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Dialektische Textanalyse und TextentwicklungTeil IBruno FrischherzHochschule LuzernAbstractDie Dialektik hat als Kunst der Gesprächsführung und als philosophischer Denkansatz eine lange Tradition. Dervorliegende Beitrag zeigt, wie sich dialektisches Denken auch für die Analyse und Entwicklung von Texten nutzenlässt. Dialektische Textanalyse und Textentwicklung eignet sich insbesondere für Konzept- und Strategiepapiere,die einen hohen Anteil an abstrakter Denkarbeit verlangen.Der Schwerpunkt des ersten Teils des Beitrags liegt auf der dialektischen Textanalyse und ihrer Anwendung aufStrategiepapiere zur Green Economy. Die wichtigsten Werkzeuge der dialektischen Textanalyse sind die vierKlassen von dialektischen Denkformen, nämlich Kontext, Prozess, Relation und Transformation. Die dialektischeTextanalyse erlaubt es, Denkformen in Texten zu beschreiben, zu messen und verschiedene Texte miteinander zuvergleichen. Die Textanalyse zeigt Stärken und Schwächen der Strategiepapiere aus dialektischer Sicht wie zumBeispiel Einseitigkeiten bei den Denkformen oder thematische Absenzen.1 EinleitungIm Vorfeld zur UN-Konferenz Rio+20 haben verschiedeneOrganisationen Strategiepapiere zur Green Economypubliziert. Für die vorliegende Analyse wurdenvier Strategiepapiere zur Green Economy ausgewähltund einer systematischen Textanalyse unterzogen:• United Nations Environment Programme UNEP(2011): Towards a green economy. A synthesis forpolicy makers.• European Commission EC (2011): Rio+20: towardsthe green economy and better governance.• Bundesrat BR (2012): Strategie Nachhaltige Entwicklung2012–2015.• Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement EVD(2011): Masterplan Cleantech. Eine Strategie desBundes für Ressourceneffizienz und erneuerbareEnergien.In Bezug auf die dialektische Textanalyse interessierenmich dabei folgende Fragen:• Welche Art von Denken steckt in einem solchenText?• Wie lässt sich dieses Denken nach strukturellenMerkmalen analysieren?• Wie lässt sich «tiefes» Denken in einem Text charakterisieren?www.zeitschrift-schreiben.eu Online publiziert: 23. August 2013


2 Das analytische FrameworkDas hier verwendete analytische Framework basierteinerseits auf Laskes Theorie der dialektischen Denkformen(Laske 2006, 2009) und andrerseits auf WilbersIntegraler Theorie (Wilber 2001, 2007). Eine Einführungin das Constructive Developmental Framework(CDF) und die Theorie der dialektischen Denkformenbietet der Überblicksartikel in Wikipedia (Wikipedia,online)Laskes Theorie der dialektischen DenkformenLaske schlägt in Anlehnung an Bhaskar (1993) vor, dialektischesDenken in vier Dimensionen zu beschreiben,die er die vier Quadranten der Dialektik nennt.Abbildung 1: Die vier Quadranten der Dialektik(Laske 2009, 172)System in einem Gleichgewicht bleibt und sichweiterentwickelt, eventuell über den Zusammenbruchdes bisherigen Systems. (Laske 2009,173 und 224)Nach Laske lassen sich sowohl natürliche als auch sozialeRealitäten mit Hilfe von dialektischen Denkformenbeschreiben. Um beispielsweise eine Organisation zuverstehen, betrachtet man sie am besten als komplexes,menschliches System, bei dem sich die vierAspekte Prozess, Kontext, Relation und Transformationunterscheiden lassen.Wilbers Integrale TheorieWilber (2001, 2006) entwickelte seine Integrale Theorieals umfassendes Modell der Erkenntnis, das unterschiedlichePerspektiven und Ebenen kombiniert undaufeinander bezieht. Er unterscheidet bei jedem Phänomenvier Dimensionen: eine subjektive und eine objektiveSeite und eine individuelle und eine kollektiveSeite. Aus der Kombination dieser vier Dimensionen ergebensich die vier Quadranten der integralen Theorie(Wilber 2006, 57 ff.).Jedem der vier Quadranten der Dialektik lassen sichverschiedene Denkformen zuordnen. Eine Denkform isteine Abstraktion, die als Werkzeug dient, um komplexeSachverhalte in der Realität auszudrücken. Laske unterscheidetvier Klassen von dialektischen Denkformen,die jede wieder sieben individuelle Denkformen beinhalten,insgesamt also 28 dialektische Denkformen(Laske 2009, 224). Die vier Klassen von dialektischenDenkformen sind:• Prozess (P) – ständiger Wandel: Diese Denkformbeschreibt, wie Dinge oder Systeme entstehenund wieder vergehen.• Kontext (K) – stabile Struktur: Diese Denkformbeschreibt, wie ein Ganzes gegliedert oder wieein Ding in ein grösseres Ganzes eingebettet ist.Dazu gehöre auch verschieden Perspektiven aufdas Ganze.• Relation (R) – Einheit in der Verschiedenheit:Diese Denkform beschreibt innere und äussereBeziehungen eines Systems und deren gemeinsameGrundlage.• Transformation (T) – Gleichgewicht und Weiterentwicklung.Diese Denkform beschreibt, wie einAbbildung 2: Die vier Quadranten der integralen Theorie(Wilber 2006, 38)Bezogen auf den Menschen haben die vier Quadrantenbeispielsweise folgende Bedeutung (Wilber 2001, 81 ff.und Wilber 2006, 35 ff.):• Der ICH-Quadrant beinhaltet alles, was eine Personin ihrem Inneren erlebt. Dazu gehören die Gedanken,die Gefühle und die Handlungsintentionen einerPerson. Es handelt sich um die subjektive Sichtder Welt.• Der ES-Quadrant beinhaltet alles, was sich voneinem Individuum von aussen beobachten lässt.Bruno Frischherz: «Dialektische Textanalyse I» www.zeitschrift-schreiben.eu 23.8.2013 Seite: 2 /6


Dazu gehört beispielsweise sein objektiv beobachtbaresVerhalten.• Der WIR-Quadrant beinhaltet alles, was zwei odermehrere Personen in ihrem Inneren gemeinsam erleben.Dazu gehören ihre kulturell geprägte Weltsichtund auch ihre Werte und Normen. Es handeltsich um eine geteilte Sicht der Welt, die mehrerenSubjekten gemeinsam ist.• Der SIE-Quadrant beinhaltet alles, was sich voneiner Gruppe von Menschen objektiv beobachtenlässt. Dazu gehört beispielsweise das soziale Verhaltenin der Gruppe.Die Kombination von unterschiedlichen Perspektivengehört zum Programm des integralen Denkens. IntegralesDenken schliesst einen Reduktionismus aufeine einzige Perspektive, Ebene oder Methode aus undversucht Körper und Geist, Individuum und Kollektiv,Theorie und Praxis usw. miteinander zu kombinieren.Ein integraler Ansatz muss alle Perspektiven und Ebenenberücksichtigen, um zuverlässiges Wissen über einPhänomen zu entwickeln.Sowohl Laskes Theorie der dialektischen Denkformenals auch Wilbers Integrale Theorie sind Metatheorienund nicht an bestimmte Inhalte gebunden. Beide eignensich dazu, beliebige Texte zu analysieren. Währenddie Quadranten der Integralen Theorie den Rahmen fürdie thematische Analyse eines Textes bilden, eignensich die dialektischen Denkformen für die Analyse vorhandenerDenkstrukturen.3 Textbeispiele für dialektische DenkformenUm die dialektischen Denkformen zu illustrieren, stelleich im Folgenden für jede Klasse von Denkformen jeein Bespiel vor. Alle Textbeispiele stammen aus dem«Masterplan Cleantech» (EVD 2011).Textbeispiel: Denkform der Klasse Kontext (K)«Definition CleantechAufgrund der Stellungnahmen im Rahmen derKonsultation wird der Begriff ‹Cleantech› inder Strategie des Bundes im Sinne von ‹Ressourceneffizienzund erneuerbaren Energien›verstanden und umschrieben. Damit wird dembranchenübergreifenden Charakter von CleantechRechnung getragen. ‹Cleantech› umfasstsomit insbesondere (aber nicht abschliessend)die in Kapitel 1.2. genannten Teilbereiche. Einevertiefte Definition wird im Rahmen einer Machbarkeitsstudieerarbeitet werden.» (EVD 2011,99)Die Denkform K09 beschreibt das Gleichgewicht einesGanzen. Die Aufmerksamkeit liegt auf dem integrierendenGanzen oder der Art und Weise, wie es eineGestalt bildet. Im Textausschnitt wird der Begriff «Cleantech»im umfassenden Sinn definiert und charakterisiert.In einem Unterkapitel werden dann die einzelnenAspekte von Cleantech näher erläutert. Die einzelnenTeile werden dem Ganzen untergeordnet.Textbeispiel: Denkform der Klasse Prozess (P)«Noch während der Auswertung der Konsultationinteressierter Kreise hat sich das politischeUmfeld des Masterplans Cleantech grundlegendverändert. Das Erdbeben in Japan am 13. März2011 mit der schwerwiegenden Folge der Beschädigungdes Kernkraftwerkes in Fukushimahat in der Schweiz (und in anderen Ländern) eineintensive Debatte über den zukünftigen Umgangmit der nuklearen Energieerzeugung ausgelöst.Das veränderte politische Klima der Schweizkann auch daran abgelesen werden, dass seitApril 2011 die Umweltpolitik in der Sorgenlisteder Schweizerinnen und Schweizer an die ersteStelle gerückt ist.» (EVD 2011, 95)Die Denkform P01 beschreibt Bewegung ohne Endeoder – philosophisch ausgedrückt – die Negativität.Die Betonung liegt auf der andauernden Veränderung(innen und aussen) als Grundlage der menschlichenExistenz. Der Textausschnitt beschreibt wie die Reaktorkatastrophein Fukushima die Planungsgrundlagenfür Cleantech über den Haufen geworfen hat und einekomplett neue Ausrichtung für die Energiepolitik derSchweiz nötig wurde.Textbeispiel: Denkform der Klasse Relation (R)«Während Jahrzehnten wurden Ökonomie undÖkologie von vielen als Gegensätze gesehen. Inzwischenist ein Meinungsumschwung eingetreten.Mehr und mehr Menschen verstehen, dasswirtschaftliche und ökologische Vernunft engmiteinander verbunden sind. Die Zusammenhängevon Rohstoffverknappung, steigendemEnergieverbrauch, Umweltverschmutzung undKlimawandel werden immer deutlicher und spür­Bruno Frischherz: «Dialektische Textanalyse I» www.zeitschrift-schreiben.eu 23.8.2013 Seite: 3 /6


Indizes für dialektisches DenkenDas kognitive Verhaltensdiagramm bildet die Basis fürdie Berechnung verschiedener Indizes, die sich für denVergleich von Texten eignen. In der vorliegenden Anabarer,nicht zuletzt durch steigende Kosten fürProduktion und Konsum von Gütern und Dienstleistungen,aber auch durch sichtbare Ereignisse,wie das Schmelzen unserer Gletscher undzunehmende Umweltkatastrophen. Die Verzahnungvon Wirtschaft und Umwelt muss zukünftignoch enger werden.» ( EVD 2011, 15)Die Denkform R15 beschreibt den Wert von Beziehungen.Sie gibt Hinweis auf eine gemeinsame Grundlageeines Sachverhalts und macht die Schwierigkeitendeutlich, Dinge zu sehr voneinander zu trennen. DerTextausschnitt betont, dass die beiden Bereiche Wirtschaftund Umwelt eng verzahnt sind. Jahrelang wardiese Beziehung aber vernachlässigt worden.Textbeispiel: Denkform der Klasse Transformation (T)«Kompetenzzentren mit VorbildcharakterNationale Kompetenzzentren mit hoher Sichtbarkeitund Wirksamkeit sind weiterzuentwickelnund ihre Realisierung im Rahmen bestehenderFördergefässe zu prüfen, resp. bereitsvorhandene Projekte sind auszubauen. Der Bundkoordiniert die diesbezüglichen Initiativen undLeuchtturmprojekte und stellt Informationen aufgeeigneten Plattformen zentral zur Verfügung.Dabei geht es nicht in erster Linie um die Schaffungneuer Zentren, sondern um die Prüfungder Ausgestaltung und institutionsübergreifendeErweiterung bestehender Zentren (z. B. desKompetenzzentrums für Energie und Mobilität,CCEM, unter Einbezug von Instituten an Fachhochschulen).»(EVD 2011, 53)Die Denkform T26 beschreibt die Koordination vonverbundenen Systemen. Sie richtet die Aufmerksamkeitauf dem Koordinationsprozess zwischen zwei odermehreren Systemen, um diese in ein Gleichgewicht zubringen. Der Textausschnitt regt an, Projekte und Initiativenzu Kompetenzzentren zu bündeln, um Cleantechweiter voranzutreiben. Ziel ist die Transformation deraktuell unübersichtlichen Situation in diesem Bereich.Weitere Hinweise zu den Klassen der dialektischenDenkformen und zur Analysemethodik sind Laskes «DialecticalThought Form Manual» zu entnehmen (Laske2009, 443 ff.).4 Vergleichende Analyse von dialektischenDenkformen in TextenDer folgende Abschnitt zeigt, wie die dialektische Textanalyseerlaubt, Denkformen in Texten zu beschreibenund verschiedene Texte miteinander zu vergleichen.Das kognitive VerhaltensdiagrammDas kognitive Verhaltensdiagramm wird in LaskesConstructive Developmental Framework (CDF) dafürverwendet, das Denken einer Person während eineseinstündigen Interviews zu rekonstruieren. Es kannaber ebenso gut verwendet werden, um das Denken,das sich in einem beliebigen Textes materialisiert, intabellarischer oder grafischer Form darzustellen.Nr. S. P K R T…#18 23 K10#19 25 K10#20 26 P02#21 27 T24#22 27 P07#23 29 T26#24 29 T24#25 29 K10#26 30 R19#27 30 T24…Total 15 20 2 30Tabelle 1: Ausschnitt aus einem kognitiven VerhaltensdiagrammDer Ausschnitt aus dem Verhaltensdiagramm für denMasterplan Cleantech enthält in der ersten Spalte dieNummer für die ausgewählten Textausschnitte und inder zweiten Spalte die Referenz auf die Seite im Originaldokument.Dann folgen die vier Klassen von Denkformen:Prozess (P), Kontext (K), Relation (R) undTransformation (T). Durch die tabellarische Darstellungzeigt das Diagramm sowohl die Denkbewegung ineinem Text oder Kapitel als auch das Total für die vierKlassen von Denkformen.Bruno Frischherz: «Dialektische Textanalyse I» www.zeitschrift-schreiben.eu 23.8.2013 Seite: 4 /6


lyse werden drei Indizes verwendet und kurz beschrieben.Ulmer und Frischherz (2012) diskutieren weitereIndizes für dialektisches Denken in Texten in Bezug aufihre Aussagekraft.Das kognitive Profil ist das wichtigste Mass desCDF, um dialektisches Denken in einem Text zubeschreiben. Es gibt die Prozentwert für die vierKlassen von Denkformen an: [P, K, R; T (%)].Das Profil zeigt die Ausprägung jeder der vierKlassen im Verhältnis zu den übrigen. Dadurchdient es als Indikator für das Gleichgewichtaber auch für das Fehlen von bestimmten Denkformen.(Laske 2009, 624)Der Index für systemisches Denken entsprichtdem Prozentwert für Denkformen der KlasseTransformation im kognitiven Profil. Der Indexist ein Mass für die Fähigkeit, wie ein Text Denkformenaus den drei übrigen Klassen koordiniertund die Transformation eines Systems konzipiert.Der Index fasst in einer Zahl den Schwerpunktder kognitiven Arbeit in einem Text zusammen.(Laske 2009, 624)Der Diskrepanzindex zeigt das Verhältnis vonkritischen Denkformen (Prozess und Relation) zukonstruktiven Denkformen (Kontext und Transformation)zueinander, also (P+R):(K+T). DerIndex zeigt das Gleichgewicht bzw. Ungleichgewichtzwischen kritischem und konstruktivemDenken in einem Text. (Laske 2009, 628)Die dialektische Textanalyse zu den vier Strategiepapierenzeigt folgendes Ergebnis:Total(P+K+R+T)Kognitives Profil[P, K, R; T (%)]Diskrepanzindex(P+R):(K+T)UNEP 2011 7+4+5+6 = 22 [32, 18, 23; 27 (%)] 12:10 = 1.2EC 2011 7+21+3+4 = 35 [20, 60, 9; 11 (%)] 10:25 = 0.4BR 2012 6+28+5+4 = 43 [14, 65, 12; 9 (%)] 11:32 = 0.3EVD 2011 15+20+2+30 = 67 [22, 30, 3; 45 (%)] 17:50 = 0.3Tabelle 2: Ergebnisse der dialektischen Textanalyse im VergleichDie vergleichende Analyse der dialektischen Denkformenzeigt deutliche Unterschiede zwischen den vierStrategiepapieren.UNEP 2011 hat mit [32, 18, 23; 27 (%)] ein ziemlichausgewogenes kognitives Profil, was heisst, dass alleKlassen von Denkformen ungefähr gleichmässig genutztwerden. Zudem zeigt der Diskrepanzindex,dass sich kritische und konstruktive Denkformen etwaWaage halten. Dies bedeutet, dass der Text Themendifferenziert darstellt und verschiedene Sichtweisenintegriert. Er repräsentiert «tiefes» Denken im dialektischenSinne.EC 2011 und BR 2012 haben ähnliche, aber sehr unausgewogenekognitive Profile. Denkformen der KlasseKontext bilden mit 60% bzw. 65% das Rückgrat derbeiden Dokumente. Konstruktive Denkformen (K+T)sind mehr als doppelt so häufig zu finden wie kritischeDenkformen (P+R). Der Grund dafür liegt darin, dassvor allem organisatorische Strukturen und Strategienauf relativ abstraktem Niveau beschreiben werden.Die transformative Kraft des Denkens im dialektischenSinne fehlt den beiden Dokumenten weitgehend.EVD 2011 hat mit 45% einen sehr hohen Index fürSystemdenken. Fast die Hälfte der Denkformen gehörtzur Klasse der Transformation. Das Dokument hat andererseitsden kleinsten Anteil von Denkformen derKlasse Relation. Der Text hat «Anschubcharakter» undschlägt sehr viele konkrete Massnahmen vor. Er machtaber kaum Querbezüge zu anderen Themen oder Fachbereichen.Zudem kommt auch kritisches Denken(P+R) kaum zum Ausdruck, was aus dialektischer Sichteinen Mangel bedeutet.Diese grobe Charakterisierung der Dokumente zeigt dieStärken und Schwächen von Texten aus dialektischerSicht und zeigt gleichzeitig Ansatzpunkte für ihre Weiterentwicklungauf.5 «Tiefes» Denken in TextenDer folgende Abschnitt zeigt, wodurch sich tiefes Denkenin einem Strategiepapier oder ganz allgemein ineinem Text mit hohem Anteil an Denkarbeit auszeichnet.Qualität des DenkensAus dialektischer Sicht zeigt sich Denkqualität in einemText, wenn die Autoren/-innen die unterschiedlichenAspekte (Kontext, Prozess und Relation) eines komplexenThemas hinreichend erhellt haben und trotzwidersprüchlicher Momente zu einer ausgewogenenSynthese kommen, die als Grundlage für Veränderungsprozesse(Transformation) dienen kann. In derTerminologie des CDF lässt die Antwort folgendermassenreformulieren:Bruno Frischherz: «Dialektische Textanalyse I» www.zeitschrift-schreiben.eu 23.8.2013 Seite: 5 /6


«Tiefes» Denken zeichnet sich nach CDF durch folgendeMerkmale aus:• eine ausgeglichene Verwendung von Denkformenaller vier Klassen von dialektischen Denkformen (P,K, R; T),• einen hohen Index für systemisches Denken, d.h.für die Verwendung von transformativen Denkformen(T) sowie• ein ausgeglichenes Verhältnis von kritischen undkonstruktiven Denkformen: (P+R) vs. (K+T).Thematische AbsenzenDer Fokus des vorliegenden Beitrags liegt auf den dialektischenDenkformen, also den Denkstrukturen undnicht auf den Denkinhalten. Trotzdem werden hierkurz auch thematische Aspekte der vier Strategiepapiereangesprochen. Die Integrale Theorie mit ihrenvier Quadranten bietet die Möglichkeit, thematischeAbsenzen festzumachen. Auffallend ist, dass alle vierStrategiepapier fast ausschliesslich Themen aus demunteren rechten Quadranten behandeln, also beobachtbareSysteme. Aufgrund der Textsorte Strategiepapierist es nachvollziehbar, dass kaum Phänomeneder individuellen Quadranten oben links und obenrechts angesprochen werden. Abgesehen von einigenBemerkungen zu Ausbildungsfragen thematisieren dievier Strategiepapiere aber auch kaum Themen des unterenlinken Quadranten, also kulturelle Aspekte, kollektiveWerthaltungen, Machtfragen oder Fragen dersozialen Gerechtigkeit. Diese thematischen Absenzenstellen aus einer systemischen Sicht einen Mangel dar,da neben ökologischen und ökologischen Aspektenselbstverständlich auch soziale Aspekte zur Nachhaltigkeitgehören. Es ist beispielsweise völlig unklar, wiedie Green Economy zur Bekämpfung des Hungers inder dritten Welt beitragen soll, ohne dass sich auch dieDenkweisen in der industrialisierten Welt ändern. In einerumfassenden Sicht der Green Economy müsstensowohl die linken als auch die rechten Quadranten berücksichtigtwerden. Da alle vier Strategiepapiere subjektiveund intersubjektive Aspekte der Nachhaltigkeitpraktisch ausblenden, kann man hier von einem «Tabuder linken Seite» sprechen.zu beschreiben und zu messen, Stärken und Schwächenzu benennen und Einseitigkeiten oder Tabus zuidentifizieren. Zudem ermöglicht sie, verschiedeneTexte oder Versionen eines Textes zu vergleichen.Die dialektische Textanalyse eröffnet einen neuen Anwendungsbereichfür Laskes Constructive-DevelopmentalFramework (CDF). Gleichzeitig stellt sie derangewandten Linguistik ein neues methodisches Instrumentariumder Textanalyse zur Verfügung.Der zweite Teil dieses Beitrages wird zeigen, wie sichdie Theorie der dialektischen Denkformen zudem auchfür die systematische Entwicklung von Texten nutzbringendeinsetzen lässt.LiteraturhinweiseBhaskar, R. 1993. Dialectic: The Pulse of Freedom.London u. New York: Verso.Laske, Otto E. 2006. Measuring Hidden Dimensions:The art and science of fully engaging adults. Volume1. Medford: Interdevelopmental Institute Press.Laske, Otto E. 2009. Measuring Hidden Dimensions:Foundations of requisite organization. Volume 2.Medford: Interdevelopmental Institute Press.Laske, Otto E. 2010. Humanpotenziale erkennen, weckenund messen. Handbuch der entwicklungsorientiertenBeratung, Bd. 1. Medford: InterdevelopmentalInstitute Press.Ulmer, Karin und Bruno Frischherz. 2012. «Dialecticalthinking and text analysis: Application to the topicof the green economy.» http://www.interdevelopmentals.org/pubs/dialectical_thinking_and_text_analysis_Ulmer_Frischherz.pdf (8.1.2013).Wikipedia: Constructive Developmental Framework(CDF). Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Constructive_Developmental_Framework (27.12.2012)Wilber, Ken. 2001. Ganzheitlich handeln: Eine integraleVision für Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität.Freiamt: Arbor.Wilber, Ken. 2006. Integrale Spiritualität. München:Kösel.6 Fazit und AusblickDer vorliegende Beitrag zeigt, wie sich Laskes Theorieder dialektischen Denkformen als systematische Methodeder empirischen Textanalyse einsetzen lässt. Diedialektische Textanalyse erlaubt es, Denken in TextenBruno Frischherz: «Dialektische Textanalyse I» www.zeitschrift-schreiben.eu 23.8.2013 Seite: 6 /6

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