» Fortsetzung von Seite 11zusätzlich im Sinkflug befand. Um die vermeintlicheKollision zu vermeiden, leitete ereinen sofortigen Sinkflug ein. Als der Kapitän,der sich immer noch mit dem Navigationsdisplaybefasste, den Sinkflug bemerkte,schaltete er den Autopiloten aus und stiegrecht schnell auf die ursprüngliche Höhe.Der Anstellwinkel der B767 änderte sichvon positiven zwei Grad (der Anstellwinkelwährend des Reiseflugs) zu sechs negativenGraden („6 degrees down“), um dannzu einem positiven Anstellwinkel von zweiGrad zurückzukehren. Das „TransportationSafety Board of Canada (TSB)“ bezeichnetediesen Vorgang als „Pitch Incursion“; auchder Untersuchungsbericht trägt diesen Titel.Die vertikale Beschleunigung änderte sichinnerhalb von fünf Sekunden von –0.5gzu +2.0 g. Dabei führte der Sinkflug zunächstnach FL 346 und der anschließendeSteigflug auf FL 354, bevor die zugewieseneFlugfläche 350 wieder erreicht wurde.Der Co-Pilot hatte den Sinkflug übrigens indem Moment eingeleitet, als die C-17 unterihnen durchflog. Und glaubt man denBerichten einschlägiger Luftfahrtportale,dann hatte er nicht die Lichter der C-17gesehen, sondern diese mit der Venus verwechselt!In der Kabine wurden 14 Passagiereund zwei Stewardessen verletzt. Einevon den beiden war gerade in der hinterenGalley, die andere auf der Toilette. Die verletztenPassagiere befanden sich alle in der„Economy“-Klasse und waren, obwohl die„Fasten Seat Belt“-Zeichen eingeschaltetwaren, nicht angeschnallt. Glücklicherweisebefanden sich zwei Personen mit medizinischer<strong>Ausbildung</strong> („medical professionals“),von denen <strong>zum</strong>indest eine ein Arzt war, anBord. Zusammen mit dem Kabinenpersonalversorgten sie die verletzten Passagiereund die beiden Stewardessen und, nachdemder Arzt seine medizinische Einschätzungder Situation der Einsatzzentrale vonAir Canada mitgeteilt hatte, wurde der Flugnach Zürich fortgesetzt. Dort wurden dieVerletzten nach der Landung medizinischversorgt; einige von ihnen wurden in einKrankenhaus eingeliefert.Der Untersuchungsbericht des TSB befasstsich nicht nur mit dem Unfallhergang, sondernauch mit dem Fatigue-Syndrom, dieunterschiedlichen Schlafphasen und ihreAuswirkungen auf die menschlichen Reaktionen.Hier ausführlich darauf einzugehen,würde diesen Beitrag unweigerlich sprengen.Interessierte sollten jedoch die Homepagedes TSB (http://tsb.gc.ca) besuchen;der Bericht trägt die Nummer A11F0012.Allerdings weist das TSB auch auf Versäumnisseder Cockpitcrew hin. So besagen dieVorschriften des „Controlled Rest“ (sieheKasten), dass die vorgesehene Ruhezeitnicht mehr als 40 Minuten betragen unddass das betreffende Besatzungsmitgliederst 15 Minuten nach dem Aufwachen indie Cockpitarbeit eingebunden werdendarf. Zusätzlich muss die Purserette bzw.der Purser informiert werden, wenn einCockpitmitglied ein Nickerchen macht. Diesalles hat die Crew versäumt zu tun – derCo-Pilot hatte 75 Minuten geschlafen, warnach dem Aufwachen sofort in die Cockpitarbeiteingebunden worden und die Purserettewar nicht entsprechend informiertworden. Die weitere Vorschrift, nach derder „Controlled Rest“ 30 Minuten vor Beginndes Sinkflugs abgeschlossen werdenmuss, hatte in diesem Fall keine Relevanz.Die einschränkenden Punkte dieser Vorschriftsind durchaus verständlich. Denn mitder Begrenzung auf eine Ruhezeit von 40Minuten wird der Gefahr, in den Tiefschlaf(„slow-wave-sleep“) zu fallen, vorgebeugt.Und da Menschen auch nach einem kleinenNickerchen nach dem Aufwachenein wenig Zeit benötigen, um sich an ihreUmwelt anzupassen und diese auch richtigeinzuordnen, soll dem Aufgewachten15 Minuten Zeit bis zur Wiederaufnahmeseiner Aufgaben gegeben werden. Auchdie Information der Purserette (oder desPursers) hat seine Gründe. Denn schließlichkann nicht ausgeschlossen werden, dassauch der zweite Pilot einschläft. Besonderswenn bei einem nächtlichen Flug wenigzu tun ist. Deshalb muss die bzw. der „Inchargeflight attendant“ nach spätestens45 Minuten nachschauen, ob im Cockpitalles in Ordnung ist.Nach dem Zwischenfall wurden Pilotender Air Canada nach ihren Kenntnissenhinsichtlich des „Controlled Rest“ befragt.Das allgemeine Wissen darüber war gut.Dennoch musste das TSB ein paar Lückenfeststellen. So war vielen nicht klar, dassein Nickerchen von mehr als 40 Minutenleicht in den Tiefschlaf führen kann. Natürlichsahen sie auch ein, weshalb sie diePurserette/den Purser über den „ControlledRest“ eines Piloten informieren mussten.Dennoch tendierten sie dazu, sich auf ihrGefühl zu verlassen und waren überzeugt,ihre Schläfrigkeit rechtzeitig zu merken. AirCanada hat die Daten des Flugs nach Zürichausgewertet und im März mit entsprechendenBulletins unter anderem auf diestrikte Einhaltung der SOPs (Standard OperatingProcedures) hingewiesen. Die ACPA(Air Canada Pilots Association) hat diesenZwischenfall <strong>zum</strong> Anlass genommen, aufdie Gefahren von „Fatigue“ hinzuweisenund ihre Mitglieder aufgefordert, ihre Erfahrungenund Einschätzungen bei diesemProblem mitzuteilen.© Werner FischbachBild 3. Die in den geschilderten Zwischenfall verwickelte Air Canada B767-333 bei einem Besuch in Zürich (Foto: W. Fischbach)12 aviation news Flugsicherheit
Drei Piloten, ein Zimmer unddas Finanzgericht HessenWohnen oder übernachten?StB Lothar AbrakatDas ist der kleine feine Unterschied, deroffenbar auch das FG Hessen umtreibt. Esgeht dabei um sog. „Standby-Zimmer“ einesPiloten bzw. einer Flugbegleiterin.Nach dem Urteil des FG Hessen vom12.4.2012 - 3 K 1061/09 (Rev. zugelassen)sind die Ausstattung und die Art der tatsächlichenNutzung geeignete Kriterien zurBeurteilung, ob die Wohnung lediglich <strong>zum</strong>„Übernachten“ dient oder ob sie die darüberhinausgehende Funktion des „Wohnens“erfüllen.Unter einer Wohnung sind Räumlichkeitenzu verstehen, die objektiv <strong>zum</strong> dauerhaftenWohnen geeignet und bestimmt sind. Siemüssen eine selbständige Lebensführungermöglichen, also so ausgestattet sein, dasssie ihren Bewohnern eine dauerhafte Bleibebieten (Eine abgeschlossene Wohnungi. S. des Bewertungsgesetzes ist dabei nichterforderlich – als Hinweis für den Kundigen).Das Innehaben setzt voraus, dass erüber die Wohnung jederzeit verfügen kannund er sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit,wenn auch in größeren Zeitabständen,aufsucht. Eine Mindestzahl an Aufenthaltstagenim Jahr ist insoweit nicht erforderlich,die Nutzung der Wohnung muss jedoch zuWohnzwecken erfolgen.Im Urteilsfall verbrachte der Kläger, ein Pilot,zusammen mit zwei anderen Piloten,in einem ca. 12 - 15 qm großen „Standby-Zimmer“ in der Kelleretage des Hauses einerFamilie bei dienstlichen Aufenthalten inDeutschland bis zu drei Nächten im Monat.Das Bad befand sich am Ende des Gangesund wurde von den anderen Piloten undden Familienangehörigen mitgenutzt.Das Zimmer war von den Piloten mit einemdoppelstöckigen Bett, einer Couch, einemRegal, einem Schrank und einem kleinenTisch möbliert worden. Zur Ausstattung gehörteauch noch ein Fernseher, aber keineKochgelegenheit oder Kühlschrank.Auch existierte kein schriftlicher Mietvertrag.Alle Beteiligten verfügten jeweils übereinen Haustürschlüssel, aber nur einer verfügteüber den Zimmerschlüssel. Sowohldie Tür zwischen Kellerbereich und Treppenhausals auch die des „Standby-Zimmers“waren stets verschlossen.Das Zimmer wurde gelegentlich auch fürFamilien- und Gästebesuche der Familiegenutzt. Als Miete zahlte der Kläger jeweils50,00 Euro im Monat, Heizung undNebenkosten inklusive. Die Reinigung desZimmers erfolgte durch den Vermieter. Entgegender Ansicht des Finanzamtes sahdas FG Hessen in der Anmietung und Nutzungdieses Zimmers keinen inländischenWohnsitz.Das Zimmer sei zwar objektiv <strong>zum</strong> dauerhaftenWohnen geeignet, der Kläger habeaber nicht jederzeit über die Wohnung verfügenkönnen.Dabei sei der Umstand von Bedeutung,dass das Zimmer im maßgeblichen Zeitraummindestens in zwei Fällen von Gästender Familie zu Übernachtungszweckengenutzt worden sei. Da alle drei Piloten das„Standby-Zimmer“ zudieser Zeit nicht benötigthatten, habees tatsächlich keinenKonflikt hinsichtlichder Nutzung des Zimmersgegeben (Anm:Nach den Feststellungen<strong>zum</strong> Sachverhaltgab es ein Doppelstockbettfür die dreiPiloten). Da § 8 AOeine abstrakte Verfügungsmöglichkeitüber die Wohnungvoraussetze, sei es fürdie Beurteilung desFalls aber von Interesse,ob die drei Pilotenim Konfliktfall einRecht auf tatsächlicheNutzung des Zimmersin Deutschlandgehabt hatten. Dannfiel den Richtern nochein, dass die tatsächlicheNutzung desZimmers ja nicht zuWohnzwecken, sondernnur zu Übernachtungszweckenerfolgt. Da schon derBegriff „wohnen“ mehr als nur „übernachten“sei, könne von einer Nutzung zuWohnzwecken nicht ausgegangen werden,wenn sich die Nutzung der Wohnungnur auf das reine Übernachten beschränke.Ob die Richter selbst übernächtigt warenoder was sie die gezogenen Schlüsse ziehenließ? In einem Urteil vom 13.12.2010(3K 1060/09) hatte dasselbe Gerichtrechtskräftig entschieden, das eine sog.„Standby-Wohnung“ einer ansonsten imAusland lebenden Flugbegleiterin zu einerunbeschränkten Steuerpflicht in Deutschlandführen kann. Dieses Verfahren ist alsMusterverfahren beim BFH anhängig.Das heißt: wach bleiben.© StB Lothar AbrakatSteuerrechtaviation news 13