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Jorge Machold

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<strong>Jorge</strong><strong>Machold</strong>Arbeiten 1966 - 2006


<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>Arbeiten 1966 - 2006


Dieses Buch widme ich– mit Dankbarkeit –meiner Frau Heike.


InhaltsverzeichnisBärbel Mann Einleitung – Vier Jahrzehnte künstlerischer Arbeit von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> 9Ursula Prinz Statt eines Vorwortes (1971) 10Jörn Merkert Zu den Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1971) 12Heinz Ohff Prägedrucke und Materialbilder von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1974) 16Ursula Prinz Der Versuch, in das verborgene Geheimnis einzudringen, bleibt ohne eindeutige Antwort (1979) 17Roland H. Wiegenstein Erfundenes – als wäre es gefunden (1979) 19Jürgen Weichardt Das Ambivalente in den Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1979) 22Peter Raue Eine Rede – zur Ausstellungseröffnung in der Galerie Goetz, Stuttgart (1984) 24Hermann Wiesler Stein und Stahl – anmutig schroff (1989) 28Roland H. Wiegenstein Organisierte Widersprüche – Zu Papierarbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1989) 32Nicolaus Neumann »Die Leehre« – eine Zen-Skulptur von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (2005) 35Simone Reber <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> – Arbeiten von Wasser, Licht und Stahl (2006) 37Bildteil Arbeiten auf Papier 48Materialbilder 117Plastiken 143Anhang 198Biografie 199Ausstellungen 200Ausstellungsbeteilungen 201Arbeiten im öffentlichen Raum, Arbeiten in öffentlichen Sammlungen 202Bibliografie 203/204Filmografie 205Zu den Autoren 206Impressum 207


<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>8


EinleitungBärbel Mann Vier Jahrzehnte künstlerischer Arbeit von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>Die Entwicklungslinie in <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s künstlerischer Arbeitführt vom Beginn der sechziger Jahre von kleinformatigenAquarellen, Radierungen und unikaten Prägedrucken über Materialbilderund Reliefs zu großformatigen Plastiken und Zeichnungen.<strong>Machold</strong>s Werke sind stets ungegenständliche Kompositionen,nie figürliche. Ihnen gibt er absichtlich keine Titel, umden Assoziationsraum des Betrachters nicht einzuengen.In der künstlerischen Entwicklung von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> sindkeine wirklichen Brüche auszumachen. Neben einigen gestischexpressiven Bildern, die am Anfang der freien künstlerischenArbeit stehen, wendet sich <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> sehr früh der japanischenKalligraphie und Zen-Malerei zu. An deren geformtenSymbol- und Emotionsgehalt wird er dreißig Jahre später wiederanknüpfen und große Bildformeln entwerfen. Aquarelle undPrägedrucke stehen am Anfang. Aus den Platten für die Prägedruckeentwickeln sich die Materialbilder. Dass diesen plastischeArbeiten folgen, die in den großen umschreitbaren Werkenihren Höhepunkt erreichen, ist eine schlüssige und konsequenteFolge der Vita von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>. Wiederum können die aktuellenZeichnungen auch als Fortsetzung seiner Materialbildergesehen werden, in denen die dunklen Töne des geschwärztenHolzes oder der Metalloberflächen durch Tusche »ersetzt« werden.In seinen neuesten Arbeiten auf Papier verwendet <strong>Machold</strong>eine selbst hergestellte Graphitpaste, die er pastos und reliefartigaufträgt und damit einen Kontrast zu den collagiertenPapierstrukturen schafft. Auch das wird der Leser beim Betrachtender Abbildungen entdecken können.In den Materialbildern gelingt es <strong>Machold</strong>, die für Festigkeitstehenden Materialien wie Eisen und Stahl zu formen und zuverfremden. Geätzt, geschweißt oder in Falten gelegt, variierenihre Töne zwischen silbrig glänzend bis zu erdfarben. Kupferblecheweisen Knitterspuren auf, als seien es Papierstücke, geschnürteMetallbündel assoziieren Pakete.Die Vollplastiken treten als in sich geschlossene Volumina inErscheinung, auch wenn sie stark raumgreifend sind. Sie beziehendas Eindringen des sie umgebenden Luftraumes in dasVolumen der Plastik bewusst ein. Auch hier sind Strukturen,Farben und Oberflächen der eingesetzten Materialien kompositorischeBestandteile des Werks. <strong>Machold</strong> wählt zwischen rostigemoder geschmiedetem Stahl, Edelstahl, Corten-Stahl, Bleiund Kupfer.Er setzt abgelagerte bzw. gebrannte Eiche oder Stein ein. Einwichtiges Element, das der Künstler von Anbeginn einkalkuliert,ist das Licht. Aus jedem Betrachtungswinkel müssen seine großenObjekte vor den Augen des Beschauers bestehen. Diegeschliffenen Stahlskulpturen reflektieren das Licht und nehmendie Farbigkeit der Umwelt an, was besonders eindrucksvollin den Variationen der Wasserplastiken zu beobachten ist.Eine große Nähe zur Natur sowie handwerkliche und technologischeGrundlagen sind wichtige Voraussetzungen für dieKunst von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>. Dazu kommt sein ausgeprägtes Interessean Naturphänomenen und ethnischen Besonderheitenanderer Kulturen. Wiederholt führten ihn Studienreisen nachFrankreich, Spanien, Italien, Nordafrika, Island, USA und Japan.Faszinierende Wasserfälle und Vulkane, die marokkanischenWüsten mit ihren Sandstrukturen und Steinlandschaften transformierter in seinen Werken zu Formgestalten. Auf den KanarischenInseln entdeckte er in den vulkanischen Felsspalten zersetzteVulkanasche, die er im Atelier als Farbpulver für seineArbeiten auf Papier einsetzt.In der vorliegenden Monografie werden alle Bereiche seinerkünstlerischen Tätigkeit durch wichtige Werkbeispiele vorgestellt.Vollständigkeit wird dabei nicht angestrebt. Aus derVielzahl der entstandenen Arbeiten wird prononciert ausgewähltund die Absicht verfolgt, dem Interessierten Einsichten indie Intentionen von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> zu gewähren oder ein tiefergehendes Verständnis für den Entstehungsprozess seiner Werkezu wecken.Dieser Zielstellung zu entsprechen und gleichzeitig mit dergetroffenen Auswahl wichtige Werke anschaulich zu dokumentieren,ist der Entschluss der Herausgeber geschuldet, Textbeiträgeaus früheren inzwischen vergriffenen Katalogen in dasneue Buch aufzunehmen. Sie haben <strong>Machold</strong>s jeweilige Werkphasenzu ihrer Entstehungszeit begleitet und an Aktualitätnichts eingebüßt.<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> trennt nicht zwischen Kunst und Lebens-Kunst. In beiden Bereichen gilt für ihn eine Dialektik von Einfachemund Erhabenem. Der Charakteristik seines langjährigenFreundes, Peter Raue, <strong>Machold</strong> sei ein »Monolith im babylonischenTurmbau der Kunstrichtungen« ist nichts hinzuzufügen.9


Ursula Prinz Statt eines Vorwortes (1971)Das künstlerische Werk <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s der letzten Jahre bewegtsich in einem Zwischenreich der überkommenen Kunstspartenund hat damit Anteil an der von vielen Künstlern versuchtenÜberschreitung der traditionellen Ausdrucksformen.Ohne daß er sich ausdrücklich mit der Sprengung des Tafelbildesund den daraus folgenden unendlichen Möglichkeitenkünstlerischer Tätigkeit befaßte, hält er sich in einem intimeren,der Druckgraphik nahestehenden Bezirk, dem er ein äußerstesan Reichtum und Mannigfaltigkeit abgewinnt. Er begnügt sichnicht mit einem einfachen Druckverfahren. Seine Drucke sindsogenannte Prägedrucke, deren Relief sie nahezu zu plastischenObjekten werden läßt. Von der üblichen Druckgraphikunterscheiden sie sich darüber hinaus durch ihre Einmaligkeit.Vor jedem Druckvorgang wird die Reliefplatte mit anderen Farbenneu ausgemalt, wodurch jeder Druck zu einem unverwechselbarenOriginal wird.Die Idee von <strong>Machold</strong>s Verfahren läßt sich auf die Verwendungplastischer Farbmaterie bei Klee und Wols zurückführen,um so mehr, als bei diesen Künstlern nicht nur die Ansätze zurTechnik <strong>Machold</strong>s zu finden sind, sondern auch die seinerkünstlerischen Herkunft. Die psychische Improvisation Klees inVerbindung mit dem vom abstrakten Surrealismus propagiertenAutomatismus gehören zu den Grundlagen, auf denen dieKunst eines Wols aufbauen konnte. Die historische Entwicklungführte die Malerei zu neuen Formen, die mit verschiedenenTiteln wie »Tachismus«, »Art Informel« und »Art autre« versehenwurden und in die »Action Painting« oder auch den»abstrakten Expressionismus« der Amerikaner mündeten.Mit dieser Entwicklung hat sich <strong>Machold</strong> nur kurze Zeit befaßt.Neben der japanischen Kalligraphie und der Malerei desZen war es Wols, dessen Kunst ihm wichtige Anregungen gab.Wie bei Wols gibt es auch bei <strong>Machold</strong> Möglichkeiten zur gegenständlichenAssoziation, die bei <strong>Machold</strong> völlig demBetrachter freigestellt bleibt, da er darauf verzichtet, seinenBlättern Titel zu geben. Von der Assoziationsfähigkeit des Betrachtershängt es also ab, wie viel die Blätter für ihn beinhalten.Mineralisches, Pflanzliches, Atmosphärisches klingt an,Erinnerungen an Landschaft und Märchen, kostbar wie aus1001 Nacht, wozu nicht nur die Brillanz der Farben, die vomRelief unterstützt werden, sondern auch die Ausgewogenheitder Formen und Linienverzweigungen beitragen. Das Harmoni-sche und bei aller Vielfalt fest Gefügte und Geordnete charakterisiertdie Komposition <strong>Machold</strong>s.In seinen letzten Werken zeigt sich eine neue Ökonomie derMittel, er verwendet zunehmend größere Formen und durchgehendeLinien, die gelegentlich von gestanzten Löchern begleitetwerden. Während sich früher die Form im Laufe des Arbeitsprozessesaus der Struktur entwickelte, geht er nun von einemfesteren formalen Konzept aus, das er mit seinen außerordentlichfein nuancierten farbigen Strukturen anfüllt. Ohne daß<strong>Machold</strong> andere Materialien als Papier und Farbe gebraucht,erzielen die Blätter eine Wirkung, die der von Tàpies' Materialbildernvergleichbar ist. Je länger man versucht, <strong>Machold</strong>s Arbeitenmit denen anderer Künstler zu vergleichen, desto mehrwird man zu der Erkenntnis gedrängt, daß er als Autodidaktseinen eigenen Weg geht, sich dadurch jedoch nicht abseits derKunstszene stellt.10


Öl auf Leinwand, o.T., 1969, 150 x 120 cmPrivatbesitzÖl auf Leinwand, o.T., 1969, 140 x 125 cmPrivatbesitz11


Jörn Merkert Zu den Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1971)»Ohne Titel, 1971, Prägedruck« erhält man als einzige Informationzu einer Arbeit von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (siehe Abb. S. 53). Inunserer informationsträchtigen und -hungrigen Zeit, die unsereVerhaltensweise konditioniert, werden wir allein gelassen. Wir,denen uns gelehrt wurde, auf »Information an sich«zu bestehen,statt sich dem Inhalt zu stellen, wären dankbar, irgendeinenTitel speichern zu können – ehe wir weitergehen (ohnedas Bild gesehen zu haben). So aber bleiben zwei Möglichkeiten,unbequeme zudem: entweder in diesem ungewohntenLeer(Frei??)raum der Frage zu begegnen, warum wir überhauptin diese Ausstellung gegangen sind (mit welchen Vorstellungenund Erwartungen, aus »Kulturbeflissenheit« oder Langeweile;um im Schneckenhaus unseres Selbstgenug-Seins zu verbleiben,nach außen hin die Rolle des interessiert-kultivierten Ausstellungsbesuchersspielend, der voller Wissensdurst und gierigauf das Neue – das stets noch das altgewohnte bleibenwird/soll/muß – nach dem Beschriftungsschildchen sich bückt:einen Diener vor der Kunst); oder uns diesen Bildern zu stellen,sie zu hinterfragen, weil wir etwas (be)suchen, um neue Erfahrungenzu machen, über uns hinauszugehen; die in der Reklamehektikübermüdeten Augen ausruhen zu lassen, ihnen Ruhevor oktroyierten Sehzwängen zu gewähren, indem sie sich alsMedium des Umwelts- und Selbstverständnisses wieder in eigenerAktivität und Verantwortlichkeit zu bewegen lernen.Versuchen wir das Zweite, ohne die erste Frage – was maguns an Bildern von <strong>Machold</strong> interessieren, sprich: was soll eine(wie auch immer geartete) Auseinandersetzung mit seinen Bildern– damit aus dem Blickfeld zu räumen.Gibt es eine Funktion, die sich umreißen ließe, ohne diesemseltsamen positivistischen Kulturpessimismus zu verfallen, derdie oben vage skizzierte und gefährlich verkürzt umrissene gesellschaftlicheSituation beklagt, aber keine andere Antwortweiß, als sich in den Elfenbeinturm ästhetischer Erfahrungenzurückzuziehen, die wegen der ihr anhaftenden Unverbindlichkeitzu ästhetizistischen degradiert werden?Wenden wir uns also zunächst dem eingangs erwähnten Prägedruckvon 1971 zu:Da sehen wir im oberen Drittel des Blattes zwei schmale fastparallel schräg nach oben verlaufende Rechtecke, die vom Bildrandangeschnitten werden. Sie rahmen eine aus der Mittenach links verschobene Kreisform, die ihrerseits nach unten zuwieder angeschnitten wird; diesmal öffnet sich die Form in einbreiteres Band, das leicht schräg über das ganze Blatt verläuft.Diese breite Fläche wird formal aufgebrochen durch aneinandergereihteKreise. Gleichzeitig weitet sie sich zur Blattmitte hinzu ringähnlichen Begrenzungen aus verschiedenförmigen Bändern.Der äußere Ring beginnt und mündet in ähnlichen Zungenflächen,während er sich in der weit ausholenden Kreisformfast zur Linie verschmälert hatte. Im Innern des so abgegrenztenBereichs wird das vorgegebene Motiv nun von einem breiterenBand eines feinen, ungeordneten Liniengespinsts wiederholt.In der so immer enger eingegrenzten Bildmitte wird esnoch einmal aufgenommen, nun aber als amorph verwandelteFläche. Das untere Blattende wird in der Mitte durch einen breitgelagerten Streifen begrenzt, der mit seinen ein- und ausgebuchtetenEnden zu den spiegelverkehrt wiederholten Formenin Beziehung steht, die die Ecken einnehmen.Die Farbe entzieht sich noch entschiedener als das »zeichnerische«Gerüst der sprachlichen Faßbarkeit: so nuanciert, ineinanderübergehend sind die Töne, die primär auf Valeurs abgestimmtsind und sich im Rahmen von Abstufungen zueinanderverhalten; selbst dann noch, wenn sie bisweilen, von denGrundfarben her gesehen, im Farbkreis komplimentär sich gegenüberstehen. Rot und Grün z.B. sind in solchen Übergängengegeben, daß sie in größter Nähe und Nachbarschaft zueinanderstehen und scheinbar nichts mehr von einem großen Klangim gegensätzlichen Zueinander wissen. Zwar leuchtet eineFarbform bisweilen auf – so z. B. auf dem oberen Band dieReihe der helleren Kreise – aber das zurückhaltendere Braun-Ocker-Grau in seiner verschleierten Tonigkeit altgewordenenGoldes steht dem würdigeren Blau an Kostbarkeit nichts nach.Das Dritte nun und beim ersten Hinsehen vielleicht auchÜberraschendste sind feine, unregelmäßige, meist gleichzeitigdie grafische Aufteilung der Fläche bildende Erhebungen, Buckel,lineare Vertiefungen, breite Flächenerhöhungen. Diese zusätzlichenReize, die vom Visuellen ins Taktile überleiten, dieAugen zu wahrlich tastendem Tun auffordern, mit feinen LichtundSchattenspielen nicht geizen, lassen die Frage nach demEntstehungsprozeß betont in den Vordergrund treten, nachdemsie unterschwellig im Staunen vor der Feinheit und Nuanciertheit,den Übergängen, Abstufungen, Brechungen und Mischungender Farbe sich schon eingestellt hatte. Dabei hatten12


Blatt bisher nur einfach nach seinem formalen Gerüst befragtund damit einen Weg beschritten, der im Nacheinander derBeschreibung – aufsplitternd also – vor der Fülle an Reizen desGesamteindrucks der gleichzeitigen Wirkungen von grafischerAufteilung, Farbigkeit und reliefplastischer Struktur kapitulierte;einen Weg, der den Reichtum einer einzigen Arbeit zunächstim auseinanderdividierenden Ordnen zu fassen versuchte.Doch entspricht dieses Vorgehen vorerst nichts anderem alseiner »materiellen« Bestandsaufnahme. Allerdings scheint eineinhaltliche in diesem Stadium der Auseinandersetzung auch mitihr identisch zu sein, da <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> in seinen Arbeiten aufkonkrete gegenständliche Aussagen verzichtet. Thema ist dasfreie improvisierende Spiel mit den bildnerischen Mitteln: grafischesGerüst, Farbigkeit und Reliefstruktur. Dabei vermittelt dasRelief zwischen Eindeutigkeit, Schärfe und Klarheit der formenreichenlinearen Flächenaufteilung und der fließenden Zartheit,wie dem lyrisch empfindsamen Zusammenspiel der Farbe. Es istweicher als die Linie, herber als die Malerei.Dennoch kann man bei diesem schwergewichtigen Interessefür ein leicht in den Raum hervortretendes abstraktes Zusammenspielzwischen Linie und Farbe nicht übersehen, daß demBetrachter breite Assoziationsfelder für seine über das Augegereizte Fantasie angeboten werden.Man hätte dieses Blatt auch von vornherein interpretierendbeschreiben können.Da hätten sich dann womöglich Erinnerungen, Vorstellungenund träumerische Gedanken an eine groteske Trommelfigureingestellt, die mit lächerlich kleinen, dünnen, erhobenen Armen,großem Kopf und einem schmuck-, trottel- und flitterbehängtenInstrument auf den Betrachter zukommt, der im nächstenMoment schon nicht mehr recht zu unterscheiden wüßte,ob die eben gesehene Trommel dieser überreich gekleidetenverschrobenen Figur nicht doch der Körper dieses Wesens sei...Auch hätte im versunkenen Betrachten man plötzlich leichtsich fühlen können, wie ein Vogel, der eine karstig-kahle Landschaftüberfliegt. Mühsam in dieser Höhe, aber mit EntdeckerundAbenteuerlust, hätte man vielleicht in der Mitte denGrundriß einer weitläufigen Festungsanlage erkennen können,mit einer Mauer, die ein baumloses, von tausend Bächen imFrühjahr durchfurchtes Felsplateau umzieht, gekrönt von einerzerfallenen, palastähnlichen Burganlage, zwischen deren Trümmern– verschiedenfarbig in unregelmäßigem Licht aufleuchtend– Baugliederungen zu entziffern gewesen wären; wärehinübergetaucht in eine prähistorische Landschaft, die vielleichteinmal Schauplatz mythischer Welten war – Mykenae? Undhätte in dieser griechisch – vorderorientalischen Gebirgsformationauf höchster Erhebung kleine vertrocknete Teiche entdeckt...Hätte aber auch sich wiederfinden können mit einem Mikroskopin die Beobachtung kleiner und kleinster Unterwasserlebewesenvertieft, hätte die Figur des »Trommlers« oder die»Felsformation« die Gestalt einer riesig vergrößerten Amöbe,gar die eines Wasserflohs annehmen können, der sich am Halmeiner den Bildausschnitt durchlaufenden Wasserpflanze festgesetzthat, wäre das Gewirr des feinen Liniengespinsts – ebennoch Goldflitter, eben noch ausgetrocknete Rinnsale – wasserbewegteHärchen gewesen.Bewußt sind einige wenige, sehr gegensätzliche Assoziationsbereicheim Beschreiben eines Blattes gewählt worden, umdie Tausendfältigkeit möglicher Erinnerungen, Erlebnisse undvisueller Erfahrungen zu skizzieren.Doch wie entsteht nun eine solche Arbeit? Prägedruck erhieltenwir als Information. Druck – dieses technische Verfahrenläßt an Wiederholung, Vervielfältigung, Massenauflage denken.All dies trifft bei <strong>Machold</strong>s Prägedrucken nicht zu. Vielmehrstellen sie den Anspruch des Einmaligen, Originalen,Nicht-Wiederholbaren. Der Druckvorgang ist in den künstlerischenEntstehungsprozeß eingreifendes bildnerisches Mittel,und jedes gedruckte Bild bleibt primär ein gemaltes – so paradoxes sich zunächst anhören mag.Auf eine Metallplatte werden den formalen Absichten entsprechendeMetallteile aufgenietet, mit bisweilen unterschiedlicherStruktur, im Verletzen der glatten Flächen durch Einschnitte,aber auch durch Ätzungen, mit aufgelöteten, zusätzlichstrukturbildenden Metallstücken, locker befestigten Drahtgeflechten,die sich während der wiederholten Druckvorgängemeistens verändern, verbiegen und dadurch andere Überschneidungenund Ausrichtungen ergeben. Diese Materialplattenstellen die »zeichnerische« wie plastische Flächen-undSchichtengliederung, Verteilung von Bildbereichen dar. Direktauf die Platte wird dann durch Einfärben der Drähte und übri-13


gen Teile das Bild gemalt. Schon hierbei entstehen notwendigerweisedurch Ineinanderlaufen der Farbe Zufälligkeitsreize,die in nicht unbeträchtlichem Maße in der ökonomischenHandhabung der Mittel mit einkalkuliert und bewußt eingesetztwerden können. Nicht anders verhält es sich mit der Berechnungdes Zufalls beim eigentlichen Druckvorgang.Je nach der Intensität, mit der vorher das Papier angefeuchtetoder gar mit Wasser getränkt wurde, reagiert es mit unterschiedlicherWeichheit und Nachgiebigkeit, nimmt die dasRelief bildenden Materialien tief und breit oder flacher undschmaler auf, mischt sich die Farbe im Preßvorgang, reagiert sieanders auf die unterschiedliche Saugfähigkeit des Papiers.So weitgehend vorausberechenbar die Zufälligkeiten aus derErfahrung mit den Mitteln heraus sind, ebenso weitgehendwerden sie als unkalkulierbarer Faktor bewußt eingesetzt.Selbst bei gleicher Farbgebung, gleicher Druckintensität – diemeist enorm ist – wäre der unterschiedliche Charakter jedeseinzelnen Blattes unvergleichlich höher, als die üblichen Verschiedenheitenbei den einzelnen Abzügen einer gewöhnlichenGrafik-Auflage. Konsequenterweise verzichtet <strong>Machold</strong> alsovon vornherein auf den Versuch, einen Prägedruck in der Farbigkeitauch nur andeutungsweise zu wiederholen. Der begrenzteZufall wird als Mittel der Gestaltung genutzt.Die farbig noch nicht gefaßte Platte könnte man zumindestteilweise in ihrer bildnerischen Funktion mit einer Bleistiftvorskizzeauf der weißen Fläche vergleichen, die dann farbig gestaltetwird. Da es sich aber um einen Druckvorgang handelt,die »Zeichnung« also reproduzierbar ist, wobei die malerischeBehandlung vor dem Drucken vorgenommen wird, muß festgehaltenwerden, daß dieser besondere Arbeitsvorgang Möglichkeitenbietet, die <strong>Machold</strong> mit Glaubwürdigkeit nutzt: Das reproduzierbaregrafische Ausgangsmaterial ist neben derFlächenaufteilung in seiner Reliefbildung von Beginn an mitweit mehr Reizen ausgestattet als die die farbige Lösung einesAquarells vorkonzipierende zeichnerische Aufteilung einer weißenFläche. Dem reicheren Angebot der Reliefplatte an bildnerisch-malerischenMöglichkeiten entspricht konsequent die Suchenach unterschiedlichen farbigen Lösungen. Damit wird derdifferenzierten Materialwirkung Rechnung getragen, die janicht nur eine flächig-ordnende Aufteilung des Blattes vornimmt,sondern zusätzlich mit ihren plastischen Elementen einescharf begrenzte Fläche oder Linie (Draht) werden zu Vertiefungen,eingeätzte Formen schaffen Erhebungen – ein Spannungsverhältniszur Farbe schafft. Raumwerte, bildräumliche Stellungender Farbpläne treten in zweierlei Beziehung zurReliefwirkung, was von einem anderen Blickpunkt vorhin schonangedeutet worden war: Daß die plastischen Elemente vermittelnzwischen grafischer Aufteilung und malerischer Lösung.Zum einen mögen räumliche Farbwirkungen im Wortsinnegreifbar intensiviert, können im Rahmen einer bestimmten farbigenFassung aber auch wieder zurückgenommen werden.Die Reihe der bei der Beschreibung unseres Prägedruckesgenannten kleinen helleren Kreisflächen z.B. werden in eineranderen blauen Fassung in ihrer Tiefenwirkung, die der blauenFarbe grundsätzlich eigen ist, durch die als Höhen erscheinendeneingeätzten Löcher der Metallplatte zurückgenommen.Auf einem anderen Blatt, mit einem nach vorn strebenden Rot,kann die Farbbewegung besonders betont werden.Was, wie wir gesehen haben, im Arbeitsvorgang also schonangelegt ist: in der Vervielfältigung einer grafisch gefundenenund der Vielfältigkeit möglicher malerischer Lösungen undFarb-Bildräume, das fanden wir nach unserer »materiellen«Bestandsaufnahme in den beliebig gewählten und in gegensätzlichenErlebnisbereichen sich bewegenden Inhaltsinterpretationen.Der reich und differenziert angelegte Arbeitsvorgang, derden Zufall als bildnerisches Mittel bewußt mit einbezieht, korrespondiertmit dem Assoziationsspielraum und den vielfältigenBewegungsmöglichkeiten einer visuellen Fantasie, die sich vorden Arbeiten <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s wieder erlernen ließe, spiegeltsich wieder in dem Angebot, das das fertige Blatt dem offenenBetrachter entgegenbringt, in einer ständigen Verwandlungvon Form, Farbe und Inhalt.Über die ausführliche Auseinandersetzung mit den Prägedrucken,haben wir uns ein Rüstzeug erarbeitet, das in den Grundzügenauch auf <strong>Machold</strong>s Aquarelle anwendbar ist, zumal jaschon seine Druckgrafik in einem methodischen Zwischenbereichentsteht, der weitgehende Bezüge zur ausschließlichenEinmaligkeit und Originalität eines Aquarells aufweist.Seine Aquarelle sind durch größere Spontanität und Unmittelbarkeitgekennzeichnet, was schon allein durch den Malvorgangbedingt ist. Ein in einer bestimmten farbigen Fassung14


verworfener Prägedruck ist in seinem Ausgangsmaterial wiederholbar.Das meist auf feuchten Karton direkt aus einer Gestimmtheitniedergeschriebene Aquarell kennt schon im Arbeitsprozeßnur eine Lösung. Auch hier wird bewußt der Zufallin die Gestaltung mit einbezogen als Möglichkeit größeren visuellenReichtums, aber auch als Gesprächspartner des bildnerischenDenkens, das eine bestimmte Bildlösung anstrebt, und soeine Erweiterung des schöpferischen Spannungsfeldes in derArbeit entstehen läßt.Eingedrückte Linien, ausgestanzte weißleuchtende Kreiseund somit eine sehr sanfte Reliefierung schaffen formale Bezugspunktezu den Prägedrucken. Doch erscheint das grafischeGerüst aufgelöster, die Linienführung noch sensibler. Die Aquarellesind gegenüber den Reliefs von größerer Transparenz bestimmt,der eine illusionistischere Raumwirkung ebenso entsprichtwie eine durchlichtetere Farbigkeit.Erinnern wir uns zum Schluß noch einmal an die eingangsgestellte Frage nach der Sinnfälligkeit der Auseinandersetzungmit den Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>, die in ihrer differenziertenSensibilität nichts von lauten Kontrasten oder heftig werbendenWeitwirkungen wissen, sondern eher den Betrachter zurStille und zum intimen Gespräch auffordern, in dem es umErinnerungen, Märchen, Träume und Entdeckungsreisen geht.Wir könnten vor diesen schönen und sensiblen Blättern nocheinmal neu erfahren, wohin uns Besinnung führen mag; zunächstsicher in die geheimnisvoll flüsternde Welt der Formenund Farben, vielleicht aber auch aus unserer lauten Welt heraus,Weltflucht also? Das ist die Verantwortlichkeit des Einzelnen,der den Freiraum in der Begegnung mit dieser Kunst, Freiraumfür aktive individuelle sinnliche Erfahrung, vielleicht auchnutzen könnte, aus dieser gelebten Einsicht in das eigene Ich,in eigene vergangene Welten, die intensive Beziehung zu einemGegenüber, dem Bild, hinüberzutragen in das lärmendeDraußen, dieses in stiller Gewißheit vielleicht zu wenden. Denndie Prägedrucke und Aquarelle von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> verlangen inihrer differenzierten plastischen Wirkung, der nuanciert-reichenFarbigkeit und gliedernden grafischen Struktur ein sensiblesund aktiv tätiges, aber verantwortliches Auge. Das könnte manvor dieser Kunst neu erlernen.Prägedruckpresse15


Heinz Ohff Prägedrucke und Materialbilder von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1974)<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s Arbeiten tragen ein Doppelgesicht. Zu ihrerHerstellung war und ist ein ganzes Arsenal technischer Gerätschaftnötig, um das den Künstler manch Ingenieur beneidenkönnte. Oft hat er, der als Maschinenbaukonstrukteur begann,es sich selbst entworfen und gebaut.Die Mitte seines Ateliers im Tempelhofer Kleinindustrieviertelnimmt eine gewaltige Hydraulikpresse ein. Auf ihr entstehendie Prägedrucke. Zwei Stunden dauert es, ehe die Farbe derMetallplatten den feuchten Karton ganz durchzogen haben,und für jedes Blatt müssen die Farben neu aufgetragen werden.Selbst die Mappenserien (»Hommage à Blaise Cendrars«,»Hommage à Tschuang Tse«) setzen sich aus Einzelblättern, ausMonotypien, zusammen.Doch schon die Druckplatten sind in langwierigen undschwierigen technischen Vorgängen entstanden. Längst habensich aus ihnen Reliefbilder entwickelt aus Kupfer- und Stahlblechund Drähten oder vollplastische Gebilde: Blechschere undSchweißgerät gehören, neben dem erforderlichen Know-how,zu den Geräten, mit denen <strong>Machold</strong> arbeitet wie andere mitPinsel, Spachtel oder Meißel.Der Herstellungsprozeß bleibt sichtbar und spielt eine großeRolle auch für den Betrachter: Die Schuppenformen seinerBlechplastiken tragen geschweißte Tropfenkanten, die Knitterungenseiner Bleibilder verraten Spuren technischer Hilfsmittel,das Spiel mit dem Material, das <strong>Machold</strong> so überlegen betreibt,ist nur mit kräftigen Fäusten möglich, mit schwerem Gerät,perfektem Werkzeug, exakt beherrschter Technik.Man sieht das, wie gesagt, den Arbeiten an. Ihr eigentlicherCharakter jedoch wird davon nicht bestimmt. Die Monotypienerinnern an steinzeitliche Felsenzeichnungen, die Farben scheineneingerieben, die Prägungen wirken wie Ritzungen in Gestein:Archaisches, Monolithisches deutet sich an, Erinnerungan die Anfänge. Das gilt auch für die Materialbilder und Plastiken.Fundstücke werden von <strong>Machold</strong> nur ungern verwendet.Er scheut sich vor allzu deutlicher Gegenständlichkeit, undselbst die Bleibeutel, die eine Zeitlang in seinen Reliefbildernauftauchten, schienen so etwas wie ein Urgegenstand, das ältesteBehältnis der Menschen, der frühen Sammler und Jäger(siehe Abb. S. 118).Fast alles weist auf eine möglichst unberührte Natur zurück,auf Strukturen, wie man sie auf Island findet oder in Spanien,in karstiger Landschaft. Selbst die Farbigkeit hat bei <strong>Machold</strong>Karstcharakter, braun und grau, niemals leuchtet sie hervor.Dafür findet sich oft ein Drahtbüschel, etwas Herauswachsendeswie Gras oder Moos, das sich mühsam in unfruchtbarenBoden eingebohrt hat. Man kann es als freie bildhauerischmalerischeForm nehmen, aber auch als Symbol: Die Erde istnirgends so unfruchtbar, als daß nicht doch eine karge Vegetationentstehen könnte.<strong>Machold</strong>s Arbeiten sind technisch entstanden, aber sie tragennicht den Geist der Technik. Ihre Strukturen scheinen derNatur abgelauscht, sie bleiben zeitlos, Strukturen in sich, Strukturals solche. Die Formen haben sich in jüngster Zeit vereinfacht.Die vielfältigen Details sind gewichen, einer Hauptstrukturzuliebe, die in einem einzigen gebogenen Stahlblech (undseiner sehr sensiblen Patinierung und Oxydierung) zum Ausdruckkommt. Die Farbe entspricht einer natürlichen, materialbezogenenVerfärbung. Die Form ist so etwas wie Urform. Mitden Mitteln der Technik geraten wir – ganz ohne Nostalgie –zurück zu den Ursprüngen aller Form und aller Farbe, zum Irdischen,zur Erde.Montage einer Wasserplastik16


Ursula Prinz Der Versuch, in das verborgene Geheimnis einzudringen,bleibt ohne eindeutige Antwort (1979)Die Arbeit von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> konzentriert sich in den letztenJahren immer mehr auf das Materialbild, und zwar vornehmlichdas Materialbild aus geschweißtem und geätztem Metall. DerKünstler ist damit zu einer logischen Konsequenz aus seinemfrüheren Werk gelangt. Nach anfänglichen Versuchen in pastoserMalerei, arbeitete <strong>Machold</strong> hauptsächlich als Graphiker. Inden meisten seiner Arbeiten machte sich aber schon damals dieNeigung zum Haptischen, Strukturierten bemerkbar. So spieltein der Graphik der Prägedruck für ihn eine wesentliche Rolle.Und schon immer beschäftigte sich <strong>Machold</strong> mit der Skulptur,meist mit Kleinskulpturen aus Metall.Die formal durch die Arbeit an den Prägedrucken und technischaus den mit der Metallskulptur gewonnenen Erfahrungenfließen nun in die daraus entwickelten Metallbilder ein. DieFormate dieser neuen Arbeiten sind – dem Werkstoff entsprechend– größer geworden. <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> bewältigt heuteohne weiteres ganze Wände, wie sie etwa seine Aufträge für»Kunst am Bau« von ihm erfordern.Eine wesentliche Rolle spielte für <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> schon inden frühen Aquarellen und Prägedrucken die Farbe, immer natürlichin Verbindung mit einer subtilen und an Organisches,z.B. aus der Unterwasserwelt, erinnernden Struktur. Diese Farbigkeitist erhalten geblieben, wenn auch in einer Metamorphose,die sie ihrem ursprünglichen Zweck, Organisches, Wachsendes,Nichtstatisches wiederzugeben, noch nähergebrachthat. <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> färbt seine Bilder nicht mehr ein, so wie erz.B. die Platten für die Prägedrucke einfärbte, sondern die Farbigkeitentsteht auf natürliche Weise, indem er das Metall mitSäuren behandelt. Das heißt, daß das Metall in Verbindung mitder Säure die Farbe selbst erzeugt; ein Naturvorgang geschieht,der allerdings vom Künstler auf das genaueste erprobt undgesteuert ist. Die logische Folge dieses Prozesses ist, daß dieFarbigkeit gleichmäßiger und großflächiger wird, daß Rost-,Erd- und Grünspantöne vorherrschen und natürlich die silberneMetallfarbe, die durch Schleifen oder Kratzen strukturiert wird.Raffinierte Schweißvorgänge ermöglichen die Tröpfchenränderan den Metallplatten, die ihnen die Scharfkantigkeit nehmenund sie ebenfalls an organische Formen, Blattformen z. B., annähert.Zu den gefärbten Metallplatten tritt das Element desDrahtes hinzu, der verschiedene Funktionen haben kann: einmalals Verschnürung, dann, als Rute gebündelt, zu Pflanzli-chem wird. Dieses ist überhaupt ein zentrales Motiv von <strong>Jorge</strong><strong>Machold</strong>: eine Form wächst aus der anderen heraus. Wie einePflanze sich im Wachstum entfaltet, so gebiert die größereForm die kleinere und legt sich schützend über sie, in gerundeten,weichen, schwellenden Formen, die Bewegung im Bildsuggerieren. Seltener sind aggressive Elemente: spitze Drähte,die gebündelt werden oder durch das Metall hindurchgestochensind, oder pfeilförmige, kreuzförmige, zeichenhafte Figuren,die in ihrer scheinbaren Einfachheit an die Arbeiten desSpaniers Tàpies oder auch an Joseph Beuys denken lassen.Die Symbolkraft eines Pfeiles oder Kreuzes wird durch zerknülltesoder zerkratztes, rostig gemachtes Metall in ihrer Eindringlichkeitnoch verstärkt. Hier wird spätestens deutlich, daßdie Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> keine abstrakten Form- oderFarbspielereien mit einem technisch interessanten Materialsind, sondern daß sie aus der intensiven Beschäftigung mit derNatur entstanden sind, allerdings nicht in dem Sinne, daß <strong>Machold</strong>Natur – wie Pflanzen, Mauern o. ä. – abbildhaft darstellt,sondern sich auf tiefere, verborgenere Strukturen unter derOberfläche und der äußeren Haut der Dinge bezieht. Es ist eherder Blick durch das Mikroskop, der <strong>Machold</strong>s Arbeiten vergleichbarist. So wie heute Wissenschaft, Forschung und Philosophieim Mikrokosmos die Beweggründe für die Zusammenhängephysischen und geistigen Geschehens finden, suchtauch der Künstler nach einer Ausdrucksform für eine wirklichereWelt als die des äußeren Scheins. Er arbeitet dabei mit denMitteln der Natur, aber nicht nachbildend, sondern gleichsamparallel zu ihr.Paul Klee hat sich häufig zu dieser Art des künstlerischenGestaltens, die auch die seine war, geäußert, so z. B. in demAufsatz »Wege des Naturstudiums« der 1923 in dem Buch»Staatliches Bauhaus Weimar 1919-1923« erschien: »SämtlicheWege treffen sich im Auge und führen, von ihrem Treffpunkt ausin Form umgesetzt, zur Synthese von äußerem Sehen und inneremSchauen. Von diesem Treffpunkt aus formen sich manuelle Gebilde,die vom optischen Bild eines Gegenstandes total abweichenund doch, vom Totalitätsstandpunkt aus, ihm nicht widersprechen.Der Studierende weist sich durch sein in Arbeit umgesetztes, aufden verschiedenen Wegen erfahrenes Erlebnis aus über den Grad,den seine Zwiesprache mit dem natürlichen Gegenstande erreichthat. Sein Wachstum in der Naturanschauung und Betrachtung17


efähigt ihn, je mehr er zur Weltanschauung empordringt, zurfreien Gestaltung abstrakter Gebilde, die über das Gewollt-Schematische hinaus eine neue Natürlichkeit, die Natürlichkeitdes Werkes, erlangen. Er schafft dann ein Werk oder beteiligtsich am Erschaffen von Werken, die ein Gleichnis zum WerkeGottes sind«. Oder, knapper ausgedrückt: »Kunst verhält sichzur Schöpfung, gleichnisartig. Sie ist jeweils ein Beispiel, ähnlichwie das Irdische ein kosmisches Beispiel ist«. (SchöpferischeKonzession, in: Tribüne der Kunst und Zeit, Berlin 1920).<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> verwendet häufig Verschnürtes, Genähtes,Verdecktes, Symbol vielleicht für Alles, das uns ferngerückt, nochoder überhaupt verborgen ist. Das Rätselhafte ist als zu Enthüllendes,aber auch in seiner Verschlossenheit von fast magischerKraft. Wieder andere Bilder suggerieren den Eindruck des Verletzten,Zerissenen.Eine Schlüsselstellung scheinen mir die sogenannten »Türen«im Werk von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> einzunehmen. Auch dieses Themaist schon lange in seinen graphischen Arbeiten vorbereitet, bekommtin der Monumentalität der Metallbilder jedoch ungleichgrößeres Gewicht.<strong>Machold</strong>s Türen sind zweiflügelig und verschlossen. Manchmalsind sie mit Ornamenten behängt, die wie große Türklopferaussehen. Meistens wirken sie schwer, als bestünden sie ausgroßen, nahezu unbeweglichen Stahlplatten. Eine von ihnen istzerknittert, angegriffen, scheint zu einem Spalt aufgerissen.Doch bleibt der Versuch, in das durch sie verborgene Geheimniszu dringen, vergeblich. Einige der Türen sehen aus, als müssesich hinter ihnen das Paradies befinden, manche rostige,fleckige scheinen Unergründliches zu bergen, schützen? Sindes die Türen, die uns das vorenthalten, was uns fehlt, von demwir glauben, daß man es nur zu finden brauche, um endlich derwahren Erkenntnis und des Glücks teilhaftig zu werden? Sindes Türen, die uns dieses Glück in uns selber verborgen halten?Müßten wir sie nach außen öffnen oder nach innen? Oder istes besser, sie verschlossen zu lassen? Es wird keine Antwort aufdiese Frage gegeben. Und gerade deshalb scheinen sie mir zuden Arbeiten zu gehören, die die künstlerische Intention von<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> am intensivsten auszudrücken vermögen: DasNachspüren alles Lebendigen, Organischen in all seiner Fülle,sei es im formalen, im psychischen, im philosophischen Bereich.Kunst als Antwort und Analogie zu unserem menschlichen Seinmit allen Fragen, Schmerzen, allem Reichtum, aller Vielfalt,ohne eindeutige Antworten, in ständiger Bewegung, mit offenemAusgang.Beim Schweissen18


Roland H. Wiegenstein Erfundenes – als wäre es gefunden (1979)Eine Metalltafel, Hochformat, ca. achtzig mal sechzig Zentimeter,glatt in der Oberfläche, von differenzierter Farbigkeit, wiesie Metalle aufweisen, die lange den Einflüssen der Außenweltausgesetzt waren, erdige Töne; Kratzspuren wie von einemGebrauch, dessen Sinn und Zweck schon lange vergessen wurde;und an der oberen Bildkante ein Drahtbündel, in der Mittedurch eine Blechschlaufe zusammengehalten, nach außen gesträubtwie ein melancholisch hängender Schnurrbart, zu demdas Gesicht darüber fehlt, das sagte: <strong>Jorge</strong> was here. <strong>Jorge</strong><strong>Machold</strong> hat keinen Schnurrbart, als Selbstporträt ist die Tafelalso kaum zu verstehen, ohnedies reserviert der Künstler seinerasche, helle Ironie, die Wortspiele liebt, fürs Privatleben, seineBilder wissen davon nichts, sind vielmehr ernsthaft, oft kargund verschlossen, manchmal von kühler Heiterkeit, aber dieDrähte als Schnurrbart zu interpretieren ginge ihm vermutlichzu weit, da konterkariert nur eine lockere Form eine sonst vielleichtzu strenge Fläche, wird etwas offensichtlich Gemachtes,Hinzugefügtes dazu benutzt, um ein Stück Metall vom Verdachtdes Fundstücks zu entfernen. »Art trouvé« nämlich willer nicht, er ist kein Sammler. Also hat seine Werkstatt – hochüber einem jener riesigen Fabrikhöfe, von denen es in Berlinviele gibt, aufgebockt wie ein verglaster Aussichtsturm (als dashat der Raum und hat die Plattform darüber während des Kriegesauch gedient, es war eine Flakbatterie dort montiert) –auch nichts von den idyllischen Rumpelkammern der Fund-Künstler, da gibt es einen praktischen Vorraum mit ein paarbequemen Sitzgelegenheiten, wo man mit Freunden zusammenhockenkann, dann eine Eisentür, die er gemacht habenkönnte, wenn sie nicht vorher schon da gewesen wäre, unddann eine Werkstatt von imponierender technischer Perfektion,eine Art Maschinenhaus, mit allem, was man zum Schneiden,Schweißen, Bohren, Sägen, Schleifen braucht – und alles motorisiert;so ungefähr müßte eine Werkstätte aussehen, in derman Autos von Hand fertigt mit Hilfe der Maschinen.<strong>Machold</strong>s Metallarbeiten, die fast stets auf Holz montiertwerden, auf solide Tischlerplatten, die manchmal wie Rahmenüber den Metallteil hinausragen, manchmal selbst farbig behandeltwerden, mit Feuer geschwärzt zum Beispiel, sind zunächsteinmal Werkstücke eines technisch hochbegabten Ingenieurs,der über die Fertigkeiten aus einem halben Dutzendmetall- und holzverarbeitender Berufe souverän verfügt.Im AtelierGrundlage aller seiner Arbeiten sind technische Vorgänge,die arbeitsteilig zerlegt, in einer großen Montagehalle für Autosoder Turbinen vorkommen. Hier freilich werden sie von einemausgeübt, nacheinander, von einem, der ein Stück Edelstahlblechzuschneidet, es an den Kanten verschweißt, es übereinanderoder nebeneinander angeordnet verbindet durch unsichtbareNieten, der es chemisch behandelt, um ihm einespezifische, genau ausgetüftelte Farbigkeit zu geben; von einem,der Bleibleche in knitterige Formen bringt, bis die so entstandenenKörper eine Festigkeit gewinnen, die das Materialtranszendiert, was womöglich wie zerknittertes Packpapier aussieht,das schließlich mit Tauen verschnürt wurde, und was manberühren möchte, um zu spüren, wie es unter den Händennachgibt, das ist ganz hart, schwer, unveränderbar geworden(siehe Abb. S. 125). Die Patina, mit der <strong>Machold</strong> Blei und Stahl19


Im Atelier Berlin20


überzieht, »entsteht« eigentlich erst in Jahren: <strong>Machold</strong> nimmthier wie sonst Natur vorweg, ahmt sie nach, indem er technischverkürzt, was sie in langer Einwirkung zuwege bringt. Es gibteine silbrige Metalltafel von ihm (siehe Abb. S. 130), wo dieOberkanten der Bleche wellenförmig angeordnet sind, gelegentlichkommen goldgefärbte Zungen hervor: das evozierteine Hügellandschaft (die Toscana bei Siena – war mein ersterEindruck) und ist doch eine durchaus verfertigte, absoluteForm, der nur wir etwas ansinnen, eine Erinnerung, die vomgenaueren Hinschauen dementiert wird, so wie die verschnürtenBleibilder Verpackungen beim genaueren Hinsehen dementieren,übrig bleiben in beiden Fällen Formen, die Ähnlichkeitenin uns wachrufen, die aber nur sich selbst ähnlich sind und –anderen Bildern von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>.Wir haben es mit Formerfindungen zu tun, die als solchestets kenntlich bleiben, als etwas Gemachtes, Erfundenes, alsErgebnisse komplizierter technischer, handwerklicher Vorgängeund einer ästhetischen Haltung, die mit Strukturen mehr zu tunhat als mit Natureindrücken, mit mathematischen Kurven mehrals mit einer Hügellandschaft, mit dem diffizilen Problem, verschiedenartigeMaterialien paßgenau und haltbar zu verbinden,mehr als mit Naturstudien.Und doch lassen sich im Beschauer die Erinnerungen anLandschaften, an alte Häuser, an verwitterte Wände nicht vertreiben,denn <strong>Machold</strong>s Arbeiten weisen Natur nicht einfachab, sie weisen auch auf sie hin.Durch eine Vielzahl technischer Vorgänge und strukturellerÜberlegungen hindurch, gefiltert also vom Gemachten, vomErfundenen, geprägt von einer bewußten Auswahl von Material,Farbe, Form, kommt doch das Abgewiesene ins Spiel, demBetrachter erscheint als gefunden, was doch hergestellt ist.Natur wird hier auf eine vertrackte Weise wiederholt, umgeprägtund je weiter der Künstler sie abweist, desto kräftigermeldet sie sich zu Wort, und zwar auf eine höchst komplexeWeise: sie findet sich wieder, nicht im ersten Anschein, sondernin der intellektuellen Anschauung, sie äußert sich im Mediumder Zeit. Denn was <strong>Machold</strong>s Bilder »vergleichbar« macht, einerLandschaft, einer alten Tür, einer Hauswand, einem weggeworfenenPackpapier, in dem noch etwas verborgen sein könnte,das ist der Prozeß des Alterns, dem beide, Kunstgegenstandund Naturfundstück, ausgesetzt sind. <strong>Machold</strong> stellt auch diesher, er verwendet darauf viel Einfallsreichtum. Und doch überholtan diesem Punkt das Kunstwerk den, der es ersann: ZEITnähert seine Bilder dem, dem sie sich zu entwinden suchten.Was so manifest, dauerhaft, schwer ist, daß es oft besondererVorrichtungen bedarf, um es an einer Wand zu befestigen,signalisiert Flüchtigstes und hält auch dies fest: Vergehen, Veränderung,Wandel.Darin liegt vermutlich das eigentliche Irritationsmomentdieser Bilder: sie materialisieren das Immatrielle:eben die Zeit. Alles was da »anklingen« kann, Organisches,Pflanzliches, Steine, Erde, Geländeformationen, Auffaltungen,oder durch Gebrauch und lange Nutzung Abgegriffenes, blankgewordenes Holz, verrostetes Metall, in Vorzeiten Bearbeitetes,längst anonym Gewordenes: es ist neu, jetzt gemacht, es okkupiertin der mehr oder weniger langen Dauer seiner Herstellungdie viel längere, in der Umwelt, Außenwelt, Sonne, Wasser,Erde wirksam werden. An einem Punkt wird der in der Naturinfinite Prozeß vom Künstler angehalten, fixiert: das bleibt dannso, die Materialbilder setzen einen Punkt, Zeit wird zur Dauerangehalten und auf den künstlerischen Begriff der Dauerhaftigkeitgebracht, dem bloße Natur sich entzieht. So beharrt <strong>Machold</strong>darauf, daß das, was er macht, ihm gehört, er bleibt derDemiurg, der sein Verfügungsrecht wahrnimmt.Gerade bei Schlüsselromanen pflegen Autoren irgendwoaufs Vorsatzblatt den Satz zu schreiben »Ähnlichkeit mit lebendenPersonen wäre rein zufällig«. So könnte hinten auf <strong>Machold</strong>sBildern stehen: »Ähnlichkeiten mit Naturproduktenwären rein zufällig« – weil die Bilder, ihres Gewichts wegen,schwer umzudrehen sind, läse es vermutlich nur der Kunsthändler,der sie aus der Verpackung holt, also kann sich, wernur die Vorderseite kennt, weiter in Erinnerungen und Analogienüben, die dann freilich Teil des Bildes werden, der einzige,der sich noch verändern kann, weil Assoziationen wechseln.Immerhin, daß <strong>Machold</strong>s Bilder solchen Wechsel erlauben,macht sie noch auf eine andere, fragilere Weise dauerhaft, daKunst ja auch davon ihr Leben hat, daß man sie zu verschiedenenZeiten, durch verschiedene Menschen verschieden interpretierenkann. Dies müssen die Bilder zulassen – und mit ihnender, der sie erfand. Sie sind keine Fundstücke, aber sie erlaubendem Betrachter Funde, Entdeckungen – also kann man mit ihnenleben.21


Jürgen Weichardt Das Ambivalente in den Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1979)<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> schafft Materialbilder. Dieses Wort bezeichneteine eigenartige Kategorie von Kunst: weder Malerei noch Relief,weder Tafelbild, noch dreidimensionales Objekt an derWand – und doch von jedem etwas: Genug, um daraus schonim Technischen ein eigenständiges Gebiet zu füllen. Das Wortverweist einmal auf die größere, nicht selbstverständliche Rolle,die Material in den Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> spielt; es besagt,daß nicht die gewohnten Mittel wie Farben und Leinwand,sondern ungewohnte wie Bleche, Stahl, Drähte für dieBilderstellung verwendet werden, zuweilen auch Holz und warumnicht auch dazu das Gewohnte?Das Wort »bild« wiederum deutet an, daß die Materialiennicht zum Selbstzweck geworden sind, daß sich der Autor nichtdamit begnügt, ihre Eigentümlichkeiten aufzuzeigen, sondern,daß er sie benutzt, um subjektive Vorstellungen zu konkretisieren,kurz, Bilder zu machen, wie Maler auch Bilder mit Inhaltenmalen. Freilich entspricht es der Eigenart des kompakten Materials,nicht so flach zu sein wie Acryl auf Leinwand, so daß dieMaterialbilder durchaus dreidimensionale Stärke erhalten können;auf der anderen Seite ist diese Dreidimensionalität wenigeraus plastischen als aus bildnerischen Gründen eingesetztworden, so daß der Begriff »Relief« fehl am Platze ist. Das Materialbilddrängt auch dort zur Fläche, wo Bleche gewölbt, gebogen,gefaltet werden – eine merkwürdige Eigentümlichkeitdieser Gattung, die durchaus ambivalent gesehen werdenkann.<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> verwendet für seine Arbeiten Bleche aus Edelstahlund Cortenstahl, die geschnitten und dann geschweißtwerden, wobei den Kanten häufig besondere optisch-taktileBedeutung zukommt. Besitzen diese Bleche schon eo ipso differenziertenFarbreiz, der durch Licht und Schatten und durchdie Robustheit der geschweißten Kanten noch erweitert wird,so gibt sich <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> doch damit nicht zufrieden, sondernpatiniert verschiedene Flächen, schleift auch einmal Bleche zumGewinn feiner Oberflächenstrukturen; kurz – er setzt weitereFarbmöglichkeiten ein, die weniger auf Kontrast als auf differenzierteVielfalt angelegt sind. Beherrschend sind die erdhaftenTöne, vor allem die ganze Skala des Brauns, zuweilen kombiniertmit grünen Tönen.Die Form der geschnittenen Flächen und diese Farben ergebenzusammen den Grundzug der realisierten Vorstellung, dasBeim SchweissenBild: Es erinnert an landschaftliche Formationen, in denenstrukturale Gruppierungen vorherrschen. Natürlich sind dieMotive keine Abbilder, sondern sehr freie Umsetzungen inspröde Materialien; dennoch lassen sich Vorstellungen von kargen,aus wenigen Formen gebauten Landschaften erkennen.Dazu verhilft besonders das Mittel der Schichtung von Einzelformen,wodurch in der flachen Formgebung räumlicher Eindruckentsteht. Es gehört zum ambivalenten Charakter der Arbeitenvon <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>, daß diese räumliche Tendenz trotzder Flächenhaftigkeit von Materialbildern nicht nur in der Vorstellung,sondern auch faktisch vorhanden ist, wobei beidenatürlich weit auseinanderklaffen.In der Art des Landschaftlichen lassen sich zwei Arten unterscheiden:knappe enge, fast mikrokosmische Naturausschnitte,fast in der Art von Rasenstücken, und demgegenüber weitestruktural gegliederte Landschaftsräume, wie sie <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>auf Island, in den Karstgebieten Nordafrikas oder in Spanienerlebt hat.Freilich darf diese Nähe zum Landschaftsbild nicht überbewertetwerden. Das Motiv ist ein Hilfsmittel, in die Fülle der22


Beim PatinierenMaterialbilder einzudringen, doch darf es nicht diese Vielfaltvon materiellen Eigentümlichkeiten verdecken. <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>sArbeiten enthalten eine große Anzahl von Kontrasten – etwazwischen hart und weich, kantig und gerundet, festen undbeweglichen Teilen, zwischen geschlossenen Flächen und transparentenBildpartien, zwischen Bildabschnitten, in denen dasMotiv des Arbeitens hervortritt, und anderen, in denen dasSpielerische dominiert. Diese Gegensätze – zu denen noch gegenüberden Flächen das Motiv des Schnürens, Bindens oderVerbindens kommt – sind Spannungen in den Bildern von <strong>Machold</strong>,doch sind sie so beherrscht, daß aus ihnen die höhereEinheit des komponierten Kunstwerkes erwachsen kann. Immerhinbewirken sie, daß der Betrachter sich nicht in der Anschauungvon empfundener und umgesetzter Landschaftskunstverliert, sondern immer wieder zum Materialcharakter der Bilderzurückgeführt wird. Einmal mehr wird damit der Grundzugdes Ambivalenten in den Arbeiten von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> angesprochen;auf den Schritt in die Illusion folgt immer wieder einSchritt in die Realität, so daß der Betrachter der Arbeiten von<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> stets gespannt bleiben kann.Es fällt dem aufmerksamen Betrachter der Materialbilderleicht, sie gegen die modische Eleganz der Chromnickel-StahlGlanzobjekte ebenfalls abzugrenzen wie gegen alle Nostalgie-Realisatoren, die mit vorgefertigten Materialien Empfindungenzu zaubern versuchen. <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> ist sein eigener Herr undunabhängig von Trends: Er arbeitet nach Vorstellungen undIdeenskizzen, die aber während des Arbeitsprozesses erheblichenÄnderungen unterworfen werden. Er schneidet, preßt,reißt, schweißt selbst, möglichst mit neuen, nicht mit Inhaltenbeladenen Materialien; und indem er Farben einsetzt, arbeiteter auch gegen seine Materialien, auch dann, wenn er sie biegtund beult, verschnürt und spannt. Auf diese Weise hat <strong>Jorge</strong><strong>Machold</strong> in der gegenwärtigen Kunstszene unübersehbare Akzentegesetzt.23


Peter Raue Eine Rede – in der Galerie Goetz, Stuttgart (1984)Meine Damen und Herren, als ich von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> und derGalerie Goetz gebeten wurde, einige Worte zu <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>und seinen Arbeiten anläßlich der heutigen Vernissage zu sprechen,hatte ich Hemmungen zuzusagen, weil ich auf vielfacheWeise dilettiere: Ich habe weder Erfahrung im Eröffnen vonAusstellungen – halte Reden bei dieser Gelegenheit doch eherfür die Unterbrechung entweder der Gespräche oder des Betrachtensvon Bildern - ,aber auch auf dem Gebiet der Kunstinterpretationbin ich Dilettant, denn ich gehe einem bürgerlichenBeruf nach. Aber dieser Dilettantismus ist es auch, derGrund war, das Angebot anzunehmen: Der Dilettant ist derLiebhaber und ich bin seit über einem Jahrzehnt mit <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>befreundet und sammle genauso lang seine Arbeiten,weil ich sie liebe. Dies mag, vielleicht, Rechtfertigung sein, hierüber <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> zu sprechen.Eines Tages erhielt ich eine besonders schöne Arbeit von <strong>Jorge</strong><strong>Machold</strong>, über die ich eingangs berichten will: Als wir spazierengehendeinen Wald im Harz durchstreiften, bückte sich<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> an einer Stelle, die wir für bedeutungslos hielten:Er brach vom Boden ein Stück ab, das eine merkwürdigeMischung aus Moos und Rinde, aus Wucherung und Pflanzewar: nierenförmige Ringe, die im Zwischenraum Platz für hellesMontage einer Großplastik24


Montage einer Großplastik25


Kochen im FreienMoos ließen, – »ein <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>«, eine Arbeit, die von ihmhätte sein können, geht man mit flüchtigem Blick an dieses»Fundstück« und doch wird zugleich klar, wo der grundlegendeUnterschied zwischen diesem object trouvé und den Arbeiten<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s liegt, – und darüber wird zu sprechen sein.Freilich: erwarten Sie nicht die Interpretation der Kunstwerke<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s, – diesem Vorgang, der ohnehin häufig demLockenwickeln auf der Glatze gleicht, stehe ich skeptisch gegenüber:Sehen sie sich die Arbeiten <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s an. MeinVersuch gilt, den Menschen und Künstler <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> Ihnenetwas aus der Sicht des Freundes vorzustellen.<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>, 1940 in Chemnitz geboren, kommt früh indas, was man in der DDR den »Westen« nennt. Im Juni 1953der traurig niedergeschlagene Aufstand in Ost-Berlin, im Novembergeht die Familie <strong>Machold</strong> »nach drüben«. Hier erlernter den Beruf des Gießereiformers, also einen Handwerksberuf,daneben studiert er den Beruf des Maschinenkonstrukteurs.Und da haben wir schon einen Zugang zu <strong>Machold</strong>s Art, seineKunst entstehen zu lassen: Alle Arbeiten vom Tiefdruck bis zuseinen Brunnenplastiken – sind Ergebnisse hohen technischenKönnens: Er schneidet und er schweißt, er schmiedet und erbiegt und beugt das Eisen, den Stahl und andere Stoffe, wie eres braucht. Eine Technik, die er wie kein anderer Künstler beherrscht;so wird er unter den Künstlern unserer Tage so etwaswie Hephaistos unter den Göttern, der göttliche Schmied, derdie zartesten Gebilde ebenso erstellen konnte wie die schwerstenRüstungen. Mit diesem – im wahren Wortsinne – Handwerkszeuglebt und arbeitet <strong>Machold</strong>, in seiner »Kate« in derHeide ebenso wie in seinem Atelier in Berlin, einem Atelier, daseher einer Werkstatt gleicht als dem romantisch-eingefärbtenBegriff des Ateliers mit Maler, Pinsel, Farben. In einem wuchtigenAufzug, der noch mit Hebel zu bedienen ist, und nur vom»Chef« selbst bedient werden darf, fahren wir in einem altenHinterhof-Fabrikgebäude in Friedenau in die oberste Etage. Vondort blicken wir rund in die ganze Stadt, dort stehen sie: DieSchweißgeräte und Schneidemaschinen, Hydraulisches undentsetzlich Lärmendes, Zischendes und Quietschendes, – großeunheimliche Gebilde. Diesen schweren Maschinen entsprechendie großen schwergängigen Sessel, die zum Schwatzen einladen,– und ich kann mich an keinen Atelier-Besuch erinnern,bei dem nicht, kaum daß die schweren Maschinen abgestelltwerden, Musik aus den großen Lautsprechern tönt, von Händelbis Keith Jarret, – und immer wieder Jazz: <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> hatjahrelang Jazz gespielt und auch damit sein Geld verdient.Da ist aber nicht nur der Schweißer und Blechschneider, derHolzbearbeiter und Bronzegießer, - da ist auch der Tiefseetaucher<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>, – der diesem Sport nicht huldigt, um amStammtisch, den er nicht kennt, mit Tauchzeiten und Tauchtiefenprahlen zu können, sondern der unter Wasser dasselbesucht und findet, was er mir im Wald gezeigt hat: natürliche26


Gebilde, die ihn zu seinem Arbeiten anregen und er findet siein den Korallenriffen, Felsrändern und fremdartigen Pflanzgebilden.Das wache und besser sehende Auge <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s für dasnoch nicht Gesehene, seine Gabe, die neue Sicht auf oft Geseheneszu werfen, zeichnen sein Sehen und damit auch seinZeigen, seine Kunstwerke, aus. So sind die Fotos, die er unterWasser »schießt«, für ihn Studien und Anregungen; für michsind sie kleine Kunstwerke sui generis. Was er unter Wasserfindet, sucht er auf seinen Studienreisen in die Camargue, indie Wüste oder den heißen Quellen Islands.Da ist aber auch der leidenschaftliche, kenntnisreiche undkritische Koch <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>, der sein Essen am liebsten ingroßen Pfannen üppig bereitet, der das offene Feuer brauchtund der das Reiche und Reichliche liebt, um dann das »leckerbereitete Mahl« an riesigen Holztischen zu servieren, Tischen,die er selbst gebaut, schwer, klobig, auf Dauer angelegt. Dazugehören die großen Gläser, in denen schwerer Rotwein ausgeschenktwird, um dann, in langen Stunden, heftige, kenntnisreicheund oft sehr streitige Gespräche zu führen: da kann <strong>Jorge</strong><strong>Machold</strong> ein schwerer Brocken sein – schwerer verdaulichals das ganze Mahl.<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> führt ein Leben nach seinem Vorstellen vonGeradem, Unverbrauchtem, Anfangsmäßigem, Natürlichem:Das Angepaßte fehlt da ebenso wie der Widerstand als Attitüde,als Originelles und Originalseinwollen: im Täglichen ebensowie in seinen Kunstwerken.Und gerade aus dem Fehlen dieser Antipoden menschlichen(Fehl-)-Verhaltens erwächst auch künstlerisch das Originalhafte,das Ursprüngliche – auch wenn es hausbacken klingt, wage ichdieses Wort – das Ehrliche im <strong>Machold</strong>schen Werk. Nicht minimal,nicht wild, nicht dada-haft, noch als art brut einherkommend,sondern treu seiner eigenen unverwechselbaren Sprache,ein Monolith im babylonischen Turmbau der Kunstrichtungen.Dem Urigen, dem Anfangsmäßigen seines Lebens und Handelnsentsprechen seine Bilder, sein Material: Wir stoßen aufdie Urformen, das Dreieck, das Quadrat, der Kreis; wir findenUr-Bilder wie Rundungen, Schuppen, Wucherungen, archaischund hochkünstlerisch, wie es die Höhlenmalerei, wie es dieKunst der sogenannten »Primitiven« ist; daraus erklärt sichwohl auch <strong>Machold</strong>s Liebe zum Jazz, dieser merkwürdigen Verbindung»primitiver« Rhythmen und höchst künstlicher undkünstlerischer Ausdrucksformen.Daher rührt es wohl, daß <strong>Machold</strong>s Arbeiten so verständlichwie kompliziert, so eingängig wie vielschichtig sind.Wenn seine Arbeiten immer wieder an Naturformen erinnern– Baumrinden, Wüstensand, Riffe, so kippt er doch sofort dieschnelle Assoziation mit den Mitteln seines enormen technischenKönnens, mit dem Paaren von Ungleichem: Stahl aufHolz, Holz auf Kupfer, Kupfer und Papier usw. Da wird dasVertraute fremd, das Gemütliche kühl, das Erkennen suspekt.Da entsteht die Spannung, die diesen Arbeiten das Außergewöhnlichegibt, sie vor allzu schneller »geistiger Inbesitznahme«bewahrt.Neben der Liebe zum Archaischen, zum Natürlichen, zumUnhektischen gibt es ein Zweites, das mir bei <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>auffällt: eine Erkenntnis, der ich mich vorsichtig nähere, weil ichunsicherer bin und weil es komplizierter ist: <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> liestviel – und unterscheidet sich dadurch von vielen seiner Künstler-Kollegen:James Joyce, Karl Krauss – »Die letzten Tage derMenschheit« kann er passagenweise auswendig-, ThomasBernhard: das sind Vorlieben, und diesen Vorlieben entspricht,naturgemäß, eine eigene Lebenssicht <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s: allendiesen Künstlern haftet ein kritischer Blick, ein müder, ein oftresignierender an: Und <strong>Machold</strong>s Liebe zu diesen Schriftstellernentspricht seinem – früher hätte man gesagt – eigenen»Lebensgefühl«: Irdisch und diesseitig, ohne Jenseitshoffen,ohne übertriebenen Weltschmerz und ohne heiteres Hoffen:Hier gehen Humor, Zynismus und Resignation eine merkwürdigeAllianz ein. Moralisches Pathos, Weltverbesserungsideologie,Sendungsbewußtsein liegen ihm fern.Gehe ich zu weit, wenn ich mutmaße – denn ich weiß eswirklich nicht und <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> weiß es wohl noch weniger -, daß diese »leichte Weltsicht« <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s Ursache dafürist, daß in <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s Arbeiten die lauten Farben fehlen,daß hier das Leise, das Müde, das Irdene und Irdische überwiegt:daß alle Arbeiten einen Hauch von Herbst (und nichtsvon Winter), einen Hauch Vergänglichkeit (aber nicht Vergangenes),etwas Leises (aber nie etwas Reduziertes) haben? DemArchaischen, dem Schweren, dem Unnachgiebigen stehen inder Farbskala leise Töne, eine resignative Hand gegenüber.Ich gerate auf Abwege – und nun eben doch in das Sinnenüber <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s Arbeit. Dabei versprach ich, und deshalbende ich, Ihnen nur den Freund <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> ein bißchen,umrißartig, dilettierend und Komplexes vernachlässigend, vorzustellen.Den Arbeiten <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s müssen Sie sich selbstnähern und Sie dürfen es jetzt endlich tun. Dabei wünsche ichIhnen viel Freude.27


Hermann Wiesler Stein und Stahl – anmutig schroff (1989)<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> reizt in seinen jüngsten skulpturalen ArbeitenGegensätze aus.Er stellt gegeneinander unterschiedene Materialien: Blauschwarzen,aus Blöcken abgespaltenen Bruchschiefer, gewachseneeisenfarbene Schieferstelen und silbern glänzenden, geschliffenenEdelstahl in Form geschmiedeter eckiger Stangenoder pfeilerförmiger Hohlkörper.Ein sechsteiliges Ensemble wächst aus einem sorgfältigaufgeharkten lockeren und graugesprenkelten gleichseitigenKiesdreieck (siehe Abb. S. 155). Drei oben abgeschrägteStahlstelen quadratischen Querschnitts, drei gewachsene Schiefermonolithe.Die Stahlstücke neigen in flachem Neigungswinkelsich auseinander, unterschieden lang, das größte hat knappdoppeltes Menschenmaß; von den Steinen lehnt jeder an einMetallstück. – Wirkung: mühelose selbstverständliche Balance.Ein Seiltänzer zeigt Anmut nur auf dem Seil, auf der Erde tappter wie jeder Fußgänger. Hier ist Balance auf den Boden geholt.Ruhig. Nicht zitternd. Die Ruhe ist jäh, wach, aufmerksam, dasie jederzeit gestört werden, auseinanderfallen kann.<strong>Machold</strong>s Plastik ist eine technisch formulierte, konstruktiveMaterialentsprechung zum »Dreiklang« von Rudolf Belling(1919). Leben hier Ausdruck, Rhythmus und atmende Dynamik,ist dort ein dreifaches Vorzeigen von kristalliner Ruhe im natürlichenEinssein des Terzetts dreimaliger Wiederholung einesZueinander von Stein und Stahl. Der Stein ist naturhaft geworden,er zeigt Schründe, trägt Spuren von Zeit, hat Geschichte.Der Stahl ist technisch gemacht, glatt, unverletzt, zeitlos. <strong>Machold</strong>arbeitet materialbezogen. Doch nie breitet er bauchladenhaftoder prunkvoll Materiallager aus. Die Zuordnung dervon ihm gebrauchten Dingelemente ist überlegt. Die offenzutage tretende Zwecklosigkeit seiner Arbeiten (kein Wegweiser,keine Sonnenuhr, kein einer bestimmten Sache gewidmetesDenkmal) entbindet Sinn. Sinn, der sich beim Betrachten,Drumherumgehen, Anfassen sofort ergibt/ergeben kann.Für <strong>Machold</strong>s skulpturale Kunst sind zwei Dinge wichtig: Ererzählt keine Geschichten, es wird nicht sichtbar ein seinerArbeit zeitlich vorangegangener Vorgang illustriert. Der vorJahren mit gewisser Ausschließlichkeit und der Leidenschaftästhetischen Glaubenskrieges gesuchte Gegensatz gegenständlich– ungegenständlich ist bei vernünftigen Künstlern heuteund damit bei <strong>Machold</strong> keiner mehr. <strong>Machold</strong> erreicht eine ihmeigene »Spitzenposition«: Er arbeitet ungegenständlich, dasheißt, seine Skulpturen haben in der dem Auge sichtbaren konkretenNatur kein Vor-Bild, und er arbeitet mit handfesten Realien,genau den Dingen, die er künstlerisch meint, seine Gegenständlichkeitist damit künstlerisch unsteigerungsfähig. Was erzeigt, kann nur aus dem Dasein des von ihm Gemachten, ausseinem Anordnen und Zueinanderstellen von Steinen und Metallkörpernerfahren werden. Die in seinen jüngsten Arbeitenverkörperte – im handfesten Sinne: »verkörperte« – Natur kanndurch keine andere ersetzt werden. Seine Arbeiten sind elementardas, was sie sind. Nur so sind sie denkbar. Man stellesich eine Stein-Stahl-Skulptur von <strong>Machold</strong> in Bronze gegossenvor...Was dieser Text Wort nach Wort beschreibt, der Betrachterhat das sofort mit einem Blick, dem dann der zweite und dritte,die Sache bedenkend, ergreifend folgen könnte. Das ist daszweite wichtige Element, das zu <strong>Machold</strong>s Arbeiten gehört. DerBetrachter wird gefordert. Die Arbeiten sind eindeutig, klar,definiert, knapp. Material und seine Ordnung können im Betrachterin vielerlei Weise Gedanken, Einfälle lösen. Können, siemüssen das nicht. Der Aufnahmeprozeß ist offen, offen wiemoderne Kunst: Das ist ihr seit Goya durchgesetztes Prinzip;der Künstler bedient nicht mehr Vorgaben. Das von ihm eindeutigerfundene Elementarzeichen kann vom Betrachter vieldeutigund schweifend gelesen und verstanden werden.Weiteres Beispiel: Vier in den Eckpunkten eines gedachtenQuadrats stehende Edelstahlpfeiler halten zwischen sich imletzten Drittel ihrer Höhe zwei zueinander schräg versetzte, teilsglatt geschnittene, teils gebrochene Schieferquader. Diese stoßenaus dem Turmgrundriß in den umgebenden Luftraum (sieheAbb. S. 156). Unsichtbar gehalten teilen sie scheinbarschwebend Labilität mit. Diese Arbeit bindet architektonischverfaßte Stabilität mit bedrohlicher offener Unruhe zusammen;fallen, gleiten, stürzen die Steine? Der Betrachter kann einhochmanieristisches Prinzip entdecken: Im scheinbaren Beruhigtendas Beunruhigende, im Haltbaren das Haltlose, im Ewigendes zeitlosen Stahls das Verfallende des witternden Steins.<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> liebt diese Systeme offener Dialektik. Er zeigtGegensätze: Glänzend-stumpf/verletzend-unverletzbar/hartweich/rauh-glatt.Sie können beliebig verlängert werden. Diese»Beliebigkeit« ist eine Leistung moderner Kunst.28


<strong>Jorge</strong> und Heike <strong>Machold</strong> an derWasserplastik für den Cornelsen-VerlagAn der Steinsäge29


<strong>Machold</strong> stellt etwas an Eindeutigkeit kaum zu Überbietendesher – diese Steine, diese Stele. Seine Arbeiten sind künstliche,gemachte, er übernimmt nichts. Wenn er Fundstücke gebraucht,sind diese so dem jeweiligen Kunst-Objekt eingefügt,daß ihr Eigenwert im Gesamtzusammenhang aufgeht. <strong>Machold</strong>verarbeitet parallel zwei entgegengesetzte Erfahrungswelten:Eine naturerfahrene und eine im handgreiflichen Umgang mitMaterial gesuchte. Nicht gerade ein Globetrotter, hat er in Island,Nordafrika ihn prägende Eindrücke gehabt (die er nichtbehaglich aufbraucht, die er reisend erneuert): Felsverschübe,Basaltwände, Wasserfälle. Und er hat – diese Erinnerungen imKopf – vor Augen und unter den Händen seine erarbeitetenWerkstatterfahrungen: Wie Stein bricht, wie Glüh- und Anlauffarben,wie Kupferoxyde funktionieren, was Hohl-, was Massivkörpernzugemutet werden kann. Sein undefiniertes Materiallädt <strong>Machold</strong> mit dem Reiz und dem Elementarsinn eben diesesMaterials auf: Der Stein wird unter seinen Händen steinerner,das Metall metalliger; die Materialien werden zu einer Gesamtwirkungdergestalt addiert, daß sie zwar ihren spezifischenCharakter zugunsten einer Sache behalten und diesen gleichzeitigaber in die von ihm vertretene Sache einbringen – jedePlastik ist in ihrer Volumenwirkung ein Werk, dessen dialektischeExistenz im offenen Materialantagonismus steckt. DieserGegensatz ist kein malerischer wie bei Max Klinger; er ist existentiellund den <strong>Machold</strong>schen Arbeiten ganz eigen.Trickreiche Kulissenkniffe sind verschmäht, der Künstlerkönnte Pappe als Eisen, Gips als Granit kaschieren: Dies nicht!– Gewolltes und Gemachtes, Sichtbares und Faßbares sollenübereinstimmen. Denn nur im Gegeneinander der Materialienwächst miteinander die im anderen Werkstoff ruhende Qualität:der zäh biegsame Stahl betont das Brüchige des Steins,neben alterssattem Stein ist Zeit für den Cortenstahl, was Wasserfür Entengefieder.<strong>Machold</strong> zeigt diese Gegensätze. Er instrumentalisiert sieartistisch im Zusammenhang einer Arbeit. Der Zusammenhangist immer ein offener, künstlicher. Die große Versöhnung derGegensätze findet nicht statt. Stein und Stahl versöhnen sichnicht zu einer Ganzheit. Diese kann im Kopf des Betrachterssich ereignen... Die von <strong>Machold</strong> erfundene Kunstform reflektiertNaturform; gesehene Strukturen werden in künstlicheübertragen. <strong>Machold</strong> ist – so, wie er arbeitet – Materialist: SeineMaterialverfallenheit, seine Besessenheit, es handgreiflichanzugehen, zu schneiden, zu brennen, sind handfest. Vor Titanismusschützt ihn seine Klugheit. Das Knappe, Ausgedünnteder neuen Skulpturen ist spirituell, es wirkt fordernd auf denBetrachter.Das Beliebigwirkende ist von <strong>Machold</strong> eindeutig verfaßt. Jedochwird über den Betrachter nicht verfügt. Die Vorgaben sinddefinierte und offene zugleich. Die Skulpturen teilen keine Geheimnisse,geologische oder kosmische Lehren mit. Der Betrachterkann das in den Arbeiten Steckende, artistisch formulierteElementare hochrechnen, mit ihm beliebig umgehen. Dassetzt keine Vorinformationen voraus. Jeder kann sehen, wiereflektierender Edelstahl die Farbe der Umgebung annimmt, imLaufe eines Tages sich verändert, wie Steine im selben Licht,das sie einsaugen, bei unterschiedlicher Luftfeuchtigkeit sichverfärben, wie die Schatten der ganzen Skulptur wandern,verschwinden. Die Materialzuordnungen reizen weitere »einfache«Neugierde, mit der Sache umzugehen. Dieser Umganglöst keine Welträtsel; moderne Kunst insgesamt könnte dasnicht. Wer von Kunst Erhabenheit, Trost, unangefochtene Sicherheiterwartet, geht bei <strong>Machold</strong> leer aus.Der Künstler gibt klugerweise seinen Arbeiten keine Titel.<strong>Machold</strong> dirigiert den Betrachter in keine Richtung: Askese undDinghaftigkeit stehen für sich; die neuen Arbeiten sind darumfordernd.Das Auseinandersetzen mit Natur, mit morphologischerStruktur ist ein Hauptkapitel europäischer Kunst. Dürers Aquarelle»sichern« unmittelbar das Gegenüber bildhaft; Monet undCézanne sitzen »vor dem Motiv«, sie arbeiten ihre Bilder parallelzum Vor-Bild, auf ihren Bildern wird eine Kunst-Natur erfunden,die eine Summe aus dem Gesehenen zieht. Der Kubismusmontiert Bilder als selbständige Wirklichkeit, die nicht in Konkurrenz,sondern gelöst von der Realwelt ihren Rang als spielerisch-intellektuellentworfene selbständige Kunst-Welt hat.Diese Kunst demonstriert allein sich. Indem sie das tut, demonstriertsie – ebenso wie Lyrik und Musik – Phantasie und damitmenschliches Leben.<strong>Machold</strong> gebraucht diese Erfindungen und Methoden modernerKunst. Er arbeitet konstruktivistisch, benutzt Elementereduzierter minimalisierter Kunst, er collagiert Material – derStil seiner neuen Skulpturen ist ganz und allein seiner. Er erreichtden Anschauungswerten seiner afrikanischen, isländischenLandschaften gänzlich abgeschnittene artistische Positionen.Seine Werke teilen vom Gesehenen nichts mit. Er stelltsich außerhalb eines bildhaft lesbaren Naturzusammenhangs.Da ein Teil seiner Materialien, die Steine, Naturstücke schlechthinsind, jede Skulptur verweigernd oder bestätigend mit denGrundphänomenen Schwere und Bewegung spielt, zeigen dieseArbeiten entschieden Natur. Aus der Natur geholte Naturferneverweist stärker auf ihr nicht verleugnetes Natur-Vorbild alsdies ein abbildendes Kunstwerk vermöchte. Artistische Erfindungvon <strong>Machold</strong> und das mit und an ihr mögliche spekulativeGedankenspiel des Betrachters erreichen zusammen elementaresmorphologisches Denken. Das Kunstwerk vollendet sich imUmgang des Betrachters mit ihm. Das dergestalt ästhetischdefinierte und gelöste Denken steht parallel zum wissenschaftlich-analytischen,es geschieht entspannt und ist heiter.30


Atelier im Turm der Goerz-Höfe, Rheinstraße, Berlin-Friedenau31


Roland H. Wiegenstein Organisierte Widersprüche – Zu Papierarbeiten von<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (1989)Er nähert sich den Fünfzig. Er arbeitet immer noch auf seinemAdlerhorst, den die Berliner Firma, die die weitläufige Anlagevon »Etagenfabriken« im Berliner Bezirk Friedenau betreibt,ihm hat herrichten lassen, weil es der Denkmalpfleger so wollte,rostiges Eisen mußte durch soliden Stahl ersetzt werden, derabsurde Kasten hoch über dem Backsteinbau, ist, was man imEnglischen eine »landmark« nennt, dabei war er errichtet wordenzu militärischen Zwecken, zum Ausprobieren optischer Gerätezuerst, dann als haushoher Posten für eine Flakbatterie.Gleichwohl, er existiert friedlich weiter, mit einem neuenSchwerlasten-Aufzug versehen, in dem sich auch die tonnenschwerenPacken von Edelstahlblechen befördern lassen unddie womöglich noch schwereren Maschinen, mit denen ersie bearbeitet, dieser Karosserieschneider von Kunstwerken»Materialbildern«.Er kennt den Galeriebetrieb – und hält sich von ihm fern,womöglich hat er deshalb viele Freunde unter Künstlern: erkann ihre Werke beurteilen, gut finden, auch wenn sie völliganders sind als die seinen (oder – selten genug – auch einmalSpuren von Ähnlichkeiten aufweisen): er läuft »außer Konkurrenz«.Auf Plätzen, in Wohnhöfen, vor öffentlichen Gebäudengibt es hier und dort, weit übers Bundesgebiet verstreut,ein paar Großplastiken von ihm, Brunnen meist, die die raffiniertausgetüftelten Wasserverläufe auch nach Jahren noch sorinnen lassen, wie ihr Schöpfer das geplant hat: er hat einmalin einem Ingenieurbüro gearbeitet, was er macht, soll dauerhaftfunktionieren.Einige Sammler halten ihm die Treue, neue kommen dazu, erhat genug zu tun, arbeitet viel, zuweilen auch auf dem Lande,dort wo es am flachsten ist, in Niedersachsen. Stetig, mit Überlegung,noch nachdenklicher geworden mit den Jahren. Hatsich viel verändert seit 1970, seit 1980? Auf den ersten Blicknicht. Immer noch montiert er auf große Holzplatten seineschuppigen, rhythmisierten Stahlbleche, hellsilbrig meist,manchmal eingefärbt von Oxydfarben, er verwendet immernoch die struppigen Eisendrähte, die so irritierend den glattenFlächen kontrastieren, gefaltetes Blei, zuweilen auch alte Hölzer,die in die Wandbilder einmontiert werden (wenn er welchefindet: neues, nicht jahrzehntelang abgelagertes Holz zu verwenden,das entspräche nicht seiner Vorstellung von Solidität,die das Kunstwerk haben soll), die eigentümliche Balance vonGeometrie und Spontanität existiert wie eh und je, allenfalls,daß sie strenger geworden ist, durch riskante Setzungen sichsperrt gegen die Geläufigkeit des beherrschten Metiers; seineSouveränität dem Material gegenüber hat noch zugenommen.Ein paar Effekte, die er früher gern setzte, verkneift er sich nun,zugunsten einer abweisenden Härte. Das ist, was man einekontinuierliche Entwicklung nennt, an der die Ausstellungsmacherund Kritiker vorbeischauen, wie an der Arbeit einiger andererKünstler, die in kein geläufiges Raster passen, so entgehter dem »Kunstmarkt«, der längst heißgelaufen ist wie eineMaschine, die ständig auf Hochtouren läuft, mit zuviel Schmieröl(sprich Geld) versehen.<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> steht quer zu den Marktgesetzen und Sehgewohnheiten,die als die vorherrschenden gelten. Ihn kümmertdas wenig, allenfalls bekümmert es ihn zuweilen, weil er davonüberzeugt ist, daß seine Arbeit von Wert ist, wert respektiert zuwerden.Aber es hat sich doch etwas Neues begeben: in den Papierarbeiten,die er seit einigen Jahren mit wachsender Konsequenzals integralen Teil seiner Kunst betrachtet wissen möchte. Angefangenhat das, wen wundert es, mit einem technischen Problem:wie bekommt man jenes merkwürdige Braunrot, das nurEisenoxyd hervorruft, und das in den Materialbildern immerschon zu finden war, auf Papier?Im Zeichenatelier Gusborn32


Ganz einfach! Man legt ein möglichst dünnes Blatt, japanischesReispapier zum Beispiel, naß auf eine Fläche von rostendemStahl (Corten etwa), besser noch zwischen zwei Platten,und wartet bis etwas passiert, einen Tag lang, zwei Tage, vielleichtdrei? Doch so einfach war es nicht, <strong>Machold</strong> mußte mühsam,experimentell lernen, wieviel Zeit nötig ist, um die typischenEisenoxydflecken zu produzieren, war er zu ungeduldig,so war fast nichts übrig auf dem Papier, nur etwas Bläßlicheserschien, weit entfernt von dem gesuchten Rotbraun; warteteer zu lange, so war fast nichts von dem Papier übrig, nur nochFetzen, oder waren Stahl, Papierleim und Oxyd eine so festeVerbindung eingegangen, daß sie nicht voneinander lassenwollten. Schließlich hatte er's gelernt, kann er einen chemischenProzeß nun »steuern«, durch genaues Timing und -durch Auswahl: die gefärbten Papiere werden auf ihre Tauglichkeitgeschnitten, <strong>Machold</strong> braucht jeweils nur Partikel. Dieklebt er auf ganz dicke Büttenbögen (aus einem indischenAshram, wo sie sie garantiert säurefrei aus Baumwolle herstellen).Doch wer nun glaubte, der chemisch-technische Vorgangeines dünnen Papiers mit bestimmter Farbgebung genüge, umauf Papier Arbeiten herzustellen, die den Kontakt zu den Materialbildernhalten, dieselbe Hand verraten, also eine Erweiterungeines Formenvorrats sind, den es längst gibt, der sieht sichvon den Ergebnissen getäuscht: Ähnlichkeiten gibt es – wieauch nicht? – aber was <strong>Machold</strong> in den letzten Jahren auf Papiergelungen ist, hat sich mittlerweile von den Metall- undHolzbildern entfernt. Zunächst sogar ganz weit. Denn die Eisenoxydpapierewaren ja nur ein Anlaß gewesen, sich wiedermit diesem Material abzugeben, der zureichende Grund vielleicht,es kam etwas anderes hinzu: eine kreatürliche Lust aufPapier, darauf auch, den Bleistift, die Feder, den Pinsel loszulassen,neben die technische Kalkulation der Materialbilder (beidenen er genau wissen muß, wo er anfängt auf der Holzplatte,wie es mit den Schichtungen weitergeht, sonst mißrät das Bild)die gestische Spontanität zu setzen. Zunächst fast schüchtern,zu den Drahtbüscheln gibt es Pendants in Bleistift, aber dieStriche sind nicht immer durchgezogen, der ausgeklügeltenRaumaufteilung der Bilder entspricht ein jeweils auf eine größereForm zentrierter Massenausgleich auf den Papieren, auf denendas Weiß dominiert. Dazu treten Schraffuren, die oft wir-Im Zeichenatelier Gusbornken, als streiche ein ungeduldig gewordener Künstler das vorhererreichte wieder aus, etwa wenn einem stumpfen, in Wasserfarben(wieder das Braunrot!) angelegten Kegel in der Bildmitteeines Querformats eine nur aus wütenden Pastellstrichengebildete Plattform aufgestülpt und darüber noch etwas Spitzesgezeichnet wird, das den Kegel zum Dreieck macht: einergeometrischen Form.Solche Blätter, von denen es viele gibt, nehmen die nervösenStrichformen auf, die sich etwa bei Twombly finden, aber ohnederen psychotische Dringlichkeit, gerade nur als Erinnerung:<strong>Machold</strong> kennt sich aus, aber nachmachen will er niemand.(Und von dem Einsiedler in Rom, der sich inzwischen Monetsspäte Bilder angeeignet hat, trennen ihn Welten).In einer zweiten Phase der ausdauernden Beschäftigung mitdem neuen Material werden die Konfigurationen labiler, sindnicht mehr mittenzentriert, verlegen die Kraftzonen an die Ränder,kalligraphische Elemente treten hervor, an die Stelle des(nie ganz aufgegebenen) Bleistifts, der farbigen Kreiden, trittder Pinselschwung, schwarze Tusche, satt gesetzt oder mitWasser versetzt, ins Grau changierend, dem »Konstrukteur«geht quasi die Hand durch, die Geste dominiert, es sind malerischeBlätter von großer Delikatesse und traumhaft sichererRaumbeherrschung, die so entstehen, aus dem einen Schwung33


der Hand und dem geduldigen Ergänzen der Dominante durchAperçus, die sie umspielen, manchmal gar dementieren, oftglücklich vollenden. Gelegentlich erwecken diese Blätter denAnschein, als traue der Künstler der neu gewonnenen Freiheitnoch nicht ganz, als wolle er sie zurückbinden an ein Gerüstvon Formen, das er in seinem Kopf gespeichert hat.In einer dritten Phase – wir halten in den Jahren 1987/89,also in der unmittelbaren Gegenwart – werden die breiten Pinselhiebe(wie sie nur mit chinesischen Tuschpinseln zu erzielensind) durch auf das Bütten collagierte Papier (mit Eisenoxydfärbung,aber auch mit Leimfarben versehen) beinah durchwegergänzt.<strong>Machold</strong> addiert neue Farben, dem Schwarz und dem Braunrotnun ein stumpfes Grau, ein blasses Gelb, gebrochene Olivtöne:lauter »Natur«-Farben, wie sie entstehen, wenn etwasWind, Wetter, Korrosion, Alter, chemischen Prozessen auch,ausgesetzt wird. Die reinen Farben der Regenbogenskala gibtes nirgends. Er füllt nun auch Flächen aus, verläßt also dasgestische Repertoire, wenigstens auf Partien der neuen Blätter,sie nähern sich »Gemälden« an, an Stelle eines pastosen Farbauftragsspielen die aufgeklebten Papiere ihre Rolle als plastische,reliefartige Andeutungen von Dreidimensionalem, dieMaterialität der Papierarbeiten hat sie auf einem langen Umwegwieder den Materialbildern genähert, ohne daß ihre größteErrungenschaft, die Freiheit der undefinierten, auch als Eruption,als Psychogramm verstehbaren Form aufzugeben.Wenn da zwei energische breite, schwarze Pinselschwüngeein spitzwinkliges Dreieck bilden, das an den beiden unterenEnden und an der Spitze von eincollagierten braunen Fleckengehalten wird, ein paar Spritzer zu beiden Seiten und zwischenden Schenkeln das reine Weiß des Papiers »verunreinigen«,graue Tönungen das Braun, dann entsteht eine Figuration, diesich behaupten will gegen alle Versuche, sie als eine geschlosseneForm zu deuten: dies Bild will offen bleiben, jeder Interpretationzugänglich, keiner bedürftig.Wenn in der oberen rechten Ecke eines anderen Blattes eineovale, zwischen einem kalten Graubraun und einem warmenGelbbraun changierende Form energisch von einem nach obenoffenen schwarzen Tuschekreis eingefriedet wird, den eine unterbrochene,kräftige, silberne Bleistiftlinie in seiner Bedrohlichkeitsogar noch verstärkt, wenn aus diesem Kreis nach linksunten ein schwarzer, breiter und gerader Pinselschwung führt,dessen linker Rand durch eine schmale Eisenoxydfläche unddanebengesetztes ausgeflocktes Grau und ein paar hart geführtedunkler, graue Zeichenstriche zum Weiß hin vermittelt,dann ergibt sich daraus eine beinah lyrische Figuration, jenseitsaller Geometrie (siehe Abb. S. 83).Wenn einer quasi rechteckigen bräunlichen Form wiederumschwarze Senkrechte Halt geben, darüber ein intensiver braun,mit Bleistift umrahmtes Oval steht, rechts ein weiterer Tusche-strich aus dem Bild weist, so kann man das, von fern, gar füreine Figur halten und doch ist es »nur« der Versuch, Farbenund Formen auf »freie« Weise auszutarieren (siehe Abb.S.183). (Aber wer hindert einen eigentlich daran, eine Figur zuentdecken?)Schließlich, wieder auf einem anderen Blatt, (alle sind 1989entstanden) bilden die Tuschestriche eine trapezoide Form, inderen Innerem eine delikate Farbigkeit vage Erinnerungen anFunde des »informel« erlaubt, aber nicht gebietet.Die Grundformen der Blätter sind einfach angedeutet: Dreieck,Kreis, Oval, Querstrich, Senkrechte, aber die farbige Behandlungder einmal gefundenen Hauptform (die aller Gestikzum Trotz eben doch eine gewählte, gewollte ist), ihre Ausfüllungoder Begleitung durch andere Techniken, andere Arbeitsweisen(Zeichnung, Collage, Wasserfarbe) macht all diese Blätterüberraschend, ihre Formulierung bleibt riskant, allzu vielkann <strong>Machold</strong> nicht mehr ändern, wenn er sich einmal für eineDominanz entschieden hat, er kann sie mildern oder verstärken– mehr bleibt da nicht.An diesem Punkt wird die Nähe zu den Materialbildern vollendsdeutlich, die Papierarbeiten sind eine (notwendige) Erweiterungdes Repertoires hin zu einem künstlerischen Ausdruck,der dem Künstler mehr Spontanität erlaubt, er kann die Handloslassen, sie bis in einen psychischen Automatismus befreien,der erst später wieder »eingefangen«, geordnet wird. Gleichwohlbleibt darin etwas Anarchisches zurück, ein Überschuß anFreiheit, wohl auch Trotz, der diese Blätter betreffend macht,sie haben ihr Wesen in Widersprüchen, die der Künstler schließlichorganisiert – oft mit einigem Zögern, damit sie nicht zusehr geordnet wirken.Also etwas Neues? Ja, natürlich: ein Zugewinn an Unbewußtem,an »Natur«, <strong>Machold</strong> ist beinahe fünfzig, er kann es sichleisten, etwas von sich preiszugeben, was sonst hinter Stahlplatten,Bleifaltungen, kantigem Holz sorgsam verborgen wurde.Er ist aufgebrochen aus der Sicherheit seiner Maschinen insFreie, irgendwann, so vermute ich, wird das auf die Materialbilderzurückschlagen, auch sie verändern. Bei einigen aus derletzten Zeit gibt es dafür schon (gleich wieder versteckte) Anzeichen.34


Nicolaus Neumann »Die Leehre« – eine Zen-Skulptur von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> (2005)Die geometrischen Grundformen, Kreis, Dreieck, Quadrat sinddurch die Jahrhunderte erprobtes Material für kluge wie fürkreative Köpfe. Der Bildhauer <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> nutzt sie für seinejüngste Skulptur. Ist das minimalistische Objekt ein Spiel? Wennja, dann gewiss kein Kinderspiel, sondern eines mit Hintersinn,ein überzeugendes Beispiel für das Einfache, das so schwer zumachen ist.Aber <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> sieht sich mit seinem Objekt zugleich ineiner anderen Tradition. Er bezieht sich auf die strengen undschwierigen Gedankengänge des Zen, auf dessen Vorstellungvon der Einheit allen Seins, verweist auf den japanischen MalerSengai (1750-1837), genauer auf dessen Bild »Kreis, Dreieck,Viereck«. Fast zitiert er ihn: auch <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> hat mehreregroßformatige kalligraphische Arbeiten mit diesem Titel gemalt,die deutlicher als die kleine Skulptur auf die Verwandtschaftmit der japanischen Weisheit des Zen hinweisen. SeitJahrzehnten befaßt sich <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> mit Zen-Philosophie. Inder zen-buddhistischen Lehre gilt der Dreierbund Kreis, Dreieckund Viereck sowohl als Symbol für die Leere wie auch für allesSichtbare in der Welt. Obgleich es sich um scheinbar unvereinbareFormen handelt, hat <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> diesen komplexengedanklichen Widerspruch in seiner Arbeit verblüffend einfachaufgelöst. Er machte aus den drei Formen eine, schuf für seinObjekt ein Element, das Dreieck, Kreis und Quadrat zugleich istund passgenau in jeden Ausschnitt seiner kleinen Plastik implementiertwerden kann. Einen Körper mit einer kreisrunden Basis,der in einem rechtwinkligen Dach endet. Je nach der Richtung,in der man ihn in die Hohlformen des Objekts schiebt,füllt er überraschender Weise die unterschiedlichen Formen vonDreieck, Kreis und Quadrat nahtlos aus.Zwar gehören geometrische Formen zu häufig verwendetenFormen in <strong>Machold</strong>s Arbeiten – ob in Bildern oder Skulpturen,immer wieder tauchen vor allem Dreiecke auf. Doch in diesergedanklich aufgeladenen Form, die seine jüngste Arbeit sospannend macht, ist die Geometrie in <strong>Machold</strong>s Kunststückenneu. Fast ist <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> damit so etwas wie die Quadraturdes Kreises gelungen.Plastik »Die Leehre«, 2004,Multiple, Auflage 20, num.1/20 – 20/20,Edelstahl 14,5 x 25,5 x 5 cm35


Im Atelierraum Berlin36


Simone Reber <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> – Arbeiten von Wasser, Licht und Stahl (2006)Stahl weicht vor Licht zurück. Fast alles kann man in dem Ateliervon <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> lernen über Schwächen und Stärken desMaterials. Das Licht und der Stahl sind zwei der Elemente, ausdenen seine Kunst entsteht. Hoch über dem Berliner StadtteilFriedenau residiert <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> in einem Aussichtsturm ausStahl und Glas. Auf der Terrasse überwältigt die Sicht über dieBerliner Dächer, die sich seit Adolph Menzel kaum verändert zuhaben scheint. Der holzgeschnitzte First des Dachaufbaus erinnertdaran, daß auch der viereckige Turm historisch ist. Im Innernhängen bis dicht unter der Decke großformatige Zeichnungen– schwarze Tuschehiebe – in weißgeschlämmtenHolzrahmen neben schweren Materialbildern aus Edelstahl.Eine Skulptur von rußig schwarzem Holz, das trocknend sprödeRisse bildet, steht im Hintergrund, daneben zwei Stelen ausBasalt, die ein Dach aus Cortenstahl miteinander verbindet. DasZentrum des Raumes – der halb wie eine Schreinerei halb wieeine Schmiede wirkt – bildet ein großer Arbeitstisch. Erst spätererfahren wir, daß er sich mit einem Kran anheben läßt, umdarunter einen Billardtisch freizugeben. Auf der Werkbank greifenein Winkel aus Stahl und einer aus Holz ineinander. DerKampf der Gegensätze ist hier zu erleben. Nicht selten baut<strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> eine Brücke. Bisweilen aber treibt er auch einenKeil in die natürlich gewachsene Harmonie. Neben der Küchentürhängen japanische und chinesische Pinsel, groß wie Besen,mit kunstvoll gedrechselten, fein lackierten Stielen. Das langePferdehaar in grau, braun und schwarz fühlt sich vom vielenAuswaschen seidig weich an. Schon lange hat sich der Künstleraus dem konventionellen Galeriebetrieb zurückgezogen undlenkt von hier oben aus seine Geschäfte selbst. Das Atelier istWerkstatt und Showroom zugleich. <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> bewegt sichmit energischer Ungeduld in seinem Studio. Lange hält es ihnnicht auf dem Stuhl, die Situation läßt er sich nur ungern ausder Hand nehmen.1940 in Chemnitz geboren, war er dreizehnJahre alt, als seine Familie nach Kempten im Allgäu zog. Trotzdemläßt sich heute noch – oder wieder – im Unterton derSprache das etwas altmodische Schleifen des Sächsischen heraushören.Weil sein Vater als Prokurist in einer Gießerei arbeitet,macht der Sohn zunächst eine Lehre als Former undschließt dann ein Maschinenbaustudium an. Aber schon dasucht <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> Nebenwege zu den mit dem Lineal gezogenenKonstruktionszeichnungen. Er spielt Schlagzeug in einerJazzcombo, beschäftigt sich mit Philosophie, zeichnet undaquarelliert. Neben Antoni Tàpies und Eduardo Chillida ist MarkTobey eines seiner Vorbilder, jener amerikanische Maler, derbereits Anfang der dreißiger Jahre ausgedehnte Reisen nachJapan und in den Fernen Osten unternommen hat und das Ergebnisseiner Studien der ostasiatischen Kalligraphie in seineMalerei einfließen ließ. »Laß die Natur die Führung in DeinerArbeit übernehmen« – so zitiert Mark Tobey seinen Freund, denjapanischen Zen-Meister Takizaki. Ähnlich geht <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>37


Eberhard Roters bei der Eröffnungsrede zu <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s erster Einzelausstellung,1967, Galerie biibobh, BerlinArbeit an einem Wandreliefbei seiner künstlerischen Arbeit vor. Er studiert die Steinstrukturen,Mauern, Türen in Spanien, Nordafrika und der Provence.Überträgt sie in Prägedrucke, die Betrachter an die innerenLandschaften von Paul Klee erinnern, dann in Reliefs. Bei derersten Ausstellung in der Berliner Galerie biibobh in der Dahlmannstraßehält Eberhard Roters die Eröffnungsrede, der damaligeDirektor der Berlinischen Galerie. Zur Vernissage stehtdas Publikum bis auf die Straße. <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> ist 27 Jahre alt,hat gerade seinen Brotberuf im Konstruktionsbüro an den Nagelgehängt und sucht ein Material, an dem er seine künstlerischenKräfte messen kann. Es soll der Edelstahl werden. »BeimEdelstahl«, sagt <strong>Machold</strong>, »hört die Bastelei auf.«Die ersten Materialbilder entstehen. Streifen aus Edelstahlschichtet <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> so übereinander, daß sich am Ende einWellenmuster ergibt, das den Spuren des Windes im Wüstensandoder den regelmäßigen Furchen im feuchten Watt ähnelt.Mit dem Lichtbogen schneidet er die Ränder des Stahls, dasMaterial weicht vor der Berührung des heißen Lichtes zurück,bildet eine Tropfenkante und läuft bläulich an. »Mir ging esdarum, das, was in der Natur vorkam, umzusetzen, anzureichern,spannender zu machen,« sagt der Künstler heute überdiese Bilder. In Island beobachtet er, wie Wasser zwischen Felsschichtenaus der Erde hervortritt und über die Gesteinsformationenrinnt. Bei <strong>Machold</strong>s Wasserplastik spielt das Wasser mitStein und Stahl, verändert dessen Schliff und die Spiegelungdes Lichtes. Oder aber der harte Stahl zitiert die Eigenschaftendes weichen Wassers. In einem Berliner Privatgarten flirtet eineStahlplastik von <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> mit dem Gartenteich. VierStahlplatten hat der Künstler einzeln in geschlitzte Granitblöckeeingesetzt. Sie scheinen schnurstracks in den kleinen See zuwandern. Ihre geschliffene Oberfläche reflektiert den Himmelund das schattige Grün der Bäume ringsum. Beschaulich wiedas Wasser lockt das Metall die Sonnenstrahlen durch die Blätter.Die Kanten der Platten aber sind messerscharf und gefährlichdunkel. Hier rächt sich der Stahl und schluckt das Licht. DerKampf reizt <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>. Der Kampf zwischen hell und dunkel,rauh und glatt, archaisch und elegant. In seinem Skulpturenparkrund um das Bauernhaus im Landkreis Lüchow-Dannenberg, ringen Giganten miteinander. Ein riesiger Quader– siebenundzwanzig Tonnen schwer- aus schwarzem südafrikanischemGranit wird bezwungen von einem Winkel aus Edelstahl,der sich mit ungleichen Schenkeln über den Koloß wölbt.Um dem Stahl seinen Schick zu nehmen, hat <strong>Machold</strong> dieOberfläche in wolkigen Flecken geschliffen. Wenn sich jetzt dasgrüne Gras darin spiegelt, scheint es als wucherten Moose undFlechten – Organismen aus den Anfängen der Vegetation -über das moderne Material. Im Steinbruch eines bayerischenFreundes wählt der Künstler den Stein aus. Unter hundertenvon Blöcken findet sich bisweilen nur einer, der durch Form,38


Aufbau der Wasserplastik für den Cornelsen-Verlag39


40<strong>Machold</strong> miteinigen Objektenseiner Sammlung


Kruste und Farbe für seine Arbeit geeignet ist. Die schwarzeMakellosigkeit des Nero Assoluto, der blaue Schimmer des LabradorSpektrolyt, die Erdverbundenheit des bayerischen Granit– mit seinen Steinarbeiten fördert <strong>Machold</strong> die geheimnisvolleSchönheit aus dem Innern der Erde ans Licht. Auf vier hohenStahlprismen ruht ein Stein, zwischen Metall und Fels tritt Wasseraus, die blauen Einschlüsse der geschliffenen Fläche leuchtennoch im Dunkeln des Gartens. Im Foyer eines Berliner Hauseswird ein schwarzer Quader gesprengt von einem Bündelschlanker Edelstahl-Lanzen. Und im Atelier kombiniert <strong>Machold</strong>die polierte Oberfläche und den stumpfen Rohzustand einespersischen Basalt. Die Natur hat die beiden Stelen, die jahrtausendelangkalkhaltigem Wasser ausgesetzt waren, mit einemunscheinbaren, beigefarbenen Belag überzogen. Erst derKünstler kann den glamourösen Kern des Steins zum Schimmernbringen, dämpft aber die Ausstrahlung mit einem Verbindungselementaus Cortenstahl, der mit seiner rostigen Oberflächedie bräunliche Kalkschicht fortführt.Harte Schale – innere Erleuchtung: eine japanische Zeichnungan der Atelierwand zeigt den Boddidharma, jenen indischenMönch, der den Buddhismus nach China brachte, vonwo aus er Japan erreichte. Um die vielen Stunden der Meditationkörperlich zu ertragen, entwickelte er ein System von Übungen,das zur Grundlage der Kampfkunst im Shaolin-Klosterwerden sollte. Weil er einmal bei der Meditation eingeschlafensei, so erzählt <strong>Machold</strong> die Legende um diese Zeichnung, habesich der Mönch eigenhändig die Lider seiner Augen abgeschnitten.Grau und grimmig sitzt er nun da, mit weit geöffnetenAugen. Gesichtsausdruck und Körperhaltung verraten die Unnachsichtigkeitmit der eigenen Schwäche. Die BeherrschungZeichnen auf der Dachterrasse des Berliner Ateliers41


<strong>Machold</strong> beim Fude- (Pinsel) Festival in Kumano, Japan<strong>Machold</strong> beim Pinselmacher Yoshio Meotoike in Kumano, Japan42


des Körpers, die Umwandlung der Ungeduld in fließende Bewegungen– das sind die Herausforderungen, die <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>bei seinen kalligraphischen Experimenten sucht. MehrereMale hat der Künstler Japan besucht. Beim sogenannten Fude-Festival werden dort einmal im Jahr die alten Pinsel in großenGitterkäfigen auf offener Straße verbrannt. Überall bietenHändler neue Pinsel zum Kauf an, welche die Priester am gleichenTag weihen. Über das Pinselmuseum in Kumano bei Hiroshimalernt <strong>Machold</strong> einen traditionellen Pinselmacher kennen.In der Werkstatt des über 70jährigen türmen sich Ballen mitPferdehaar. Maschinen sortieren die Mähnenhaare nach ihrerunterschiedlichen Länge. Die längsten werden in die Mitte desHolzschaftes geleimt, die kürzeren an die Ränder. Dreizehn Kilogrammwiegt der größte Pinsel, den <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> hier erwirbt.»Ich brauche das Gewicht«, sagt er, »ich brauche einen gewissenWiderstand.« Zum Arbeiten stellt er eine Wanne mitchinesischer Tusche auf seine Berliner Terrasse, schwarz vonZeichnung: Enso, 2003, Tusche auf engl. Bütten, 120 x 154 cm43


den feingemahlenen gebrannten Knochen, legt ein Blatt Büttenpapierauf den Boden – meist ein großes Format 150 mal250 cm.Einen einzigen Versuch hat er, um den Enso – Kreis, den Meditationszirkelzu ziehen. Wie beim Billard muß der Geist dieBewegung vorwegnehmen, die hier zu ihrem eigenen Ausgangspunktzurückfindet. Spannung soll der Kreis haben, nichtunbedingt Vollkommenheit. Sobald der Künstler den tuschegetränktenPinsel ansetzt, zählt die Tagesform, die innere Konzentration,die Geschmeidigkeit der Bewegung, die gelöste Kraft.Der Kreis ist eine Meditationsübung für den Maler und er isteine Vorlage zur Meditation für die Betrachter. Mit milderSelbstironie beschreibt Mark Tobey, wie er bei seinem Aufenthaltin einem japanischen Kloster stundenlang vor dem Bildeines kalligraphischen Kreises gesessen und versucht habe, dessenGeheimnis zu ergründen. Leere oder Universum, die Freiheitvon den eigenen Vorstellungen und denen der anderenkonnte er darin erkennen. Vor allem aber stellte er fest: »Nachdem Besuch entdeckte ich, daß ich neue Augen hatte.« »Einenlichteren leichteren Zustand stellt die Konzentration auf denKreis dar«, sagt <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>. »Man fühlt sich nicht so erdenschwer.«Weil er aber die Gegensätze liebt, holt er für die Arbeiten aufPapier die Farben aus dem Inneren der Erde auf einem Umwegins Bild zurück. Wieder helfen ihm das Wasser, der Stahl unddas Licht. Wenn nasses, japanisches Reispapier auf eine rostendePlatte aus Cortenstahl gelegt wird, färbt das Eisenoxyd dasBlatt, jedenfalls dann, wenn die Sonne darauf fällt. Die fragile,zerknitterte Textur tönt sich in unregelmäßigen Schattierungenvon Braun und erinnert an die Wände der Steinzeithöhlen imSüden Frankreichs. Einen stürmischen Tuschstrich, z. B. einenHaken oder ein Dreieck, kombiniert <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> mit der erdfarbenenFläche. »Die Linie ist der Ausdruck des Ostens, dieMasse, die Fläche die Kunst des Westens,« meint Mark Tobey.Die Synthese aus beidem ist dynamisch wie die Kampfkunst derShaolin-Mönche, schlicht wie ihre Übung der Meditation – undzart. »Zart?!« Entsetzter kann ein Gesprächspartner kaum aufein Wort reagieren. Schnell versucht <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> das Adjektivwie einen bösen Fluch aus dem Raum zu vertreiben.»Wucht, Temperament, Kraft, ja – aber zart? Das höre ich jetztzum ersten Mal.« Transparente Streifen leimt <strong>Machold</strong> auf dieschweren Büttenpapiere, faltet sie zu dünnen Schichten oderdreht aus ihnen kleine Röllchen, die wie ein feiner, grauer Nieselregendiagonal über das Blatt herniedergehen. Wie einwindschiefes Dach sitzt darauf ein Dreieck aus rostbraun oxidiertemPapier. Ein massiver schwarzer Tuschhaken umrahmtdie Fläche. Feine Graphitstriche verziehen die dunklen Ränderzu flüchtigen Tropfspuren. Manchmal sind die ZeichnungenEntwürfe für eine Plastik, manchmal sind sie die Antwort darauf.Das Motiv findet sich als Körper aus Holz wieder. Da ruhtein knorriges Dreieck auf vielen dünnen, unregelmäßig geschnittenenHolzbeinen. Ein delikater Balanceakt entsteht,denn eigentlich ist die Basis für den groben Block zu schräg undzu zerbrechlich. Dreieck, Quadrat und Kreis – mit diesen Motivenaus der ostasiatischen Kunst hat <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong> auch zuseinen eigenen Anfängen zurückgefunden. Welche Form paßtdurch alle drei Figuren hindurch? Diese Aufgabe hat ihm einstsein Meister während der Lehrzeit gestellt. Jetzt hat <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>ein Objekt entwickelt, das die Frage in Gestalt einer kleinenPlastik löst. Eine Mischung aus Zylinder und Keil läßt sichdurch Dreieck, Quadrat und Kreis schieben (siehe Abb. S. 120).Die Begegnung mit der japanischen Kalligraphie hat die Arbeitenauf Papier und das plastische Werk miteinander in Einklanggebracht. Und die Zeichnungen eröffnen dem Künstlerneue Optionen. Was bei den Materialbildern noch wie einschuppiger Panzer wirkte, hat sich aufgelöst in leichtere,schwebende Formen. Die warmen Farben des Steins und derErde fechten geschmeidig gegen das Dunkel der Tusche. DasPapier diszipliniert <strong>Jorge</strong> <strong>Machold</strong>s Streben nach Größe undGewicht. Es läßt die archaischen Töne neben dem Schwarz derEwigkeit vergänglicher wirken – und zart. Ja, auch zart.44


Rohzuschnitt der HolzplastikAbtrennen des Wurzelballens einer alten EicheAnriß der GrundformPlastik, o.T., 2004, Eiche, 106 x 82 x 48 cm45


Zeichnung, o.T., 2004, Tusche auf engl. Bütten, 154 x 250 cmPlastik, o.T., 2004, Eiche gebrannt, 82 x 78 x 74 cm46


Zeichnung, o.T., 2002, Mischtechnik auf engl. Bütten, 154 x 248 cmPlastik, o.T., 2002, Corten-Stahl u. persischer Basalt 122 x 102 x 44 cm47


Bildteil Arbeiten auf Papier48


Aquarell, o.T., 1967, 37 x 34 cm50


Prägedruck, o.T., 1971, 50 x 50 cmPrivatbesitz51


Aquarell, o.T., 1971, Mischtechnik, 63 x 73 cmPrivatbesitz52


Prägedruck, o.T., 1971, 50 x 58 cmPrivatbesitz53


Prägedruck, o.T., 1971, 42 x 50 cmKupferstichkabinett, Berlin54


Zeichnung, o.T., 1987, Mischtechnik auf indischem Bütten, 58 x 80 cm55


Zeichnung, o.T., 1987, Mischtechnik auf indischem Bütten, 58 x 80 cmPrivatbesitz56


Zeichnung, o.T., 1988,Mischtechnik aufindischem Bütten,90 x 72 cmPrivatbesitz57


Zeichnung, o.T., 1988, Mischtechnik auf indischem Bütten, 72 x 90 cmPrivatbesitz58


Zeichnung, o.T., 1988, Mischtechnik auf indischem Bütten, 58 x 80 cm59


Zeichnung, o.T., 1988, Mischtechnik auf indischem Bütten, 58 x 80 cmPrivatbesitz60


Zeichnung, o.T., 1988, Mischtechnik auf indischem Bütten, 58 x 80 cmPrivatbesitz Berlin61


Zeichnung, o.T., 1988, Mischtechnik auf indischem Bütten, 58 x 80 cm62


Zeichnung, o.T., 1988,Mischtechnik aufindischem Bütten,80 x 58 cmPrivatbesitz63

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