Ein Verwandlungskünstlerverabschiedet sichHans-Ulrich OhlNach rund 50 Jahren endete beim “DeutschenZentrum für Luft- und Raumfahrt“(DLR), der ehemaligen „Deutschen Forschungs-und Versuchsanstalt für Luft- undRaumfahrt“ (DFVLR) in Braunschweig, einhistorisches Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte.Das letzte von ursprünglich einmal19 gebauten Flugzeugen unter der TypenbezeichnungVFW 614 verabschiedetesich am 27. Juni 2012 nach 27 Dienstjahrenim Dienst bei der DLR. Ein langjähriger,erfolgreicher Flugzeugtyp als Erprobungsträgerwurde in den wohlverdienten Ruhestandverabschiedet.Begonnen hatte das alles einmal Anfangder sechziger Jahre am Bremer Flughafen,als sich zwei Luftfahrtfirmen, die „Fokke– Wulf Flugzeugbau“ und die „WeserFlugzeugbau“ zu einer gemeinsamen Firmaunter dem Namen „Vereinigte FlugzeugtechnischeWerke Bremen“ (VFW)zusammenschlossen, um über zukünftigeVerkehrflugzeuge nachzudenken. SeitKriegsende waren mehr als 15 Jahre vergangen,das Düsenzeitalter hatte im LuftverkehrEinzug gehalten und souveränwar die Bundesrepublik inzwischen auch.Dabei ging es in erster Linie um Verkehrsflugzeuge,die einmal im Kurz- und Mittelstreckenverkehr<strong>zum</strong> Einsatz kommen sollten.Ganz bewusst hatte man die Langstreckeaus diesen Überlegungen ausgeklammert.Es wäre auch vermessen gewesen,gegen etablierte amerikanische Flugzeugfirmenwie Boeing, Lockheed oder Douglasantreten zu wollen.Das Ergebnis dieser Überlegungen warder Entschluss, ein düsengetriebenes Verkehrflugzeugfür etwa 50 Passagiere undReichweiten von bis zu 1.500 Kilometerzu konstruieren. Im Auge hatte man dabeiauch die Staaten der dritten Welt, indenen sich eine Vielzahl alten Fluggerätsaus Beständen ehemaliger militärischerTransportflugzeuge tummelte, das früheroder später einmal ersetzt werden musste.Überschlägige Hochrechnungen ergabeneinen Bedarf von etwa 4.000 Flugzeugenin diesem Segment. Damit war dannBild: 1. Ab November 1985 befand sich die VFW 614 als Erprobungsträger bei der DFVLR/ D LR imEinsatzauch schon das Anforderungsprofil anein solches Flugzeug vom Grundsatz herdefiniert. So sollte es über eine möglichststabile Zelle verfügen, sichere Langsamflugeigenschaftenbei Start, Anflug und Landunghaben und mit kurzen, unbefestigtenPisten von 1.000 bis 1.500 Metern auskommen.Ferner sollte es über ein robustesFahrwerk und zwei Düsentriebwerkeverfügen, bei deren Einsatz auf unbefestigtenPisten die Gefahr von Beschädigungendurch Sand, Staub oder Steinschlag ausgeschlossenwerden konnte. Nicht zuletztaus diesem Grund verzichtete man auchauf einen Umkehrschub nach Landungenauf kurzen Pisten. Auch die Triebwerkgondelnordnete man bewusst auf derOberseite der Tragfläche auf sogenanntenPylonen an. Das brachte zusätzlich denVorteil eines stabilen Flugverhaltens beiLandeanflügen durch ein durchgehendes,ungeteiltes Landeklappensystem. Durchdie Anordnung der beiden Triebwerkeauf der Tragflächenoberseite konnte dasFlugverhalten bei möglichen Fehlanflügenmit anschließendem Durchstartmanöverwesentlich verbessert werden. Dass manmit diesem Konzept richtig lag, bewiesen26 bereits im Vorfeld eingegangeneKaufoptionen sowie das Interesse der „USCoastgard“, den Erwerb dieses Fluggerätszu erwägen. Im Jahr 1969 kaufte sich dannder niederländische Flugzeughersteller„Fokker“ in das Unternehmen ein, das danachunter dem Namen „FlugtechnischeWerke Fokker GmbH“ (VFW – Fokker)firmierte.Der Rollout fand am 05. April 1971 statt, dererste 32 Minuten dauernde Eröffnungsflugam 14. Juli 1971. In der anschließenden Erprobungsphaseverunglückte eines der dreigebauten Vorserienmuster. Der Grund warenResonanzschwingungen am Höhenruder,verursacht durch den Abgasstrahlder beiden Düsentriebwerke. Obwohl diedanach 16 gebauten Serienmuster bei denFluggesellschaften ohne Beanstandungenihren Dienst versahen, blieben die erhofftenAnschlussaufträge aus, obwohl die imVorfeld angekündigten Leistungsparameterteilweise übertroffen wurden. Nachdemauch der in Aussicht gestellte Auftragder „US Coastgard“ über 40 Maschinen aufIntervention der amerikanischen Flugzeugindustriezurückgenommen werden musste,war eine profitable Serienproduktionin Frage gestellt. Ende der siebziger Jahrewurde die Produktion eingestellt und einTeil der bereits ausgelieferten Flugzeugezurückgekauft. Im Jahr 1998 befanden sichdann nur noch fünf der ursprünglich 16 Serienmaschinenim aktiven Einsatz, drei beider Bundesluftwaffe in Köln, eine bei Airbusin Finkenwerder und eine weitere beider DLR, ehemals DFVLR, in Braunschweig.20 aviation news Historie
Bild 2. Der Airbus A320 als Nachfolger hat bei der DLR die Aufgaben als Erprobungsträger bereits angetretenNicht zuletzt aufgrund der überzeugenden,gutmütigen Flugeigenschaften hatte mansich bei der DFVLR im November 1985entschlossen, das letzte noch vorhandeneeinssatzfähige Exemplar zu erwerbenund es zu einer experimentellen Versuchsplattformumzubauen zu lassen. Unter derBezeichnung „ATTAS“ (Advanced TechnologiesTesting Aircraft System) wurden andiesem Exemplar durch die FlugzeugfirmaMesserschmitt Bölkow Blohm (MBB) umfangreicheModifikationen vorgenommen,bevor man bei der DFVLR/ DLR mit demTestbetrieb beginnen konnte. Im Laufeder 27 Jahre im Dienst der Luftfahrt beider DFVLR/DLR wurden eine Reihe vongrundlegenden fliegerischen Erprobungenmittels neuer Technologien und Systemkomponentendurchgeführt und auf ihreZuverlässigkeit und betriebliche Verwendbarkeitüberprüft. Wesentliche hieraus resultierendeErkenntnisse haben danachEingang beim Bau neuer Verkehrsflugzeugegefunden, unter anderem auch bei denAirbus-Flugzeugen.Systemüberwachung von Luftraum undFlughäfen durch die Flugsicherungen gewesen.Auch nachdem Lärmbeschwerdenvon Anwohnern im Umfeld von Verkehrsflughäfenimmer stärkere Berücksichtigungbei der Flugwegplanung finden mussten,hat sich die DLR auch dieses Themas angenommen.Sowohl lärmreduzierte Flugverfahrenwurden mit der VFW 614 erflogen,als auch Kooperationen mit Triebwerkherstellernfür den Bau lärmarmer Triebwerkestehen auf dem Programm.Für diese und viele weitere Untersuchungenim Bereich der Luftfahrt war die VFW614 stets ein treuer und zuverlässigerPartner. Als es jedoch immer schwierigerwurde, erforderliche Ersatzteile für diesesFlugzeug zu beschaffen und auch die beidenTriebwerke reparaturbedürftig wurden,war der Zeitpunkt gekommen, sichvon einem treuen, zuverlässigen und liebgewonnenen Flugzeug zu trennen. Am 27.Juni diesen Jahres wurde sie in den wohlverdientenRuhestand entlassen. In Luftfahrtkreisenist man sich auch heute immernoch darüber einig, das hier ein Flugzeugverabschiedet wurde, dessen größtes Problemes war, 15 Jahre zu früh auf demMarkt zu erscheinen.Seit 2008 hat ein Airbus A320 – 232 mitdem Registrierung D – ATRA diese Aufgabenbei der DLR übernommen, wobeidie letzten vier Buchstaben für „AdvancedTechnology Research Aircraft“ stehen unddamit gleichzeitig Auskunft über das zukünftigeEinsatzspektrum geben© Hans-Ulrich OhlDas Phänomen der von Flugzeugen generiertenWirbelschleppen war ebenfallsTeil eines erfolgreichen Testprogramms.Auch die Frage, kann ein ausschließlichelektronisch gesteuertes Cockpit zukünftigdie Aufgaben von Piloten übernehmen(UAV – Unmanned Arial Vehicle), wurdeim Flug erprobt und führte zu Ergebnissen,die eine solche Entwicklung im Luftfahrtbereichnicht völlig ausschließen. Eine derVoraussetzungen wäre jedoch eine elektronischeVernetzung von bodenseitigerFlugzeugführung mit einer integriertenBild 3. Aufbau einer VFW 614 bei der DLR Bilder DLRHistorieaviation news 21