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13.07.2015 Aufrufe

II. Charakteristik des KriegesDer als Krieg bezeichnete Konflikt zwischen verfeindeten Mächten ruft immer wieder dieVorstellung von militärischen Zusammenstößen hervor, von Schlachten und Belagerungen,von Ereignissen also, die über Sieg und Niederlage entschieden und daher für die Geschichtsschreibungder vergangenen Jahrhunderte von vorrangiger Bedeutung waren. Kriegbestand aber nur zu seinem geringsten Teil aus militärischen Konfrontationen, im Gegenteil:im hier untersuchten Zeitraum wurden sie vermieden, wo sie nur vermieden werdenkonnten. Die Heere waren entweder unterwegs oder lagen als Besatzung auf Städte undDörfer verteilt im Land. Krieg war damit für die Bevölkerung gleichbedeutend mit einervorübergehenden oder dauerhaften Präsenz von Soldaten. Was sich auf den Schlachtfeldernabspielte, kursierte in Form von Berichten und beeinflusste den Alltag nur für kurze Zeitund in einem sehr eng gesteckten geografischen Rahmen, da sich die Sieger im erobertenLand selten anders verhielten als die Besiegten und der Übergang von einer Herrschaft zuranderen - vor allem wenn in beiden Fällen ausländische Mächte die Fäden in der Handhielten - kaum Auswirkungen auf das Leben in Stadt und Land hatten.In diesem Teil der Arbeit sollen die grundlegenden Phänomene beschrieben werden, dieden Krieg in den beobachteten Gebieten, vor allem in der Terraferma und in der Lombardeicharakterisierten. Im ersten Abschnitt werden seine demografischen Auswirkungen beschriebenund in Zahlen gefasst. Sie sind für das Verständnis der gesamten Situationgrundlegend, da der starke Rückgang der Bevölkerung vor allem durch massenhafte Abwanderungnicht nur die in letzter Konsequenz schwerwiegendste Folge des Krieges war,sondern gleichzeitig Ursache und Rahmenbedingung einer Reihe von weiteren Phänomenen:geflohene Bauern konnten die Felder nicht bestellen und abwesende Stadtbewohnerdie Kontributionen nicht bezahlen, so dass sowohl in der Stadt als auch auf dem Land dieEntvölkerung die Lage der Zurückgebliebenen eher verschlimmerte als erleichterte.Durch solche entvölkerten Landschaften zogen die Heere auf verschlungenen und zerfasertenWegen. Auf dem Land zeigte der Krieg ein grundsätzlich anderes Gesicht als in derStadt. Er war von größerer Mobilität der Soldaten wie der Bevölkerung geprägt. Die Soldatenhielten sich nie lange an einem Ort auf und nahmen noch weniger Rücksicht auf dieBevölkerung als in der Stadt. Ihre Spuren verwischten um so schneller, als kaum jemandfesthielt, welche Kompanie sich zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort aufhielt. Aus diesemGrund manifestierte sich auch bei der Bevölkerung eine größere Beweglichkeit, diedurch die Tatsache verstärkt wurde, dass die Bauern in der Regel materiell gesehen wenigerzu verlieren hatten und sich auf der Flucht in ländlichen Gegenden besser zurechtfanden.Gleichzeitig waren sie eher bereit, sich gegen die Übergriffe der Soldaten gewaltsam zuwehren. Die Züge der Heere durch das Land, ihre Verteilung auf die Dörfer und die Last,86

die sie für die Bevölkerung darstellten, waren das am weitesten verbreitete und grundlegendsteGesicht des Krieges, gleichzeitig aber auch das am schlechtesten dokumentierte.Der zweite Abschnitt dieses Teils der Arbeit bemüht sich um eine möglichst alle Facettendieser täglichen Wirklichkeit erfassende Schilderung des Krieges auf dem Land und seinerAuswirkungen auf die Bevölkerung.Im dritten Abschnitt geht es dann ausschließlich um die Soldaten. Das Söldnerwesenbrachte eine Reihe von Phänomenen hervor, die das Verhalten der Soldaten grundlegendbeeinflussten und daher für das Verständnis von deren Auftreten gegenüber der Bevölkerungunerlässlich sind. Die Grundlage des gesamten Mechanismus war die Bezahlung derSoldaten; deren regelmäßiges und immer selbstverständlicheres Ausbleiben aber führtedazu, dass das System innerhalb von kurzer Zeit zu einem theoretischen Gebäude wurde,das auf den Schauplätzen, auf denen es zur Anwendung kam, einer Reihe von anderen Regelnfolgte. Deren Auswirkungen hatte wiederum vor allem die Bevölkerung der betroffenenGebiete zu tragen, am Ende aber auch die Soldaten selbst.A. Demografische AuswirkungenDer Krieg hatte wie zu allen Zeiten tiefgreifende demografische Folgen in den Städten wieauf dem Land. Die Bevölkerung der betroffenen Gebiete ging stark zurück, und zwar inerster Linie durch Migrationsbewegungen, deren Auswirkungen kurzfristig oder langfristigsein konnten, je nachdem ob ein Heer das Land nur passierte oder ob sich eine Besatzungetablierte. Vorübergehende Flucht und dauerhafte Abwanderung sind allerdings oft schwervoneinander abzugrenzen, vor allem wenn ein Heer das Land über längere Zeit auf und abdurchzog und die Gefahr des Einzugs von Soldaten zu einer täglichen Bedrohung wurde.Das war in der venezianischen Terraferma durch die Anwesenheit der kaiserlichen undspanischen Heere zwischen 1509 und 1516 der Fall und später in der Lombardei von 1521bis 1529. In beiden Fällen wurde die Situation so untragbar, dass ein großer Teil der Bevölkerungfür einige Zeit von der Bildfläche verschwand.Bevölkerungsrückgänge durch Flucht und Abwanderung wurden nach dem Abzug der Soldatenin der Regel relativ schnell wieder ausgeglichen, da die meisten der Flüchtlinge nachHause zurückkehrten. Daneben dezimierten aber auch Epidemien und Hungersnöte als Folgendes Krieges die Bevölkerung. Hunger, Krankheit und Entvölkerung waren ohnehin engmiteinander verflochtene Phänomene: Mangelernährung führte zu einer gesteigerten Anfälligkeitfür Krankheiten, und sobald diese sich zu Epidemien auswuchsen, brach durch dieAngst der Lieferanten, die Nahrungsmittel vom Produzenten zum Verbraucher zu transportieren,wenn damit das Betreten verseuchter Städte und Landstriche verbunden war, das87

die sie für die Bevölkerung darstellten, waren das am weitesten verbreitete und grundlegendsteGesicht des Krieges, gleichzeitig aber auch das am schlechtesten dokumentierte.Der zweite Abschnitt dieses Teils der Arbeit bemüht sich um eine möglichst alle Facettendieser täglichen Wirklichkeit erfassende Schilderung des Krieges auf dem Land und seinerAuswirkungen auf die Bevölkerung.Im dritten Abschnitt geht es dann ausschließlich um die Soldaten. Das Söldnerwesenbrachte eine Reihe von Phänomenen hervor, die das Verhalten der Soldaten grundlegendbeeinflussten und daher für das Verständnis von deren Auftreten gegenüber der Bevölkerungunerlässlich sind. Die Grundlage des gesamten Mechanismus war die Bezahlung derSoldaten; deren regelmäßiges und immer selbstverständlicheres Ausbleiben aber führtedazu, dass das System innerhalb von kurzer Zeit zu einem theoretischen Gebäude wurde,das auf den Schauplätzen, auf denen es zur Anwendung kam, einer Reihe von anderen Regelnfolgte. Deren Auswirkungen hatte wiederum vor allem die Bevölkerung der betroffenenGebiete zu tragen, am Ende aber auch die Soldaten selbst.A. Demografische AuswirkungenDer Krieg hatte wie zu allen Zeiten tiefgreifende demografische Folgen in den Städten wieauf dem Land. Die Bevölkerung der betroffenen Gebiete ging stark zurück, und zwar inerster Linie durch Migrationsbewegungen, deren Auswirkungen kurzfristig oder langfristigsein konnten, je nachdem ob ein Heer das Land nur passierte oder ob sich eine Besatzungetablierte. Vorübergehende Flucht und dauerhafte Abwanderung sind allerdings oft schwervoneinander abzugrenzen, vor allem wenn ein Heer das Land über längere Zeit auf und abdurchzog und die Gefahr des Einzugs von Soldaten zu einer täglichen Bedrohung wurde.Das war in der venezianischen Terraferma durch die Anwesenheit der kaiserlichen undspanischen Heere zwischen 1509 und 1516 der Fall und später in der Lombardei von 1521bis 1529. In beiden Fällen wurde die Situation so untragbar, dass ein großer Teil der Bevölkerungfür einige Zeit von der Bildfläche verschwand.Bevölkerungsrückgänge durch Flucht und Abwanderung wurden nach dem Abzug der Soldatenin der Regel relativ schnell wieder ausgeglichen, da die meisten der Flüchtlinge nachHause zurückkehrten. Daneben dezimierten aber auch Epidemien und Hungersnöte als Folgendes Krieges die Bevölkerung. Hunger, Krankheit und Entvölkerung waren ohnehin engmiteinander verflochtene Phänomene: Mangelernährung führte zu einer gesteigerten Anfälligkeitfür Krankheiten, und sobald diese sich zu Epidemien auswuchsen, brach durch dieAngst der Lieferanten, die Nahrungsmittel vom Produzenten zum Verbraucher zu transportieren,wenn damit das Betreten verseuchter Städte und Landstriche verbunden war, das87

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