,<strong>und</strong> - darauf aufbauend – ein Bündelvon Modulen, das in Summe einen solchenAusbildungsgang bilden soll.


Fotos von der Feier


„Lernen, lernen, lernen:Warum eigentlich?“Prof. Dr. Kh. A. GeißlerAus aktuellem Anlass:Wenn’s ums Lernen geht, kann man dieser Tageviel lernen. Besonders viel lernen lässt sichnach dem 11. September 2001. Bis zu diesemZeitpunkt haben wir das Lernen als jenes Mittelpropagiert, das uns zu neuen <strong>Freiheit</strong>en, zuerhofften Wachstumsraten unserer Volkswirtschaft<strong>und</strong> zur Lösung unserer lästigen Alltagsproblemeverhilft. Das Lernen war bisher füruns die Schnellstraße zu einem quasi-paradiesischenZustand, den wir neuerdings gernemit dem Etikett der „Wissensgesellschaft“ ausgestattethaben. Dieses Denkgebäude ist inNew York, zusammen mit zwei anderen Wolkenkratzern,eingestürzt. Jetzt müssen auchdie lernen, die uns zum Lernen angetriebenhaben. Jetzt weiß man, dass Lernen uns nichtnotwendigerweise weiter bringt. Jetzt habenwir erfahren, dass das Lernen nicht nur Problemelöst, sondern diese auch schafft. Werviel lernt, kann mit dem Gelernten auch vieleszerstören. Das ist eine der Lektionen, die esaus den furchtbaren Ereignissen in den USAzu begreifen gilt. Sie heißt: Lernen, lernen <strong>und</strong>nochmals lernen – unabhängig von zu lernendenInhalten <strong>und</strong> Werten, speziell im Hinblickauf die Anwendung des Gelernten, isthochriskant. Lernen ist gefährlich. Das hattenwir vergessen. Auf brutale Art <strong>und</strong> Weise sindwir daran erinnert worden. Der damalige <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> Vorsitzende, Hans Brummer, hat vor 50Jahren zur Einweihung dieser Bildungsstättedas Motto auf den Weg gegeben: „Immer wiederdie Gegebenheit der Zeit neu studieren.“Genau daran will ich mich halten.Notwendige Vorbemerkung:Zuerst muss ich Sie bitten, folgende Warnungzu beachten: Ich habe größte Zweifel, ob ichfür diesen Anlass zu dem ich als Festrednereingeladen wurde, der richtige Redner bin.Um Ihnen die Möglichkeit zu geben, relativfrühzeitig etwas anderes zu tun als mir zuzuhören,ein Hinweis, was ich mit meinenVorträgen <strong>und</strong> auch meinen Publikationenüberhaupt erreichen möchte.Mit meinen Vorträgen beabsichtige ich zuallererst,das Wissen darüber zu vergrößern,was Menschen <strong>und</strong> Systeme tun, wie sie estun <strong>und</strong> was sie mit Menschen, die von ihnenabhängig sind, tun.Dabei richte ich meinen Blick zuallererst aufdie problematische Seite dessen, was ich beobachte,denn diese gilt es zu verändern. Insbesonderebeobachte ich unseren Umgangmit der Zeit <strong>und</strong> mit dem Lernen. Es ist mirklar, dass man durch Lernen auch mehr <strong>Freiheit</strong>enerlangen kann <strong>und</strong> durch Flexibilisierungmehr Zeitfreiheit, aber – <strong>und</strong> darauf zentriereich meine wissenschaftliche Leidenschaft– Lernen macht auch frei für neue Abhängigkeiten<strong>und</strong> Flexibilität ebenso. Dasheißt selbstverständlich nicht, deshalb aufLernen zu verzichten. Lernen müssen wir weiterhin.Es gibt dazu keine Alternative <strong>und</strong>wenn, dann muss auch diese Alternative erstgelernt werden.Mich interessiert der Zusammenhang von<strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> Zwang, von Autonomie <strong>und</strong>Herrschaft. Wenn die Zuhörer <strong>und</strong> Zuhörerinnenmeiner Vorträge anschließend etwasmehr Bewusstheit davon entwickeln, was siebei ihrem Tun wirklich tun <strong>und</strong> dann auch ahnenoder sogar wissen, was sie mit ihrem Tunerreichen, verursachen oder auch nicht erreichen,dann bin ich höchst zufrieden. Mehrkann man m.E. von Vorträgen eines Wissenschaftlersnicht verlangen, vielleicht zusätzlichnoch etwas gute Unterhaltung.Also, Sie sind gewarnt, Ich werde Ihnen etwaszumuten.


Prof. Dr. Kh. A. GeißlerOhne Bildung keine ChanceAm 09. August dieses Jahres brachte die DeutschePost AG eine Sonderbriefmarke zum lebenslangenLernen heraus. Das ist konsequent<strong>und</strong> liegt im Trend. Auch Briefmarkensind dazu da, etwas zu lernen <strong>und</strong> sei es denerwünschten Sachverhalt, dass wir lebenslanglernen sollen. Aber eine Briefmarke als Lernereignis,das ist schon auch etwas Besonderes.Eine Briefmarke hat – wie viele Dinge, Ereignisse<strong>und</strong> Erfahrungen im Leben – zwei Seiten.Sie hat eine informative <strong>und</strong> eine klebrigeSeite. So eindeutig, so beabsichtigt wie beider Briefmarke aber ist die klebrige Seite seltenim Leben. Was die Post da macht, ist sehr,sehr ehrlich. Die bunte Seite nennen wir üblicherweise„vorne“, die klebrige „hinten“. Dafür den Halt, die Festigkeit zumindest derBriefmarke, die hintere Seite verantwortlichist, interessiert mich diese ganz besonders. Also– Sie können sich schon denken, wo dashinführt – ich werde Ihnen einen Spaziergangüber den etwas klebrigen Hinterhof des lebenslangenLernens in meinem Vortrag anbieten.Die bunte Schauseite bekommen Sie überallin dieser Gesellschaft angeboten –auchbei der Post, für DM 1,10.„Die vielen Hochschulprogramme <strong>und</strong> Angeboteder Erwachsenenbildung, die ich ewig inmeinem Briefkasten finde, beweisen mir, dassich in einer Spezialadressenkartei für Schulversagerstehen muss“. Es lohnt sich, über diesenzitierten Satz hinaus in Woody Allens kleinerSatire über die amerikanische Erwachsenenbildungsszeneweiterzulesen. Denn diedort treffend karikierte Situation trifft auch fürunseren Bildungsmarkt mit jenem Grad anRealitätsgehalt zu, der der Satire ihre Überzeugungskraftverleiht.Bildung, speziell die sogenannte Weiterbildung,wird bei uns immer wichtiger, sienimmt immer mehr Raum ein - in den Briefkästen,aber auch in den Lebens- <strong>und</strong> Erwerbsbiographien.Bildung wird im überall lauthalsgeforderten lebenslangen Lernen zum zentralenFortschrittsprogramm. Und wenn sie – wiedies in einer Wettbewerbsgesellschaft nur allzukonsequent ist - dem "freien Spiel desMarktes" überlassen wird, dann wird sie immermehr auch zum gefragten Konsumgut.Entsprechend wird sie an- <strong>und</strong> feilgeboten. Sogehört es inzwischen auch in Mitteleuropazur Alltagserfahrung, in den täglichen Postsendungenneben Drucksachen, die die Zukunftsvorsorgedurch allerlei Versicherungsangeboteversprechen, immer häufiger Hinweisezu finden, die für den gleichen Zweck „Bildungsmaßnahmen“offerieren. Ganz im Gegensatzzur Entwicklung in der Natur um unsherum, nimmt der Artenreichtum bei diesen"Druck"-Sachen sichtbar zu. Desgleichen findetman im Werbe- <strong>und</strong> Annoncenteil der Tages-<strong>und</strong> Wochenzeitungen zunehmend „Bildung“im Angebot. Die Programme der Bildungsanbieterwerden umfangreicher <strong>und</strong>auch in den Unternehmen geht nichts mehrohne Weiterbildung, keine Anpassung anneue Techniken, kein Karriereschritt <strong>und</strong> auchkeine Organisationsveränderung. Die Arbeitsgesellschaftwird zur allzeit lernenden Gesellschaft– so die allerorten wirksame Einbildung.


Prof. Dr. Kh. A. GeißlerInzwischen lernen alle, nicht nur Individuen.Es lernen Organisationen, Verwaltungen, ja,man glaubt es kaum, es lernen Schulen <strong>und</strong>auch Universitäten spekulieren neuerdingsdamit. Bald werden wir – das ist erwartbar –den lernenden Verkehr, zumindest den auf derStraße, erwarten dürfen.Die Anforderungen zum unentwegten Lernenbedrängen uns; <strong>und</strong> wir „K<strong>und</strong>en“ mit unsereranerzogenen Neigung zum Statusgewinn, lassenuns auch gerne drängen. „Ohne Lernen“,so die Drohung, „keine Chance“. Das wisseninzwischen alle. Es müssen ja auch alle wissen.„Wer aufhört zu Lernen, hört auf zu Leben“– behauptet nämlich die MünchnerVolkshochschule <strong>und</strong> plakatiert dies großformatigin der ganzen Stadt, um noch mehr TeilnehmerInnenvon sich zu überzeugen. Lernenerscheint als das universelle Entwicklungs<strong>und</strong>Veränderungsmodell. Die ökonomischen<strong>und</strong> die gesellschaftlichen Einredungen scharensich derzeit auffällig häufig um Bildungs<strong>und</strong>Lernbegriffe. Die Politiker, die Managerin den Betrieben <strong>und</strong> Spitzenverbänden <strong>und</strong>auch die Wissenschaftler, sie beschwören die„Ressource Geist“. „Wissen“, so ihre Behauptung,„sei der wichtigste Rohstoff der Zukunft“.Dabei führt uns der Weg in eine „Wissensgesellschaft“<strong>und</strong> Lernen soll der vielfachnutzbringende Schlüssel für diese sein! Wirsind unterwegs auf dem ‚Qualification-highway’<strong>und</strong> transportieren dort den „RohstoffGeist“ im immer dichter werdenden ‚Berufsverkehr’von einem Stau in den nächsten. ImmerwährendesLernen – das ist angesagt. EinEntkommen davon scheint es nicht zu geben.Nur mehr der Tod befreit uns davon. Dochmeist nur, wenn man vorher eines dieser Seminare(erfolgsreich?) besuchthat, in denen man das Sterbenlernen kann. Lernen, also nichtnur lebenslang, sondern auchlebenslänglich.„Bildung total“ ist das politischeProgramm, das von einerBildungspolitik konterkariertwird, die nicht viel mehr zubieten hat, als eben diese vollm<strong>und</strong>igeRhetorik. Warum aberdieser sprachliche Aufwand?Warum diese unübersehbareFülle von Appellen? Warum dieDrohung, dass ohne lebenslangeBildungsbemühungen„nichts mehr läuft“, weder dieWirtschaft, noch die Wohlstandsmehrung<strong>und</strong> erst recht nicht die ersehnte,aber immer unwahrscheinlichere Karriere?Die Antwort ist einfach. Unsere Zukunft,so die Botschaft, die gerne mit dem Gespensteiner zunehmend beschleunigten Verfallszeitdes Wissens operiert, liegt in unsererHand (Oder besser: in unseren Köpfen). Essoll, um des ökonomischen Wachstums willen,mehr aus uns Menschen gemacht werden,<strong>und</strong> zwar durch stetige Selbstverbesserung.Nur dann geht’s weiter, wenn es mit unsselbst weitergeht. Nicht die Politik, wir selbststehen unter Zugzwang. Eine seltsame Arbeitsteilung.Für das ständig schlechte Gewissen,zu wenig gelernt zu haben, <strong>und</strong> für die Angst,morgen von gestern sein zu können, dafürsorgen unsere Politiker; alles andere haben


Prof. Dr. Kh. A. Geißlerwir selbst zu erledigen. Ist das die Bildung, diewir uns von ihr erwarten? Ist das die <strong>Freiheit</strong>,die wir durch <strong>und</strong> mit Bildung zu vermehrenhoffen? Bezweifelt werden darf <strong>und</strong> mussdies, wenn man sich die neu geschaffenenLernlandschaften anschaut, Sie sind, wie unsereübrige Landschaft auch, vom Dauerinnovationsdruckgezeichnet. Die Lernwege indiesen Lernlandschaften wurden zu Hochgeschwindigkeitsstreckenausgebaut.Unsere Weiterbildung gleicht mehr <strong>und</strong> mehrden fast-food Errungenschaften unserer „Esskultur“.Gezwungen <strong>und</strong> zwanghaft verschlingenwie die Lehr- <strong>und</strong> Lernstoffe. IBMetwa proklamierte jüngst die „Just-in-TimeWeiterbildung“. Das ist jene Bildung, die nurnoch für den aktuellen Moment ihres Einsatzesmit hohem Verderblichkeitsrisiko bestimmtist. So wird das Lernen ein zentralerTeil unserer Beschleunigungsgesellschaft, inder die Individuen ruhelos ihrer eigenen, immerschneller verfallenden Brauchbarkeit hinterherrennen (müssen).Eine „R<strong>und</strong>-um-die-Uhr-Produktion“ produziert ein „R<strong>und</strong>-umdie-Uhr-Lernen“<strong>und</strong> das ist nicht etwa diegroße <strong>Freiheit</strong>, sondern die lebensumfassendeGlobalisierung der Lernzumutung. Wer aufmerksambeobachtet <strong>und</strong> mit kritischem Geistdie Lernaufforderungen analysiert, merkt,dass Lernen nicht mehr, wie ehemals, eineWahlmöglichkeit von vielen ist, sondern zueiner Notwendigkeit wurde, die nicht seltenvon einer Nötigung nicht mehr zu unterscheidenist.Im Konzept des lebenslangen Lernens, wie esuns heute angepriesen wird, ist der Anspruchauf Reife <strong>und</strong> Sicherheit, aufs Erwachsensein,aufgegeben. Man wird nie mehr erwachsen,muss sich aber ein Leben lang darum bemühen– <strong>und</strong> jede Bildungsveranstaltung dementiert,dass man es vielleicht bereits sein könnte.Wir werden nicht mehr fertig (eher schonfertig gemacht), wir werden permanent als defizitärdefiniert; <strong>und</strong> das heißt, wir können unsimmer seltener als souverän erleben <strong>und</strong> verstehen.Das staatssubventionierte Programmdes lebenslangen Lernens ist, so gesehen, dieVerurteilung zu lebenslanger Dummheit, sowieder endlose, weil aussichtslose Kampf dagegen.Um den Preis einer durchs System aufgezwungenenInfantilität werden wir von unsererUnwissenheit befreit <strong>und</strong> damit lebenslangdem Wettbewerbsprinzip als Scheinselbständigeausgeliefert. Wenn wir immerzulernen müssen, wird das gesamte Leben zurSchule. Dann sind wir – mit einem Ausdruckvon Habermas – „Dauer-Adoleszenten“. Sogesehen produziert das lebenslange Lerneneine infantil-orale Lebensauffassung. Lernsituationenhaben nämlich ein strukturellesHerrschaftsgefälle. Es besteht eine Hierarchiezwischen Lehrenden <strong>und</strong> Lernenden <strong>und</strong> zwischendem „Gelernthaben“ <strong>und</strong> dem „Immerweiter-Lernen-müssen“:Einen festen Platz findenwir nicht mehr. Als Lern-Nomaden, imschlechteren Fall als ewig wandernden Baustelle,müssen wir unser Leben fristen. Dasganze Leben wird zur Vorbereitung auf dasLeben.Bildungspolitisch wurde in den letzten Jahrenein gr<strong>und</strong>legender Perspektivenwechsel vollzogen.Hieß das Bildungsprogramm früher:„Durch Abhängigkeit zur Selbständigkeit“, soverlagert das Konzept des „lebenslangen Lernens“die erhoffte Selbständigkeit in die Zeitnach dem Ende des lebenslangen Lernens. Indemman alles tut, um über Bildung autonomerzu werden, gerät man immer mehr in derenAbhängigkeit. Dies ist die neue Paradoxieder alten Dialektik der Aufklärung. Wobei diesesnicht zuletzt deshalb so gut funktioniert,weil ein lebenslanges Lernen unserer Neigungentgegenkommt, das Altern <strong>und</strong> den Tod zuverdrängen. In der inzwischen ziemlich aufgedunsenenlife-style Vokabel vom „lebenslangenLernern“ hat sich der Geist der Aufklärung<strong>und</strong> d.h. die Idee, sich aus der selbstverschuldetenUnmündigkeit via Lernen befreienzu können, aufgelöst. In der täglichenNötigung, den Bildungszug ja nicht zu verpassen,hat sich die immer schon etwas über-


Prof. Dr. Kh. A. Geißlerzogene Erwartung an eine gelinde Selbstverwirklichungverflüchtigt. Die tägliche DosisWeiterbildung klärt nicht mehr über die Realität<strong>und</strong> die Realitäten auf. Vielmehr produziertsie selbst eine Realität, die vom Scheinder Aufklärung lebt.Die Glücksversprechen – auch die der Aufklärung– werden in einer Marktgesellschaft jagerade nicht erfüllt, da in ihr an den Illusionender Konsumenten <strong>und</strong> nicht an der Einlösungdieser Illusionen verdient wird. Solche Illusionensind letztlich notwendig. Sie sind nicht zuvermeiden. „Denn erst der Schein macht dasLeben berechenbar“ (Bolz). Nur durch <strong>und</strong>mit Illusionen lebt das Leben. Wirkliche Aufklärungwürde allzuviel zerstören. Die Gesellschaft<strong>und</strong> deren Wirtschaftssystem wären inGefahr.Im folgenden die vier wichtigsten Illusionen,ohne die das Weiterbildungssystem nicht sofunktionieren würde, wie es funktioniert. Siemachen die Weiterbildung neben dem Fernsehen,zur größten Illusionsveranstaltung inunserer Republik. Damit wir uns recht verstehen– beide sind produktive Illusionen. Siesind notwendig, wenn wir auf dem Weg derWohlstandsmehrung weiter gehen wollen.1. Die Illusion, dass man durch Lernen klugwird. Diese Illusion verkleidet sich vielfältig<strong>und</strong> bunt. Beispielsweise in der Illusion durchBildungsmaßnahmen soviel Stabilität <strong>und</strong>Orientierung zu finden, dass man nicht gleichdanach wieder Stabilität <strong>und</strong> Orientierung findenmüsste. Ein Beispiel: Seit 500 Jahren wissenwir, dass sich die Erde um die Sonne dreht<strong>und</strong> doch geht weiterhin jeden Tag die Sonne,nicht die Erde, für uns auf <strong>und</strong> unter. Anscheinendbrauchen wir diese Dummheit, um unsin unserer Alltagswelt zu orientieren. Und sieheda – alle machen mit – obgleich sie es besserwissen.2. Die Illusion, dass man durch den Besuchvon Bildungsveranstaltungen unabhängigerwürde. Das lebenslange Lernen, das denMenschen lebenslang als lernbedürftig definiert,zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist.Man ist <strong>und</strong> bleibt ewig Schüler/Schülerin.3. Die Illusion, dass man durch Weiterbildungsozial aufsteigen könne. In dem Moment, woBildung Massenphänomen wird, erfüllt sichdiese Hoffnung weniger denn je. Es gibt nämlichhierdurch mehr Anwärter für eine nichtgrößer gewordene Zahl attraktiver Plätze indieser Gesellschaft.4. Die Illusion, dass man durch mehr BildungArbeit bekommt. Eine Illusion, die der Staatim eigenen Interesse – zwecks Individualisierungvon Problemlagen – massiv fördert. DieRealität zeigt, dass dies, wie nie zuvor, eineuneingelöste Hoffnung ist.Nun ist es ein leichtes, im Einzelfall nachzuweisen,dass dies keine Illusionen, sondernRealitäten sind. Aber eben nur im Einzelfall<strong>und</strong> genau diese Einzelfälle braucht es, umdie Illusion generell wirksam werden zu lassen.Die allergrößte <strong>und</strong> höchstwirksame Illusionaber ist es, zu erwarten, dass Bildung freimacht. Dazu einige Anmerkungen:Macht Bildung frei?Es gibt keine Zweifel mehr, wir lernen heutemehr als je zuvor, wir sind flexibler geworden,<strong>und</strong> dies insbesondere auch bei unseren vielfältigenLernaktivitäten. Immer wenigerfühlen wir uns durch autoritäre Vorgaben,durch Traditionen <strong>und</strong> rigide Normen eingeschränkt.Es wachsen das Gefühl <strong>und</strong> die Meinung,unsere <strong>Freiheit</strong> habe zugenommen –speziell durchs Lernen <strong>und</strong> die Vielzahl derMöglichkeiten dazu.Wie realistisch ist die <strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> deren vermeintlicheZunahme? Ein kurzer Blick auf dieDialektik des Fortschritts ist für eine Antwortauf diese Frage unverzichtbar.


Prof. Dr. Kh. A. GeißlerDie Ablösung unseres Alltagslebens von denVorgaben natürlicher <strong>und</strong> überirdischer (göttlicher)Mächte, die wir als „<strong>Freiheit</strong>“, als Befreiungvon einschränkenden Bedingungenerleben, bindet uns heute an jene technischenMittel <strong>und</strong> Medien, mit deren Hilfe wir unsvon Gott <strong>und</strong> der Natur lösten. Dieser Prozessmacht uns notwendigerweise zu lernendenMenschen <strong>und</strong> zwar zu solchen, die zum Lernenverdammt sind. Denn die Ablösung vonGott <strong>und</strong> der Natur nötigt uns, die Maße derOrientierung in dieser Welt selbst zu entwickeln.Dies aber geht nur durch Lernen.Weil nämlich die Maße der Veränderungselbst der Dynamik der Veränderung ausgesetztsind (während die Maße der Natur weitgehendstatisch sind). Wir sind gezwungen,unser Leben immer wieder neu zu normalisieren,weil wir die Normalität des Vorgegebenennicht (mehr) anerkennen. Lernen ist Sinn<strong>und</strong>Ordnungsproduktion in einer zunehmendsinnlosen <strong>und</strong> unordentlichen Welt. Injenem Ausmaß, wie wir uns von der Disziplinierungdurch äußere Bedingungen (Natur,Kosmos, göttliche <strong>und</strong> soziale Instanzen) befreien,müssen wir lernen, uns selbst zu disziplinieren.Weder das soziale Milieu, noch die staatlichenInstitutionen entlasten uns, wie früher,von Entscheidungen. Bei ihnen finden wirheute keine Stütze mehr. Die <strong>Freiheit</strong>en, vondiesen staatlichen Institutionen weitgehendunabhängig zu sein, haben wir mit demZwang getauscht, permanent entscheiden zumüssen, <strong>und</strong> diese Entscheidungen auchselbst verantworten zu müssen. Norbert Eliashat das zum Thema zu seiner Zivilisationsgeschichtegemacht. Eine Reise auf der Landstraße,so sein Hinweis, ist heute nicht wenigergefährlich als vor 500 Jahren. Ehemalsmusste man sich vor Räubern, Tieren <strong>und</strong> besondersvor dem Unbill des Wetters hüten. Fürden heutigen Autofahrer ist so etwas belanglos,da dies alles keine Gefahr mehr darstellt.Dafür aber ist dieser gezwungen, sich immerwieder selbst zu bezwingen <strong>und</strong> zu kontrollieren,indem er sich z.B. durch Sicherheitsgurtein seiner Bewegungsfähigkeit massiveinschränkt, in dem er sich <strong>und</strong> das Automobilpermanent kontrolliert, alle Unaufmerksamkeit<strong>und</strong> Ablenkung bekämpft <strong>und</strong> seineWahrnehmung der wechselnden Geschwindigkeitanpasst. Die Gefahr, die früher vonaußen kam, geht jetzt vom Menschen selbstaus. Von „menschlichem Versagen“ sprichtdie Polizei, wenn ein Autofahrer gegen dreiUhr nachts wegen Übermüdung einen folgeschwerenUnfall baut. Das Auto ist nur einBeispiel von vielen möglichen für unsere sobeliebten Zwangsapparaturen mit ihrem freiheitlichemOutfit.Insbesondere von dieser hier nur beispielhaftdargestellten Notwendigkeit der Selbstkontrolleleben die vielen Bildungs- <strong>und</strong> Beratungsinstitutionen.Und sie leben, wie mansieht, sehr gut damit. Neuerdings besondersjene, die uns schnelle mulitmediale Lernweltenofferieren. Das Telelearning befreit unsvon den häufig unbequemen Schulbänken<strong>und</strong> auch zum Teil von fremdbestimmten Zeitvorgaben.Die Zwänge des richtigen Sitzens,besonders aber jene des Lernens zum richtigenZeitpunkt, die müssen wir uns jetzt selbstantun. Von Belastungen werden wir nicht be-


Prof. Dr. Kh. A. Geißlerfreit. Im Gegenteil, sie werden eher größer,weil wir ja auch weiterhin lernen müssen <strong>und</strong>dieses Lernen zusätzlich auch noch zu organisierenhaben. Nicht mehr Trainern <strong>und</strong> Trainerinnen,Dozenten <strong>und</strong> Dozentinnen gilt esmehr oder weniger brav zu folgen, wir habenuns selbst zu gehorchen. Nicht mehr von anderen(z.B. Lehrenden) müssen wir bewacht<strong>und</strong> kontrolliert werden, wir tun dies inzwischenselbst viel besser. Manchmal reicht jaschon ein funktionierender Wecker dazu.Heute zwingen wir uns zu vielerlei freiwilligenHandlungen. Das haben wir gut gelernt,<strong>und</strong> gelernt haben wir auch, dieses als eineBotschaft der Befreiung zu verstehen.Foucault hat diesen Prozess auf die einprägsameFormel gebracht: „Natürlich konnte mandie Individuen nicht befreien, ohne sie zudressieren“ <strong>und</strong> er konnte sich dabei, wenn ergewollt hätte, auf Rousseau berufen. Dernämlich hat gemeint: „Es gibt keine vollkommenereUnterwerfung als die, der man denSchein der <strong>Freiheit</strong> zugesteht.“ Zumindest habenwir gelernt, so manchen Zwang als <strong>Freiheit</strong>zu sehen. Nie war die Dressur, speziell jene,die wir uns selbst antun, so umfassend wieheute <strong>und</strong> nie hat sie uns so gut wie heute gefallen.Auch das ein Zeichen ihres Erfolges.Warum? Weil wir eine entscheidende Differenzübersehen: Wir machen keinen Unterschiedzwischen dem Wachsen der <strong>Freiheit</strong><strong>und</strong> dem Größerwerden der <strong>Freiheit</strong>en. Niemalszuvor in der Geschichte gab es so vieleMöglichkeiten zum Lernen. Niemals zuvorwaren die Wahlmöglichkeiten, sich zwischenunterschiedlichen Bildungsveranstaltungenentscheiden zu können, so groß wie heute.Die <strong>Freiheit</strong>en haben sich zweifelsohne vergrößert.Aber was ist mit der <strong>Freiheit</strong> geschehen?Noch nie war der Druck, der Zwang aufErwachsene in unserer Gesellschaft so groß,Lernveranstaltungen aufsuchen zu müssen,wie gegenwärtig. Zum Lernen gibt es keineAlternative mehr, beim Lernen dafür mehr alsje zuvor. Kein Ort mehr in dieser Welt, dernicht als Lernort definiert werden könnte.Dank neuer Lerntechnologien muss/darf jetztauch im Garten, am Strand, beim Auto- <strong>und</strong>beim Zugfahren gelernt werden. Hitzefrei, dieschönsten Tage des Schullebens, gibt es in derWeiterbildung nicht. Dafür umso mehr Ermahnungenvon Seiten der Vorgesetzten <strong>und</strong>der Politiker, doch „endlich seine Hausaufgabenzu machen“. Und wer nicht lernen will,der muss an den Folgen seines Nichtlernenslernen, so wie jene, die in unserer Mobilitätsgesellschaftnicht fahren wollen, weggefahrenwerden. Zum Lernen gibt’s wie auch zum permanentenUnterwegssein, keine Alternative,letztlich weil beides auf stete Mobilität zielt.Eine Episode, die der frühere Stuttgarter OberbürgermeisterManfred Rommel weitererzählthat, ist dafür bezeichnend: Auf Gleis 2 desStuttgarter Hauptbahnhofs hatte der Fahrdienstleitergerade den Zug nach Karlsruhezur Abfahrt freigegeben, als plötzlich dreiMänner mit Koffern herbeieilten. Der Bedienstetewirft die Koffer in den anfahrenden Zug,packt zwei Männer, schiebt sie in einen Waggon<strong>und</strong> sagt zum dritten: „Schade, bei Ihnenhat es mir nicht mehr gereicht“. Daraufhin derDritte: „Eigentlich wollte bloß ich verreisen,die anderen haben mich nur zum Bahnhof gebracht“.So etwas kann einem auch beim Lernen passieren.Plötzlich sitzt man in einer Lernveranstaltung,<strong>und</strong> wollte sich doch nur erk<strong>und</strong>igen,wie ein Computer funktioniert. Inzwischengleich die Weiterbildungsszene einemKäfig, der sich auf die Suche nach einem Vogelmacht. Seitdem die Menschen soviel Uhrenhaben, haben sie keine Zeit mehr, <strong>und</strong>seitdem sie so viele Lernmöglichkeiten haben,dürfen sie nicht mehr dumm bleiben.Des Kaisers neue Kleider!Mehr <strong>Freiheit</strong>en sind durch die Expansion derWeiterbildung <strong>und</strong> durch das Anwachsen derLernangebote ohne Zweifel entstanden, mehr<strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> mehr Gerechtigkeit jedoch nicht.


Prof. Dr. Kh. A. GeißlerDas erfahren wir ja auch sonst in diesem sichzunehmend schneller modernisierenden Leben.Als Hotelgast beispielsweise erlebt manganz Ähnliches am morgendlichen Frühstücksbüffet:Dort sind die Wahlmöglichkeitengewachsen, das Frühstück wurde aber dadurchnicht unbedingt besser. Die <strong>Freiheit</strong>zwischen fünf Teebeuteln entscheiden zu dürfenist durch den Nachteil erkauft, den Teenicht mehr serviert zu bekommen <strong>und</strong> zusätzlichnoch eine Auswahl an Teebeuteloffertentreffen zu müssen. Zwar trägt der Kaiser neueKleider, neuerdings besonderes gerne die derschillernden Pluralität <strong>und</strong> die der farbenfreudigenFlexibilität, aber – das sollte man nichtvergessen – auch in neuen Kleidern bleibt erimmer noch der Kaiser.Durch die gravierende Ausweitung der Bildungsbeteiligungder Erwachsenen habensich die gesellschaftlichen Strukturen nichtgr<strong>und</strong>sätzlich geändert. So hat sich die Verteilungdes Produktivvermögens kaum verändert.Nicht das Einkommen wird durch Bildungsbeteiligungneu verteilt, sondern nur dieMöglichkeiten, über Bildungsmaßnahmen zumehr Einkommen zu gelangen. Dies hat u.a.den Effekt, dass die gesellschaftlichen Problemlagenden Individuen aufgebürdet werden.Lernangebote sind dafür das erfolgreichste<strong>und</strong> problemloseste Mittel. Die Ungleichheiten,die Ungerechtigkeiten werden ertragen,weil die Verheißung durch den Besuchvon Bildungsveranstaltungen mitgeliefertwird, dass sich diese durch Lernen verringernwürden. Immer mehr Menschen glauben andie Lebenslagen verändernde Kraft der Weiterbildung.Immer mehr Menschen knüpfendamit an die relativ unrealistischen Verwertungsperspektivenvon Bildung an, speziell anjene, dass über Wissen <strong>und</strong> Können, <strong>Freiheit</strong><strong>und</strong> Macht zu erlangen sei. Mobilität <strong>und</strong> Flexibilität,die Imperative der Erfolgreichen,werden schließlich so zur lebensgestaltendenPerspektive (<strong>und</strong> nur zur Perspektive) derNicht-Erfolgreichen <strong>und</strong> das sichert den Erfolgreichenweiter den Erfolg. Anders ausgedrückt,die Möglichkeiten, immerzu lernen zukönnen, sollen die Ungerechtigkeiten in derGesellschaft <strong>und</strong> speziell die in der Arbeitsweltverdecken <strong>und</strong> damit entschärfen. Eswird so getan, als wären die Ungerechtigkeitender Arbeitswelt Lerndefizite, die dem Einzelnenanzulasten sind. Das wohlbekannte<strong>und</strong> politisch auch immer wieder erfolgreicheMuster, die Opfer gesellschaftlicher Problemlagenzu Tätern ihrer Problemsituation zu machen,lässt sich über Appelle zu Lernanstrengungenbesonders erfolgreich durchsetzen. Sowerden gesellschaftliche Verlierer zu individuellenLernversagern <strong>und</strong> zur Lernunwilligengestempelt. Nicht mehr länger ist es dieFaulheit, die Unwilligkeit zur Arbeit, die denjenigenals moralisches Defizit angelastetwird, die an den Rand der Gesellschaft gedrücktwerden. Es ist heutzutage die vermuteteWeigerung bzw. die zugeschriebene Unfähigkeit,das zu lernen, was den Erfolg garantiert.Nicht mehr durchs Beten <strong>und</strong> seit einigenJahren auch nicht mehr durchs Arbeitenlässt sich das Heil auf Erden finden, nur werlernt, kann auf Erlösung hoffen.Und beim Hoffen bleibt’s dann auch.Italo Svevo hatte das bereits geahnt. Vor 100Jahren hat er uns diese Illusion, dass wirdurchs Lernen zu mehr Wohlstand kommen,mit einer kleinen Erzählung zerstört.„Der Liebe Gott war eines Tages guter Laune<strong>und</strong> sagte: „Ich will die sogenannten Entrechtetenbefreien. Von St<strong>und</strong> an sollen jene, dienichts besitzen, Verstand haben, die Besitzendendagegen einen gänzlich leeren Kopf.Dann wird der Besitz wenigstens zum Teil ohneZweifel bald in andere Hände übergehen.Nach einer Generation erlebte der alte Herreine große Überraschung. Diejenigen, denener den Verstand geschenkt hatte, waren ärmerals je zuvor, <strong>und</strong> die, denen er ihn genommenhatte, waren immer noch reicher geworden.“Svevo konnte damals nicht erahnen, dass sichh<strong>und</strong>ert Jahre später die Weiterbildner in all


Prof. Dr. Kh. A. Geißlerihren unterschiedlichen Ausprägungen, ob alsTrainer, als Dozentinnen, als Kursleiter, alsTeamer – oder wie sie alle heißen <strong>und</strong> nochheißen werden – angetreten sind, Gott beidieser Arbeit zu unterstützen.Es sieht so aus, dass auch Sie nicht erfolgreicherals Gott sein werden.Gr<strong>und</strong> zum feiern?Es geht heute darum, ein Jubiläum zu feiern:50 Jahre <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Bildungsstätte Lohr. DiesenAnlass aber will ich dazu nutzen, noch etwasweiter zurückzublicken. 1872 hielt WilhelmLiebknecht vor dem Dresdner Arbeiterbildungsvereineinen Festvortrag mit dem Titel:„Wissen ist Macht – Macht ist Wissen.“ Liebknechtbediente sich der Formulierung desgroßen englischen Aufklärers Francis Bacon.„Wissen ist Macht“ <strong>und</strong> ergänzte sie durch dieFormel „Macht ist Wissen“ um damit der damaligenliberalen Programmatik: „Wissen istMacht – Bildung macht frei“ etwas entgegenzusetzen.Liebknecht insistierte in seinem Vortragdarauf, dass die Veränderung der gesellschaftlichenVerhältnisse das primäre Ziel derBildungsanstrengungen der Arbeiter sei. Er bestandauf dem gesellschaftsverändernden Potentialvon Bildung, das daraufhin auszurichtenist, dass es wirkliche Bildung erst ermöglicht.Er plädiert quasi für einen pädagogischenMünchhausen-Trick. Bildung, so seineAussage, innerhalb ungerechter Verhältnissemacht nicht frei, nur jene Bildung macht frei,die zur Herstellung gerechter Verhältnisseführt, damit dann in einer gerechten Gesellschaftwahre Bildung erst möglich wird. Kurzgesagt, <strong>Freiheit</strong> erringt man durch politischesHandeln, nicht durch Bildung. Inzwischensind fast 130 Jahre vergangen <strong>und</strong> wir habenes erfahren können, dass Bildung, wenn überhaupt,nur in äußerst geringem Maße zurMehrung sozialer Gerechtigkeit <strong>und</strong> zurEmanzipation der Subjekte beizutragen vermochte.Es gibt eben – um aus einer anderenBildungsstätte zu zitieren, die wie diese hier,auch gerade 50 Jahre alt geworden ist – ausden „Minima Moralia“, es gibt keine richtigesLeben im falschen – <strong>und</strong> richtige Bildungauch nicht.Wenn heute von Bildung, besonders aber vonLernen <strong>und</strong> Wissen gesprochen wird, dannheißt das zuallererst, die Menschen demMarkt unter den Bedingungen der Globalisierungals Ressource zuzuführen. „Macht machtWissen“. Das ist die Formel, mit der die heutigeRealität zu beschreiben wäre. Dass ichheute mit vielen anderen Menschen weltweitlernen muss, was Seperatorenfleisch, was einOzonloch <strong>und</strong> eine Bio-Tonne ist, das ist dochnicht Zeichen meiner Macht , sondern meinerOhnmacht.Bei jener <strong>Freiheit</strong>, die uns auch heute noch<strong>und</strong> mehr denn je für unsere Lernbemühungenversprochen wird, handelt es sich um diegleiche <strong>Freiheit</strong>, die uns der ADAC vor einemJahrzehnt versprach, als er freie Fahrt für freieBürger forderte. Es ist die <strong>Freiheit</strong>, schnell imStau landen zu können. Die <strong>Freiheit</strong>svorstellungdes ADAC ist die Karikatur der <strong>Freiheit</strong>,ebenso wie der postmoderne Klon den wir„Arbeitskraftunternehmer“ nennen, die Persiflageauf den souveränen Menschen ist.Er hat das gleiche Verhältnis zum wirklichSelbständigen wie der Bic Mac zum guten Essen<strong>und</strong> die Life-Sendung zum wirklichen Leben.Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass vor25 Jahren, als man an dieser Bildungsstättekonsequenterweise den Sachverhalt feierte,ein viertel Jahrh<strong>und</strong>ert alt geworden zu sein,man am Ende der Jubiläumsfeier singenderweisealle Brüder aufforderte, sich zur Sonne<strong>und</strong> zur <strong>Freiheit</strong> hin zu bewegen. Nun ja, dieZeiten haben sich geändert. Trotzdem scheintes mir ein Missverständnis zu sein, wenn diesesProgramm in jenem Sinne verstandenwird, die Sonne in Mallorca <strong>und</strong> die <strong>Freiheit</strong>in Lernveranstaltungen zu suchen.


Prof. Dr. Kh. A. GeißlerEs tut mir leid, Ihnen keine allzu hoffnungsfroheBotschaft überbringen zu können. Das wäreauch sehr widersprüchlich, da ich Ihnen jazu zeigen versuchte, dass mit Lernen, Bildung<strong>und</strong> Wissen die Menschen eher an das Seilder Hoffnung angeb<strong>und</strong>en als von diesem befreitwerden. Und das nicht erst seit heute.Seit heute aber geschieht dies lebenslang –oder besser: lebenslänglich. An solcher sanfterVorm<strong>und</strong>schaft haben wir mehrheitlichGefallen gef<strong>und</strong>en. Trotzdem dürfte es m.E.etwas mehr sein. Träumen wir wenigstens voneinem Zustand, in dem die Subjekte es ablehnen,sich den machtstabilisierenden Verführungendes Lernens zu unterwerfen. Träumenwir von einer Lernkultur, in der die Lernendennicht mehr zu der sie mit endloserHetze belastenden Aufgabe verurteilt werden,ihrem immer rascher verfallenden Marktwerthinterherzulaufen.Zu lernen wäre also zuallererst, vom Lernenals Problemlöser Nummer Eins wieder loszukommen,<strong>und</strong> zu lernen wäre, dass Lernennicht der Königsweg zur <strong>Freiheit</strong> ist.Lasst Euch – durch noch so viele Lernanstrengungen– bitte nicht dumm machen!!!Aber wir sollten nicht nur träumen, um denAlltag von seinem Grau zu befreien. Eine andereMöglichkeit besteht auch darin, zu feiern.Wer feiert, muss nicht lernen. Feiernmacht frei, viel mehr als es das Lernen tut.Und wenn eine Institution des Lernens zu feiernversteht, dann weiß sie von dieser Realität.Und sie weiß auch um die Tatsache, dassLeben nicht identisch mit Lernen ist <strong>und</strong> Wissennicht mit Macht.Macht Euch also ans Feiern <strong>und</strong> benehmtEuch möglichst dabei nicht allzu feierlich.Zum Weiterlesen:Geißler Kh. A./Orthey F. M.: Der große Zwangzur kleinen <strong>Freiheit</strong>. Berufliche Bildung imModernisierungsprozeß. Hirzel-Verlag, Stuttgart1998.


Fotos von der Feier


Zur Geschichte der Bildungsstätte Lohrvvon Wolfgang Kucerav”Für <strong>Frieden</strong>, <strong>Freiheit</strong>, Fortschritt””Für <strong>Frieden</strong>, <strong>Freiheit</strong>, Fortschritt”. Mit diesenWorten -begleitet von drei Hammerschlägen -wurde am 28. März 1951 der Gr<strong>und</strong>stein der<strong>IG</strong>-<strong>Metall</strong> Bildungsstätte gelegt. Am 27. Juliwar Richtfest <strong>und</strong> nach einem halben JahrBauzeit wurde am 29. September 1951 demVorsitzendender <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>Hans Brümmervon den ArchitektenHebebrand<strong>und</strong>Schlempp derSchlüssel übergeben.Warum wurde inLohr gebaut?Hans BrümmerGerüchte besagen,dass Alois Wöhrle auf einer Autofahrtvom Anblick des Beilsteins so angetan gewesensei, dass er sich entschloss, in Lohr <strong>und</strong>damit in seiner Heimat Bayern die zweite Bildungsstätteder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> bauen zu lassen.Kurz zuvor war bereits die Schule Heidehof inDortm<strong>und</strong> errichtet worden.Schon ab 1926 bis zu deren Besetzung durchdie Nationalsozialisten im März 1933 unterhieltder Deutsche <strong>Metall</strong>arbeiterverband eineWirtschaftsschule in Bad Dürrenberg bei Leipzig.Heidehof <strong>und</strong> Lohr führten diese Bildungstraditionfort. Alois Wöhrle, Vorstandsmitgliedder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, gab die Losung aus:Alois Wöhrle im GesprächHeidehof in Dortm<strong>und</strong>”Schulung, die Organisationsaufgabe Nummer1”. Nach Auffassung des Vorstands der <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> konnte in einer kapitalistischen Wirtschafteine effektive Interessenvertretungzukünftig nur durch gut ausgebildete Gewerkschaftsfunktionäregeleistet werden. Um diesemZiel auch in überregionalen Lehrgängen


Geschichtegen des Jahres 1951 wurden unter anderen Tarifkommissionsmitglieder,Ortsvorstände, Revisoren<strong>und</strong> auch Kassierer fortgebildet. Trotzgeringer Freistellungsmöglichkeiten war derBedarf an Seminarplätzen größer als das Angerechtzu werden, errichtete die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> inLohr die erste moderne Bildungseinrichtungnach Gründung der Einheitsgewerkschaft. Siehatte Vorbildcharakter auch für andere Gewerkschaften.Für den Bau <strong>und</strong> die Ausstattungder Schule wurde eine halbe MillionMark ausgegeben, zudem zwei hauptamtlicheLehrkräfte sowie Verwaltungs- <strong>und</strong> Hauspersonalangestellt.Am 1. Oktober begann der Seminarbetriebmit einem Lehrgang für 45 junge Gewerk-Hans-Jürgen Wischnewskischafter. Bemerkenswert ist der Stellenwert,den der Vorstand der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> der gewerkschaftlichenJugendbildungsarbeit beimaß.Schnell spielte sich der Lehrbetrieb in derneuen Schule ein. In den weiteren Lehrgän-


Geschichtegebot. Von Anfang an unterstützten Gastreferenten,insbesondere für Wirtschaft <strong>und</strong> Sozialpolitik,sowie Vorstandsangestellte die Lehrer derSchule.Plänen der Architekten Hommel <strong>und</strong> Partner.Das Haus 1 mit Lehreinheit, Küche, Speisesaal<strong>und</strong> Verwaltung wurde abgerissen <strong>und</strong>neu aufgebaut. Das Haus 2, der sogenannte”Optimale Voraussetzungen geschaffen””Optimale Voraussetzungen geschaffen für dieBildungsarbeit der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>” so betitelte dasLohrer Echo ihren Bericht über den Umbau derBildungsstätte 1986. Schon 1951 bescheinigtedas DGB-B<strong>und</strong>esvorstandsmitglied Bührig demNeubau der Schule eine ”geschmackvolleZweckmäßigkeit”. Mit der Erweiterung der Bildungsstättewurde ein Beschluss des Gewerkschaftstagesvom September 1965 umgesetzt, dieBildungskapazitäten zu erweitern. Nun war esmöglich, statt einem Lehrgang drei Seminare zuje 24 Personen parallel durchzuführen.In den Jahren 1984 bis 1986 erfolgte eine gr<strong>und</strong>legendeUmgestaltung der Bildungsstätte nachBettenbau, wurde entkernt <strong>und</strong> weitgehendneu gebaut. Lehreinheiten, die Verwaltungsräume<strong>und</strong> Freizeiteinrichtungen in Haus 3wurden gr<strong>und</strong>legend renoviert <strong>und</strong> dem Neubauangeglichen. Zudem erfolgte eine Umgestaltungder Außenanlagen. Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> investierteüber 50 Millionen in die neugestalteteBildungsstätte. Sie beschritt neue Wegedurch eine moderne <strong>und</strong> außergewöhnlicheArchitektur. Auch die Einrichtung der Bildungsstättewandelte sich im Laufe der Jahre.Immer wieder wurde sie den Anforderungender Zeit <strong>und</strong> der Technik angepasst.


GeschichteIn den drei großen Bauphasen wurde ein Gebäudegeschaffen, das den sich wandelndenAnforderungen der gewerkschaftlichen Bildungsarbeitgerecht wird. Die gestiegenezunächst 28 Doppelzimmern auf heute 63Zimmer, weitgehend Einzelzimmer, mit Dusche<strong>und</strong> WC, eine Umstrukturierung der Lehreinheitenvon einem Großlehrsaal auf heutefünf Seminarräume mit zugeordneten Arbeitsgruppenräumen<strong>und</strong> eine Ausweitung desFreizeitangebots der Bildungsstätte von Sportmöglichkeitenüber Sauna <strong>und</strong> Fernsehräumenbis hin zur ”Lohrer Stube”. Ein nicht unbeträchtlicherTeil der Baukosten wurde fürdie ökologische Einbettung des Gebäudes indie Main-Spessart-Landschaft investiert.Nachfrage an Bildungsangeboten, neue Methodenin der Bildungsarbeit <strong>und</strong> nicht zuletztdie Wünsche der Teilnehmer bedingten eineAusweitung des Unterkunftsbereichs von


Geschichte”... immer wieder die Gegebenheiten derZeit neu studieren””... immer wieder die Gegebenheiten der Zeitneu studieren”. Diese Losung gab Hans Brümmerzur Eröffnung der Bildungsstätte Lohr aus.Alois Wöhrle begründete schon 1950 dieSchulungsarbeit der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>:”Was wir auch wollen ist, dass unsere Funktionärenicht nur theoretisches Wissen vones Funktionäre heranzubilden, die neben demWissen auch Verantwortungsbewusstsein <strong>und</strong>genügend Entschlusskraft besitzen, um allenan sie herantretenden Anforderungen gewachsenzu sein.” Gewerkschaftliches Bewusstsein,Fachwissen <strong>und</strong> Zweckbildung fürdie sozialen Auseinandersetzungen sind inden Diskussionen zur Bildungsarbeit bis heuteaktuell.der Schule mit nach Hause bringen, sonderndass ihre Verb<strong>und</strong>enheit mit der Organisationtiefer <strong>und</strong> inniger geworden ist. Unser Ziel istDie Lehrgänge der ersten Jahre dienten derGr<strong>und</strong>lagenbildung der gewerkschaftlichenFunktionäre. Gewerkschaftliche Erfahrungenwaren nach dem Faschismus kaum vorhanden.Daher musste ein hoher Nachholbedarfan gewerkschaftlicher Wissensvermittlung bewältigtwerden. Die verschiedenen Referenteneines Lehrgangs versuchten demokratischesHandeln, Interessenvertretung <strong>und</strong>


GeschichteIn den 60er Jahren musste die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> in einerbereits abklingenden Konjunkturphaseheftige Verteilungskämpfe führen. Das beeinflussteauch die Bildungsarbeit. Die Wachstumsideologieder sogenannten Wirtschaftsw<strong>und</strong>erzeitwurde zunehmend in Frage gestellt,die Wirtschaftskrise in der zweiten Jahrzehnthälfte<strong>und</strong> auch die Theoriediskussionender Studentenbewegung ließ Systemkritik inden Lehrgängen spürbar werden. Nur langsambegann ein Methodenwechsel in denLehrgängen. Überlegungen zu einer angemessenenPädagogik für arbeitende Menschen,angepasst an deren konkrete Lebenserfahrung,wurden angestellt. Teilweise führtendie Referenten aus der Jugendbildungsarbeitübernommene Lehrmethoden ein.Gr<strong>und</strong>lagen des Wirtschaftslebens zu vermitteln.In der Zeit des Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers <strong>und</strong>des Kalten Krieges hielt man sich zumeist „politischneutral“, forderte aber soziale Gerechtigkeit.Die Inhalte der einzelnen Lehrgängeunterschieden sich nur in wenigen Punkten,die auf die eingeladene Personengruppe abgestimmtwaren. Die Gr<strong>und</strong>lagenbildung erstrecktesich so über nahezu alle Seminare.Unterrichtet wurde im Vortragsstil vor bis zu56 Personen.Das für die Bildung zuständige Vorstandsmitglied,Heinz Dürrbeck, förderte diese Bestrebungen.Mit der Formel: ”Der Bildungsetatder <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> ist unser Rüstungsetat” trieb erdie Ausweitung der zentralen <strong>und</strong> auch regionalenBildungsarbeit voran. Die Erweiterungder Bildungsstätte Lohr bot die Möglichkeit,bis zu drei Seminare mit je 24 Teilnehmerndurchzuführen, die zudem methodisch lebendigerwurden: Arbeitsgruppen wurden eingerichtet<strong>und</strong> es gab Fortgeschrittenenlehrgängeparallel zu den Gr<strong>und</strong>seminaren.In den 70er Jahren brach das sogenannte Wirtschaftsw<strong>und</strong>erendgültig zusammen, die Arbeitslosenzahlenstiegen nachhaltig. Zunächstwirkte sich jedoch die Reformperiode der sozialliberalenRegierungskoalition mit der Re-


Geschichteformierung des Betriebsverfassungsgesetzes<strong>und</strong> dem Mitbestimmungsgesetz auf die Bildungsarbeitaus.Seminare. Neben neuen Themen wie Geschichteoder Ökologie wurde auch eine neueUnterrichtsmethode eingeführt. Die Seminarewurden von Referenten im Team geleitet.Nach Fachgebieten zergliederter Unterrichtveränderte sich nun zugunsten einer "ganzheitlicheren"Methode. Im Seminar wurdenZusammenhänge veranschaulicht, die Kolleginnen<strong>und</strong> Kollegen zum selbständigen Lernenangeleitet. Ein Teilnehmer berichtet:”Früher haben die Lehrer vorn gestanden <strong>und</strong>Das Seminarangebot wurde ausdifferenziert,neue Seminartypen hielten Einzug,Fachwissen für Betriebsräte sollte vermitteltwerden <strong>und</strong> gewerkschaftspolitischesBewusstsein vertieft werden. Für Angestellte,Frauen, ausländische Kolleginnen <strong>und</strong>Kollegen gestaltete die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> eigenegeredet <strong>und</strong> geredet, <strong>und</strong> bei Unterrichtsschlusswarst du kaputt... Heute fängt die Diskussionschon früh am Morgen an, <strong>und</strong> sehroft hört sie um Mitternacht auf.”Die großen Herausforderungen für die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>waren in den 80er Jahren der Kampf umdie 35-St<strong>und</strong>enwoche <strong>und</strong> damit der Kampfgegen die Arbeitslosigkeit, der daran anschließendeKampf gegen die Änderung des§ 116 Arbeitsförderungsgesetz sowie derKampf gegen die Sozialpolitik der RegierungKohl. Diese Kämpfe forderten auch die Bildungsarbeit.Die Auseinandersetzung um dieArbeitszeitverkürzung war allgegenwärtig in


Geschichteder Bildungsstätte. Arbeitskämpfe wurden geprobt<strong>und</strong> neue Formen der Öffentlichkeits<strong>und</strong>Kulturarbeit entwickelt.nahestehende Organisationen. Die Bildungsstättebietet zudem ein eigenes Programm fürBetriebsräte an, das Seminare, Trainings- <strong>und</strong>Beratungsangebote umfasst <strong>und</strong> auf die Entwicklungvon persönlichen, fachlichen <strong>und</strong>politischen Kompetenzen zielt. Es gibt betriebsnahe<strong>und</strong> praxisbegleitende Bildungsarbeitmit Vertrauensleuten <strong>und</strong> Betriebsräten.Mit Verwaltungsstellen <strong>und</strong> Betrieben werdenIn den letzten Jahren hat sich das Seminarangebotder Bildungsstätte ausgeweitet.Neben den zentralen politischen Gr<strong>und</strong>lagen-<strong>und</strong> Betriebsratsseminaren der <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> werden in Lohr Kooperationsseminaremit den Bezirken <strong>und</strong> Verwaltungsstellenangeboten, führen Bildungsregionenihre Einführungsseminare durch oderes tagen andere gewerkschaftliche oder„maßgeschneiderte“ Bildungs- <strong>und</strong> Beratungsangeboteentwickelt.”Lebendiges Lernen erfordert ein hohesMaß an Wohlbefinden””Lebendiges Lernen erfordert ein hohes Maßan Wohlbefinden.” Den Teilnehmerinnen <strong>und</strong>Teilnehmern der Seminare, die sich tagsüber -oft in anderer Weise wie im betrieblichen Alltaggewohnt - konzentrieren müssen, versuchtdie Bildungsstätte ein reichhaltiges Ausgleichsangebotzu bieten. Ob bei Sport, Kulturoder Geselligkeit <strong>und</strong> nicht zu vergessen der


Geschichtereizvollen Umgebung kann Erholung <strong>und</strong>Kraft gef<strong>und</strong>en werden. Nicht allein die Bildunglässt ein abger<strong>und</strong>etes Seminarerlebnisentstehen. Zum Motto ”gemeinsam lernen,gemeinsam handeln” gehört auch die in derAtmosphäre der Kollegialität <strong>und</strong> Solidaritätgemeinsam verbrachte Freizeit. Gutes Essen<strong>und</strong> ansprechende Unterkunft gehören zu denelementaren Bedürfnissen der Menschen.Auch hier ging die Bildungsstätte mit der Zeit.Die Ansprüche der Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmeran eine sinnvolle Freizeitbeschäftigungsind verschieden. Die eine versucht,sich in körperlicher Bewegung bei Volleyballoder Kegeln, ein anderer wandert lieber aufden Beilstein oder sieht sich das historischeFischerviertel in der Stadt Lohr an. Wieder anderesuchen geistige Entspannung, entwederklassisch in der Bibliothek oder auch durchsurfen im Internet.Wer schon am Tag im Seminar hart arbeitet,läuft abends in der Kneipe oft zu Hochformauf. Viele Probleme konnten so im Kreis derKolleginnen <strong>und</strong> Kollegen besprochen werden,manche ”Revolution” wurde schon beschlossen.Ob dabei die Hausordnung immerso streng eingehalten wurde, sei dahingestellt.


Geschichte”Kunst – Kultur <strong>und</strong> sonstiges Theater””Kunst – Kultur <strong>und</strong> sonstiges Theater” ist essentiellerBestandteil der gewerkschaftlichenBildungsarbeit. Kultur in der BildungsstätteAusstellung „Kunst in der Werkhalle“ der Universität Augsburg in Lohrbedeutet über den eigenen Tellerrand zublicken, über sinnliches Erleben oder durchkünstlerische Darbietungen neugierig zu werden<strong>und</strong> sich so neue Zugänge zur politischenEin Seminarabschlussabend Oktober 1994Auseinandersetzung bzw. gewerkschaftlichenÖffentlichkeitsarbeit zu schaffen.


GeschichteKultur in der Bildungsstätte bedeutet abernicht nur Kultur konsumieren, sondernauch selbst kreativ sein. Ob kritisches Kabarettbei den Abschlussabenden der Seminareoder beim Internationalen Frauentag, beiMedienarbeitsgruppe in den 80er Jahren”Nicht nur eine Schule, sondern auch eineBegegnungsstätte””Nicht nur eine Schule, sondern auch eineBegegnungsstätte” so Karlheinz Hiesinger anlässlichder Feier zum 40jährigen Bestehender Bildungsstätte Lohr. Hier begegnen sichDemonstration gegen den Golfkrieg in Frankfurt 12. Januar 1991Angeboten wie Papierschöpfen oder Linolschnitt,beim Malen mit Acrylfarben oderauch in einer Filmgruppe übten sich viele Kolleginnen<strong>und</strong> Kollegen in künstlerischerBetätigung. Sie entdeckten bei sich ungeahnteFähigkeiten <strong>und</strong> lassen so auf phantasiereichegewerkschaftliche Aktionen hoffen.nicht nur die Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen beiSeminaren oder Tagungen. Die Bildungsstätteist auch ein Ort der Kommunikation zwischender <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>und</strong> interessierten Bürgern der


GeschichteStadt <strong>und</strong> des Umlandes. Schüler besuchenmit ihren Lehrern Kunstausstellungen in derBildungsstätte. Lohrer Künstler stellen ihreWilli Brandt besucht die Bildungsstätte LohrAusstellung „Arbeit in der Kunst“Werke aus. Die Gewerkschaftsarbeit vor Ortwird unterstützt.der <strong>Frieden</strong>sbewegung <strong>und</strong> dem Antikriegstag,über Aktionen gegen den Sozialabbau,gegen Neofaschismus <strong>und</strong> gegen Ausländerfeindlichkeitbis zur Hilfe im internationalenRahmen. Auch die internationale Solidaritätmit Gewerkschaftskolleginnen <strong>und</strong> Kollegenkam nicht zu kurz.„Weihnachtsmänner“ demonstrieren 1983 für die 35-St<strong>und</strong>enwocheSchon immer wurden in der BildungsstätteGäste empfangen. Hochrangige Gewerkschafter<strong>und</strong> Politiker kamen in die Bildungsstätte,aber auch Besucher von Ausstellungenoder anderen Kulturveranstaltungen. Das Engagementder Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen ausder Bildungsstätte reichte über die Jahre von


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Jahrgang 2001 / Nr. 357 Samstag, 29. September 90 Cent - Sa. 2 MarkIm Jahre 1950 beantragte der Vorstand der <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> beim „Hohen Kommissar der Alliiertenfür Arbeitsangelegenheiten“ den Bau derbeiden Gewerkschaftsschulen Lohr <strong>und</strong> Dortm<strong>und</strong>.Im März 1951 wurde die Schule Heidehof,im Oktober des gleichen Jahres dieSchule Lohr feierlich eröffnet. Der damalige1. Vorsitzende der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Hans Brümmer<strong>und</strong> Alois Wörle, zuständig für Bildungsarbeit,eröffneten die Bildungseinrichtung der<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>. <strong>„Für</strong> <strong>Frieden</strong>, <strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> <strong>Fortschritt“</strong>mit diesen Worten, begleitet von dreiHammerschlägen, erfolgte am 28. März 1951die Gr<strong>und</strong>steinlegung der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Bildungsstätte.Am 27. Juli war Richtfest <strong>und</strong>schon nach einem halben Jahr Bauzeit am29. September 1951 wurde symbolisch derSchlüssel von den Architekten an den Vorsitzendender <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> Hans Brümmer übergeben.Bereits am 01. Oktober begann der Seminarbetriebmit einem 3-wöchigen Jugendseminaran dem 45 junge Gewerkschafterteilnahmen.Warum wurde ausgerechnet in Lohr gebaut?Es gibt viele mögliche Erklärungen. Eine sehrwahrscheinliche ist die, dass eine Bildungsstätteim Westen der B<strong>und</strong>esrepublik angesiedeltwar <strong>und</strong> eine weitere in südlicheren Landesteilenerforderlich schien. Seinerzeit arbeiteten2 hauptamtliche Lehrkräfte, sowieVerwaltungs- <strong>und</strong> Hauspersonal an der Bil-


Rote Burgdungsstätte. Zur Durchführung der Seminarewurden auch Vorstandsangestellte <strong>und</strong> Gewerkschaftssekretäreaus anderen Organisationsgliederungender <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> als Gastreferenteneingesetzt. Auch Wissenschaftler warenin den Seminaren tätig, so war beispielsweiseWolfgang Abendroth als Referent im erstenJugendseminar dabei.Der damalige Vorsitzende der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> HansBrümmer hat bei der Eröffnung der BildungsstätteLohr den Auftrag der Bildungsarbeit skizziert:„...immer wieder die Gegebenheitender Zeit neu studieren <strong>und</strong> wir wollen, dassunsere Funktionäre nicht nur theoretischesWissen von der Schule mit nach Hause bringen.Unser Ziel ist es Funktionäre heranzubilden,die neben dem Wissen auch Verantwortungsbewusstsein<strong>und</strong> Entschlusskraft besitzen,um allen an sie herantretenden Anforderungengewachsen zu sein“.Die Lehrgänge der ersten Jahre dienten derpolitischen Bildung der gewerkschaftlichenFunktionäre. Gewerkschaftliche Erfahrungenwaren nach dem Faschismus kaum vorhanden.Daher musste ein hoher Nachholbedarfan gewerkschaftlicher Wissensvermittlung bewältigtwerden. Die Referenten eines Lehrgangsversuchten demokratisches Handeln,Interessenvertretung <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen desWirtschaftslebens zu vermitteln. Unterrichtetwurde meist im Vortragsstil vor ca. 50 Personen.Eine wichtige Aufgabe der Seminare warauch die Auswahl von zukünftigen Funktionärender <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>.In den 60er-Jahren musste die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> in einerabklingenden Konjunkturphase heftigeVerteidigungskämpfe führen. Das beeinflussteauch die Bildungsarbeit. Die Wachstumsideologieder sogenannten Wirtschaftsw<strong>und</strong>erzeitwurde zunehmend in Frage gestellt, die Wirtschaftskrisein der zweiten Jahrzehnthälfte<strong>und</strong> auch die Theoriediskussion der Studentenbewegungließ Systemkritik in den Lehrgängenspürbarer werden. Diese Veränderungenführten auch zu einem Methodenwechselin den Seminaren.Der Vorstand der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> beschloss die Ausweitungder Bildungsarbeit. Die Kapazität derBildungsstätte wurde Anfang der 60er-Jahredurch den Anbau von 2 Seminarräumen erweitert.In den 70er-Jahren veränderte sich der Seminaralltagnachhaltig. Referentenvorträge <strong>und</strong>Frontalunterricht entsprachen nicht mehr denAnforderungen der Bildungsarbeit. SelbstständigesBearbeiten von Themen in Kleingruppendurch die TeilnehmerInnen entsprach denneuen pädagogischen Entwicklungen. DieReformierung der Betriebsverfassung <strong>und</strong> dasMitbestimmungsgesetz wirkten sich auf diegewerkschaftliche Bildungsarbeit aus. NeueAufgaben in der Ausbildung der Betriebsräteführten dazu, dass die Teilnehmerzahlen weiteranstiegen. Das Seminarangebot entwickeltesich entsprechend den neuen Aufgaben immerstärker ausdifferenziert <strong>und</strong> zusätzlicheneue Seminartypen hielten Einzug. Es wurdeverstärkt Fachwissen für Betriebsräte vermittelt<strong>und</strong> die Seminare zur gesellschafts- <strong>und</strong>gewerkschaftspolitischen Bildung wurden intensiviert.Für Angestellte, Frauen <strong>und</strong> ausländischeKolleginnen <strong>und</strong> Kollegen wurden eigeneSeminare durchgeführt. Es hielten weitereneue Themen Einzug, wie die Geschichteder Arbeiterbewegung <strong>und</strong> ökologische Fragen.Die Lehrgangskapazität an der BildungsstätteLohr war schon in den 70er-Jahren ausgeschöpft.Im Zeitraum 1984 bis 1986 wurdedie Bildungsstätte erheblich erneuert <strong>und</strong> umgebaut.


Rote BurgDie großen Herausforderungen für die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>waren in den 80er-Jahren der Kampf umdie 35-St<strong>und</strong>en-Woche <strong>und</strong> damit der Kampfgegen Arbeitslosigkeit. Diese Kämpfe fordertenauch die Bildungsarbeit. Die Auseinandersetzungum die Arbeitszeitverkürzung warzentrales Thema in der Bildungsstätte. Arbeitskampf-formenwurden exemplarisch erprobt<strong>und</strong> neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit<strong>und</strong> Kulturarbeit entwickelt. Die gewerkschaftlicheBildungsarbeit war Zweckbildungfür soziale Auseinandersetzungen.Der nach Fachgebieten untergliederte Unterrichtwurde durch Seminarmethoden abgelöst,die eher selbstständiges Lernen derTeilnehmer ermöglichten. In den Ökologieseminarenbesuchten die Teilnehmer auch dasHafenlohrtal.Jahr kommen fast 2000 Teilnehmer aus demgesamten B<strong>und</strong>esgebiet an die BildungsstätteLohr. Je nach Dauer der Seminare verbringensie insgesamt 15000 Tage in Lohr. Betreut <strong>und</strong>qualifiziert werden sie von 30 Mitarbeiterinnen<strong>und</strong> Mitarbeitern. Die Bildungsstätte wirdauch von den Lohrer <strong>Metall</strong>betrieben genutzt.So tagen die Vertrauensleute von BoschRexroth AG in der Bildungsstätte <strong>und</strong> es treffensich die Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrates.Auch zu Lohrer Künstlern bestehenArbeitsbeziehungen, so hat die Bildungsstätteeine Ausstellung von Lohrer Künstlernim Jahre 1998 durchgeführt, beteiligt sich amLohrer Spessartsommer seit dessen Bestehenmit einer eigenen Kulturveranstaltung <strong>und</strong> beider Veranstaltung zur Feier des 50-jährigenBestehens tritt die Lohrer Kabarettgruppe„Brausepulver“ auf.In den letzten Jahren hat sich das Seminarangebotder Bildungsstätte Lohr ausgeweitet.Neben den gewerkschaftspolitischen Gr<strong>und</strong>lagenseminaren<strong>und</strong> Betriebsratsseminarender <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> bietet die Bildungsstätte ein eigenesProgramm für Betriebsräte an, das Seminare,Trainings <strong>und</strong> Beratungsangebote umfasst<strong>und</strong> auf die Entwicklung von persönlichen,fachlichen <strong>und</strong> politischen Kompetenzenzielt.Es gibt betriebsnahe <strong>und</strong> praxisbegleitendeBildungsarbeit mit Vertrauensleuten <strong>und</strong> Betriebsräten.Es werden Projektmanagementmethoden,Präsentations- <strong>und</strong> Moderationstechnikenvermittelt. Es gibt auch Angebotezur Verhandlungsführung <strong>und</strong> zum Konfliktmanagement.Im Verlauf der Zeit sind die Seminare kürzergeworden. Es gibt keine 6-Wochen-Lehrgängemehr, die Seminare dauern jetzt maximal 1bis 2 Wochen. Außerdem gibt es viele 2- <strong>und</strong>3-Tagesveranstaltungen. Dies hat auch vielmit den veränderten Lebensgewohnheiten<strong>und</strong> Freistellungsmöglichkeiten zu tun. Pro

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