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Wege in die Zukunft von Bhikkhu Bodhi

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<strong>Wege</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong><strong>von</strong><strong>Bhikkhu</strong> <strong>Bodhi</strong>Übersetzung aus dem Englischen:Kurt JungbehrensBGM, München 2004


Vier Aufsätze zur sozialen Relevanz des Buddhismus:1. E<strong>in</strong>e buddhistische Sozialethik für das neue Jahrhundert 32. E<strong>in</strong> buddhistischer Ansatz zur wirtschaftlichenund sozialen Entwicklung 263. Das Gesicht des Buddhismus im Wandel 434. Der Sangha am Scheideweg 54Auszüge aus e<strong>in</strong>em Interview mit <strong>Bhikkhu</strong> <strong>Bodhi</strong> 67Deutsche Übersetzung: Kurt Jungbehrens, BGM, 2004 MünchenCopyright Buddhist Publication Society, Sri Lanka, alle Rechte vorbehaltenDeutsche Übersetzung des Interviews <strong>von</strong> Manfred WiesbergerMir freundlicher Genehmigung des Ehrw. <strong>Bhikkhu</strong> <strong>Bodhi</strong>Nur zur kostenlosen Verteilung2


1. E<strong>in</strong>e buddhistische Sozialethik für das neue JahrhundertDer Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen Jahrhunderts ist stets e<strong>in</strong>e Zeit der Gärung und großerErwartungen. Und wenn das neue Jahrhundert zudem das Heraufdämmern e<strong>in</strong>esneuen Jahrtausends anzeigt, dann s<strong>in</strong>d unsere Erwartungen wahrsche<strong>in</strong>lichbesonders <strong>in</strong>tensiv. E<strong>in</strong> angeborener Optimismus lässt uns denken, dass das Neueimmer besser se<strong>in</strong> muss als das Alte, dass also <strong>die</strong> Ankunft des nächsten Jahresoder Jahrhunderts ganz unvermeidlich <strong>die</strong> Erfüllung unser wildesten Träume mitsich br<strong>in</strong>gt. Unglücklicherweise ist das Leben aber nicht so e<strong>in</strong>fach, dass das bloßeTicken e<strong>in</strong>er Uhr oder der Wechsel des Kalenders ausreicht, um <strong>die</strong> Knoten zuentwirren, mit welchen wir uns selbst durch überstürzte Entschlüsse undunüberlegtes Handeln all <strong>die</strong> vorangegangenen Monate, Jahre und Jahrzehnteh<strong>in</strong>durch gefesselt haben.E<strong>in</strong>e Tatsache, welche sich uns aus vergangenen Erfahrungen zutiefst e<strong>in</strong>prägensollte, ist <strong>die</strong> Notwendigkeit, unter der Oberfläche des Geschehens sorgfältig nachverborgenen Tendenzen zu suchen, welche künftiges Leid erahnen lassen. DieWichtigkeit <strong>die</strong>ser Richtschnur wird uns bewusst, wenn wir den Übergang vom 19.zum 20. Jahrhundert bedenken. In der westlichen Welt war das Ende des 19.Jahrhunderts e<strong>in</strong>e Periode mit begeistertem Optimismus, mit utopischen Träumen,beschleunigt durch den unerschrockenen Glauben an e<strong>in</strong> glorifiziertes Ideal,genannt Fortschritt. Das führende Zwill<strong>in</strong>gspaar des Fortschritt-Kultes war <strong>die</strong>Wissenschaft und <strong>die</strong> Technologie. Wissenschaft war der neue Prometheus, e<strong>in</strong>unaufhaltsamer Prometheus, welcher der Natur verborgene Geheimnisse entrissenund an e<strong>in</strong>e Menschheit weitergegeben hatte, <strong>die</strong> <strong>von</strong> überquellenden, brennendenHoffnungen erfüllt war. In jeder Dekade folgte e<strong>in</strong> größerer wissenschaftlicherDurchbruch dem anderen, wobei jeder frische theoretische Fortschritt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>enentsprechenden Erfolg im E<strong>in</strong>spannen der Kräfte der Natur gemäß unseremBedürfnis begleitet wurde. Das Ergebnis war e<strong>in</strong>e gewaltige Woge technischenWachstums, <strong>die</strong> versprach, <strong>die</strong> Menschheit <strong>von</strong> ihren hartnäckigsten historischenBeschränkungen zu befreien.3


Das nächste Jahrhundert zeigte dann genau, wie kurzsichtig <strong>die</strong>ser Optimismus <strong>in</strong>Wirklichkeit war. Tatsächlich war für jene, <strong>die</strong> tief genug blickten, direkt unter denFüßen der stolzen Konquistadoren <strong>die</strong> Saat der Vernichtung bereits sichtbar. Siewar im Heimatbereich zu erkennen, im elenden Leben <strong>von</strong> Millionen <strong>von</strong> Arbeitern,<strong>die</strong> <strong>in</strong> Fabriken, Bergwerken und schweißtreibenden Werkstätten zu erniedrigender,harter Arbeit verdammt waren. Ebenso <strong>in</strong> der rücksichtslosen Kolonisierung dernicht-westlichen Welt, dem Missbrauch ihrer Ressourcen und der Unterwerfungihrer Völker. Ebenso <strong>in</strong> der steigenden Reibung und Spannung zwischenehrgeizigen Weltmächten im Wettstreit um <strong>die</strong> globale Vormacht. In der erstenHälfte des 20. Jahrhunderts explo<strong>die</strong>rten <strong>die</strong>se Spannungen zweimal, <strong>in</strong> zweiWeltkriegen, <strong>die</strong> vielen Millionen Menschen den Tod brachten. Diese Kriege undder anschließende kalte Krieg brachten <strong>die</strong> dunklen, rudimentären Kräfte zu Tage,<strong>die</strong> schon lange, nur knapp unter dem polierten Furnier westlicher Zivilisation,siedeten. Es ist sicherlich bezeichnend, dass unsere Entdeckung desmysteriösesten Geheimnisses der Natur – <strong>die</strong> Umwandlung <strong>von</strong> Materie undEnergie – uns <strong>die</strong> Fähigkeit zur totalen Selbstvernichtung verlieh: UnbegrenzteMacht und völlige Selbstzerstörung erreichten uns im selben Paket.Heute, wo wir uns am Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrhunderts bef<strong>in</strong>den, ist unsere Welt zue<strong>in</strong>em lebenden Paradoxon geworden. Es ist e<strong>in</strong>e Welt immensen Reichtums, aberauch grimmiger Armut, wo 1,3 Milliarden Menschen – e<strong>in</strong> Viertel derWeltbevölkerung – <strong>in</strong> beständiger Not leben. E<strong>in</strong>e Welt gewaltiger Fortschritte <strong>in</strong>der Mediz<strong>in</strong> und Gesundheitsfürsorge, wo jedoch jährlich elf Millionen Menschen anKrankheiten sterben, <strong>die</strong> leicht zu behandeln wären. E<strong>in</strong>e Welt, wo sich der täglicheHandel mit tödlichen Waffen auf Millionen Dollar beläuft und dennoch jedes Jahrsieben Millionen K<strong>in</strong>der an Hunger sterben und 800 Millionen Menschen starkunterernährt s<strong>in</strong>d. Und am alleralarmierendsten <strong>von</strong> allem: e<strong>in</strong>e Welt, <strong>die</strong> aufunbegrenztes wirtschaftliches Wachstum setzt, und zwar auf e<strong>in</strong>em Planeten,dessen begrenzte Ressourcen rasch schw<strong>in</strong>den. Trotz unserer kühnen Schritte <strong>in</strong><strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> leidet unsere Welt daher noch an schmerzenden Wunden, und <strong>die</strong>Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Lösung, e<strong>in</strong>er Heilung, wird umso dr<strong>in</strong>glicher, wenn <strong>die</strong>Menschheit unversehrt bis zum Ende des neuen Jahrhunderts überleben soll.4


Im Laufe <strong>die</strong>ser Schrift möchte ich e<strong>in</strong>e Antwort des Theravada-Buddhismus auf <strong>die</strong>Notwendigkeit, <strong>die</strong> Wunden der Welt zu heilen, formulieren. In modernenLehrbüchern über <strong>die</strong> Weltreligionen wird Theravada-Buddhismus generell als e<strong>in</strong>eReligion der Befreiung des Individuums dargestellt, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> persönlicheErleuchtung zu ihrem Ideal erhebt, welche nur durch Verzicht und Meditation zuerlangen ist. Obgleich Theravada-Buddhismus <strong>die</strong> unausweichlich persönlicheNatur des höchsten Zieles betont, würden wir bei sorgsamer Prüfung der Suttenoder Lehrreden des Buddha erkennen, dass dem Buddha <strong>die</strong> Probleme, welchen<strong>die</strong> Menschen im sozialen Umfeld ihres Lebens begegnen, deutlich bewusst waren,und er legte se<strong>in</strong>e Lehre auf e<strong>in</strong>e Weise dar, <strong>in</strong> welcher <strong>die</strong>se Probleme genausoangesprochen wurden, wie er den Weg zur endgültigen Befreiung aufzeigte. Zwars<strong>in</strong>d <strong>die</strong>se Texte nirgends so zahlreich wie jene, <strong>die</strong> sich mit persönlicher Ethik,Meditation und philosophischer E<strong>in</strong>sicht befassen, dennoch bleiben siebemerkenswerte Zeugnisse für den klaren soziologischen Scharfblick desErleuchteten. Selbst heute noch bieten sie klar umrissene Richtl<strong>in</strong>ien für denEntwurf e<strong>in</strong>er Sozialethik, welche <strong>die</strong> Qualität besitzt, auf <strong>die</strong> dem gegenwärtigenZeitalter eigenen Probleme angewandt zu werden.Das erste Pr<strong>in</strong>zip, welches <strong>die</strong> Lehre des Buddha bei der Reaktion auf <strong>die</strong>seProbleme aufweist, ist e<strong>in</strong>es wissenschaftlicher Erkenntnis: Nicht zu voreiligenSchlüssen hasten, sondern <strong>die</strong> zugrunde liegenden Ursachen auf allen Ebenen zuerkunden und nicht aufzuhören, bis wir bei den tiefsten Wurzeln angelangt s<strong>in</strong>d. Dieallgeme<strong>in</strong>e Tendenz bei der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit sozialen Problemen ist heutejedoch völlig anders. Besonders <strong>in</strong> politischen und Wirtschaftskreisen wirdhartnäckiges menschliches Dilemma mit tief reichenden Wurzeln lediglich als e<strong>in</strong>technisches Problem behandelt, das durch <strong>die</strong> bloße Anwendung der richtigentechnischen Lösung zu beheben ist. Dabei glaubt man, dass wir bloß e<strong>in</strong>en Vertragüber <strong>die</strong> Verr<strong>in</strong>gerung der Treibhausgase ausarbeiten müssen, um der Gefahrglobaler Erwärmung zu begegnen; s<strong>in</strong>d Verbrechen und Gewalt im Anwachsen, sobrauchen wir eben e<strong>in</strong>e größere und härtere Polizeitruppe; wenn <strong>die</strong> Drogensuchtunter unseren Jugendlichen alarmierende Ausmaße erreicht hat, dann müssen wir5


effektivere Kontrollen des Drogenhandels haben. Solche Maßnahmen können ja <strong>in</strong>der Tat angebrachte Absicherungen gegen <strong>die</strong> gröberen Manifestationen derProbleme, welche sie beheben sollen, bieten, so wirksam und gut sie auch aufkurze Sicht se<strong>in</strong> mögen, liefern sie doch <strong>von</strong> sich aus ke<strong>in</strong>e Langzeitlösung. Wassie bieten, s<strong>in</strong>d nur kosmetische Behandlungen und Notlösungen, <strong>die</strong> nicht alsErsatz für Alternativen <strong>die</strong>nen können, welche auf der Ebene der tief wurzelndenUrsachen anzuwenden s<strong>in</strong>d.Wenn wir <strong>die</strong> Wunden, welche unsere Welt heute plagen, aus buddhistischerPerspektive betrachten, erkennen wir bald, dass <strong>die</strong>se Wunden symptomatischs<strong>in</strong>d: Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Warnsignal dafür, dass mit der Art und Weise wie wir unserLeben führen, etwas grundlegend schief gelaufen ist. Wir würden <strong>die</strong>se äußerenWunden als Auswüchse e<strong>in</strong>er schlimmeren, tief im Inneren verborgenen Wundeerkennen, <strong>die</strong> unsere Lebenskraft verzehrt und ihr Gift <strong>in</strong> unsere Luft, Flüsse undOzeane entlädt; <strong>in</strong> unsere Wälder, auf <strong>die</strong> Äcker; <strong>in</strong> unser Familienleben und Heim;<strong>in</strong> unsere sozialen Beziehungen und politischen Aufgaben. Was wir daher ausbuddhistischer Sicht wirklich brauchen, um unsere geme<strong>in</strong>samen Wunden zuheilen, ist e<strong>in</strong>e radikale Operation, e<strong>in</strong> weit reichender Wandel <strong>in</strong> unserenkollektiven Ansichten, Haltungen und Lebensstilen. Das Wort „Werte“ erfreut sichheutzutage als Ausdruck unseres Bedarfs großer Verbreitung. Man sagt uns, dassder Grund für den weitläufigen Verfall der sozialen Bed<strong>in</strong>gungen dar<strong>in</strong> liegt, dass<strong>die</strong> Leute <strong>die</strong> traditionellen Werte verlassen haben, und alles, was wir brauchen,um unsere Probleme zu lösen, sei <strong>die</strong> Wiederbelebung <strong>die</strong>ser Werte. Während e<strong>in</strong>esolche Empfehlung bei jenen, <strong>die</strong> wegen der Ausbreitung moralischerOrdnungslosigkeit <strong>in</strong> Sorge s<strong>in</strong>d, Wellen der Nostalgie aufrühren kann, müssen wirdaran denken, dass der Ruf nach Wiederbelebung traditioneller Werte äußerstwirkungslos bleibt, wenn wir nicht bereit s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>ige kühne Veränderungen an demFundament, auf welchem <strong>die</strong>se Werte ruhen, vorzunehmen, nämlich an den Zielen,Zwecken und der Bedeutung, welche <strong>die</strong> soziale Dimension unserer Existenzbestimmen. Der Versuch, private Werte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er korrupten, erniedrigendenGesellschaft wieder zu beleben, ist so, als würde man versuchen, e<strong>in</strong>e chemischeMüllhalde zu verschönern, <strong>in</strong>dem man längs ihrer Böschung Rosen anpflanzt:6


Solange <strong>die</strong> Müllhalde bleibt, werden <strong>die</strong> Rosen nur gehemmt und deformiertaufwachsen.Die Umwandlung, welche wir benötigen, muss über das nur Persönlicheh<strong>in</strong>ausgehen. Sie muss beide Aspekte unserer Existenz e<strong>in</strong>schließen, den <strong>in</strong>nerenund den äußeren, das Persönliche und das Soziale. Diese beiden Dimensionenunseres Lebens s<strong>in</strong>d untrennbar mite<strong>in</strong>ander verwoben und hängen <strong>von</strong>e<strong>in</strong>anderab, sodass unsere Wertmaßstäbe soziale und wirtschaftliche Realitäten spiegeln,wobei <strong>die</strong> sozialen und wirtschaftlichen Realitäten aber auch <strong>von</strong> unseren Wertengeformt werden. Während wir daher <strong>in</strong> unserem persönlichen Leben <strong>die</strong> größteMacht haben, e<strong>in</strong>en direkten Wandel zu <strong>in</strong>itiieren, muss jede Änderung unserespersönlichen Lebensstils auch nach außen reichen und sich auf unserezwischenmenschlichen Beziehungen auswirken, auf unsere soziale Ordnung,unsere politischen Aufgaben und auf unser Verhältnis zum natürlichen Umfeld. Umzu verh<strong>in</strong>dern, dass unsere persönlichen Werte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e liebliche Fassadeverwandelt werden, um soziale Unordnung und Verfall zu verdecken, ist kritischeund sogar schmerzliche Selbstprüfung wesentlich. Wir müssen bereit se<strong>in</strong>, unsereeigenen Prioritäten mit völliger Ehrlichkeit zu prüfen und <strong>die</strong> Gefahren für uns undfür andere zu sehen, wenn wir uns mit dem Strom <strong>von</strong> Egoismus und Selbstsuchttreiben lassen, der <strong>die</strong> Welt überflutet. Ohne e<strong>in</strong>e solche ehrliche Selbstkritik mussjeder Ruf nach Wiederherstellung der Werte, selbst buddhistischer Werte, <strong>in</strong> wenigmehr als frommen Platitüden enden – vielleicht persönlich tröstlich, aber ohne <strong>die</strong>Kraft wirksamen Wandel herbeizuführen.Wenn wir uns daranmachen, unsere globalen Probleme aus buddhistischerPerspektive zu diagnostizieren, dann sollten wir erkennen, dass e<strong>in</strong>e angemesseneDiagnose multiple Ebenen der Kausalität berücksichtigen muss. E<strong>in</strong>e dererstaunlichsten E<strong>in</strong>sichten des Buddha ist, dass Phänomene nicht durch nur e<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>zige Ursache entstehen, sondern durch den komplexen Zusammenfluss vielerUmstände, <strong>die</strong> auf unterschiedlichen Ebenen wirken. Während <strong>die</strong> Untersuchungen<strong>von</strong> Spezialisten sich mit Problemen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es geschlossenen und engenBezugssystems beschäftigen, würde e<strong>in</strong> buddhistischer Ansatz e<strong>in</strong>en umfassenden7


Standpunkt e<strong>in</strong>nehmen, der viele Ebenen der Verursachung berücksichtigt, welchesich überschneiden und überlappen und an verschiedenen Stellen gegenseitigverstärken. Das lässt e<strong>in</strong>e viel umfassendere Lösung zu. Wenn nämlich Problemeaus e<strong>in</strong>em begrenzten Bezugssystem angegangen werden, so weist der W<strong>in</strong>kel,unter dem das Problem betrachtet wird, schon auf <strong>die</strong> Lösung h<strong>in</strong>. Nur wenn wir <strong>die</strong>„Weitw<strong>in</strong>kel“-Perspektive e<strong>in</strong>nehmen, können wir <strong>die</strong> unterschiedlichenDimensionen, <strong>in</strong> welchen sich das Problem darstellt, erfassen und dadurch <strong>die</strong>Fülle der Faktoren erkennen, welche beim Entwurf e<strong>in</strong>er Lösung zu berücksichtigens<strong>in</strong>d.Wir müssen dabei auch das „spezifische Gewicht“ der verschiedenen Arten <strong>von</strong>Ursachen beachten, das heißt, welchen relativen Anteil sie am Problem als Ganzeshaben. Laut dem Buddha ist der Geist der stärkste und gewichtigste kausaleFaktor, der im menschlichen Leben wirksam ist. Obgleich der Geist unsichtbar,unberührbar, gewichtlos und unmessbar ist, ist er doch <strong>die</strong> verborgene Größeh<strong>in</strong>ter all den anderen Arten <strong>von</strong> Kausalität – sozial, politisch und wirtschaftlich. DerGeist wirkt jedoch nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vakuum: Vielmehr ist er immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enspezifischen historischen und persönlichen Kontext e<strong>in</strong>gebettet, der dem E<strong>in</strong>wirkene<strong>in</strong>er weiten Vielfalt <strong>von</strong> E<strong>in</strong>flüssen unterworfen ist, welche se<strong>in</strong>e Perspektivenformen und se<strong>in</strong>e Neigungen bestimmen. Nachdem das so ist, müssen wir aberauch vermerken, dass all <strong>die</strong>se anderen Faktoren, welche den Geist bee<strong>in</strong>flussen,auf e<strong>in</strong>er bestimmten Ebene selber Manifestationen geistiger Aktivität s<strong>in</strong>d. Daherkönnen <strong>die</strong> anderen Arten <strong>von</strong> Kausalität, welche den Geist bee<strong>in</strong>flussen – sozial,wirtschaftlich, kulturell und politisch –, ihrerseits als Konkretisierungen des Geistesangesehen werden, <strong>die</strong> spezifische Haltungen, Ansichten und psychologischeAnliegen verkörpern und nach „außen“ br<strong>in</strong>gen. Aus <strong>die</strong>sem Grunde sagt derBuddha, dass „allem Bed<strong>in</strong>gten der Geist vorangeht, dass es vom Geist beherrschtund geformt wird“.(Dhammapada, vv. 1–2)Wenn wir den enormen Beitrag erkennen, welchen der Geist auf jeder anderenKausalitätsebene erbr<strong>in</strong>gt, so können wir sofort sehen, dass zur Heilung der8


Wunden, <strong>die</strong> unsere Welt heute quälen, unsere dr<strong>in</strong>glichste Aufgabe <strong>die</strong> Heilungder Wunden <strong>in</strong> unserem Geist ist. Durch <strong>die</strong> Jahrhunderte h<strong>in</strong>durch, und besondersseit dem Beg<strong>in</strong>n der wissenschaftlichen Revolution im Westen, waren wir <strong>von</strong> derHerausforderung besessen, unsere Kontrolle und Herrschaft über <strong>die</strong> äußere Weltauszudehnen, aber <strong>in</strong> unserer Begeisterung, <strong>die</strong> äußere Welt zu beherrschen undfür unsere materiellen Zwecke auszubeuten, haben wir <strong>die</strong> noch weit bedeutendereDimension unseres Dase<strong>in</strong>s vernachlässigt, nämlich unseren eigenen Geist.Aus <strong>die</strong>sem Grund liegen unsere Triumphe <strong>in</strong> wissenschaftlicher Erkenntnis undTechnologie schmerzlich schief. Während wir erstaunlich weite Schritte beimVerständnis der Welt gemacht haben, war der Fortschritt im Verständnis <strong>von</strong> unsselbst nur ger<strong>in</strong>g; während wir <strong>die</strong> verborgenen Kräfte der Natur angezapft und uns<strong>die</strong>nlich gemacht haben, haben wir nur sehr wenig getan, denjenigen zu zähmen,der <strong>die</strong> Natur kontrolliert. Aus gerade <strong>die</strong>sem Grund aber hatten unsere stolzenTriumphe <strong>in</strong> Wissenschaft und Technik e<strong>in</strong>e sehr gemischte Auswirkung auf <strong>die</strong>Menschheit <strong>in</strong>sgesamt. Zusammen mit ihren unbestrittenen materiellen Segnungenhaben sie vielen Millionen Menschen Zerstörung und Verderbnis, Verwüstung undGemetzel, Verarmung und Elend gebracht.Die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen s<strong>in</strong>d wirklich sehr e<strong>in</strong>fach undsollten im Pr<strong>in</strong>zip für jedermann <strong>in</strong> reichem Maße leicht zu decken se<strong>in</strong>. Sieschließen e<strong>in</strong>en annehmbaren Grad materieller Sicherheit e<strong>in</strong>, frische Luft undsauberes Wasser, nahrhafte Lebensmittel, komfortablen Wohnraum, mediz<strong>in</strong>ischeVersorgung, Bildung und Information, sowie ausreichend Muße, um <strong>die</strong> eigenenTalente und Fähigkeiten zu entwickeln. Unter dem gegenwärtigen System lebtjedoch nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Prozentsatz der Leute, kaum mehr als e<strong>in</strong>e Hand voll, <strong>in</strong>größerem Luxus als <strong>die</strong> Kaiser des alten Rom, während e<strong>in</strong>e Milliarde Menschen,e<strong>in</strong> Viertel der Weltbevölkerung, dazu verdammt s<strong>in</strong>d, unter der Armutsgrenze zuleben. Ist es nicht Ironie, dass wir zwar Raumschiffe zu entfernten Planetenentsenden und mit äußerster Genauigkeit manipulieren, aber noch immer nicht alleK<strong>in</strong>der <strong>die</strong>ser Welt ernähren können? Ist es nicht alarmierend, wo alle Anzeichenauf <strong>die</strong> massive Bedrohung der Gesundheit und des Lebens durch eskalierende9


Umweltverschmutzung, beispiellosen Klimawechsel und Schwund unserernatürlichen Ressourcen h<strong>in</strong>weisen, dass jene Nationen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong>se Krise <strong>die</strong>meiste Verantwortung tragen, darauf bestehen, ihren verschwenderisch überhöhtenLebensstil unkontrolliert fortzusetzen? Was uns daran h<strong>in</strong>dert, <strong>die</strong>Grundbedürfnisse aller Menschen auf Erden zu decken, ist nicht e<strong>in</strong> Mangel an denMitteln, sondern der mangelnde Wille, e<strong>in</strong> Mangel, der se<strong>in</strong>e Wurzeln <strong>in</strong>Selbstsucht und Gier hat.In der Lehre des Buddha werden <strong>die</strong> für das menschliche Leiden verantwortlichendunklen Kräfte „Befleckungen“ (kilesa) genannt, <strong>von</strong> welchen <strong>die</strong> stärksten <strong>die</strong> drei„unheilsamen Wurzeln“ s<strong>in</strong>d – Gier, Hass und Verblendung. In ihrer klassischenDarlegung konzentriert sich <strong>die</strong> Lehre des Buddha auf <strong>die</strong> Rolle der Befleckungen<strong>in</strong> unserem persönlichen Leben, wobei sie zeigt, wie sie <strong>die</strong> Determ<strong>in</strong>antenpsychischen und existenziellen Leids s<strong>in</strong>d. Heute jedoch, da unsere Welt so eng <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige globale Ordnung <strong>in</strong>tegriert ist, muss <strong>die</strong> Betonung verlagert werden,wenn wir unsere geme<strong>in</strong>same Notlage analysieren und ansprechen sollen. SeitInstitutionen und Organisationen immer mehr E<strong>in</strong>fluss auf <strong>die</strong> Gestaltung unsererUmstände erlangt haben und unser Geschick bestimmen, müssen wir genauuntersuchen, wie <strong>die</strong> Befleckungen e<strong>in</strong>en kollektiven Ausdruck annehmen. Wirmüssen <strong>die</strong> schädliche Auswirkung unserer wirtschaftlichen und politischenStrukturen offenlegen und aufdecken, wie unsere Formen sozialer Organisation,national wie auch <strong>in</strong>ternational, den festen Griff <strong>von</strong> Gier, Hass und Verblendung <strong>in</strong>unserem Geist aufrechterhalten. Denn <strong>die</strong>se Strukturen vergegenständlichen nichtnur <strong>die</strong> Trübungen des Geistes, sondern sie verstärken <strong>die</strong>se Befleckungen undmachen es umso schwerer, ihren Griff abzuschütteln. Mit mächtigen Strategien, oftdurch Tarnung und Täuschung verborgen, nähren und stützen sie <strong>die</strong> Masseverzerrter Ansichten, ungesunder E<strong>in</strong>stellungen und riskanter Politik, welche <strong>in</strong>unseren Gesellschaften und unseren Leben so viel Verwüstung anrichten.Vielleicht das krasseste Beispiel <strong>die</strong>ses zerstörerischen Potenzials ist, im letztenJahrzehnt des 20. Jahrhunderts, das regellose Wirtschaftssystem des freienMarktes, welches heute globales Ausmaß erreicht hat. Die gewaltigen10


übernationalen Firmen, welche <strong>die</strong>se Wirtschaftsordnung dom<strong>in</strong>ieren, s<strong>in</strong>d,getrieben <strong>von</strong> der Suche nach kommerziellem Gew<strong>in</strong>n, zur <strong>in</strong>stitutionalisiertenVerkörperung der Gier geworden. Trotz ihrer e<strong>in</strong>drucksvollen Öffentlichkeits-Propaganda ist ihr fundamentaler Zweck nicht, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>fachen menschlichenBedürfnisse zu erfüllen, sondern mit e<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>imum an Kosten maximalen Profitzu erzielen. Profit ist der Treibstoff des Firmenwachstums und jedes erreichteProfitziel zieht nur e<strong>in</strong> noch höheres Ziel nach sich. Das Ideal ist dabei nicht e<strong>in</strong>Zustand des stabilen Gleichgewichts, sondern das Erlangen unbegrenzten Profitsohne jegliche Kosten.Für <strong>die</strong> Befehlshaber der Großkonzerne-Kultur zählt letztlich nichts als derwirtschaftliche Erfolg. Sorgsam dokumentierte Stu<strong>die</strong>n haben gezeigt, dass <strong>die</strong>Konzerne bei der Jagd nach größerem f<strong>in</strong>anziellen Gew<strong>in</strong>n durchaus bereit s<strong>in</strong>d,das Wohlergehen der Arbeitskräfte zu gefährden, ebenso <strong>die</strong> Gesundheit derKunden, <strong>die</strong> Stabilität der Gesellschaft, traditionelle Normen und Werte, <strong>die</strong>Harmonie der Geme<strong>in</strong>schaft und <strong>die</strong> Aufrechterhaltung der natürlichen Umgebung.Wenn das Netto-Ergebnis e<strong>in</strong>e größere Gew<strong>in</strong>nspanne erbr<strong>in</strong>gt, kann aus ihrerSicht all das geopfert werden, wobei dafür kaum e<strong>in</strong> bedauerndes Schulterzuckenaufgebracht wird.Die Ökonomie der Weltkonzerne wird nicht nur <strong>von</strong> der ihr <strong>in</strong>newohnenden Giervorwärts getrieben, sondern ihr unmittelbarer Erfolg hängt auch da<strong>von</strong> ab, <strong>in</strong>anderen Gier wachzurufen. Damit e<strong>in</strong> Unternehmen se<strong>in</strong>e Produkte verkaufen,wachsen und expan<strong>die</strong>ren kann, muss es <strong>in</strong> anderen das Verlangen wecken, <strong>die</strong>seProdukte zu kaufen, und zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Maße, dass <strong>die</strong>ses Begehren beiProdukten, welche zur Deckung e<strong>in</strong>facher menschlicher Bedürfnisse gar nichtgeeignet s<strong>in</strong>d (was ja häufig der Fall ist), durch wohlüberlegte Strategien erwecktwird. Daher das Zweigespann Marktforschung und Werbung, <strong>die</strong> alle Möglichkeitenausschöpfen, <strong>die</strong> Produkte ihrer Klienten voranzutreiben. Fernsehen und Radio,Werbeschilder und Zeitungen, Bilder und Werbesprüche, Schlagworte und Liederwerden alle benützt, um uns <strong>die</strong> Botschaft e<strong>in</strong>zuhämmern: „Kauf <strong>die</strong>ses, kaufjenes!“ Die subtile Psychologie, welche der Werbe<strong>in</strong>dustrie zugrunde liegt, ist11


erstaunlich. Es gibt kaum e<strong>in</strong>e menschliche Schwäche, deren sie sich nichtbe<strong>die</strong>nen würde, um den Verkauf zu fördern: Sexuelle Anziehung und Status, Stolzund Begehrlichkeit, Angst und Sorge, Arroganz und Eitelkeit – alles gilt als fairesSpiel bei dem Bemühen, <strong>die</strong> Profite zu vergrößern.Den spezifischen Werbeappellen liegt jedoch e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>ere Annahmezugrunde, e<strong>in</strong>e Annahme, <strong>die</strong> niemals ausdrücklich vorgeschlagen wird, welcheaber durch unzählige Bilder und Werbesprüche absolut zw<strong>in</strong>gend zum Ausdruckkommt, und das ist <strong>die</strong> Vorstellung, dass Konsum der Schlüssel zum Glück ist. Wirwerden dazu gebracht zu glauben, dass der Weg zum Glücklichse<strong>in</strong> dar<strong>in</strong> besteht,unseren Wünschen nachzugeben. Glücklichse<strong>in</strong> wird gleichgesetzt mit demErwerben <strong>von</strong> Reichtum und dem Warenkonsum. Je teurer und luxuriöser <strong>die</strong>Waren s<strong>in</strong>d, umso großzügiger ist das Glücksversprechen. In der Vision derKonsumenten ist das Sicherfreuen an D<strong>in</strong>gen nichts Ger<strong>in</strong>geres als das Gute, dashöchste, allbefriedigende Ziel des menschlichen Lebens.Wenn wir <strong>die</strong> Lehre des Buddha als Vergrößerungsglas benützen, um dasweltweite Wirtschaftssystem und se<strong>in</strong>en Ableger, <strong>die</strong> Konsumenten-Kultur, zuuntersuchen, werden wir sehen, dass es letztlich dem Wohlergehen se<strong>in</strong>er Herrenwie auch den Dienern schadet. Unter Anwendung der Werkzeuge buddhistischerAnalyse wollen wir kurz <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Dynamik <strong>die</strong>ses Systems skizzieren. Wir sehenzunächst e<strong>in</strong>mal, dass e<strong>in</strong>e solche soziale Ordnung auf Unwissenheit undTäuschung (avijja, moha) gegründet ist, nämlich auf <strong>die</strong> Annahme, dass materiellerReichtum und Konsum das Kriterium des guten Lebens s<strong>in</strong>d. Wenn Unwissenheitunsere Wahrnehmungssysteme unterwandert, so äußert sich das gemäß denbuddhistischen Texten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Serie <strong>von</strong> „Abirrungen“ (vipallasa), welche unsereWahrnehmung (sanna), Denken (citta) und Ansichten (ditthi) <strong>in</strong>fizieren. Der Buddhaerwähnt vier solcher Abirrungen: Die Vorstellung, dass Unbeständiges beständigist, dass das Schmerzhafte (oder Leid) angenehm ist, dass das Substanzlose e<strong>in</strong>Selbst ist und dass Hässliches schön ist. Auf der allertiefsten Ebene nehmen wir<strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge über <strong>die</strong>se Verfälschungen wahr; wenn dann <strong>die</strong>se verzerrtenWahrnehmungen zur Betrachtung aufgenommen werden, beg<strong>in</strong>nen wir auch <strong>in</strong>12


<strong>die</strong>sen Begriffen zu denken und schließlich, unter dem komb<strong>in</strong>ierten E<strong>in</strong>flussverdrehter Wahrnehmung und Gedanken, legen wir uns Ansichten zu – das heißt,Überzeugungen, Doktr<strong>in</strong>en und Ideologien –, welche <strong>die</strong> falschen Vorstellungen<strong>von</strong> Dauerhaftigkeit, Vergnügen, Selbstheit und Schönheit bestätigen.In der modernen Wirtschaftskultur dom<strong>in</strong>ieren <strong>die</strong>se Verzerrungen – begrifflicheManifestationen des Unwissens – das Denken, Haltungen, Pr<strong>in</strong>zipien und politischeRichtl<strong>in</strong>ien der Produzenten wie auch der Konsumenten <strong>in</strong> gleichem Maße. DieIllusionen <strong>von</strong> Dauerhaftigkeit, Vergnügen, Selbstheit und Schönheit werden durch<strong>die</strong> Bilder aufrechterhalten, welche so e<strong>in</strong> vertrauter Teil unseres Lebens gewordens<strong>in</strong>d: Die glückliche Familie beim Gebrauch e<strong>in</strong>er bestimmten Seifenmarke, <strong>die</strong>schöne Frau, neben dem neuesten Automodell stehend, der robuste Viehhirt beimRauchen <strong>die</strong>ser speziellen Zigarettenmarke, e<strong>in</strong> selbstsicherer Manager beimTr<strong>in</strong>ken jener besonderen Whiskymarke. Das unvermeidliche Resultat <strong>die</strong>serwirtschaftlich aggressiven Werbefeldzüge ist <strong>die</strong> Überhöhung <strong>von</strong> Verlangen undGier als Brennstoff sozialer und wirtschaftlicher Aktivität. In der Ökonomie desfreien Marktes ist <strong>die</strong> Produktion nicht auf <strong>die</strong> Befriedigung des wahren Bedarfsausgerichtet, sondern auf <strong>die</strong> Erhöhung des wirtschaftlichen Gew<strong>in</strong>ns, was jabedeutet, dass <strong>die</strong> menschlichen Wünsche ganz fe<strong>in</strong> manipuliert und durch e<strong>in</strong>Angebot ausgeweitet werden müssen, welches den Profit steigert.Sich den <strong>in</strong>neren Zwängen <strong>die</strong>ses Systems unterordnend, wird das elementareBedürfnis nach materieller Versorgung, nach den grundlegenden D<strong>in</strong>gen desLebens, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en unstillbaren Drang nach Status, Macht und Luxus zersprengt.Aber <strong>die</strong> Handelsherren streben danach <strong>in</strong> uns e<strong>in</strong>e ständige Unzufriedenheit zuerschaffen, Gefühle der Unzulänglichkeit zu erwecken, um damit das Bedürfnismehr e<strong>in</strong>zukaufen anzuregen. Das Ergebnis ist, Zufriedenheit wird durch Neid undGroll ersetzt; Kaufreiz ersetzt Befriedigung und Prestigewerte verdunkelnLebenswerte. „Genug“ ist das Wort, welches aus den Wörterbüchern zu verbannenist. Damit <strong>die</strong> Wirtschaft der weltweiten Konzerne blüht, darf es nie genug geben,sondern nur den stetigen Durst nach mehr: Nach größer, schneller und besser;nach Neuheit und Vielfalt.13


In e<strong>in</strong>er neuerlich reichen Gesellschaft ist vielleicht <strong>die</strong> Jugend dasjenige Segment<strong>in</strong> der Bevölkerung, welches für <strong>die</strong> Taktiken der Handelswerbung am anfälligstenist. Die Förderer des Konsums wissen das sehr wohl. Sie verstehen es, aus densensiblen psychologischen Bedürfnissen der junger Menschen Kapital zu schlagen– aus ihrer Neigung zu Rebellion und Wagemut, aus ihren Zwängen und Ängsten –und auf der Basis <strong>die</strong>ses Wissens versuchen sie, e<strong>in</strong>e spezifische Jugendkultur zuschaffen, <strong>die</strong> mit den betreffenden Waren Prestige und Prom<strong>in</strong>enz verb<strong>in</strong>det. Sieverstehen es auch, Moden und Stile zu kontrollieren, um <strong>die</strong> Anschaffung desNeuen zu e<strong>in</strong>em wiederkehrenden Bedarf zu machen, der regelrechteGroße<strong>in</strong>käufe auslöst. Für religiöse Kulturen, <strong>die</strong> auf so traditionellen Wertengedeihen wie E<strong>in</strong>fachheit, Zufriedenheit und Selbstbeherrschung, kann derZusammenstoß mit der globalen Geschäftskultur traumatisch se<strong>in</strong> und <strong>die</strong>Lebensader zerreißen, welche <strong>die</strong> Übermittlung traditioneller Werte <strong>von</strong> e<strong>in</strong>erGeneration zur anderen aufrechterhält.Insgesamt lässt <strong>die</strong> Verherrlichung des Beweggrundes Profit e<strong>in</strong>e soziale Ordnungentstehen, <strong>in</strong> welcher <strong>die</strong> beiden Befleckungen Ignoranz und Begehren <strong>die</strong>zugrunde liegenden Triebfedern sozialer Aktivität s<strong>in</strong>d. Die Experten, welche <strong>die</strong>sesSystem verteidigen, <strong>die</strong> Fürsprecher des freien Handels und der Globalisierung,sagen uns, dass das une<strong>in</strong>geschränkte Funktionieren der Wirtschaft <strong>die</strong>Vorbed<strong>in</strong>gung für allgeme<strong>in</strong>es menschliches Glück ist, „das größtmögliche Glückder größtmöglichen Menge“. Der Buddha lehrt aber gerade das Gegenteil. In e<strong>in</strong>erSozialordnung, <strong>die</strong> <strong>von</strong> Ignoranz und Begehren regiert wird, <strong>in</strong> der Gier,rücksichtsloses Wachstum und Wettbewerb der Antrieb zu menschlichem Tun <strong>in</strong>großem Maßstab s<strong>in</strong>d, muss das unvermeidliche Ergebnis Leid und Konflikt se<strong>in</strong>. Inder Formel der Vier Edlen Wahrheiten f<strong>in</strong>den wir <strong>die</strong>s <strong>in</strong> psychologischen Begriffenausgedrückt: „Begehren ist der Ursprung <strong>von</strong> Leid.“ An anderer Stelle hat derBuddha <strong>die</strong> gleiche Aussage gemacht, mit e<strong>in</strong>em spezifischen H<strong>in</strong>weis auf denNiedergang sozialen Zusammenhalts: „Aus Begehren erwächst das Suchen nachGew<strong>in</strong>n, dem Suchen folgt das Erlangen <strong>von</strong> Gew<strong>in</strong>n, aus dem Gew<strong>in</strong>n entstehtUnterscheidung, daraus Verlangen und Lust, daraus Anhaften, daraus Besitzgier,14


daraus Selbstsucht, daraus Anhäufen; und aus dem Anhäufen entstehen vieleunheilsame D<strong>in</strong>ge, wie das Ergreifen <strong>von</strong> Keulen und Messern, Streit, Konflikte undDispute, Gegenklage, Verleumdung und Falschheit“ (Mahanidana-Sutta).Ironischerweise wird der Zusammenschluss der Weltbevölkerung <strong>in</strong> der globalenWirtschaft <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er fortschreitenden Atomisierung der Individuen begleitet, wasihre Fähigkeit untergräbt, als kooperative, verantwortliche Mitglieder ihrer jeweiligenGesellschaft zu funktionieren. Das geschieht, weil <strong>die</strong> Auswirkung dervergesellschafteten Kultur letztlich dar<strong>in</strong> besteht, <strong>die</strong> Person zu e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong>enKonsumenten zu reduzieren, dessen ganzes Se<strong>in</strong> auf <strong>die</strong> Intensität und Vielfaltprivaten Erlebens zentriert ist. Mit sanfter Methodik, <strong>die</strong> unter derWahrnehmungsschwelle operiert, beschneidet <strong>die</strong> Vorstellung der Konsumentenvom guten Leben <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsbande, welche <strong>die</strong> Mitglieder e<strong>in</strong>erGesellschaftsordnung zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Ganzen verb<strong>in</strong>den. Indem sie jeneWerte anspricht, welche den Egoismus und selbstsüchtige Interessen entflammen,ersetzt sie den sozialen Zusammenhalt durch e<strong>in</strong>en sozialen Atomismus, der jedesIndividuum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> sich geschlossene Welt eigener privater Belange e<strong>in</strong>sperrt.Der Verbund autonomer, verantwortlicher, diszipl<strong>in</strong>ierter Individuen, so wesentlichfür e<strong>in</strong>e echte Geme<strong>in</strong>schaft, weicht e<strong>in</strong>er Kultur des „Narzissmus“, <strong>in</strong> welcher jedePerson da<strong>von</strong> besessen ist, ihren eigenen Status, Reichtum, Position und Macht –<strong>die</strong> äußeren Zeichen materiellen Erfolgs – zu maximieren. Wenn wir ratlos s<strong>in</strong>d,warum soziale Diszipl<strong>in</strong> und Verantwortung heute so selten geworden s<strong>in</strong>d, so kannuns das Nachdenken über das oben Gesagte wohl e<strong>in</strong>e Antwort br<strong>in</strong>gen.In e<strong>in</strong>er solchen Kultur, wie wir sie <strong>in</strong> den „entwickelten“ Ländern des Westensf<strong>in</strong>den, ist es kaum verwunderlich, dass <strong>die</strong> wesentlichste Grundlage sozialerGruppierung, <strong>die</strong> Familie, so gut wie ause<strong>in</strong>ander gerissen wurde. In denVere<strong>in</strong>igten Staaten, dem Pionier beim Errichten der „neuen Weltordnung“, endetgrob gerechnet <strong>die</strong> Hälfte der Ehen vorzeitig mit Scheidung und nahezu 50 Prozentder amerikanischen K<strong>in</strong>der wachsen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zuhause mit nur e<strong>in</strong>em Elternteil auf.Aber selbst wenn <strong>die</strong> Familienbande halten, so hat sich <strong>die</strong> Atmosphäre imFamilienleben, verglichen damit, wie es <strong>in</strong> der Vergangenheit zu se<strong>in</strong> pflegte,15


drastisch geändert. Die Familie ist nicht mehr e<strong>in</strong>e enge, harmonische E<strong>in</strong>heit,welche durch <strong>die</strong> Bande der Liebe, des Respekts, der Selbstaufopferung und derKooperation zusammengehalten wird. Stattdessen wurde sie zu e<strong>in</strong>emsymbiotischen Pakt, e<strong>in</strong>er Union der Bequemlichkeit, <strong>in</strong> welcher jedes Mitgliedse<strong>in</strong>en persönlichen Vorteil sucht, häufig durch <strong>die</strong> Ausnutzung und Schädigungder anderen Mitglieder.Wir haben ja schon früher gesehen, dass <strong>die</strong> <strong>in</strong>terne Dynamik der Konsum-Kulturmit Ignoranz oder Täuschung anfängt, mit der Annahme, dass Glücklichse<strong>in</strong> durchRaffgier und das Genießen <strong>von</strong> Gütern zu erlangen ist. Dieser Glaube bed<strong>in</strong>gtBegehren und das Verlangen zu beschaffen und zu genießen. Das letztendlicheErgebnis ist Frustration, Konkurrenz und Konflikt; kurz gesagt, persönliches undkollektives Leid. In e<strong>in</strong>er sozialen Ordnung, <strong>die</strong> <strong>von</strong> Dhamma regiert wird – und ichbenütze <strong>die</strong>ses Wort hier nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em engen Bezug auf den Buddhismus,sondern <strong>in</strong> weiterem S<strong>in</strong>n als Bezeichnung des universalen Gesetzes <strong>von</strong>Gerechtigkeit und Wahrheit –, wäre <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Dynamik das diametrale Gegenteilzu jener, welche das konsumistische Modell beherrscht. Die Rolle, welche dort <strong>die</strong>Ignoranz spielt, wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gerechten Gesellschaft <strong>von</strong> Wissen oder Weisheitausgeübt, e<strong>in</strong>em grundlegenden mit allen geteilten Verständnis für <strong>die</strong>fundamentalen Gesetze heilsamen Lebens. In e<strong>in</strong>er überwiegend buddhistischenGesellschaft würde <strong>die</strong>s das Kamma-Gesetz und se<strong>in</strong>e Früchte mit e<strong>in</strong>schließensowie den Nutzen der Freigebigkeit und ethischer Lebensführung, e<strong>in</strong>iges anE<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Vier Edlen Wahrheiten und <strong>die</strong> drei Dase<strong>in</strong>smerkmale. Jene, derenLeben <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Wissen gleitet wird, müssen nicht perfekte Heilige se<strong>in</strong>, vielmehrwerden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Massengesellschaft nur sehr wenige auch nur annäherndirgende<strong>in</strong>en Grad der Heiligkeit erlangen. Wenn <strong>die</strong> Leute aber <strong>von</strong> den Dhamma-Pr<strong>in</strong>zipien geleitet werden, so verstehen sie, wo ihr wahres Wohlergehen zu f<strong>in</strong>denist, und <strong>die</strong>ses Verstehen wird ihnen <strong>die</strong> klare Entscheidung ermöglichen, was <strong>in</strong>Wahrheit ihren Interessen <strong>die</strong>nt und was dagegen nur äußerlich attraktiv ersche<strong>in</strong>t,aber schließlich zu Leid führen wird.16


Vom Standpunkt des praktischen Lebens aus gesehen, ist <strong>die</strong>s der kritischeUnterschied. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Unwissenheit befangene Person fällt ganz leicht demBegehren zum Opfer, strebt bl<strong>in</strong>dl<strong>in</strong>gs nach Reichtum, Macht, Status und br<strong>in</strong>gtLeid über sich wie auch über andere. E<strong>in</strong>e <strong>von</strong> Dhamma geleitete Person verstehtdas wahre Gute, das höchste Lebensziel. Dieses Verstehen stimuliert auchSehnsucht, aber e<strong>in</strong>e Art der Sehnsucht, welche das exakte Gegenteil bl<strong>in</strong>denBegehrens ist. Begehren ist bl<strong>in</strong>des Verlangen, e<strong>in</strong> egozentrischer Trieb nachs<strong>in</strong>nlichem Vergnügen, nach Macht und Status. Die <strong>von</strong> wahrem Wissenwachgerufene Sehnsucht dagegen ist e<strong>in</strong> heilsames Verlangen, das <strong>in</strong> den Texten„Sehnsucht nach dem Guten“ (atthakama) oder „Sehnsucht nach Wahrheit“(dhamma-chanda) genannt wird. Durch <strong>die</strong>se Sehnsucht motiviert, wird sich e<strong>in</strong>ePerson mit tugendsamen Aktivitäten beschäftigen, welche zur Verwirklichung desGuten führen, und <strong>die</strong>se Tätigkeiten werden das Wohlergehen des Individuums undder Geme<strong>in</strong>schaft fördern.Im Buddhismus ist das höchste Ziel Nibbana, Befreiung <strong>von</strong> Unwissenheit undBegehren, Erlösung vom e<strong>in</strong>tönigen Kreislauf der Wiedergeburten. In <strong>die</strong>ser Schriftmöchte ich nicht e<strong>in</strong>e philosophische Erklärung des Nibbana geben, sondern e<strong>in</strong>epraktische, welche den Bezug erhellen wird, den der Dhamma zu unserer Suchenach e<strong>in</strong>er realisierbaren Sozialethik hat. Zur Lösung <strong>die</strong>ser Aufgabe beabsichtigeich <strong>die</strong> erfahrbare Dimension des Nibbana auf e<strong>in</strong>e Weise zu untersuchen, <strong>die</strong> nichtstarr an <strong>die</strong> spezifischen Pr<strong>in</strong>zipien buddhistischer Tradition gebunden ist. E<strong>in</strong>erme<strong>in</strong>er Gründe für so e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Herangehen ist der, e<strong>in</strong> Modell gerechter,sozialer Ordnung zu skizzieren, das ohne weiteres <strong>von</strong> den Anhängern andererreligiöser Traditionen angenommen werden kann und auch <strong>von</strong> jenen, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>erKonfession angehören, wohl aber <strong>die</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>er gesunden Alternative zudem konsumistischen Ideal erkennen. Die Aufgabe, „<strong>die</strong> Wunden der Welt zuheilen“, ist ke<strong>in</strong>e, <strong>die</strong> <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen spirituellen Tradition alle<strong>in</strong> bewältigtwerden kann. Wir leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er pluralistischen Gesellschaft, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er pluralistischenWelt, und was benötigt wird, ist <strong>die</strong> kooperative Anstrengung aller Männer undFrauen mit spiritueller Sensitivität, ungeachtet ihres Glaubens. Während jedeReligion und jeder spirituelle Weg se<strong>in</strong>e eigenen e<strong>in</strong>zigartigen Perspektiven17


aufweist, liegt ihren offenbaren Unterschieden dennoch <strong>die</strong> geme<strong>in</strong>sameVorstellung <strong>von</strong> der den Menschenwesen <strong>in</strong>newohnenden Würde zugrunde. Es isteben <strong>die</strong>se Vorstellung, welche wieder hergestellt und gegen denentmenschlichenden Ansturm der Wirtschaft des freien Marktes und ihren Spross,<strong>die</strong> Konsumenten-Gesellschaft, geschützt werden muss.In Begriffen lebendiger Erfahrung verb<strong>in</strong>det das höchste Ziel des Buddhismus viergrundlegende Attribute: Glück, Frieden, Freiheit und Sicherheit. In Pali, derSprache des frühen buddhistischen Kanons, wird Nibbana parama sukha, dashöchste Glück genannt; anuttara santivarapada, der äußerste Zustand erhabenenFriedens; vimutti, Befreiung oder Erlösung, und anuttara yogakkhema, <strong>die</strong> äußersteSicherheit vor Unfreiheit. Während <strong>die</strong>se Aspekte des Nibbana <strong>von</strong> unserengegenwärtigen Umständen sehr weit entfernt ersche<strong>in</strong>en mögen, so zeigt unsdennoch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Überlegung, dass sie mit unserem grundlegenden Strebenübere<strong>in</strong>stimmen, mit dem tiefsten Sehnen aller Menschenwesen, ungeachtet ihrerreligiösen Zugehörigkeit. Wenn wir <strong>die</strong> wahren Beweggründe h<strong>in</strong>ter all unseremTun abwägen, dann sollte sofort klar se<strong>in</strong>, dass das, was wir uns wirklich ammeisten wünschen, e<strong>in</strong> Zustand ist, der <strong>die</strong>se vier Qualitäten <strong>in</strong> sich vere<strong>in</strong>igt:Glück, Frieden, Freiheit und Sicherheit. Der Grund, warum es uns nicht gel<strong>in</strong>gt, siezu erlangen, ist nicht, dass wir etwa das Gegenteil ersehnen – denn ke<strong>in</strong>er suchtdanach, elend, gequält, versklavt und gefährdet zu se<strong>in</strong> –, sondern weil wir <strong>von</strong>ihnen falsche Vorstellungen haben und daher nicht wissen, wie sie zu erreichens<strong>in</strong>d.Unter dem E<strong>in</strong>fluss <strong>von</strong> Unwissenheit und Täuschung (avijja) suchen wir unserwahres Wohl <strong>in</strong> der falschen Richtung, wie e<strong>in</strong> Mann, der <strong>von</strong> Kandy nach Colombogehen möchte, <strong>in</strong>dem er auf der Matale-Straße nach Norden strebt:(1) Wir können wahres Glück nicht <strong>von</strong> s<strong>in</strong>nlicher Freude unterscheiden undsuchen Glück daher, <strong>in</strong>dem wir verzweifelt s<strong>in</strong>nlichen Vergnügungen nachgehen,<strong>die</strong> kurzlebig, erniedrigend und mit Angst verbunden s<strong>in</strong>d. Der Versuch, wahresGlück durch s<strong>in</strong>nliches Vergnügen zu gew<strong>in</strong>nen, ist jedoch so, als würde man18


versuchen, se<strong>in</strong>en Durst mit Seewasser zu stillen: Je mehr man tr<strong>in</strong>kt, umsodurstiger wird man.(2) Wir denken wiederum, dass Friede das Fehlen <strong>von</strong> Konflikten bedeutet; wirversuchen also Frieden zu gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>dem wir unsere Gegner unterdrücken undunsere Umgebung tyrannisieren, damit sie unseren Wünschen <strong>die</strong>nt, und s<strong>in</strong>d unsdabei nicht bewusst, dass <strong>die</strong>ser Prozess letztlich selbstzerstörerisch ist.(3) Wir setzen Freiheit mit e<strong>in</strong>em Freibrief gleich, mit der Freiheit zu impulsivenAktionen, zu tun, was immer wir wollen; wir fordern so das Recht, unüberlegt zuhandeln, ohne dafür den Preis bezahlen zu müssen, ohne für unserunverantwortliches Tun <strong>die</strong> Verantwortung tragen zu müssen.(4) Wir verstehen Sicherheit als Schutz vor äußerem Schaden; also schützen wiruns <strong>in</strong> Häusern, <strong>von</strong> hohen Mauern umgeben, mit hochempf<strong>in</strong>dlichenSicherheitssystemen ausgestattet, dennoch fühlen wir uns nie völlig sicher,sondern leben im Schatten der Furcht und der Angst, <strong>die</strong> <strong>in</strong> uns emporquillt.Was der Buddha so klar darlegt, ist, dass wir nach <strong>in</strong>nen blicken müssen, um dasentscheidende Ziel zu erreichen, nach dem wir streben. Er weist darauf h<strong>in</strong>, dassechtes Glück, Friede, Freiheit und Sicherheit zu erlangen s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>dem <strong>die</strong> mentalenFesseln abgelegt werden, <strong>die</strong> uns so fest an das Leid b<strong>in</strong>den. Diese Fesseln s<strong>in</strong>d<strong>die</strong> Trübungen des Geistes: Gier, Hass und Verblendung, zusammen mit ihrenzahlreichen Ablegern wie Zorn, Böswilligkeit, Eifersucht, Geiz, Heuchelei, Starrs<strong>in</strong>n,E<strong>in</strong>bildung, Arroganz, Eitelkeit und Rücksichtslosigkeit. Um also unser Ziel zuerr<strong>in</strong>gen, müssen wir den Suchstrahl unseres Bewusstse<strong>in</strong>s auf den Geist selberrichten und unsere Energie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Selbstläuterung <strong>in</strong>vestieren.Während Nibbana selber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Fülle dem gewöhnlichen, im Schmutz derweltlichen Pflichten befangenen Menschen fern se<strong>in</strong> mag, heißt das aber nicht,dass es für uns völlig unzugänglich ist. Denn Nibbana ist def<strong>in</strong>iert als dasVerlöschen <strong>von</strong> Gier, Hass und Verblendung und das bedeutet, dass das Ziel durch19


e<strong>in</strong>en allmählichen Prozess erreicht werden muss, der sich auf <strong>die</strong> Aufgabekonzentriert, Gier, Hass und Verblendung <strong>in</strong> unserem Alltagsleben zu verr<strong>in</strong>gern.Wir könnten sogar da<strong>von</strong> sprechen, dass sich das Ziel uns „entgegenstreckt“ oderzu uns „heruntergreift“ und sich mit unseren Alltagsbelangen überschneidet, wobeies <strong>die</strong> Voraussetzungen beschreibt, wie es selbst zu erreichen ist. Um <strong>von</strong>unserem gegenwärtigen Standort her dem Nibbana näher zu kommen, bedeutet,dass wir an uns arbeiten müssen, um den E<strong>in</strong>fluss der Befleckungen <strong>in</strong> unseremtäglichen Verhalten zu verm<strong>in</strong>dern: Nämlich <strong>in</strong> unseren Taten, Worten undGedanken. Was wir dabei tun müssen, ist Gier durch Nicht-Gier zu ersetzen: mitGroßzügigkeit, Unvore<strong>in</strong>genommenheit, Zufriedenheit und E<strong>in</strong>fachheit. Statt D<strong>in</strong>gezu horten und anzuhäufen, betont der Buddhismus den Wert des Gebens: DieAusübung der Freigiebigkeit ist der wirksamste Weg, um Gier im eigenen Geistauszulöschen wie auch anderen Unterstützung zu gewähren. Statt Hass undAbneigung zu nähren, sollen wir für andere liebende Güte und Mitgefühlentwickeln, mit ihnen zusammenarbeiten, um unsere geme<strong>in</strong>samen Ziele zuerreichen, und Widrigkeiten mit Geduld und Gleichmut ertragen. Und statt <strong>in</strong> denWolken der Verblendung zu verharren, sollen wir Weisheit entwickeln: Verständnisaufbr<strong>in</strong>gen und E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> unveränderlichen Gesetze, welche der menschlichenExistenz zugrunde liegen.Das Werk der Selbstläuterung ist durch Beschreiten des Edlen Achtfachen Pfadeszu vollbr<strong>in</strong>gen, mit se<strong>in</strong>en drei Gruppen der Tugend, der Konzentration und derWeisheit. Jeder <strong>die</strong>ser drei Abschnitte des Pfades zielt darauf, <strong>die</strong> Befleckungenauf fortschreitend subtileren Ebenen zu kontrollieren und auszulöschen. DieSchulung der Tugend be<strong>in</strong>haltet rechte Rede, rechtes Tun und rechtenLebenserwerb, kontrolliert das Wirken der Befleckungen, das sich <strong>in</strong>Regelverstößen äußert und <strong>in</strong> Verhalten, welches <strong>die</strong> moralischen Normen verletzt.Die Schulung der Konzentration, <strong>die</strong> rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit undrechte Sammlung umfasst, zielt darauf, das aktive E<strong>in</strong>brechen der Befleckungen <strong>in</strong>unsere Denkprozesse auszuschließen. Die Schulung der Weisheit, <strong>die</strong> rechteE<strong>in</strong>sicht und rechte Ges<strong>in</strong>nung zum Inhalt hat, zielt auf das Ausmerzen derBefleckungen auf der fundamentalsten Ebene, wo sie noch zarte Keiml<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> den20


tiefen Nischen des Geistes s<strong>in</strong>d. Erst wenn <strong>die</strong>se Befleckungen durch Weisheit,durch direkte E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> wahre Natur der Phänomene, völlig entwurzelt wurden,ist <strong>die</strong> Unwissenheit gänzlich überwunden und das Wissen erfüllt. Und eben <strong>die</strong>sbr<strong>in</strong>gt <strong>die</strong> Verwirklichung <strong>von</strong> Nibbana, das höchste Glück, Frieden, Freiheit undSicherheit noch <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Leben.Ich möchte hier betonen, dass zwar das Praktizieren des Edlen Achtfachen Pfadesetwas unausweichlich Persönliches ist, dass <strong>die</strong>se Praxis aber Auswirkungen hat,<strong>die</strong> zutiefst und unerklärlich sozialer Natur s<strong>in</strong>d. Ich habe ja schon früher daraufh<strong>in</strong>gewiesen, dass <strong>die</strong> Gesellschaft ke<strong>in</strong>e abstrakte Größe ist, sondern <strong>die</strong>Gesamtheit ihrer <strong>in</strong>dividuellen Mitglieder. Wenn wir <strong>die</strong> Gesellschaft mit e<strong>in</strong>emOrganismus vergleichen, dann s<strong>in</strong>d ihre Mitglieder wie <strong>die</strong> Zellen; und gerade sowie sich <strong>die</strong> Gesundheit der Zellen e<strong>in</strong>es Körpers auf das Wohlbef<strong>in</strong>den desphysischen Organismus auswirkt, so bee<strong>in</strong>flussen ganz unvermeidlich <strong>die</strong> Führung,Haltung und Wertmaßstäbe der Mitglieder e<strong>in</strong>er Gesellschaft <strong>die</strong> Gesundheit e<strong>in</strong>essozialen Organismus.Wir brauchen uns ke<strong>in</strong>en Illusionen h<strong>in</strong>geben, dass es machbar wäre, <strong>die</strong> gesamteGesellschaft zu veranlassen, auf dem Edlen Achtfachen Pfad zu wandeln. Es ist jaschon schwierig genug, <strong>die</strong> Leute nur dah<strong>in</strong> zu br<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong> dezentes, aufrechtesLeben zu führen, das <strong>von</strong> soliden, moralischen Richtl<strong>in</strong>ien bestimmt ist. Die Mächteder F<strong>in</strong>sternis, des Materialismus und Konsumismus s<strong>in</strong>d so stark geworden, soverführerisch und überwältigend, dass es nur zu leicht fällt, ihre Propaganda alsunbesiegbare Wahrheit zu akzeptieren. Mit dem Trend zur globalisierten Wirtschafthaben praktisch jene, welche <strong>die</strong> Konzern-Kultur dom<strong>in</strong>ieren, alle Me<strong>die</strong>n unter ihreKontrolle gebracht, und so ist es <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong>e gewaltige Herausforderung, <strong>die</strong>Fata Morgana der Konsumenten zu zerstreuen. Die Saat zur Selbstzerstörung<strong>die</strong>ses Systems ist jedoch bereits <strong>in</strong> ihm selbst aufgegangen: <strong>die</strong> wachsendePolarisierung der Welt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Reichen und <strong>die</strong> Armen; der aggressive Angriff auf allesich dem Profit der Konzerne entgegenstellenden H<strong>in</strong>dernisse; <strong>die</strong> Missachtunggrundlegender menschlicher Werte und – heute <strong>von</strong> größter Wichtigkeit – <strong>die</strong>rücksichtlose Ausbeutung der das Leben tragenden Systeme der Erde selbst.21


Wir stehen heute an e<strong>in</strong>er Weggabelung, e<strong>in</strong>er Straße, deren Zweige sich <strong>in</strong> zweiverschiedene Richtungen erstrecken. Die Wahl, welchen Weg wir e<strong>in</strong>schlagen, wirdunser Schicksal entscheiden – unser persönliches Schicksal und das unseresPlaneten. Die Straße, welche uns <strong>in</strong> <strong>die</strong> gegenwärtige Sackgasse geführt hat, ist<strong>die</strong> e<strong>in</strong>er ungezügelten Entwicklung, gelenkt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em profitorientiertenWirtschaftssystem. Durch <strong>die</strong> Erweiterung unserer Kenntnis der physischen Welthat <strong>die</strong> Wissenschaft uns Befehlsgewalt über <strong>die</strong> Kräfte der Natur übertragen, e<strong>in</strong>Ausmaß an Kontrolle, das uns wahrlich taumeln lässt. Die Meisterschaft jedoch, <strong>die</strong>wir über <strong>die</strong> äußere Welt gewonnen haben, wurde durch <strong>die</strong> Vernachlässigung derZügelung <strong>von</strong> uns selbst gewonnen. Auf <strong>die</strong>se Weise fortzufahren, ausschließlichauf noch mehr äußere Entwicklung konzentriert, heißt genau unser Überleben zugefährden. Dass <strong>die</strong>ses Risiko sehr real ist, kann man aus der Konferenz <strong>in</strong> Kyotoüber den Klimawandel (1979) ersehen: Praktisch jedes Land, das teilgenommenhat, West wie Ost, bestand auf dem Recht dem Pfad unbeschränktenwirtschaftlichen Wachstums weiter zu folgen, obwohl das bedeutet, dass <strong>in</strong> der<strong>Zukunft</strong> <strong>die</strong> Verschmutzung <strong>von</strong> Luft und Wasser unerträglich werden wird undunvorhersehbarer Klimawandel ungeheures Unglück bewirken kann. Man bekommt<strong>in</strong> der Tat den E<strong>in</strong>druck, dass <strong>die</strong> Leute <strong>in</strong> ihrer Hast, e<strong>in</strong>en Anteil am guten Lebenzu gew<strong>in</strong>nen, bereit s<strong>in</strong>d mit der Aussicht zu flirten, dass ihre ungezügelte Giergenau das Versorgungssystem zerstört, welches das Leben auf der Erde möglichmacht.Die andere Straße bedeutet nicht e<strong>in</strong> Verwerfen <strong>von</strong> Wissenschaft und Technik,sondern das Erkennen ihres angemessenen Platzes <strong>in</strong> der Skala menschlicherWerte. Ihre Funktion ist es, der menschlichen Geme<strong>in</strong>schaft zu <strong>die</strong>nen, Not zum<strong>in</strong>dern und dabei zu helfen, materiellen Wohlstand zu schaffen, der als Grundlagefür <strong>die</strong> Verfolgung anderer Ziele gebraucht wird – für <strong>die</strong> kulturelle, <strong>in</strong>tellektuelleund spirituelle Entwicklung. Was wir heute am dr<strong>in</strong>glichsten benötigen, ist dasVerschieben der Betonung <strong>von</strong> der äußeren Entwicklung zur <strong>in</strong>neren Entwicklung.Sich auf <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Entwicklung zu konzentrieren heißt nicht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> privates Reichsubjektiver Fantasien zu entkommen oder <strong>die</strong> Erfordernisse sozialer Verantwortung22


abzuweisen, sondern unsere Prioritäten auf e<strong>in</strong>e Weise zu organisieren, welche <strong>die</strong>volle Verwirklichung des menschlichen Potenzials auf der tiefsten Ebene erbr<strong>in</strong>gt.Die großen spirituellen Lehrer sagen uns, dass <strong>die</strong> Ziele im menschlichen Leben<strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Werteskala bestimmt s<strong>in</strong>d und dass auf <strong>die</strong>ser Skala der höchste Wertzum höchsten Ziel gehört. Für den Buddhismus ist <strong>die</strong>s das Erlangen derErleuchtung und Befreiung, das Erlangen des Nibbana, zu gew<strong>in</strong>nen durch dasBeschreiten des Edlen Achtfachen Pfades.Während <strong>die</strong> Gesetze des spirituellen Lebens sich stets als richtig erwiesen, s<strong>in</strong>dwir heute gezwungen, mit unschlagbarer Klarheit <strong>die</strong> unentwirrbare Abhängigkeit zuerkennen, welche <strong>die</strong> externe, materielle Dimension unserer Existenz mit der<strong>in</strong>neren psychischen Dimension verb<strong>in</strong>det. Auf unzählige Arten werden wir daraufh<strong>in</strong>gewiesen, dass unsere geme<strong>in</strong>same Welt e<strong>in</strong>e kollektive Reflektion unsererGeister ist; <strong>die</strong> sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>Projektion unserer Denkmuster und Werteskalen nach außen. Aus <strong>die</strong>sem Grundhängt unser geme<strong>in</strong>sames Wohlergehen und vielleicht sogar das Überleben alsSpezies <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er gewaltigen Bewusstse<strong>in</strong>swandlung ab. Dieser Wandel muss klaralle Grenzen durchtrennen – Ost und West, Nord und Süd –, erstarrte Haltungenund Voraussetzungen auflösen, <strong>die</strong> letztlich selbstzerstörerisch s<strong>in</strong>d. Wenn ich kurzund prägnant zusammenfassen soll, was <strong>die</strong> Botschaft des Buddha heute für unsenthält, während wir <strong>in</strong> das 21. Jahrhundert h<strong>in</strong>übergleiten, so ist es das:Wir müssen erkennen, dass <strong>die</strong> Wunden, welche unsere Welt quälen, Symptomefür <strong>die</strong> Wunden s<strong>in</strong>d, welche unseren Geist pe<strong>in</strong>igen.Unsere Probleme, <strong>von</strong> der K<strong>in</strong>derprostitution bis zur ökologischen Verwüstung, <strong>von</strong>der politischen Korruption bis zum Imperialismus der Weltkonzerne, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> großenLettern geschriebene Warnsignale der destruktiv verzerrten Ansichten und Werte,<strong>die</strong> so tief <strong>in</strong> unsere Herzen e<strong>in</strong>gedrungen s<strong>in</strong>d. Die lichte Seite der Botschaft desBuddha ist jedoch, dass sich <strong>die</strong> Menschenwesen ändern können. Sie werden nichtals hilflose Gefangene der f<strong>in</strong>steren Trübungen des Geistes festgehalten, sondernkönnen sich durch E<strong>in</strong>geständnis ihres Dilemmas, ihres Leids und ihrer Qual an <strong>die</strong>23


langsame und schwere Aufgabe begeben, <strong>die</strong> Ursachen anzugehen, und damitbeg<strong>in</strong>nen, sich zu befreien.Ganz sicherlich ver<strong>die</strong>nen Ziele wie soziale Gerechtigkeit, L<strong>in</strong>derung der Armut,das Ende kommunaler Konflikte und der Schutz unserer natürlichen Umwelt e<strong>in</strong>enSpitzenplatz <strong>in</strong> unserer Tagesordnung. Die Lehre des Buddha lässt uns abererkennen, dass wir vernünftigerweise nicht erwarten können, <strong>die</strong>se gewaltigensozialen Probleme zu lösen, solange wir <strong>in</strong> unserem persönlichen Leben <strong>in</strong> demgleichen vertrauten Alltagstrott <strong>von</strong> Gier, Unachtsamkeit und Selbstsucht fortfahren.Um <strong>die</strong> Wunden unserer Welt zu heilen, müssen wir daran arbeiten, <strong>die</strong> Wundenunserer Herzen zu heilen, <strong>die</strong> tief verborgenen Wunden <strong>von</strong> Gier, Hass undVerblendung. Zugegeben, <strong>die</strong> Botschaft ist e<strong>in</strong>e schwierige, denn <strong>in</strong>nerer Wandelerfordert immer größere Anstrengungen als äußere Leistungen, besonders wennder erste Schritt Selbstverständnis heißt. In der abschließenden Analyse ist esjedoch der e<strong>in</strong>zige Ansatz, der funktionieren wird, und damit ist er ganz sicherunserer Aufmerksamkeit wert.Ich möchte <strong>die</strong>ses Kapitel mit e<strong>in</strong>igen Worten schließen, <strong>die</strong> sich ganz spezifischauf den Zustand des Buddhismus <strong>in</strong>nerhalb <strong>von</strong> Asien beziehen. Wenn wir auf <strong>die</strong>Lebensweise blicken, <strong>die</strong> heute im buddhistischen Asien im Aufstieg begriffen ist,so sche<strong>in</strong>t es, dass der wahre Dhamma ganz schnell se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss verliert. Esmag zwar e<strong>in</strong>e Menge <strong>von</strong> Tempeln und riesigen Buddha-Bildnissen geben, <strong>die</strong><strong>von</strong> Hügeln und Straßen auf uns herabblicken, und <strong>in</strong> all den größeren Städten undOrten s<strong>in</strong>d Mönche zu sehen, jedoch e<strong>in</strong> Leben, das <strong>von</strong> Dhamma <strong>in</strong>spiriert undgeleitet wird, auf moralische Rechtschaffenheit gegründet ist, auf liebende Güteund Mitgefühl, auf Respekt und Fürsorge für andere: All das s<strong>in</strong>kt <strong>in</strong>erschreckendem Maße ab. Um zu verh<strong>in</strong>dern, dass der wahre Dhammaverschw<strong>in</strong>det, müssen radikale und weitsichtige Schritte unternommen werden.Um den Dhamma auch <strong>in</strong> den kommenden Generationen lebendig zu erhalten, istes äußerst wesentlich, <strong>Wege</strong> zu f<strong>in</strong>den, welche der jungen Generation <strong>die</strong>Bedeutung der Lehre sichtbar machen. In Anbetracht der Art und Weise, wie24


Buddhismus heute <strong>in</strong> Asien praktiziert wird, ersche<strong>in</strong>t es, dass e<strong>in</strong> junger,gebildeter Mensch <strong>in</strong> ihm wenig mehr als e<strong>in</strong> System <strong>von</strong> Zeremonien und Ritensehen wird, nützlich vielleicht zur Er<strong>in</strong>nerung an <strong>die</strong> eigene kulturelle und ethnischeIdentität, aber mit nur wenig Bezug auf unsere gegenwärtigen Belange. Es liegt ander Jugend, dafür zu sorgen, dass der Buddhismus <strong>in</strong> <strong>die</strong> nächste Generationh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> überleben wird und dass er fähig bleibt, se<strong>in</strong>e reichen E<strong>in</strong>sichten undspirituellen Praktiken der weltweiten Geme<strong>in</strong>schaft anzubieten. Wenn wir <strong>die</strong>Jugend an den Materialismus verlieren und an den Kult der Maßlosigkeit, dannhaben wir <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> des Buddhismus verloren, und alles, was dann imgünstigsten Fall noch überlebt, wird <strong>die</strong> äußere Kruste der Religion se<strong>in</strong>, aber nichtihr wesentlicher Kern.Um den Buddhismus erfolgreich am Leben zu erhalten, ist es erforderlich, dass derwahre spirituelle Kern des Dhamma aus den häufig beengenden und hemmenden<strong>in</strong>stitutionellen Hüllen herausgelöst wird. Vor allem verlangt <strong>die</strong>se Aufgabe, dassder Dhamma nicht als Grundlage für ethnische Identität oder kulturellen Stolzbenützt wird, sondern als lebendiger Weg zu spiritueller Entwicklung undpersönlicher Wandlung, der unsere fundamentalsten Haltungen, Ziele und Werteberührt. Nur wenn der Dhamma auf <strong>die</strong>se Weise angenommen wird, kann er dazu<strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> Wunden <strong>in</strong> unserem eigenen Geist und Herz zu heilen, und nur durch<strong>die</strong> Heilung der Wunden im Inneren können wir uns der folgenschweren Aufgabestellen, bei der Heilung der Wunden <strong>die</strong>ser Welt zu helfen.25


2. E<strong>in</strong> buddhistischer Ansatz zur wirtschaftlichen und sozialen EntwicklungIn <strong>die</strong>sem Kapitel werde ich <strong>die</strong> Lehren des Buddha wie e<strong>in</strong>e Lupe verwenden,durch welche <strong>die</strong> Vorstellungen <strong>von</strong> wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, <strong>die</strong> <strong>in</strong>der Welt <strong>von</strong> heute vorherrschen, zu untersuchen s<strong>in</strong>d. Wenn, wie ich behaupte,e<strong>in</strong> buddhistisches Entwicklungsmodell mit dem vorherrschenden grundlegendunvere<strong>in</strong>bar ist, dann ist es wichtig, <strong>die</strong> Gründe zu verstehen, warum das so ist. Ichwerde daher <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em buddhistischen Standpunkt aus zuerst dasEntwicklungsmodell untersuchen, welches gegenwärtig <strong>von</strong> den meisten führendenWirtschaftswissenschaftlern und Sozialanalytikern unterstützt wird. Nachdem ich<strong>die</strong> Mängel <strong>die</strong>ses Modells aufgezeigt habe, werde ich dann e<strong>in</strong>ige Richtl<strong>in</strong>ien füre<strong>in</strong> alternatives Programm wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung skizzieren, dasauf buddhistischen Pr<strong>in</strong>zipien basiert. Nachdem ich <strong>von</strong> me<strong>in</strong>er Ausbildung her ke<strong>in</strong>Wirtschaftswissenschaftler b<strong>in</strong> und auf <strong>die</strong>sem Gebiet wirklich nur ger<strong>in</strong>geKenntnisse besitze, können me<strong>in</strong>e Kommentare nur sehr allgeme<strong>in</strong> gefasst se<strong>in</strong>,aber solange sie mit den spirituellen und ethischen Pr<strong>in</strong>zipien des Dhamma <strong>in</strong>E<strong>in</strong>klang stehen, können auch allgeme<strong>in</strong>e Vorstellungen e<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong>.Die Vorstellung <strong>von</strong> wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung ist ja heute zume<strong>in</strong>igenden Ruf der Politiker, Wirtschaftslenker und politischen Planer rund um denGlobus geworden. Diese Vorstellung übt daher e<strong>in</strong>en gewaltigen E<strong>in</strong>fluss auf dasLeben aller Menschen aus, sowohl auf der persönlichen Ebene wie auch alsbestimmender Faktor der Sozialpolitik. Obwohl <strong>die</strong> buddhistischen Texte bestimmtePr<strong>in</strong>zipien vorschreiben, um <strong>die</strong> Menschen bei ihren wirtschaftlichen und sozialenAktivitäten zu leiten, so haben <strong>die</strong> Vorstellungen <strong>von</strong> wirtschaftlicher und sozialerEntwicklung, welche <strong>in</strong> den Formulierungen gegenwärtiger Politik dom<strong>in</strong>ieren, ke<strong>in</strong>egenauen Parallelen <strong>in</strong> den früheren Epochen. Um also unser Thema angemessenabzuhandeln, ist es nicht genug, nur <strong>die</strong> kanonischen Texte anzuhören. Wirmüssen vielmehr <strong>die</strong> Inhalte solcher Vorstellungen <strong>von</strong> wirtschaftlicher und sozialerEntwicklung <strong>in</strong> ihrer Auswirkung auf <strong>die</strong> heutige Sozialpolitik offenlegen. Dannmüssen wir <strong>die</strong> vom Dhamma angebotenen profunden Perspektiven als Werkzeugnützen, um sie abzuwägen und ihren Wert e<strong>in</strong>zuschätzen.26


Das gegenwärtig <strong>von</strong> den meisten <strong>in</strong> Entwicklung begriffenen Nationen angestrebteZiel wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung wird durch e<strong>in</strong> Modell bestimmt,welches vom Westen, <strong>in</strong>sbesondere den Vere<strong>in</strong>igten Staaten, vertreten wird.Politische Führer und Geschäftsmagnaten im Osten wie im Westen setzen voraus,dass das westliche Wirtschaftssystem den Standard darstellt, dem der Rest derWelt zu folgen hat, der das Allheilmittel für <strong>die</strong> beharrlichsten sozialen Problemeder Menschheit darstellt – für Armut, Gewalt und Ungerechtigkeit. Das Wort„Entwicklung“ impliziert e<strong>in</strong>e Skala, auf der den Ländern gemäß ihrem relativenErfolg beim Erfüllen <strong>die</strong>ses Ideals e<strong>in</strong> Rang erteilt wird. Jene Länder, <strong>die</strong> das Idealerfolgreich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tat umsetzen, werden entwickelt genannt; jene, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Gradnoch nicht geschafft haben, nennt man unterentwickelt. Als selbstverständlich wirdvorausgesetzt, dass sich alle Länder auf e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Spur <strong>in</strong> <strong>die</strong> gleicheRichtung bewegen, der Westen voraus und der Rest der Welt sich damitabmühend, aufzuholen.Das Charakteristischste e<strong>in</strong>es entwickelten Landes wird <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne nahezuausschließlich durch se<strong>in</strong>e Wirtschaft bestimmt. Unter e<strong>in</strong>em entwickeltem Landversteht man e<strong>in</strong>es, <strong>in</strong> welchem <strong>die</strong> Wirtschaft durch <strong>die</strong> Anwendung <strong>von</strong>Hochtechnologie bei der <strong>in</strong>dustriellen Produktion und kommerziellen Dienstleistungangetrieben wird. Die Leistungskurve der Entwicklung wird durch e<strong>in</strong>e vertikale unde<strong>in</strong>e horizontale Achse def<strong>in</strong>iert: Die vertikale Achse wird <strong>von</strong> der Innovation <strong>in</strong>Techniken und Produkten gebildet, <strong>die</strong> horizontale Achse ist <strong>die</strong> Erweiterung <strong>von</strong>Produktion und Vertrieb. In e<strong>in</strong>er derartigen Gesellschaft wird der Rest der sozialenOrdnung der Wirtschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Maße untergeordnet, dass es ihr möglich ist, mitmaximaler Effizienz zu funktionieren. Die Vernunftgründe, <strong>die</strong> angeführt werden,um <strong>die</strong>se Form sozialer Organisation zu erklären, s<strong>in</strong>d, dass e<strong>in</strong>e leistungsfähigeWirtschaft, gekennzeichnet durch Massenproduktion und e<strong>in</strong> weites Vertriebsnetz,das unverzichtbare Mittel bildet, um allgeme<strong>in</strong>en Wohlstand voranzubr<strong>in</strong>gen. IhreFürsprecher behaupten, dass <strong>die</strong> beständige Steigerung des Produktions- undVertriebsniveaus überquellenden Reichtum schaffen wird, der schließlich bis zuallen durchsickert und damit sicherstellt, dass jeder se<strong>in</strong>en Anteil vom Kuchenbekommt.27


Auf <strong>die</strong>ser theoretischen Grundlage hat der Westen seit den Tagen der <strong>in</strong>dustriellenRevolution unkontrolliertes wirtschaftliches Wachstum verfolgt und der Rest derWelt hat sich, <strong>in</strong> Ehrfurcht vor dem enormen technischen Geschick und materiellenReichtum des Westens, dazu entschlossen, se<strong>in</strong>em Beispiel zu folgen. DiesesModell hat <strong>die</strong> Führer der asiatischen Länder <strong>in</strong> der gesamten buddhistischen Weltso tief bee<strong>in</strong>druckt, dass sie sich, wie es sche<strong>in</strong>t fast ohne Ausnahme, zurEntwicklung e<strong>in</strong>er Wirtschaft verpflichtet haben, <strong>die</strong> auf <strong>in</strong>dustrielle Produktion und<strong>die</strong> Anwendung <strong>von</strong> Hochtechnologie ausgerichtet ist. Es ist daher für jene, welchefür <strong>die</strong> Lenkung der <strong>Zukunft</strong> des Buddhismus <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Ländern verantwortlich s<strong>in</strong>d,<strong>von</strong> größter Wichtigkeit, <strong>die</strong>ses Modell <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en zahlreichen Verzweigungen zubetrachten.E<strong>in</strong>e detaillierte Untersuchung <strong>die</strong>ser Konzeption <strong>von</strong> wirtschaftlicher und sozialerEntwicklung würde ja e<strong>in</strong>e ausführliche Abhandlung erfordern, ich beabsichtigeaber <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser kurzen Präsentation nur zwei kurze Fragen zu stellen. Erstens: Ist esdem Rest der Welt wirklich möglich, dem westlichen Modell nachzueifern?Zweitens: Wenn es möglich ist, ist es für uns denn wirklich wünschenswert, <strong>die</strong>senWeg e<strong>in</strong>zuschlagen? Die erste Frage ist völlig unabhängig <strong>von</strong> e<strong>in</strong>erbuddhistischen Sichtweise, da sie Betrachtungen be<strong>in</strong>haltet, <strong>die</strong> sich nicht um e<strong>in</strong>espezielle religiöse Haltung drehen. Die zweite Frage <strong>in</strong>volviert sehr wohl e<strong>in</strong>ebuddhistische Betrachtungsweise und fragt, ob der westliche Ansatz zurEntwicklung mit dem Geist, der <strong>die</strong> Lehre des Buddha erfüllt, wahrhaftig kompatibelist.Ist es für alle machbar?Die erste Frage ist sehr e<strong>in</strong>fach zu beantworten. Es ist dem Rest der Welt nicht nurunmöglich, dem Entwicklungsweg des Westens zu folgen, sondern es ist derwestlichen Wirtschaft (und den neuerlich <strong>in</strong>dustrialisierten Ländern) praktisch nichtmehr möglich, noch viel länger auf <strong>die</strong>sem Geleise weiterzufahren, ohne alle zugefährden. Das Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung mittels Hochtechnologieund Industrialisierung hatte Auswirkungen im Gefolge, <strong>die</strong> uns an den Rand der28


Katastrophe brachten und nun genau <strong>die</strong> Versorgungssysteme zu untergrabendrohen, <strong>von</strong> welchen das empf<strong>in</strong>dende Leben abhängt.Die menschliche Wirtschaft ist aber nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unbegrenzten Raum tätig, dere<strong>in</strong>en unerschöpflichen Vorrat an Ressourcen liefern kann. Sie arbeitet vielmehr <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em geschlossenen, begrenzten und äußerst zerbrechlichen Ökosystem. Wennsich <strong>die</strong> Wirtschaft ausdehnt, so tut sie das, <strong>in</strong>dem sie immer mehr <strong>von</strong> denRohstoffgrundlagen des Ökosystems <strong>in</strong> sich aufnimmt und dafür dasselbe mitse<strong>in</strong>em Müll belastet. Das Ökosystem ist auf 100 Prozent begrenzt, darüber h<strong>in</strong>auskann nicht konsumiert werden. Aber lange bevor <strong>die</strong> menschliche Wirtschaft <strong>die</strong>seGrenze erreicht, überschreitet sie e<strong>in</strong>e Schwelle, h<strong>in</strong>ter welcher das fe<strong>in</strong>e Gewebedes Ökosystems so schwer geschädigt wird, dass es höhere Lebensformen nichtlänger aufrechterhalten kann.Wir s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>ser Schwelle vielleicht schon sehr nahe; wir haben ke<strong>in</strong>e sichereMethode, es im Voraus zu wissen, und da natürliche Systeme sich <strong>von</strong> unten herganz langsam zersetzen können, wird <strong>die</strong> abschließende Katastrophe womöglichnicht sofort sichtbar. Mit der im nächsten halben Jahrhundert zu erwartenden50%igen Zunahme der Weltbevölkerung ist zwangsläufig <strong>die</strong> Steigerung derUmweltbelastung auf e<strong>in</strong> noch gefährlicheres Niveau verbunden, welches zudemdurch <strong>die</strong> globale Jagd nach wirtschaftlichem Wachstum weiter erhöht wird. Für <strong>die</strong>Länder der dritten Welt ist es nicht nur rücksichtslos und unverantwortlich, derStraße ausgedehnter <strong>in</strong>dustrieller Produktion zu folgen, sondern unser re<strong>in</strong>esÜberleben als Spezies wird erfordern, dass wir unnachgiebigen Druck auf denNorden ausüben, ganz drastisch das gegenwärtige hohe Produktions- undKonsumniveau zu beschneiden und neue Modelle ökonomischer Organisationanzunehmen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> ökologische Gesundheit der Welt förderlicher s<strong>in</strong>d.Ist es überhaupt wünschenswert?Die zweite <strong>von</strong> mir gestellte Frage nimmt (entgegen den Tatsachen) an, dass daswestliche Modell wirtschaftlicher Entwicklung ökologisch machbar ist, und fragt, ob29


es aus buddhistischer Sicht denn noch wünschenswert ist. Sobald wir gesehenhaben, dass <strong>die</strong>ses Modell <strong>die</strong> wirtschaftliche Katastrophe bedeutet, könnte es alsunnötig ersche<strong>in</strong>en, <strong>die</strong>se Frage überhaupt zu stellen. Das wäre tatsächlich derFall, wenn <strong>die</strong> Menschen wirklich so vernünftig wären, wie sie es vorgeben, dochso wie <strong>die</strong> Motten <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Flamme angezogen werden, sche<strong>in</strong>en unsere Führerund politischen Planer immer noch vom ökonomischen Wachstum als der bestenLösung für <strong>die</strong> gewichtigen sozialen Probleme, <strong>die</strong> so schwer auf ihren Ländernlasten, angezogen zu werden. Daher ist e<strong>in</strong>e kurze Besprechung <strong>die</strong>ser Frage dochwünschenswert.Ich würde ganz kurz zur Beantwortung sagen, dass das westliche Modell nichtwünschenswert ist, auf Grund se<strong>in</strong>er unausweichlichen ökonomischen, sozialenund kulturellen Konsequenzen, <strong>die</strong>, aus buddhistischer Perspektive,unmissverständlich verderblich s<strong>in</strong>d. Lasst uns jede Kategorie nache<strong>in</strong>anderuntersuchen.(a) Ökonomisch. Die Vertreter des globalen Kapitalismus befürworten beständigesWachstum als Mittel zur Überw<strong>in</strong>dung <strong>von</strong> Armut und zur Absicherung allgeme<strong>in</strong>enWohlstands. Der Spruch, der <strong>die</strong>se konventionelle Weisheit ausdrückt, lautet „<strong>die</strong>steigende Flut wird alle Boote heben“. Nach mehr als 50 Jahren unablässigerglobaler Entwicklung f<strong>in</strong>den wir jedoch, dass <strong>die</strong> Kluft zwischen Arm und Reichbreiter als je zuvor ist und fast im Gleichschritt mit dem Grad des wirtschaftlichenWachstums zunimmt. Die Kluft hat sich erweitert zwischen den reichen und armenNationen der Welt und auch zwischen den Reichen und Armen <strong>in</strong>nerhalb dermeisten Nationen <strong>die</strong>ser Welt. Im Verlauf des letzten halben Jahrhunderts hat sichdas wirtschaftliche Wachstum um das Fünffache ausgedehnt, der <strong>in</strong>ternationaleHandel um das Zwölffache und direktes ausländisches Investment um das 24- bis36fache. Dennoch lebt heute e<strong>in</strong> größerer Anteil der Weltbevölkerung unterhalb derArmutsgrenze als jemals zuvor. Die Bevölkerung des Nordens, <strong>die</strong> sich auf 20Prozent der Welt <strong>in</strong>sgesamt beläuft, erhält 80 Prozent des Welt-E<strong>in</strong>kommens,während <strong>die</strong> unteren 20 Prozent nur 1,4 Prozent bekommen. Die E<strong>in</strong>kommen deroberen 20 Prozent s<strong>in</strong>d zusammen 60-mal größer als jene der unteren 20 Prozent;30


das ist doppelt so viel wie 1950, wo sie nur 30-mal größer waren. Kurz gesagt, daswirtschaftliche Wachstum <strong>von</strong> 50 Jahren hat nicht den universellen Wohlstandgebracht, der mit so glänzenden Phrasen <strong>in</strong> Aussicht gestellt wurde. Im Gegenteil,der erzielte Reichtum floss nur e<strong>in</strong>er w<strong>in</strong>zigen M<strong>in</strong>orität zu, den Großkonzernen undder F<strong>in</strong>anzelite, während e<strong>in</strong>e steigende Zahl <strong>von</strong> Menschen, und jetzt auch imWesten, immer tiefer <strong>in</strong> Ungewissheit und Armut vers<strong>in</strong>kt.(b) Sozial. Die sozialen Auswirkungen der <strong>in</strong>dustriellen Wachstumswirtschaft s<strong>in</strong>dgenauso trostlos. E<strong>in</strong>e traditionelle buddhistische Gesellschaft wird durch e<strong>in</strong> hohesMaß an sozialem Zusammenhalt und e<strong>in</strong>en starken Geme<strong>in</strong>schaftss<strong>in</strong>ncharakterisiert, ihre Mitglieder s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vielfältigen Beziehungsgewebe <strong>von</strong> derFamilie aufwärts verbunden, was e<strong>in</strong>en tiefen S<strong>in</strong>n <strong>von</strong> persönlichem Haltvermittelt. Die meisten Leute ver<strong>die</strong>nen ihren Unterhalt <strong>in</strong> der Landwirtschaft, durchHandwerk und Handel im Kle<strong>in</strong>en, Berufe also, welche sie <strong>in</strong> direkten Kontakt mitjenen br<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> ihre Produkte kaufen und verbrauchen. Spirituelle Führungkommt vom Sangha, dem Orden der Mönche und Nonnen, welche derLaiengesellschaft nicht nur <strong>die</strong> Lehren des Buddha vermitteln, sondern auf demGipfel der zivilen Gesellschaft als lebendige Vorbilder der spirituellen Tugendenstehen, <strong>die</strong> benötigt werden, um das höchste Ziel, Nibbana, zu gew<strong>in</strong>nen.Die Marktwirtschaft tritt auf, beg<strong>in</strong>nend mit der Kolonialzeit, und das komplexeGewebe der existenziellen Beziehungen wird zu e<strong>in</strong>em Wirrsal verdreht. Kle<strong>in</strong>eFarmen werden zu Gunsten großer Güter aufgelöst, <strong>die</strong> Feldfrüchte für den Verkaufauf dem globalen Markt anbauen. Kle<strong>in</strong>e Industriebetriebe werden durch dasErsche<strong>in</strong>en der übernationalen Konzerne <strong>in</strong> den Ru<strong>in</strong> getrieben, Kunsthandwerkerwerden durch billige <strong>in</strong> Massen hergestellte Waren überflüssig, der kle<strong>in</strong>eE<strong>in</strong>zelhändler wird durch <strong>die</strong> Ausbreitung der Supermärkte und Ladenketten <strong>in</strong> denBankrott getrieben.Indem den Leuten ihr Land und <strong>die</strong> Geschäfte weggenommen werden, schwillt <strong>die</strong>Arbeitslosigkeit an und große Mengen strömen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Städte, auf der Suche nachBeschäftigung <strong>in</strong> den Fabriken und nach Unterkunft <strong>in</strong> den sich ausbreitendenSlums. Dort plagen sie sich <strong>in</strong> langen Stunden für ger<strong>in</strong>gen Lohn mit langwierigen31


Tätigkeiten ab, manchmal auch unter gefährlichen Umständen. Von denAuswirkungen der Marktwirtschaft getroffen, werden <strong>die</strong> engen Bande derGeme<strong>in</strong>schaft plötzlich zerrissen. Dieser Schlag kann traumatische Wirkungzeigen. Die Leute f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er See des Misstrauens dah<strong>in</strong>treibend, wenn <strong>die</strong>engen persönlichen B<strong>in</strong>dungen, e<strong>in</strong>st so charakteristisch für <strong>die</strong> traditionelleGesellschaft, der kalten unpersönlichen Konfrontation zwischen namenlosenGesichtern <strong>in</strong> der Menge weichen. Statt zur Förderung des geme<strong>in</strong>samen Wohls zukooperieren, werden <strong>die</strong> Leute ganz subtil gezwungen, mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> e<strong>in</strong>embrutalen Überlebenskampf zu wetteifern, der nur zu gew<strong>in</strong>nen ist, <strong>in</strong>dem manandere zum eigenen Vorteil zurechtbiegt.Auch <strong>die</strong> Familienbeziehungen zerfallen: Zuerst löst sich <strong>die</strong> e<strong>in</strong>st eng geknüpfteausgedehnte Großfamilie <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>in</strong> sich geschlossenen Kle<strong>in</strong>familien auf; dann teiltsich <strong>die</strong> Kle<strong>in</strong>familie ihrerseits auf, zerbrochene Ehen bleiben zurück, e<strong>in</strong>sameS<strong>in</strong>gles und emotional geschädigte K<strong>in</strong>der. Die erniedrigende Natur <strong>die</strong>sesSozialsystems wird, im Norden wie auch im Süden, <strong>in</strong> den heute vorherrschendenSymptomen des Niedergangs klar ersichtlich: Heimatlosigkeit, wachsendeKrim<strong>in</strong>alität, Prostitution und Missbrauch <strong>von</strong> K<strong>in</strong>dern, Selbstmord, verbreiteterAlkoholismus und Drogensucht.(c) Kulturell. In den traditionellen buddhistischen Gesellschaften wird <strong>die</strong>Beschäftigung mit dem Ansammeln <strong>von</strong> Reichtum und Gütern dem Streben nachethischen und spirituellen Werten untergeordnet. Der Dhamma, alsunvergleichlicher Führer im Denken und Handeln, fördert Qualitäten wieE<strong>in</strong>fachheit, Zufriedenheit, Freigebigkeit und Selbstaufopferung. Weisheit wirdhöher geschätzt als bloße Cleverness, moralische Re<strong>in</strong>heit höher als Reichtum undStatus. Doch mit dem Erstehen der <strong>in</strong>dustriellen Wachstumsgesellschaft ändertsich alles, der Drang, D<strong>in</strong>ge zu erwerben, zu besitzen und zu konsumieren, wird zue<strong>in</strong>em tyrannischen Herrn, dessen Bedürfnisse unerbittlich s<strong>in</strong>d.Die Notwendigkeit, jene Verhaltensweisen aufzulösen, welche <strong>die</strong> traditionellebuddhistische Kultur begleiten, ist <strong>in</strong> der Logik des globalen Kapitalismus enthalten,32


und es wäre naiv zu erwarten, dass sich e<strong>in</strong>e Reform ergeben könnte, <strong>in</strong>dem manden Großkonzernen e<strong>in</strong>fach buddhistische Regeln <strong>in</strong>jiziert. Der Antriebsmotor derKonzernwirtschaft ist <strong>die</strong> Erfordernis wachsender Gew<strong>in</strong>ne, und um <strong>die</strong>ses Ziel zuerreichen, muss sie methodisch all <strong>die</strong> traditionellen Werte unterm<strong>in</strong>ieren, welcheden Erwerbsdrang schwächen. Die Führerschaft der Konzerne muss das aber nichtmit e<strong>in</strong>em regelrechten Angriff vollbr<strong>in</strong>gen, denn im Allgeme<strong>in</strong>en unterstützen sie jamoralische Werte. Doch durch <strong>die</strong> subtile Manipulation der Wahrnehmung derLeute und ihrer Denkweise auf unterschwelliger Ebene verwandelt sie das Systemder Konzerne allmählich <strong>in</strong> Konsumenten, deren Leben sich um den unbeh<strong>in</strong>dertenErwerb und Genuss <strong>von</strong> technologisch produzierten Waren dreht. Die anfälligsteZielgruppe s<strong>in</strong>d junge Menschen, <strong>die</strong> dazu ermutigt werden, e<strong>in</strong>e eigene Kultur zuentwickeln, <strong>in</strong> welcher <strong>die</strong> Popularität und der Status da<strong>von</strong> bestimmt werden, wassie besitzen, tragen, s<strong>in</strong>gen und essen.Vielfältig s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> <strong>Wege</strong> <strong>die</strong>ser Invasion. Sie schließen Fernsehen e<strong>in</strong>, das K<strong>in</strong>o,Videos und Musik, wodurch <strong>die</strong> Ausbreitung e<strong>in</strong>er globalen Monokultur genährtwird, <strong>in</strong> der alle traditionelle Vielfalt verschw<strong>in</strong>det. Ladenketten undVerkaufsarkaden tragen auch dazu bei und liefern <strong>die</strong> für e<strong>in</strong>en hohen Statuswesentlichen Güter. Das unmittelbarste Angriffsmedium ist jedoch <strong>die</strong>Werbe<strong>in</strong>dustrie, <strong>die</strong> <strong>in</strong> den Geist der Leute <strong>die</strong> feste Überzeugung e<strong>in</strong>pflanzt, dassder vorherrschende Lebenszweck nichts anderes ist, als ohne <strong>die</strong> Notwendigkeit<strong>von</strong> Skrupeln oder Hemmungen D<strong>in</strong>ge anzuschaffen und zu genießen.Buddhistische Leitl<strong>in</strong>ien zur EntwicklungZum gegenwärtigen Zeitpunkt <strong>in</strong> der Geschichte ist es schwierig, e<strong>in</strong>en wohlentworfenen, praktischen Plan zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklunganzubieten, der se<strong>in</strong>en Wert schon bewiesen hat. An der Schwelle des drittenJahrtausends stehend, betreten wir e<strong>in</strong>e neue Front, wo wir neue Lösungen fürgewaltige Probleme bloß auf der Basis <strong>von</strong> Versuch und Irrtum erarbeiten müssen.Es ist jedoch klar genug, dass wir, während <strong>die</strong> globale Industriewirtschaft <strong>die</strong> Weltan den Rand der Katastrophe treibt, ke<strong>in</strong>e andere Wahl haben, als machbare33


Alternativen zu erdenken. Die Suche nach neuen Modellen wird aber <strong>in</strong>verschiedenen Bereichen schon mit Fleiß betrieben. Im Folgenden werde ich e<strong>in</strong>igee<strong>in</strong>fache Leitl<strong>in</strong>ien für e<strong>in</strong> buddhistisches Entwicklungskonzept aufzählen.Die erste Aufgabe des Buddhismus wäre, <strong>die</strong> seltsame Umkehr der Logikrückgängig zu machen, welche im Kern des Entwicklungsmodells vom <strong>in</strong>dustriellenWachstum liegt. Wenn wir <strong>die</strong>s Modell im Lichte der Lehre des Buddha betrachten,wird sofort offenbar, dass es auf e<strong>in</strong>em extremen Grad der Abstraktion <strong>von</strong> derkonkreten Realität gelebter Erfahrung beruht. Diese Abstraktion vollzieht sich <strong>in</strong>zum<strong>in</strong>dest zwei Stufen. Zuerst wird <strong>die</strong> Wirtschaft, <strong>die</strong> <strong>in</strong> traditionellen Kulturen <strong>in</strong>der sozialen Ordnung e<strong>in</strong>e untergeordnete Stellung e<strong>in</strong>nimmt, aus den ihrangemessenen Grenzen entfernt und als das Hauptkriterium zur Beurteilung desWohlergehens der Gesellschaft herangezogen.Dann, als wäre das noch nicht genug, wird <strong>die</strong> Gesundheit der Wirtschaftausschließlich <strong>in</strong> quantitativen Größen betrachtet, mittels solcher Indikatoren wiedem Bruttonationale<strong>in</strong>kommen oder dem Brutto<strong>in</strong>landprodukt. Diese Indikatorenmessen lediglich den Gesamtumsatz e<strong>in</strong>es Landes an monetären Gütern undLeistungen. Sie sagen überhaupt nichts aus über <strong>die</strong> qualitative Natur derausgetauschten Güter und Dienstleistungen; sie berücksichtigen <strong>die</strong> sozialen undökologischen Kosten wirtschaftlicher Entwicklung nicht; und sie sagen nichts ausüber <strong>die</strong> Verteilung des erzielten Gew<strong>in</strong>ns unter der Bevölkerung e<strong>in</strong>es Landes.E<strong>in</strong>e kurzsichtige Fixierung auf <strong>die</strong> Stärkung des Brutto<strong>in</strong>landprodukts nimmtjedoch überall <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der politischen Planer gefangen und steuertsomit <strong>die</strong> Entwicklung wirtschaftlicher und sozialer Politik <strong>in</strong> praktisch allen Ländernauf Erden. Diese e<strong>in</strong>geschränkte Sichtweise begünstigt e<strong>in</strong> zweifachesParasitentum, <strong>in</strong>dem nämlich <strong>die</strong> Wirtschaft zum Parasiten der Sozialordnung wirdund beide zusammen am empf<strong>in</strong>dlichen Ökosystem des Planeten nagen.Die Vier Edlen Wahrheiten des Buddha versehen uns mit e<strong>in</strong>em mächtigenInstrument, <strong>die</strong> Ursachen und Auswirkungen <strong>die</strong>ser verzerrten Sichtweise zudiagnostizieren. Die Ursache ist Unwissenheit, <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge also nicht so zu sehen,34


wie sie wirklich s<strong>in</strong>d, was der Entwicklung <strong>von</strong> Begehren e<strong>in</strong> weites Feld e<strong>in</strong>räumtund ganze Gesellschaften unter se<strong>in</strong>e Herrschaft br<strong>in</strong>gt. Wo es Begehren gibt, dafolgt, wie wir <strong>von</strong> den Vier Wahrheiten wissen, zwangsläufig Leid, und <strong>die</strong>s wirdreichlich bestätigt, wenn wir <strong>die</strong> Trümmer betrachten, welche das globaleEntwicklungsrennen h<strong>in</strong>terlässt.Das fundamentale Konzept, welches jedem buddhistischen Ansatz zuwirtschaftlicher und sozialer Entwicklung zu Grunde liegen muss, ist „Dhamma“,das natürliche, eigenständige Gesetz der Gerechtigkeit und Wahrheit, welches derBuddha durch se<strong>in</strong>e Erleuchtung erkannte und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Lehre mitgeteilt hat. DerVorrang des Dhamma bedeutet, dass Wirtschafts- und Sozialpolitik vom Anfang biszum Ende durch ethische Normen bestimmt werden müssen. Diese Normen s<strong>in</strong>daber nicht e<strong>in</strong>fach Gegenstand subjektiver Beurteilung und damit persönlich undrelativ, sondern reale, unwandelbare Gesetze, <strong>die</strong> unmittelbar im Dase<strong>in</strong>sgeflechtfestgeschrieben s<strong>in</strong>d. Dies impliziert aber nicht, dass es nur e<strong>in</strong>e unveränderlicheForm sozialer und wirtschaftlicher Organisation gibt, <strong>die</strong> für alle Menschen unterallen Umständen gültig ist. Sondern e<strong>in</strong>e breite Palette an Alternativen ist möglich,so vielfältig wie natürliche Landschaften; damit e<strong>in</strong> solches System jedoch zuwahrem menschlichen Wohlergehen beiträgt, muss es auf solide ethischePr<strong>in</strong>zipien gegründet se<strong>in</strong>, welche <strong>die</strong> Menschen ermutigen, <strong>in</strong> ihrem Leben nachmoralischer Integrität zu streben. E<strong>in</strong> Sozialsystem, das wider den Dhamma läuft,das unethisches Verhalten ermutigt oder billigt, br<strong>in</strong>gt zwangsläufig verbreitetesElend und Armut hervor, aber nicht nur für <strong>die</strong> menschlichen Wesen, sondern für<strong>die</strong> gesamte natürliche Ordnung. Den konkreten Beweis dafür können wir <strong>in</strong>unseren Tagen im weltweiten Kapitalismus sehen. Auf der Idee gründend, dassSelbstsucht, Gier und ungebremster Konsum <strong>die</strong> Schlüssel zum Fortschritt s<strong>in</strong>d,treibt <strong>die</strong>ses Narrenschiff beständig auf <strong>die</strong> globale Katastrophe zu.Aus der zentralen Stellung des Dhamma <strong>in</strong>nerhalb der Sozialordnung ergeben sichzwei ergänzende Pr<strong>in</strong>zipien; e<strong>in</strong>es bezieht sich speziell auf den wirtschaftlichenBereich, das andere auf <strong>die</strong> soziale Sphäre. Das Pr<strong>in</strong>zip, welches denwirtschaftlichen Bereich regieren sollte, ist „<strong>die</strong> Regel der Genügsamkeit“, was ganz35


e<strong>in</strong>fach bedeutet, dass man weiß, genug ist eben genug. Die Regel derGenügsamkeit ist sowohl e<strong>in</strong>e Politik mentaler Hygiene, <strong>die</strong> zum psychischenGleichgewicht beiträgt, als auch e<strong>in</strong>e Politik ökologischer Weisheit, welche zumErhalt der natürlichen Umgebung <strong>die</strong>nt. In beiderlei H<strong>in</strong>sicht fördert <strong>die</strong>se Regele<strong>in</strong>e gesunde Ökonomie <strong>in</strong> der wörtlichen Bedeutung <strong>von</strong>: „Hauswirtschaft“, <strong>die</strong>klarsichtige Ordnung <strong>in</strong> unserem <strong>in</strong>neren Haus des Geistes und <strong>in</strong> unseremäußeren Haus, der natürlichen Welt.Als e<strong>in</strong> Gebot mentaler Hygiene beruht <strong>die</strong> Regel der Genügsamkeit auf derE<strong>in</strong>sicht, dass menschliche Bedürfnisse e<strong>in</strong>er abgestuften Ordnung unterliegen –wie ich <strong>in</strong> Kürze erklären werde – und dass es bei der Deckung des materiellenBedarfs e<strong>in</strong>en Sättigungspunkt gibt, dessen ständiges Überschreiten schädlichwird. Das bedeutet aber nicht, dass wir jetzt alle asketische Lebensweisenannehmen müssen und uns sogar <strong>die</strong> unschuldigen Vergnügungen des Lebensversagen sollten. Es bedeutet aber sehr wohl, sobald <strong>die</strong> Leute sich Besitztümeranzueignen suchen und S<strong>in</strong>nesfreuden über das natürliche Maß h<strong>in</strong>aus genießenwollen, dass sie <strong>die</strong>s auf Kosten anderer Bedürfnisse, sozialer wie spiritueller, tun,<strong>die</strong> genauso wichtig zu ihrer Erfüllung s<strong>in</strong>d. Sie verletzen damit e<strong>in</strong> Gesetz dermenschlichen Natur und bewirken Schaden für sich selbst und jene, <strong>die</strong> Opfer ihrerHabsucht werden.Als e<strong>in</strong>e Politik ökologischer Weisheit lehrt uns <strong>die</strong> Regel der Genügsamkeit, dassdem wirtschaftlichen Wachstum Grenzen <strong>in</strong>newohnen, welche durch <strong>die</strong>unüberschreitbare Begrenztheit des Ökosystems diktiert werden. Über <strong>die</strong>seGrenzen h<strong>in</strong>aus betrieben, wird das wirtschaftliche Wachstum zum Parasiten für<strong>die</strong> menschliche Gesundheit, physisch wie mental, und auch für <strong>die</strong> regenerativenFähigkeiten der Natur. Auf unsere heutige Situation angewandt, lehrt uns <strong>die</strong>sPr<strong>in</strong>zip, dass Wirtschaftswachstum, im S<strong>in</strong>ne <strong>von</strong> beständiger Produktionsausweitungund zwanghafter technologischer Neuerung, genau das ist, was wir nichtbrauchen. Unsere Wirtschaft ist schon groß genug, viel zu groß, und unsereTechnologien zu raff<strong>in</strong>iert, zu mächtig und zu sehr mit moralischen Risiken, für sofehlbare Wesen wie wir, belastet. Was wir am meisten benötigen, ist e<strong>in</strong> Verr<strong>in</strong>gern36


auf Stroml<strong>in</strong>ienform und kle<strong>in</strong>eres Maß: Also Beschneiden der Produktion <strong>von</strong>Waffen, <strong>von</strong> Industrien, <strong>die</strong> sich unwirtschaftlichen Luxusgütern widmen, und <strong>von</strong>auffälliger Verschwendung als Antriebsmotor der Wirtschaft. Stattdessen benötigenwir qualitative Verbesserungen, um unsere Technologien bescheidener undhumaner zu machen, gutartiger für <strong>die</strong> gesamte Biosphäre. Vor allem aberbrauchen wir größeres Gewicht auf ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit,sodass ke<strong>in</strong>er auf e<strong>in</strong>en fairen Lebensstandard verzichten muss.Das Pr<strong>in</strong>zip, welches soziale Aktivitäten leiten sollte, ist <strong>die</strong> Regel der Kooperationund Harmonie. Kooperation muss jedoch <strong>von</strong> ethischer Motivation durchdrungenund beseelt se<strong>in</strong>. Die Kooperation zwischen Supermächten, um <strong>die</strong> globalepolitische Ordnung gemäß ihren eigenen selbstsüchtigen Interessen zu dom<strong>in</strong>ieren,ist aber nicht <strong>die</strong> Kooperation, welche wir brauchen; <strong>die</strong> Fusionen,Konzernübernahmen und Geschäftskartelle <strong>die</strong> gebildet werden, um <strong>die</strong>Weltwirtschaft zu kontrollieren, s<strong>in</strong>d nicht <strong>die</strong> Art <strong>von</strong> Kooperation, <strong>die</strong> demDhamma entspricht. Unsere gegenwärtige soziale Ordnung fördert ja eher denWettbewerb als <strong>die</strong> Kooperation; und das heute kursierende Schlüsselwort istWettbewerbsfähigkeit. E<strong>in</strong>e solche Gewichtung muss zwangsläufig Konflikte undAblehnung hervorrufen und zertrennt das Sozialsystem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong>Splittergruppen. E<strong>in</strong>e auf den Dhamma gegründete Gesellschaft erkennt, dass jedePerson darauf zielen sollte, das Wohl der größeren Geme<strong>in</strong>schaft, der sieangehört, zu fördern und zum<strong>in</strong>dest niemals private Erfüllung auf <strong>Wege</strong>n zusuchen, welche anderen Schaden zufügen. Dieses Ideal ist wunderschönzusammengefasst <strong>in</strong> den „sechs Pr<strong>in</strong>zipien der Harmonie und des Respekts“,welche der Buddha den Sangha lehrte: liebende Güte <strong>in</strong> Gedanken, Worten undTaten; Gew<strong>in</strong>ne gerecht teilen; e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Moralkodex befolgen;geme<strong>in</strong>sam befreiende Ansichten pflegen.In e<strong>in</strong>em buddhistischen Ansatz zu wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung solltedas primäre Kriterium, welches <strong>die</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>er Politik zu beherrschen hätte,das Wohlergehen der Mitglieder e<strong>in</strong>er Gesellschaft se<strong>in</strong>, und <strong>die</strong>ses Wohlergehenmüsste <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit gesehen werden, also e<strong>in</strong> weites Feld an Faktoren37


erücksichtigen. Der Wirtschaft würde der ihr zukommende Platz angewiesen, alsuntergeordnete Domäne, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> das weitere Sozialsystem; dasSozialsystem wiederum würde als <strong>in</strong>tegraler Bestandteil des gesamtenÖkosystems angesehen, der unverzichtbaren Grundlage für alles Leben. Auf <strong>die</strong>seWeise würde wirtschaftliche Entwicklung auf <strong>Wege</strong> geleitet, welche <strong>die</strong> Gesundheitund das Wohlergehen der Sozialordnung fördern, ohne <strong>die</strong> natürlichen Systeme,<strong>in</strong>nerhalb welcher <strong>die</strong> menschliche Gesellschaft angesiedelt ist, zu schädigen. E<strong>in</strong>ebuddhistische Sozialpolitik würde vielmehr <strong>die</strong> Wichtigkeit der Erhaltung dernatürlichen Umgebung erkennen, nicht nur als Ressource für <strong>die</strong> beständigeVersorgung der menschlichen Wirtschaft, sondern als e<strong>in</strong> positives Gut, sowohl als<strong>in</strong>neren Wert, aber auch <strong>in</strong> Bezug auf <strong>die</strong> ästhetische Bereicherung und psychischeGanzheit ihrer Mitglieder.Die Gesellschaft ihrerseits muss als e<strong>in</strong>e Abstraktion der <strong>in</strong>dividuellenmenschlichen Wesen erkannt werden, welche ja <strong>die</strong> soziale Ordnung bilden. Wennwir daher <strong>von</strong> der Verbesserung des Wohlbef<strong>in</strong>dens der Gesellschaft sprechen,heißt das letztlich, dass Sozialpolitik danach streben muss, das Wohlbef<strong>in</strong>den dere<strong>in</strong>zelnen Individuen zu fördern. Wie wir es aber anfangen, das Wohlergehen derLeute zu fördern, hängt da<strong>von</strong> ab, wie wir <strong>die</strong> menschliche Natur sehen. Wenn wire<strong>in</strong> materialistisches Bild <strong>von</strong> der menschlichen Natur haben, dann werden sichunsere Anstrengungen primär darauf richten sicherzustellen, dass ihre materiellenBedürfnisse erfüllt werden, und wir werden ke<strong>in</strong>en Grund sehen, auch noch aufandere Faktoren zu achten. Haben wir jedoch e<strong>in</strong>e mehr spirituelle Vorstellung <strong>von</strong>der menschlichen Natur, dann werden wir wahrnehmen, dass über den materiellenWohlstand h<strong>in</strong>aus auch noch andere Bedürfnisse zu erfüllen s<strong>in</strong>d.Die Lehren des Buddha bieten e<strong>in</strong>e weitreichende Vorstellung <strong>von</strong> dermenschlichen Person als komplexer E<strong>in</strong>heit mit verschiedensten Bedürfnissen, <strong>die</strong>alle erfüllt werden müssen, um Glück und Wohlbef<strong>in</strong>den zu gewährleisten. DieseBedürfnisse bilden e<strong>in</strong>e klar gegliederte Hierarchie unterschiedlicher Gewichtung,<strong>die</strong> wir hier als dreistufig ansehen könnten. Die Basis <strong>die</strong>ser Stufen ist dasphysische Bedürfnis nach den lebensnotwendigen D<strong>in</strong>gen: Kleidung, Nahrung,38


angenehme Wohnung, mediz<strong>in</strong>ische Versorgung, Transportmittel, Energie,Werkzeuge und so weiter. Die nächste Stufe bilden soziale Bedürfnisse: Bildung,Familie, Freundschaft und persönliche Vertrautheit, Teilnahme an e<strong>in</strong>erGeme<strong>in</strong>schaft und s<strong>in</strong>nvolle Arbeit. Auf der höchsten Stufe stehen <strong>die</strong> spirituellenBedürfnisse: moralische Rechtschaffenheit, mentale Entwicklung und weisesVerständnis der wahren Natur des Lebens.E<strong>in</strong>e <strong>von</strong> buddhistischen Pr<strong>in</strong>zipien bestimmte Sozialordnung würde Möglichkeitenzur Befriedigung all <strong>die</strong>ser Bedürfnisse schaffen und dafür sorgen, dass niemandbei se<strong>in</strong>en Bestrebungen, e<strong>in</strong> zufriedenes Leben zu führen, frustriert wird. E<strong>in</strong>ebuddhistische Sozialordnung würde damit beg<strong>in</strong>nen, sicherzustellen, dass alleMitglieder der Gesellschaft <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, ihren materiellen Bedarf zu decken.Weil aber <strong>die</strong> buddhistische Lehre <strong>die</strong> Bedürfnisse unterschiedlich wertet, fördertsie <strong>die</strong> enge Fixierung auf materielle Anschaffungen und s<strong>in</strong>nliche Genüsse nicht,<strong>die</strong> für unsere zeitgenössische Kultur so charakteristisch s<strong>in</strong>d. Indem er daraufh<strong>in</strong>weist, dass das krasse Streben nach Luxus und Überfluss <strong>die</strong> Wurzel undUrsache <strong>von</strong> Leid ist, ermutigt der Buddhismus zur Zurückhaltung, E<strong>in</strong>fachheit undZufriedenheit. Durch das Lob der Großzügigkeit als fundamentaler Tugend undKennzeichen e<strong>in</strong>er überlegenen Person fördert er <strong>die</strong> breite Verteilunggrundlegender, notwendiger D<strong>in</strong>ge, sodass ke<strong>in</strong>er Mangel erleiden muss.Für den Buddhismus liefert <strong>die</strong> Gewährleistung der materiellen Versorgung jedochnur den Ausgangspunkt für <strong>die</strong> Verfolgung höherer Ziele. Nachdem <strong>die</strong> Menschensoziale Wesen s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> ganz natürlich zu geme<strong>in</strong>samem Tun zusammenkommen,heißt das, dass e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> buddhistischen Pr<strong>in</strong>zipien geleitete Sozialordnung primäraus kle<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>wesen bestehen würde, <strong>in</strong> der jedes Mitglied e<strong>in</strong>en effektivenBeitrag leisten kann. Nur kle<strong>in</strong>e soziale Geme<strong>in</strong>wesen können <strong>die</strong> Leute vor dembeunruhigenden Abgrund der Bedeutungslosigkeit bewahren, welche im modernenStadtleben so verbreitet ist. Aus buddhistischer Perspektive müssen <strong>die</strong> riesigen,verschmutzten Megastädte und unpersönlichen Bürokratien, so charakteristisch fürunser Zeitalter, als Abweichungen <strong>von</strong> der natürlichen Ordnung, welche zumwahren menschlichen Wohlergehen beiträgt, angesehen werden. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e39


Verhöhnung unseres angeborenen Verlangens, an der Geme<strong>in</strong>schaft teilzuhaben.Die örtlichen Geme<strong>in</strong>wesen würden sich im E<strong>in</strong>klang mit buddhistischen Pr<strong>in</strong>zipienauf <strong>die</strong> ausgedehnten Familien als primärer E<strong>in</strong>heit sozialer Integrationkonzentrieren. Die Familie würde durch buddhistische Ansichten und Wertegeleitet, <strong>die</strong> sie <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Generation zur nächsten weitergeben würden. DasModell für das gesamte Geflecht sozialer Beziehungen würde durch <strong>die</strong> großartigeSigalovad-Sutta (Digha Nikaya Nr. 31) geliefert, <strong>in</strong> welcher der Buddha detailliert<strong>die</strong> gegenseitigen Pflichten <strong>von</strong> Eltern und K<strong>in</strong>dern, Eheleuten, Arbeitgebern undAngestellten, Freunden, Lehrern und Schülern, Mönchen und Laien def<strong>in</strong>iert.Die verträglichste Wirtschaft für e<strong>in</strong> solches Modell sozialer Organisation würde imkle<strong>in</strong>en, lokalen Maßstab ablaufen, unter Verwendung e<strong>in</strong>facher Technologien,welche <strong>die</strong> natürlichen Ressourcen nicht erschöpfen. In so e<strong>in</strong>er Wirtschaft würde<strong>die</strong> Produktion <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf den örtlichen Verbrauch ausgerichtet se<strong>in</strong>, sodasses zu direktem Kontakt, <strong>von</strong> Angesicht zu Angesicht, zwischen Produzenten undVerbrauchern käme. Man müsste Modalitäten erarbeiten, um <strong>die</strong> Integration derkle<strong>in</strong>en örtlichen Ökonomien <strong>in</strong> <strong>die</strong> weitere nationale und globale Wirtschaft zubewirken, der Antriebsmotor des gesamten Systems wäre jedoch <strong>die</strong> Förderungdes materiellen und sozialen Wohlergehens und nicht kommerzieller Profit undungebremste Expansion.Doch selbst e<strong>in</strong>e florierende Wirtschaft und e<strong>in</strong>e harmonische Sozialordnungkönnen das tiefste Bedürfnis des menschlichen Herzens nicht befriedigen: dasBedürfnis nach e<strong>in</strong>em Lebenss<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong>em letzten Ziel, um welches sich unserLeben drehen soll, und e<strong>in</strong>em Leitweg durch das Dickicht schwierigerEntscheidungen. Dieses Bedürfnis kann nur durch Religion gedeckt werden:Religion aber nicht als Band, welches den S<strong>in</strong>n für kommunale Identität verstärkt,nicht als Erbe <strong>von</strong> traditionellen Ritualen und Glaubens<strong>in</strong>halten, sondern als re<strong>in</strong>erPfad der Selbstverwandlung, der sich e<strong>in</strong>er transzendenten Realität öffnet.Nachdem <strong>in</strong> der Dase<strong>in</strong>shierarchie <strong>die</strong>se Realität den höchsten Platz beansprucht,folgt daraus, dass es <strong>in</strong> der Hierarchie der Werte <strong>die</strong> spirituellen Werte s<strong>in</strong>d, welcheunseren tiefsten Respekt erfordern.40


Re<strong>in</strong> spirituelle Werte existieren aber nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er auf sich selbst begrenzteneigenen Domäne, vom Rest des Lebens abgeschnitten. Vielmehr quellen sie hervorund durchdr<strong>in</strong>gen alle anderen Aspekte unserer Existenz, tragen sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ervere<strong>in</strong>igenden Sicht und steuern sie <strong>in</strong> Richtung des höchsten Gutes. In e<strong>in</strong>erstabilen und gesunden Sozialordnung wird spirituelle Weitsicht <strong>die</strong> Bildungökonomischer und sozialer Politik leiten und sicherstellen, dass <strong>die</strong>se nicht schonbei weltlichen Zielen stehen bleibt, sondern über sich h<strong>in</strong>aus auf <strong>die</strong> Dimension derTranszendenz zielt. In e<strong>in</strong>er überwiegend buddhistischen Gesellschaft ist Nibbanadas höchste Gut, und das wirtschaftliche und soziale Leben würde als sichanbietende Gelegenheit angesehen, dem Nibbana näher zu kommen. Wenn auchdas Endziel nur für jene erreichbar se<strong>in</strong> mag, <strong>die</strong> sich auf den strengen Pfad derEntsagung begeben, so reicht der buddhistische Weg doch h<strong>in</strong>ab bis <strong>in</strong> den tiefenSchmutz des Alltagslebens und sagt klar und präzise, welche Schritte benötigtwerden, um <strong>in</strong> <strong>die</strong> Richtung des letzten Zieles voranzuschreiten. In e<strong>in</strong>erbuddhistischen Sozialordnung würde daher das endlose R<strong>in</strong>gen um weltlichesÜberleben nicht bloß als e<strong>in</strong>e Folge technischer Probleme betrachtet, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>etechnologische Lösung brauchen, sondern als e<strong>in</strong>e Gelegenheit, <strong>die</strong> Tugenden <strong>von</strong>Geist und Herz zu kultivieren, welche zum Höchsten führen. Das zeigt uns <strong>die</strong>höchste Bedeutung <strong>von</strong> Entwicklung für e<strong>in</strong>e buddhistische Gesellschaft: <strong>die</strong>Entwicklung nämlich <strong>von</strong> Moral, Konzentration und Weisheit, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Erleuchtunggipfelt und <strong>in</strong> der Befreiung vom Leid.E<strong>in</strong>e echte buddhistische Sozialordnung würde versuchen, ihren Mitgliedern <strong>die</strong>seAussicht durch den Unterhalt e<strong>in</strong>es Sangha, e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft Verzicht übenderMönche und Nonnen, zu eröffnen und für deren materielle Versorgungaufzukommen. Diese Asketen ihrerseits würden <strong>die</strong> breitere Gesellschaft <strong>in</strong> derLehre des Buddha anleiten und ihnen das begeisternde Vorbild jener bieten, <strong>die</strong>sich aus dem Kreislauf <strong>von</strong> Produktion und Konsum zurückgezogen haben, um siche<strong>in</strong>em heiligen Leben zu widmen.41


E<strong>in</strong> letztes Wort ist noch erforderlich: Es mag sche<strong>in</strong>en, dass ich gerade e<strong>in</strong>en Planskizziert habe, der auf dem Papier zwar schön und zw<strong>in</strong>gend ist, aber <strong>in</strong> der Tatäußerst idealistisch und nicht praktikabel ist. Dem stimme ich teilweise zu. E<strong>in</strong>solches Modell umzusetzen wird extrem schwierig se<strong>in</strong> und überzeugtenWiderstand aus mächtigen Sektoren, mit immensem Reichtum und großer Macht,wachrufen. Wir müssen aber auch erkennen, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt, <strong>die</strong> sich beständigauf e<strong>in</strong>e universale Demokratie zubewegt, Leute wie du und ich das letzte Wort beider Bestimmung der Formen sozialer Organisation, unter welchen wir leben, habenmüssen. Wenn e<strong>in</strong> System Formen annimmt, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>igen wenigenaußergewöhnliche Gew<strong>in</strong>ne br<strong>in</strong>gen, aber vielen anderen großes Elend undEntbehrungen, so gibt es ke<strong>in</strong>en überzeugenden Grund es fortzusetzen. Alles, wases erhält, ist doch nur der nackte Ehrgeiz der Elite am Steuer und das Gewebe ausTäuschungen, das sie knüpfen, um <strong>die</strong> Wahrheit vor dem gewöhnlichen Volk zuverbergen.Heute löst sich <strong>die</strong>ses Täuschungsgeflecht jedoch schon an vielen Fronten auf: Beiökologischen Katastrophen, bei zunehmender Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicherUngerechtigkeit, im Ansturm der Krim<strong>in</strong>alität, <strong>in</strong> der Ausbeutung und sozialenDegeneration, <strong>die</strong> überall so deutlich sichtbar werden, besonders aber <strong>in</strong> derDritten Welt, wo der Großteil der Weltbevölkerung lebt. E<strong>in</strong>e große Menge derLeute, <strong>die</strong> das Wunder technischen Fortschritts und des globalen Kapitalismusdurchschaut haben, werden gewahr, dass sich <strong>die</strong>ses System nichtaufrechterhalten lässt, ja dass es letztlich se<strong>in</strong>en Nutznießern ebenso viel schadetwie se<strong>in</strong>en offenkundigen Opfern. An vielen Orten – bei den Grünen und Öko-Organisationen, bei Anti-Kultur-Bewegungen und alternativen Denkern – läuft <strong>die</strong>Suche nach e<strong>in</strong>em Ausweg, um <strong>die</strong>sen Planeten im neuen Jahrhundert zubewahren. Solchen Menschen bietet der Buddhismus e<strong>in</strong>e Botschaft, <strong>die</strong> zume<strong>in</strong>en hoch und erhaben ist und dennoch dazu fähig, <strong>in</strong> klaren Worten <strong>die</strong> harteRealität des sozialen und wirtschaftlichen Lebens anzusprechen. Es liegt <strong>in</strong> derVerantwortung der buddhistischen Geme<strong>in</strong>schaft, <strong>die</strong>se Botschaft zum Wohle allerLebewesen <strong>in</strong> ihren spirituellen Höhen und irdischen Anwendungen erkl<strong>in</strong>gen zulassen.42


3. Das Gesicht des Buddhismus im WandelBei den seltenen Gelegenheiten, wo ich e<strong>in</strong>en städtischen buddhistischen Tempelhier <strong>in</strong> Sri Lanka besuche, mache ich wiederholt <strong>die</strong> deutliche Beobachtung, dassnahezu alle anwesenden Anhänger schon mittleren Alters oder ältere Leute s<strong>in</strong>d,vielleicht <strong>in</strong> Begleitung ihrer Enkel. In den Andachtsstätten unserer Orte und Städtefällt <strong>die</strong> Abwesenheit junger Leute und auch Erwachsener <strong>in</strong> der Blüte des Lebenssehr auf. Für e<strong>in</strong> Land, <strong>in</strong> welchem 70 Prozent der Bevölkerung als Buddhistengelten, ist e<strong>in</strong>e derartige unausgewogene Beteiligung an religiösen Funktionenbedenklich. Damit der Buddhismus <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Generation zur nächsten fortdauert,muss <strong>die</strong> Flamme religiösen Glaubens <strong>die</strong> Kluft zwischen den Generationenüberspr<strong>in</strong>gen. Wenn es jedoch tatsächlich <strong>die</strong>se unsichtbaren jungen Leute s<strong>in</strong>d,welche <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> der Lehre <strong>in</strong> ihren Händen halten, dann sche<strong>in</strong>t <strong>die</strong>se <strong>Zukunft</strong>nicht sehr leuchtend zu se<strong>in</strong>. Ihre Abwesenheit ist vielleicht e<strong>in</strong>e Warnung, dass <strong>die</strong>Botschaft des Dhamma nicht ankommt, dass es ihren Vertretern nicht gel<strong>in</strong>gt, se<strong>in</strong>ePr<strong>in</strong>zipien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sprache umzusetzen, <strong>die</strong> jene anspricht, welche ihrer Führungam meisten bedürfen. Sollte <strong>die</strong>ser Trend andauern, so kann der Buddhismus<strong>in</strong>nerhalb weniger Generationen zum bloßen Relikt des historischen Erbes <strong>von</strong> SriLanka werden: Wunderschön anzusehen, aber so leblos wie <strong>die</strong> Ru<strong>in</strong>en <strong>von</strong>Anuradhapura.Äußerlich können Symbole des buddhistischen Erbes <strong>von</strong> Sri Lanka überall <strong>in</strong><strong>die</strong>sem Land gesehen werden. Mönche spielen noch immer e<strong>in</strong>e prom<strong>in</strong>ente Rolle<strong>in</strong> öffentlichen Funktionen; gigantische Buddhastatuen blicken <strong>von</strong> den Hügeln aufuns herab; <strong>in</strong> den meisten Städten schallt zweimal täglich e<strong>in</strong> beständiger Stromgeistlicher Gesänge aus den Lautsprechern. Gänzlich paradox jedoch, koexistieren<strong>die</strong>se Embleme buddhistischer Frömmigkeit <strong>in</strong> der unbehaglichen Spannung e<strong>in</strong>erbösartigen spirituellen Krankheit, deren Symptome sich über alle sozialenSchichten Sri Lankas ausgebreitet haben. E<strong>in</strong> bitterer, für beide Seitenzerstörerischer Krieg zieht sich endlos dah<strong>in</strong>, mit verrohender Auswirkung auf dasganze Land. Streiks bei den wesentlichsten Dienstleistungen s<strong>in</strong>d alltäglich undtreffen <strong>die</strong> Armen und Hilflosen. Mord, Diebstahl, Vergewaltigung, Drogenhandel43


und sexuelle Ausbeutung <strong>von</strong> K<strong>in</strong>dern haben sich derartig verbreitet, dass sogarder grausigste Verbrechensakt kaum noch unseren S<strong>in</strong>n zu moralischer Entrüstungaufstachelt. Alkohol, Drogenmissbrauch und Selbstmord s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> gängigstenFluchtwege, besonders für <strong>die</strong> Armen, doch ist ihre Verbreitung kaum e<strong>in</strong> Zeichendafür, dass der Buddhismus gedeiht.Wenn der Buddhismus dabei versagt, tief <strong>in</strong> <strong>die</strong> Herzen jener e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> sichzu ihm als ihrem Glauben bekennen, dann müssen wir uns fragen: warum? Aberauch, was getan werden kann, um den gegenwärtigen Trend umzukehren. Ichmöchte mich dem nähern, <strong>in</strong>dem ich zuerst frage, welche Rolle der Buddhismusdenn überhaupt <strong>in</strong> unserem Leben spielen soll. Ich werde mich mit <strong>die</strong>ser Fragebefassen, <strong>in</strong>dem ich zwei Aspekte des Buddhismus unterscheide, <strong>die</strong> beide aus derursprünglichen Lehre des Buddha stammen. Ich werde sie als den befreienden undals den angepassten Zweig des Dhamma bezeichnen.Der befreiende Zweig, <strong>die</strong> wesentliche und e<strong>in</strong>zigartige Entdeckung des Buddha, ist<strong>die</strong> Botschaft <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em direkten Weg zur Befreiung vom Leid. Dieser Zweigbeg<strong>in</strong>nt mit der Erkenntnis, dass das Leid <strong>in</strong> uns selbst entspr<strong>in</strong>gt, aus unserereigenen Gier, aus unserem Hass und unserer Ignoranz, vor allem aus unseremTrieb, e<strong>in</strong> Gefühl separater Selbstheit zu bilden, welches uns mit allen anderenLebensformen <strong>in</strong> Wettbewerb treten lässt. Die radikale Lösung Buddhas für dasProblem des Leids ist <strong>die</strong> Zerstörung der Illusion <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Selbst <strong>in</strong> ihrerGesamtheit. Daraus ergibt sich e<strong>in</strong>e äußerst neue Art des Se<strong>in</strong>s, welche derBuddha „Nibbana“ nannte, das Erlöschen des Feuers der Lust, das Erlöschen desIchbewusstse<strong>in</strong>s mit se<strong>in</strong>en Flammen selbstsüchtigen Begehrens.Das Erlangen <strong>die</strong>ses Ziels erfordert jedoch e<strong>in</strong>en Preis, der viel höher ist, als ihn<strong>die</strong> meisten Menschen bezahlen können: E<strong>in</strong>e strenge Diszipl<strong>in</strong> der Kontemplation,auf e<strong>in</strong>er radikalen Ethik der Selbstbeherrschung gründend. Als geschickter Lehrermodulierte der Buddha daher se<strong>in</strong>e Lehre, <strong>in</strong>dem er e<strong>in</strong>e weitere Dimensione<strong>in</strong>schloss, geeignet für jene, <strong>die</strong> nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, den steilen Pfad derEntsagung zu gehen. Das ist der angepasste Zweig des Dhamma: e<strong>in</strong> Pfad44


allmählicher Wandlung, der sich über viele Leben erstreckt, der erfüllt wird durch<strong>die</strong> Ausübung ver<strong>die</strong>nstvoller Taten und <strong>die</strong> Entwicklung der Tugenden, <strong>die</strong> alsGrundlage für das schlussendliche Erlangen des Nibbana erforderlich s<strong>in</strong>d. DieserZweig des Dhamma, das muss betont werden, ist nicht nur e<strong>in</strong> förderliches Mittel,e<strong>in</strong>e vom Buddha erfundene Fabel, <strong>die</strong> Trost spenden oder moralische Tugendene<strong>in</strong>trichtern soll. Er ist vielmehr e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegraler Aspekt der ursprünglichen Lehre undstammt aus der eigenen Sicht des Buddha <strong>in</strong> <strong>die</strong> vielfältigen Dimensionenfühlenden Dase<strong>in</strong>s und <strong>die</strong> Möglichkeiten zur Wandlung im Kreislauf derWiedergeburten. Die Funktion <strong>die</strong>ser Lehre ist <strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>es Übungssystemsaber eher provisorisch als endgültig, mehr weltlich als transzendent.Ich bezeichne <strong>die</strong>se Dimension des Buddhismus aus zwei Gründen als„angepasst“: Erstens, weil sie <strong>die</strong> Doktr<strong>in</strong> <strong>von</strong> der Befreiung den Fähigkeiten undBedürfnissen jener anpasst, <strong>die</strong> unfähig s<strong>in</strong>d, den strengen Pfad der Meditation zubeschreiten, der als direkter Weg zum Nibbana vorgeschrieben ist. Und zweitens,weil sie buddhistischen Anhängern hilft, sich dem Dase<strong>in</strong>skreislauf anzupassen,<strong>in</strong>dem sie heilsame Führung bietet, um sie vor den stärkeren Formen weltlichenLeids zu bewahren, besonders davor, <strong>in</strong> tiefere Bereiche der Wiedergeburtabzufallen. In se<strong>in</strong>er angepassten Dimension bietet der Buddhismus e<strong>in</strong>everständliche Weltsicht, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>fachen Männern und Frauen e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvolles Bild <strong>von</strong>ihrem Platz im Kosmos vermittelt. Zugleich legt er e<strong>in</strong> gehobenes Wertesystem dar,das ethische Regeln enthält, <strong>die</strong> uns dabei helfen, glücklich <strong>in</strong>mitten derFluktuationen des Alltags und <strong>in</strong> Harmonie mit unseren Mitmenschen zu leben.Obgleich der ursprüngliche Zentralgedanke des Dhamma <strong>die</strong> Botschaft derBefreiung war, hat sich mit der Verbreitung des Buddhismus zuerst über In<strong>die</strong>n unddann später weiter über Asien das Gleichgewicht zwischen den beiden Zweigenvom befreienden zum angepassten Zweig verschoben. E<strong>in</strong>e derartige Entwicklungwar ja nur natürlich, wenn e<strong>in</strong>e spirituelle Lehre, deren befreiender Kern fürWeltentsagende geeignet ist, zur Religion e<strong>in</strong>er ganzen Nation wurde, wie das <strong>in</strong>Sri Lanka und auch anderswo <strong>in</strong> Asien der Fall war. Dieser Aspekt des Buddhismussollte aber nicht herabgesetzt werden oder als Kontrast zum befreienden Zweig mit45


<strong>die</strong>sem <strong>in</strong> Wettbewerb treten, denn beide s<strong>in</strong>d gleich wesentlich für <strong>die</strong> Ziele derLehre des Buddha. Der Pfad der Entsagung, der zur endgültigen Befreiung führt,war selbst <strong>in</strong>nerhalb der Ränge <strong>in</strong> der klösterlichen Ordnung immer nur für e<strong>in</strong>igewenige geeignet; für <strong>die</strong> meisten aber war der angepasste Zweig des Buddhismusnotwendig, sowohl als Weltsicht als auch als Mittel, um den Boden für <strong>die</strong> Praktikdes befreienden Dhamma zu bereiten.Durch <strong>die</strong> Jahrhunderte h<strong>in</strong>durch zeigte uns der angepasste Buddhismus das Bilde<strong>in</strong>es geordneten Universums mit dem Buddha als höchstem Lehrer, mit mehreren,<strong>von</strong> wohlwollenden Göttern bewohnten Himmelssphären, bestimmt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>emethischen Gesetz, welches unser gegenwärtiges Tun mit unseren künftigenGeschicken verb<strong>in</strong>det. Mittels ihrer Doktr<strong>in</strong> des Erwirkens <strong>von</strong> Ver<strong>die</strong>nst gab <strong>die</strong>seSeite des Buddhismus den Leuten e<strong>in</strong>en Anreiz, gute Taten zu vollbr<strong>in</strong>gen, und <strong>die</strong>Früchte da<strong>von</strong> wurden <strong>in</strong> dem allgeme<strong>in</strong>en Geist des Wohlwollens offenbar, der <strong>in</strong>den traditionellen buddhistischen Gesellschaften vorherrschte.Seit dem Altertum bis <strong>in</strong> <strong>die</strong> Neuzeit funktionierte das vom angepasstenBuddhismus gebotene Bild des Universums als unangezweifelter Felsengrund fürdas Lehren und Praktizieren des Dhamma. Im späten 15. Jahrhundert e<strong>in</strong>setzenderhob sich aber <strong>von</strong> jenseits des Horizonts e<strong>in</strong>e Herausforderung, welche <strong>die</strong>selbstsichere Gewissheit <strong>die</strong>ser Weltsicht zerbrach. Diese Herausforderung nahm<strong>die</strong> Gestalt der europäischen Kolonialmächte an, <strong>die</strong> <strong>in</strong> aufe<strong>in</strong>ander folgendenWellen <strong>die</strong> Kontrolle über <strong>die</strong> sozialen und politischen Institutionen ergriffen, <strong>von</strong>welchen der verbreitete Buddhismus abh<strong>in</strong>g. Die fremde Eroberung, <strong>die</strong>Bekehrungsmissionen der christlichen Kirchen, <strong>die</strong> Säkularisation der Erziehungund ihre Unterwerfung unter koloniales Gesetz: All <strong>die</strong>se Maßnahmen zusammenversetzten der buddhistischen Selbstachtung und der überlegenen Rolle desDhamma im Leben der breiteren buddhistischen Bevölkerung e<strong>in</strong>en schwerenSchlag.Dieser Trend wurde noch verstärkt durch das Auftreten der wissenschaftlichenWeltsicht. Obwohl <strong>die</strong> Grundpr<strong>in</strong>zipien der wissenschaftlichen Methode leicht mit46


dem buddhistischen Geist freier Untersuchung zusammenkl<strong>in</strong>gen, führte <strong>die</strong>Wissenschaft e<strong>in</strong> Weltverständnis e<strong>in</strong>, das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er materialistischenVore<strong>in</strong>genommenheit mit der <strong>von</strong> der buddhistischen Tradition vorgestelltenspirituellen Sichtweise kolli<strong>die</strong>rte. Während der klassische Buddhismus e<strong>in</strong>vielschichtiges Universum voraussetzt, bewohnt <strong>von</strong> zahlreichen Klassen fühlenderWesen, <strong>die</strong> gemäß ihrem Karma <strong>von</strong> Bereich zu Bereich wandern, behauptet derwissenschaftliche Naturalismus, dass Leben e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> physikalischer Prozess ist, dermit dem Tod völlig endet, ohne e<strong>in</strong> Überleben <strong>von</strong> persönlicher Identität <strong>in</strong>irgende<strong>in</strong>er Form über den körperlichen Tod h<strong>in</strong>aus. Während buddhistischesDenken den Geist als primär ansieht und Materie als dem Geist untergeordnet,betrachtet der Naturalismus <strong>die</strong> Materie als das Fundamentale und den Geist nurals Derivat, als Nebenprodukt oder Aspekt materieller Prozesse. Während derBuddhismus e<strong>in</strong> transzendentes Ziel voraussetzt, e<strong>in</strong>e überweltliche Realität, <strong>die</strong>durch moralische und spirituelle Übung errungen werden kann, sieht derNaturalismus nichts, das über <strong>die</strong> empirische Welt h<strong>in</strong>ausgeht, und betrachtet alleethischen und religiösen Normen als re<strong>in</strong> menschliches Produkt. Auch im Westenarbeitet das Erstehen der Wissenschaft daran, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der beharrlichenForderung nach <strong>in</strong>tellektueller und moralischer Freiheit, das Christentum <strong>in</strong> derwestlichen Geistesprägung <strong>von</strong> se<strong>in</strong>em dom<strong>in</strong>anten Platz zu entfernen.Es war aber nicht nur <strong>die</strong> theoretische Kraft moderner Wissenschaft, welche <strong>die</strong>traditionelle buddhistische Weltsicht und ihr begleitendes Werteschema bedrohte.Denn <strong>in</strong> der Tat konnten <strong>die</strong> buddhistischen Denker im frühen 20. Jahrhundert beiihrem R<strong>in</strong>gen mit dem auftrumpfenden Christentum <strong>die</strong> Wissenschaft zu ihrenVerbündeten zählen. Was sich gegen <strong>die</strong> traditionellen buddhistischen Wertekehrte, war aber nicht Theorie, sondern Praxis: nämlich das E<strong>in</strong>spannen derTechnologie für e<strong>in</strong> Wirtschaftssystem des freien Marktes auf der Suche nachwachsendem Profit.Diese Vermählung der Technologie mit dem freien Markt gebar e<strong>in</strong>e gierigeVerbraucherkultur, auf der Prämisse gründend, dass materieller Reichtum undS<strong>in</strong>nesfreuden <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zigen lohnenden Ziele im Leben s<strong>in</strong>d. In der gegenwärtigen47


Zeit ist es vielleicht <strong>die</strong>se Konsumentenkultur, angeregt durch Werbung und <strong>die</strong>populären Me<strong>die</strong>n, welche sich der Spiritualität als wirksamer Kraft im Leben derLeute als e<strong>in</strong>zige, größte Herausforderung gegenüberstellt. In den Städten umfängt<strong>die</strong>se Kultur <strong>die</strong> reiche Elite mit Wolken hedonistischen Selbstverwöhnens. Bei denArmen <strong>in</strong> Stadt und Land – geblendet durch <strong>die</strong> im Fernsehen, Radio und Filmdargebotene Pracht – züchtet sie Neid, Ablehnung und Verzweiflung. Muss mansich unter solchen Umständen darüber wundern, dass Alkoholismus, Drogensucht,Selbstmord und Gewaltverbrechen so krass eskalierten?Dieser Zusammenprall der Weltanschauungen und Wertsysteme erklärt auch,warum der Tempel-Buddhismus für <strong>die</strong> jüngere Generation zur bloßenRandersche<strong>in</strong>ung wurde. Im heutigen Tempel-Buddhismus wurzelt <strong>die</strong> Sprache, <strong>in</strong>welcher <strong>die</strong> Lehre vorgetragen wird – das Umfeld, das Aroma, der ganze Tenor derLehre –, <strong>in</strong> der Weltsicht des mittelalterlichen angepassten Buddhismus. Das magwunderschön, ja erhebend se<strong>in</strong> und auf se<strong>in</strong>e Art sogar wahr, doch ist es wohlkaum <strong>in</strong> der Lage, <strong>die</strong> Botschaft des Dhamma jenen zu vermitteln, <strong>die</strong> auf moderneWeise aufgezogen werden. Die Lehren des Tempel-Buddhismus stammen <strong>von</strong>e<strong>in</strong>er unwiderruflich vergangenen Kultur, aus e<strong>in</strong>er Ära, wo <strong>die</strong> Rollen klar def<strong>in</strong>iertwaren und alles <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em verständlichen und freundlichen Ganzen se<strong>in</strong>en Platzhatte. Wir aber leben, atmen und gehen unseren Weg <strong>in</strong> den Straßen dermodernen Welt, wo Veränderungen <strong>in</strong> rasender Geschw<strong>in</strong>digkeit stattf<strong>in</strong>den, woe<strong>in</strong>e Schar aggressiver Stimmen um unsere Aufmerksamkeit wetteifert und wo jedevertraute Annahme e<strong>in</strong>er gnadenlosen Befragung ausgesetzt wird. Für jene, <strong>die</strong>darum r<strong>in</strong>gen, für sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Welt e<strong>in</strong>e Nische zu f<strong>in</strong>den, hat derselbstsichere Tempel-Buddhismus aufgehört „der Dhamma“ zu se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Botschaftdes Erwachens, <strong>die</strong> den Geist eröffnet und mit Licht erfüllt. Stattdessen ist er nure<strong>in</strong>e malerische Er<strong>in</strong>nerung an <strong>die</strong> Vergangenheit geworden, zwar noch fähig,gelegentlich e<strong>in</strong>e fromme Stimmung hervorzurufen, doch kaum relevant h<strong>in</strong>sichtlichder schwierigen Entscheidungen, <strong>die</strong> uns <strong>in</strong> der Tretmühle des Alltags begegnen.E<strong>in</strong>e Möglichkeit, <strong>die</strong>sem Zusammenprall der Weltanschauungen zu begegnen,besteht dar<strong>in</strong>, sich abwehrend <strong>in</strong> <strong>die</strong> Vergangenheit zurückzuziehen, zu versuchen,unser altes kulturelles und religiöses Erbe vor der Plünderung durch <strong>die</strong> Moderne48


zu bewahren und <strong>die</strong> Überlegenheit des Buddhismus über alles Moderne zupreisen. Das ist <strong>die</strong> Position der Fundamentalisten, nicht unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e aggressiveHaltung, jedoch e<strong>in</strong>e, <strong>die</strong> sich zum nostalgischen Rückzug <strong>in</strong> <strong>die</strong> Vergangenheitentschließt, statt zu <strong>in</strong>novativer Anpassung an <strong>die</strong> Gegenwart. Aus <strong>die</strong>serPerspektive gesehen, trägt <strong>die</strong> Ankunft moderner Kultur e<strong>in</strong>e Bedrohung desDhamma <strong>in</strong> sich, und der e<strong>in</strong>zige Weg, <strong>die</strong> kostbare Lehre zu beschützen, besteht<strong>in</strong> der Ablehnung des Modernen und <strong>in</strong> dem Versuch, <strong>die</strong> vererbte Tradition mite<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>imum an Veränderung zu bewahren.Jeder Organismus muss sich aber, um zu überleben, an Veränderungen <strong>in</strong> derUmgebung anpassen. Das neue Umfeld abzulehnen und bloß um <strong>die</strong> Erhaltungdes Vergangenen zu kämpfen, heißt jedoch Erstarrung zu riskieren: Buddhismusdamit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Antiquität zu verwandeln, deren Relevanz geschwunden ist und <strong>die</strong>nur noch als Stimulans für fromme Gefühle <strong>die</strong>nt. Diese Haltung wurde <strong>von</strong> mehrtraditionalistisch denkenden buddhistischen Kreisen e<strong>in</strong>genommen. Ihrhartnäckiger Konservatismus, welcher <strong>die</strong> spirituellen Sichtweisen des Dhamma mitnur e<strong>in</strong>er speziellen Kultur und Sozialordnung verb<strong>in</strong>det, ist zum Teil der Grund für<strong>die</strong> schw<strong>in</strong>dende Relevanz des Buddhismus <strong>in</strong> den Augen vieler <strong>in</strong> den jüngerenGenerationen.Dennoch ist Rückzug <strong>in</strong> <strong>die</strong> Vergangenheit nicht der e<strong>in</strong>zige Weg, um den Dhammavor der Zerstörung zu bewahren. In der Tat erhält solch regressiver Pietismusnämlich bloß <strong>die</strong> äußere Schale, <strong>die</strong> äußeren Formen des Buddhismus, währendse<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Vitalität vernichtet wird. E<strong>in</strong> anderer, optimistischerer Ansatz steht unszur Verfügung, der nicht voreilig den Schluss zieht, dass <strong>die</strong> Ankunft der Modernezwangsläufig den Grabgesang des Dhamma e<strong>in</strong>läutet. Aus <strong>die</strong>sem W<strong>in</strong>kelbetrachtet, kann <strong>die</strong> gegenwärtige Krise buddhistischer Kultur als e<strong>in</strong> Mittel zurLäuterung angesehen werden, hilfreich, um <strong>die</strong> Spreu vom Weizen zu trennen unddas wieder zu entdecken, was an der Botschaft des Buddha wahrlich zeitlos ist.Das bedeutet, dass e<strong>in</strong>e neue Gewichtung erforderlich wird, <strong>die</strong> man mit e<strong>in</strong>emWechsel <strong>von</strong> der Überbetonung der angepassten Dimension des Buddhismus zurbefreienden beschreiben könnte.49


Wenn ich <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Verschiebung der Gewichtung spreche, so beabsichtige ichnicht damit zu sagen, dass <strong>die</strong> traditionelle Weltsicht des Buddhismus falsch ist undzu Gunsten der re<strong>in</strong> naturalistischen, <strong>von</strong> der modernen Wissenschaftvorgeschlagenen Betrachtungsweise über Bord geworfen werden muss. In der Tatmöchte ich behaupten, dass, unter Berücksichtigung unvermeidlichermythologischer Elemente <strong>in</strong> der buddhistischen Tradition, <strong>die</strong> buddhistischeWeltbetrachtung, mit ihrer Wahrnehmung der entscheidenden Rolle des Geistesund der unfassbar weiten Dimensionen der Realität, für philosophischeÜberlegungen viel reicher und passender ist als <strong>die</strong> verflachte Weltsicht, welcheuns e<strong>in</strong>e anmaßende Fehlanwendung der wissenschaftlichen Methode unterÜberschreitung ihres legitimen Bereichs h<strong>in</strong>terlassen hat. E<strong>in</strong> bee<strong>in</strong>druckendesMerkmal der Lehre des Buddha ist auf jeden Fall <strong>die</strong> Unabhängigkeit ihresbefreienden Kern<strong>in</strong>haltes <strong>von</strong> jeglicher bestimmten Kosmologie, ihre Fähigkeit,unsere fundamentalsten Fragen direkt auf e<strong>in</strong>e Weise anzusprechen, <strong>die</strong>unmittelbar und persönlich nachprüfbar ist, ungeachtet, welche Kosmologie mandabei übernimmt. Unsere gegenwärtige Situation betreffend, zw<strong>in</strong>gt uns dermaterielle Fortschritt, <strong>die</strong> Erfüllung der Verbraucherträume, zu der Erkenntnis, dassReichtum ke<strong>in</strong> wirkliches Glück br<strong>in</strong>gt, sondern uns leer lässt, nach tiefererErfüllung dürstend. Wir werden so dazu gebracht, <strong>die</strong> harte Wahrheit desbefreienden Dhamma zu erkennen: dass Begehren <strong>die</strong> Ursache des Leids ist. Wirkönnen auch sehen, dass Erlösung <strong>von</strong> Leid nicht dadurch zu gew<strong>in</strong>nen ist, dasswir dem unaufhörlichen Flehen des Begehrens nachgeben, sondern nur <strong>in</strong>dem wirunseren Geist durch methodische, auf Selbsterkenntnis und Selbstwandlunggerichtete Schulung beherrschen.Während schwer vorauszusagen ist, welche Richtung der <strong>in</strong>stitutionalisierteBuddhismus <strong>in</strong> den nächsten Jahrzehnten e<strong>in</strong>schlagen wird, können wir heute dasWirken e<strong>in</strong>iger wichtiger Trends erkennen, <strong>die</strong> tatsächlich e<strong>in</strong> echtesWiederaufleben des Dhamma ankündigen könnten. E<strong>in</strong>er ist <strong>die</strong> Ernüchterungbezüglich der angenommenen Segnungen des Konsumismus. Die Erkenntnis, dassGlück nicht <strong>in</strong> den Ladenstraßen zu kaufen ist, sollte <strong>in</strong> uns den dr<strong>in</strong>gendenWunsch erwecken, für unser Leben e<strong>in</strong>en tieferen S<strong>in</strong>n zu f<strong>in</strong>den, Frieden und50


Glück, <strong>die</strong> nicht <strong>von</strong> äußeren Bed<strong>in</strong>gungen abhängen. Wir sehen dafür schonAnzeichen <strong>in</strong> der steigenden Zahl <strong>von</strong> buddhistischen Laienanhängern, <strong>die</strong> willenss<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> harten Mühen der Meditation auf sich zu nehmen, was ja traditionell alsDomäne der Mönche gilt. Für solche Leute ist <strong>die</strong> Ausübung des Buddhismus nichtso sehr e<strong>in</strong>e Angelegenheit konventioneller Rituale, sondern e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Schulung,der privat oder <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Gruppen mit gleichges<strong>in</strong>nten Freunden nachgegangenwird.Der Ansturm des Materialismus br<strong>in</strong>gt uns so zum ursprünglichen befreiendenZweig des Dhamma zurück, der jahrhundertelang unter der angepasstenDimension verdeckt war. Doch während <strong>die</strong> ältere Botschaft als Ziel hauptsächlich<strong>die</strong> Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburten sah, wird heute <strong>die</strong> Betonung aufden Vorteil der Dhamma-Praxis gelegt, der hier und heute sichtbar wird: auf Glückund Erfüllung, <strong>die</strong> durch größere Selbsterkenntnis und Beherrschung des Geistesgewonnen werden. Damit wird natürlich nicht beabsichtigt, <strong>die</strong> Wahrheit derWiedergeburtsdoktr<strong>in</strong> und <strong>die</strong> Zielvorstellung der endgültigen Befreiung vomSamsara <strong>in</strong> Frage zu stellen, sondern nur darauf beharrt, dass wir, damit <strong>die</strong>sesletzte Ziel für uns Bedeutung erhält und relevant wird, doch zuerst unserAlltagsleben durch Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung <strong>in</strong> Ordnung br<strong>in</strong>genmüssen. Es bleibt sonst bei der utopischen Fantasie, <strong>die</strong> doch stark im heutigenangepassten Buddhismus enthalten ist.Mit der Suche nach persönlichem Geistesfrieden ist jedoch <strong>die</strong> auf den Dhammagesetzte Hoffnung für <strong>die</strong> vor uns liegende Epoche nicht erschöpft. Denn wir leben<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em entscheidenden Augenblick der Geschichte, wo <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> derMenschheit und sogar unseres Planeten als biologische E<strong>in</strong>heit sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emempf<strong>in</strong>dlichen Gleichgewicht bef<strong>in</strong>det. Unsere unmittelbaren Nachrichtenme<strong>die</strong>nund schnellen Transportmittel haben überall <strong>die</strong> Menschen zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigenFamilie zusammengeschweißt, <strong>in</strong> welcher jedes Mitglied zu e<strong>in</strong>em gewissen Gradfür das Wohlergehen des Ganzen verantwortlich ist, und zwar nicht nur für allemenschlichen Wesen, sondern für <strong>die</strong> gesamte Geme<strong>in</strong>schaft des Lebens.Während unsere Technologien uns <strong>die</strong> Kapazität gegeben haben, jedem e<strong>in</strong>51


angemessenes Leben zu ermöglichen, verbleiben doch schwere Probleme <strong>von</strong>enormen Ausmaßen. Armut, Krieg, Hunger, Ausbeutung und Ungerechtigkeitwerfen noch immer ihren Schatten auf unsere <strong>Zukunft</strong>, fordern zu viele Opfer, <strong>die</strong>ihren Beschwerden nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Stimme verleihen, geschweige denn sichRecht verschaffen können.Diese Probleme – politisch, wirtschaftlich, sozial und ökologisch – schreien nachLösungen, und e<strong>in</strong>e der wichtigsten Aufgaben, der heute jede größere Religiongegenübersteht, ist es, dem Gewissen der Menschheit als Stimme zu <strong>die</strong>nen.Solche Schwierigkeiten nur als re<strong>in</strong> temporäre Probleme anzusehen, <strong>die</strong> leichtdurch politische und soziale Reformen zu lösen s<strong>in</strong>d, heißt <strong>die</strong> Ursache zuverkennen, <strong>die</strong> all dem auf unterschiedliche Weise zugrunde liegt, nämlich bl<strong>in</strong>deund hartnäckige, <strong>in</strong> ihren Konsequenzen verderbliche Selbstsucht. Es ist genau <strong>die</strong>Aufgabe <strong>von</strong> Religion <strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>nersten Essenz, <strong>die</strong>se Bösartigkeit anzusprechenund zu korrigieren. Zu oft war Religion <strong>in</strong> der Vergangenheit e<strong>in</strong> Zündstoff, der eherSpaltung statt E<strong>in</strong>heit schaffte, und <strong>die</strong>ser Trend ist noch heute <strong>in</strong> denverschiedenen Arten <strong>von</strong> religiösem Fundamentalismus zu sehen, der über denGlobus wandert. Doch all <strong>die</strong> großen spirituellen Traditionen enthalten <strong>in</strong> ihremKern <strong>die</strong> Vorstellung <strong>von</strong> menschlicher E<strong>in</strong>heit, <strong>die</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Leben umzusetzen ist,das <strong>von</strong> Liebe und Mitgefühl geleitet wird. Das ist <strong>die</strong> Seite, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der unmittelbaren<strong>Zukunft</strong> zu hegen ist, und nicht das Spaltende.E<strong>in</strong>e der ersten Aufgaben, <strong>die</strong> auf den Buddhismus <strong>in</strong> der künftigen globalen Weltzukommen, ist <strong>die</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>er umfassenden Vorstellung <strong>von</strong> Lösungen dersozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme, <strong>die</strong> sich heute so gewaltigerheben. Das ist nicht e<strong>in</strong>e Sache des Vermischens <strong>von</strong> Religion mit Politik,sondern des Erstellens e<strong>in</strong>er genauen Diagnose der zerstörerischenBewusstse<strong>in</strong>sfixierungen, welchen <strong>die</strong>se Probleme entspr<strong>in</strong>gen. Die Diagnosemuss offen legen, wie menschliche Geistestrübungen – nämlich Gier, Hass undIgnoranz, <strong>die</strong> gleichen, <strong>die</strong> für das private Leid verantwortlich s<strong>in</strong>d – e<strong>in</strong>e kollektive,<strong>in</strong> soziale Strukturen e<strong>in</strong>gebettete Dimension annehmen. Es ist nicht nur nötig, <strong>die</strong>bedrückende, schädliche Natur solcher Strukturen bloßzulegen, sondern sich neue52


Alternativen vorzustellen und anzustreben: frische Perspektiven sozialerOrganisation und menschlicher Beziehungen, <strong>die</strong> politische, ökonomische undsoziale Gerechtigkeit sicherstellen können, sowie <strong>die</strong> Erhaltung der natürlichenUmgebung und <strong>die</strong> Aktualisierung unseres spirituellen Potenzials.Obwohl e<strong>in</strong> solches Projekt, <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem riesigen Maßstab, e<strong>in</strong>e neueHerausforderung für den Buddhismus darstellt, ist es e<strong>in</strong>e Herausforderung, derzum Teil mit den E<strong>in</strong>sichten des Buddha <strong>in</strong> den Ursprung <strong>von</strong> Leid und den Mittelnzu se<strong>in</strong>er Auflösung begegnet werden kann. Doch eben nur zum Teil, dennkreatives Denken wird benötigt, um <strong>die</strong>se E<strong>in</strong>sichten auf <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zigartigen Probleme<strong>von</strong> heute anzuwenden. Das heißt <strong>in</strong> Wirklichkeit, <strong>die</strong> befreiende Dimension desDhamma auszudehnen, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>e kollektive oder sogar globale Anwendungerfährt. Bei <strong>die</strong>sem Unterfangen müssen <strong>die</strong> Buddhisten Hand <strong>in</strong> Hand mit denFührern anderer Religionen agieren, <strong>die</strong> sich dem gleichen Ziel verschriebenhaben. Jenseits der unvermeidlichen Unterschiede stimmen <strong>die</strong> großen Religionendar<strong>in</strong> übere<strong>in</strong>, dass unsere schweren sozialen und kommunalen Probleme e<strong>in</strong>errudimentären Bl<strong>in</strong>dheit entstammen, <strong>die</strong> im Egowahn wurzelt, sei es nur persönlichoder aufgeblasen bis zur ethnischen oder nationalen Identität.Was wir aus der Perspektive der großen spirituellen Traditionen tun müssen, umuns zu retten und den Platz der Menschheit auf der Erde zu bewahren, ist, unsereBesessenheit <strong>von</strong> engherzigen selbstsüchtigen Zielen aufzugeben und uns demfundamentalen Gesetz des Universums, dem zeitlosen Dhamma, anzupassen. DerBuddha lehrt, dass wir unser eigenes wahres Glück nur erlangen können, wenn wirden Standpunkt der Selbstsucht transzen<strong>die</strong>ren und unser Herz dem Wohlergehenaller widmen. Dieses Pr<strong>in</strong>zip ist nicht <strong>die</strong> Domäne e<strong>in</strong>er speziellen Religion,sondern kann <strong>von</strong> allen verstanden werden, <strong>die</strong> guten Willens s<strong>in</strong>d. Was derBuddhismus uns gibt, das ist e<strong>in</strong> klar umrissener Pfad, uns selbst zu beherrschenund <strong>die</strong> Weisheit und das Mitgefühl hervorzubr<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> so dr<strong>in</strong>gend benötigtwerden, jetzt wo wir <strong>in</strong> das neue Jahrtausend e<strong>in</strong>treten.53


4. Der Sangha am ScheidewegEs kann kaum bezweifelt werden, dass sich der Buddhismus <strong>in</strong> Sri Lanka heute ane<strong>in</strong>em Scheideweg bef<strong>in</strong>det und se<strong>in</strong>e <strong>Zukunft</strong> zunehmend fraglich geworden ist.Die Herausforderung, der er gegenübersteht, basiert nicht auf Zahlen oder aufMacht, sondern es geht um se<strong>in</strong>e Relevanz. Nicht dass der Dhamma, <strong>die</strong> Lehredes Buddha, se<strong>in</strong>e Relevanz verloren hat; denn weder der dramatische Wandel derGeschichte noch <strong>die</strong> pulsierenden Wellen der Kultur können <strong>die</strong> zeitlose Botschaftersticken, <strong>die</strong> <strong>in</strong> den Vier Edlen Wahrheiten und im Edlen Achtfachen Pfadverankert ist. Das Problem liegt also nicht bei der Lehre selber, sondern bei jenen,<strong>die</strong> dafür verantwortlich s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> Lehre lebendig zu erhalten. Was vor allem fehlt,ist e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation an Fertigkeiten, <strong>die</strong> <strong>in</strong> drei e<strong>in</strong>fachen Wortenzusammengefasst werden können: Verständnis, Verpflichtung und Darlegung.Verständnis: E<strong>in</strong> klares Verständnis, wie <strong>die</strong> Lehre auf <strong>die</strong> harten Realitäten desmenschlichen Lebens <strong>von</strong> heute anzuwenden ist, auf e<strong>in</strong>e Gesellschaft und e<strong>in</strong>eWelt, <strong>in</strong> der <strong>die</strong> alten Sicherheiten sich verstreuen wie Blätter im Sturm.Verpflichtung: Der Wille, <strong>die</strong> Lehren so anzuwenden, wie <strong>die</strong>s beabsichtigt war,selbst wenn das bedeutet, <strong>die</strong> Verkrustungen der etablierten Traditionherauszufordern.Darlegung: Ke<strong>in</strong>e stereotypen „Sermone“, ke<strong>in</strong>e süßen Tröstungen, ke<strong>in</strong> religiösesE<strong>in</strong>lullen, sondern solide, nüchterne Erklärungen, wie <strong>die</strong> zeitlosen Pr<strong>in</strong>zipien desDhamma <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zigartigen Probleme und Zweifel unseres Zeitalters lösen können.Während wir an <strong>die</strong>sem Scheideweg stehen und <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> blicken, bieten sichuns drei Möglichkeiten an. Die e<strong>in</strong>e ist, uns e<strong>in</strong>fach mit dem Zerfall der Lehreabzuf<strong>in</strong>den, es als Zurückschw<strong>in</strong>gen des Pendels der Geschichte zu akzeptieren –traurig, aber unvermeidlich. E<strong>in</strong>e zweite ist, unsere Hände zu r<strong>in</strong>gen und zu klagen,<strong>die</strong> Verantwortung dafür auf andere zu schieben – <strong>die</strong> Regierung, <strong>die</strong> Mönche oderirgendwelche M<strong>in</strong>oritäten. E<strong>in</strong>e dritte ist, uns selbst zu fragen, was wir tun können,um <strong>die</strong> sich erhebende Flut aufzuhalten. Wenn wir den dritten Weg e<strong>in</strong>schlagen,können wir mit der Feststellung beg<strong>in</strong>nen, dass <strong>die</strong> Lehre nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigenen,54


idealen Bereich existiert, sondern nur <strong>in</strong> den Millionen <strong>von</strong> Menschen verkörpert ist,<strong>die</strong> sich Buddhisten nennen und beim Dreifachen Juwel Zuflucht nehmen.Diese Feststellung kl<strong>in</strong>gt vielleicht selbstverständlich, sogar banal. Wenn wir e<strong>in</strong>igeMomente darüber nachdenken, werden wir aber sehen, dass sie, obwohloffensichtlich, enorme Verflechtungen e<strong>in</strong>schließt, denn sie bedeutet, dass wirzuletzt selbst für Gedeih oder Verfall der Lehre verantwortlich s<strong>in</strong>d: Unsere eigenenAnsichten, Haltungen und Benehmen entscheiden, ob <strong>die</strong> Lehre wächst oderschw<strong>in</strong>det. Das zu erkennen, heißt zu sehen, dass das Wohlergehen der Lehreschließlich auf unseren eigenen Schultern ruht und nicht bei e<strong>in</strong>emStaatsm<strong>in</strong>isterium oder Kirchenkonzil. Gerade so wie <strong>die</strong> Gesundheit des Körpers<strong>von</strong> der Vitalität se<strong>in</strong>er Zellen abhängt, so wird <strong>die</strong> Kraft der Lehre letzten Endes anuns, <strong>die</strong> Zellen im lebendigen Organismus Buddhismus, weitergegeben.In <strong>die</strong>sem Beitrag möchte ich mich auf e<strong>in</strong>e bestimmte Gruppe <strong>von</strong> Buddhisten imheutigen Sri Lanka konzentrieren, auf den <strong>Bhikkhu</strong> Sangha, den Mönchsorden. Ichbeabsichtige, wenn auch nur kurz, <strong>die</strong> Probleme zu untersuchen, denen ergegenübersteht, sowie se<strong>in</strong>e Aussichten für <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong>. Diese Aufgabe ist wegender zentralen Rolle, welche der Sangha bei der Bestimmung des Schicksals derLehre spielt, besonders kritisch, und es ist klar, sollte der Sangha nicht lernen, mitden bedeutsamen Kräften umzugehen, welche <strong>die</strong> heutige Gesellschaftüberschwemmen, so wird <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> zeigen, wie er zunehmend an den Randgedrängt wird.In der buddhistischen Tradition werden sorgsam <strong>die</strong> gegenseitigen Pflichten desSangha und der Laienanhänger def<strong>in</strong>iert und <strong>die</strong>se Rollen bilden (wie beim Weben)Kette und Schuss der Botschaft des Buddha. Die Mönche müssen <strong>die</strong> Lehrewahren, durch Studium, Praxis, Predigt und moralisches Vorbild; <strong>die</strong>Laienanhänger haben <strong>die</strong> Mönche zu versorgen, <strong>in</strong>dem sie ihnen <strong>die</strong> vierErfordernisse darbieten: Roben, Nahrung, Unterkunft und Mediz<strong>in</strong>. Diese engeBeziehung zwischen den beiden Geme<strong>in</strong>schaften hat durch <strong>die</strong> Jahrhunderteh<strong>in</strong>durch e<strong>in</strong>e stabile Basis für <strong>die</strong> Beharrlichkeit der Lehre geliefert. Trotz derFluktuationen <strong>in</strong> der buddhistischen Geschichte Sri Lankas – zeitweise gab esTiefpunkte wo nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> richtiger Sangha zu f<strong>in</strong>den war – war <strong>die</strong>ses55


Verhältnis zwischen dem Mönchsorden und den Laien stets <strong>die</strong> Lebensader, wannimmer der Buddhismus ge<strong>die</strong>h. Die Beziehung gegenseitiger Unterstützung hatteihre stützende Struktur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er stabilen Agrargesellschaft mit klar def<strong>in</strong>iertensozialen Rollen und e<strong>in</strong>em <strong>von</strong> geme<strong>in</strong>samen religiösen und ethischen Normenbeherrschten Lebensstil. Genau das ist es, was sich heute so radikal verändert hat.E<strong>in</strong>e globale Kultur, vorangetrieben durch hervorgehobene technische Innovationund unerbittliche Wirtschaft des freien Marktes, ließ ihre Präsenz <strong>in</strong> jedem W<strong>in</strong>kel<strong>die</strong>ses Landes spüren, zwang jedes H<strong>in</strong>dernis unter ihre Dom<strong>in</strong>anz. Als Folgewurde <strong>die</strong> gesamte soziale Ordnung durch Aufruhr erschüttert, der <strong>von</strong> den Stättenwirtschaftlicher und politischer Macht direkt bis zu den entferntesten Dörfern undTempeln gelangte.Diese modernistische Attacke beschränkt sich aber nicht auf bloß äußerlicheTriumphe, sondern greift durch bis auf unser Privatleben: unsereWertvorstellungen, Weltsichten und sogar auf unseren S<strong>in</strong>n für persönlicheIdentität. Für den gewöhnlichen Buddhisten war <strong>die</strong>s e<strong>in</strong>e tiefe Desorientierung,das Gefühl, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden Landschaft gestrandet zu se<strong>in</strong>, wo <strong>die</strong> alten vertrautenBezugspunkte nicht mehr gelten. Zurückschauend sehen wir e<strong>in</strong>e Vergangenheitmit bequemen Sicherheiten, <strong>die</strong> wir niemals mehr zurückgew<strong>in</strong>nen können; derBlick nach vorne zeigt e<strong>in</strong>e zunehmend unvorhersagbare <strong>Zukunft</strong>. Doch <strong>in</strong>mittender Wirrnis der Gegenwart ersche<strong>in</strong>t der Dhamma noch immer als festerBezugspunkt, der uns klare Antworten auf unsere drängenden Fragen liefern kannund Erleichterung vom existenziellen Stress gewährt.Das br<strong>in</strong>gt uns direkt zum Kern unseres Problems: Das Problem der Relevanz, dasÜbermitteln der zeitlosen Botschaft der Lehre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sprache, welche <strong>die</strong>schwierigen, e<strong>in</strong>zigartigen und komplexen Probleme ansprechen kann, <strong>die</strong> unsbegegnen, während wir unseren Weg durch <strong>die</strong> postmoderne Welt bahnen. Diekritischste Herausforderung, welcher <strong>die</strong> Lehre heute gegenübersteht, ist <strong>die</strong> desÜberlebens <strong>in</strong> der „neuen Weltordnung“, und zwar nicht nur als Institution demNamen und der Form nach, sondern zur Erholung der universalen menschlichenWerte beizutragen und unzähligen Männern und Frauen dabei zu helfen, jenseitsdes <strong>in</strong>tellektuellen und moralischen Abgrundes e<strong>in</strong>en Weg zu f<strong>in</strong>den. Es ist genauhier, wo <strong>die</strong> Rolle des Sangha so lebenswichtig wird, denn es s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Mönche (und56


ich möchte sagen auch <strong>die</strong> Nonnen), welche <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> sollten, e<strong>in</strong>er„verrückt gewordenen Welt“ e<strong>in</strong>e überzeugende Zuflucht anzubieten – e<strong>in</strong>e Sichtauf grundlegende geistige Gesundheit, selbstlose Güte und Gelassenheit <strong>in</strong>mittender Stürme <strong>von</strong> Gier, Kampf und Gewalt. Es ist aber gerade an <strong>die</strong>sem Punkt, dasswir e<strong>in</strong>en klaffenden Abgrund vor uns haben: Es sche<strong>in</strong>t nämlich, dass der Sanghaheute kaum dafür gerüstet ist, auf e<strong>in</strong>e solche Herausforderung zu antworten.Was aus me<strong>in</strong>er Sicht am allerdr<strong>in</strong>gendsten gebraucht wird, ist nicht e<strong>in</strong>eVerstärkung buddhistischer religiöser Identität oder e<strong>in</strong>e Regierungspolitik, <strong>die</strong> demBuddhismus den Ehrenplatz e<strong>in</strong>räumt. Auch wird <strong>die</strong> Errichtung <strong>von</strong> noch mehrBuddhaabbildern und das tägliche Ausstrahlen <strong>von</strong> Pirit-Gesängen über <strong>die</strong>Lautsprecher der Lehre nicht <strong>die</strong> Frischblut-Infusion br<strong>in</strong>gen, welche sie sodr<strong>in</strong>gend benötigt. Was also gebraucht wird, s<strong>in</strong>d Mönche und Nonnen mitIntelligenz, E<strong>in</strong>sicht und Sensibilität, <strong>die</strong> durch ihr Leben und ihren Charakter <strong>die</strong>spirituell veredelnde und erhebende Kraft des Dhamma vorweisen können.Klosterleute solchen Formats hervorzubr<strong>in</strong>gen ist nicht leicht, dennoch kann e<strong>in</strong>esolche Aufgabe nicht dem Zufall überlassen werden. Es wird vor allem tiefgehendeVeränderungen im gesamten System der mönchischen Personenauswahl undSchulung erforderlich machen und ruft so nach ernsthaften Überlegungen undsorgsamer Planung seitens der Älteren des Sangha. Diese Aufgabe darf auf ke<strong>in</strong>enFall leicht genommen werden; denn man kann wahrheitsgemäß sagen, dass nichtweniger auf dem Spiel steht als <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> des Buddhismus <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land.Gerade so wie <strong>die</strong> Regierung Sri Lankas kürzlich das gesamte System derweltlichen Bildung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land überprüft hat, mit dem Ziel <strong>die</strong> Bildungspolitik zureformieren, muss e<strong>in</strong>e ähnliche Reform direkt im Herzen des Sangha durchgeführtwerden. Wenn man das Schulungssystem <strong>in</strong> den buddhistischen Klöstern mit demLehrplan an christlichen Sem<strong>in</strong>aren vergleicht, so ist der Unterschied offensichtlich.In den Sem<strong>in</strong>aren werden <strong>die</strong> künftigen Priester und Nonnen nicht nur <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>,Theologie und den Schriften geschult, sondern auf allen Gebieten modernenWissens, das sie benötigen, um <strong>in</strong> der Welt <strong>von</strong> heute e<strong>in</strong>e führende Rolle zuspielen, e<strong>in</strong>schließlich kritischer und vergleichender Religionsstu<strong>die</strong>n. In denPirivena, den buddhistischen Klosterschulen, werden, soweit ich das überblickenkann, <strong>die</strong> jungen Mönche (aber niemals Nonnen!) unterrichtet, um Dorfpriester zu57


werden, gerade ausreichend, um e<strong>in</strong>e religiöse Kultur zu bewahren, <strong>die</strong> sich kaum<strong>von</strong> derjenigen des 16. Jahrhunderts unterscheidet. Man kann das bizarre Resultatsehen, wenn e<strong>in</strong> nach dem Pirivena-System geschulter Mönch e<strong>in</strong>en Vortrag vore<strong>in</strong>em Auditorium halten soll, <strong>in</strong> welchem e<strong>in</strong> Astrophysiker, e<strong>in</strong> Psychiater,mehrere Computeranalytiker und sogar e<strong>in</strong>ige gelehrte buddhistische Laienzugegen s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> mit den Methoden kritischen, wissenschaftlichen Denkensvertraut s<strong>in</strong>d. Ist es da verwunderlich, wenn sich <strong>die</strong> Zuhörer <strong>die</strong> Zeit vertreiben,<strong>in</strong>dem sie müßig an <strong>die</strong> Decke starren oder e<strong>in</strong>ander gelangweilt zulächeln?Im Folgenden will ich nur aufs Geradewohl e<strong>in</strong>ige Vorschläge e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>systematisches Programm müsste <strong>von</strong> denjenigen ausgearbeitet werden, <strong>die</strong>unmittelbarer mit der Sangha-Adm<strong>in</strong>istration und der Schulung <strong>von</strong> Mönchen undNonnen befasst s<strong>in</strong>d. Ich werde mehr über Mönche als über Nonnen sprechen, weilich mit deren Lebensart und Ausbildung besser vertraut b<strong>in</strong>. EntsprechendeÄnderungen sollten aber auch für <strong>die</strong> Nonnen erwogen werden, deren Status,Ausbildung und Funktionen e<strong>in</strong>e drastische Aufwertung erfordern, wenn derBuddhismus e<strong>in</strong>er Welt, <strong>die</strong> sich schnell auf <strong>die</strong> völlige Gleichberechtigung derGeschlechter zubewegt, e<strong>in</strong> respektables Gesicht zeigen will.Gleich zu Beg<strong>in</strong>n könnte für <strong>die</strong> Mönche e<strong>in</strong> radikaler Wechsel bei der Auswahl <strong>von</strong>Bewerbern nötig werden. Die Auswahlmethode, welche gegenwärtig im Sanghaüberwiegt, ist <strong>die</strong> Aufnahme <strong>von</strong> kle<strong>in</strong>en Jungen, <strong>die</strong> noch lange nicht reif genugs<strong>in</strong>d, um für sich selbst Entscheidungen zu treffen. Häufig werden sie dem Sangha<strong>von</strong> ihren Eltern „angeboten“ <strong>in</strong> der Erwartung, dadurch Ver<strong>die</strong>nst zu erwirken.Würden <strong>die</strong> Eltern e<strong>in</strong>en Jungen hergeben, der <strong>von</strong> se<strong>in</strong>em Temperament her zue<strong>in</strong>em religiösen Leben geneigt ersche<strong>in</strong>t, so könnte e<strong>in</strong> solches System zuletzte<strong>in</strong>en positiven Effekt für den Sangha haben. In der Vergangenheit war es jatatsächlich „der Beste und Intelligenteste“, der an das Kloster übergeben wurde.Heute jedoch ist das ausgewählte K<strong>in</strong>d zu häufig dasjenige, bei welchem essche<strong>in</strong>t, dass es im weltlichen Leben ke<strong>in</strong>en Erfolg haben wird: Der Unfugmacher,der Herumtreiber, der Beschränkte.Ich b<strong>in</strong> mir bewusst, dass <strong>die</strong>ses System der Ord<strong>in</strong>ation im K<strong>in</strong>desalter ganz tief <strong>in</strong>der buddhistischen Kultur Sri Lankas gründet, und ich würde nicht vorschlagen esabzuschaffen. Trotz se<strong>in</strong>er Fehler hat das System auch Positives. Es ermöglicht58


nämlich dem Jugendlichen den Pfad der Entsagung zu beschreiten, noch ehe erden Versuchungen des weltlichen Lebens ausgesetzt wurde; das hilft, schon <strong>in</strong>frühen Jahren <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Re<strong>in</strong>heit und Losgelöstheit zu fördern, <strong>die</strong> nötig ist, m <strong>die</strong>strenge mönchische Schulung auszuhalten. E<strong>in</strong> weiterer Vorteil ist, dass demjungen Mönch <strong>die</strong> Gelegenheit gegeben wird, den Dhamma zu stu<strong>die</strong>ren sowie <strong>die</strong>Sprachen (Pali und Sanskrit) der Urtexte, solange der Geist noch offen, aufnahmeundmerkfähig ist. Es führt so zu der breiten Gelehrsamkeit, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>es dertraditionellen Merkmale des kultivierten Mönchs ist.Während ich also nicht so weit gehen will vorzuschlagen, dass <strong>die</strong> Aufnahme <strong>von</strong>erst Heranwachsenden abzuschaffen ist, denke ich doch, dass der Sangha <strong>die</strong>Qualifikation se<strong>in</strong>er Mönche enorm verbessern könnte, wenn für <strong>die</strong> Aufnahmestrengere Kriterien erhoben würden. E<strong>in</strong>e Maßnahme, <strong>die</strong> sofort angenommenwerden könnte, wäre e<strong>in</strong>e längere Probezeit, ehe dem Novizen <strong>die</strong> Ord<strong>in</strong>ationgewährt wird. Es könnte zum Beispiel für Jungen, welche <strong>die</strong> Ord<strong>in</strong>ation anstreben,obligatorisch werden, als Laienbewerber m<strong>in</strong>destens zwei oder drei Jahre lang <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Schulungszentrum zu leben, ehe sie für <strong>die</strong> Ord<strong>in</strong>ation als Novize alsberechtigt gelten. Das würde den Älteren des Sangha Gelegenheit geben, sie <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er breiten Vielfalt <strong>von</strong> Situationen genauer zu beobachten und jeneauszuscheiden, <strong>die</strong> für e<strong>in</strong> Mönchsleben ungeeignet ersche<strong>in</strong>en. Wenn das nichtpraktikabel ist, könnte ja e<strong>in</strong> anderes Auswahlverfahren angewendet werden.Welche Methode man aber auch wählt, so sollte der Maßstab für <strong>die</strong> Auswahl dochziemlich streng se<strong>in</strong> – wenn auch nicht <strong>in</strong>human – und <strong>die</strong> Älteren sollten nichtzögern, ungeeignete Bewerber abzuweisen. E<strong>in</strong>e Sache ist nämlich allenbetroffenen Buddhisten und Nicht-Buddhisten (E<strong>in</strong>wohnern <strong>von</strong> Sri Lanka undFremden), welche den Dhamma nach dem Benehmen se<strong>in</strong>er Anhänger beurteilen,nur zu schmerzlich offenbar geworden: Viel zu viele Jugendliche s<strong>in</strong>d mit dergelben Robe angetan, <strong>die</strong> nicht würdig s<strong>in</strong>d sie zu tragen. Solche Außenseiterbeschmutzen nur den guten Namen des Sangha und des Buddhismus selber.E<strong>in</strong>e strengere Auswahl unter den Kandidaten für <strong>die</strong> Ord<strong>in</strong>ation ist jedoch nur e<strong>in</strong>evorläufige Maßnahme, <strong>die</strong> darauf zielt, den Sangha denjenigen zu verschließen, <strong>die</strong>für das Mönchstum ungeeignet s<strong>in</strong>d. Ebenso wesentlich ist es aber, denjenigen, <strong>die</strong>ord<strong>in</strong>iert werden, Schulungsprogramme anzubieten, welche ihre gesunde,59


ausgewogene Entwicklung fördern. Das ist wahrlich e<strong>in</strong> kritischer Schritt, wennnämlich Jugendliche mit dem Potenzial für das Mönchsleben nicht <strong>die</strong> rechteSchulung erhalten, dann f<strong>in</strong>den sie im Kloster ke<strong>in</strong>e Erfüllung, und ohne <strong>die</strong>seErfüllung ist ihre <strong>Zukunft</strong> als Mönch gefährdet. Sie werden entweder vom Sanghaenttäuscht und kehren <strong>in</strong> das Laiendase<strong>in</strong> zurück oder, aus Furcht vor demsozialen Stigma, welches mit dem Ablegen der Robe verbunden ist, sie leben <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em beständigen Zustand der Frustration und Unzufriedenheit als Mönch weiter.Das erklärt vielleicht, warum wir heute so viele junge Mönche sehen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Politik,Geschäfte und andere Tätigkeiten verwickelt s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> ihrer Berufung nicht würdigs<strong>in</strong>d.Es ist vor allem notwendig, dass der junge Mönch auf se<strong>in</strong>em erwähltenLebensweg e<strong>in</strong>en Lebenss<strong>in</strong>n und Glück f<strong>in</strong>det, e<strong>in</strong>em Weg, der ja nicht <strong>die</strong>unmittelbaren Befriedigungen bietet, welche se<strong>in</strong>en Kameraden zuteil werden, <strong>die</strong><strong>in</strong> der Weltlichkeit zurückgeblieben s<strong>in</strong>d. Wenn heute nur so wenige Mönchewirkliche Freude am Dhamma zu zeigen sche<strong>in</strong>en, so, vermute ich, liegt es daran,dass ihnen der Dhamma nicht auf e<strong>in</strong>e Weise dargebracht wurde, <strong>die</strong> Freude<strong>in</strong>spiriert. Damit der Dhamma e<strong>in</strong>e magnetische Kraft ausübt, welche <strong>die</strong> jungenMönche immer tiefer zum Herzen des heiligen Lebens zieht, muss er ihreBedürfnisse und ihr Streben auf e<strong>in</strong>er tiefen <strong>in</strong>neren Ebene ansprechen. Das heißt,er muss ihnen auf e<strong>in</strong>e Weise dargeboten werden, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e unmittelbare, ehrlicheund spontane Reaktion bewirkt.Buddhistische Laien beschweren sich häufig über mangelnde Diszipl<strong>in</strong> im Sanghaund beschwören <strong>die</strong> Ältesten des Sangha, strengere Kontrolle über ihre Schülerauszuüben. Ich möchte das Problem schlechter Diszipl<strong>in</strong> zwar nicht ger<strong>in</strong>gersche<strong>in</strong>en lassen und stimme zu, dass <strong>die</strong> strengere Durchsetzung der V<strong>in</strong>aya-Regeln wesentlich ist, aber ich möchte auch geltend machen, dass schlechteDiszipl<strong>in</strong> mehr e<strong>in</strong> Symptom ist als e<strong>in</strong>e Ursache. Was also primär benötigt wird, istnicht so sehr strengere Diszipl<strong>in</strong>, sondern e<strong>in</strong>e weitreichende spirituelle Erneuerungmit überschäumender Vitalität, und e<strong>in</strong>e derartige Erneuerung kann nicht bloßdurch <strong>die</strong> Ausübung strengerer diszipl<strong>in</strong>arischer Kontrolle ausgelöst werden. E<strong>in</strong>solcher Ansatz könnte sogar das Gegenteil bewirken. Wenn er nicht mit anderenMaßnahmen verbunden wird, <strong>die</strong> grundlegendere Änderungen <strong>in</strong> der Qualität der60


Ausbildung herbeiführen sollen, könnte er das Kloster zu e<strong>in</strong>em Gefängnis ohneverschlossene Türen machen, wo sich das Mönchsleben mehr wie e<strong>in</strong>elebenslängliche Verurteilung anfühlt anstatt wie e<strong>in</strong> Pfad zur Befreiung. WahreDiszipl<strong>in</strong> muss aus freiem Willen geübt werden, mit Verständnis und Billigung, unddazu kommt es nur, wenn man sie als Quelle der Freude und des <strong>in</strong>neren Friedenssieht, nicht aber als e<strong>in</strong>en Zwang, der Furcht und Frustration bewirkt.Wenn der Sangha se<strong>in</strong>e Stärke und Vitalität wieder entdecken soll, ist esnotwendig, dass jene, <strong>die</strong> ord<strong>in</strong>iert werden, für sich <strong>in</strong> ihrem Leben als Mönch e<strong>in</strong>es<strong>in</strong>nvolle Rolle f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e solche Rolle muss zwei entgegengesetztenForderungen entsprechen. Auf der e<strong>in</strong>en Seite muss sie getreulich <strong>die</strong> alten Idealebewahren, welche der Buddha selber für den Sangha vorgeschrieben hat, Ideale,<strong>die</strong> den beherrschenden Zweck der mönchischen Berufung ausdrücken. Auf deranderen Seite muss sie auf <strong>die</strong> fließenden Realitäten der zeitgenössischen Weltreagieren, muss es dem Mönch ermöglichen zu fühlen, dass er e<strong>in</strong>e wahrhaftrelevante Rolle <strong>in</strong> Bezug auf <strong>die</strong> breite Gesellschaft spielt.Dieser letzte Punkt ist besonders wichtig. Wie ich schon früher erklärt habe, f<strong>in</strong>den<strong>in</strong> der heutigen Gesellschaft Sri Lankas tumultartige Veränderungen auf allenEbenen statt und e<strong>in</strong>e der Folgen ist, dass der Mönch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zweideutige Situationgerät, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e be<strong>in</strong>ahe „zweifache B<strong>in</strong>dung“. Wenn er se<strong>in</strong>en Status aus demBlickw<strong>in</strong>kel des Dhamma betrachtet, sieht er sich (zum<strong>in</strong>dest theoretisch) als Abbildbuddhistischer Spiritualität, als lebendigen Vertreter des Ariya Sangharatana(Kle<strong>in</strong>od der Geme<strong>in</strong>de der edlen Jünger), e<strong>in</strong>en „Schatz ver<strong>die</strong>nstvollen Wirkensfür <strong>die</strong> Welt“. Wenn er sich jedoch <strong>in</strong> Bezug auf <strong>die</strong> zeitgenössische Gesellschaftbetrachtet, wird ihm das Gefühl vermittelt, e<strong>in</strong> Anachronismus zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Reliktaus e<strong>in</strong>em früheren Zeitalter, und so sieht er über se<strong>in</strong>em Status und se<strong>in</strong>erFunktion zutiefst beunruhigende Fragezeichen. Diese widersprüchlichen Aussagenkönnen e<strong>in</strong>en Zustand unerträglicher Spannung auslösen. E<strong>in</strong> Ventil <strong>die</strong>serSpannung ist es, den archaischen Status des Traditionalisten e<strong>in</strong>zunehmen und soe<strong>in</strong> Fürsprecher des starren Konservatismus zu werden, jedem Wechsel starrs<strong>in</strong>nigzu widerstehen. Das andere Ventil bewegt sich <strong>in</strong> entgegengesetzte Richtung:Rebellion gegen jegliche Autorität, sogar gegen den Dhamma selbst.61


Genau das, glaube ich, liegt dem Dilemma zugrunde, mit welchem so viele junge,fähige, <strong>in</strong>telligente und ernsthafte Mönche konfrontiert s<strong>in</strong>d, sobald sie den Statusals Novize abgeschlossen haben und vor der Aussicht stehen, sich lebenslänglichdem Sangha zu widmen. Mit dem <strong>in</strong>neren Ohr, selten laut ausgesprochen, kannman ihre Fragen hören, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der Luft hängen: „Sollen wir unser Leben als bloßeSymbole verbr<strong>in</strong>gen, an welchen andere ihre sentimentale Frömmigkeit aufhängenkönnen, an den Rand e<strong>in</strong>es säkularisierten Landes gedrängt, das <strong>in</strong> wilder Jagddem wirtschaftlichen Wachstum h<strong>in</strong>terherrennt? Sollen wir unsere Tage alsRandfiguren verbr<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ritualisierte Rout<strong>in</strong>e endloserEntgegennahme <strong>von</strong> Almosen, <strong>von</strong> Pirit-Rezitationen und Puja, als religiöseDekoration <strong>in</strong> den Lebensnischen der Leute, weit entfernt vom „wirklichen Tun“?Sollen wir damit fortfahren zu predigen, wobei <strong>von</strong> uns erwartet wird, dass wir nurwiederholen, was <strong>die</strong> Zuhörer schon hundertmal vorher gehört haben, nur um ihrenS<strong>in</strong>n für Frömmigkeit anzuregen?“Das rebellische und widerspenstige Verhalten so vieler junger Mönche, glaube ich,ist als stummer Protest gegen <strong>die</strong>ses Schicksal zu verstehen, e<strong>in</strong>e Art zu sagen:„Lasst uns nicht nach dem Wunschbild <strong>von</strong> jemand anders formen. Opfert unsereunbegebbare Menschlichkeit nicht auf dem Altar sozialer Erwartungen.“Wenn solche Botschaften recht verstanden werden, dann sehen wir, dass <strong>die</strong>angemessene Antwort nicht Entrüstung, sondern Mitgefühl und das herzlicheVerlangen zu helfen se<strong>in</strong> müsste. Wer dem Sangha helfen möchte, darf mit Kritikund Verurteilung nicht so schnell se<strong>in</strong>. Stattdessen muss er bereit se<strong>in</strong>, sichaufrichtig anzustrengen, um das Streben <strong>die</strong>ser jüngeren Mönche zu verstehen undihnen zu helfen, e<strong>in</strong>en Kontext zu f<strong>in</strong>den, der ihrem Leben Bedeutung und Wertverleiht sowie <strong>die</strong> Richtigkeit ihres Entschlusses zu ord<strong>in</strong>ieren bestätigt. Diewichtigsten Schritte s<strong>in</strong>d dabei <strong>von</strong> den Sangha-Ältesten zu tun, <strong>die</strong> den gesamtenProzess mönchischer Ausbildung überprüfen müssen. E<strong>in</strong> Punkt sollte dabei abervor allem klar verstanden werden. Die Forderung nach e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen Rolle <strong>in</strong>Bezug auf <strong>die</strong> heutige Gesellschaft sollte vom Mönch niemals dazu benutztwerden, e<strong>in</strong>en Lebensstil anzunehmen, der e<strong>in</strong> Verrat an se<strong>in</strong>er speziellenBerufung ist. Das bedeutet, dass der Mönch se<strong>in</strong> Ziel nicht als politischer Aktivist <strong>in</strong>der Gesellschaft suchen darf, gefangen <strong>in</strong> den endlosen Konflikten der Parteipolitik,62


noch sollte aus ihm e<strong>in</strong> Sozialarbeiter mit Tonsur gemacht werden oder e<strong>in</strong>Spezialist weltlicher Kunst und Wissenschaft. Die bestimmende Charakteristik imLeben des Mönchs ist der Verzicht, und <strong>die</strong>se sollte nicht durch <strong>die</strong> Sorge um e<strong>in</strong>es<strong>in</strong>nvolle Rolle <strong>in</strong> der Gesellschaft untergraben werden.Wenn auf rechte Weise geführt, ist das Leben der Entsagung <strong>von</strong> sich ausgenügend s<strong>in</strong>nvoll: als beständiger H<strong>in</strong>weis darauf, wo das wahre Wohl fürMenschenwesen zu f<strong>in</strong>den ist.Der beste Weg vielleicht, um E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> <strong>die</strong> Art der <strong>in</strong> der Mönchsausbildungbenötigten Veränderungen zu gew<strong>in</strong>nen, ist, <strong>die</strong> Frage zu stellen: „Welche Rollesollte der Mönch ausfüllen, sobald er <strong>die</strong> Reife erlangt hat?“ Und das führt zurnächsten Frage: „Was ist das rechte Ziel und der Zweck im Leben des Mönchs?“E<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvolles Programm der Mönchserziehung, das zugleich e<strong>in</strong> Programm dermönchischen Bildung ist, sollte als Antwort zu <strong>die</strong>sen Fragen ausgearbeitetwerden.Wenn wir <strong>die</strong> Gesamtsituation des Mönchstums <strong>in</strong> Sri Lanka betrachten, so sehenwir, dass <strong>die</strong> mönchische Schulung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land, mit nur wenigenbemerkenswerten Ausnahmen, traurige Mängel aufweist. Diesem Mangel liegt dasFehlen e<strong>in</strong>er klaren Vorstellung <strong>von</strong> der speziellen Berufung e<strong>in</strong>es Mönchszugrunde. Zugegeben, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land, wo etwa 70 Prozent der BevölkerungBuddhisten s<strong>in</strong>d, werden Mönche benötigt, welche auf <strong>die</strong> religiösen Bedürfnisseder Leute e<strong>in</strong>gestellt s<strong>in</strong>d. Wir müssen aber fragen, ob das <strong>die</strong> nahezu völligeVernachlässigung des e<strong>in</strong>zigartigen Systems spiritueller Schulung rechtfertigt,welche der Buddha für den Sangha vorschrieb? War es se<strong>in</strong>e Absicht, dass derOrden gänzlich aus Spezialisten für Rituale und aus Wächtern der Kultur besteht,das Beschreiten se<strong>in</strong>es Pfades <strong>in</strong> <strong>die</strong> Freiheit aber auf e<strong>in</strong>e künftige Existenzverschoben wird? Um bei e<strong>in</strong>er korrekten Vorstellung vom Ziel mönchischerSchulung anzulangen, müssen wir durch <strong>die</strong> etablierten Sozialnormen undverbreiteten Konventionen dr<strong>in</strong>gen, welche heute das Leben im Sanghabestimmen, ohne damit aufzuhören, bis wir zur ursprünglichen Konzeption dermönchischen Berufung zurückgefunden haben, <strong>die</strong> der Buddha selber verkündete.Diese Konzeption muss aus den massiven Bänden buddhistischen Schriftguts63


hervorgeholt werden und muss, verjüngt mit e<strong>in</strong>er Brise frischen W<strong>in</strong>des, alswahrer Grund für se<strong>in</strong>e Berufung vor dem <strong>in</strong>neren Auge des Mönchs stehen.Auf <strong>die</strong> Verwirklichung <strong>die</strong>ses Ideals sollte <strong>die</strong> mönchische Schulung gerichtet se<strong>in</strong>.Die Ausarbeitung der betreffenden Details ist e<strong>in</strong>e Aufgabe, für <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e großeMenge sorgsamer und <strong>in</strong>telligenter Gedanken aufzuwenden ist. Ich kann hier nurim Allgeme<strong>in</strong>en sprechen. Das erste, vorrangige Allgeme<strong>in</strong>e ist, zu erkennen, dassder primäre Zweck auf dem mönchischen Pfad persönliches Reifen und spirituelleWandlung <strong>in</strong> <strong>die</strong> vom Buddha gewiesene Richtung ist: Reifung zum Nibbana,endgültige Befreiung vom Leid und Wandlung, geleitet durch <strong>die</strong> klar umrissenenSchritte des Edlen Achtfachen Pfades. Diese kühne Ausdrucksweise undDarstellung des Zieles mag aber zu abstrakt und zu weit entfernt <strong>von</strong> denAlltagssorgen und Begabungen e<strong>in</strong>es jungen Mönchs se<strong>in</strong>, der gerade am Anfangse<strong>in</strong>er Ausbildung steht. Wir wollen es also anders ausdrücken, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sprache,<strong>die</strong> unmittelbarer und konkreter ist: Der Zweck des Mönchslebens ist, den Geist zuschulen, den Geist zu läutern und den Geist <strong>in</strong> Richtung auf <strong>die</strong> Befreiung <strong>von</strong> Gier,Hass und Verblendung zu formen; <strong>in</strong> den Geist <strong>die</strong> läuternden Qualitäten desLoslassens, liebender Güte, des Mitgefühls und der Weisheit e<strong>in</strong>zupflanzen und<strong>die</strong>ses Streben mit anderen zu teilen. Welche Ausdrucksweise dabei gewählt wird,ist <strong>von</strong> sekundärer Bedeutung. Was jedoch <strong>von</strong> primärer Wichtigkeit ist, ist <strong>die</strong> klareErkenntnis, dass der bestimmende Zweck im Leben des Mönches se<strong>in</strong> spirituellesWachstum und <strong>die</strong> <strong>in</strong>nerste Wandlung se<strong>in</strong> sollte, und alle anderen Aspekte derSchulung sollten dem untergeordnet werden.Um e<strong>in</strong>en solchen Vorschlag zu verwirklichen, wird erforderlich, dass der Sanghae<strong>in</strong>e Diszipl<strong>in</strong> wiederentdeckt, <strong>die</strong> fast verloren gegangen ist, nämlich <strong>die</strong> Ausübungder Meditation. Meditation, <strong>die</strong> methodische Entwicklung der Ruhe und E<strong>in</strong>sicht,war das ursprüngliche Lebensblut im Alltag des Mönchs, doch ist sie heute für <strong>die</strong>meisten Mönche nur noch e<strong>in</strong> Wort, vielleicht e<strong>in</strong> Thema <strong>in</strong> Predigten undSem<strong>in</strong>aren oder zehn M<strong>in</strong>uten der Stille bei der täglichen Ausübung der Andacht.Nach me<strong>in</strong>er Ansicht ist e<strong>in</strong> mönchisches Leben, das nicht auf <strong>die</strong> Ausübung <strong>von</strong>Meditation ausgerichtet ist, nur e<strong>in</strong> Schatten der echten mönchischen Berufung, e<strong>in</strong>Umgehen der Aufgabe, <strong>die</strong> dem Sangha vom Erleuchteten anvertraut wurde.64


Es ist mir bewusst, dass nicht alle, <strong>die</strong> sich auf den Weg machen, zu e<strong>in</strong>em Lebenganztägiger Meditation fähig s<strong>in</strong>d, und ich würde sicherlich nicht vorschlagen, dassalle Mönche dazu verpflichtet se<strong>in</strong> sollten, e<strong>in</strong>em solchen Lebensstil zu folgen. Inder Tat werden es nur wenige se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em lediglich der Kontemplationgewidmeten Leben ihr Glück f<strong>in</strong>den können. Der Sangha hat während se<strong>in</strong>erlangen Geschichte stets <strong>die</strong> notwendige Flexibilität besessen, Mitgliederunterschiedlicher Fähigkeiten und Temperamente aufzunehmen. Innerhalb desSangha muss es Verwalter geben, Gelehrte, Lehrer, Prediger, Sozialberater,Rechtsberater, Spezialisten für Rituale und anderes, und <strong>die</strong> mönchischeAusbildung muss Mönche darauf vorbereiten, <strong>die</strong>se verschiedenen Nischen zufüllen – was <strong>in</strong> der christlichen Mönchstradition „aktive Berufung“ genannt wird.Mönche mit mehr <strong>in</strong>tellektueller Neigung müssen auch mit den verschiedenenZweigen modernen Wissens Kontakt bekommen, was sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Lage versetzenwird, Brücken zwischen dem Dhamma und dem <strong>in</strong>tellektuellen Voranschreiten derMenschheit herzustellen: zur Philosophie und Psychologie, zur vergleichendenReligionswissenschaft, zur Geschichte, Literatur und Kunst. Damit aber dasMönchsleben se<strong>in</strong>er ursprünglichen Berufung treu bleibt, muss <strong>die</strong> Ausübung derMeditation wieder an ihren rechtmäßigen Platz gerückt werden: Nicht am Rande,sondern direkt im Zentrum.Das meditative Leben muss auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>die</strong> universale, sozialeBotschaft des Dhamma <strong>in</strong>tegriert werden; bleibt es <strong>in</strong> sich verschlossen, läuft esGefahr zu stagnieren. Tatsächlich war e<strong>in</strong>e der bedauerlichsten Wendungen, <strong>die</strong> <strong>in</strong>der historischen Entwicklung des Theravada-Buddhismus stattfand, zwar nicht aufSri Lanka beschränkt, aber hier doch sehr verbreitet: <strong>die</strong> scharfe Unterteilung desSangha <strong>in</strong> meditierende Waldmönche und nicht-meditierende Stadt- undDorfmönche. Dieser Bruch beraubte beide Gruppen der gesunden Balance, <strong>die</strong>gebraucht wird, um den Dhamma <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land und der übrigen Welt zu e<strong>in</strong>erspirituell nahrhaften Kraft zu machen.Die Waldmönche leben nahezu völlig abseits <strong>von</strong> der Gesellschaft und tragen so,außer durch ihr stilles Vorbild, kaum mit ihrer meditativen E<strong>in</strong>sicht und verfe<strong>in</strong>ertenmoralischen Sensitivität zur Lösung der profunden ethischen und spirituellenZwangslagen bei, mit welchen <strong>die</strong> breitere menschliche Gesellschaft konfrontiert65


ist. Die Verantwortung für <strong>die</strong> Aufrechterhaltung der sozialen und kommunalenDimensionen buddhistischen Lebens wird den aktiven Stadt- und Dorfmönchenübertragen, <strong>die</strong> nur zu leicht dazu neigen, <strong>die</strong> Wächterrolle über e<strong>in</strong> speziellessoziales und ethnisches Bewusstse<strong>in</strong> anzunehmen.Es ist heute nicht nur der Buddhismus <strong>in</strong> Sri Lanka, der am Scheideweg steht,sondern auch der Sangha, und <strong>die</strong> Richtung, welche e<strong>in</strong>geschlagen wird, bestimmtdas künftige Geschick der Botschaft des Buddha. Die Herausforderungen unsererZeit s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>zigartig und ohne Präzedenz, sie erfordern <strong>in</strong>telligente Antworten, <strong>die</strong><strong>von</strong> den weiten, profunden Perspektiven des Dhamma gelenkt werden. Dasmechanische Wiederholen der Formeln der Vergangenheit wird e<strong>in</strong>fach nichtfunktionieren. Wenn der Sangha damit fortfährt, ohne Überlegung an etablierten,selbstverdummenden Strukturen festzuhalten, und <strong>die</strong> dr<strong>in</strong>gende Aufgabe der<strong>in</strong>ternen Kritik und Erneuerung nicht angeht, so verurteilt er sich selbst und denBuddhismus Sri Lankas zur Bedeutungslosigkeit. Sowohl für <strong>die</strong> wachsamen Laien-Buddhisten als auch <strong>die</strong> Weltgeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong>sgesamt wird er dann nur e<strong>in</strong>e weitereantiquierte Institution se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> darum kämpft, ihre Privilegien zu erhalten. E<strong>in</strong>eWolke moralischer und spiritueller Wirrnis hängt heute über der Menschheit, e<strong>in</strong>eWolke, <strong>die</strong> zunehmend dunkler und dichter wird. Es ist <strong>die</strong> echte Aufgabe desSangha und des Buddhismus selbst, dabei zu helfen, <strong>die</strong>se Wirrnis mit desBuddhas eigener grenzenloser Weisheit und se<strong>in</strong>em Mitgefühl aufzulösen. Wennsich der Sangha <strong>die</strong>ser Herausforderung stellen soll, so muss er zu radikalenÄnderungen bereit se<strong>in</strong>: <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em eigenen System der Aufnahme <strong>von</strong> Bewerbern,<strong>in</strong> der Schulung und <strong>in</strong> der Praxisausübung. Das wird wahrlich e<strong>in</strong>e schwierigeAufgabe, aber sie muss erfüllt werden.ENDE66


Auszüge aus e<strong>in</strong>em Interview mit <strong>Bhikkhu</strong> <strong>Bodhi</strong> im Herbst 2002 im Magaz<strong>in</strong>Insight:Was halten Sie <strong>von</strong> der Tatsache, dass der Buddhismus <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land so populärwird?Es ist nicht schwer zu verstehen, warum der Buddhismus zu <strong>die</strong>sem Zeitpunktunserer Geschichte für <strong>die</strong> Amerikaner attraktiv se<strong>in</strong> sollte. Die theistischenReligionen haben ihren E<strong>in</strong>fluss auf den Geist vieler gebildeter Amerikanerverloren, und das hat e<strong>in</strong> tiefes spirituelles Vakuum h<strong>in</strong>terlassen, das gefüllt werdenmöchte. Für viele s<strong>in</strong>d materielle Werte zutiefst unbefriedigend, und derBuddhismus bietet e<strong>in</strong>e Lehre, <strong>die</strong> genau dazu passt. Er ist rational, empirischerfahrbar, praktisch anwendbar und persönlich nachvollziehbar. Se<strong>in</strong>e Ausübungbr<strong>in</strong>gt konkreten, im eigenen Leben erfahrbaren Nutzen. Er vertritt hohe ethischeIdeale und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tellektuell befriedigende Philosophie. Zudem, und das ist wenigergünstig, hat er e<strong>in</strong>en exotischen Flair, der jene anzieht, <strong>die</strong> <strong>von</strong> mystischen undesoterischen D<strong>in</strong>gen fasz<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d.Die große Frage, <strong>die</strong> wir uns stellen müssen, ist, <strong>in</strong> welchem Ausmaß derBuddhismus umgeformt werden sollte, um den besonderen Eigenheiten deramerikanischen Kultur zu entsprechen. Durch se<strong>in</strong>e ganze Geschichte h<strong>in</strong>durch hatsich der Buddhismus den Gegebenheiten der e<strong>in</strong>heimischen Kultur undGedankenwelt der Länder, <strong>in</strong> denen er Fuß fasste, angepasst. Doch trotz <strong>die</strong>serVeränderungen, <strong>die</strong> es ihm erlaubten, sich <strong>in</strong> verschiedenen kulturellen Umfeldernzu entwickeln, blieb er normalerweise se<strong>in</strong>en grundlegenden E<strong>in</strong>sichten treu. Dasmag <strong>die</strong> größte Herausforderung se<strong>in</strong>, welcher sich der Buddhismus <strong>in</strong> Amerikastellen muss. Hier ist das <strong>in</strong>tellektuelle Milieu so grundverschieden <strong>von</strong> allem, wasder Buddhismus je vorgefunden hat, dass wir <strong>in</strong> unserer Eile, <strong>die</strong> notwendigenAnpassungen vorzunehmen, unwissentlich <strong>die</strong> grundlegenden Pr<strong>in</strong>zipien desDhamma verwässern oder sogar ganz verlieren könnten. Ich denke, wir sollten sehrvorsichtig se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>en mittleren Weg zwischen e<strong>in</strong>em zu starren Befolgen derasiatischen Formen und übermäßiger Nachgiebigkeit gegenüber demgegenwärtigen westlichen – und besonders dem amerikanischen – <strong>in</strong>tellektuellen,67


sozialen und kulturellen Druck. Es mag nicht besonders vorteilhaft se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>eVersion des Theravada-Buddhismus nach Amerika zu importieren, <strong>die</strong> alle Bräucheund Verhaltensweisen aus Südostasien mitbr<strong>in</strong>gt. Aber ich glaube, dass esessenziell ist, <strong>die</strong> Pr<strong>in</strong>zipien, <strong>die</strong> den Kern des Dhamma bilden, zu erhalten und deneigentlichen Zweck, um dessentwillen man <strong>die</strong> Übung des Dhamma auf sich nimmt,klar herauszustellen. Wenn wir unüberlegt daran herumdoktern, riskieren wir, <strong>die</strong>Essenz zusammen mit den äußerlichen Auswüchsen zu verlieren. In unserergegenwärtigen Situation besteht, wie ich denke, <strong>die</strong> hauptsächliche Gefahr nicht imunflexiblen Bestehen auf althergebrachten buddhistischen Formen, sondern <strong>in</strong> derübermäßigen Anpassung an das westliche Gedankengut. In vielen derbuddhistischen Veröffentlichungen, <strong>die</strong> ich gesehen habe, konnte ich Anzeichene<strong>in</strong>es weit verbreiteten Programms bemerken, das schon fast als verpflichtendempfunden wird, nämlich <strong>die</strong> buddhistischen Übungen aus ihrer Verwurzelung imbuddhistischen Glauben und der buddhistischer Lehre herauszuziehen und sie <strong>in</strong>e<strong>in</strong> grundlegend weltliches Umfeld zu verpflanzen, dessen Abgrenzungen durchden westlichen Humanismus, <strong>in</strong>sbesondere durch <strong>die</strong> humanistische undtranspersonale Psychologie def<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d.Können Sie erläutern, wie das geschieht?Ich denke, wir sehen Beispiele da<strong>von</strong> <strong>in</strong> der Anwendung <strong>von</strong> Vipassana-Meditationals Anhang oder Begleiter <strong>von</strong> westlicher Psychotherapie. Eigentlich mache ich mirnicht viele Gedanken über <strong>die</strong> Psychologen, <strong>die</strong> buddhistische Methoden nutzen,um psychologische Heilung zu fördern. Wenn buddhistische Meditation denMenschen helfen kann, sich besser zu fühlen oder mit größerer Bewusstheit undmehr Gleichmut zu leben, ist das gut. Wenn Psychotherapeuten buddhistischeMeditation als Werkzeug der <strong>in</strong>neren Heilung nutzen können, sage ich: Nur zu.Schließlich hat der Tathagata nicht „<strong>die</strong> geschlossene Faust e<strong>in</strong>es Lehrers“, und wirsollten andere vom Dhamma nehmen lassen, was sie effektiv für nutzbr<strong>in</strong>gendeZiele verwenden können.Worüber ich mir Sorgen mache, ist der Trend unter den heutigen buddhistischenLehrern, <strong>die</strong> Grundpr<strong>in</strong>zipien der Lehre Buddhas <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e weitgehend68


psychologische Term<strong>in</strong>ologie umzumodeln und dann zu sagen: „Das ist Dhamma“.Wenn das geschieht, kann es se<strong>in</strong>, dass wir nie erkennen, dass der wahre Zweckder Lehre <strong>in</strong> ihrem eigenen Rahmen nicht dar<strong>in</strong> besteht, zu „Heilung“ oder„Ganzheitlichkeit“ oder zum „Sich-selbst-Annehmen“ zu führen, sondern dazu, denGeist auf den Weg <strong>in</strong> Richtung Freiheit zu br<strong>in</strong>gen. Und das, <strong>in</strong>dem alle geistigenFaktoren, <strong>die</strong> für unser Gebundense<strong>in</strong> und unser Leid verantwortlich s<strong>in</strong>d, erstabgeschwächt und schließlich entwurzelt werden. Wir sollten uns daran er<strong>in</strong>nern,dass der Buddha das Dhamma nicht als „Lebenskunst“ lehrte – obwohl es auchdas be<strong>in</strong>haltet –, sondern vor allem als Befreiungsweg, als Weg zu endgültigerFreiheit und Erleuchtung. Und was der Buddha mit Erleuchtung me<strong>in</strong>t, ist nicht e<strong>in</strong>Feiern der menschlichen Bed<strong>in</strong>gtheit, ke<strong>in</strong> passives Sich-Abf<strong>in</strong>den mit unserenSchwächen, sondern e<strong>in</strong> Überw<strong>in</strong>den unserer Beschränkungen durch e<strong>in</strong>enradikalen, revolutionären Durchbruch zu e<strong>in</strong>er vollkommen anderen Dimension desSe<strong>in</strong>s.Das ist es, was ich am Dhamma am spannendsten empf<strong>in</strong>de, dass es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ertranszendenten Dimension gipfelt, <strong>in</strong> der wir alle Fehler und Verletzlichkeiten dermenschlichen Bed<strong>in</strong>gtheit überw<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>schließlich selbst des Todes. Das Zieldes buddhistischen <strong>Wege</strong>s besteht nicht dar<strong>in</strong>, achtsam zu leben und zu sterben(obwohl auch das e<strong>in</strong>e wertvolle Errungenschaft wäre), sondern dar<strong>in</strong>, Leben undTod vollständig zu transzen<strong>die</strong>ren, um das Todlose, das Unermessliche, Nibbanazu erreichen. Das ist das Ziel, das der Buddha selbst während se<strong>in</strong>er eigenenSuche nach Erleuchtung verfolgte, und es ist <strong>die</strong>se Errungenschaft, <strong>die</strong> se<strong>in</strong>Erwachen der Welt eröffnete. Darauf ist <strong>die</strong> richtige Dhamma-Übung ausgerichtet,das ist der Zweck, zu dem <strong>die</strong> Übung <strong>in</strong> ihrem ursprünglichen Rahmenunternommen wird.Dieser Zweck wird jedoch aus den Augen verloren, wenn E<strong>in</strong>sichtsmeditation nurals Weg zu e<strong>in</strong>em achtsamen Leben gelehrt wird, um achtsam und gelassenGeschirr zu spülen und Babyw<strong>in</strong>deln zu wechseln. Wenn <strong>die</strong> transzendenteDimension des Dhamma, der Grund se<strong>in</strong>er Existenz, außen vor gelassen wird,bleibt uns me<strong>in</strong>er Ansicht nach nur e<strong>in</strong>e ausgemergelte, geschwächte Version der69


Lehre, <strong>die</strong> nicht länger als Fahrzeug zur Befreiung <strong>die</strong>nen kann. Auch wenn <strong>die</strong>richtige Übung des Dhamma uns jede Menge Glück <strong>in</strong> der Welt beschert, so drehtsich <strong>die</strong> Lehre letztendlich nicht darum, <strong>in</strong> der Welt glücklich zu leben, sonderndarum, das „Ende der Welt“ zu erreichen. E<strong>in</strong> Ende, das nicht <strong>in</strong> den weitentfernten Regionen des Weltalls gefunden wird, sondern <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem klaftergroßenKörper zusammen mit se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>nen und dem Bewusstse<strong>in</strong>.Sie glauben also nicht, dass das Dhamma als Weg zur Befreiung gelehrt wird?Den E<strong>in</strong>druck, den ich <strong>von</strong> dem, was ich <strong>in</strong> den gegenwärtigen westlichenbuddhistischen Veröffentlichungen gelesen habe, bekomme, ist, dass <strong>die</strong>serAspekt der buddhistischen Praxis wenig Beachtung f<strong>in</strong>det. Ich höre, wie Studentenbeigebracht wird, sich selbst zu akzeptieren; <strong>in</strong> der Gegenwart <strong>von</strong> Moment zuMoment ohne Anhaften und Festhalten zu leben; sich an ihrer Verletzlichkeit zuerfreuen, sie wertzuschätzen und sie zu feiern. Noch mal: ich möchte <strong>die</strong>Bedeutung e<strong>in</strong>er gesunden psychologischen E<strong>in</strong>stellung beim Umgang mit derÜbung nicht herunterspielen. Für e<strong>in</strong>e Person, <strong>die</strong> sich selbst schlecht macht, <strong>die</strong>immer niedergeschlagen und schlecht drauf ist, ist <strong>die</strong> <strong>in</strong>tensive meditative Übungwahrsche<strong>in</strong>lich eher schädlich als nützlich. Das Gleiche könnte man auch <strong>von</strong> e<strong>in</strong>erPerson sagen, der e<strong>in</strong> starkes Zentrum psychologischer Integration fehlt, oder <strong>von</strong>e<strong>in</strong>er, <strong>die</strong> versucht, ihre Schwächen und Empf<strong>in</strong>dlichkeiten zu verleugnen, <strong>in</strong>demsie e<strong>in</strong>e Fassade <strong>von</strong> Stärke und Selbstbewusstse<strong>in</strong> aufrechterhält.Aber ich muss deutlich darauf h<strong>in</strong>weisen, dass <strong>die</strong> Übung, <strong>die</strong> den klarenZielvorstellungen des Buddha entspricht, voraussetzt, dass wir darauf vorbereitets<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e kritische E<strong>in</strong>stellung gegenüber der gewöhnlichen Funktionsweiseunseres Geistes e<strong>in</strong>zunehmen. Das be<strong>in</strong>haltet unsere Schwächen, also unseregeistigen Trübungen zu sehen, nicht als etwas, das wir feiern sollten, sondern alswunden Punkt, als Symptom unseres „Gefallense<strong>in</strong>s“, unserer Bed<strong>in</strong>gtheit. Siesetzt auch voraus, dass wir fest entschlossen s<strong>in</strong>d, uns <strong>in</strong> unserer geistigenFunktionsweise zu transformieren, sowohl <strong>von</strong> Moment zu Moment als auch <strong>in</strong>ihren längerfristigen stabileren und anhaltenden Auswirkungen.70


Das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g des Buddha auf sich zu nehmen heißt also, e<strong>in</strong>e scharfe, klareTrennung zu vollziehen zwischen unserem Charakter (Neigungen, Ges<strong>in</strong>nungen,Gewohnheiten etc.), so wie er jetzt ist, und den Idealen, <strong>die</strong> wir anstreben unddurch unsere Übung des buddhistischen <strong>Wege</strong>s zu verkörpern suchen. Diegeistigen Geneigtheiten, <strong>die</strong> wir erkennen müssen und versuchen zu berichtigen,s<strong>in</strong>d unsere kilesas, <strong>die</strong> Befleckungen oder Herzenstrübungen: Die dreigrundlegenden Befleckungen Gier, Hass und Verblendung und ihre zahlreichenAbkömml<strong>in</strong>ge, wie Ärger, Sturheit, Arroganz, Eitelkeit, Eifersucht, Selbstsucht,Sche<strong>in</strong>heiligkeit etc.Das große Ziel, auf das der buddhistische Weg uns h<strong>in</strong>weist, s<strong>in</strong>d also nicht <strong>die</strong>Wunder unseres „gewöhnlichen Geistes“, sondern der Geist, der, gere<strong>in</strong>igt <strong>von</strong>allen Befleckungen und E<strong>in</strong>flüssen, erhellt ist <strong>von</strong> wahrer Weisheit, der Geist, der<strong>von</strong> allen Banden und Fesseln befreit und durchtränkt ist <strong>von</strong> universeller Liebe undMitgefühl, das aus der Tiefe und Klarheit des Verständnisses entsteht. Die Übungdes buddhistischen <strong>Wege</strong>s ist <strong>die</strong> systematische Art, <strong>die</strong> Kluft zwischen unseremgewöhnlichen, unerleuchteten Geist und dem erleuchteten, befreiten Zustand, denwir anstreben, zu schließen, e<strong>in</strong>em Zustand, der sich zum Todlosen erhebt unde<strong>in</strong>s damit wird.Um <strong>die</strong>ses transzendente Ziel zu erreichen, bedarf es e<strong>in</strong>es präzisen, detailliertenund systematisch fortschreitenden Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs, dessen grundlegendste Bemühungdar<strong>in</strong> besteht, den eigenen Geist zu kontrollieren und zu meistern. Man beg<strong>in</strong>nt mitder Entwicklung so grundlegender Qualitäten wie Vertrauen, H<strong>in</strong>gabe,Tugendhaftigkeit und Großzügigkeit, schreitet fort zur Entwicklung der Sammlungund langt schließlich bei direkter E<strong>in</strong>sicht und wahrer Weisheit an.71


Wie kann man sowohl als Laie als auch als jemand, der ernsthaft den Weg zurBefreiung beschreiten möchte, üben?Ich empfehle <strong>die</strong> fünf Qualitäten der „überlegenen Person“, <strong>die</strong> oft <strong>von</strong> Buddhahervorgehoben wurden: Vertrauen, Tugend, Großzügigkeit, Gelehrtheit undWeisheit.Ich weiß, dass das heutzutage nicht gern gehört wird, aber als religiöser Buddhist,der ich nun mal b<strong>in</strong>, glaube ich, dass das wahre Dhamma des Buddha nurausgeübt werden kann, wenn es <strong>in</strong> dem Vertrauen wurzelt, dass der Buddha dere<strong>in</strong>zigartige, vollkommen erwachte Lehrer ist und das Dhamma e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartigeLehre, <strong>die</strong> Ansichten der Realität offenbart, <strong>die</strong> durch andere Lehren nichtzugänglich s<strong>in</strong>d. Ich befürchte, dass, wenn Vertrauen e<strong>in</strong>e freie Variable wird, <strong>die</strong>sich auf alles richten kann, was me<strong>in</strong>en tief empfundenen Bedürfnissen entspricht,es uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sackgasse führen kann, anstatt uns den Antrieb zur vollständigenVernichtung des Leidens zu geben ... Vertrauen erlaubt uns gerade, auf jeneEröffnungen des Buddha zu bauen, <strong>die</strong> unserem normalen Verständnis der Weltund unserem Verhalten dar<strong>in</strong> entgegenstehen. Man sollte daran denken, dass <strong>die</strong>Lehre des Buddha „gegen den Strom“ (patisotagami) unserer gewohnheitsmäßigenAnnahmen und E<strong>in</strong>stellungen geht. Schließlich drehen sich <strong>die</strong> meisten unsererGewohnheiten um den Wunsch, Freude zu erfahren, Schmerz zu vermeiden und<strong>die</strong> Illusion aufrechtzuerhalten, dass wir das Zentrum des Universums s<strong>in</strong>d. Wenndas persönliche Erleben des Leidens deutlich genug wird, wird es dazu führen,dass uns <strong>die</strong>se Gewohnheiten abstoßend ersche<strong>in</strong>en und wir Vertrauen <strong>in</strong> <strong>die</strong>Worte Buddhas setzen und sie zu unserer Leitl<strong>in</strong>ie auf dem Weg zur Befreiungmachen.Tugendhaftigkeit umfasst viel mehr als das re<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>halten <strong>von</strong> Regeln undVorschriften während e<strong>in</strong>es Meditationskurses. Darüber h<strong>in</strong>ausgehend ist <strong>die</strong>vorsätzliche Kultivierung der positiven Charakterqualitäten, <strong>die</strong> der Zügelung durch<strong>die</strong> fünf Übungsregeln zugrunde liegen. Diese positiven Qualitäten be<strong>in</strong>halten <strong>die</strong>Entwicklung <strong>von</strong> Freundlichkeit und Mitgefühl; <strong>von</strong> Aufrichtigkeit und Zufriedenheit;<strong>die</strong> Zügelung des s<strong>in</strong>nlichen Verlangens und <strong>die</strong> Treue gegenüber dem Ehepartner;72


e<strong>in</strong>e starke Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit <strong>in</strong> allen Kommunikationsformen; unde<strong>in</strong>en nüchternen, klaren und ausgeglichenen Geist.Auf <strong>die</strong>ser Ebene der Dhamma-Übung im täglichen Leben wird sie tatsächlich zu„Lebenskunst“ – nicht auf e<strong>in</strong>e Weise, welche <strong>die</strong> traditionelle Idee desBefreiungsweges verdrängt, sondern als e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong> Wegweisern für den <strong>in</strong> derWelt Lebenden. Das Dhamma wird zu e<strong>in</strong>er verständlichen Landkarte, <strong>die</strong> unserlaubt, unseren Weg durch <strong>die</strong> vielen schwierigen Herausforderungen des Alltagszu f<strong>in</strong>den. Es handelt sich nicht um e<strong>in</strong> Set starrer Regeln, sondern um e<strong>in</strong> Set <strong>von</strong>Werten, <strong>die</strong> uns <strong>in</strong> <strong>die</strong> Lage versetzen, mit anderen auf heilsame undnutzbr<strong>in</strong>gende Weise <strong>in</strong> Beziehung zu treten.Die dritte Qualität, Großzügigkeit, wird <strong>in</strong> buddhistischen Ländern als Spenden anden Sangha verstanden, aber ich denke, bei uns könnte Großzügigkeit e<strong>in</strong>ebreitere Anwendung f<strong>in</strong>den und auch e<strong>in</strong> Ausdruck des Mitgefühls se<strong>in</strong> für jene,welchen es schlechter geht als uns selbst. Man könnte sich beispielsweise dazuentschließen, e<strong>in</strong>en Prozentsatz des E<strong>in</strong>kommens an geme<strong>in</strong>nützigeOrganisationen und Hilfsprojekte zu spenden.Die vierte Qualität des ernsthaften Laien ist Gelehrsamkeit oder Studium. Dasumfasst <strong>die</strong> Anstrengung, sich e<strong>in</strong>e klare begriffliche Vorstellung des Dhamma oderzum<strong>in</strong>dest se<strong>in</strong>er Grundzüge anzueignen. Auch wenn man nicht dazu bereit ist, <strong>die</strong>Texte im Detail zu stu<strong>die</strong>ren, sollte man sich doch vor Augen halten, dass dasbuddhistische Verständnis der Existenz <strong>die</strong> Grundlage der Meditation bildet unddaher das systematische Studium zum Erfolg der Übung beitragen kann.Die fünfte Qualität des Laienanhängers ist Weisheit. Sie beg<strong>in</strong>nt mit dem<strong>in</strong>tellektuellen Verständnis und gipfelt <strong>in</strong> der durch <strong>die</strong> Meditation erfahrenenE<strong>in</strong>sicht.Wenn wir den buddhistischen Weg bis zu Ende gehen wollen, sollten wir uns e<strong>in</strong>elangfristige Perspektive aneignen, und das bedeutet, sowohl Geduld als auchEntschlossenheit zu entwickeln. Geduld stellt sicher, dass wir nicht nur auf schnelle73


Resultate aus s<strong>in</strong>d und darauf, persönliche Erfolge <strong>in</strong> der Meditation unseremLebenslauf h<strong>in</strong>zufügen zu können. Geduld ermöglicht es uns, lange durchzuhalten,auch <strong>in</strong> den harten und unfruchtbaren Phasen, mit denen wir es unweigerlich zu tunbekommen. Entschlossenheit oder Eifer bedeutet, dass wir, obwohl der Weg langund schwierig se<strong>in</strong> mag, den Mut nicht verlieren, aufgeben oder nachlässig werden.Stattdessen bleiben wir entschlossen, unserem Vorsatz treu den Pfad zubeschreiten, ganz gleich, wie viele Leben es dauern mag, im Vertrauen darauf,dass wir <strong>in</strong> dem Maß, <strong>in</strong> dem wir eifrig streben, voranschreiten, auch wenn derFortschritt nicht sofort offensichtlich ist.Um dem Dhamma richtig nachzufolgen, benötigen wir auch e<strong>in</strong>e demütigeE<strong>in</strong>stellung. Sonst könnten wir auf <strong>die</strong> Idee kommen zu behaupten, wir könnten dasDhamma wirklich verstehen und richtig lehren, nur weil wir e<strong>in</strong> schnelles Sutten-Studium absolviert oder e<strong>in</strong> paar Jahre Meditationsretreats h<strong>in</strong>ter uns haben. Esmag weniger voreilig se<strong>in</strong>, wenn wir uns das Dhamma als sehr hohes Gebirgevorstellen und uns selbst als Bergsteiger <strong>in</strong> den Vorbergen, vor denen noch e<strong>in</strong>langer Weg zum Gipfel liegt. Was wir brauchen, ist das Vertrauen, dass es <strong>die</strong>serbesondere Weg ist, der uns zum Gipfel führen wird, <strong>die</strong> Geduld, auf dem Wegjeden Tag e<strong>in</strong>ige Schritte emporzusteigen, und <strong>die</strong> Entschlossenheit, nichtaufzugeben, bevor wir den Gipfel erreicht haben.74


Das Dhamma-Dana-Projekt der BGM:www.buddhismus-muenchen.deDas Dhamma-Dana-Projekt der Buddhistischen Gesellschaft München e.V. (BGM), hat sich dasZiel gesetzt, ausgesuchte Dhamma-Literatur <strong>in</strong> deutscher Übersetzung für ernsthaft Übende zurVerfügung zu stellen. Zudem soll mit dem Material, das <strong>die</strong> BGM-Stu<strong>die</strong>ngruppe erarbeitet hat, dasvertiefende E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> <strong>die</strong> ursprüngliche Lehre Buddhas erleichtert werden.Diese Veröffentlichungen s<strong>in</strong>d nicht profitorientiert, sondern sollen sich selbst tragen. So f<strong>in</strong>anziertder Gew<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Buches <strong>die</strong> Herstel-lung des nächsten. Langfristige Zielsetzung des Projektes istes - wie <strong>in</strong> Asien üblich - Dhamma-Bücher zur freien Verteilung bereit-zustellen. Das ist bereits füre<strong>in</strong>ige Bücher und Hefte gelungen, <strong>die</strong> deshalb leider nicht im Buchhandel erhältlich se<strong>in</strong> können.Wie lange e<strong>in</strong>e freie Verteilung möglich ist, hängt ganz alle<strong>in</strong> vom Spendenaufkommen ab.Das Dhamma-Dana-Projekt wurde 2004 <strong>von</strong> der Familie H. Euler Stiftung „MahabodhiBuddhistische Begegnungsstätte“ (MBB) als förderungswürdig anerkannt.Im Buchhandel erhältlichBuddhadâsa <strong>Bhikkhu</strong>Kernholz des <strong>Bodhi</strong>baumsSuññatâ verstehen und lebenISBN 3-8311-0028-4Buddhadâsa <strong>Bhikkhu</strong>ÂnâpânasatiDie sanfte Heilung der spirituellenKrankheitISBN 3-8311-3271-2Ñânananda <strong>Bhikkhu</strong>Der Zauber des Geistesoder Viel Lärm um NichtsISBN 3-8330-0560-2Nicht im BuchhandelBGM- Stu<strong>die</strong>ngruppeOpanayikoBuddhistische Grundstu<strong>die</strong>nSantikaro <strong>Bhikkhu</strong> & ViriyaDânaBedeutung und Verhältnis zurKonsumgesellschaftAjahn SumedhoErkenntnis geschieht jetztBuddhadâsa <strong>Bhikkhu</strong>Der GeistBuddhadâsa <strong>Bhikkhu</strong>Das buddhistische ABCDhamma-Pr<strong>in</strong>zipien für kluge LeuteBuddhadâsa <strong>Bhikkhu</strong>Dhamma-SozialismusLeonard A. BullenBuddhismus – e<strong>in</strong> Weg derGeistesschulungBuddhadâsa <strong>Bhikkhu</strong>Der Weg zu vollkommener geistigerGesundheitE<strong>in</strong>e kurze E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> buddhistischeLehr<strong>in</strong>halteDhammapala VerlagE<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> <strong>die</strong> E<strong>in</strong>sichtsmeditationBGM- Stu<strong>die</strong>ngruppeDer Kammabegriff im PalibuddhismusBGM-Stu<strong>die</strong>ngruppeDie S<strong>in</strong>gâlaka SuttaDer Laien V<strong>in</strong>aya, e<strong>in</strong>e ZeitloseLebenskunstDieter BaltruschatMeditation <strong>in</strong> SüdostasienReatreatführer75


In VorbereitungHe<strong>in</strong>z ReißmüllerPâliE<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> <strong>die</strong> Sprache desBuddhaR. G. de S. WettimunyDie Lehre des Buddha und ihrewesentliche BedeutungBuddhadâsa <strong>Bhikkhu</strong>Handbuch für <strong>die</strong> Menschheit(Neuübersetzung)BGM-Stu<strong>die</strong>ngruppeE<strong>in</strong> Lehrer der TatUrsache und Wirkung des menschlichenHandelnsViriyaDas Fenster öffnenErläuterungen zu den Paramita <strong>in</strong> denSuttenZu beziehen über: dhamma-dana@buddhismus-muenchen.deAlle Bücher, Hefte sowie e<strong>in</strong>zelne Texte können auch kostenlos aus dem Internetheruntergeladen werden: www.dhamma-dana.deWenn Sie <strong>die</strong>ses Projekt unterstützen möchten, überweisenSie Ihre Spende bitte auf <strong>die</strong>ses Konto:BGM, Postbank München, Kto: 296188807, BLZ 70010080Für Auslandsüberweisungen:IBAN: DE 33700100800296188807, SWIFT/BIC-Code: PBNKDEFFNotwendigkeit des StudiumsBuddhist zu se<strong>in</strong> heißt, Schüler oder Nachfolger des Buddha zu se<strong>in</strong>. Deshalb sollte er oder siewissen, was der Lehrer selbst erklärt hat. Sich mit Wissen aus zweiter Hand auf Dauer zufriedenzu geben, ist nicht ausreichend. Vor allem Laienanhänger wissen oft nicht, was der Buddhabesonders für sie gelehrt hat und wie sie <strong>die</strong> Nützlichkeit ihrer Übung überprüfen können.Man muss den Dhamma gründlich stu<strong>die</strong>rt haben, um ihn s<strong>in</strong>nvoll praktisch umsetzen zu können.Nur so kann se<strong>in</strong> Reichtum und Wert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganzen Tiefe wahrgenommen werden. DasDhamma-Dana-Projekt will hierzu e<strong>in</strong>en Beitrag leisten.Notwendigkeit <strong>von</strong> Dana (erwartungsloses Geben)Das Dhamma des Buddha ist e<strong>in</strong> Geschenk für uns und <strong>die</strong> Gesellschaft, <strong>in</strong> der wir uns bewegen.In e<strong>in</strong>er Welt beherrscht <strong>von</strong> Geld und militärischer Macht r<strong>in</strong>gen wir darum, e<strong>in</strong>en Lebenss<strong>in</strong>n zuf<strong>in</strong>den. Dieses Geschenk des Dhamma ist so viel mehr als Worte, Belehrungen undMeditationsanleitungen.Dhamma kann nur e<strong>in</strong> Geschenk se<strong>in</strong>, denn es kann nur gegeben, nie genommen, werden. Es istse<strong>in</strong>e Natur, geteilt und recycelt zu werden, und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zyklus der Großherzigkeit zu zirkulieren,statt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kreislauf des Begehrens.Das Dhamma des Gebens ist das Gegenmittel zu <strong>die</strong>sem Kreislauf <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Manifestationen alsMarktwert, Dividende, Gew<strong>in</strong>noptimierung und allen anderen Ausdrucksformen der Gier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erauf Konsum ausgerichteten Gesellschaft.76


Buddhistisches Waldkloster e.V.Die Zeit ist reif!Fast 100 Jahre nachdem der erste deutsche Waldmönch, der Ehrw. Nyânatiloka, <strong>in</strong> Sri Lanka <strong>die</strong>"Island Hermitage", e<strong>in</strong>e Mönchse<strong>in</strong>siedelei der Theravada-Waldtradition, gründete, soll e<strong>in</strong>ähnliches Projekt nun auch hierzulande entstehen.Warum? Als Mah<strong>in</strong>da, der Sohn des Herrschers Asoka, gefragt wurde, wann <strong>die</strong> Lehre wirklichWurzeln geschlagen habe, sagte er: „Wenn e<strong>in</strong> Sohn des Landes e<strong>in</strong> Mönch <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land wirdund dort den Dhamma-V<strong>in</strong>aya stu<strong>die</strong>rt.“Und damals wie heute benötigt e<strong>in</strong> Ord<strong>in</strong>ierten-Sangha e<strong>in</strong>en entsprechenden Verweilort.Was ist e<strong>in</strong> Waldkloster?Das Waldkloster ist e<strong>in</strong> Ort, an dem Menschen e<strong>in</strong> nicht-selbstsüchtiges Leben, das zumvollkommenen Erlöschen <strong>von</strong> Gier, Hass und Verblendung führt, erlernen und e<strong>in</strong>üben können.E<strong>in</strong> Ort also, an dem der edle achtfache Pfad praktiziert, der Geist auf <strong>die</strong> völlige Befreiungausgerichtet und das Todlose (Nibbana) erkannt werden kann; e<strong>in</strong> Ort, an dem Ord<strong>in</strong>ierte undNicht-Ord<strong>in</strong>ierte verweilen (viharati) und mite<strong>in</strong>ander meditieren, stu<strong>die</strong>ren und sich austauschenkönnen.Es handelt sich also nicht um e<strong>in</strong> Retreatzentrum, e<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>arhaus oder e<strong>in</strong>en auf e<strong>in</strong>enbestimmten Kulturkreis ausgerichteten Tempel.Der Vere<strong>in</strong>Um den Buddha-Dhamma <strong>in</strong> Deutschland wirklich Wurzeln schlagen zu lassen, wurde am11.09.2005 <strong>in</strong> München der Buddhistisches Waldkloster e.V. gegründet mit dem Ziel, e<strong>in</strong>en Ort zuschaffen, an dem der Dhamma-V<strong>in</strong>aya gemäß den ursprünglichen Schriften des Palikanon <strong>von</strong>Ord<strong>in</strong>ierten und Nicht-Ord<strong>in</strong>ierten <strong>in</strong> Abgeschiedenheit stu<strong>die</strong>rt und praktiziert werden kann.Die Aufgabe des Vere<strong>in</strong>sIn der ersten Phase soll das Projekt allgeme<strong>in</strong> bekannt gemacht, e<strong>in</strong>e breite Basis <strong>von</strong> Freundenund Förderern geschaffen sowie <strong>die</strong> Entstehung lokaler Unterstützergruppen gefördert werden.Außerdem wird zum Austausch zwischen Förderern und <strong>in</strong>teressierten Ord<strong>in</strong>ierten e<strong>in</strong>Informationsnetzwerk aufgebaut. Wer das Waldkloster/<strong>die</strong> Ord<strong>in</strong>ierten durch handwerklicheFähigkeiten, Rechtsberatung, mediz<strong>in</strong>ische Behandlung, Spenden etc. unterstützen möchte, kannsich <strong>in</strong> das „Verzeichnis <strong>von</strong> Unterstützern“ e<strong>in</strong>tragen.In der nächsten Phase geht es dann um <strong>die</strong> konkrete Realisation des Waldklosters, <strong>die</strong> Schaffungder nötigen f<strong>in</strong>anziellen und materiellen Grundlagen (Grundstück, Gebäude ...). Danach soll derVere<strong>in</strong> als Träger des Waldklosters fungieren.Am Beispiel Englands, wo sich erst über 20 Jahre nach der Gründung des English Sangha Trust<strong>die</strong> Möglichkeit ergab, e<strong>in</strong> Kloster zu etablieren, ist zu sehen, dass bei dem Projekt Geduld,Ausdauer und Kont<strong>in</strong>uität gefragt s<strong>in</strong>d.KontaktWer gerne auf dem Laufenden gehalten werden möchte, kann sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Mailverteileraufnehmen lassen. Auch neue Mitglieder s<strong>in</strong>d herzlich willkommen!Satzung, Beitrittserklärung und weitere Infos f<strong>in</strong>den sich im Internet unterwww.buddhistisches-waldkloster.de oder können kostenlos angefordert werden bei:Buddhistisches Waldkloster e.V., c/o Dieter Baltruschat, Clemensstr. 61 Rgb., 80803München, E-Mail: <strong>in</strong>fo@buddhistisches-waldkloster.deKto.: 746 624 855 BLZ: 760 100 85 Postbank NürnbergIBAN: DE44760100850746624855SWIFT/BIC-Code: PBNKDEFF77

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