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Koinzidenz von Erzählkoda und Lebenskoda - Biographie ...

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Hintergr<strong>und</strong>: DFG-ProjektTitel:„Lebenslanges Lernen im Kontextlebensbedrohlicher Erkrankungen“Durchführung:Prof. Dr. Dieter Nittel, Dr. Astrid SeltrechtLaufzeit:5/2009-10/2012Homepage:www.<strong>Biographie</strong>-Krankheit-Lernen.de


Differenzschema des Lernensstrukturelle LerndimensionenAneignung <strong>von</strong> WissenVerhaltensänderungIdentitätsveränderungLernmodiNeulernenVerlernenUmlernenNichtlernenprozessuale Lerndimensionenverwaltetes Lernenzielgerichtetes Lernenleidgeprüftes Lernenschöpferisches LernenLernkontextepädagogisch intendiertes Lernennicht pädagogisch intendiertesLernen_________________________________________________________________vgl. Nittel 2010, 2011, 2012; Seltrecht 2006, 2008, 2009, 2010, 2012a, 2012b)


Ernst Eichler (1950-2011)Autobiographisch-narratives InterviewDiagnose Brustkrebs mit 44 JahrenDiagnose Metastasen mit 49 JahrenInterview:Lebens-, Krankheits-, Sterbegeschichte<strong>Koinzidenz</strong> <strong>von</strong> Erzähl- <strong>und</strong> <strong>Lebenskoda</strong>


Erkenntnisinteresse IIWie aber wird im Fall eines „abgebrochenen Lebens“, in demnicht das biographische Handlungsschema die dominanteProzessstruktur ist, gelernt?Wie steht es mit dem Lernen, wenn das Lebenkrankheitsbedingt abbrechen wird, dies aber zumInterviewzeitpunkt noch nicht gewusst wird?Und wie vollziehen sich demgegenüber Lernprozesse am Endeeines „gelebten Lebens“?Dieses Erkenntnisinteresse wirfta)methodische/methodologische Fragen <strong>und</strong>b)forschungsethische Fragen auf.


Thea Thalmann (1971-2005)Autobiographisch-narratives InterviewDiagnose Brustkrebs mit 31 JahrenInterview:1 Jahr nach Diagnose bzw.1,5 Jahre vor dem Tod


Thea ThalmannJa, <strong>und</strong> der kam dann Freitags drauf, <strong>und</strong> also der Oberarzt, der Doktor A.in der Stadtklinik B-Stadt, der war also total goldig, der hat also dagesessen, hat bald die Tränen in de Augen gehabt, <strong>und</strong> der hat gesagt,also er hat ja selten junge Patienten <strong>und</strong> dann auch mit so ne Diagnose,sagt er Lymphknoten sind befallen. …. Sagt er, wir haben 18rausgenommen, neun Stück sind befallen, drei Stück sind verbacken <strong>und</strong>drei Stück da<strong>von</strong> sind schon aktiv im Kapseldurchbruch. Und sagt er alsoer hätt gehofft, dass zumindestens das nicht ist. Aber hm aber dann habich gesagt: „Dann reden mer jetzt Tacheles, ja, raus. Was muss ich jetzttun? Ehm, wie sehen meine Chancen aus?“ Und da sagt er, er kann überChancen überhaupt keine Prognose stellen, will er auch gar nit, weil er,jeder Mensch ist verschieden. Sagt er, er kann keine Menschen in einRaster rein tun. Er kann sagen, okay, aufgr<strong>und</strong> dem Bef<strong>und</strong>, den ich hab,hab ich eine 67-prozentige Überlebenschance. Hab ich gesagt: „Naw<strong>und</strong>erbar, ist das Glas halbvoll oder halbleer.“ Hab ich gesagt: „Gehtdoch.“


Thomas Treutner (1929-2009)Autobiographisch-narratives Interview3 x Herzinfarkt: mit 52, 76 <strong>und</strong> 78JahrenPhänomenologie der Krankheiten:Unterschiede zwischen Herzinfarkt<strong>und</strong> BrustkrebsInterview knapp 3 Monate vor demTod


Erkenntnisinteresse IIIWelches Material kann herangezogen werden, um das Lernenin der gesamten Lebensspanne zu untersuchen?Ist es forschungsethisch vertretbar, eine im Sterben liegendePerson zu interviewen?Kann nicht-reaktiv erhobenes Datenmaterial zur Beantwortungder Fragestellung verwendet werden?


Margarethe E. Milow (1748-1794)TagebuchTitel: „Mein Leben. Ein Vermächtnis fürmeinen Mann <strong>und</strong> meine Kinder“„Warum ich Euch mein Leben schreiben will?Weil es reich ist an Erfahrungen aller Art; weilEuch, meine Kinder besonders, dieseErfahrungen nützen können …“ (Milow 1993,S. 13)Tagebuch im Alter <strong>von</strong> 30 Jahren (1778)begonnenDiagnose Brustkrebs mit 43 Jahren (1791)Letzter Eintrag: ca. 4 Monate vor dem Tod


Margarethe E. Milow„1793 endigte sich also so wiees angefangen hatte, traurig.Freylich, die große Angst warvorbey, die Operation glücklichüberstanden, aber – doch ichwill die Hand auf den M<strong>und</strong>legen, will schweigen, es wardein Wille, du der du mir, auchwenn Deine Wege dunkel sind,Vater bist.“ (Milow 1993, S. 321)


„Hier kann ich diesen deinen[…] noch nicht erkennen,aber wie viele waren mir,wenn Du sie mir sendest,dunkel, die sich nachher soglücklich zu meinem <strong>und</strong>aller Freude aufklärten.Bange Furcht soll als dieGeschäfte dieses Jahresnicht schließen.“ (Milow1993, S. 321)Margarethe E. Milow


Margarethe E. Milow„Ich kann nach menschlichen Ansehen nach nicht besser werden, ichmuß aller Erfahrung nach eines fürchterlichen Todes sterben, allerdieser Erfahrung nach ferner lange leiden. Ich will aber nicht murren,dort werde ich das im Lichte erkennen, was ich hier dunkel sah. Meintägliches Gebet soll um Geduld <strong>und</strong> Kraft alles zu ertragen seyn.Sollte wohl mahl in einer trüben zu schmerzhaften St<strong>und</strong>e, Murren<strong>und</strong> Ungeduld mich überraschen, so sey Vater <strong>und</strong> vergib. Jetzt sinddie Schmertzen noch tragbar, aber sie kommen anders. Ich kenneden gantzen Gang meiner Krankheit <strong>und</strong> bin auf alles gefaßt.“ (Milow1993, S. 321f.)


Margarethe E. Milow„Ich schließe dies Buch mit vieler Rührung; wieder öffnen werdeichs wohl, aber, ob ich dann noch eine St<strong>und</strong>e seyn werde zuschreiben, das weiß ich nicht, das weißt du mein Gott. Sollte esnicht seyn, so laß dies Buch Buch seyn, was es Euch, wie ich inder Vorrede schrieb, seyn sollte. Warum ich es schrieb, habe ichdarinnen gesagt. Lest dies noch einmahl <strong>und</strong> seht, ob ich nichtwahr geschrieben habe.“ (Milow 1993, S. 325)„Vergieb, lieber Milow, wenn ich oft zu ängstlich darinnenschrieb, oft Leiden, die mir, wie ich sie beschrieb groß dünkten,zu lebhaft schilderte. Nachher fühlte ich alles oft gantz anders.“(Milow 1993, S. 325)


Ruth Picardie (1964-1997)Kolumne <strong>und</strong> E-Mails5 Kolumen unter dem Titel „Before ISay Goodbye“, nachdem sie dieDiagnose hatteDiagnose Brustkrebs mit 31 JahrenLetzte Kolumne: nicht vollendetLetzte E-Mail: 10 Tage vor dem Tod


Ruth PicardieLetzte Kolumne„Wie jeder Küchenpsychologeweiß, ist Leugnen das ersteStadium in der Auseinandersetzungmit dem bevorstehendenTod. […] Ich hab mich immer für’nMädel <strong>von</strong> der schnellen Truppegehalten […] Traurigerweisescheint die Krebs-Diagnose meineBefähigung zur dynamischenpsychologischen Entwicklungarretiert zu haben.“ (Picardie2000, S. 131)


Ruth PicardieLetzte E-Mail„Carrie Schatz, danke fürdeine Sammlung <strong>von</strong> e-Mails. ich fühl das endenahen – bin schlapp <strong>und</strong>habe schmerzen. vielleichtschaffe ich noch den erstenJahrestag meiner diagnoseim oktober. wir sagen dirbescheid, wenn d-daynäherzurücken scheint.“(Picardie 2000, S. 139)


Ruth PicardieLetzte E-Mail„ich habe mich im hospiz abgemeldet […] <strong>und</strong> lebe mehr oderweniger im schlafzimmer mit bequem angrenzendem bad.meine beine sind sehr schwach, <strong>und</strong> deswegen kostet es echtmühe, aufzustehen <strong>und</strong> rauszugehen – ich habe schon seiteiner woche nicht mehr gebadet <strong>und</strong> rieche bestimmt streng.matt ist unterwegs, um einen rollstuhl zu besorgen, wasmanches erleichtern dürfte, <strong>und</strong> es könnte sein, daß die zeit fürmorphium gekommen ist.“ (Picardie 2000, S. 140)


Ruth PicardieLetzte E-Mail„mache kaum was mit den kindern – schuldgefühle,schuldgefühle –, aber zwei Jahre haben sie ja gehabt. Paarfreuden sind jedoch in planung, wie zum beispiel morgenausflug nach cambrigde mit jenny <strong>und</strong> simon <strong>und</strong> charlie <strong>und</strong>leanne, um steves zu besuchen. Bin buchstäblich seit jahrennicht mehr dort gewesen. Hoffe auf schräge sonnenstrahlenauf den rücken.“ (Picardie 2000, S. 140)


Vergleich: DatenmaterialErnst EichlerThea ThalmannThomas TreutnerRuth PicardieMargarethe Milow_________________________________________________________________vgl. Nittel 2010, 2011, 2012; Seltrecht 2006, 2008, 2009, 2010, 2012a, 2012b)


Vergleich: BewusstheitskontextErnst EichlerThea ThalmannThomas TreutnerRuth PicardieMargarethe Milow_________________________________________________________________vgl. Nittel 2010, 2011, 2012; Seltrecht 2006, 2008, 2009, 2010, 2012a, 2012b)


Vergleich: PhänomenologieErnst EichlerThea ThalmannThomas TreutnerRuth PicardieMargarethe Milow_________________________________________________________________vgl. Nittel 2010, 2011, 2012; Seltrecht 2006, 2008, 2009, 2010, 2012a, 2012b)


Vergleich- reaktives vs. nicht-reaktives Datenmaterial- offener vs. geschlossener Bewusstheitskontext- Phänomenologie der Krankheiten: Brustkrebs vs. Herzinfarkt- körperliche Erkrankung vs. andere Todesform- zeitgeschichtlicher/medizinhistorischer Hintergr<strong>und</strong>/Ohnmacht derMedizin


Erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse- Chronologie der Krankheitsaneignung- Chance des Sterbenlernens vs. Zwang des Sterbenlernens- Lernen-Können vs. Lernen-Wollen- Körperlernen <strong>und</strong> Identitätslernen- Perspektive auf Leben/Tod bedingt Fokussierung auf dasDiesseits oder auf das Jenseits => wirft unterschiedlicheLernerfordernisse auf (bezogen auf Lerndimensionen,Lernmodi, Lernkontexte)- Nicht-Lernen-Können vs. Nicht-Lernen-Wollen


LiteraturLiteraturhinweise finden Sie unter folgendem Link:http://biographie-krankheit-lernen.de/02c_ergebnisse.html

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