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Historischer Teil - Narr.de

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InhaltIInhalt<strong>Teil</strong> C: Historische Aspekte .................................................................................. 14. Zur slavischen / russischen Diachronie ............................................................................... 14.1 Warum Altkirchenslavisch? ............................................................................................. 24.2 Slavische Urheimat und slavische Landnahme ............................................................ 44.3 Quellen zur Geschichte <strong>de</strong>r slavischen Sprachen .......................................................... 64.4 Periodisierung <strong>de</strong>r russischen Sprache ........................................................................... 84.5 Das Altkirchenslavische .................................................................................................. 174.5.1 Zur Entstehungsgeschichte ................................................................................... 174.5.2 Zur Bezeichnung dieser Sprachepoche ................................................................ 204.6 Zur historischen Genese <strong>de</strong>r kyrillischen, i.e.S. <strong>de</strong>r russischen Schrift .................... 234.7 Grafische Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen .................................................. 294.8 Anmerkungen zu einigen wichtigen slavischen Lautentwicklungen ........................ 314.9 Allgemeine Merkmale <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen ......................................................... 344.10 Die ältesten und wichtigsten Schrift<strong>de</strong>nkmäler <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen .............. 394.11 Altkirchenslavisch und Latein im Vergleich ............................................................. 41<strong>Teil</strong> E: Anhänge ................................................................................................. 446. Abbildungs- und Quellennachweis ..................................................................................... 447. Zusätzliche Literatur ............................................................................................................. 457.7 Zum historischen <strong>Teil</strong> ..................................................................................................... 458. Sachregister (zum Historischen <strong>Teil</strong>) ................................................................................. 48


4.1 Warum Altkirchenslavisch? 1<strong>Teil</strong> C: Historische Aspekte4. Zur slavischen / russischen DiachronieDer hier vorgelegte Historische <strong>Teil</strong> als Ergänzung zur Einführung in die slavistischeSprachwissenschaft kann und will keines <strong>de</strong>r am Markt erhältlichen – o<strong>de</strong>rmittlerweile auch nicht mehr erhältlichen – Werke zum Altkirchenslavischen 1 ersetzen.Er ist gedacht als schneller Einstieg in die Materie für diejenigen, die sich vielleichtspäter noch intensiver hiermit befassen müssen bzw. als Überblick für alle jene,bei <strong>de</strong>nen die Beschäftigung mit <strong>de</strong>n historischen Sprachstufen <strong>de</strong>r Slavinen und imengeren Sinne <strong>de</strong>s Russischen keinen integrieren<strong>de</strong>n <strong>Teil</strong> ihres Studiums bil<strong>de</strong>t.Insbeson<strong>de</strong>re die umfangreiche Formenlehre wird in vielen Lehrbüchern zumAltkirchenslavischen, meist in tabellarischen Übersichten, ausführlich dargelegt unddaher im Rahmen dieser Darstellung nur kurz behan<strong>de</strong>lt.Für einen Einblick in die Forschung und weitere Recherchen sei auf das Literaturverzeichniszu dieser Einführung sowie ferner auf die Bibliografie in TRUNTE(2005) verwiesen.Folgen<strong>de</strong> Aspekte wer<strong>de</strong>n im Weiteren angesprochen: Für die Studieren<strong>de</strong>n interessantist sicher zunächst eine Antwort auf die Frage, warum man sich als Slavistikstu<strong>de</strong>ntInüberhaupt mit <strong>de</strong>m Altkirchenslavischen beschäftigen muss (o<strong>de</strong>r dochzumin<strong>de</strong>st sollte, auch wenn es die Lehrpläne <strong>de</strong>r immer stärker gestrafften Bachelor-und Masterstudiengänge eventuell nicht mehr vorsehen). Im Zusammenhanghiermit ist das in <strong>de</strong>r Wissenschaft viel diskutierte Problem zu sehen, wo die Slaven– und damit auch die Russen – eigentlich herkommen, wo ihre sog. Urheimat zufin<strong>de</strong>n ist. Am Beispiel <strong>de</strong>s Russischen wird danach eine Periodisierung vorgestellt,die die Entwicklung vom Indoeuropäischen als gemeinsamer Grundsprache bis hinzur russischen Sprache <strong>de</strong>r Gegenwart nach ihren jeweiligen Charakteristika in Epochenteilt. Im Anschluss hieran wen<strong>de</strong>n wir uns <strong>de</strong>m Altkirchenslavischen i.e.S. zu,seiner Entstehungsgeschichte und, damit verbun<strong>de</strong>n, seinen verschie<strong>de</strong>nen Bezeichnungsvarianten,bevor wir uns mit <strong>de</strong>r Genese <strong>de</strong>r slavischen Schriftsysteme und ihrengrafischen Beson<strong>de</strong>rheiten beschäftigen. Die Schrift wie<strong>de</strong>rum muss im Zusammenhangmit <strong>de</strong>r lautlichen Entwicklung gesehen wer<strong>de</strong>n, die sich ihrerseits aufverschie<strong>de</strong>nen Ebenen <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen nie<strong>de</strong>rschlägt, so z.B. in <strong>de</strong>r Morphologie.Von dieser wie auch von <strong>de</strong>r Syntax wer<strong>de</strong>n die herausragen<strong>de</strong>n Merkmalekurz erläutert, bevor abschließend die wichtigsten Schrift<strong>de</strong>nkmäler <strong>de</strong>r Epochegenannt wer<strong>de</strong>n und ein Vergleich <strong>de</strong>r kulturellen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Altkirchenslavischenmit jener <strong>de</strong>r lateinischen Sprache <strong>de</strong>n Blick über <strong>de</strong>n engeren Bereich <strong>de</strong>rSlavia hinauslenkt.1Der Terminus Kirchenslavisch wur<strong>de</strong> 1852 von AUGUST SCHLEICHER in seinem WerkFormenlehre <strong>de</strong>r kirchenslawischen Sprache erklärend und vergleichend dargestellt eingeführt(Nachdruck u.a. Hamburg 1998).


24. Zur slavischen / russischen Diachronieискони бh слово ...4.1 Warum Altkirchenslavisch?Diese, von Generationen von Slavistikstudieren<strong>de</strong>n mit einem unüberhörbaren Seufzengeäußerte Frage kann hier nur kurz angerissen wer<strong>de</strong>n.Wer Russisch an <strong>de</strong>r Volkshochschule, in einer privaten Sprachenschule o<strong>de</strong>r inuniversitären Sprachkursen für HörerInnen aller Fachbereiche lernt, hat gute Chancen,diese Veranstaltungen zu durchlaufen, ohne jemals vom Altkirchenslavischen(AKS) zu hören. Ein wissenschaftliches Slavistik- bzw. Russistikstudium wird sichdiesen „Luxus“ nicht leisten. Vielmehr sollte es <strong>de</strong>r Anspruch von Lehren<strong>de</strong>n undStudieren<strong>de</strong>n sein, neben einer möglichst guten sprachpraktischen Ausbildung auchdie geschichtliche Entwicklung <strong>de</strong>s Russischen wenigstens in ihren Grundzügen zubeleuchten. Ohne sie sind nämlich viele Erscheinungen <strong>de</strong>r russischen Sprache <strong>de</strong>rGegenwart nicht vermittelbar und nicht verständlich. Das heute gesprochene undgeschriebene Russisch wäre ohne <strong>de</strong>n substantiellen Beitrag <strong>de</strong>s AKS zur Entwicklungdieser ostslavischen Volkssprache ab <strong>de</strong>m 9. Jh. n.Chr. nicht <strong>de</strong>nkbar. Das Studium<strong>de</strong>s AKS ergänzt somit das kanonisierte, in erster Linie auf die Gegenwart bezogeneund damit synchron ausgerichtete Slavistikstudium um die historische Dimension.Die Beschäftigung mit <strong>de</strong>m AKS selbst weist einerseits einen diachronenund an<strong>de</strong>rerseits einen synchronen Aspekt auf: diachron, weil letztlich die chronologischeEntwicklung <strong>de</strong>r einzelnen Slavinen tangiert wird und auch weil das AKSfür die Dauer seiner Existenz nicht unverän<strong>de</strong>rt geblieben ist; synchron, weil es sich– mit Einschränkungen – um die Beschreibung eines Sprachzustan<strong>de</strong>s im weiterenSinne <strong>de</strong>s Wortes han<strong>de</strong>lt.Es muss von vornherein klargestellt wer<strong>de</strong>n, dass es sich beim AKS nicht, wie etwabeim Altrussischen, um eine Entwicklungsstufe <strong>de</strong>r slavischen Einzelsprachen,hier speziell <strong>de</strong>s Russischen, han<strong>de</strong>lt, die chronologisch zwischen einer früherenund einer späteren Epoche lokalisiert wer<strong>de</strong>n kann. Die Frage, ob es sich beim AKSum eine eigene, von <strong>de</strong>n einzelnen Slavinen grundsätzlich verschie<strong>de</strong>ne o<strong>de</strong>r um einegenetisch verwandte Sprache han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r lediglich um eine funktionsbedingte,primär schriftliche Varietät, ist strittig. Die heute noch leben<strong>de</strong>n Slavinen (wie auchdie ausgestorbenen) sind jedoch die Reflexe in erster Linie <strong>de</strong>r jeweiligen (gesprochenen)Volkssprachen, <strong>de</strong>ren Schriftlichkeit unterschiedlich spät einsetzte und sekundärenCharakter trägt. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang ist für <strong>de</strong>n ost- und <strong>de</strong>n südslavischenBereich (auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Westslavia war die römisch-katholische Kirche mit Lateinals Amtssprache dominierend) von einer Diglossie-Situation auszugehen, d.h.von <strong>de</strong>r Koexistenz <strong>de</strong>s AKS und <strong>de</strong>r jeweiligen, <strong>de</strong>n Schwerpunkt <strong>de</strong>r funktionalenBelastung tragen<strong>de</strong>n Volkssprache. Die Einschätzung ŠACHMATOVS, die russischeLiteratursprache sei „nach ihrer Entstehung eine auf russischen Bo<strong>de</strong>n übertragenekirchenslavische (ihrem Ursprung nach altbulgarische) Sprache, die sich im Laufe<strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r lebendigen Volkssprache angenähert hat“ (ŠACHMATOV /SHEVELOV 1960: 3 2 ), bedarf einer Erläuterung, da sie sehr stark die Differenz zwi-2Im Original heißt es: „[...] по своему происхождению русский литературный язык –это перенесенный на русскую почву церковнославянский [...]“ (ŠACHMATOV, A. A.:


4.1 Warum Altkirchenslavisch? 3schen <strong>de</strong>r lebendigen – überwiegend gesprochenen – Volkssprache und <strong>de</strong>r kirchenslavischen– überwiegend geschriebenen – Literatursprache betont und m.E. dieRolle <strong>de</strong>r Volkssprache unterschätzt. Literatursprache ist nicht nur die Sprache <strong>de</strong>r(schöngeistigen) Literatur, son<strong>de</strong>rn ganz allgemein die Hoch- o<strong>de</strong>r Standardsprache,die aber sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form existiert. DasRussische <strong>de</strong>r Gegenwart ist eher als <strong>de</strong>r Fortsetzer einer slavischen Volkssprachemit (alt)kirchenslavischen Elementen <strong>de</strong>nn als adaptiertes, „oralisiertes“ Kirchenslavischanzusehen. Noch im 18. Jh. war jedoch die – wissenschaftlich unhaltbare (s.o.)– Meinung weit verbreitet, „daß die russische Sprache das neueste Stadium <strong>de</strong>r kirchenslavischensei“ (ŠACHMATOV / SHEVELOV 1960: 49). Zuzustimmen ist dagegen<strong>de</strong>r Formulierung ISSATSCHENKOS (ISAČENKOS) (1980: 71):„Das Altkirchenslavische wur<strong>de</strong> zusammen mit <strong>de</strong>m Christentum als Sakralsprache<strong>de</strong>r orthodoxen Slaven ins Kiever Reich gebracht. Es war unvermeidlich, daß es alsbaldzu Interferenzerscheinungen kam und daß ostslavische Elemente (im Lautsystem,in <strong>de</strong>r Flexion, in <strong>de</strong>r Wortwahl und Wortbildung) ins Altkirchenslavische eindrangen,ohne jedoch die weitgehend gräzisierte Syntax und Phraseologie dieser Sprachezu verletzen.“Richtig ist zweifellos, dass die einzelnen Slavinen im Laufe ihrer Geschichte mehro<strong>de</strong>r weniger zahlreiche kirchenslavische Elemente in sich aufgenommen und angepassthaben. Umgekehrt haben jedoch auch die Volkssprachen auf das AKS eingewirkt.Generell muss man sagen, dass die kulturelle Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s AKS für <strong>de</strong>n gesamtenBereich <strong>de</strong>r Slavia, insbeson<strong>de</strong>re jedoch für die Ost- und Südslavia, nichthoch genug eingeschätzt wer<strong>de</strong>n kann. Viele Zeugnisse vergangener Jahrhun<strong>de</strong>rtesind nur noch o<strong>de</strong>r erstmalig als altkirchenslavische Texte in verschie<strong>de</strong>ner Formerhalten.Die Bašćanska Ploča vom En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 11. Jhs. beispielsweise, gefun<strong>de</strong>n in Baškaauf <strong>de</strong>r kroatischen Insel Krk, ist eine etwa 2x1 m große, in Stein gemeißelte Schenkungsurkun<strong>de</strong>,die nicht nur ein zentrales kulturell-sprachliches, son<strong>de</strong>rn auch einwichtiges historisches Zeugnis darstellt. 4Očerk sovremennogo russkogo literaturnogo jazyka. Izd. 4-e. Moskva 1941. S. 60; 5-e izd.Moskva 2012).


44. Zur slavischen / russischen Diachronie4.2 Slavische Urheimat und slavische LandnahmeEine systematische Beschäftigung mit <strong>de</strong>m AKS führt nicht nur zur Frage nach <strong>de</strong>rHerkunft <strong>de</strong>r slavischen Schrift(en), son<strong>de</strong>rn unweigerlich auch zur Frage nach <strong>de</strong>rHerkunft <strong>de</strong>r Slaven selbst, nach <strong>de</strong>n geografischen Räumen, in <strong>de</strong>nen sie das ersteMal nachgewiesen wer<strong>de</strong>n können und aus <strong>de</strong>nen heraus sie sich über einen beträchtlichen<strong>Teil</strong> Europas und Asiens ausge<strong>de</strong>hnt haben.Die geografische Bestimmung <strong>de</strong>r Urheimat (прародина) <strong>de</strong>r Slaven, d.h. ihresursprünglichen, historisch gesicherten Siedlungsgebietes, ist nicht unumstritten undgehorcht bisweilen politischen Überlegungen.Nach ISSATSCHENKO (1980: 13) lagen „die letzten gemeinsamen Wohnsitze <strong>de</strong>rSlaven nördlich <strong>de</strong>s Karpatenbogens“ und erstreckten sich „über die westliche Ukrainebis zum mittleren Dnepr (Černigov, Kiev) und östlich <strong>de</strong>s Dnepr bis zum oberenDon“. Zur Beschreibung <strong>de</strong>s Siedlungsraumes wer<strong>de</strong>n oft auch die Pripjet-Sümpfe herangezogen. Ob auch ein <strong>Teil</strong> <strong>de</strong>s heutigen Polen zu diesem Siedlungsgebietgehörte, ist umstritten. Laut <strong>de</strong>r mittlerweile klassischen Theorie L. NIEDERLEs(1902, 1923, 1953) erstreckte sich die Urheimat <strong>de</strong>r Slaven nördlich <strong>de</strong>r Karpatenvon <strong>de</strong>n Flüssen Weichsel, im Westen von Bug und Pripjet (Pripjat‘) bis zum Mittellauf<strong>de</strong>s Dnjepr, zum Oberlauf von im Sü<strong>de</strong>n Bug und Dnjestr (sie umfasste damitOstpolen, Südweißrussland und einen <strong>Teil</strong> <strong>de</strong>r Ukraine). T. LEHR-SPŁAWIŃSKI(1946) verschiebt die Urheimat dagegen stark nach Westen, vom Mittellauf <strong>de</strong>r Elbebis auf das Gebiet Wolhyniens (im Südwesten <strong>de</strong>r Ukraine) und im Nordosten biszur Weichsel.Neuere Theorien favorisieren daneben Zentralasien als (iranische) Urheimat <strong>de</strong>rIndogermanen und damit auch <strong>de</strong>r Slaven, was durch wissenschaftliche Erkenntnissebislang nicht hat untermauert wer<strong>de</strong>n können, sofern man überhaupt <strong>de</strong>r Theseeines homogenen protoslavischen Urvolkes zuneigt. Von einer Zuwan<strong>de</strong>rung slavischerStämme aus <strong>de</strong>m Osten in das genannte Gebiet kann ausgegangen wer<strong>de</strong>n,diese ist jedoch in vorgeschichtliche Zeit zu datieren und damit nicht genauer fassbar.Vor allem die Stammesnamen <strong>de</strong>r Venedi (Wen<strong>de</strong>n) und Anti (Anten) sind mit<strong>de</strong>r Vorgeschichte <strong>de</strong>r Slaven eng verbun<strong>de</strong>n.Im Zuge <strong>de</strong>r Völkerwan<strong>de</strong>rung (Великое переселение народов; hier ab <strong>de</strong>m 6.Jh. n. Chr. 3 ) besie<strong>de</strong>ln slavische Stämme die Ostalpen und <strong>Teil</strong>e <strong>de</strong>r Balkanhalbinsel,im 7. o<strong>de</strong>r 8. Jh. erreichen Slaven die Elbe. Um 800 n. Chr. sie<strong>de</strong>ln slavische Stämmevom Finnischen Meerbusen bis zum Peloponnes, von <strong>de</strong>r Nordsee bis zur Oka undWolga. Die slavischen Landnahmen führen zunächst zum Zurückdrängen <strong>de</strong>sChristentums, <strong>de</strong>m alsbald aktiv entgegengewirkt wird; so för<strong>de</strong>rt bspw. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 9.Jhs. Kaiser Basilios von Byzanz die Christianisierung <strong>de</strong>r Slaven.Ein slavisches Sprachkontinuum (языковой континуум) in <strong>de</strong>n genannten Gebietenkann bis ca. 900 n. Chr. vermutet wer<strong>de</strong>n, als die Baiern und Magyaren einenKeil zwischen nördliche und südliche Slaven treiben (ISSATSCHENKO 1980: 14). Mit<strong>de</strong>r geografischen Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Slaven verstärken sich dialektale Ten<strong>de</strong>nzen, so3Die Datierung <strong>de</strong>r Völkerwan<strong>de</strong>rung als eines große <strong>Teil</strong>e Asiens und Europas erfassen<strong>de</strong>nProzesses im Übergang von <strong>de</strong>r (Spät)Antike zum Frühmittelalter erfolgt durchausunterschiedlich zwischen <strong>de</strong>n Anfangs- und Endphasen <strong>de</strong>s 4. und 7./8. Jhs., wird fürEuropa jedoch i.d.R. auf das 4.-6. Jh. eingeschränkt.


4.2 Slavische Urheimat und slavische Landnahme 5dass man vom Zerfall <strong>de</strong>s Gemeinslavischen sprechen kann. Diese Übergangszeitvom Gemeinslavischen zum frühen Ostslavischen nennt ISSATSCHENKO (1980: 14)das Späturslavische. PANZER (1991: 243) bezeichnet als Gemeinslavisch „Alles das,was <strong>de</strong>n überlieferten und existieren<strong>de</strong>n slavischen Sprachen gemeinsam ist“ und alsUrslavisch eine „erste spezifisch slavische Sprachentwicklungsstufe“ in Abgrenzungvon <strong>de</strong>n übrigen indogermanischen Sprachfamilien bzw. Sprachen (Indoiranisch,Armenisch (isoliert), Tocharisch, Hethitisch, Anatolisch, Thrakisch, Dakisch, Illyrisch,Griechisch (isoliert), Italisch, Keltisch, Germanisch, Baltisch).Die Beschäftigung mit <strong>de</strong>r Herkunft <strong>de</strong>r slavischen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r ostslavischenVölker lässt <strong>de</strong>ren Namen teilweise in einem neuen Licht erscheinen. Auchim <strong>de</strong>utschen Sprachraum waren lange Zeit die Bezeichnungen Großrussland (ВеликаяРусь) für das eigentliche Russland und Kleinrussland (Малая Русь o<strong>de</strong>r Малороссия)für die Ukraine üblich. Deren Bewohner hießen entsprechend малороссы‚Kleinrussen’, <strong>de</strong>nen die великороссы ‚Großrussen’ gegenüberstan<strong>de</strong>n. Das dritteostslavische Volk waren und sind die белорусы ‚Weißrussen’ in Белоруссия, weißruss.Беларусь. Der Name малороссы war jedoch keine Eigenbezeichnung <strong>de</strong>rUkrainer und wur<strong>de</strong> von diesen lange als herabwürdigend empfun<strong>de</strong>n, da er sie alsRussen 2. Klasse abzustempeln schien. Mochte dies in <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r Sowjetunionauch in etlichen Bereichen zutreffen, so lässt doch die Genealogie <strong>de</strong>r ostslavischenVölker eine an<strong>de</strong>re, durchaus positive Sichtweise dieses Namens zu, wenn man„klein“ im Sinne von ‚jung’, ‚zur Frühzeit gehörend’ <strong>de</strong>utet. Wie oben gesehen, entsprächedies tatsächlich <strong>de</strong>r (vermuteten) Herkunft, sozusagen <strong>de</strong>r Wiege <strong>de</strong>r Slaven,die eben wohl nicht im späteren großrussischen Reich, son<strong>de</strong>rn grosso modoauf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r nachmaligen Ukraine gestan<strong>de</strong>n hat, die gemeinsam mit einembe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n <strong>Teil</strong> Weißrusslands die Kiever Rus’ ausmachte.Die Bezeichnungen Белоруссия und Weißrussland sind insofern umstritten, alssie fälschlicherweise suggerieren, diese Region sei historisch schon lange mit Russlandverbun<strong>de</strong>n. Korrekter, wenngleich heute nicht mehr in Gebrauch, ist <strong>de</strong>shalb<strong>de</strong>r alte <strong>de</strong>utsche Name Weißruthenien (die Bezeichnung Ruthenien leitet sich vomNamen Rus’ ab; sie ist wie<strong>de</strong>rum synonym zu Reußen und stellt einen Oberbegrifffür die geografisch distinkten Gebil<strong>de</strong> Weiß-, Schwarz- und Rotruthenien dar).Auch zur Herkunft <strong>de</strong>s Namensbestandteils бело- existieren verschie<strong>de</strong>ne Theorien.Das Adjektiv белый wird einmal etymologisch mit болото ‚Sumpf’ in Verbindunggebracht (vgl. u.a. CYGANENKO 1989: 37) und könnte damit ein sumpfiges Siedlungsgebiet<strong>de</strong>r betroffenen Völkerschaften bezeichnet haben. Eine an<strong>de</strong>re Sichtweiseschreibt белый die mittelalterliche geografische Lesart von ‚westlich’ o<strong>de</strong>r ‚nördlich’zu, wodurch Weißrussland als „Westliche Rus’“ zu interpretieren wäre. Einedritte Theorie zur Be<strong>de</strong>utung von белый meint: „The meaning of the word stemsfrom Tatars using word ‘white’ to mean ‘free’, ‘non-taxable’, etc.“ (http://www.belarusgui<strong>de</strong>.com/history1/belname.html) Nichts zu tun hat die Bezeichnung auf je<strong>de</strong>n Fall mit <strong>de</strong>ndie „roten“ Bolschewiken bekämpfen<strong>de</strong>n „Weißen“ <strong>de</strong>s russischen Bürgerkriegsnach <strong>de</strong>r Oktoberrevolution. Dies wäre eine rein volksetymologische Deutung.


4.3 Quellen zur Geschichte <strong>de</strong>r slavischen Sprachen 74. MundartenDas dialektale Sprachmaterial ist bisweilen ebenfalls konservativer als die Standardspracheund reflektiert Zustän<strong>de</strong>, die in <strong>de</strong>r Hochsprache bereits abgelöstwur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st nicht in Schrift<strong>de</strong>nkmälern fixiert sind.5. Altes LehngutHierunter fallen Entlehnungen sowohl <strong>de</strong>s Russischen aus an<strong>de</strong>ren Sprachenals auch von an<strong>de</strong>ren Sprachen aus <strong>de</strong>m Russischen. Diese Lehnwörter habenu.U. nicht alle Lautentwicklungen <strong>de</strong>r Standardsprache mitgemacht.6. Russische Literatursprache <strong>de</strong>r GegenwartAuch das mo<strong>de</strong>rne Russisch hat gewisse Archaismen bewahrt und ist in je<strong>de</strong>mFall als Ausgangspunkt und Vergleichsgrundlage <strong>de</strong>r rückschauen<strong>de</strong>n Untersuchungunerlässlich.


84. Zur slavischen / russischen Diachronie4.4 Periodisierung <strong>de</strong>r russischen SpracheEine tatsächlich von allen Forschern als verbindlich angesehene Periodisierung existiertwe<strong>de</strong>r im Hinblick auf die verschie<strong>de</strong>nen Zeitabschnitte, noch in Bezug auf dieBezeichnungen für die unterschiedlichen Epochen.In je<strong>de</strong>m Fall ist von fließen<strong>de</strong>n Übergängen zwischen <strong>de</strong>n jeweiligen Epochenauszugehen, die einige Jahrhun<strong>de</strong>rte gedauert haben können. Scharfe Schnitte zwischen<strong>de</strong>n Zeitstufen existieren nicht.Die untenstehen<strong>de</strong> Grafik stellt die chronologische Abfolge <strong>de</strong>r einzelnen Entwicklungsstufenvom Indoeuropäischen 4 bis zum Russischen im Überblick dar undfolgt dabei <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll von MULISCH (1993: 18). 5In <strong>de</strong>r Grafik ist das AKS nicht als eigener Entwicklungsschritt (zwischen <strong>de</strong>mGemeinostslavischen und <strong>de</strong>m Altrussischen) aufgeführt, da es, wie noch zu zeigensein wird, als primär liturgische Schriftsprache nicht auf eine Stufe mit <strong>de</strong>n zunächstnur mündlichen und später auch schriftlichen Perio<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Russischen und seinerVorgängerformen gestellt wer<strong>de</strong>n kann. Es existierte parallel zu <strong>de</strong>n primär gesprochenenaltslavischen bzw. altrussischen Volkssprachen und kann als eine von <strong>de</strong>rslavischen/russischen Gemeinsprache stark unterschie<strong>de</strong>ne Varietät mit einem engumgrenzten Funktionsbereich betrachtet wer<strong>de</strong>n.4. bis 3./2. Jt. v.Chr. indoeuropäischeGrundsprache(индоевропейскийязык-основа)bis 5. Jh. n.Chr.Urslavisch/Protoslavisch/Gemeinslavisch(праславянский язык)6. bis 9. Jh. Gemeinostslavisch(общевосточнославянскийязык)10. bis 17. Jh. Altostslavisch / Altrussisch(древнерусский язык) 6 ; Russischseit 10./11. Jh. belegt4Das Indoeuropäische dürfte vor rund 6000 Jahren entstan<strong>de</strong>n sein. Als Wiege diesesIdioms wird Südosteuropa bzw. Anatolien angenommen.5Bei ISSATSCHENKO (1980: 14-23) sieht die Chronologie <strong>de</strong>r Sprachentwicklung bis zurAusglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Ostslavischen dagegen (und damit im Unterschied zu <strong>de</strong>r oben vorgenommenenUnterteilung) wie folgt aus: Gemeinslavisch – Späturslavisch – Früh-Ostslavisch– Ostslavisch.6Vom Altrussischen ist <strong>de</strong>r sogenannte Altnovgoro<strong>de</strong>r Dialekt (древненовгородскийдиалект; Terminus nach A. ZALIZNJAK) abzugrenzen, in <strong>de</strong>m die in <strong>de</strong>r Novgoro<strong>de</strong>r Regionent<strong>de</strong>ckten Birkenrin<strong>de</strong>nurkun<strong>de</strong>n (берестян´ые гр´амоты; 11.-15. Jh.) abgefasstwur<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r offensichtlich unter <strong>de</strong>m Einfluss ostbaltischer Sprachen stand, wodurcher sich von an<strong>de</strong>ren ostslavischen Dialekten v.a. lautlich und morphologisch un-


4.4 Periodisierung <strong>de</strong>r russischen Sprache 9darin: 13. bis 15. Jh.Kleinrussisch(= Ukrainisch,украинскийязык)Großrussisch(великорусский язык)o<strong>de</strong>r Russisch(русский язык)Weißrussisch(= Belorussisch,белорусскийязык)En<strong>de</strong> 17. Jh. bisAnfang 19. Jh.Russische Nationalsprache(русский национальныйязык) und Mo<strong>de</strong>rne russischeLiteratursprache(современный русскийлитературный язык)Abbildung 1: Periodisierung <strong>de</strong>r russischen SpracheBei Datierungen altkirchenslavischer Texte sind die verschie<strong>de</strong>nen, im Laufe <strong>de</strong>rGeschichte verwen<strong>de</strong>ten Kalen<strong>de</strong>rsysteme zu beachten: Um das für unseren GregorianischenKalen<strong>de</strong>r (1582 eingeführt) gültige Jahr zu ermitteln, ist von <strong>de</strong>r im jeweiligenText verwen<strong>de</strong>ten Jahresangabe die Zahl 5508 abzuziehen, da nach <strong>de</strong>mbyzantinischen Kalen<strong>de</strong>r, basierend auf <strong>de</strong>r Bibel, das Jahr 5508 <strong>de</strong>n Zeitpunkt <strong>de</strong>rErschaffung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und damit <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r Zeitrechnung markiert. Peter <strong>de</strong>rGroße modifizierte per Ukas zum 1. Januar 1700 <strong>de</strong>n in Russland mit <strong>de</strong>r Christianisierungeingeführten Julianischen Kalen<strong>de</strong>r und passte ihn <strong>de</strong>r westlichen Zeitrechnungmit <strong>de</strong>r Jahreszählung ab Christi Geburt an. 1918 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r JulianischeKalen<strong>de</strong>r auch in <strong>de</strong>r Sowjetunion vom Gregorianischen abgelöst (auf <strong>de</strong>n 31. Januarfolgte in diesem Jahr direkt <strong>de</strong>r 14. Februar).Vom 11. bis 17. Jh. besitzt das Altbulgarisch-Kirchenslavische das größte Prestigeund wird in immer mehr Bereichen <strong>de</strong>s religiösen und weltlichen Lebens (von <strong>de</strong>rgebil<strong>de</strong>ten Oberschicht, die als einzige schriftkundig ist) verwen<strong>de</strong>t. LexikalischeElemente <strong>de</strong>r ostslavischen Volkssprache dringen erst langsam in die Schriftspracheein. Innerhalb dieser langen Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Altrussischen bzw. Altostslavischen spielendas 13.-15. Jh. eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle für die Ausdifferenzierung <strong>de</strong>r einzelnen(ost-)slavischen Sprachen. Mit <strong>de</strong>m Altrussischen, Altukrainischen und Altweißrussischenentstehen nun die direkten Vorläufer <strong>de</strong>r jeweiligen mo<strong>de</strong>rnen Slavinen.Mit <strong>de</strong>n Reformen Peters <strong>de</strong>s Großen Anfang <strong>de</strong>s 18. Jhs. wird das Kirchenslavischemehr und mehr aus <strong>de</strong>m weltlichen Bereich zurückgedrängt und durch die ostslavischeVolkssprache ersetzt, die sich langsam in allen Bereichen <strong>de</strong>r Literaturdurchsetzt. In <strong>de</strong>r 1. Hälfte <strong>de</strong>s 18. Jhs. entwickelt LOMONOSOV seine 3-Stile-Theorie:Der bis dahin von großer Heterogenität gekennzeichnete russische Wortschatzsollte nach Sprachgattungen geordnet wer<strong>de</strong>n (Kirchensprache – Dichtungssprache– Umgangssprache). Durch die Öffnung Russlands zum Westen dringen auch zunehmendstilistische, syntaktische und lexikalische Elemente aus westeuropäischenSprachen in das Russische ein (durch KARAMZIN u.a.). Zu Beginn <strong>de</strong>s 19. Jhs. setztsich mit <strong>de</strong>r Literatur PUŠKINs <strong>de</strong>r Typus <strong>de</strong>r heutigen mo<strong>de</strong>rnen russischen Stanterschei<strong>de</strong>t.Statt Altrussisch verwen<strong>de</strong>t man heute oft <strong>de</strong>n Terminus Altostslavisch alsOberbegriff und differenziert dann nach <strong>de</strong>n nationalen Ausprägungen Altrussisch, Altukrainisch,Altweißrussisch.


104. Zur slavischen / russischen Diachroniedardsprache durch. Der in obiger Grafik vermerkte Zeitraum „En<strong>de</strong> 17. Jh. bis Anfang19. Jh.“ be<strong>de</strong>utet natürlich nicht, dass das beginnen<strong>de</strong> 19. Jh. das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnenrussischen Sprache markiert; vielmehr hat sich bis zu diesem Zeitpunkt dasIdiom in seinen wesentlichen Grundzügen konsolidiert, was spätere Verän<strong>de</strong>rungennicht grundsätzlich ausschließt. In <strong>de</strong>r Tat entwickelt sich die Sprache ja im 19. und20. Jh. kontinuierlich weiter, wobei historische Ereignisse (1917, 1945, 1991) v.a. inLexik und Phraseologie Spuren hinterlassen. Von <strong>de</strong>r russischen Sprache <strong>de</strong>r Gegenwartspricht man nur für <strong>de</strong>n Zeitraum ab <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 20. Jhs.1. Informieren Sie sich anhand von Sprach- und Literaturgeschichten über die wesentlichenUnterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Sprachen bzw. Sprachkonzeptionen LOMONOSOVS und PUŠKINS.2. Was besagte die 3-Stile-Theorie LOMONOSOVS im Einzelnen, und wie wirkte sie sich aufdie weitere Entwicklung <strong>de</strong>r russischen Sprache aus?Es folgt nun die Periodisierung im Einzelnen, die sich, bei zahlreichen Ergänzungenund Aktualisierungen, überwiegend an <strong>de</strong>r Darstellung von ECKERT/CROME/FLE-CKENSTEIN (1983: 17-20) orientiert.1. Die Entwicklung bis zur Herausbildung <strong>de</strong>r russischen Nationalsprachevon <strong>de</strong>n Anfängen bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 17. Jhs.A) Das Indoeuropäische / Indogermanische (общеиндоевропейский праязык)Der Anfang <strong>de</strong>s 19. Jhs. geprägte Terminus „Indogermanisch“ sollte das damalsbekannte Territorium, auf <strong>de</strong>m eine einheitliche Grundsprache Verwendungfand, durch <strong>de</strong>n jeweils östlichsten (Indisch) und westlichstenVertreter (Germanisch) dieser Grundsprache begrifflich fassen. Inzwischensind jedoch noch weiter östlich und westlich gelegene Sprachen dieser Sprachengruppe(Tocharisch in Ostturkistan, die festland- und inselkeltischenSprachen in Gallien und Britannien) gefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n, aus Traditionsgrün<strong>de</strong>nist <strong>de</strong>r Terminus „Indogermanisch“ bzw. „Indoeuropäisch“ jedoch beibehaltenwor<strong>de</strong>n.Indogermanisch/Indoeuropäisch stellt eine Bezeichnung für jene Sprachfamiliedar, die aufgrund von sprachgeschichtlichen Rekonstruktionen alsAusgangspunkt für die spätere Ausdifferenzierung in Sprachzweige undEinzelsprachen angesetzt wird. Der Zerfall dieser Grundsprache ist etwa fürdas 3. Jahrtausend v. Chr. anzusetzen.Als Übergangsepoche zwischen <strong>de</strong>m Indoeuropäischen und <strong>de</strong>m Urslavischenist eine balto-slavische Spracheinheit umstritten. Als gesichert giltaber wohl, dass sich die baltische und die slavische Sprachfamilie genetischbeson<strong>de</strong>rs nahe stan<strong>de</strong>n. Vgl. hierzu SCHOLZ (1966: 84, Anm. 4):„Das Baltische, zu <strong>de</strong>m das Litauische, das Lettische und das im 16. Jahrh. ausgestorbeneAltpreußische gehören, weist nicht nur im Wortschatz, son<strong>de</strong>rnauch in <strong>de</strong>r Morphologie und in <strong>de</strong>r Syntax viele Gemeinsamkeiten mit <strong>de</strong>mSlavischen auf. Doch sind die Meinungen <strong>de</strong>r Forscher darüber geteilt, ob wireine gemeinsame baltisch-slavische Entwicklungsperio<strong>de</strong> anzusetzen haben, dienach <strong>de</strong>r Loslösung aus <strong>de</strong>m Idg. anzunehmen wäre. Da neben <strong>de</strong>n Gemein-


4.4 Periodisierung <strong>de</strong>r russischen Sprache 11samkeiten auch manche grundlegen<strong>de</strong> Unterschie<strong>de</strong> im Bau <strong>de</strong>s Baltischen undSlavischen vorhan<strong>de</strong>n sind, ist es auch möglich, daß die Gemeinsamkeiten z.T.auf parallele Entwicklungen von aus <strong>de</strong>m Idg. [Indogermanischen; T.B.] ererbtenWörtern und Formen zurückzuführen sind, zumal wenn man berücksichtigt,daß die Vorläufer <strong>de</strong>s Baltischen und Slavischen benachbarte und engverwandte Dialekte <strong>de</strong>s Idg. darstellten [...].“Die baltischen Sprachen, die sich in eine ost- und eine westbaltische Gruppeaufteilen lassen, sind im ganzen <strong>de</strong>utlich archaischer als die sie umgeben<strong>de</strong>nSprachen (am stärksten gilt dies für das Litauische) und stehen damit <strong>de</strong>nnordindischen Sprachen am nächsten. Gleichzeitig weisen die baltischenIdiome untereinan<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum so viele Unterschie<strong>de</strong> auf, dass sie gegenseitignicht o<strong>de</strong>r kaum verständlich sind.B) Das Urslavische (праславянский язык)Als direkte Grundlage für die weitere Ausdifferenzierung in die einzelnenZweige <strong>de</strong>r Slavinen bzw. die weiteren einzelsprachlichen Entwicklungengilt das Urslavische. Es wird zeitlich etwa von <strong>de</strong>r Großen Völkerwan<strong>de</strong>rungMitte <strong>de</strong>s 1. Jahrtausends n. Chr. begrenzt, als die regionalen Unterschie<strong>de</strong>be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n.Es han<strong>de</strong>lt sich auch hier nicht um eine überlieferte, mit Schrift<strong>de</strong>nkmälernbelegbare Sprache, son<strong>de</strong>rn um„eine Sprachstufe, die man im Rahmen eines genetisch-historischen Mo<strong>de</strong>lls<strong>de</strong>r Entwicklung verwandter Sprachen annehmen kann, über die man in diesemRahmen hypothetische Aussagen machen kann, die sich in die genetisch<strong>de</strong>ut- und vergleichbaren Fakten überlieferter Sprachen und Sprachzustän<strong>de</strong>einfügen und diese erklären.“ (PANZER 1991: 243)C) Das Gemeinostslavische (общевосточнославянский язык)Vom 8. bis 14. Jh. setzt man das Gemeinostslavische an, das wie<strong>de</strong>rum in 2Abschnitte unterteilt wer<strong>de</strong>n kann:a) Das frühe GemeinostslavischeDie Perio<strong>de</strong> vom 8. bis zur Mitte <strong>de</strong>s 11. Jhs. ist noch eine Zeit ohneschriftliche Zeugnisse. Von V. KIPARSKY wur<strong>de</strong> sie „Urrussisch“ genannt.988 nimmt Vladimir Svjatoslavič das orthodoxe Christentum als Staatsreligionan und öffnet somit <strong>de</strong>m altkirchenslavischen Schrifttum unddamit <strong>de</strong>m AKS selbst <strong>de</strong>n Weg nach Russland.b) Das Altrussische im engeren SinnZwischen <strong>de</strong>m 11. und <strong>de</strong>m 14. Jh. kommt es zur Konsolidierung <strong>de</strong>r ostslavischenStammesdialekte und zur Herausbildung von territorialenDialekten auf ihrer Grundlage. Im frühfeudalen Kiever Staat entwickeltsich das Schrifttum, doch ist noch eine starke kulturelle Abhängigkeitvon Byzanz gegeben. Erhaltene schriftliche Quellen sind Inschriften aufMünzen, Gefäßen, Kreuzen, Hausrat. Als ältester Beleg gilt ein Graffitoaus <strong>de</strong>m Jahr 1052 (in <strong>de</strong>r Kiever Sophienkathedrale) (ISSATSCHENKO1980: 63). Der älteste längere kirchenslavische Text ist das Ostromir-Evangelium (1056; unter http://character.webzone.ru/ostromir.htm ist <strong>de</strong>r Text mit


124. Zur slavischen / russischen Diachronievielen bildlichen Darstellungen und Hintergrundinformationen zu fin<strong>de</strong>n).Die 1113 entstan<strong>de</strong>ne, historisch wie sprachlich äußerst interessanteNestor-Chronik ist erst aus Abschriften <strong>de</strong>s 14. Jhs. erhalten, so dasshier, wie auch in an<strong>de</strong>ren Fällen, mit <strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>r sprachlichen „Verfälschung“zu rechnen ist. Die älteste datierte Urkun<strong>de</strong> stammt etwa aus<strong>de</strong>m Jahr 1130, während die für <strong>de</strong>n Kiever Staat be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Gesetzeskodifikation<strong>de</strong>r Russkaja Pravda im 11. und 12. Jh. verfasst wur<strong>de</strong>.Zwischen <strong>de</strong>m 13. und <strong>de</strong>m 15. Jh. kommt es zur allmählichen Auflösung<strong>de</strong>s Gemeinostslavischen,„als zuerst das Ukrainische einige spezifische Züge entwickelte und späterauch das Belorussische sich in seiner einzelsprachlichen Herausbildung abzuhebenbegann, während das Russische (Großrussische), die Sprache <strong>de</strong>rgroßrussischen Völkerschaft, sich im Rahmen <strong>de</strong>s Moskauer Staates weiterentwickelte.“ (ECKERT / CROME / FLECKENSTEIN 1983: 19)Auch SCHOLZ (1966: 11), <strong>de</strong>r die Herausbildung einer beson<strong>de</strong>ren Gruppevon ostslavischen Dialekten als Grundlage für die (groß)russischeSprache für das 7./8. Jh. ansetzt, geht bereits für das 13./14. Jh. von einerspezifischen (groß)russischen Sprache mit charakteristischen dialektalenBeson<strong>de</strong>rheiten aus.D) Das Altrussische (древнерусский язык)Der Terminus bezeichnet im weiteren Sinne die Epoche vom 11. bis zumEn<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 17. Jhs. PANZER (1991: 4f) schlägt als Bezeichnung dieses Entwicklungsabschnittes<strong>de</strong>n Terminus „Altostslavisch“ vor, da es innerhalb <strong>de</strong>rKiever Rus’ noch nicht zu einer Ausdifferenzierung <strong>de</strong>r drei ostslavischenSprachen Russisch, Weißrussisch und Ukrainisch gekommen sei, und verweistauf <strong>de</strong>n Versuch, diese älteste ostslavische Sprachstufe als „rusisch“( Rus’) zu bezeichnen, was <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen „reußisch“ entspricht.Charakteristisch für diese Epoche sind die Beeinflussung <strong>de</strong>s AKS durch dielebendige russische Volkssprache und damit die Herausbildung <strong>de</strong>s sog.Russisch-Kirchenslavischen als Mischform o<strong>de</strong>r Hybridsprache aus ostslavischenund südslavischen (altkirchenslavischen) Elementen.a) Die altrussische Perio<strong>de</strong> im engeren Sinn (древнерусский язык старшейпоры)Sie erstreckt sich vom 11. bis zum 14. Jh. und ist zugleich die Spätperio<strong>de</strong><strong>de</strong>s Gemeinostslavischen.Im Jahre 1240 zerfällt die Kiever Rus’ unter <strong>de</strong>m Ansturm <strong>de</strong>r Mongolen(Tataren), und es kommt unter <strong>de</strong>r bis 1380 dauern<strong>de</strong>n Tatarenherrschaftzur feudalen Zersplitterung <strong>de</strong>s Staatsgebil<strong>de</strong>s, die zum Entstehenvon regionalen Dialekten <strong>de</strong>s Altrussischen führt und in letzter Konsequenzzur Ausdifferenzierung <strong>de</strong>s Großrussischen (Russischen), Kleinrussischen(Ukrainischen) und Weißrussischen (Belorussischen) im14./15. Jh. Im Zuge <strong>de</strong>r kriegerischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen wer<strong>de</strong>nauch große <strong>Teil</strong>e <strong>de</strong>s mittelalterlichen Originalschrifttums zerstört. DieStadtrepublik Novgorod löst Kiev als politisches und kulturelles Zentrum<strong>de</strong>r Ostslavia ab. Es entwickelt sich eine thematisch breit gestreute Bir-


4.4 Periodisierung <strong>de</strong>r russischen Sprache 13kenrin<strong>de</strong>n-Schriftkultur, <strong>de</strong>ren älteste Fragmente aus <strong>de</strong>m 11. Jh. stammenund die sich bis gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 15. Jhs. hält, als das MoskauerGroßfürstentum als Machtzentrum wie<strong>de</strong>rum die Nachfolge Novgorodsantritt. Aus Pergament- bzw. Papiermangel verwen<strong>de</strong>t man fallweisenoch bis in das 17. und 18. Jh. hinein Birkenrin<strong>de</strong> als Beschreibstoff, v.a.in Sibirien. Aus schreibtechnischen Grün<strong>de</strong>n wird für die so eingeritzteKyrillica nur eine eckige Variante ohne Kursive und Ligaturen verwen<strong>de</strong>t(vgl. HAARMANN 1991: 484).b) Die großrussische / mittelrussische Perio<strong>de</strong> (великорусский / среднерусский/ старорусский период)Dieser Zeitabschnitt erstreckt sich vom 14. bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 17. Jhs. undfällt mit <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s Moskauer Staates zusammen. Das sprachlichcharakteristische Merkmal <strong>de</strong>r Epoche ist <strong>de</strong>r sog. zweite süd-/ kirchenslavischeEinfluss, <strong>de</strong>r wohl durch die Eroberung <strong>de</strong>s serbischen(1389) und <strong>de</strong>s bulgarischen Reiches (1393) durch die Osmanen geför<strong>de</strong>rtwird, da diese, wie einige Wissenschaftler behaupten – und an<strong>de</strong>rekategorisch ablehnen (siehe ISSATSCHENKO) –, zu einer Ansiedlung zahlreicherGelehrter aus <strong>de</strong>n eroberten Gebieten in <strong>de</strong>r Kiever Rus’ führt.Der zweite südslavische Einfluss auf das Russische (vgl. hierzu auch TA-LEV 1973) ergibt sich aus <strong>de</strong>r„‚Revision‘ <strong>de</strong>s Mittelbulgarischen, <strong>de</strong>ren Hauptanliegen es war, die geschriebeneSprache auch äußerlich wie<strong>de</strong>r an die altkirchenslavischen Traditionenanzunähern, wobei gleichzeitig auch eine Angleichung an die zeitgenössischegriechische Schreibkonvention angestrebt wur<strong>de</strong>. [...] Für das provinzielleMoskau jener Zeit war in <strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>s Ritus, <strong>de</strong>s Kirchenrechtsund <strong>de</strong>r ‘Bücher’ Byzanz die höchste Autorität. Je<strong>de</strong> Nachahmung <strong>de</strong>s griechischenVorbil<strong>de</strong>s mußte begrüßt wer<strong>de</strong>n.“ (ISSATSCHENKO 1980: 215)Diese Rebulgarisierung, man könnte auch sagen: Archaisierung, hat weitreichen<strong>de</strong>Folgen auf praktisch allen Ebenen <strong>de</strong>s Sprachsystems: Grafieund Orthoepie, Phonetik/Phonologie, Morphologie, Syntax, Wortschatz.Als oberste Leitlinie gilt das Ausmerzen ostslavisch-volkssprachlicherEinflüsse auf das AKS, um die liturgische Sprache wie<strong>de</strong>r ihrem ursprünglichenZustand und damit auch <strong>de</strong>m ursprünglichen Sinn <strong>de</strong>r Bibelanzunähern. Hierdurch festigt sich eine Diglossie-Situation durch dieparallele Existenz <strong>de</strong>r altkirchenslavischen, <strong>de</strong>n einfachen Menschen in<strong>de</strong>r Ostslavia unverständlichen Liturgiesprache und <strong>de</strong>r ostslavischenVolkssprache, die ausschließlich für weltliche Zwecke verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>ndarf.Auf lautlichem Gebiet setzt sich die Volkssprache immer mehr durch. Ab<strong>de</strong>m 15. Jh. entsteht die Moskauer Kanzleisprache auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>rMoskauer Volkssprache. Die russische Sprache als Ganzes ist als Synthese(entlehnter) kirchenslavischer und (genuin) volkssprachlicher Elementezu betrachten; v.a. im Bereich von Wortbildung und Wortschatzbleibt das AKS für die weitere Entwicklung <strong>de</strong>s Russischen von Be<strong>de</strong>utung.Nach <strong>de</strong>r Eroberung Byzanz’ 1453 entsteht die Doktrin von Moskauals <strong>de</strong>m „Dritten Rom“. Von beson<strong>de</strong>rer kulturwissenschaftlicher


144. Zur slavischen / russischen DiachronieBe<strong>de</strong>utung ist <strong>de</strong>r auch in sprachlicher Hinsicht ebenso anspruchsvollewie interessante Domostroj:„Der Domostroj (Der Hausvater, Hauswirt) ist <strong>de</strong>r russische Originalbeitrag<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts (Epoche Ivans <strong>de</strong>s Schrecklichen) zur europäischenchristlichen Ökonomie- und Hausväterliteratur von hohem realienkundlichenInteresse; er ist einer <strong>de</strong>r wichtigsten Quellentexte und Dokumentation<strong>de</strong>r Desi<strong>de</strong>rata altrussischen Alltagslebens (Postulate religiöser, moralischethischerNatur; Orthodoxie und Orthopraxie; Verhältnis zur Obrigkeit;Familienleben und Kin<strong>de</strong>rerziehung; Umgang mit <strong>de</strong>m Gesin<strong>de</strong>; Hauswirtschaft,auch Gartenbau; Markt, Vermarktung und Han<strong>de</strong>l; Bevorratung;Küche und Keller etc.). Gesellschaftliche Zielgruppe sind die moskowitischenhomines novi, <strong>de</strong>r Diensta<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts.“ (http://www.unimuenster.<strong>de</strong>/SlavBaltSeminar/home/Birkf.htm;Herv. im Orig.)In verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn erscheinen Grammatiken <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen,so von LAVRENTIJ ZIZANIJ (Vilnius 1596), MELETIJ SMOTRICKIJ(1619, Moskau 1648) und H. W. LUDOLF (Grammatica rossica, Oxford1696).2. Die Geschichte <strong>de</strong>r russischen NationalspracheA) Die Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Herausbildung <strong>de</strong>r russischen Nationalsprache (русский национальныйязык)Sie umfasst <strong>de</strong>n Zeitraum vom En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 17. Jhs. bis zum 1. Drittel <strong>de</strong>s 19.Jhs. und beginnt mit <strong>de</strong>r Zeit Peters <strong>de</strong>s Großen. Erste Ansätze zur Schaffungeiner normativen Grammatik <strong>de</strong>r russischen Sprache erfolgen durchV. E. ADODUROV im 1. Drittel <strong>de</strong>s 18. Jhs. Im Jahre 1755 verfasst LOMONO-SOV seine Rossijskaja grammatika (veröffentlicht 1757) mit <strong>de</strong>r 3-Stile-Theorie, die die sprachlichen Elemente bzw. Ebenen <strong>de</strong>s Russischen bestimmtenFunktionsbereichen zuordnet. In <strong>de</strong>r 2. Hälfte <strong>de</strong>s 18. Jhs. wer<strong>de</strong>nin <strong>de</strong>r Tradition LOMONOSOVS mehrere Grammatiken zur russischen Sprachepubliziert, u.a. durch N. G. KURGANOV und A. A. BARSOV. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18.Jhs. schafft KARAMZIN (gegen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r am AKS orientiertenTraditionalisten unter A. S. ŠIŠKOV) eine vereinheitlichte, jedoch als künstlichempfun<strong>de</strong>ne elegante Sprache, die in Wortschatz und Syntax zahlreicheAnleihen v.a. beim Französischen macht und die später von PUšKIN überwun<strong>de</strong>nwird, in<strong>de</strong>m er direkt aus <strong>de</strong>r einfachen Volkssprache schöpft unddiese mittels einer Synthese aus Volkssprache, Hochsprache und AKS füralle Gattungen literaturfähig macht. Die von Peter <strong>de</strong>m Großen initiierte regeÜbersetzungstätigkeit führt dazu, dass <strong>de</strong>r russische Wortschatz schnellmit neuen Wörtern bereichert wird.B) Die Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r russischen Sprache <strong>de</strong>r Gegenwart (современный русскийлитературный язык)a) 19. Jh. bis A. 20. Jh.Wichtige Werke für die wissenschaftliche Beschäftigung mit <strong>de</strong>r russischenSprache sind:1827 russische Grammatik von N. I. GREČ;


4.4 Periodisierung <strong>de</strong>r russischen Sprache 151831 Russkaja grammatika von A. CH. VOSTOKOV (unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung<strong>de</strong>r Volkssprache);1849 Mysli ob istorii russkogo jazyka von I. I. SREZNEVSKIJ;1852 russische Aka<strong>de</strong>miegrammatik von I. I. DAVYDOV;1858 Opyt istoričeskoj grammatiki russkogo jazyka von F. I. BUSLAEV;1874 Iz zapisok po russkoj grammatike von A. A. POTEBNJA.b) 1917 bis 1985 (Sowjetzeit)Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen nach <strong>de</strong>r Oktoberrevolution fin<strong>de</strong>nim Sowjetimperium vor allem in <strong>de</strong>r Lexik einen nachhaltigen Nie<strong>de</strong>rschlag.Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r politische und ökonomische <strong>Teil</strong> <strong>de</strong>s russischenWortschatzes erfährt eine tiefgreifen<strong>de</strong> Wandlung und Aus<strong>de</strong>hnung.Sprachliche Einflüsse von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s Eisernen Vorhangs, v.a. aus<strong>de</strong>m anglo-amerikanischen Bereich, sind spürbar, wenngleich begrenzt. DieSowjetzeit fin<strong>de</strong>t mit <strong>de</strong>r Perestrojka und <strong>de</strong>r verordneten Glasnost’ ihrenAbschluss.c) 1985 bis heute (postsowjetische Perio<strong>de</strong>)Die politische Liberalisierung geht Hand in Hand mit einem <strong>de</strong>utlich gestiegenenZugang zu westlicher Technik, u.a. im Bereich <strong>de</strong>r Kommunikationsmedien(Telefonie, Internet), <strong>de</strong>r sich wie<strong>de</strong>rum in sprachlicher Hinsichtauswirkt: Die russische Sprache passt sich, wie auch das Englische, Deutscheetc., <strong>de</strong>n Erfor<strong>de</strong>rnissen einer schnellen, ökonomischen Kommunikationan, was von Sprachpuristen großenteils als Degenerierung <strong>de</strong>r Hochspracheverurteilt wird. Auch im Russischen etablieren sich neue Textformen wie E-Mail und Chat, die in ihrer Ausgestaltung zwar unter direktem anglophonenEinfluss stehen, an<strong>de</strong>rerseits aber auch eine genuin russische Sprachkreativitätspüren lassen. Die (erneute) sprachliche Öffnung Russlands zumWesten äußert sich in einem Hereinströmen von zahlreichen Anglizismen,die einen nicht zu vernachlässigen<strong>de</strong>n Einfluss auf die stilistischen Varietäten<strong>de</strong>r russischen Sprache nehmen. Diese hat damit innerhalb von etwa 20Jahren Entwicklungen nachvollzogen, die in Westeuropa bereits seit <strong>de</strong>mEn<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges mit einer gefestigten anglo-amerikanischenkulturellen – und damit sprachlichen – Vorherrschaft zu beobachten waren.Damit schließt sich <strong>de</strong>r Bogen vom AKS bis zur russischen Sprache <strong>de</strong>r Gegenwart.Zum historischen Verhältnis <strong>de</strong>s (mo<strong>de</strong>rnen) Russischen und <strong>de</strong>s AKS heißt es beiSCHOLZ (1966: 12) zusammenfassend:„[...] ist <strong>de</strong>r Prozentsatz kirchenslav. Elemente, die <strong>de</strong>r russischen Schriftsprache auf<strong>de</strong>r morphonologischen Ebene und bes. auf <strong>de</strong>r lexikalischen Ebene einverleibt wor<strong>de</strong>nsind und die heute nicht mehr als frem<strong>de</strong> Bestandteile empfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, beträchtlich,sodaß man vom sprachhistorischen Standpunkt aus die heutige russ.Schriftsprache als Mischsprache betrachten muß.“Die von SCHOLZ im Hinblick auf das AKS geäußerte Einschätzung, das Russische seials Misch- o<strong>de</strong>r Hybridsprache zu betrachten, lässt sich mit einigen Einschränkungenauf <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>s Englischen auf das Russische übertragen. Überspitzt formuliertläuft die russische Sprache Gefahr (und dies hat sie mit einigen westeuropäischenSprachen gemeinsam), von einem slavischen Idiom zu einer anglo-slavischen


164. Zur slavischen / russischen DiachronieMischsprache als einer (bislang) letzten Entwicklungsetappe zu mutieren. Dies istsicherlich eine sprachpuristische Sichtweise, während Pragmatiker argumentieren,die russische Sprache lebe und entwickle sich je nach ihren kommunikativen Bedürfnissenund habe zu<strong>de</strong>m schon immer im Laufe ihrer Geschichte fremdsprachlicheEinflüsse in sich aufgenommen, ohne hierdurch ihren slavischen Charakter verlorenzu haben. Продолжается...


4.5 Das Altkirchenslavische 174.5 Das Altkirchenslavische4.5.1 Zur EntstehungsgeschichteDas Entstehen <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen ist nicht <strong>de</strong>nkbar ohne die etliche Jahrhun<strong>de</strong>rtewähren<strong>de</strong> Epoche <strong>de</strong>r Christianisierung und Missionierung. Letztere machteja erst die „Erfindung“ einer (neuen) Schriftsprache im slavischen Sprachraum erfor<strong>de</strong>rlich.Die erste als Staat christianisierte Nation war Armenien: die ersten Missionare,die Apostel Thaddäus und Bartholomäus, hatten dort schon in <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s 1. Jhs.gepredigt, und es entstand zunächst eine Untergrundkirche. Um 301 kam es danndurch die Bekehrung <strong>de</strong>s Königs Trdat III. zur Proklamation <strong>de</strong>s Christentums alsStaatsreligion. Zum Vergleich: In Westeuropa wur<strong>de</strong> erstmals durch das von KaiserKonstantin I. im Jahre 313 erlassene Toleranzedikt von Mailand, das die allgemeineReligionsfreiheit garantierte, das Christentum zur erlaubten Religion im RömischenReich, und noch später erhob Kaiser Theodosius I. 380 das Christentum zur Staatsreligion.Eine herausragen<strong>de</strong> Rolle in <strong>de</strong>r frühzeitlichen Missionierung Mitteleuropas umdas 6. und 7. Jh. spielten irisch-schottische Mönche sowie die Einflüsse Roms. Siewur<strong>de</strong> unter an<strong>de</strong>rem vorangetrieben durch die Missionare Patrick, Columban,Gallus, Bonifatius („Apostel <strong>de</strong>r Deutschen“) und Kilian. Karl <strong>de</strong>r Große besiegteum 800 die heidnischen Sachsen in Nord<strong>de</strong>utschland, was als weiterer Meilensteinin <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Christianisierung angesehen wer<strong>de</strong>n kann.Die Verbreitung <strong>de</strong>s christlichen Glaubens verlief in <strong>de</strong>n einzelnen slavischenLän<strong>de</strong>rn sehr unterschiedlich und kann hier jeweils nur kurz angerissen wer<strong>de</strong>n.Konstantin(os) (mit Mönchsnamen Kyrill(os), Кирилл, 827-869) und sein ältererBru<strong>de</strong>r Method(ios) (Мефодий, gest. 885) stammten aus <strong>de</strong>m südmakedonischenThessalonike (Фессалоника, <strong>de</strong>m heutigen Saloniki; slav. Солунь) und waren gebürtigeGriechen. Sie wur<strong>de</strong>n als die später so genannten Slavenapostel (mansollte wohl eher von Slavenlehrern sprechen; so wer<strong>de</strong>n sie auch im Russischen genannt:учители Словенских) vom byzantinischen Kaiser Michael III. (842-867) aufBitten <strong>de</strong>s großmährischen Fürsten Rostislav mit <strong>de</strong>r Missionierung <strong>de</strong>r heidnischenSlaven in Mähren 7 betraut. Bei<strong>de</strong> sind zu Schutzheiligen Bulgariens ernanntwor<strong>de</strong>n, darüber hinaus auch – von <strong>de</strong>r Katholischen Kirche – zu Schutzpatronenganz Europas, was die konfessionsübergreifen<strong>de</strong>, gesamteuropäische Dimension ihresWirkens eindrucksvoll unterstreicht. 8In Polen kamen verschie<strong>de</strong>ne Volksstämme wahrscheinlich im 9. Jh. über dasGroßmährische Reich mit <strong>de</strong>m christlichen Glauben zum ersten Mal in Kontakt.Die Wislanen in Kleinpolen wur<strong>de</strong>n zur Zeit <strong>de</strong>r byzantinischen Slavenapostel Kyrillund Method von <strong>de</strong>n Herrschern <strong>de</strong>s Großmährischen Reiches erobert. MährischenChroniken zufolge soll bereits zu dieser Zeit das Christentum im slavischen 57In <strong>de</strong>r heutigen Tschechischen Republik gelegen; slavisch Morava nach <strong>de</strong>m slavischenStamm <strong>de</strong>r Moraver.8Seit 1985 feiert Russland jährlich am 24. Mai <strong>de</strong>n „День славянской письменности икультуры“ und ehrt in diesem Zusammenhang die bei<strong>de</strong>n Brü<strong>de</strong>r für ihre herausragen<strong>de</strong>nkulturellen Leistungen, die das Schicksal <strong>de</strong>r Slaven in eine neue Richtung lenkten.


184. Zur slavischen / russischen Diachronie 6Ritus in <strong>de</strong>r Region um Krakau eingeführt wor<strong>de</strong>n sein. Im Jahre 965 heiratete <strong>de</strong>rHerzog von Polen, Mieszko I., eine tschechische Prinzessin christlichen Glaubensund ließ sich im folgen<strong>de</strong>n Jahr im lateinischen Ritus taufen. Dies war gleichbe<strong>de</strong>utendmit <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>s Christentums als Staatsreligion. Polen war jedoch imMittelalter nie einheitlich christlich.833 wur<strong>de</strong> das Großmährische Reich unter Fürst Mojmír I. gegrün<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>m 846Rastislav und 871 Svatopluk als Herrscher nachfolgten. 864 trafen Kyrill und Methodin Großmähren ein, die Liturgie wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Folge slavisch. Mit <strong>de</strong>m Tod Kyrills869 en<strong>de</strong>te die byzantinische Mission. Svatopluk starb 894, und <strong>de</strong>r Zerfall <strong>de</strong>sGroßmährischen Reiches setzte ein. Es fand eine Rückkehr zur westlichen lateinischenKirche und Kultur statt.Das Gebiet <strong>de</strong>s heutigen Kroatiens, das im Altertum <strong>Teil</strong> <strong>de</strong>s Römischen Reichesgewesen war, wur<strong>de</strong> zur Zeit <strong>de</strong>r Völkerwan<strong>de</strong>rungen vom slavischen Volk <strong>de</strong>r Kroatenbesie<strong>de</strong>lt. Spätestens seit <strong>de</strong>m 8. Jh. existierte ein selbständiger kroatischerStaat, <strong>de</strong>r im 9. Jh. christianisiert wur<strong>de</strong>.Die serbischen Stämme kamen wahrscheinlich schon im 6. Jh. mit <strong>de</strong>m Christentumin Kontakt, aber es sollte mehrere Jahrhun<strong>de</strong>rte dauern, bis alle <strong>de</strong>n christlichenGlauben annahmen. Zur Zeit <strong>de</strong>s Fürsten Mutimir im 9. Jh. soll das frühe Serbienendgültig christianisiert wor<strong>de</strong>n sein. Für die Serben war damals <strong>de</strong>r orthodoxeErzbischof von Ohrid zuständig. Als die Kreuzritter 1204 die byzantinische HauptstadtKonstantinopel eroberten und einen großen <strong>Teil</strong> von Byzanz unter sichaufteilten, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r katholische Druck auf Serbien stärker. Die Römische Kirchebegann ihre Position in Serbien zu festigen. 1221 wur<strong>de</strong> die Serbisch-OrthodoxeKirche ins Leben gerufen.Auch das montenegrinische Christentum hat seine Wurzeln im Katholizismus,<strong>de</strong>r erst infolge <strong>de</strong>r Eroberung Dukljas (<strong>de</strong>r späteren Zeta) durch das benachbarteRaška (das spätere Serbien) im 12. Jh. von <strong>de</strong>r Orthodoxie abgelöst wur<strong>de</strong>. Folgen<strong>de</strong> orthodoxe Patriarchate entstan<strong>de</strong>n in nachkaiserlicher Zeit: das Patriarchatvon Moskau und ganz Russland (o<strong>de</strong>r: und <strong>de</strong>m ganzen Nor<strong>de</strong>n) mit altslavischerLiturgie, das Patriarchat von Serbien mit altslavischer Liturgie, das Patriarchatvon Rumänien mit Liturgie in mo<strong>de</strong>rnem Rumänisch, das Patriarchat von Bulgarienmit altslavischer Liturgie, das Patriarchat von Georgien mit altgeorgischer Liturgie.Nach <strong>de</strong>m Tod Kyrills und Methods wur<strong>de</strong>n ihre Schüler und Nachfolger, v.a.Kliment (gest. 916) und Naum, En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 9. Jhs. / Anfang <strong>de</strong>s 10. Jhs. aus Mährenvertrieben (magyarische Landnahme 905/06) und ließen sich in Ochrid (Bulgarien)nie<strong>de</strong>r, wo sie die Sprache weiterentwickelten. Insbeson<strong>de</strong>re unter Zar Simeon <strong>de</strong>mGroßen (893-927) spielte Bulgarien eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Vermittlerrolle: „Preslav inOstbulgarien war die Hauptstadt <strong>de</strong>s Bulgarischen Reiches und ein Ort wichtigergriechisch-slavischer Kulturkontakte.“ (HAARMANN 1991: 479) Von hier gelangtenkulturelle Impulse weiter in die übrige Slavia.Kyrill und Method sprachen einen südmakedonisch-bulgarischen, je<strong>de</strong>nfalls südslavischenDialekt, <strong>de</strong>r nach einer Entwicklung von gut 400 Jahren in lautlicher undsemantischer Hinsicht vom Ostslavischen schon recht <strong>de</strong>utlich unterschie<strong>de</strong>n war.Dieser südslavische Dialekt hatte aber „einen Großteil <strong>de</strong>s gemeinslavischen Wortschatzesbewahrt. Elemente dieses Wortschatzes dienten zur mehr o<strong>de</strong>r weniger adäquatenWie<strong>de</strong>rgabe entsprechen<strong>de</strong>r griechischer Wörter und waren natürlich auch<strong>de</strong>n Ostslaven verständlich“ (ISSATSCHENKO 1980: 81).


4.5 Das Altkirchenslavische 19Kyrill war als Philosoph, Diplomat und Grammatiker mehrsprachig und wie seinBru<strong>de</strong>r Vertreter <strong>de</strong>r gebil<strong>de</strong>ten Oberschicht. Die Brü<strong>de</strong>r sahen sich mit <strong>de</strong>r schwierigenAufgabe konfrontiert, einer frem<strong>de</strong>n Bevölkerung einen frem<strong>de</strong>n Stoff (dasNeue Testament und an<strong>de</strong>re religiöse Texte) in einer angemessenen und verständlichen,d.h.: in <strong>de</strong>ren eigener Sprache zu vermitteln. Das Ergebnis ihrer Bemühungenwar die erste slavische Schriftsprache.Das AKS wur<strong>de</strong> aufgrund seiner religiösen Zweckbestimmung zu einer neuenheiligen o<strong>de</strong>r liturgischen Sprache, zur vierten nach <strong>de</strong>m Hebräischen, Griechischenund Lateinischen. Dies wollten konservative Vertreter <strong>de</strong>r römisch-katholischenKirche (die sog. триязычники o<strong>de</strong>r Dreisprachler) nicht hinnehmen und erhobengegen Kyrill <strong>de</strong>n Vorwurf <strong>de</strong>r Häresie, <strong>de</strong>m jener mit einem eben solchen Vorwurfbegegnete. Der Standpunkt <strong>de</strong>r Dreisprachler grün<strong>de</strong>te sich auf die Worte <strong>de</strong>r Bibel,dass das Schild „Jesus Nazarenus Rex Judaeorum“ am Kreuz Christi in drei Sprachenbeschrieben gewesen sei; insofern sei eine weitere „heilige“ Sprache als Gotteslästerungzu verdammen. 9Die anspruchsvollen Texte in griechischer Sprache, die es zu übersetzen galt, entsprachenin Wortwahl und Syntax keineswegs <strong>de</strong>r einfachen, schriftlosen Bauernsprache<strong>de</strong>r Landbevölkerung. Kyrill und Method mussten insofern nicht nur übersetzerisch,son<strong>de</strong>rn vor allem sprachschöpferisch tätig wer<strong>de</strong>n. Sie verwen<strong>de</strong>ten, woimmer möglich,„slavische Morpheme und slavische Wörter, doch war <strong>de</strong>r Wortschatz und vor allem<strong>de</strong>r Satzbau einer nur gesprochenen Sprache völlig unzureichend, um komplizierteund anspruchsvolle Texte <strong>de</strong>r christlichen Literatur zu übersetzen. So wur<strong>de</strong>n slavischeMorpheme und Wörter in griechische Derivations- und Satzstrukturen gezwängt.Diese durchaus organische Verbindung slavischer Elemente mit griechischenStrukturen unterschei<strong>de</strong>t das Altkirchenslavische grundsätzlich von allen an<strong>de</strong>renslavischen Sprachen <strong>de</strong>s 9. und 10. Jh.“ (ISSATSCHENKO 1980: 81)Neben <strong>de</strong>n bereits erwähnten gemeinslavischen Wortschatzelementen bestand daskirchenslavische Lexikon aus oft sehr zentralen Einheiten, die gegenüber <strong>de</strong>m Gemeinwortschatzsemantische Verschiebungen o<strong>de</strong>r Um<strong>de</strong>utungen aufwiesen (отьць,сънъ, дêва, доухъ), aus Lehnprägungen nach griechischem Vorbild („versteckteGräzismen“, die „nur von einem Slaven verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n [konnten], <strong>de</strong>rselbst <strong>de</strong>s Griechischen mächtig war“ (ISSATSCHENKO 1980: 82)), aus direkten Entlehnungengriechischen Wortschatzmaterials, aus Hebräismen, die über das Griechischevermittelt wor<strong>de</strong>n waren (равви ‘Herr, Meister’, пасха ‘Ostern’).Das byzantinische Griechisch stand in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>s klassischen Griechisch<strong>de</strong>r Antike, d.h. einer sehr komplexen Sprache, mit <strong>de</strong>r sich die slavischen Dialekte– und damit auch die Muttersprache von Kyrill und Method – nicht messen konnten.Neben einer umfassen<strong>de</strong>n Erweiterung <strong>de</strong>s slavischen Wortschatzes kam esmithin auch zu einer Übertragung syntaktischer Eigenheiten <strong>de</strong>s Griechischen aufdas Slavische (Wortstellung, verschie<strong>de</strong>ne Partizipialkonstruktionen, Kasusverwendungu.v.m.).9Die erste Übersetzung <strong>de</strong>s Evangeliums in russischer Sprache erschien (nach ISSA-TSCHENKO 1980: 231) erst 1819, dies in einem englischen Verlag und gegen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstandkonservativer russischer Kreise.


204. Zur slavischen / russischen Diachronie4.5.2 Zur Bezeichnung dieser SprachepocheEs existieren verschie<strong>de</strong>ne Benennungen, die jeweils einen an<strong>de</strong>ren Aspekt herausstellen:„Altslavisch“ ordnet die Epoche chronologisch ein und grenzt sie gegenüber<strong>de</strong>n einzelsprachlichen Idiomen („Altrussisch“ etc.) ab; „Altbulgarisch“ o<strong>de</strong>r „Altmakedonisch“verweisen darauf, dass dieser Sprachstufe ein südslavischer Dialektaus <strong>de</strong>m Gebiet von Saloniki zugrun<strong>de</strong> liegt, wobei „Altmakedonisch“ <strong>de</strong>r historisch-geografischgenauere Terminus ist; „Altkirchenslavisch“ o<strong>de</strong>r „Kirchenslavisch“betont die Liturgie als wesentlichen Funktionsbereich dieser schriftlichenSprachform. Daneben „Altslovenisch“, da „slovenisch“ fallweise synonym zu „slavisch“gesehen wur<strong>de</strong> bzw. eine slavische Eigenbezeichnung war und ist (und nichtmit <strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen Slowenischen gleichgesetzt wer<strong>de</strong>n darf! – vgl. auch die serbische/kroatischeSprachbezeichnung „staroslovenski jezik“ neben „staroslavenski jezik“);<strong>de</strong>r slavische Volksstamm <strong>de</strong>r Slovìne aus <strong>de</strong>r Gegend von Novgorod trat alseiner <strong>de</strong>r ersten, neben <strong>de</strong>n Poljánen (Gebiet um Kiev), in Han<strong>de</strong>lsbeziehungen zuByzanz und hatte insofern wohl einen gewissen slavischen Stellvertretercharakter.Alt(kirchen)slavisch war eine reine, hochentwickelte Schriftsprache ohne autonomemündliche Entsprechung. In mündlicher Form wur<strong>de</strong> es verwen<strong>de</strong>t bei <strong>de</strong>r Predigtseitens <strong>de</strong>r Geistlichen, beim Rezitieren o<strong>de</strong>r Singen von Gebeten auch seitens<strong>de</strong>r einfachen Gläubigen, die die von ihnen gesprochenen Texte keineswegs völligverstehen mussten; diese Sprechform <strong>de</strong>s AKS war jedoch nichts an<strong>de</strong>res als eineÜbertragung <strong>de</strong>r Schriftsprache auf die mündliche Realisierung. Es war als Kunstsprachestark formalisiert und stilisiert und stand in lexikalischer und syntaktischerHinsicht unter klarem griechischem Einfluss, da das Griechische als Lehnquelle fürim Altslavischen nicht vorhan<strong>de</strong>ne Bezeichnungen und Konstruktionen diente, diejedoch die Übersetzung von religiösen Texten ins Altslavische erfor<strong>de</strong>rlich machte.AKS war nie als gesprochenes Mittel <strong>de</strong>r Kommunikation konzipiert und ließ imschriftlichen Bereich die literarischen Genres vermissen, die es zu einer universellenLiteratursprache im mo<strong>de</strong>rnen Verständnis hätten wer<strong>de</strong>n lassen können, so dieGeschichtsschreibung, Erzählungen o<strong>de</strong>r die politische Publizistik (vgl. BOECK /FLECKENSTEIN / FREYDANK 1984: 19).Trotz<strong>de</strong>m muss es als die Sprachform (nämlich die Hochsprache) angesehenwer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r sich überhaupt literarische Tätigkeit entfaltete, wenngleich mit einerengen inhaltlichen Beschränkung auf <strong>de</strong>n sakralen Bereich. In <strong>de</strong>n Verwendungsgebieten<strong>de</strong>s AKS kam es also zu einer Diglossie-Situation, d.h. zur parallelen Existenzeiner funktional stark begrenzten Schriftsprache 10 , die aber als religiöses Ausdrucksmitteldas ganze Volk erreichte und ein höheres Ansehen genoss als die Volkssprache,und einer regional unterschiedlichen, überwiegend gesprochenen, jedochauch in weltlichen Schriftstücken (juristische Texte aller Art, Verwaltungsurkun<strong>de</strong>n)verwen<strong>de</strong>ten Sprache als Kommunikationsmittel <strong>de</strong>s Alltags. Vgl. BOECK /FLECKENSTEIN / FREYDANK (1984: 18):„Das Altslawische war zu keinem Zeitpunkt die Fixierung <strong>de</strong>s sprachlichen Systemseines Dialekts, son<strong>de</strong>rn war von vornherein für eine überregionale Verwendung gedacht,um seiner Funktion als Missionssprache für die Slawen, und zwar für alle Sla-10Diglossie (диглоссия) ist immer mit einer Funktionsteilung innerhalb einer Spracheverbun<strong>de</strong>n und nicht zu verwechseln mit Zweisprachigkeit (двуязычие; gleichzeitigesBeherrschen von zwei distinkten Sprachen).


4.5 Das Altkirchenslavische 21wen, gerecht zu wer<strong>de</strong>n. Es nahm in <strong>de</strong>n 150 Jahren seiner Entwicklung zwar dialektaleElemente aus allen Gebieten auf, wo es gepflegt wur<strong>de</strong>, aber man vermied offensichtlich,ausgesprochene Provinzialismen zu übernehmen, die das Verständnis <strong>de</strong>rTexte in an<strong>de</strong>ren Gebieten gefähr<strong>de</strong>n konnten. Somit war das Altslawische von seinerAnlage her eine mögliche Literatursprache für alle Slawen, und in <strong>de</strong>r Tat haben dieregionalen Fortsetzungen <strong>de</strong>s Altslawischen im ganzen Mittelalter diese Tradition bewahrt.“Diese bei<strong>de</strong>n Sprachvarietäten lassen sich als einan<strong>de</strong>r ergänzen<strong>de</strong> Funktionalstilebezeichnen. Bei<strong>de</strong> Sprachformen – die schriftsprachliche und die volkssprachliche –beeinflussten einan<strong>de</strong>r, so dass sich regional verschie<strong>de</strong>ne Redaktionen <strong>de</strong>s AKSentwickelten (AKS russischer Redaktion o<strong>de</strong>r Russisch-Kirchenslavisch (церковнославянскийязык русского извода), AKS serbischer Redaktion etc.): „Als Sprache<strong>de</strong>r Kirche erreichte das Altslawische alle Schichten <strong>de</strong>r Bevölkerung. So war dieGrundlage für eine gegenseitige Durchdringung <strong>de</strong>r Normen <strong>de</strong>r Volkssprache und<strong>de</strong>r sakralen Sprache gegeben [...].“ (BOECK / FLECKENSTEIN / FREYDANK 1984: 19).Diese Sakralsprache „war eine auf südslavischer (bulgarisch-mazedonischer)Grundlage gebil<strong>de</strong>te Sprache, die sich aber ganz wesentlich von <strong>de</strong>r wirklich gesprochenenSprache nicht nur <strong>de</strong>r Ostslaven, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Bulgaren und Mazedonierunterschied.“ (ISSATSCHENKO 1980: 70) Für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Südslavia ist voneiner gewissen Polyvalenz <strong>de</strong>s AKS auszugehen, die zur „Bildung einer wirklichenSchriftsprache bei Bulgaren und Serben im Mittelalter geführt hat“ (ISSATSCHENKO1980: 73), wobei sich auch hier <strong>de</strong>r sakrale Funktionsbereich <strong>de</strong>r Sprache aufgrundseines Konservatismus zunehmend von <strong>de</strong>r Gemeinsprache entfernte.Neben <strong>de</strong>r erwähnten kirchenslavisch-ostslavischen Beeinflussung fin<strong>de</strong>n sich inkirchenslavischen Texten auch wenige sog. Moravismen, d.h. Entlehnungen aus <strong>de</strong>rchristlich-religiösen Terminologie <strong>de</strong>r von Kyrill und Method 863 in Mähren vorgefun<strong>de</strong>nenwestchristlichen Bevölkerung, die sprachlich ihrerseits unter lateinischemund althoch<strong>de</strong>utschem Einfluss stand. Vgl. BOECK / FLECKENSTEIN / FREYDANK(1984: 16):„Dieses Gebiet [das Großmährische Reich; T.B.] war von Regensburg, Passau undSalzburg, also von <strong>de</strong>n südöstlichen Zentren <strong>de</strong>s Frankenreiches aus, missioniert wor<strong>de</strong>n.Um <strong>de</strong>m damit verbun<strong>de</strong>nen politischen Druck <strong>de</strong>s Frankenreiches entgegenzuwirken,bemühten sich die antifränkischen Kräfte um Unterstützung beim byzantinischenReich.“AKS (und damit die in <strong>de</strong>r heutigen russischen Sprache vorhan<strong>de</strong>nen kirchenslavischenElemente) unterlag zwei südslavischen Einflüssen: Der erste wirkte zu Beginn<strong>de</strong>r AKS-Entwicklung bzw. mit <strong>de</strong>ssen Erschaffung im 11. Jh., da das AKS auf <strong>de</strong>rGrundlage eines Dialektes <strong>de</strong>r Südslavia fußte; <strong>de</strong>r zweite ist auf das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 14.Jhs. und das 15. Jh. mit <strong>de</strong>r Restaurierung <strong>de</strong>s AKS zu datieren (<strong>de</strong>r bereits erwähntezweite südslavische Einfluss).Im Laufe <strong>de</strong>r sprachlichen Entwicklung kam es zur Herausbildung zahlreicherDubletten, d.h. zur parallelen Existenz von genuin kirchenslavischen Formen und(russisch-)volkssprachlichen, die sich phonologisch und morphologisch unterschei<strong>de</strong>n(град – город etc.). Das volkssprachliche Wort trägt oft eine konkretere Be<strong>de</strong>utungals das literarische, kirchenslavische (vgl. ŠACHMATOV / SHEVELOV 1960: 8).Nichts<strong>de</strong>stoweniger können bei <strong>de</strong>r Kompositionsbildung kirchenslavische ElementeVerwendung fin<strong>de</strong>n, und zwar „nach <strong>de</strong>m Vorbild <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen, das


224. Zur slavischen / russischen Diachronieeine Reihe von Komposita unter griechischem Einfluß mehr o<strong>de</strong>r weniger künstlichgebil<strong>de</strong>t hatte.“ (ŠACHMATOV / SHEVELOV 1960: 12) Beispiele hierfür sind млекопитающие(млеко statt молоко), драгоценный (драго statt дорого). Das 18. Jh. inRussland war sprachlich von zwei Hauptten<strong>de</strong>nzen markiert: Einerseits kam es zueiner immer weiter fortschreiten<strong>de</strong>n Zurückdrängung <strong>de</strong>s kirchenslavischen Elementesin <strong>de</strong>r russischen Volkssprache (d.h. das Russische wur<strong>de</strong> mo<strong>de</strong>rnisiert), an<strong>de</strong>rerseitswur<strong>de</strong>n zahlreiche Abstrakta mit kirchenslavischen Morphemen neu gebil<strong>de</strong>t,da „die Volkssprache außerhalb <strong>de</strong>s kirchenslavischen Einflusses nicht überein hinreichen<strong>de</strong>s Inventar von Wurzeln und Affixen mit abstrakter Be<strong>de</strong>utung verfügte(ŠACHMATOV / SHEVELOV 1960: 84). Großen Einfluss übte hier <strong>de</strong>r Schriftstellerund Sprachreformer Karamzin aus. Von einer tatsächlich russischen Literatursprachekann erst ab <strong>de</strong>m ausgehen<strong>de</strong>n 18. und beginnen<strong>de</strong>n 19. Jh. gesprochenwer<strong>de</strong>n.Auch für die Gegenwart ist, nach ISSATSCHENKO (1980: 73), von einer von <strong>de</strong>nSprachbenutzern klar empfun<strong>de</strong>nen Polarisierung Hochsprache (hier: AKS) –Volkssprache (hier: Russisch) auszugehen, die das Fortbestehen <strong>de</strong>s AKS erst ermöglichthabe.


4.6 Zur historischen Genese <strong>de</strong>r kyrillischen, i.e.S. <strong>de</strong>r russischen Schrift 234.6 Zur historischen Genese <strong>de</strong>r kyrillischen, i.e.S. <strong>de</strong>r russischenSchriftDie kyrillische Schrift war und ist im Bereich <strong>de</strong>r Slavia keineswegs die einzige Grafievon Be<strong>de</strong>utung. So unterschei<strong>de</strong>t bspw. MIKLAS (1998: 132f) fünf zentrale Schriften:11„– die glagolitische Schrift (Glagolica) im mährisch-pannonischen und böhmischen,bulgarischen, kroatischen und teilweise auch angrenzen<strong>de</strong>n bosnischen Raum ab <strong>de</strong>mdritten Drittel <strong>de</strong>s 9. Jahrhun<strong>de</strong>rts;– die kyrillische Schrift (Kyrillica) zunächst auf bulgarischem Bo<strong>de</strong>n spätestens ab<strong>de</strong>m letzten Dezennium <strong>de</strong>s 9. Jahrhun<strong>de</strong>rts und dann allmählich im Bereich <strong>de</strong>r gesamtenSlavia Orthodoxa einschließlich <strong>de</strong>r Grenzbereiche (Bosnien, Dalmatien und<strong>de</strong>m ehemals polnisch-litauischen Staat);– die lateinische Schrift im gesamten westslavischen sowie im Nor<strong>de</strong>n und Westen <strong>de</strong>ssüdslavischen Raums, beginnend nach und nach ab <strong>de</strong>m 10./11. Jahrhun<strong>de</strong>rt;– die arabische Schrift, insbeson<strong>de</strong>re in Bosnien nach <strong>de</strong>r osmanischen Okkupationund dann auch zeitweilig bei <strong>de</strong>n mohammedanischen Tataren im polnisch-weißrussischenGrenzgebiet [12] ;– und schließlich die griechische Schrift im balkanslavischen Sü<strong>de</strong>n, am ausgeprägtestenauf bulgarisch-makedonischem Bo<strong>de</strong>n während <strong>de</strong>s 18./19. Jahrhun<strong>de</strong>rts.“Die heutige kyrillische Schrift hat eine jahrhun<strong>de</strong>rtelange Entwicklung hinter sich,ausgehend vom Griechischen bis hin zu <strong>de</strong>n einzelnen, regional variieren<strong>de</strong>n Erscheinungsformen<strong>de</strong>r Gegenwart. Sie hat sich in <strong>de</strong>r jüngeren Vergangenheit sogarÜberlegungen <strong>de</strong>s aufstreben<strong>de</strong>n Kommunismus gegenüber behauptet, sie zugunsten<strong>de</strong>r Lateinschrift aufzugeben; En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 30er Jahre <strong>de</strong>s 20. Jhs. waren diese Gedankenspieleendgültig zu <strong>de</strong>n Akten gelegt, wie auch die Bestrebungen, nicht-slavischenVölkern auf <strong>de</strong>m Territorium <strong>de</strong>r Sowjetunion eine lateinische Schriftkulturzu vermitteln (vgl. HAARMANN 1991: 448f, 477f).Auch wenn <strong>de</strong>r Name An<strong>de</strong>res vermuten lässt: Die kyrillische Schrift (d.h. die ältereKyrillica) wur<strong>de</strong> nicht von Kyrill selbst entwickelt, son<strong>de</strong>rn „nach seinem To<strong>de</strong>(869) von seinen aus Mähren vertriebenen Schülern auf <strong>de</strong>m Gebiete <strong>de</strong>s bulgarischenReiches“ (PANZER 1991: 5), genauer: am Ochridsee im westlichen Makedonien.Auf Kyrill geht wohl das sog. glagolitische Alphabet zurück, das chronologischvor <strong>de</strong>m kyrillischen einzuordnen ist und auf <strong>de</strong>r griechischen Minuskelschrift 711Daneben gab es Versuche, neue Schriften einzuführen, die jedoch nicht von Dauer waren,so z.B. die sog. Perm-Schrift. Diese ging auf <strong>de</strong>n Bischof Stephan von Perm zurück,<strong>de</strong>r „als Missionar unter <strong>de</strong>n Syrjänen (зыряне), einem ostfinnischen Volksstamm imnordöstlichen Rußland (heute Komi genannt), gewirkt und die christlichen Gebete undBücher in das Syrjänische übersetzt [hatte], wofür er ein eigenes Alphabet geschaffenhatte.“ (ISSATSCHENKO 1980: 231)12Eine tabellarische Übersicht über diese „белорусские китабы“ fin<strong>de</strong>t sich, in Gegenüberstellungzur Latinica, Glagolica und Kyrillica, bei SUPRUN / KALJUTA (1981: 11-14).


244. Zur slavischen / russischen Diachronie 43(Kleinbuchstaben) <strong>de</strong>s 9. und 10. Jhs. basiert – „Als Entstehungszeit <strong>de</strong>r Glagolicasteht heute das Jahr 862/3 weitgehend fest; mit ihm dürfen wir zugleich auch<strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r slavischen Schriftlichkeit verknüpfen.“ (MIKLAS 1998: 136). 13Es wur<strong>de</strong> an die slavischen Lautverhältnisse angepasst, in<strong>de</strong>m für im Griechischennicht vorhan<strong>de</strong>ne Laute (/ž/, /š/, /(j)u/ u.a.) neue Zeichen erfun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n(


4.6 Zur historischen Genese <strong>de</strong>r kyrillischen, i.e.S. <strong>de</strong>r russischen Schrift 25Das kyrillische Alphabet als im Verhältnis zum Glagolitischen <strong>de</strong>utlich einfachereForm grün<strong>de</strong>t auf <strong>de</strong>r griechischen Unzialschrift o<strong>de</strong>r Majuskelschrift (Großbuchstaben),die im 9. und 10. Jh. an das Altbulgarisch-Altkirchenslavische adaptiertwur<strong>de</strong> (PANZER 1991: 5). Die ältesten kyrillischen Inschriften wer<strong>de</strong>n entsprechendin das 10. Jh. datiert.„Die älteste Version <strong>de</strong>r Kyrillica zeigt einen Schriftduktus [d.h. Linienführung; T.B.],Ustav genannt, bei <strong>de</strong>m die Höhe und Breite einzelner Buchstaben gleich ist [...]. Späterentwickelt sich ein verän<strong>de</strong>rter Schriftduktus, Poluustav (‘Halb-Ustav’), bei <strong>de</strong>mdas ältere Prinzip <strong>de</strong>s geometrischen Gleichgewichts aufgegeben wor<strong>de</strong>n ist, und bei<strong>de</strong>m die Zeichen teilweise stark abgerun<strong>de</strong>t geschrieben wer<strong>de</strong>n. Dieser Duktus fin<strong>de</strong>tsich schon früh in südslavischen Handschriften“ (HAARMANN 1991: 447f).Neben Ustav und Poluustav gab es noch eine dritte, Skoropis’ genannte Schreibweise„als stark geneigte (kursive) Schnellschrift mit Ligaturen u. Abbreviaturen für nichtliterarischeGebrauchstexte, z.B. Urkun<strong>de</strong>n u.ä.“ (PETER REHDER: Das neue Osteuropavon A-Z. Neueste Entwicklungen in Ost- und Südosteuropa. München 1993,S. 368)Diese kyrillische Schrift ist nicht als komplett neues Graphemsystem zu sehen,son<strong>de</strong>rn als „Transliteration“ (VEREŠČAGIN) <strong>de</strong>r Glagolica, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r zu transkribieren<strong>de</strong>Lautbestand blieb i<strong>de</strong>ntisch, er sollte lediglich durch eine einfacher zu realisieren<strong>de</strong>Schriftform repräsentiert wer<strong>de</strong>n. Entsprechend zahlreich sind dann auchdie formalen Übereinstimmungen o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st Ähnlichkeiten im Graphembestandvon Glagolica und Kyrillica.Die nachfolgen<strong>de</strong> Tabelle, die das glagolitische und das kyrillische Alphabet gegenüberstellt,ist eine vereinfachte, in gewisser Weise i<strong>de</strong>alisierte Übersicht, insofernals etliche <strong>de</strong>r glagolitischen – wie auch <strong>de</strong>r späteren kyrillischen – Grapheme eineo<strong>de</strong>r mehrere Varianten besaßen. Kleinere Unterschie<strong>de</strong> im Schriftbild sind zu<strong>de</strong>mzwischen Majuskeln (Großbuchstaben) und Minuskeln (Kleinbuchstaben)möglich, jedoch nicht signifikant. Die angegebenen Zahlenwerte beziehen sich aufdie glagolitischen Buchstaben, die nach TRUNTE (2005: 160) keine eigenen Zahlzeichenjenseits <strong>de</strong>r 5000 besaßen; <strong>de</strong>r Zahlenwert 9000 ist nicht gesichert. Das kyrillischeSystem <strong>de</strong>r Zahlzeichen variiert in etlichen Punkten (s.u.). 44Glagolica (rund) Kyrillica Buchstabenname Latein. Translit. ZahlenwertA a аз a 1B b буки b 2V v веди c 3G g глаголь g 4D d добро d 5E e есть e 6> < живёте ž 7Š š зело É 8J j земля z 9I ¡ и ï 10Î i иже i 20Ç ç дервь ǵ 30


264. Zur slavischen / russischen DiachronieK k како k 40L l люди l 50M m мыслете m 60N n наш n 70O o он o 80P p покой p 90R r рцы r 100S s слово s 200T t твёрдо t 300U u ук u 400Ñ f ферт f 500X x ха ch 600Ø ø омега -o 700Q q шта št 800C c цы c 900H µ червь č 1000W w ша š 2000¿ ß ер ъ 3000Y y еры yÌ ì ерь ьÆ ê ять ě 4000Ü ü ю ju 5000à ã юс малый ę 9000À à юс малый йотированныйjęÕ õ юс большой µoÒ ò юс большой йотированныйjµoÐ ð фита ª× ÷ ижица ÿAbbildung 3: Glagolitisches und kyrillisches Alphabet in GegenüberstellungEine weitreichen<strong>de</strong> Mo<strong>de</strong>rnisierung bzw. Anpassung an westliche (lateinische) Formenerfuhr das Russisch-Kyrillische durch die Petrinischen Reformen (En<strong>de</strong> 17. /Anfang 18. Jh.) mit <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r sog. bürgerlichen Schrift (гражданскийшрифт o<strong>de</strong>r гражданская азбука, 1708) o<strong>de</strong>r neueren Kyrillica, die von ELIASKOPIEVIČ entwickelt wur<strong>de</strong> und nunmehr im Gegensatz zur älteren, kirchenslavischenstand und diese auf <strong>de</strong>n religiösen Bereich zurückdrängte (bis heute wer<strong>de</strong>nkirchenslavische Texte in <strong>de</strong>r älteren Kyrillica gedruckt). Der Zeichenbestand wieauch die Buchstabenformen selbst sollten vereinfacht wer<strong>de</strong>n, und es sollte eine einheitlicheSchriftform für <strong>de</strong>n so wichtigen Buchdruck gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n (vgl. HAAR-MANN 1991: 484).Auch in <strong>de</strong>r Folgezeit wur<strong>de</strong> das kyrillische Alphabet mehrmals bewusst verän<strong>de</strong>rt(vgl. MULISCH 1993: 32f); so wur<strong>de</strong> 1710 <strong>de</strong>r Buchstabe э eingeführt, 1735 <strong>de</strong>rBuchstabe й (ursprünglich и с краткой genannt, wobei кратка das diakritischeZeichen über <strong>de</strong>m и benannte, später wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Name vereinfacht zu и краткое),und 1797 sorgte N. M. KARAMZIN für die Ersetzung <strong>de</strong>r Ligatur von i und o = i¾o


4.6 Zur historischen Genese <strong>de</strong>r kyrillischen, i.e.S. <strong>de</strong>r russischen Schrift 27durch <strong>de</strong>n Buchstaben ё; um 1900 beginnt die Ersetzung von ÷ durch и. Be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>nEinfluss gewannen die Arbeiten von JA. K. GROT (1873 und 1885; Nachdruckebis 1916). 1904 wur<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Kaiserlichen Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften eine Orthografie-Kommissionmit <strong>de</strong>n wichtigsten Linguisten ihrer Zeit gegrün<strong>de</strong>t, die dierussische Schrift nach <strong>de</strong>m phonematischen Prinzip mo<strong>de</strong>rnisieren und vereinfachensollte. Die Ergebnisse lagen 1912 vor und wur<strong>de</strong>n durch die letzte umfassen<strong>de</strong>Schriftreform <strong>de</strong>r russischen Sprache aus <strong>de</strong>m Jahre 1917 in die Tat umgesetzt, anfangsnoch unter <strong>de</strong>r bürgerlichen Interimsregierung Kerenskis, dann von <strong>de</strong>n Bolschewikenforciert betrieben und durch das Декрет о введении новой орфографииvon 1918 gesetzlich festgeschrieben: Die historisch überkommenen, aber funktionslosen,weil lautlich bereits mit an<strong>de</strong>ren zusammengefallenen, Buchstaben ê (ять; e), ¡ / i (и десятеричное, i с точкой; и), ÷ (ижица; и), ð (фита; ф) sowieauslauten<strong>de</strong>s -ß (ер; Ø) wur<strong>de</strong>n nun endgültig eliminiert. Das Härtezeichen nachKonsonanten im Wortauslaut war entbehrlich gewor<strong>de</strong>n, da das Weichheitszeichenals alleiniges Unterscheidungskriterium zwischen harten und weichen Konsonantenausreichte: Wur<strong>de</strong> das Weichheitszeichen gesetzt, so zeigte es an, dass <strong>de</strong>r davorstehen<strong>de</strong>Konsonant palatal war; fehlte es, so war <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Konsonant automatischhart zu sprechen.Für <strong>de</strong>n Zustand vor und nach <strong>de</strong>r Reform ergab sich somit folgen<strong>de</strong> Gegenüberstellung(Ø = nicht mehr vorhan<strong>de</strong>n):altАа Бб Вв Гг Дд Ее Жж Зз Ии Ii Кк Лл Мм Нн Оо Пп Рр Сс Тт Уу Фф Ххneu Аа Бб Вв Гг Дд Ее Жж Зз Ии Ø Кк Лл Мм Нн Оо Пп Рр Сс Тт Уу Фф Ххalt Цц Чч Шш Щщ Ъъ Ыы Ьь Êê Ээ Юю Яя Θθ ×÷neu Цц Чч Шш Щщ Ъъ Ыы Ьь Ø Ээ Юю Яя Ø ØDiese vereinfachte Schrift, die nun von einem Übermaß an traditionellen und etymologischenMotivierungen befreit war, sollte die Alphabetisierung (ликбе́з = ликвидациябезграмотности) <strong>de</strong>s gesamten Lan<strong>de</strong>s schneller voranbringen. Am 26.Dez. 1919 unterzeichnete Lenin als offizielles Startzeichen <strong>de</strong>r Alphabetisierungskampagne<strong>de</strong>n Erlass О ликвидации безграмотности среди населения РСФСР.Durch die fallweise Aufhebung <strong>de</strong>s etymologischen Prinzips in <strong>de</strong>r Rechtschreibungän<strong>de</strong>rte sich auch die morphologische Struktur <strong>de</strong>r betroffenen Wörter, und eskonnte zur Entstehung von Homographen kommen, wie das wohl bekannteste Beispiel<strong>de</strong>s Wortes мир zeigt. Vor <strong>de</strong>r Reform wur<strong>de</strong> es, je nach seiner Be<strong>de</strong>utung, aufzweierlei Weise geschrieben: entwe<strong>de</strong>r мiръ ‚Welt / Gemein<strong>de</strong>; Gesellschaft’ o<strong>de</strong>rмиръ ‚Frie<strong>de</strong>n’. Mit <strong>de</strong>r Reform war nur noch die Schreibung мир für bei<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utungenzulässig; es war ein neues Homonym, i.e.S. ein Homograph, entstan<strong>de</strong>n. Dasё als 7. Buchstabe <strong>de</strong>s russischen Alphabets wur<strong>de</strong> erst 1943 als verbindlich eingeführt,das й war bereits 1934 als heute 11. Buchstabe aufgenommen wor<strong>de</strong>n.Die Umsetzung <strong>de</strong>r Rechtschreibreform im nachrevolutionären Russland bzw. in<strong>de</strong>r noch jungen Sowjetunion war ein Politikum, da sie von allen politischen Lagernmit <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Umwälzungen assoziiert wur<strong>de</strong> und entsprechend von<strong>de</strong>n einen befürwortet und vorangetrieben, von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren abgelehnt und bekämpftwur<strong>de</strong>. Gegenwärtig, d.h. zu Beginn <strong>de</strong>s 21. Jhs., wird in Russland erneut


284. Zur slavischen / russischen Diachronie 8eine Orthografiereform diskutiert, <strong>de</strong>ren En<strong>de</strong> noch nicht abzusehen ist. Ihre gesellschaftlicheFolgen dürften allerdings mit <strong>de</strong>r Reform von 1917/18 nicht zu vergleichensein.Auch die kyrillischen Alphabete <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren großen Slavinen (Bulgarisch, Makedonisch,Serbisch, Weißrussisch, Ukrainisch) haben im Laufe <strong>de</strong>r vergangenen Jahrhun<strong>de</strong>rte,z.T. erst im 20. Jh. (Bulgarisch), mehr o<strong>de</strong>r weniger weitreichen<strong>de</strong> Modifizierungenerfahren. Diese übrigen kyrillisch-schreiben<strong>de</strong>n Slavinen haben die Kyrillicabei Bedarf an ihren jeweiligen Lautbestand angepasst und spezifische Son<strong>de</strong>rzeichenzu seiner Wie<strong>de</strong>rgabe eingeführt. Bis 1868 wur<strong>de</strong> auch die romanischslavischeHybridsprache Rumänisch in <strong>de</strong>r Kyrillica geschrieben. 1989 vollzog diedamalige Moldauische Sowjetrepublik (nordöstlich von Rumänien gelegen) erneut<strong>de</strong>n Übergang zur Latinica.Im Zuge <strong>de</strong>r Sowjetisierung <strong>de</strong>s riesigen Russischen Reiches nach 1917 erhieltenauch bis dahin schriftlose nichtslavische Völkerschaften eine (kyrillische) Schrift,die sich natürlich an <strong>de</strong>r russischen Standardschrift orientierten sollte, aufgrundlautlicher Beson<strong>de</strong>rheiten jedoch jeweils über spezifische Son<strong>de</strong>rzeichen verfügenmusste. So erhielten u.a. die Tataren, Gagausen, Kasachen, Kirgisen, Mongolen,Kur<strong>de</strong>n, Tadschiken und Tscherkessen das kyrillische Alphabet.


4.7 Grafische Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen 294.7 Grafische Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s AltkirchenslavischenWie bei <strong>de</strong>n im mittelalterlichen Westeuropa entstan<strong>de</strong>n Texten ist auch bei altslavischenDokumenten davon auszugehen, dass eine einheitliche, allgemein verbindlicheSchriftnormierung fehlte. Neben offensichtlichen Fehlern seitens <strong>de</strong>r Verfassero<strong>de</strong>r Kopisten eines Textes fin<strong>de</strong>n sich immer wie<strong>de</strong>r grafische Varianten, die nichtals regelwidrig eingestuft wer<strong>de</strong>n dürfen. Bei <strong>de</strong>r Lektüre altkirchenslavischer Texteist außer<strong>de</strong>m zu beachten, dass keine streng normierte und diversifizierte Interpunktionzur Anwendung kam. Zur Worttrennung wur<strong>de</strong>n nicht unbedingt Zwischenräume(Spatien) verwen<strong>de</strong>t; die Schreibkonventionen sahen mitunter auch eingrafisches Kontinuum vor, das dann nur durch <strong>de</strong>n Zeilenwechsel unterbrochenwur<strong>de</strong> (diese Erscheinung ist auch aus <strong>de</strong>m Lateinischen wohlbekannt). Eine durcheinen Zeilenumbruch erfor<strong>de</strong>rliche Worttrennung erfolgte immer nach einem Vokal(und entsprach damit <strong>de</strong>m Gesetz <strong>de</strong>r offenen Silbe). Eine an<strong>de</strong>re, häufig praktizierteErscheinungsform dieser scriptio continua (auch scriptura continua genannt)bestand darin, semantisch o<strong>de</strong>r syntaktisch zusammengehörige Wortgruppen ohneSpatien zu schreiben und diese Gruppen durch das Setzen von einem Punkt (seltenervon einem Doppelpunkt) gegeneinan<strong>de</strong>r abzugrenzen. Dieser Punkt, <strong>de</strong>r nichtauf die Grundlinie, son<strong>de</strong>rn in die Mitte zwischen zwei Linien gesetzt wur<strong>de</strong> (•),markierte also nicht zwangsläufig ein Satzen<strong>de</strong>. Kleinere o<strong>de</strong>r größere inhaltlicheAbschnitte wur<strong>de</strong>n mit drei o<strong>de</strong>r vier Punkten abgeschlossen (Punkthaufen: 3 , 4).Aus ökonomischen Grün<strong>de</strong>n machten die Schreiber reichen Gebrauch von Kürzelnund Ligaturen. Kürzel bestan<strong>de</strong>n aus hochgesetzten und meist von einem Halbbogenüberdachten Buchstaben (еS^ = есть). Mit <strong>de</strong>m Terminus Ligatur ist hier <strong>de</strong>rim Schriftbild zu konstatieren<strong>de</strong> und durch spezielle Zeichen markierte Ausfall vonGraphemen gemeint, durch <strong>de</strong>n die erhaltenen Wortteile ebenfalls zusammengezogenwer<strong>de</strong>n. Ligaturen fan<strong>de</strong>n v.a. bei hochfrequenten und entsprechend gut bekanntenWörtern Verwendung, die „im Prinzip mit <strong>de</strong>m ersten und <strong>de</strong>mstammauslauten<strong>de</strong>n Buchstaben sowie <strong>de</strong>r Endung wie<strong>de</strong>rgegeben wer<strong>de</strong>n, eventuellergänzt durch weitere Buchstaben. Ligaturen wer<strong>de</strong>n wie die Zahlzeichen durcheine Til<strong>de</strong> markiert, bei Verwendung hochgesetzter Buchstaben durch einen Bogen“(FRANZ / TUSCHINSKY 1982: 17).Ferner ist zu beachten, dass zwischen <strong>de</strong>n Lauten (Phonemen) und <strong>de</strong>n sie repräsentieren<strong>de</strong>nBuchstaben (Graphemen) keine durchgehen<strong>de</strong> Eins-zu-Eins-Entsprechungbestand. So ist neben Ligaturen auch die Verwendung von Digraphen (d.h.die Wie<strong>de</strong>rgabe eines Lautes durch zwei stets zusammengeschriebene Buchstaben,z.B. u für [u], y für [y]) zu beobachten, die in <strong>de</strong>r Folgezeit teils eliminiert, teilsaber auch bewahrt wur<strong>de</strong>n.Ein Apostroph konnte zur Anzeige eines im Schriftbild ausgefallenen Halbvokalsverwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n: ч’то anstatt чьто, м’нож’ство anstatt мъножьство.Verschie<strong>de</strong>ne diakritische Zeichen waren in Gebrauch: Ein oberhalb o<strong>de</strong>r obenrechts von einem Konsonanten befindliches Weichheitszeichen (nicht mit <strong>de</strong>m Graphemь zu verwechseln) zeigte die Palatalität dieses Konsonanten an: земъл~h,мор~е. Hinzu kam eine Reihe von Akzentzeichen, die ihre Verwandtschaft mit <strong>de</strong>mGriechischen nicht leugnen können.


304. Zur slavischen / russischen DiachronieAbbildung 37: Im Altkirchenslavischen gebräuchliche AkzenteDie Til<strong>de</strong>, die verschie<strong>de</strong>ne Formen annehmen konnte (z.B. ,$ ,* ‡, ^), hatte eineDoppelfunktion: Zum einen verwies sie als Abkürzungssymbol auf <strong>de</strong>n Ausfall vonBuchstaben und Silben v.a. in häufig gebrauchten Wörtern (б8ъ = богъ, ис8 = исqсъ,гл8ати = глаголати), zum an<strong>de</strong>ren markierte sie einen Buchstaben als Zahl, d.h.dieser Buchstabe war nicht mit seinem Lautwert, son<strong>de</strong>rn mit seinem Zahlwert zulesen (а^ = ~динъ). Die Verwendung eines Buchstabens als Zahl wur<strong>de</strong> darüber hinausauch durch das Setzen eines Punktes rechts und links von ihm gekennzeichnet(1а^1). Tausen<strong>de</strong>rzahlen wur<strong>de</strong>n, um sie von <strong>de</strong>n Einern zu unterschei<strong>de</strong>n, durch einspezielles Zeichen vor <strong>de</strong>m Buchstaben markiert: #:а^: = тыс@шти. Die Zahlen von11 bis 20 wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Kombination Einer–Zehner geschrieben, die Zahlen jenseitsvon 20 in <strong>de</strong>r Reihenfolge Zehner–Einer.Zahlen 1 2 3 4 5 6 7 8 9Einer :a^: :v^: :g^: :d^: :e^: :š^: :j^: :i^: :ð^:Zehner :î^: :k^: :l^: :m^: :n^: :œ^: :o^: :p^: :µ^:Hun<strong>de</strong>rter :r^: :s^: :t^: :u^: :f^: :x^: :þ^: :ø^: :c^:Tausen<strong>de</strong>r #:a^: #:v^: #:g^: #:d^: #:e^: #:š^: #:j^: #:i^: #:ð^:Abbildung 38: Zahlenwerte <strong>de</strong>r altkirchenslavischen kyrillischen BuchstabenDie v.a. in Lehrwerken vorzufin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n kirchenslavischen Texte sind aus didaktischenGrün<strong>de</strong>n üblicherweise in einer normalisierten, d.h. vereinheitlichten und füreine leichtere Lektüre aufbereiteten Version abgedruckt und entsprechen mithinnicht hun<strong>de</strong>rtprozentig <strong>de</strong>r Originalfassung.


4.8 Anmerkungen zu einigen wichtigen slavischen Lautentwicklungen 314.8 Anmerkungen zu einigen wichtigen slavischen LautentwicklungenGesetz <strong>de</strong>r offenen Silbe закон открытогослогаPalatalisierungHalbvokal полугласный Schwund <strong>de</strong>r reduziertenVokaleLiquidametathese метатеза плавныхVolllaut(ung)палатализацияпадение редуцированныхгласныхполногласиеDie für die Entwicklung vom Indogermanischen über das Urslavische zum Slavischenund für die Binnendifferenzierung <strong>de</strong>r slavischen Sprachen zentralen Lautgesetzmäßigkeitensollen an dieser Stelle im Überblick vorgestellt wer<strong>de</strong>n. Es han<strong>de</strong>ltsich neben <strong>de</strong>n Palatalisierungen (палатализация) und <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r Halbvokale(полугласный) um die Liquidametathese (метатеза плавных) und <strong>de</strong>nVolllaut (Polnoglasie, bisweilen auch Pleophonie genannt; полногласие), zwei lautlicheErscheinungen, die <strong>de</strong>m bis zum 12. Jh. gelten<strong>de</strong>n slavischen Prinzip <strong>de</strong>r Silbenöffnung(Ten<strong>de</strong>nz zur steigen<strong>de</strong>n Sonoritätswelle bzw. Gesetz <strong>de</strong>r offenen Silbe;закон открытого слога) gehorchen. Der Schwund <strong>de</strong>r reduzierten Vokale (Halbvokale;падение редуцированных гласных) im 12. und 13. Jh. ermöglichte dannspäter die erneute Herausbildung geschlossener Silben wie auch die sog. Auslautverhärtungo<strong>de</strong>r Entstimmlichung im absoluten Wortauslaut, da nunmehr auchKonsonanten diese Position einnehmen konnten. Dem Prinzip <strong>de</strong>r Silbenöffnunggehorchend, wur<strong>de</strong>n jedoch zunächst auf Konsonanten auslauten<strong>de</strong>, also geschlossene,Silben nicht mehr gedul<strong>de</strong>t, was zu weitreichen<strong>de</strong>n Laut- und damit auchmorphologischen Verän<strong>de</strong>rungen führte.Die nur die west- und südslavischen Sprachen betreffen<strong>de</strong> Liquidametathese bestehtin <strong>de</strong>r Umstellung bzw. Vertauschung <strong>de</strong>r Liquidlaute l und r mit einem vorangehen<strong>de</strong>nVokal V, wobei diese Lautgruppe von an<strong>de</strong>ren Konsonanten K eingerahmtwird. So wird aus <strong>de</strong>r indoeuropäischen Abfolge K – V – LIQUID – K (Bsp.:„tort“, „tolt“) im West- und Südslavischen die Folge K – LIQUID – V – K (Bsp.:„trot“, „tlot“). Eine weitere Beson<strong>de</strong>rheit im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n Liquidlauten lund r ist darin zu sehen, dass diese in <strong>de</strong>n west- und südslavischen Sprachen silbenbil<strong>de</strong>nd(слогообразующий) sein können, also <strong>de</strong>n Wert von Halbvokalen annehmen.Der wohl bekannteste, wenngleich nicht übermäßig sinnvolle, Beispielsatz fürdiese Erscheinung ist tschech. Strč prst skrz krk ‚Steck <strong>de</strong>n Finger durch <strong>de</strong>n Hals’.Im Ostslavischen dagegen kommt es zum Volllaut, d.h. aus <strong>de</strong>r indoeuropäischenAbfolge K – V – LIQUID – K (Bsp.: „tort“, „tolt“) wird durch Verdoppelung (Reduplizierungmit einem sog. anaptyktischen Vokal) <strong>de</strong>s betreffen<strong>de</strong>n Vokals die FolgeK – V – LIQUID – V – K (Bsp.: „torot“, „tolot“).Im Tschechischen, Slowakischen (nicht jedoch im Polnischen) und in <strong>de</strong>n südslavischenSprachen geht die Liquidametathese teilweise mit einer Dehnung <strong>de</strong>r Vokaleeinher, die schließlich zu einem Wan<strong>de</strong>l von o zu a führt: ó a (Bsp.: „trat“, „tlat“).Vgl. hierzu HERBERT BRÄUER: Slavische Sprachwissenschaft: I, Einleitung, Lautlehre(Berlin 1961: 79-80):


324. Zur slavischen / russischen Diachronie„Die Abneigung <strong>de</strong>s Urslavischen gegen geschlossene Silben [...] wird im allgemeinenals die Ursache dafür angesehen, daß die Liquidaverbindungen ihre ursprünglicheGestalt nicht bewahrt haben. Diese Ten<strong>de</strong>nz wirkte ja aus <strong>de</strong>r urslav. Zeit in die gemeinslav.Zeit hinein [...] Die Umgestaltung <strong>de</strong>r alten Liquidaverbindungen gehörtwegen <strong>de</strong>r unterschiedlichen Behandlung und ihrer Ergebnisse in die Übergangszeitvom Gemeinslavischen in die einzelsprachliche Perio<strong>de</strong>. Mit Ausnahme <strong>de</strong>s Ostslavischenhaben die meisten slav. Sprachen die ursprüngliche Lautfolge Vokal+Liquidaumgestellt (=Liquidametathese), im Südlslavischen mit zusätzlicher Dehnung <strong>de</strong>s Vokals.Diese Dehnung fin<strong>de</strong>t man auch im Čechischen und Slovakischen, während siedie übrigen Westslavischen Sprachen nicht kennen. [...] Das Ostslavische nimmt eineSon<strong>de</strong>rstellung ein, insofern als es die ursprüngliche Liquidaverbindung durch Entwicklungeines 2. Vokals zum sg. „Vollaut“ (r. „Polnoglasie“) geführt hat“.In <strong>de</strong>r Synopse präsentieren sich die Ergebnisse von Liquidametathese und Volllautungdann wie folgt (eventuelle Be<strong>de</strong>utungsverschiebungen spielen hier keine Rolle):Urslav. Russisch Tschechisch Polnisch Bosn./Kroat./Serb. Bulgarisch*melko молоко 15 mléko mleko mlijeko, mleko мляко*gordъ город hrad gród grad град*golva голова hlava głowa glava глава*karlъ король král król kralj крал*moldъ молодой mladý młody mlad младDas urslav. gordъ ergab zunächst für das Altslavische gradъ und dann, wie oben dargestellt,für das Russische gorod, das Bosnische/Kroatische/Serbische grad, für dasTschechische hrad, das Polnische gród, und ferner für das Kaschubische gard unddas Polabische gord.Betrachten wir <strong>de</strong>n heutigen russischen Wortschatz, so fin<strong>de</strong>n wir hier eine Reihevon morphologischen und semantischen Oppositionen <strong>de</strong>s Typs город (городской)– град-/-град 16 , молоко (молочный) – млеко- (млечный), голова (головной) – глава(главный). Die metathetischen Formen sind Südslavismen (Entlehnungen aus<strong>de</strong>m Südslavischen), die vermittels <strong>de</strong>s Russisch-Kirchenslavischen in das mo<strong>de</strong>rneRussisch übernommen wur<strong>de</strong>n und hier als oft stilistisch erhabenere o<strong>de</strong>r abstraktereBezeichnungen <strong>de</strong>n stilistisch einfacheren o<strong>de</strong>r konkreteren ostslavisch-russischenPolnoglasie-Formen gegenüberstehen.Bei <strong>de</strong>n Palatalisierungen, d.h. <strong>de</strong>r Verschiebung <strong>de</strong>s Artikulationsortes <strong>de</strong>r velarenKonsonanten g, k und ch vom weichen Gaumen weiter nach vorn im Mundraumzum harten Gaumen (Palatum) durch <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r lautlichen Umgebung,wer<strong>de</strong>n chronologisch und inhaltlich drei Phasen sowie die j-Palatalisierung unterschie<strong>de</strong>n.Die Koartikulation <strong>de</strong>r drei genannten Konsonanten mit einem inKontaktstellung befindlichen vor<strong>de</strong>ren (hellen) Vokal e, i, ĕ, ę, ь o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m j führtdazu, dass aus <strong>de</strong>n ursprünglichen Velaren im Laufe ihrer Entwicklung Palatale, Alveopalatalebzw. Alveo<strong>de</strong>ntale wer<strong>de</strong>n. Auch <strong>de</strong>r Artikulationsmodus kann sich än<strong>de</strong>rn;so wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>n Plosiven g und k Affrikaten (č / c) bzw. Frikative (ž / z). Dieeinzelsprachlich unterschiedlichen Ergebnisse <strong>de</strong>r Palatalisierungen, die darüber hi-15Wohl über eine Zwischenstufe *мeлeко.16Z.B. градостроительство, Ленинград.


4.8 Anmerkungen zu einigen wichtigen slavischen Lautentwicklungen 33naus z.T. durch morphologischen Ausgleich rückgängig gemacht wur<strong>de</strong>n, sollenhier nicht im Detail dargestellt wer<strong>de</strong>n. Es sei jedoch noch darauf hingewiesen, dassfür die Velare g, k und ch die erste und die zweite Palatalisierung regressiv, also voneinem vor<strong>de</strong>ren Vokal auf <strong>de</strong>n vorausgehen<strong>de</strong>n Konsonanten zurückwirkte, währendbei <strong>de</strong>r dritten, heute kaum noch feststellbaren Palatalisierung die Beeinflussungsrichtungin umgekehrter Richtung progressiv verlief, also von einem vorausgehen<strong>de</strong>nvor<strong>de</strong>ren Vokal auf <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Konsonanten. Im Unterschied zu<strong>de</strong>n genannten Palatalisierungen <strong>de</strong>r Velarlaute betrifft die regressiv wirken<strong>de</strong> j-Palatalisierungzusätzlich die russischen Labiale, die Alveo<strong>de</strong>ntale d, t, s, z sowie dieKonsonantengruppen kt und gd, wobei das j selbst im Zuge <strong>de</strong>r Verschmilzung mit<strong>de</strong>m vorausgehen<strong>de</strong>n Konsonanten verschwin<strong>de</strong>t.Die urslavischen Halbvokale o<strong>de</strong>r reduzierten Vokale ь und ъ erlitten je nach ihrerPosition im Wort sowie in <strong>de</strong>n einzelnen slavischen Sprachen bzw. Sprachgruppenein unterschiedliches Schicksal. Stan<strong>de</strong>n sie im absoluten Wortauslaut o<strong>de</strong>r direktvor einem Vollvokal, so fielen sie ersatzlos aus; in direkter Position vor eineman<strong>de</strong>ren Halbvokal wur<strong>de</strong>n sie zu Vollvokalen aufgewertet. Diese Aufwertung o<strong>de</strong>rHebung erfolgte im Westslavischen für bei<strong>de</strong> zu e (< ь, ъ), im Ostslavischen zu e (


344. Zur slavischen / russischen Diachronie4.9 Allgemeine Merkmale <strong>de</strong>s AltkirchenslavischenWährend seiner ca. 150-jährigen Existenz wies das AKS keineswegs einen unverän<strong>de</strong>rlichenSprachzustand auf. Verän<strong>de</strong>rungen traten im lautlichen Bereich ebensoauf wie in <strong>de</strong>r Morphologie, <strong>de</strong>r Lexikologie, <strong>de</strong>r Syntax.Die kirchenslavische Entwicklung ist nicht mit <strong>de</strong>r ostslavischen gleichzusetzen;erst im 10. Jh. kommt es mit <strong>de</strong>r Übernahme <strong>de</strong>r altslavischen Schriftsprache zu einemKontakt zwischen russischer Volkssprache (ostslavischer Herkunft) und altslavischerSchriftsprache (südslavischer Herkunft). Aus <strong>de</strong>r ostslavischen Volksspracheeinerseits und <strong>de</strong>r altslavischen o<strong>de</strong>r kirchenslavischen Schriftsprache an<strong>de</strong>rerseitsentwickelten sich als Synthese die Vorstufen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Nationalsprachen, alsoetwa das Altrussische (mit <strong>de</strong>n funktionalen Varianten Ostslavisch und Kirchenslavisch)als Vorläufer <strong>de</strong>s Neurussischen. Es ergibt sich eine große Dreiglie<strong>de</strong>rung: 1)kirchlich-religiöse Literatur: reines Kirchenslavisch; 2) Rechts<strong>de</strong>nkmäler: reinesOstslavisch; 3) weltliche Literatur (Chroniken etc.): themenabhängige Mischungbei<strong>de</strong>r Funktionalstile (vgl. FRANZ / TUSCHINSKY 1982: 13).Die phonetischen und phonologischen Verhältnisse im Altslavischen sehen wiefolgt aus:Vokalsystem: Es existieren 10 Vokalphoneme: a, že, e, o, i, u; ê, µo; ь, ъ (die reduziertenVokale verschwin<strong>de</strong>n entwe<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r gehen in an<strong>de</strong>re Vokale über). Vergleichtman dieses Phonemsystem mit <strong>de</strong>njenigen <strong>de</strong>r heute noch leben<strong>de</strong>n slavischenSprachen, so fällt auf, dass die Nasalvokale in <strong>de</strong>n meisten Slavinen nicht erhaltenbleiben.Konsonantensystem: Phonologisierung <strong>de</strong>r Opposition palatal : nichtpalatal; Aufkommen<strong>de</strong>s epenthetischen (d.h. eingeschobenen) l’. Bsp. aus <strong>de</strong>m Russischen:спать – я сплю, ты спишь; diese Epenthese ist nicht etymologisch motiviert, son<strong>de</strong>rndient einzig und allein <strong>de</strong>r Ausspracheerleichterung.Die wichtigsten Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s altkirchenslavischen Lautsystems wer<strong>de</strong>n invier Übersichten dargestellt.Die erste Tabelle zeigt, wie das Urslavische üblicherweise mit lateinischen Buchstabenund diesen zugeordneten Son<strong>de</strong>rzeichen transliteriert wird. Angegeben sindferner <strong>de</strong>r russische Name <strong>de</strong>s jeweiligen Buchstabens bzw. Erklärungen zu seinemLautwert. Die aufgeführten Zeichen sind konventionalisiert, können jedoch parallelverwen<strong>de</strong>te Varianten aufweisen.


4.9 Allgemeine Merkmale <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen 35abc (ć)č (č́)<strong>de</strong>ĕ (ä)ę (ẽ)(f)g(h)ijkl (ł)l’°lmnńЗнакабРусское обозначениеили толкованиец (мягкое)ч (мягкое)дэ (краткое)«ять» (долгий переднийоткрытый)э (носовое)ф (в заимствованиях)иг (взрывное)г (фрикативное, диалектное)й («йот»)кл (указывающий натвердость знак)л мягкоел слоговоемнн мягкоеoµo (õ)prŕ°rsśš (š́)tЗнакuv (w, ½u)x (ch)yzźž (ž́)ь (ĭ)ъ (ŭ)оРусское обозначениеили толкованиео носовоепрр мягкоер слоговоесс мягкоеш (мягкое)тхыув (в скобках даны знаки,подчеркивающиебилабиальность)зз мягкоеж (мягкое)краткий гласный икраткий гласный уAbbildung 39: Urslavische TranskriptionDie folgen<strong>de</strong> Tabelle ist eine Synopse zu <strong>de</strong>n lautlichen Entwicklungen in <strong>de</strong>n dreigroßen slavischen Sprachgruppen, ausgehend vom Urslavischen. Zur Erinnerung:Das vorangestellte Sternchen vor <strong>de</strong>n urslavischen Lautfolgen be<strong>de</strong>utet, dass dieentsprechen<strong>de</strong>n Formen mangels schriftlicher Zeugnisse nicht belegt, son<strong>de</strong>rn rekonstruiertsind.Праславянскиеформы*dl, *tl*e-*bj, *pj, ...*gvě-, *kvě-*tort, ...*dj, *kj (*kt)*ъ, *ь (сильн.)*Õ*ęВосточнославянскиеформыlo-bl’, pl’, ...zvě-, cvě-; květorot,...ž, čo,eu’aeu; Õ, ęe; ę, ÕЗападнославянскиеформыdl, tljeb’,p’, …gvě-, květrot,trat, tort, ...dz / z, cЮжнославянскиеформыle-bl’, pl’ ; b’, p’, …zvě-, cvětrat,…žd, dž, g, jšt, č, kъ, o, a; a, ea, ъ, o, ue


364. Zur slavischen / russischen Diachronie*ě*x (ě 2)*ort-, *olt-e, ê, ½ie, is (ě 2)rot-, rat-, lot-, lat-e, ’aš (ě 2)rot-, rat-, lot-, lat-e, ’a, ijes (ě 2)rat-, lat-Abbildung 40: Die wichtigsten phonetischen Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r slavischen SprachgruppenDie bei<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Übersichten setzen das mo<strong>de</strong>rne Russisch in Beziehung einmalzum Altslavischen und einmal zum Ostslavischen. In Verbindung mit obigerTabelle wer<strong>de</strong>n die Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n altslavischen und <strong>de</strong>n ostslavischenBeson<strong>de</strong>rheiten verständlich.1. Неполногласие: ограда (ср. огородить),прибрежный (ср. берега),младенец (ср. молодой),всплеск (ср. полоскать)2. Начальные сочетаниярa-, лa- наместе индоевропейскихоr-, оl- ивосточнославянскихрo-, лo-:3. жд, чередующеесяс д (из дj):4. щ, чередующеесяс т (из тj):5. Сохранение начальногое (отсутствие2-й лабиализациие):равенство (ср. ровный),разум (ср. росчерк),ладья (ср. лодка)сопровождать –проводы,наслаждение – сладкий,вождь – водитьвозвращать – возврат,запрещение – запрет,трепещет – трепетеще, единица,объединяться, ежели6. Сохранение епод ударениемна конце словаперед твердымсогласным(отсутствие 3-йлабиализации е):7. -ле-, чередующеесяс -оло-(отсутствие 1-йлабиализации –е):8. Сохранение и наконце основысуществительныхи прилагательных:9. Приставка из-(ис-):10. щ на месте гт икт перед и и ь винфинитивныхформах и у существительных3-го склонения:кр´ест, мят´еж, п´ерст,жити´е, быти´еувлечение (ср. волоку),млечный (ср. молочный),плеск (ср.полоскать)бытие, житие,Мария, Дарияизмазать (ср. вымазать),изъявить (ср.выявить), испариться(ср. выпариться)помощь, тещи (ср.древнерус. течи)Abbildung 41: Altslavische phonetische Beson<strong>de</strong>rheiten im heutigen Russisch


4.9 Allgemeine Merkmale <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen 371. Полногласие: сторож (ср. стража),беречь (ср. небрежный),солод (ср. сладкий),полоскать (ср. плескать)2. Начальные сочетанияро-, ло- наместе общеиндоевропейскихоr-,оl- и старославянскихра-, ла-:3. Сочетания ор-,ер-, ол- междусогласными наместе общеславянских-ър-, ъл-,-ьр-,-ьл- междусогласными:4. ж, чередующеесяс д (из дj):5. ч, чередующеесяс т (из тj):6. Разные покачеству заменыобщеславянскихъ, ь через о, е:ровесник (ср.равенство),розница (ср. разный),ровный (ср. равный),лодка (ср. ладья)горбатый, верховод,полный, толстякпровожать – проводить,хуже – худой,пряжа – прядусвеча – свет,отвечать – ответ,короче – короткийсон (< сънъ),день (< дьнь)(ср. чешское sen, <strong>de</strong>n)7. Начальное о- наместе начальногообщеславянскогои иноязычногое-:8. -оло-, чередующеесяс -ле- (1-я лабиализацияе)9. Произнощение епод ударениемна конце слова ивнутри словаперед твердымсогласным как’о, йо (3-я лабиализацияе):10. Отсутствие й наконце основы усуществительныхи прилагательных:один (ср. единственный,разъединять),олень (ср. елень)молочный (ср. млечный),полоскать (ср.плескаться)ещ´ё, и то и с´ё, копь´ё,плеч´о, нес´ём, пл´ётка,трещ´откажитьё, копьё, Марья,Дарья, семья,лебяжья11. Приставка вы-: выход (ср. исход),выбежать (ср. избежать),выключить(ср. исключить)12. ч в инфинитивахи существительных3-госклонения наместе *гт и *кт(перед и и ь)беречь (< беречи),ночьAbbildung 42: Ostslavische phonetische Beson<strong>de</strong>rheiten im heutigen RussischWen<strong>de</strong>n wir uns nunmehr <strong>de</strong>m morphologischen Bereich <strong>de</strong>s AKS zu, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rumAuswirkungen auf die Syntax hat. Zu trennen sind, wie üblich, nominaler undverbaler Sektor mit einem je spezifischen Formenbestand.Nominaler Bereich:• Deklinationen: nominal und pronominal• 7 Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Instrumental, Lokativ, Vokativ),3 Numeri (Singular, Dual, Plural), 3 Genera (maskulin, feminin, neutrum). DasKasussystem hat sich in dieser o<strong>de</strong>r in reduzierter Form nicht in allen slavischen


384. Zur slavischen / russischen DiachronieSprachen fortgesetzt; im mo<strong>de</strong>rnen Bulgarischen und Mazedonischen ist es verlorengegangen.Morphologie <strong>de</strong>r Substantive:• Deklinationen (Bezeichnung nach <strong>de</strong>n Themalauten): o-, ā-, ī-, žu-, ži- und Konsonantstämme(r-, s-, n-, nt-Stämme); dieses urslavische Stammklassensystem wirdzunehmend aufgegeben zugunsten einer Einteilung nach Genera (BOECK / FLE-CKENSTEIN / FREYDANK 1974: 21); Herausbildung einer Belebtheitskategorie (beimaskulinen Substantiven im Singular sowie bei Substantiven im Plural)Morphologie <strong>de</strong>r Adjektive:• Flexion: 3 Steigerungsstufen (Positiv, Komparativ, Superlativ)• Kurzformen (nominal <strong>de</strong>kliniert) und Langformen (nominal und pronominal<strong>de</strong>kliniert); die Verteilung von Lang- und Kurzformen gehorcht z.T. an<strong>de</strong>ren Regelnals in <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen slavischen Sprachen, sofern diese überhaupt noch eineentsprechen<strong>de</strong> Unterscheidung vornehmen)Verbaler Bereich:• Aspektsystem: perfektiver und imperfektiver Aspekt• Tempussystem: 7 Tempora (einfache Tempora: Präsens, Imperfekt, Aorist; periphrastischeTempora: Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II); Futurbe<strong>de</strong>utungkann durch imperfektives wie perfektives Präsens ausgedrückt wer<strong>de</strong>n; „DieBe<strong>de</strong>utungsunterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Tempora sind stark umstritten[...], die Belege oft wi<strong>de</strong>rsprüchlich und lassen verschie<strong>de</strong>ne Interpretationen zu.“(BOECK / FLECKENSTEIN / FREYDANK 1974: 23); das differenzierte Tempussystemwird in späterer Zeit zugunsten eines generalisierten Aspektsystems aufgegeben.Heute weisen v.a. die südslavischen und die sorbischen Sprachen noch ein feinabgestuftes Tempussystem auf, während im Ostslavischen und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren westslavischenSprachen viele Tempora aufgegeben wur<strong>de</strong>n und z.T. weitreichen<strong>de</strong>Umstrukturierungen stattfan<strong>de</strong>n. Die ostslavischen Sprachen Russisch, Weißrussischund Ukrainisch haben ihr Tempussystem auf Präsens, Präteritum 17 und Futur(sowie ein stark eingeschränktes Plusquamperfekt, welches im Russischenganz fehlt) reduziert. Im Ostslavischen dient das ehemalige l-Partizip heute alsPräteritalform, nach<strong>de</strong>m das Hilfsverb weggefallen ist.• Modus: Indikativ, Konjunktiv / Konditional, Imperativ• Diathese (Genus verbi): aktiv, passiv, reflexiv• Numerus: Singular, Dual, Plural• Person: 3 Personen im Singular und 3 im Plural• Genus: nur in periphrastischen Tempora ausgeprägt• Infinitiv, Temporal- und Modalformen, Supinum (супин), 5 Partizipien (vomPräsensstamm wer<strong>de</strong>n abgeleitet: Partizip Präsens Aktiv, Partizip Präsens Passiv;vom Infinitivstamm wer<strong>de</strong>n abgeleitet: Partizip Präteritum Aktiv, Partizip PräteritumPassiv, Partizip Perfekt Aktiv)• das differenzierte Partizipialsystem steht unter griechischem Einfluss (dativus absolutus[дательный самостоятельный], participium conjunctum u.a.)17Nicht i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>m aks. Imperfekt!


4.10 Die ältesten und wichtigsten Schrift<strong>de</strong>nkmäler <strong>de</strong>s Altkirchenslavischen 394.10 Die ältesten und wichtigsten Schrift<strong>de</strong>nkmäler <strong>de</strong>sAltkirchenslavischenEin generelles Problem bei <strong>de</strong>r Auswertung alter Schrift<strong>de</strong>nkmäler besteht in <strong>de</strong>r oftfestzustellen<strong>de</strong>n Diskrepanz zwischen <strong>de</strong>r zeitlichen Situierung <strong>de</strong>r Handlung und<strong>de</strong>m Entstehungsdatum <strong>de</strong>s Dokuments. Ein Beispiel: Eine in einem Archiv ent<strong>de</strong>ckteChronik berichtet von einem im 11. Jh. unternommenen Feldzug eines Novgoro<strong>de</strong>rFürsten. Der Text stammt jedoch nachweislich erst aus <strong>de</strong>m 15. Jh. undstellt einen Erstbeleg dar, d.h. es existieren keine älteren Fassungen (Handschriften)dieses Textes. Wie ist dieses Schriftzeugnis nun linguistisch zu werten? Zwischen<strong>de</strong>m 11. und <strong>de</strong>m 15. Jh. hat sich die Sprache über vier Jahrhun<strong>de</strong>rte weiter entwickelt,es ist also davon auszugehen, dass <strong>de</strong>r Schreiber <strong>de</strong>s 15. Jhs. die Sprache verwen<strong>de</strong>that, die ihm geläufig war und die sich bereits mehr o<strong>de</strong>r weniger <strong>de</strong>utlichvon <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>s 11. Jhs. unterschied. Man darf also nicht <strong>de</strong>n Fehler machen,die Sprache <strong>de</strong>s Dokuments mit <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r erzählten Zeit gleichzusetzen. ImI<strong>de</strong>alfall erlauben es immer wie<strong>de</strong>r vorgenommene Abschriften ein und <strong>de</strong>sselbenTextes aus verschie<strong>de</strong>nen Jahrhun<strong>de</strong>rten, die Entwicklung <strong>de</strong>r Sprache recht genaunachzuvollziehen. Die Datierung eines historischen Dokumentes bezieht sich alsonie auf die erzählte Zeit, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>n vermuteten o<strong>de</strong>r nachgewiesenen Entstehungszeitpunkt.Die – überwiegend lateinische – Namensgebung altkirchenslavischer Schrift<strong>de</strong>nkmälerorientiert sich i.d.R. an <strong>de</strong>n Fundorten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n latinisierten Namen <strong>de</strong>rFin<strong>de</strong>r bzw. Herausgeber, seltener an <strong>de</strong>n im Text erwähnten Personen. Die meistenWerke wur<strong>de</strong>n seit <strong>de</strong>m 19. Jh. bereits mehrfach und z.T. in unterschiedlicher Form(fototypisch, kritisch) ediert. In Klammern vermerkt sind Entstehungsort und -zeit,wobei je nach <strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>ten Literatur durchaus unterschiedliche Angaben hinsichtlich<strong>de</strong>r Entstehung und <strong>de</strong>r Sprachzuordnung zu fin<strong>de</strong>n sind. Oft wer<strong>de</strong>n dieWerke auch inhaltlich gruppiert, so bei TRUNTE (2005, Zweite Lektion, dort auch etlicheweitere Zeugnisse).Glagolitische Schrift<strong>de</strong>nkmälerCo<strong>de</strong>x Zographensis (Makedonien, En<strong>de</strong> 9./Anfang 10. Jh.)Co<strong>de</strong>x Marianus (Nordmakedonien, Anfang 11. Jh.)Co<strong>de</strong>x Assemanianus (Makedonien, Anfang 11. Jh.)Evangelium von Ochrid (Ochri<strong>de</strong>r Blätter) (Makedonien, 11. Jh.)Psalterium Sinaiticum (Makedonien, 11. Jh.)Euchologium Sinaiticum (Makedonien, 11. Jh.)Glagolita Clozianus (Makedonien, 11. Jh.)Fragmente von Rila (Makedonien, 11. Jh.)Kiever Missale (wohl auf tschechisch-sprachigem Gebiet, En<strong>de</strong> 11. Jh.)Kyrillische Schrift<strong>de</strong>nkmälerSava-Evangelion (Nordostbulgarien, 11. Jh)Co<strong>de</strong>x Suprasliensis (Bulgarien, Mitte 11. Jh.)Fragmente <strong>de</strong>s Undol’skij-Evangeliums (Bulgarien, 11. Jh.)Fragmente von Chilandar (11. Jh.)


404. Zur slavischen / russischen DiachronieZographos-Palimpsest (En<strong>de</strong> 11. Jh.)Hinzu kommen noch etliche In- und Aufschriften (Kirchen und weltliche Gebäu<strong>de</strong>,Grabplatten etc. zur Erinnerung an Personen und Ereignisse).


4.11 Altkirchenslavisch und Latein im Vergleich 414.11 Altkirchenslavisch und Latein im VergleichEin bisweilen bemühter Vergleich <strong>de</strong>s AKS mit <strong>de</strong>r lateinischen Sprache als <strong>de</strong>rVorläuferin o<strong>de</strong>r Mutter <strong>de</strong>r romanischen (Tochter-)Sprachen ist nicht ohne weiteresstatthaft. Tatsächlich haben sich die romanischen Einzelsprachen nämlich nichtaus <strong>de</strong>m klassischen (Schrift-)Latein entwickelt, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>ssen gesprochener,regional durchaus variieren<strong>de</strong>r Spielart, <strong>de</strong>m sog. Vulgärlatein (lat. vulgus ‚Volk,Volksmenge’). Das Vulgärlatein war also – im Gegensatz zum AKS – eine allen (primärmündlichen) Kommunikationserfor<strong>de</strong>rnissen gerecht wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, natürlich gewachseneVolkssprache. Die lateinische Sprache, zumal in ihrer klassischen Form,wur<strong>de</strong> die Sprache <strong>de</strong>r Gebil<strong>de</strong>ten und <strong>de</strong>r Bildung, sie war lingua franca und linguavernacula, die eine grenzüberschreiten<strong>de</strong> Kommunikation über beliebige Themen<strong>de</strong>s Alltags ermöglichte, unter <strong>de</strong>n Gebil<strong>de</strong>ten funktional also maximal belastet war(das einfache Volk bediente sich selbstverständlich auch in Westeuropa seiner angeborenenUmgangssprache, die lange Zeit – etwa bis zum Aufkommen <strong>de</strong>s nationalstaatlichenGedankens – von <strong>de</strong>r Bildungsschicht mit Verachtung gestraftwur<strong>de</strong>). Aufgrund seines hohen Status als europäische Kultursprache wur<strong>de</strong> Lateinvon <strong>de</strong>r römischen Kirche auch zur Sakralsprache erhoben, während das AKS erstnach seiner Einführung als Sakralsprache auch zur ostslavischen Kultursprache wer<strong>de</strong>nkonnte; die Entwicklung verlief mithin in umgekehrter Richtung.Eine Parallele ist dagegen bei <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s klassischen Lateins und <strong>de</strong>sAKS zu sehen. Im Laufe <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte wur<strong>de</strong> in bei<strong>de</strong>n Sprachen durch volkssprachlicheEinflüsse eine gewisse „Degenerierung“ spürbar, <strong>de</strong>r bewusst entgegengewirktwer<strong>de</strong>n sollte. Für die lateinische Sprache war dies <strong>de</strong>r Fall mit <strong>de</strong>r sog. KarolingischenReform im Jahre 800 unter Kaiser Karl <strong>de</strong>m Großen, <strong>de</strong>r das klassischeLatein wie<strong>de</strong>r auf sein altes Niveau heben wollte, dies um <strong>de</strong>n Preis, dass es sich immerweiter von <strong>de</strong>r Volkssprache entfernte und nur noch <strong>de</strong>n gebil<strong>de</strong>ten Kreisenzugänglich war. Vergleichbar verhielt es sich für das AKS mit <strong>de</strong>m sog. Zweiten südslavischenEinfluss, als erneut Lehrer aus südslavischen Län<strong>de</strong>rn als Vertreter einer„reineren“ kirchenslavischen Sprache gerufen wur<strong>de</strong>n 18 , um das ver<strong>de</strong>rbte AKS imostslavischen Bereich zu säubern. Aufgrund verschie<strong>de</strong>ner Interferenzerscheinungenvom AKS zur Volkssprache (lautlich und v.a. grafisch meist nicht systematisch,son<strong>de</strong>rn akzi<strong>de</strong>ntell durch um sich greifen<strong>de</strong> Unachtsamkeiten o<strong>de</strong>r die Unwissenheitvon Schreibern und Sprechern) war Ersteres im Laufe <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte teilweisevon seiner ursprünglichen, hohen Norm abgewichen. Etwa ab <strong>de</strong>m 11. Jh.kam es durch diese Entwicklungen zu einer ostslavischen Redaktion <strong>de</strong>s Kirchenslavischen.Sowohl die Karolingische Reform als auch <strong>de</strong>r Zweite südslavische Einfluss fielenin die Epoche <strong>de</strong>s Mittelalters. Im Vergleich von West- und Ost-/Südosteuropakann man jedoch nicht von <strong>de</strong>m Mittelalter als einem hier wie dort gleichartigenAbschnitt <strong>de</strong>r historischen Entwicklung sprechen. Vielmehr umfasste das Mittelal-18ISSATSCHENKO (1980: 214) weist darauf hin, dass die Lehrer aus <strong>de</strong>r Südslavia keineswegsgezwungenermaßen nach Moskau gekommen seien, son<strong>de</strong>rn völlig freiwillig und„mit einem offiziellen Auftrag vom Patriarchen von Konstantinopel“. Der Gedanke einerMassenemigration südslavischer Vertreter <strong>de</strong>r Intelligenz unter osmanischemDruck sei mithin historisch nicht haltbar (vgl. weiter unten).


424. Zur slavischen / russischen Diachronieter in Westeuropa grosso modo die Zeit vom 5./6. bis zum 15./16. Jh., also rund einJahrtausend von <strong>de</strong>r Völkerwan<strong>de</strong>rung und <strong>de</strong>m Zerfall <strong>de</strong>s Römischen Reiches bishin zur Ent<strong>de</strong>ckung Amerikas und bis zu MARTIN LUTHER. Der Beginn <strong>de</strong>s osteuropäischen,im engeren Sinne <strong>de</strong>s russischen, Mittelalters liegt dagegen <strong>de</strong>utlich späterund wird üblicherweise im neunten Jahrhun<strong>de</strong>rt angesetzt, als im Jahr 862 <strong>de</strong>r in<strong>de</strong>n Chroniken erwähnte Rjurik Fürst von Novgorod wur<strong>de</strong>. Der Ausgang <strong>de</strong>s russischenMittelalters ist mit <strong>de</strong>r Regierungszeit Peters <strong>de</strong>s Großen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 17./Anfang<strong>de</strong>s 18. Jhs. zu sehen, als sich Russland auf Geheiß Peters <strong>de</strong>m Westen und <strong>de</strong>ssenGedankengut öffnete.Trotz eines unterschiedlichen Entwicklungsverlaufs und einer zeitlichen Differenzvon mehreren hun<strong>de</strong>rt Jahren weisen das Lateinische einerseits und das Altkirchenslavischean<strong>de</strong>rerseits die große Gemeinsamkeit auf, dass sie jeweils zur Sprache<strong>de</strong>s Glaubens wur<strong>de</strong>n und hierdurch das kulturelle Leben ihrer Sprechergemeinschaftenin entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Maße prägten. Ohne diese in vielen Bereichenunieren<strong>de</strong>n Kräfte wäre die Geschichte West- und Ost- bzw. Südosteuropas sicherlichan<strong>de</strong>rs verlaufen.Latein und AKS sind in ihren Funktionsbereichen im Laufe <strong>de</strong>r Geschichte ganzerheblich beschnitten und (wie<strong>de</strong>r) auf <strong>de</strong>n religiösen Bereich zurückgedrängt wor<strong>de</strong>n,wobei Latein zusätzlich seine Be<strong>de</strong>utung als Sprache <strong>de</strong>r Wissenschaft bewahrenkonnte. Zwar wird heute nicht mehr in lateinischer Sprache publiziert, dochweite <strong>Teil</strong>e <strong>de</strong>r Fachterminologien sind und bleiben lateinisch geprägt (ferner griechisch).Das Kirchenslavische ist noch heute die Sprache <strong>de</strong>r russisch-orthodoxenKirche und als solches hinsichtlich seiner Entwicklung und seines gegenwärtigenBestan<strong>de</strong>s weiterhin das Objekt kulturwissenschaftlich-linguistischer Untersuchungen(so etwa bei KRAVECKIJ / PLETNEVA 2001).Literatur zum historischen <strong>Teil</strong> fin<strong>de</strong>t sich in Kap. 7.7. An dieser Stelle sei noch aufeinige interessante Internetseiten verwiesen:http://character.webzone.ru/ostromir.htm: das Ostromir-Evangelium onlinehttp://home.univer.kharkov.ua./sumer/glag/: rund um die Glagolicahttp://justin.zamora.com/slavonic/: „Help me learn Church Slavonic“: originelle englischsprachigeSitehttp://ko<strong>de</strong>ks.uni-bamberg.<strong>de</strong>/: zur Sprach- und Kulturgeschichte <strong>de</strong>r slavischen Län<strong>de</strong>r undVölkerhttp://litopys.org.ua/: Izbornyk; Sammlung altostlavischer Chronikenhttp://vedibuki.narod.ru/titslovo.htm: Texte und Übungen rund um das AKS, darunter speziellzum Alphabethttp://www.drevne.ru/: Internetportal altrussischer Textehttp://www.franklang.ru/48/: Grammatik, Wörterbuch, Texte (Bibel u.a.) zum AKShttp://www.franklang.ru/49/: Portal zu russischsprachigen Seiten rund um Sprache und KulturRusslandshttp://www.gramota.ru : Internetportal zur russischen SpracheAus <strong>de</strong>m Archiv dieser Site wur<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong> Beiträge ohne Jahresangabe herangezogen:ALPATOV, V. M.: Faktory, vlijajuščie na vybor sistemy pis’ma.


4.11 Altkirchenslavisch und Latein im Vergleich 43KIROV, E. F.: Grafika russkogo jazyka do i posle Kirilla (k voprosu o proischož<strong>de</strong>niibukvennogo pis’ma).LOPATIN, V. V.: Iz istorii reformirovanija russkogo pravopisanija.PRJADKO, I. P.: Doreformennaja orfografija i sovremennaja reklama.VEREŠČAGIN, E. M.: Iz istorii kirillicy.Ebenfalls von <strong>de</strong>r Internetseite http://www.gramota.ru, hier ohne Angabe eines Autors,stammen folgen<strong>de</strong> Artikel:50 let nazad byla naj<strong>de</strong>na pervaja berestjanaja gramota (31.05.2001)V berestjanoj gramote XII veka pokryli matom (02.10.2001)V Novgoro<strong>de</strong> naj<strong>de</strong>na berestjanaja gramota XIII veka (09.08.2002)http://www.hr/darko/glagoljica/dpg.html: Društvo prijatelja glagoljice; zur Glagolica aus kroatischerSichthttp://www.ruscenter.ru/33.html: zur Geschichte <strong>de</strong>r russischen Sprache, darunter Etliches zumAKShttp://www.sbible.boom.ru/slavpdf.htm: Biblija na cerkovnoslavjanskom jazykehttp://www.schaeken.nl/lu/research/online/publications/akslstud/: Altkirchenslavische Studienhttp://www.slavdict.narod.ru/: Wörterbuch <strong>de</strong>s AKS von G. D’JAČENKO (als hochauflösen<strong>de</strong>Gif-Grafiken)http://www.utexas.edu/cola/<strong>de</strong>pts/lrc/eieol/ocsol-0-X.html: Old Church Slavonic Online


446. Abbildungs- und Quellennachweis<strong>Teil</strong> E: Anhänge6. Abbildungs- und QuellennachweisDie Angaben zu <strong>de</strong>n ausgelagerten Abbildungen befin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r gleichnamigen PDF-Datei direkt unterhalb dieser Darstellungen. Für einen besseren Überblick ist in <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>nTabelle die ursprüngliche Nummerierung <strong>de</strong>r Grafiken nach <strong>de</strong>r 1. Auflage <strong>de</strong>r Einführungin die russische Sprachwissenschaft beibehalten wor<strong>de</strong>n. Die Abbildungen 1-33 befin<strong>de</strong>nsich in <strong>de</strong>r gedruckten Ausgabe <strong>de</strong>r 2. Auflage.Abbildung: Seite: Quelle:34: Periodisierung <strong>de</strong>r russischen Sprache 835: Gegenüberstellung von run<strong>de</strong>r und eckiger Glagolica 2436: Glagolitisches u. kyrillisches Alphabet in Gegenüberstellung 2537: Im Altkirchenslavischen gebräuchliche Akzente 3038: Zahlenwerte <strong>de</strong>r altkirchenslavischen kyrillischen Buchstaben 3039: Urslavische Transkription 3540: Die wichtigsten phonetischen Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r slavischenSprachgruppen 3541: Altslavische phonetische Beson<strong>de</strong>rheiten im heutigen Russisch 3642: Ostslavische phonetische Beson<strong>de</strong>rheiten im heutigen Russisch 37Verf. (nach MULISCH 1993: 18)http://ko<strong>de</strong>ks.uni-bamberg.<strong>de</strong>/AKSL/Schrift/GlagolVergleichAlphabet. htmVerf.http://ko<strong>de</strong>ks.uni-bamberg.<strong>de</strong>/AKSL/Schrift/Akzente.htmVerf. (nach SAMSONOV 1973: 58)Verf. (nach SUPRUN / KALJUTA1981: 23)Verf. (nach SUPRUN / KALJUTA1981: 27)Verf. (nach PAVLOVIČ 1972: 28)Verf. (nach PAVLOVIČ 1972: 27)


7. Zusätzliche Literatur 457. Zusätzliche Literatur7.7 Zum historischen <strong>Teil</strong>AIZETMÜLLER, RUDOLF: Altbulgarische Grammatik (als Einführung in die slavische Sprachwissenschaft).Freiburg i. Br. 1978 (2., verb. u. erw. Aufl. Freiburg i. Br. 1991).AVANESOV, R. I. (otv. red.): Issledovanija po slovoobrazovaniju i leksikologii drevnerusskogojazyka. Moskva 1978.AVANESOV, R. I.; KOTKOV, S. I. (otv. red.): Voprosy obrazovanija vostočnoslavjanskich nacional’nychjazykov. Moskva 1962.BIELFELDT, HANS HOLM: Altslawische Grammatik – Einführung in die slawischen Sprachen.Halle (Saale) 1961.BIELFELDT, HANS HOLM: Die slawischen Wörter im Deutschen. Ausgewählte Schriften 1950-1978. Leipzig 1982.BIRNBAUM, HENRIK; SCHAEKEN, JOS: Altkirchenslavische Studien I: Das altkirchenslavischeWort – Bildung, Be<strong>de</strong>utung, Herleitung. München 1997 (http://www.schaeken.nl/lu/research/online/publications/akslstud/).BOECK, W.; FLECKENSTEIN, CH.; FREYDANK, D.: Geschichte <strong>de</strong>r russischen Literatursprache.Leipzig 1974.BORETZKY, NORBERT: Immanente Geschichte <strong>de</strong>r russischen Sprache. In: JACHNOW 1984, S.404-443.BORKOVSKIJ, V. I. (otv. red.): Drevnerusskij jazyk. Leksikologija i slovoobrazovanie. Moskva1975.BORKOVSKIJ, V. I.; KUZNECOV, P. S.: Istoričeskaja grammatika russkogo jazyka. Moskva52010.BUGAEVA, I. V. (otv. red.): Cerkovnoslavjanskij jazyk: istorija, issledovanie, prepodavanie.Moskva 2005.CEJTLIN, R. M.; VEČERKA, R.; BLAGOVA, Ė.: Staroslavjanskij Slovar’ (po rukopisjam X-XI vekov).Moskva 1999.DESCHLER, JEAN-PAUL: Kleines Wörterbuch <strong>de</strong>r kirchenslavischen Sprache. Wortschatz <strong>de</strong>rgebräuchlichsten liturgischen Texte mit <strong>de</strong>utscher Übersetzung, Tabelle <strong>de</strong>s kyrillischenAlphabets mit Angabe <strong>de</strong>r Aussprache, Namenverzeichnis, Liste <strong>de</strong>r Abkürzungen inHandschriften und auf Ikonen. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. München 2003.DIELS, PAUL: Altkirchenslavische Grammatik. Mit einer Auswahl von Texten und einemWörterbuch. I. <strong>Teil</strong>: Grammatik. Hei<strong>de</strong>lberg 1932 (Hei<strong>de</strong>lberg 1989 (unveränd. Nachdruck<strong>de</strong>r 2. Aufl. v. 1963)).DURNOVO, N. N.: Vve<strong>de</strong>nie v istoriju russkogo jazyka. Moskva 1969 ( 2 2010; Nachdruck <strong>de</strong>sgleichnamigen Werkes, Brno/Brünn 1927).ECKERT, RAINER; CROME, EMILIE; FLECKENSTEIN, CHRISTA: Geschichte <strong>de</strong>r russischen Sprache.Leipzig 1983.ECKERT, R.; KIRCHNER, G.; RŮžIČKA, R.; SPERBER, W.: Russische Wortkun<strong>de</strong>. Halle (Saale)1966 ( 2 1969).EHLER, CHRISTINE; SCHAEFER, URSULA (Hgg.): Verschriftung und Verschriftlichung. Aspekte<strong>de</strong>s Medienwechsels in verschie<strong>de</strong>nen Kulturen und Epochen. Tübingen 1998.


467. Zusätzliche LiteraturFILIN, F. P.: Proischož<strong>de</strong>nie russkogo, ukrainskogo i belorusskogo jazykov. Istoriko-dialektologičeskijočerk. Leningrad 1972.FRANZ, NORBERT; TUSCHINSKY, CHRISTIAN: Lektürehilfe für altrussische Texte. 11.-17. Jahrhun<strong>de</strong>rt.Mainz 1982.GORŠKOV, A. I.: Staroslavjanskij jazyk. Moskva 1963 (neu u.d.T.: GORŠKOV, A. I.: Staroslavjanskij(drevnecerkovnoslavjanskij) jazyk. Učebnoe posobie dlja stu<strong>de</strong>ntov (vuzov).Moskva 2004).HAARMANN, HARALD: Zu <strong>de</strong>n historischen und rezenten Sprachkontakten <strong>de</strong>s Russischen. In:JACHNOW 1984, S. 482-515.HAARMANN, HARALD: Universalgeschichte <strong>de</strong>r Schrift. 2., durchges. Aufl. Frankfurt/Main,New York 1991 (Frankfurt/Main 2010).ISSATSCHENKO, ALEXANDER: Geschichte <strong>de</strong>r russischen Sprache. 1. Band: Von <strong>de</strong>n Anfängenbis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts. Hei<strong>de</strong>lberg 1980.IVANOV, VJ. V.: Der Große Oktober und die russische Sprache. Leipzig 1977.IVANOVA, M. V.: Kratkoe učebnoe posobie po istoričeskoj grammatike russkogo jazyka.Moskva 2006.JACHNOW, HELMUT: Eine neue Hypothese zur Provenienz <strong>de</strong>r glagolitischen Schrift – Überlegungenzum 1100. To<strong>de</strong>sjahr <strong>de</strong>s Methodios von Saloniki. In: R. RATHMAYR (Hrsg.): SlavistischeLinguistik 1985. München 1986. S. 69-93.JAGIĆ, VATROSLAV VON: Glagolitica. Würdigung neuent<strong>de</strong>ckter Fragmente. Wien 1890.JAGIĆ, VATROSLAV VON: Entstehungsgeschichte <strong>de</strong>r kirchenslavischen Sprache. Neue berichtigteu. erw. Ausg. Berlin 1913.KAMČATNOV, A. M.: Staroslavjanskij jazyk. Kurs lekcij. Izd. 2-e, ispravl. Moskva 2000.KEIPERT, HELMUT: Geschichte <strong>de</strong>r russischen Literatursprache. In: JACHNOW 1984, S. 444-481.KIPARSKY, VALENTIN: Russische historische Grammatik. Bd. I: Die Entwicklung <strong>de</strong>s Lautsystems.Hei<strong>de</strong>lberg 1963; Bd. II: Die Entwicklung <strong>de</strong>s Formensystems. Hei<strong>de</strong>lberg 1967; Bd.III: Entwicklung <strong>de</strong>s Wortschatzes. Hei<strong>de</strong>lberg 1975.KIPARSKY, VALENTIN: Tschernochvostoffs Theorie über <strong>de</strong>n Ursprung <strong>de</strong>s glagolitischen Alphabets.In: M. HELLMANN u.a. (Hrsg.): Cyrillo-Methodiana. Zur Frühgeschichte <strong>de</strong>sChristentums bei <strong>de</strong>n Slaven. Köln 1964. S. 393-400.KOŽIN, A. N.: Literaturnyj jazyk Kievskoj Rusi. Moskva 1981.KRAVECKIJ, A. G.; PLETNEVA, A. A.: Istorija cerkovnoslavjanskogo jazyka v Rossii (konec XIX– XX v.). Moskva 2001.LESKIEN, A.: Handbuch <strong>de</strong>r altbulgarischen (altkirchenslavischen) Sprache. Grammatik –Texte – Glossar. Hei<strong>de</strong>lberg 7 1955, 9 1969; 11., vollst. neu erstellte Aufl. Hei<strong>de</strong>lberg 2002.LUNT, HORACE G.: Old Church Slavonic Grammar. 7th, rev. ed. Den Haag 2001.MARKOV, V. M.: Istoričeskaja grammatika russkogo jazyka. Imennoe sklonenie. Moskva1974 (Iževsk 1992).MEČKOVSKAJA, N. B.: Rannie vostočnoslavjanskie grammatiki. Minsk 1984.MEJE, A.: Obščeslavjanskij jazyk. Per. s franc. Moskva 2 2001.MIKLAS, HEINZ: Griechisches Schrift<strong>de</strong>nken und slavische Schriftlichkeit: Glagolica und Kyrillicazwischen Verschriftung und Verschriftlichung. In: EHLER / SCHAEFER 1998, S. 132-155.MIKLAS, HEINZ (Hrsg.): Glagolitica: zum Ursprung <strong>de</strong>r slavischen Schriftkultur. Wien 2000.MIKLOSICH, FR.: Formenlehre <strong>de</strong>r altslovenischen Sprache. Wien 1850 ( 2 1854).NIKIFOROV, S. D.: Staroslavjanskij jazyk. Moskva 1952 ( 2 1955).


7. Zusätzliche Literatur 47PANZER, BALDUR: Die slavischen Sprachen in Gegenwart und Geschichte. Sprachstrukturenund Verwandtschaft. Frankfurt am Main 1991 (3., durchges. Aufl. Frankfurt am Main1999).PAVLOVIČ, A. I.: Istoričeskaja grammatika russkogo jazyka. Tablicy. Izd. 2-e. Moskva 1972.REMNEVA, M. L.: Staroslavjanskij jazyk: Učebnyj kompleks: Staroslavjanskij jazyk: Učebnoeposobie. Ėlektronnyj kurs. Teksty i slovar. Moskva 2012.SAMSONOV, N. G.: Drevnerusskij jazyk. Moskva 1973.SCHAEKEN, JOS; BIRNBAUM, HENRIK: Altkirchenslavische Studien II: Die altkirchenslavischeSchriftkultur. Geschichte – Laute und Schriftzeichen – Sprach<strong>de</strong>nkmäler (mit Textproben,Glossar und Flexionsmustern). München 1999 (http://www.schaeken.nl/lu/research/online/publications/akslstud/).SCHOLZ, FRIEDRICH: Slavische Etymologie. Eine Anleitung zur Benutzung etymologischerWörterbücher. Wiesba<strong>de</strong>n 1966.STECENKO, A. N.: Istoričeskij sintaksis russkogo jazyka. Moskva 1972 (Izd. 2-e, ispr. i dop.Moskva 1977).SUPRUN, A. E.; KALJUTA, A. M.: Vve<strong>de</strong>nie v slavjanskuju filologiju. Minsk 1981 (Izd. 2-e, pererab.Minsk 1989).ŠACHMATOV, A.; SHEVELOV, G. Y.: Die kirchenslavischen Elemente in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen russischenLiteratursprache. Wiesba<strong>de</strong>n 1960.ŠACHMATOV, A. A.: Istoričeskaja morfologija russkogo jazyka. Moskva 1957 (Izd. 2-e, ispr.Moskva 2010).ŠULEŽKOVA, S. G.: Chrestomatija po staroslavjanskomu jazyku. Teksty, slovar’, fonopriloženie.Učebnoe posobie. Moskva 3 2013.ŠULEŽKOVA, S. G.: Frazeologičeskij slovar’ staroslavjanskogo jazyka. Moskva 2011.TALEV, ILYA: Some Problems of the Second South Slavic Influence in Russia. München 1973.TRUNTE, NIKOLAOS HARTMUT: Словhньскъи >z|къ. Ein praktisches Lehrbuch <strong>de</strong>s Kirchenslavischenin 30 Lektionen. Zugleich eine Einführung in die slavische Philologie. BandI: Altkirchenslavisch. 5., völlig neu bearb. Aufl. München 2003 (aktuelle Aufl. mit Fehlerkorrekturenv. 2005); Band II: Mittel- und Neukirchenslavisch. München 2001; Beiheft:Sachweiser und Glossar.VAJAN, A.: Rukovodstvo po staroslavjanskomu jazyku. Moskva 1952 ( 5 2009 ; Original:VAILLANT, ANDRE: Manuel du vieux slave. Paris 1948).VAN-VEJK, N.: Istorija staroslavjanskogo jazyka. Moskva 1957 (Original: VAN WIJK, NICO-LAUS: Geschichte <strong>de</strong>r altkirchenslavischen Sprache. Band I: Laut- und Formenlehre. Berlinund Leipzig 1931).VASILENKO, I. A.: Istoričeskaja grammatika russkogo jazyka. Sbornik upražnenij. Izd. 2-e,ispravl. i dopoln. Moskva 1965.VINOKUR, GRIGORIJ: Die russische Sprache. Übertragen von REINHOLD TRAUTMANN. Zweite,neubearb. Aufl. Leipzig 1955.


488. Sachregister (zum Historischen <strong>Teil</strong>)8. Sachregister (zum Historischen <strong>Teil</strong>)


8. Sachregister (zum Historischen <strong>Teil</strong>) 493-Stile-Theorie 93-Stile-Theorie 9Akkusativ 37Altbulgarisch 9, 20, 25Altkirchenslavisch 20Altmakedonisch 20Altnowgoro<strong>de</strong>r Dialekt 8Altostslavisch 9, 12Altrussisch 8, 9, 11, 12, 34Altslavisch 6, 20Altslovenisch 20Altukrainisch 9Altweißrussisch 9anaptyktischer Vokal 31Aorist 38Apostroph 29arabische Schrift 23Archaisierung 13Archaismus 7Aspektsystem 38Auslautverhärtung 31balto-slavische Spracheinheit 10Belebtheitskategorie 38Belorussisch 9, 12Birkenrin<strong>de</strong>nurkun<strong>de</strong> 6, 8bürgerliche Schrift 26Christianisierung 4, 17, 24Dativ 37Dehnung 31diachron 2diakritisches Zeichen 29Dialekt 18, 20Diathese 38Diglossie 13Diglossie-Situation 2, 20Digraph 29Dreisprachler 19Dual 37, 38Dublette 21Entlehnung 7, 19, 21Entstimmlichung 31Epenthese 34epenthetisch 34Flexion 3, 38Früh-Ostslavisch 8Funktionalstil 21, 34Futur I 38Futur II 38Gemeinostslavisch 8, 11Gemeinslavisch 5, 8Genitiv 37Genus 38Genus verbi 38Gesetz <strong>de</strong>r offenen Silbe 31Glagolica 23, 24, 25griechische Schrift 23Großrussisch 9, 12Halbvokal 31Hebräismus 19Hochsprache 7, 20, 22Hybridsprache 28Imperativ 38Imperfekt 38Indikativ 38Indoeuropäisch 10Indogermanisch 10Instrumental 37Interferenzerscheinung 3, 41Interpunktion 29Kanzleisprache 6, 13Karolingische Reform 41Kirchenslavisch 3, 20, 34Kleinrussisch 9Koartikulation 32Komparativ 38Kompositionsbildung 21Konditional 38Konjunktiv 38Konsonantensystem 34Konstantin 17Kultursprache 41Kurzform 38Kyrill 17, 18, 19, 21, 23, 24Kyrillica 13, 23, 24, 25, 26, 28Langform 38Lautsystem 3Lautwert 30Lexik 10Ligatur 13, 24, 29lingua franca 41lingua vernacula 41Liquidametathese 31Literatursprache 2, 3, 7, 9, 20, 21, 22Liturgiesprache 13Lokativ 37


508. Sachregister (zum Historischen <strong>Teil</strong>)Majuskelschrift 25Method 17, 18, 19, 21Minuskelschrift 23, 24Mischsprache 15, 16Missionierung 17Mittelalter 18, 21, 41Modus 38Morphologie 10, 13, 34, 38morphologischer Ausgleich 33Muttersprache 19Nationalsprache 9, 10, 14nichtpalatal 34Nominativ 37Numerus 38Opposition 34Orthoepie 13Orthografiereform 28Ostslavisch 8, 34palatal 34Palatalisierung 31Palatalität 29Partizip Perfekt Aktiv 38Partizip Präsens Aktiv 38Partizip Präsens Passiv 38Partizip Präteritum Aktiv 38Partizip Präteritum Passiv 38Partizipialsystem 38Perfekt 38periphrastisches Tempus 38Perm-Schrift 23Phonetik 13Phonologisierung 34Phraseologie 3, 10Pleophonie 31Plural 37, 38Plusquamperfekt 38Polnoglasie 31Poluustav 25Positiv 38Präsens 38protoglagolitische Schrift 24Rebulgarisierung 13Redaktion 21, 41Reflex 2Rekonstruktion 6Runen 24Russisch 8, 9Russisch-Kirchenslavisch 21, 32Sakralsprache 3, 21, 41Schrift<strong>de</strong>nkmal 7, 11Schriftduktus 25Schriftlichkeit 2, 24Schriftsprache 9, 15, 17, 19, 20, 34Schwund <strong>de</strong>r reduzierten Vokale 31scriptura continua 29Silbenöffnung 31Singular 37, 38Slavenapostel 17Son<strong>de</strong>rzeichen 28Späturslavisch 5, 8Sprachfamilie 10Sprachkontinuum 4Sprachsystem 13Sprachvarietät 21Stammklassensystem 38Standardsprache 3, 7, 10Steigerungsstufe 38Stil 9, 10, 14Südslavismus 32Superlativ 38Supinum 38synchron 2Syntax 3, 10, 13, 19, 34Ten<strong>de</strong>nz zur steigen<strong>de</strong>n Sonoritätswelle 31Themalaut 38Til<strong>de</strong> 29, 30Transliteration 25Ukrainisch 9, 12, 28Umgangssprache 9, 41Unzialschrift 25Urheimat <strong>de</strong>r Slaven 4Urrussisch 11Urslavisch 8, 10, 11Ustav 25Varietät 15Vokalsystem 34Vokativ 37Völkerwan<strong>de</strong>rung 4, 11, 18, 42Volkssprache 2, 3, 9, 12, 13, 14, 15, 20, 21,22, 34, 41Volllaut 31Vulgärlatein 41Weichheitszeichen 29Weißrussisch 9, 12, 28Wortbildung 3, 13Wortschatz 9, 10, 13, 14, 19, 45


8. Sachregister (zum Historischen <strong>Teil</strong>) 51Zahlwert 30Zahlzeichen 29Zweisprachigkeit 20Zweiter südslavischer Einfluss 41

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