Aristoteles: Der erste unbewegte Beweger (Carsten) - vaticarsten.de

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II. <strong>Der</strong> Gottesbeweis <strong>de</strong>s <strong>Aristoteles</strong>»Denn Verwun<strong>de</strong>rung war <strong>de</strong>n Menschen jetzt wie vormals <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>s Philosophierens (...)«.Diese Aussage <strong>de</strong>s <strong>Aristoteles</strong> aus <strong>de</strong>r Metaphysik läßt sich gera<strong>de</strong>zu als Bekenntnis <strong>de</strong>ssenv<strong>erste</strong>hen, was er als <strong>de</strong>n Ursprung <strong>de</strong>r Wissenschaft Philosophie ansieht: <strong>Der</strong> Anfang allerPhilosophie ist Staunen. Dies ist <strong>de</strong>r Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Weges, <strong>de</strong>r <strong>Aristoteles</strong> zum Philosophierenführte - die Verwun<strong>de</strong>rung über die Mannigfaltigkeit <strong>de</strong>r Phänomene, die er in seiner Umwelt und insich selbst vorfand. Das daraus erwachsend e wissenschaftliche Interesse trieb ihn zu <strong>de</strong>tailliertenBeobachtungen, die ausführlich reflektiert, analysiert und systematisiert wur<strong>de</strong>n. Wer sich mit solcheiner Intensität und Liebe zum Detail <strong>de</strong>n Phänomenen <strong>de</strong>r Welt zuwen<strong>de</strong>t, wie <strong>Aristoteles</strong> dies getanhat, sie ordnet und systematisiert, ist im Jetzt <strong>de</strong>r diesseitigen Welt tief verwurzelt und bedarf keinersolchen Gottesvorstellung, die erst im Jenseits Erfüllung verspricht. Somit liegt <strong>de</strong>m AristotelischenGottesbeweis, <strong>de</strong>r im folgen<strong>de</strong>n nachgezeichnet we r<strong>de</strong>n soll, ein ganz an<strong>de</strong>rer Gottesbegriffzugrun<strong>de</strong>, als <strong>de</strong>r uns aus <strong>de</strong>r christlichen Denktradition geläufige.<strong>Der</strong> Gottesbeweis <strong>de</strong>s <strong>Aristoteles</strong> fin<strong>de</strong>t sich im Buch XII <strong>de</strong>r Metaphysik. Das Buch besteht aus zehnKapiteln und ist klar geglie<strong>de</strong>rt: Kapitel 1-5 thematisieren rein physikalische Probleme und han<strong>de</strong>lnvon <strong>de</strong>r sinnlich wahrnehmbaren Substanz. Erst in <strong>de</strong>n Kapiteln 6-10 wird <strong>de</strong>r eigentlicheGottesbeweis angetreten - sie haben die Metaphysik zum Inhalt, die sich mit <strong>de</strong>r nicht sinnlichwahrnehmbaren Substanz beschäftigt.Zu Beginn <strong>de</strong>s <strong>erste</strong>n Kapitels wird erläutert, worum es im Buch XII gehen soll: »Das Wesen ist <strong>de</strong>rGegenstand unserer Betrachtung; <strong>de</strong>nn die Prinzipien und Ursachen <strong>de</strong>r Wesen wer<strong>de</strong>n gesucht."(MET XII, 235, 1a). <strong>Aristoteles</strong> nimmt eine Einteilung in drei Wesenskategorien vor: Zunächst gibt esvergängliche und unvergängliche Wesen, die bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r sinnlich wahrnehmbaren Wesenangehören. Zu <strong>de</strong>n vergänglichen Wesen zählt er Pflanzen, Tiere und Menschen - sie sindForschungsgegenstand <strong>de</strong>r Physik. Dagegen gehören alle Himmelskörper zu <strong>de</strong>n unvergänglichenWesen und bil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Gegenstand <strong>de</strong>r Astronomie. Zu diesen bei<strong>de</strong>n Wesenskategorien kommt einedritte hinzu, das »unsinnliche« Wesen, welches nur eines ist. Dies ist alleiniges Erkenntnisobjekt <strong>de</strong>rMetaphysik . (ebd., 1c). Es wur<strong>de</strong> bereits erwähnt, daß die Kapitel 1-5 rein physikalische Fragenerörtern, wobei unter Physik die Lehre vom Wer<strong>de</strong>n und von <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung verstan<strong>de</strong>n wird. Somitwer<strong>de</strong>n die Beziehungen zwischen bewegten Körpern hinsichtlich ihrer Ursac he und Wirkunguntersucht. Dabei stößt <strong>Aristoteles</strong> auf die Frage, welches Wesen Ursprung aller Bewegung seinkönnte. Daß dieses Wesen existieren muß, steht für ihn zweifelsfrei fest: »Außer<strong>de</strong>m besteht dasdaneben, was als Erstes alles bewegt.« (MET XII, 24 5, 4e).Nachfolgend soll <strong>de</strong>r eigentliche Gottesbeweis aufgezeigt wer<strong>de</strong>n, wie er in <strong>de</strong>n Kapiteln 6-10dargestellt ist. Im sechsten Kapitel wird bewiesen, daß es ein ewiges, <strong>unbewegte</strong>s Wesen gibt, dasreine Wirklichkeit ist. »Da nun <strong>de</strong>r Wesen drei waren, nämlich zwe i natürliche und ein(...)<strong>unbewegte</strong>(s), so wollen wir nun von diese(m) han<strong>de</strong>ln und zeigen, daß es notwendig ein ewiges<strong>unbewegte</strong>s Wesen geben muß." (MET XII, 249, 6a). Dieses <strong>unbewegte</strong> Wesen wird nun nähererläutert, und diese Aussagen sind für <strong>de</strong>n Gottesb eweis relevant. Das Prinzip <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>ns undHervorbringens reicht als Möglichkeit nicht aus, <strong>de</strong>nn bloßes Vermögen kann in Wirklichkeit nicht sein.Insofern muß <strong>de</strong>m vorausgesetzten Prinzip <strong>de</strong>m Wesen nach Wirklichkeit zukommen, die jedochunstofflich sein mu ß, da je<strong>de</strong>r Stoff <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung unterliegt. Daraus entsteht aber folgen<strong>de</strong>sProblem: Das Wirkliche ist zwar vollständig möglich, aber das Mögliche keineswegs vollständigwirklich. Voraussetzung für die Wirklichkeit aber ist <strong>de</strong>ren Möglichkeit, insofern müß te die Möglichkeitfrüher sein. Just an dieser Stelle spitzt sich <strong>de</strong>r Konflikt zu: Wäre dies wahr, könnte nichts Seien<strong>de</strong>swirklich existieren, <strong>de</strong>nn Existenzmöglichkeit ist keine hinreichen<strong>de</strong> Ursache für Existenz. DiesenGrundkonflikt können auch zwei an<strong>de</strong>r e weltanschauliche Konzepte, die <strong>Aristoteles</strong> kritisiert, nichtlösen. Das sind zum einen die Theologen, die behaupten, daß ein einmaliger Schöpfungsakt aus <strong>de</strong>mChaos (Nacht) die Ordnung (Licht) hergestellt hat. Für die Naturphilosophen hingegen gibt es kei nenSchöpfungsakt, da alle Dinge schon immer beisammen waren (d.h. die Ordnung <strong>de</strong>r Dinge exististiertseit jeher). In <strong>de</strong>r Tat bieten we<strong>de</strong>r Theologen noch Naturphilosophen eine passable Lösung <strong>de</strong>sKonflikts an. Die Frage bleibt bestehen: Wie soll etwas bewe gt wer<strong>de</strong>n, wenn nicht eine Ursache alswirkliche Tätigkeit (d.h. nicht nur als Möglichkeit) vorhan<strong>de</strong>n ist? Weiterhin führt <strong>Aristoteles</strong> auchseinen Lehrer Platon an, <strong>de</strong>r ebenfalls die wirkliche Tätigkeit an <strong>erste</strong> Stelle setzt, wobei hier Tätigkeitein Synon ym für Bewegung ist. An dieser wesentlichen Stelle weist <strong>Aristoteles</strong> seinem LehrerWi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit nach: Setzte Platon tatsächlich das Prinzip <strong>de</strong>r Bewegung an <strong>erste</strong> Stelle, könntedie Seele nur an zweiter stehen. Platons Nomoi zeigen jedoch <strong>de</strong>utlich, d aß er die Seele als das<strong>erste</strong>, unvergängliche und unwan<strong>de</strong>lbare Prinzip bezeichnet. Zu<strong>de</strong>m i<strong>de</strong>ntifiziert Platon dort die Seelemit <strong>de</strong>m Himmel - verwen<strong>de</strong>t somit un<strong>de</strong>utliche Kategorien, mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Empiriker <strong>Aristoteles</strong> nichtsanzufangen weiß (vgl. MET XII, 251, 6d).Das siebente Kapitel beschäftigt sich mit <strong>de</strong>m <strong>unbewegte</strong>n Gotteswesen. Bei <strong>de</strong>m ständigen Kreislaufvon Ursache und Wirkung muß etwas bleiben, das sich gleichmäßig in wirklicher Tätigkeit befin<strong>de</strong>t -im Gegensatz zum Prinzip <strong>de</strong>s ständigen Wer<strong>de</strong>ns und Vergehen s als beständiges, unvergängliches


Prinzip. Dieses muß in zwei Richtungen wirken: <strong>erste</strong>ns in Beziehung auf sich selbst, zweitens inBeziehung auf an<strong>de</strong>res. Nun folgt <strong>de</strong>r <strong>erste</strong> Schritt <strong>de</strong>s Beweises: Die <strong>erste</strong> erkennbare, unaufhörlicheKreisbewegung ist die Bewegung <strong>de</strong>r Gestirne. <strong>Der</strong> Fixsternhimmel ist jedoch noch nicht <strong>de</strong>r gesuchte<strong>unbewegte</strong> <strong>Beweger</strong>. Er ist <strong>de</strong>shalb nichtmit Gott i<strong>de</strong>ntisch, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Himmel ist zwar unvergänglich, aber nicht unbeweglich. DenFixsternhimmel bezeichnet <strong>Aristoteles</strong> als <strong>erste</strong>n Himmel und sagt über ihn aus, daß er ewig ist (METXII, 253, 7a).Die nächste Frage ist nun: Wer bewirkt die Kreisbewegung <strong>de</strong>r Fixsterne? <strong>Aristoteles</strong> gibt folgen<strong>de</strong>Antwort: »Also gibt es auch etwas, das bewegt. Da aber dasjenige, was bewegt wird und bewegt, einMittleres ist, so muß es auch etwas geben, das ohne bewegt z u wer<strong>de</strong>n, selbst bewegt, das ewig undWesen und Wirklichkeit ist.« (MET XII, 253, 7b). Das »Mittlere« ist <strong>de</strong>r Fixsternhimmel - er istbewegen<strong>de</strong>s Subjekt und bewegtes Objekt in einem. Notwendig muß aber etwas existieren, dasbewegt, ohne selbst bewegt zu we r<strong>de</strong>n. Nachfolgend führt <strong>Aristoteles</strong> an, welches Ding dieseAufgabe erfüllen könnte, und er benennt es konkret: Es ist das Erstrebte und Intelligible (d.h. dasErkennbare). Da das Intelligible die Vernunft bewegt, wird die Vernunfttätigkeit wie<strong>de</strong>rum zum ob<strong>erste</strong>n Prinzip (MET XII, 253, 7c). Setzt man für Vernunft Verstand, läßt sich dazu mit <strong>de</strong>n WortenFranz Brentanos folgen<strong>de</strong>s anmerken: »Wir erkennen also in <strong>de</strong>m Verstand, <strong>de</strong>r die <strong>erste</strong> Ursache<strong>de</strong>s Geschehens und aller Ordnung in <strong>de</strong>r Welt ist, ein Wesen, welc hes die <strong>erste</strong> Ursache von allemist, was außer ihm wirklich ist, so zwar, daß auch gar nichts außer ihm <strong>de</strong>nkbar ist, was wäre, ohnevon ihm als <strong>erste</strong>r Ursache hervorgebracht zu sein.« Durch die etwas geschraubte Formulierunghindurch wird <strong>de</strong>nnoch die Roll e <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s bzw. <strong>de</strong>r Vernunft zutreffend charakterisiert.Die Vernunft wird somit vom Intelligiblen bewegt. Weitere Prinzipien, die zu dieser <strong>erste</strong>n Klasse <strong>de</strong>sUnbewegten gehören, sind <strong>de</strong>r Zweck von Etwas, das Schöne sowie das Erstrebenswerte um seinerselbst willen. Das Erstbewegerprinzip-Wesen, das selbst Beweg ung hervorbringt, ist »notwendigseiend, und inwiefern es notwendig ist, ist es auch so gut und in diesem Sinne Prinzip« (MET XII, 255,7d). Notwendigkeit zeichnet dieses Wesen vor allen an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung unterworfenen Wesenaus, und zwar in dreierl ei Hinsicht: Erstens ist es gegen <strong>de</strong>n eigenen Trieb mit Gewalt erzwungeneNotwendigkeit, zweitens ist es unabdingbare Voraussetzung für das Gute, drittens ist es das Absolute:»Von einem solchen Prinzip also hängen <strong>de</strong>r Himmel und die Natur ab. Sein Leben a ber ist dasbeste, und wie es bei uns nur kurze Zeit stattfin<strong>de</strong>t, da beständige Dauer uns unmöglich ist, so ist esbei ihm immerwährend. Denn seine Wirklichkeit (...) ist zugleich Lust.« (MET XII, 255f., 7d/e)Durch die Hinführung dieser geistigen Werte zum Gottesbegriff wird <strong>de</strong>r nächste Schritt vollzogen, umsozusagen "von unten nach oben" zu gelangen: »<strong>Der</strong> Gott, sagen wir, ist das ewige, besteLebewesen, so daß <strong>de</strong>m Gott Leben und beständige Ewigkeit zukommen; <strong>de</strong>nn dies ist <strong>de</strong>r Gott«(ebd.). Auffallend ist, daß <strong>Aristoteles</strong> einen rein wissenschaftlichen Gottesbegriff hat - sein Gott ist keinGott <strong>de</strong>r Anbetung. Außer<strong>de</strong>m ist - im Gegensatz zu Platon - ein neuer philosophischer Ansatzfestzustellen (es wur<strong>de</strong> bereits darauf hingewiesen): Das Schöne und Beste ist im Prinzip enthaltenund nicht etwa dahinter verborgen. Betreffs <strong>de</strong>r Eigenschaften <strong>de</strong>s göttlichen Wesens wer<strong>de</strong>nfolgen<strong>de</strong> Aussagen gemacht: »Daß es also ein ewiges, <strong>unbewegte</strong>s, von <strong>de</strong>m Sinnlichen getrenntselbs tändig existieren<strong>de</strong>s Wesen gibt, ist aus <strong>de</strong>m Gesagten klar. Es ist aber auch erwiesen, daßdieses Wesen keine Größe haben kann, son<strong>de</strong>rn unteilbar und unzertrennlich ist (...). Aber es ist auchferner erwiesen, daß es keiner Affektion und keiner Qualitätsve rän<strong>de</strong>rung unterworfen ist; <strong>de</strong>nn alleübrigen Bewegungen folgen erst <strong>de</strong>r Ortsbewegung nach. Von diesem also ist offenbar, warum essich so verhält.« (MET XII, 257f., 7g).Das achte Kapitel enthält einen langen astronomischen Diskurs, um nachzuweisen, daß es zwar vielebewegte Himmelskörper, aber nur ein bewegen<strong>de</strong>s Prinzip <strong>de</strong>rselben gibt: »Daß aber nur ein Himmelexistiert, ist offenbar. Denn gäbe es mehrere Himmel, wie es d er Menschen mehrere gibt, so wür<strong>de</strong>das Prinzip eines je<strong>de</strong>n einzelnen <strong>de</strong>r Form nach eines sein, und <strong>de</strong>r Zahl nach wären es viele (...).Eines also ist <strong>de</strong>m Begriff und <strong>de</strong>r Zahl nach das <strong>erste</strong> bewegen<strong>de</strong> Unbewegte; also ist auch dasimmer und stetig Bewegte nu r Eines; also gibt es nur einen Himmel.« (MET XII, 265, 8e). Das heißt,es gibt viele Gestirne, aber nur einen Himmel. Dieser Fixsternhimmel ist das zweite Prinzip nach <strong>de</strong>mErstprinzip <strong>de</strong>s Erstbewegers Gott. Es hat mit Gott zwar die Unvergänglichkeit gemei nsam, ist selbstaber nicht unbeweglich.Im neunten Kapitel wer<strong>de</strong>n Aussagen über die Erkenntnisweise <strong>de</strong>s <strong>erste</strong>n Vernunftwesens gemacht.Verhielte sich das Göttlichste (bzw. die Vernunft) wie ein Schlafen<strong>de</strong>r, wäre die Vernunft ohne Wür<strong>de</strong>.Das be<strong>de</strong>utet - ein Gott, <strong>de</strong>r sich nicht um seine Schöpfung kümmert, ist ein wür<strong>de</strong>loser Gott. <strong>Der</strong>Vernunft kommt also erst durch tatsächliches Erkennen, nicht nur durch <strong>de</strong>ssen Möglichkeit Wür<strong>de</strong> zu.»Offenbar <strong>de</strong>nkt sie das Göttlichste und Würdigste, und zwar ohne Verän<strong>de</strong>rung; <strong>de</strong>nn dieVerän<strong>de</strong>rung wür<strong>de</strong> zum Schlechte ren gehen, und dies wür<strong>de</strong> schon eine Bewegung sein.« (MET XII,276, 9a). Die Vernunft erkennt sich selbst, im Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren Wissenschaften, die sich nur mitObjekten außerhalb, niemals mit sich selbst beschäftigen. Hier stößt <strong>Aristoteles</strong> auf ein gen erelleswissenschaftstheoretisches Problem, räumt aber sogleich ein: »Doch bei manchem ist ja die


Wissenschaft die Sache selbst.« (MET XII, 269, 8d). Es ist eine Kernaussage <strong>de</strong>r AristotelischenGotteslehre, daß sich das Göttliche selbst <strong>de</strong>nkt.In seinem Buch <strong>Der</strong> Unbewegte <strong>Beweger</strong> <strong>de</strong>s <strong>Aristoteles</strong> schreibt Klaus Oehler diesbezüglich:»<strong>Aristoteles</strong> läßt bekanntlich die Relevanz <strong>de</strong>r Erkenntnisakte abhängig sein von <strong>de</strong>r Relevanz <strong>de</strong>rErkenntnisgegenstän<strong>de</strong>. Von dieser Prämisse ausgehend, wird er zu <strong>de</strong>r Feststellung geführt, daß diegöttliche Vernunft nur sich selbst zum Gegenstand haben kann. Das heißt: Gott, <strong>de</strong>ssen Sein Denkenist, <strong>de</strong>nkt sich selbst.« Weiterhin heißt es dort: »Das ist nach <strong>de</strong>n systematischen Voraussetzungen<strong>de</strong>s <strong>Aristoteles</strong> zwingend, <strong>de</strong> nn das göttliche Denken wechselt nicht zwischen <strong>de</strong>m Zustand <strong>de</strong>rPotentialität und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Aktualität hin und her, wie das menschliche Denken, son<strong>de</strong>rn ist absoluteAktualität.« Die betrachten<strong>de</strong>n Wissenschaften, die Metaphysik also, beschäftigen sich nicht mitStoffen, son<strong>de</strong>rn mit Begriffen. Es han<strong>de</strong>lt sich damit um eine Erkenntnistätigkeit ohne Stoff, ganz imGegensatz zu <strong>de</strong>n hervorbringen<strong>de</strong>n Wissenschaften. Alles, was keinen Stoff hat, ist unteilbar -folglich kommt auch <strong>de</strong>r Vernunft Unteilbarkeit zu (MET XII, 269, 9f.).Im abschließen<strong>de</strong>n, zehnten Kapitel übt <strong>Aristoteles</strong> noch einmal Kritik an all <strong>de</strong>njenigen Zeitgenossen,die die Entstehung <strong>de</strong>r Bewegung <strong>de</strong>r Dinge aus zwei Gegensätzen heraus behaupten. Erwi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>m entschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn zwei gegensätzliche Axiome haben ni chts gemeinsam, <strong>de</strong>shalbkann zwischen ihnen keine gegenseitige Affektion bestehen, die zur Bewegung führt. Dieses Problemwird bei ihm durch die Annahme eines Dritten, <strong>de</strong>s Stoffes, gelöst, <strong>de</strong>r vom Erstbeweger Gott bewegtwird (MET XII, 271ff., 9d). Das Kap itel schließt mit <strong>de</strong>m Nachweis, daß alle übrigen Prinzipien nichtzum Erstbeweger-Prinzip erhoben wer<strong>de</strong>n können, da sie nicht unwan<strong>de</strong>lbar sind und nurunvollständige Teile <strong>de</strong>r Wirklichkeit ausmachen. <strong>Der</strong> letzte Satz wirkt als Abschluß <strong>de</strong>r rationalenBeweis führung für die Existenz nur eines göttlichen Wesens allerdings etwas irrational: "Nimmer istgut eine Vielherrschaft; nur Einer sei Herrscher.« (MET XII, 275)Nach Beendigung <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>s Aristotelischen Gottesbeweises sollen nun noch einigeBemerkungen zum generellen Weltverständnis <strong>de</strong>s <strong>Aristoteles</strong> folgen. Es sei an dieser Stelle daranerinnert, daß Platon letztlich <strong>de</strong>duktiv von Gott ausgeht, <strong>Aristoteles</strong> dagegen induktiv - man könnteauch sagen, von »außen nach innen« - zu Gott kommt. Laut <strong>Aristoteles</strong> besteht die Welt aus vierSphären. Die nachfolgen<strong>de</strong> Skizze ver<strong>de</strong>utlicht die Anordnung dieser vier Sphären:(noch keine Grafik)Die <strong>erste</strong> Sphäre ist die physische Welt, bestehend aus allen Lebewesen. Sie ist beweglich undvergänglich, da sie <strong>de</strong>n vergänglichen Wesenheiten (Pflanzen, Tiere, Menschen) entspricht. Diezweite Sphäre ist <strong>de</strong>r Zeitpunkt im Jetzt - eine etwas schwierig nach vollziehbare Konstruktion, da dieZeitebene unvermittelt eingeführt wird. Erscheint die Charakteristik eines konkreten Zeitpunktes alsunbeweglich, aber vergänglich noch einleuchtend, so ist <strong>de</strong>r Schritt vom Grenzcharakter <strong>de</strong>s Jetzt zurEwigkeit ein offensi chtlicher Sprung. Um die komplizierte Problematik <strong>de</strong>r AristotelischenZeitauffassung etwas aufzuhellen, sei auf Enno Rudolph und sein Buch Zeit und Gott bei <strong>Aristoteles</strong>hingewiesen: »Die einzige positive Bestimmung, die <strong>Aristoteles</strong> in <strong>de</strong>r Problemexposition überhauptfür die Zeit zuläßt, ist die Aussage über die Funktion <strong>de</strong>s Jetzt, daß es nämlich Grenze sei. Und selbstdiese Bestimmung wird sogleich eigentümlich modifiziert: das jeweils frühere Jetzt muß untergehen,damit 'jetzt' sei (...). Auch als Grenze b leibt das Jetzt unfixierbar«. Es ist unübersehbar, wie sich <strong>de</strong>rAutor in seinen komplizierten Formulierungen win<strong>de</strong>t - allerdings ist das <strong>de</strong>m wi<strong>de</strong>rsprüchlichenForschungsgegenstand, wie ihn die Aristotelische Zeitproblematik nun einmal darstellt, durchausangemessen. Die dritte Sphäre, <strong>de</strong>r Fixsternhimmel, ist verän<strong>de</strong>rlich, aber unvergänglich. Die vierteSphäre ist Gott, zu <strong>de</strong>m alles strebt. Er allein ist wahrhaft unbeweglich und unvergänglich. Aber Gottist nicht nur <strong>de</strong>r Erstbeweger, die unverursachte Ursac he allen Seins und das ob<strong>erste</strong> Prinzip,son<strong>de</strong>rn zugleich das Telos, d.h. das Ziel <strong>de</strong>r Bewegungen aller Wesen, die ausschließlich in dieseRichtung ihre Bestimmung, ihre Entelechie erfahren können.Die Frage nach <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>s Seins ist auch heute mo<strong>de</strong>rn und populär. Hat das Fragen einetheologische Basis, so stößt man unweigerlich auf die Gottesproblematik. Auch für <strong>Aristoteles</strong> bestehtzwischen Gott und <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>r Existenz ein Zusammenhang. Dazu Ru dolph: »<strong>Der</strong> Denker <strong>de</strong>rradikalen Zeitlichkeit immerhin provoziert die Frage nach <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>s 'Sinnes von Sein', insofern siesich aus <strong>de</strong>r engeren nach <strong>de</strong>m 'Sinn von Sein' direkt ergibt. <strong>Der</strong> Theologe <strong>Aristoteles</strong> hat sie aufseine Art beantwortet: das Seien <strong>de</strong> ist in <strong>de</strong>m Sinne und um willen seiner selbst, als es auf seine volleErfüllung und Präsenz hin angelegt ist.« Ob <strong>Aristoteles</strong> in diesem Zusammenhang als Theologebezeichnet wer<strong>de</strong>n kann, bleibt zu hinterfragen. In je<strong>de</strong>m Falle entspringt seine Beschäftigu ng mit<strong>de</strong>m Gottesbegriff keiner existentialistischen Verunsicherung. Darum hat sein Gottesbeweis auchkeinen moralischen Aspekt - an Gott ist nicht zu glauben, son<strong>de</strong>rn er ist erkenntnistheoretisch aus <strong>de</strong>rPhysik abzuleiten. <strong>Aristoteles</strong> hat ein rein wissens chaftliches Interesse daran, wer die <strong>erste</strong>Bewegung verursacht haben könnte. Gott ist kein Schöpfer, son<strong>de</strong>rn lediglich <strong>de</strong>r <strong>unbewegte</strong>Erstbeweger - er ist als Prinzip zu v<strong>erste</strong>hen, nicht als personales Wesen.<strong>Der</strong> katholische Theologe Fellermeier sieht gera<strong>de</strong> dadurch <strong>de</strong>n Aristotelischen Gottesbegriffbeeinträchtigt: »Die Persönlichkeit Gottes ist bei ihm weit weniger ausgprägt als bei Platon. <strong>Aristoteles</strong>


kennt auch keine persönliche Vorsehung und Weltregierung G ottes. In einsamer Höhe thront seinGott über allem Irdischen, ganz in seiner eigenen beseligen<strong>de</strong>n Schau beschlossen.« Daraus leitetFellermeier ab, daß <strong>Aristoteles</strong> ein typischer Vertreter <strong>de</strong>s Deismus sei. Abgesehen davon, daßFellermeier <strong>de</strong>n Aristotelis chen Gottesbeweis zu <strong>de</strong>n »falschen Gottesbeweisen« zählt, nur weil erverständlicherweise nicht christlich ist - ein für meine Begriffe sehr unwissenschaftlicher Umgang mit<strong>de</strong>r Wahrheit - kann <strong>de</strong>ssen Zuordnung <strong>de</strong>r Aristotelischen Konzeption zum Deismus nic htaufrechterhalten wer<strong>de</strong>n, wenn unter Deismus eine solche Anschauung zu v<strong>erste</strong>hen ist, die besagt,daß Gott nach <strong>de</strong>r Schöpfung keinen Einfluß mehr auf die Welt nimmt und zu ihr auch nicht inOffenbarungen spricht, man ihn insofern »zwischen« Theismus, <strong>de</strong>r einen immer wirken<strong>de</strong>npersönlichen Gott anninmt, und Atheismus, <strong>de</strong>r die Existenz eines - wie immer zu <strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n -göttlichen Weltprinzips überhaupt ablehnt, ansie<strong>de</strong>ln kann. Auch wenn sich <strong>de</strong>r Gott <strong>de</strong>s Deismusnicht mehr um seine Schöpfung kümmert, ist er <strong>de</strong>nnoch ein Schöpfergott. Dessen physikalischeUnmöglichkeit wird aber gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Metaphysik nachgewiesen, <strong>de</strong>nn für die <strong>erste</strong>, unverursachteUrsache ist ein göttlicher Willensakt, <strong>de</strong>r zur Schöpfung führt, überflüssig, da sie ohnehin vollkommenist. Dami t ist erwiesen, daß <strong>de</strong>r Aristotelische Gottesbegriff nicht <strong>de</strong>istisch ist - sein Gottesbegriff läßtsich generell keiner theologischen Klassifikation zuordnen.

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