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Nr. 2/2013, als pdf-Datei - Alfred Klahr Gesellschaft

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ALFRED KLAHR GESELLSCHAFTM I T T E I L U N G E N20. Jg. / <strong>Nr</strong>. 2Juni <strong>2013</strong>Preis: 1,25 EuroDie KPÖ im burgenländischen LandtagZwei Gesetzgebungsperioden, von1945 bis 1949 sowie von 1953 bis1956, waren Kommunisten mitjeweils einem Mandat im burgenländischenLandtag vertreten. Die KommunistischePartei Österreichs bzw. die vonihr maßgeblich mitgetragene Volks -opposition, unter deren Dach sie 1953für Nationalrat und Landtag kandidierthat, ist vor diesem Hintergrund für dieparlamentarische Frühzeit der ZweitenRepublik auf dem Gebiet des Burgenlandesnicht wegzudenken. Ungeachtet dessenist eine entsprechende historischeDarstellung bislang ausgeblieben, wasauf Seiten der „offiziösen“ burgenländischenLandeshistoriographie unschwermit unverhohlenen antikommunistischenRessentiments und dem erkennbarenKalkül, die Partei und ihre Verdienstemöglichst aus dem wissenschaftlichenDiskurs zu verbannen, 1 erklärbar erscheint.Für die eigene, parteiinternebzw. der Partei und ihrem intellektuellenUmfeld entstammende Geschichtsschreibungkonstatiert Hans Hautmann in seinemrichtungsweisenden Beitrag zur parlamentarischenArbeit der KPÖ im Nationalratwiederum „eigene Versäumnisse“,2 ehe die Serie an Wahlerfolgen dersteirischen Kommunisten im 21. Jahrhundertund ihre abermalige Verankerungauf kommunalpolitischer und Landtags-Ebenedie Tätigkeit der KPÖ in denAnfangsjahrzehnten der Zweiten Republikwieder in den Fokus rückten. Es sollim Folgenden nun an den bereits erwähntenAufsatz von Hautmann angeknüpftund in gewissermaßen logischerEntsprechung der Gang vom Allgemeinenzum Besonderen und damit derSchritt weg vom Wiener Parlament hinzum Landtag in Eisenstadt gemacht werden.Hinsichtlich der übergeordnetentheoretischen Konzeption der KPÖ undihrer spezifisch marxistischen Parlamentstaktikkann nochm<strong>als</strong> auf die Ausführungenvon Hautmann, für die Frageder antifaschistisch-demokratischen Perspektiveder KPÖ und ihrer Etappenkonzeptionnach 1945 auf die entsprechen-Martin Krennser nördlichen Bezirke des ehemaligenBurgenlandes.“ 6Im Burgenland blieb man nicht untätigund reagierte mit der am 11. Mai 1945vollzogenen Umwandlung des „provisorischenLandeskomitees“ in einen „provisorischenLandesausschuss“, der sichaus drei Sozialdemokraten, drei Christlichsozialenund zwei Kommunisten zusammensetzte:auf Seite der KPÖ warendies die aus dem Mattersburger Bezirkstammenden Michael Pinter und FranzMichalitsch 7 – Vinzenz Böröcz befandsich zu diesem Zeitpunkt noch <strong>als</strong> abrüs -tender Wehrmachtssoldat in Deutschland,Otto Mödlagl in Wien, wo er anführender Stelle am Wiederaufbau derniederösterreichischen Landesverwaltungmitarbeitete. Dieser „provisorischeLandesausschuss“ fungierte nun faktisch<strong>als</strong> erste Landesregierung des Burgenlandesund setzte neben Maßnahmenauf dem Gebiet der Ernährung, derSicherheitspolitik und des Gesundheitswesensauch Schritte zur Wiederherstellungder burgenländischen Landeshoheit,indem etwa eine entsprechende Resolutionan die provisorische Regierung Rennerübermittelt wurde. Nachdem im„Verfassungsgesetz über die vorläufigeEinrichtung der Republik Österreich“vom 1. Mai 1945 das Burgenland nochzwischen Niederösterreich und der Steiermarkaufgeteilt geblieben war undauch Renner anfängliche Sympathien füreine derartige Lösung gezeigt hatte, gelanges den Vertretern der Idee von BurgenlandII durch beharrliches Lobbyingund die Mobilisierung der lokalen Bevölkerung,die Wiedererrichtung desBurgenlandes zu erreichen. Zu seinerstaatsrechtlichen Kodifizierung solltedies am 29. August 1945 durch das <strong>als</strong>„Burgenlandgesetz“ bezeichnete Bundesverfassungsgesetzführen, in welchemdas Burgenland mit Wirkung vom1. Oktober 1945 <strong>als</strong> selbstständiges Bundeslandkonstituiert wurde. Zu diesemZeitpunkt befanden sich mit Mödlaglund Böröcz die beiden bestimmendenAkteure der burgenländischen KPÖ bedenPassagen bei Manfred Mugrauerverwiesen werden. 3Die zweite burgenländischeStunde NullEine sachliche Vorbemerkung erscheintangebracht, war doch die Gründungsgeschichtevon Burgenland II, <strong>als</strong>odie Wiedererrichtung des von den Nation<strong>als</strong>ozialistenauf die Reichsgaue Niederdonauund Steiermark aufgeteiltenLandes, keineswegs frei von politischenFriktionen. Als sich auf Einladung desfrüheren christlichsozialen LandesratsLorenz Karall am 11. April 1945 in Mattersburgein aus Persönlichkeiten ausdem politischen Leben vor dem Hitler-Faschismus gebildetes „provisorischesLandeskomitee“ des Burgenlandes konstituierte,4 waren die Kämpfe um die BefreiungWiens durch die Rote Armeenoch voll im Gange. Nach der bedingungslosenKapitulation Hitler-Deutschlandswiederum wurden bald Stimmenlaut, die für eine Beibehaltung des Statusquo und damit für die Aufteilung desBurgenlandes auf Niederösterreich imNorden (Bezirke Neusiedl, Eisenstadt,Mattersburg, Oberpullendorf) bzw. dieSteiermark im Landessüden (BezirkeOberwart, Güssing, Jennersdorf) votierten.Insbesondere aus Niederösterreichwurde eine derartige Lösung propagiert,allen voran von Oskar Helmer, dem provisorischenLandeshauptmann-Stellvertreterder SPÖ. Helmer sprach sich „impaternalistischen Bestreben und untereinleitender Verdrehung historischer Gegebenheiten“,wie es Widder formuliert, 5mit Nachdruck für eine niederösterreichisch-steirischeLösung der Burgenlandfrageaus: „Die Leitha ist keinGrenzfluß und war niem<strong>als</strong> einer. Dasnördliche Burgenland strebte immer inder Zielrichtung Wien, Wr. Neustadt,dort war sein natürlicher Absatzmarkt.Nun sind wir zu einer besonders engenSchicks<strong>als</strong>gemeinschaft zusammen -geschweißt. Ich glaube, wir sollen esauch für alle Zukunft bleiben im Interessedes Landes und der Bevölkerung die-Bruno Böröcz zum 70. Geburtstag


2 Beiträgereits wieder im Land. In dem auf Grundlagedes Burgenlandgesetzes beschickten„provisorischen Landesausschuss“ desBurgenlandes, der ersten tatsächlichen,auch formell anerkannten Landesregierungnach Kriegsende, nahmen sie entscheidendePositionen ein: Mödlagl <strong>als</strong>zweiter Landeshauptmann-Stellvertreterdes provisorischen LandeshauptmannsLudwig Leser (SPÖ), Böröcz <strong>als</strong> Landesratfür Ernährungsfragen.2/13WahlergebnisseDie erste freie Landtagswahl im Burgenlandnach über 15 Jahren – das letzteMal wurde am 9. November 1930 zurWahlurne geschritten – brachte an diesem25. November 1945 der burgenländischenKommunistischen Partei unterihrem Spitzenkandidaten Otto Mödlaglzum ersten Mal in ihrer Geschichte einenSitz im 32-köpfigen burgenländischenLandtag: Bei einer Wahlbeteiligung vonknapp über 96 Prozent konnte die ÖVPdie absolute Mehrheit erringen (51,82Prozent, 17 Landtagsmandate), währendsich die SPÖ mit 44,91 Prozent (14 Landtagsmandate)begnügen musste. 8 Auf dieKPÖ, die zum zweiten Mal nach 1930landesweit kandidierte – dam<strong>als</strong> hatte siein starker Konkurrenz zum Heimatblockbzw. der ebenso erstmalig kandidierendenNSDAP (Hitlerbewegung) immerhin562 Stimmen oder 0,42 Prozent erhalten–, entfielen 3,26 Prozent oder 4.291Stimmen, was ein Mandat bedeutete. 9Dieses Mandat konnte bei der Wahlzur VI. Gesetzgebungsperiode des burgenländischenLandtags am 9. Oktober1949 jedoch nicht verteidigt werden. DieKPÖ, gemeinsam mit den Linkssozialis -ten unter dem Namen Linksblock an -getreten, vermochte unter ihrem nunmehrigenSpitzenkandidaten im Burgenland,Vinzenz Böröcz, zwar landesweit493 Stimmen hinzu zu gewinnen, verloraber aufgrund der signifikanten Steigerungder Gesamtzahl der Wahlberechtigten(knapp 170.000 im Vergleich zu137.000 im Jahr 1945) durch Rückkehreraus der Kriegsgefangenschaft sowie dieWiederverleihung des Wahlrechtes fürminderbelastete Nation<strong>als</strong>ozialisten hinsichtlichihres relativen Anteils (minus0,35 Prozent). 10 Ihre 4.784 Stimmen bedeuteteneinen Anteil von 2,91 Prozentder Stimmen, womit der Einzug in denLandtag knapp verfehlt wurde. Mit einGrund war zudem das erstmalige Antreteneiner Partei des dritten Lagers, desunter dem Listennamen Wahlpartei derUnabhängigen (WdU) angetretenen Verbandder Unabhängigen (VdU), der aufAnhieb 3,85 Prozent der Stimmen (ca.6.300) erhielt und sich somit den zuvorvon der KPÖ beschickten Landtagssitzsichern konnte. Bemerkenswert bei dieserLandtagswahl 1949 ist zudem dasstarke Abschneiden der ÖVP, die ihreabsolute Mehrheit nicht nur verteidigen,sondern sogar ausbauen konnte (52,61Prozent), während auf der anderen Seitedie SPÖ knapp 4 Prozent verlor und nunmehrbei 40,43 Prozent hielt. Es erscheintnaheliegend, dass sich insbesonderedie ÖVP die Stimmen der „Ehemaligen“im Burgenland sichern konnten:„Auch wenn keine Wählerstromanalyseim modernen Stil des 21. Jahrhundertsdiese These zu belegen vermag, ist dennochallein der prozentuelle Transfersehr augenfällig und für diese Vermutungsehr nahe liegend.“ 11 Allein die burgenländischeKPÖ verweigerte sich konsequentder Stimmen von ehemaligenNation<strong>als</strong>ozialisten – und bekam dafüram Wahltag die Rechnung präsentiert.Die Landtagswahl vom 22. Februar1953 brachte eine neuerliche Steigerungdes absoluten und dieses Mal auch relativenStimmenanteils der KPÖ, die in einerBündniskandidatur unter dem NamenWahlgemeinschaft österreichischeVolksopposition angetreten ist. Im Burgenlandbildete die KPÖ in diesemBündnis, dem der formell im Jahr 1951gegründete Bund der kleinen Landwirte,die Linkssozialisten, die DemokratischeUnion sowie die Nationale Liga angehörten,die klar dominierende Kraftund stellte mit Vinzenz Böröcz auch denSpitzenkandidaten für die Landtagswahl.Mit Erfolg: Während das bürgerliche Lagerstarke Einbußen verkraften und dieÖVP mit dem Verlust ihrer absolutenMehrheit eine herbe Wahlniederlage einsteckenmusste (minus 4,17 Prozent und5.350 Stimmen), legte neben der SPÖauch die KPÖ/Volksopposition zu underkämpfte sich den Landtagssitz aufKos ten der ÖVP wieder zurück: die Parteikonnte ihr Ergebnis von 1949 umnochm<strong>als</strong> 602 Stimmen steigern, was beiungefähr gleichbleibender Zahl derWahlberechtigten einem Anteil von 3,22Prozent (plus 0,31 Prozent) entsprach. 12Nach Mödlagl im Jahr 1945 zog nunBöröcz in den so genannten „Wildschweinsaal“von Schloss Esterházy ein,dem Tagungsort des burgenländischenLandtages in Eisenstadt (das 1930 endgültigbezogene Landhaus wurde erst imAugust 1955 von der sowjetischenAdministration rückübereignet).In dieser VII. Gesetzgebungsperiodevon 1953 bis 1956 sollte die KPÖ zumbislang letzten Mal im burgenländischenLandtag vertreten sein. Die Landtagswahlenvom 13. Mai 1956 – nach Abzugder sowjetischen Truppen im Gefolgedes Staatsvertrages, jedoch vor dem sogenannten „Volksaufstand“ in Ungarnvom anschließenden Oktober – fügtender Partei eine herbe Wahlniederlage zu:sie verlor 2.263 Stimmen und fiel mit einemErgebnis von 3.123 Stimmen deutlichunter 2 Prozent (1,89 Prozent). Damitwurde der Wiedereinzug in denLandtag klar verfehlt. Auf der anderenSeite begann sich der Aufsteig der SPÖzur dominierenden Kraft im Burgenlandabzuzeichen; konnten doch die Sozialdemokratenihr Ergebnis neuerlich steigernund ihren Rückstand auf die ÖVP bei 46Prozent Stimmenanteil auf knapp 5.300Stimmen verringern.Bei den Landtagswahlen vom 10. April1960 erreichte die KPÖ schließlich letztmaligein Ergebnis über ein ProzentStimmenanteil: 1.772 Stimmen (minus1.351) bedeuteten einen Anteil von 1,09Prozent. Seit mittlerweile mehr <strong>als</strong> einemhalben Jahrhundert spielt die Partei – ungeachteteines auf niedrigem Niveau zukonstatierenden partiellen Aufschwungsin den 1980er Jahren – in wahlpolitischerHinsicht keine Rolle mehr.Die KPÖ-Abgeordneten: OttoMödlagl und Vinzenz BöröczBei den beiden Landtagsabgeordnetender burgenländischen KPÖ handelt essich um durchaus große Namen der kommunistischenBewegung im Burgenlandwie in Österreich. Vor dem Hintergrundder Vita Vinzenz Böröcz’, von 1946 bis1981 Parteiobmann der burgenländischenKPÖ, erscheint der LebenswegMödlagls weitaus weniger bekannt. Diesmag auf der einen Seite dem relativenfrühen Ausscheiden Mödlagls aus seinenpolitischen Funktionen in der Öffentlichkeitgeschuldet sein, während im Fallvon Vinzenz Böröcz eine bis zu seinemTod anhaltende, auch nach außen wirksamepolitische Aktivität (in seinem letztenLebensabschnitt <strong>als</strong> gefragter Zeitzeugean burgenländischen Schulensowie <strong>als</strong> Funktionär des burgenländischenKZ-Verbandes) festzustellen ist.Zudem hat Böröcz mit der Niederschriftseines umfangreichen Memoirenwerkes(„Kampf um Boden und Freiheit. Wo dasLand den Esterházys gehörte“, 1994) einspannendes wie seither vielzitiertesZeugnis zur burgenländischen Zeit -geschichte und zur burgenländischenParteigeschichte der KPÖ hinterlassen.Dessen ungeachtet kann der im Ver-


4 BeiträgeMödlagl <strong>als</strong> einzigem kommunistischenAbgeordneten, sich zu nahezu jeder Materiezu äußern. Das von ihm behandelteThemenspektrum war daher notgedrungenäußerst breit und reichte vongrundsätzlichen Stellungnahmen zur Regierungserklärungvon LandeshauptmannKarall (4. Januar 1946) über Fragender Ernährungslage (16. Februar1946) und der Sportpolitik (15. April1947) bis zur Neufassung des burgenländischenJagdgesetzes (29. Juni 1949)und, mithin die Quintessenz jeder Tagespolitik,der Budgetproblematik und damitder konkreten Verwendung, Steuerungund Verteilung der vorhandenenFinanzmittel. Es vermag daher nicht zuverwundern, dass Mödlagl mit seineninsgesamt 19 Wortmeldungen der mitAbstand aktivste Landtagsredner war:Neben seinen beiden Ansprachen bei denjährlich im Gedenken an die Befreiungdes Burgenlandes durch die Rote Armeeabgehaltenen Festsitzungen vom13. April 1946 und 13. April 1948 (anlässlichder Festsitzungen 1947 und 1949sprach er nicht) meldete er sich inhaltlich17 Mal zu Wort, zudem stellte er dreiAnträge. Letztere bezogen sich auf dieVeranschlagung eines außerordentlichenUnterstützungs-Betrages für die Opferdes Faschismus in der Höhe von 2.000Schilling (eingebracht am 25. September1946) sowie in den übrigen beiden Fällenauf die umgehende Durchführung derBodenreform (1946 und 1947, siehe gesondertunten). Als Ein-Mann-Fraktionist zudem zu vermerken, dass Mödlaglgemäß der Geschäftsordnung des Landtagesin keinen Ausschuss gewählt wurde.Neben der Bodenreform waren es insbesondereFragen der konkreten Ausgestaltungder Budgetpolitik des Landes,zu denen Mödlagl umfassende Stellung -nahmen abgab. Er äußerte sich zu jedemLandesvoranschlag im Zeitraum seinesMandats, wobei er nicht nur in der Spezialdebattezu einzelnen Punkten im Detaileinging, sondern immer auch die Gelegenheitzu einer allgemein-politischenEinschätzung der Situation nutzte. Soforderte er etwa im Zuge der Diskussiondes Landesvoranschlags des Jahres 1946am 25. September 1946 neben einer„möglichst weitgehende(n) Steuerhoheit“23 für das Burgenland zwecksDurchführung einer umfassenden wirtschaftlichenAufbauagenda und Infrastrukturpolitik24 die Schaffung einer leistungsfähigenund demokratischen „Zentralverwaltung“.25 Eine derartige Verwaltungbegriff er <strong>als</strong> unerlässliche Voraussetzung,geradezu <strong>als</strong> Hebel für die2/13Konsolidierung und Entwicklung desLandes. Hier warf er auch den beidenGroßparteien Versäumnisse vor, da ÖVPund SPÖ beim Neuaufbau des Beamtenkörperseben nicht darauf achten würden,dass „neues und junges Blut in denalten Apparat hineinkommen möge“,vielmehr eine „Stimmzetteldemokratie“unter weitgehendem Ausschluss desVolkes mit einem alteingesessenen Verwaltungsklientelbetrieben. 26 Für Mödlaglspielten dabei die Stärkung der Bezirkshauptmannschaftenund ihr Ausbauzu demokratischen Verwaltungskörperneine entscheidende Rolle; nur so könne„eine Mitarbeit der Bevölkerung an derVerwaltung“ gewährleistet werden. 27Dies erschien ihm gleichermaßen eine„Garantie für die Demokratie im Lande“,bedeute doch „ein Verwaltungssystem,zu dem der größte Teil der Bevölkerungkein inniges Verhältnis hat, an dem eingroßer Teil der Bevölkerung nicht auchmitarbeiten kann“, eine Gefährdung fürdie Demokratie im Land: „[...] ein solchesSystem muß letzten Endes volksfeindlichbleiben und es kann nur weiterverwalten neben dem Volk und manchmal,wie wir es in der letzten Zeit gesehenhaben, auch gegen das Volk“. 28In ähnlicher Weise äußerte sich Mödlaglauch im Zuge der Diskussion desLandesvoranschlags 1947 im darauffolgendenJahr (15. April 1947). Ziel derKPÖ sei „eine Republik, ein Staat, dergedeihen soll und der durch die Zusammenarbeitaller Parteien und aller aufbauwilligenKräfte des Landes verwaltetwerden muß“. 29 Gleichzeitig zog Mödlaglaber den Umkehrschluss, dass „jene,die die Demokratie bekämpfen, die nichtauf dem Boden unseres Staates stehen,kein Recht haben in diesem Staat zu redenund Propaganda zu treiben“. Und erwurde mit Bezug auf die bereits einsetzendenDiskussionen über eine Amnestieehemaliger Nation<strong>als</strong>ozialisten deutlich:„Dazu gehört aber auch, daß wir alles,was aus jener Zeit, besonders aus denJahren des Faschismus zurückgebliebenist, geistig und vielleicht da und dortauch materiell ausrotten müssen.“ 30Eine besondere Stellung innerhalb derparlamentarischen Tätigkeit Mödlaglsim burgenländischen Landtag nimmtsein Kampf gegen die Verabschiedungdes neuen burgenländischen Jagdgesetzesim Jahr 1949 ein. Dies mutet nur aufden ersten Blick <strong>als</strong> Kuriosum an, ginges doch der KPÖ um nichts weniger <strong>als</strong>die Entflechtung von Jagdrecht undGroßgrundbesitz. Im neu formulierten§ 4 des burgenländischen Jagdgesetzeswurde die Jagd nämlich an den Grundbesitzgebunden, was für Mödlagl schlichtein Skandal und eine „bürokratischeMißgeburt“ war. 31 ÖVP und SPÖ wolltenjedoch das neue Jagdgesetz unbedingtnoch in der laufenden Legislaturperiodebeschließen und peitschten es inder letzten Sitzung des Landtages vom29. Juni 1949 trotz schwerster BedenkenMödlagls durch. Für ihn erinnerte dasGesetz an „Gesetze in der Nazizeit, woden Jägern und Großgrundbesitzerngewisse Rechte zugesprochen wurden,die weit darüber hinausgingen, was dieseKreise an Rechten jem<strong>als</strong> in Oesterreichhatten“. 32 Sein Appell an die SPÖ, demGesetz nicht zuzustimmen, verhalltejedoch ungehört.Zahlen und Themenzur Periode 1953-1956Nach der enttäuschenden Landtagswahl1949 fand sich die burgenländischeKPÖ in der nunmehr ungewohnten Situationeiner fehlenden Verankerung imhöchsten politischen Vertretungskörperdes Landes wieder. Sie nutzte jedoch dieüber vierjährige Zeitspanne zu ihrer organisatorischenund strukturellen Restrukturierungsowie politischen Aktivitätenauf lokaler Ebene, wo die Parteifallweise über eine nach wie vor ungebrocheneVerankerung verfügte. Mit Unterstützungder sowjetischen Administrationin Österreich gelang beispielsweisedie Aufteilung und Verpachtung von etwa15.000 Hektar Großgrundbesitz imBurgenland an Kleinbauern und Gemeinden.33 Diese Entwicklung korrespondiertein strukturell-organisatorischerHinsicht in der Gründung des überparteilichen,mit der KPÖ jedoch„freundschaftlich verbundene(n)“ 34 Bundesder kleinen Landwirte im Jahr 1951,der seine Basis wiederum in den vor Ortgebildeten lokalen Pächterausschüssenhatte und auch personell enge Verflechtungenzur KPÖ aufwies: So handelte essich beim Sekretär der burgenländischenLandesorganisation des Bundes derkleinen Landwirte um Ferdinand Panzenböck,Absolvent der Lenin-Schule in Mos -kau, Spanienkämpfer und ehemaligerBezirkssekretär der KPÖ Eisenstadt. 35In gewisser Weise wurden die inhaltlichenSchwerpunkte der Tätigkeit derKPÖ im burgenländischen Landtag programmatischbereits im Vorfeld determiniert.Unter dem Titel „Der Weg zumAufstieg des Burgenlandes“ hatte SpitzenkandidatBöröcz einen „Appell an alleBurgenländer“ lanciert und breit verteilt,in dem, auf vier wesentliche Punkte


Beiträge 5Schulfrage vermehrt in den Fokus, wobeisich Böröcz dezidiert für die Erhaltungund Förderung der kulturellen undsprachlichen Vielfalt des Landes und gegenetwaige „Germanisierungstendenzen“aussprach. 41 Ein zusätzliches Anliegender Kommunisten stellte auch dieschnellere Abwicklung von Anträgen beider burgenländischen Landesverwaltungim Zusammenhang mit den seit 1952 gesetzlichverankerten Entschädigungsleistungenfür die Opfer des Faschismusdar. Böröcz prangerte hier einerseits dieoftm<strong>als</strong> willkürliche Behandlung der Anträgedurch die Behörden, andererseitsauch den Umgang einzelner Landes -beamter mit den Bürgern an. Er selbstwurde im Zuge eigener Recherchen beispielsweise<strong>als</strong> „Zigeunervertreter“ verunglimpft.42 Diese Episode verdeutlichtdie für Böröcz typische Herangehensweisean Probleme, die er nicht allein abstraktvon der Landtagstribüne aus behandeln,sondern vor Ort einsehen und,wenn möglich, lösen wollte. Die in seinenReden immer wieder getätigten Verweiseauf konkrete Fälle aus der Praxiszeugen von seinem nahezu unermüd -lichen Einsatz für die burgenländischeBevölkerung und der ernst genommenen„Volksanwaltschaft“ von Böröcz in seinerFunktion <strong>als</strong> Landtagsabgeordneter.In seinen letzten Wortmeldungen vordem Ablauf seines Landtagsmandatssetzte sich Böröcz dann nochm<strong>als</strong> fürden umgehenden Ausbau der Infrastrukturdes Landes ein. Für Vorhaben wie dieErrichtung einer Ringwasserleitung (vonihm bereits 1954 gefordert 43 ), dem Ausbauder Nord-Süd-Verbindung oder derSchaffung von industriellen Arbeitsplätreduziert,ein tagespolitisches Sofortprogrammpräsentiert wurde, gleichermaßeneine Einladung an die burgenländischeBevölkerung, ein erstes kleines Stückdes Pfads zum Sozialismus gemeinsammit der KPÖ zu beschreiten. Böröcz zieltejedenfalls in synthetischer Zusammenführungvon Nah- und Fernziel auf dieBekämpfung der dringendsten Gegenwartsproblemedes Burgenlandes und einewirtschaftspolitische Konsolidierungab, auf deren Basis schließlich die Etablierungeiner gänzlich neuen <strong>Gesellschaft</strong>sformationangegangen werdenkonnte. Mit anderen Worten präsentierteer die Kommunisten <strong>als</strong> die besserenWirtschafter, mit Schwerpunkt auf derSchaffung neuer Arbeitsplätze und derEindämmung der Abwanderung burgenländischerArbeitskräfte aus dem Land.Hiezu sollten die Industrialisierung aufder Grundlage der landeseigenen Bodenschätzevorangetrieben, die Bodenreformzur Schaffung eines existenzfähigenlandwirtschaftlichen Produktionssektorsabseits des Großgrundbesitzes durch -geführt, die Infrastruktur des Landes ausgebautund verbessert sowie die Entwicklungdes Fremdenverkehrs voran -getrieben werden. 36Der Wiedereinzug in den burgenländischenLandtag kam vor diesem Hintergrundnicht unerwartet. Ebenso wie zuvorMödlagl agierte Vinzenz Böröcz inder Folge <strong>als</strong> überaus arbeitsamer Mandatar:acht Anträge sowie 17 Wortmeldungenmachten ihn noch vor AdalbertLadislaus Görcz von der WdU (zwei Zusatzanträgebei ebenso 17 Redebeiträgen)zum „dienstfertigsten“ Abgeordneten.Die Anträge von Böröcz betrafen dabeineben der Bodenreform (1953 und 1954,siehe unten) die Beseitigung der Besatzungskostensteuer(13. Oktober 1953),den Verzicht auf die Ablieferung des imFinanzausgleichsgesetz 1950 festgeschriebenen„Bundespräzipuums“ – derBeitragleistung der Länder und Gemeindenzur Deckung des Defizits im Bundeshaushalt– durch das Burgenland (13. Oktober1953) bzw. die gänzliche Abschaffungdieses Bundespräzipuums (18. Dezember1953), die finanzielle Entlastungder Gemeinden (18. Dezember 1953), dieErrichtung einer Ringwasserleitung fürdas Burgenland (4. März 1954), die Gewährungvon Darlehen zur Förderung desGenossenschaftswesens im Wohnbau(4. März 1954) sowie die Ablehnung derWiederaufrüstung der BundesrepublikDeutschland (20. Dezember 1954). AlleAnträge von Böröcz wurden von derLandtagsmehrheit abgelehnt. Ebenso wieMödlagl war auch Böröcz in keinemLandtagsausschuss vertreten.Neben der stetigen Propagierung derBodenreform nahm Böröcz zu den unterschiedlichstenThemen Stellung, wobeidie wirtschaftliche, bildungspolitischeund kulturelle Weiterentwicklung desBurgenlandes ebenso wie die Stärkungseiner Position im föderalen GefügeÖsterreichs zu seinen zentralen Anliegengehörten. Mit Nachdruck setzte er sichetwa in der Generaldebatte zum Landesvoranschlag1953 vom 25./26. Juni 1953für einen neuen Bund-Länder-Finanzrahmenund das Auslaufen des Bundespräzipuumsein, das er <strong>als</strong> Beleg für einedurchgängige Benachteiligung des Landesdurch die Bundesregierung ansah. 37Böröcz hat sich in der Folge wie kein andererAbgeordneter mit dem burgenländischenFinanzplan beschäftigt, wobeidie Detailkenntnis der von ihm diskutiertenAusgabenposten auf eine äußerst penibleBeschäftigung mit der Materieschließen lässt (beredtes Zeugnis hievongibt etwa seine umfassende Behandlungdes Landesvoranschlags 1954 am18. Dezember 1953). Ebenso wie Mödlaglsah er in den Budgetberatungen zudemdie Möglichkeit, um „grundsätzlichüber alle wirtschaftlichen und politischenProbleme im Land zu sprechen“. 38Ganz im Sinne des vor der Wahl präsentierten4-Punkte-Programmes plädierteBöröcz jedenfalls für den gezielten Einsatzvon Finanzmitteln zum Aufbau derburgenländischen Wirtschaft; dasbenötigte Kapital sollte aus einer neuausverhandelten Steuerarithmetik mitdem Bund stammen. Das Burgenlandsah er jedenfalls bereits wieder zum„Notstandsgebiet <strong>Nr</strong>. 1“ herabgesunken.39 Um einer drohenden weiteren Verschlechterungder Lage Einhalt zu gebieten,forderte Böröcz die Abschaffung jeglicherArt von finanziellen „Notopfern“für den Bund, die Beteiligung der Länderam ganzen Ertrag des Steueraufkommens(wie etwa der Umsatzsteuer) sowie zuletztdie Übernahme des „Betriebsabganges“der burgenländischen Krankenanstaltendurch den Bund, 40 einem der traditionellbedeutendsten Defizitposten imburgenländischen Landesbudget.Die bei Mödlagl noch im Zentrum stehendeForderung nach einer umfassendenDemokratisierung der Landesverwaltungist bei Böröcz hingegen wenigerstark akzentuiert; die KPÖ hatte sich hieroffenbar mit den politischen Realitätenund der monokratischen Organisationder Bezirkshauptmannschaften abgefunden.Im Gegensatz dazu rückte nun dieVinzenz Böröcz (1915–1994)2/13


6 Beiträgezen im Land – allesamt Teile eines am26. Mai 1955 von der SPÖ eingebrachtenund von der KPÖ mitgetragenen 8-Punkte-Programmeszur wirtschaftlichen Entwicklungdes Burgenlandes 44 – sollteeine Anleihe aus der Sowjetunion aufgenommenwerden, um die notwendigeKapitaldeckung zu erreichen. 45 Böröcz’Anregung wurde nicht aufgegriffen (vonihm zur Bankrotterklärung der burgenländischenRegierungsspitze gegenüberihrem eigenen Land stilisiert 46 ), ebensowenigwie sein abermaliger Versuch, inder Frage der Bodenreform voranzukommen.Diese Forderung nach einer umfassendenBodenreform stellte nicht nur inder grundsätzlichen politischen Programmatikder burgenländischen KPÖeinen entscheidenden Punkt dar, sondernwar zweifelsohne das zentrale Anliegenauf der Landtagsagenda der Partei.Die Forderung der KPÖ nachder Bodenreform im burgenländischenLandtagNach der aus Sicht der KPÖ enttäuschendverlaufenen Landtagswahl 1945(„Leider ist es noch nicht gelungen, dasVolk aufzurütteln“ 47 ) stellte die Parteinun voll auf die Forderung einer sofortigenBodenreform ab, die gleichzeitig <strong>als</strong>inhaltliches Gegengewicht zur „traditionelle(n)Politik des ‚Forstwurstelns‘“ derbeiden Großparteien positioniert wurde.48 Das Parteiorgan der KPÖ, das FreieBurgenland, gestand zwar unumwundendie Wahlniederlage der kommunis -tischen Bewegung ein, richtete aber imgleichen Moment den Blick vorwärtsund bezeichnete die kommenden Jahre<strong>als</strong> „Beginn einer neuen Periode [...], dieuns mit verdoppelter Kraft im Angriff sehenwird“. 49 Mödlagl sei in seiner Funk -tion <strong>als</strong> Vertreter der Kommunisten imLandtag der personifizierte Garant einerpolitischen Anwaltschaft der burgenländischenWerktätigen (denn <strong>als</strong> ein solcherAnwalt verstand sich die burgenländischePartei), kulminierend in der auf dieBodenreform abzielenden Losung, „daßder Boden endlich dem gehören soll, derihn bebaut“. 50 Mit Verweis auf die Wahl-Broschüre Mödlagls vom Oktober 1945 51und den dort vorgestellten Maßnahmen-Katalog zur umgehenden Durchführungder Bodenreform bemerkte die Partei -zeitung in Richtung SPÖ/ÖVP: „DiesesProgramm kann sofort und ohne Ver -zögerung durchgeführt werden!“ 52Programmatik und Genese dieser Forderungnach einer Bodenreform ab einerGröße von 200 Joch (allerdings gegenEntschädigung) zulasten des adeligen2/13Großgrundbesitzes im Burgenland wurdenbereits andernorts en détail dargelegt.53 Von Interesse ist im hiesigen Zusammenhangnun der spezifisch parlamentarischeGang dieser Forderungdurch die Institution Landtag.Auf der Ebene des verbalen Bekenntnissessprachen sich neben neben derKPÖ anfänglich auch die mit absoluterMehrheit regierende ÖVP sowie dieSPÖ für die Bodenreform aus. In derÖVP setzte sich jedoch schon bald nachihrem ursprünglichen, öffentlichkeitswirksamvorgebrachten „Ja“ auf bundes<strong>als</strong>auch auf landespolitischer Ebene mitden Regierungserklärungen Figl 54 bzw.Karall 55 die Auffassung durch, dass derGroßgrundbesitz nicht nur für die generellevolkswirtschaftliche EntwicklungÖsterreichs, sondern auch für die Sicherstellungder Ernährung in der unmittelbarenNachkriegszeit unerlässlich sei.Der für Agrarfragen zuständige ÖVP-Landesrat Johann Bauer beteuerte in der9. Sitzung des burgenländischen Land -tages vom 25. September 1946, gewissermaßen<strong>als</strong> Entgegnung auf den kurzzuvor abgelehnten EntschließungsantragMödlagls zur Durchführung einerBodenreform, dass „das Wort ‚Boden -reform‘ vielleicht gar nicht der richtigeAusdruck ist, den wir gebrauchen sollten“.56 Bauer vertrat demgegenüber dieMeinung, man solle lieber von „Bodengestaltung“oder von „Siedlung“ sprechenund begründete dies mit volkswirtschaftlichenArgumenten. Es wäre ausökonomischen Gründen „nicht gesundund nicht klug […], dies alles einfach inkleine Stücke aufzuteilen, denn wir wissen,wie gut es gerade in der Notzeit gewesenwäre, wenn der Großgrundbesitzim vorigen Jahr funktioniert hätte“. 57Der angesprochene Entschließungs -antrag Mödlagls auf dieser 9. Sitzung desburgenländischen Landtages war die erstevon einer ganzen Reihe an parlamentarischenInitiativen der KPÖ in dieserMaterie und zielte darauf ab, „die Bundesregierungzu ersuchen, im Nationalratehestens ein Grundgesetz über dieDurchführung einer Bodenreform inÖsterreich einzubringen“. 58 Dies sei bereitsaus wirtschaftlichen Überlegungennotwendig, stand für Mödlagl aber zudemin direktem Zusammenhang mit derKriegsgefangenen- und Heimkehrerproblematik:„Tausende und Zehntausendejunger Menschen, die in Kriegsgefangenschaftwaren, sind zurückgekehrt.[...] Die Frage der Beschäftigung unsererHeimkehrer, die Frage der Existenzgründungunserer Heimkehrer in den Dörfern,ist ebenfalls enge verbunden mit derDurchführung der Bodenreform in Österreich,insbesondere im Burgenland.“ 59Entgegen den Beteuerungen der Landespolitikerfand der Antrag jedoch nichtdie, wie der Landtagspräsident vermerkte,„geschäftsordnungsmäßig erforder -liche Unterstützung“, 60 da sich die ÖVPbereits zu diesem Zeitpunkt von einerBodenreform auf dem Weg von Enteignungendistanzierte 61 und die SPÖ wiederumsich nicht zu einem gemeinsamenVorgehen mit der KPÖ entschließenkonnte. Ernst Hoffenreich, Klubobmannder SPÖ-Fraktion im Landtag, bezogsich in seiner Stellungnahme in der Generaldebattedes Landesvoranschlags1946 nach vorhergehender Ablehnungdes Mödlagl-Antrages direkt auf „die Erfahrungen,die man mit der Bodenreformin der Sowjetunion gemacht hat“ 62 unddenen nichts weniger <strong>als</strong> „weltweite Bedeutung“beizumessen seien. 63 Auf dereinen Seite trat Hoffenreich zwar dafürein, „einen Teil des den Kapitalistenweggenommenen Bodens schon bestehendenLandwirten“ zuzuteilen, um andererseitsund eingedenk der Erfahrungenmit den „fortschrittliche(n) Großbetrieben“64 in der Sowjetunion zu präzisieren:„Wenn wir diese Erfahrungen von soweit draußen in der Sowjetunion und dieErfahrungen, die wir hier im eigenenLande gemacht haben, zu einer Synthesevereinigen, so müssen wir uns sagen,wenn wir den magyarischen Eigentümerndiesen Großgrundbesitz wegnehmen,dann wollen wir einen wesentlichen Teildavon nicht zerschlagen, sondern zuSchulen und Lehrbetrieben für unsereBauern, <strong>als</strong>o für die gesamte Landwirtschaftdes Burgenlandes ausgestalten.“ 65Ein Jahr später formulierte Hoffenreichdie Position der SPÖ noch deutlicher.Unter dem Kampfruf „Der Bodenin unserem Land soll uns gehören!“ 66verkündete er, dass „die Zeiten der Großgrundbesitzer“zwar vorüber seien, damitjedoch nicht eine Art „wilder“ Umverteilungihres Bodens verbunden sein dürfe,wie man sie schon ansatzweise im Burgenlanderlebe. Denn: „Wie dann dieserGrund und Boden verwendet wird, darüberkann man reden. Kein vernünftigerVolkswirtschafter wird die Ansicht vertreten,daß der früher nach kaufmännischenGrundsätzen bewirtschaftete Großgrundbesitznunmehr in Hände übergehensoll, die daraus weniger hervorbringenund dadurch der Volkswirtschaft wenigerzur Verfügung gestellt wird <strong>als</strong> früher.“ 67Die Diskussion ist dabei im Kontexteiner äußerst prekären Ernährungs -


Beiträge 7situation zu sehen, 68 deren Lösung vonder SPÖ nur mittels großagrarischerStrukturen für möglich angesehen wurde.Die vereinzelt schon beginnendeUmverteilung des Bodens auf Grundlagevon lokaler Eigeninitiative und/oderdurch die USIA-Verwaltung (oftm<strong>als</strong>unter Vermittlung der KPÖ) 69 wurde damitexpressis verbis <strong>als</strong> Fehler hingestellt.Zwar hatte auch die KPÖ in einerpolitischen Entschließung auf ihrer Landeskonferenzvom 14. Oktober 1945dafür plädiert, „eine Anzahl von Musterwirtschaften“einzurichten, die im Besitzdes Staates bleiben sollten, 70 jedoch keinenZweifel daran gelassen, dass derhauptsächliche Teil des enteignetenGroßgrundbesitzes zur Verteilung gelangenmüsse – und zwar aus eben jenenvolkswirtschaftlichen und effizienztechnischenÜberlegungen, die auch die SPÖanstellte: Nur durch die Aufteilung derenteigneten Flächen sei eine „weitgehendeIntensivierung der Landwirtschaft“möglich, „um auf jedem Quadratmetermöglichst viel hervorzubringen“. 71Im Übrigen verwahrte sich Mödlagl imLandtag dagegen, die Erfahrungen ausder russischen Revolution von 1917„mechanisch auf andere Länder zu übertragen“.Die Kolchoisierungs-Bewegungin der Sowjetunion sei notwendig gewesen,weil „die Mechanisierung der Landwirtschaftauf eine andere Weise nichtdurchführbar war und weil es notwendigwar, Arbeitskräfte für den Aufbau derIndustrie zu gewinnen“. In Österreichwürden gänzlich andere Verhältnisseherrschen, könne man sich doch auf einebereits im 19. Jahrhundert durchgeführteAgrarreform stützen und finde man sichzweitens nicht in der Situation, dass„man alles tun müßte, um Arbeitskräfteaus der Landwirtschaft für die Industriefreizubekommen. Ich glaube, daß die augenblicklichewirtschaftliche Lage [...]unseres Landes vielmehr so gestaltet ist,daß es notwendig wäre, daß mancher,der früher in der Industrie und im Gewerbebeschäftigt war, heute wieder inder Landwirtschaft tätig wäre.“ 72Mit entscheidend für die ablehnendeHaltung der SPÖ dürfte jedenfalls aucheine sich zusehends verschärfende politischeAuseinandersetzung mit der KPÖgewesen sein. Die SPÖ, so Sinowatz, hättein diesen „Kampfjahren“ nämlich „dieHauptlast des politischen Widerstandesgegen die Bemühungen der Kommunisten,Österreich in die Nähe der Volksdemokratiezu führen“, zu tragen gehabt 73und damit nicht nur gegen eine „radikalisierte“und – aufgrund der BeziehungenGründungskonferenz der burgenländischen „Volksopposition“ am 11. Jänner 1953.zur sowjetischen Besatzungsmacht –„materiell hervorragend ausgestattete“KP zu kämpfen gehabt, sondern auf deranderen Seite gegen eine Volkspartei, diekeine Gelegenheit ausließ, die Gefahr derEinheitsfront an die Wand zu malen undsich mit der Identifizierung der SPÖ <strong>als</strong>verkappte Kommunisten wahltaktischeVorteile erarbeiten wollte. 74Verknüpfung desparlamentarischen und außer -parlamentarischen KampfesUm ihrer Forderung nach einer Beschleunigungder Durchführung einerBodenreform nochm<strong>als</strong> Nachdruck zuverleihen, initiierte die burgenländischeKPÖ eine landesweite Unterschriften -aktion, die „sicher <strong>als</strong> die erfolgreichstepolitische Aktivität der Kommunisten imBurgenland gewertet werden kann“, 75wie Hans Chmelar festhält. Ausgehendvon den Gemeinden um die größtenLandgüter der Großgrundbesitzer wurdedie Kampagne ins ganze Land getragen.76 Mehr <strong>als</strong> 20.000 Personen 77 unterstütztenmit ihrer Unterschrift die vonder KPÖ aufgesetzte Erklärung, dass siesich „mit dem Vorschlag der KPOe zurDurchführung einer Bodenreform aufKosten der Esterhazy und anderer ausländischerGroßgrundbesitzer zugunstender Landarbeiter und Kleinbauern“ 78 einverstandenzeigten.Nicht zuletzt vor diesem Hintergrundnahm die Frage der Bodenreform weitereinen zentralen Stellenwart in der Landtagspolitikder KPÖ ein. Die Parteidrängte darauf, den lokal schon stattfindendenEingriff in die Besitzrechte desGroßgrundbesitzes zu institutionalisierenund einer gesetzlichen Regelung zuzuführen.Am 18. April 1947 kulminiertedie politische Diskussion schließlich ineinem gemeinsamen Antrag von ÖVP,SPÖ und KPÖ, der die österreichischeBundesregierung und den Nationalratdazu aufforderte, in Bezug auf dieBodenreform, die „für das Burgenlanddringend notwendig“ 79 sei, „die Vorarbeitenzu beschleunigen und rasch zumAbschluß zu bringen“. 80Mödlagl, für den es sich um eine „Exis -tenzfrage“ 81 handelte, nahm die gemeinsameResolution „mit Befriedigung“ zurKenntnis, erinnerte aber gleichzeitig daran,dass noch vor kurzem der Landtagdem von ihm eingebrachten Antrag zurBodenreform nicht zustimmen wollteund auch die Diskussion in Wien ergebnislosverlaufen war. 82 Die Bodenreformsei aber „keine Frage, die in den nächstenJahren durchgeführt werden kann, sonderneine Frage, die unmittelbar durch -geführt werden muß“. 83 Eine permanenteThematisierung seitens des Landtagesund der Landespolitik sei daher unerlässlich,allein schon in taktischer Hinsicht,um ein abermaliges Aus- und Zurück -weichen des Nationalrates wie in derVergangenheit zu verhindern. 84Die SPÖ trat in der Debatte nun ebensodafür ein, die Bodenreform „so rasch wiemöglich und wenn möglich sofort“ 85durchzuführen, verwies allerdings darauf,dass die grundsätzliche Entscheidung fürdie Durchführung einer Bodenreform inWien läge und schloss in Person HansBögls mit den pathetischen Worten:„Wenn aber die österreichische Republikdie Bodenreform nicht durchführt, wennsich der Nationalrat nicht entscheiden2/13


8 BeiträgeKundgebung des „Bunds der kleinen Landwirte“ für die sofortige Durchführung derBodenreform am 2. Oktober 1955 am Hauptplatz von Eisenstadt.kann, die Bodenreform zum Gesetz zu erheben,dann hat die Republik Oesterreichden Anspruch verwirkt, sich eine gerechte,soziale Republik zu nennen!“ 86Dies fand allerdings keinen Zuspruchbei der ÖVP. 87 Die Volkspartei versäumtedie Gelegenheit nicht, trotz ihrer Zustimmungzum Antrag in der Debatte anihre grundsätzlichen Vorbehalte gegeneine radikale Bodenreform anzuschließenund daran zu erinnern, dass manin der Vergangenheit bereits „den Siedlernmit der Errichtung von kleinen Siedlungenkeine große Freude“ gemacht habe,da diese sich in Folge „sehr schwergetan haben, um sich überhaupt halten zukönnen“. 88 Bei der Aufteilung des Bodenssei daher unbedingt darauf zu achten,„wie es für das Land, das Volk undganz Oesterreich am nützlichsten ist“. 89Das konkrete Wie der Durchführungwurde weder im Antrag behandelt nochin der Diskussion präzisiert. Bögl vertratsogar offen die Auffassung, dass mansich „heute auch nicht darüber auseinandersetzen“wolle, „wie die Bodenreformdurchgeführt wird“. 90 Man werde sicherst „gründlich darüber unterhalten“, 91wenn im Nationalrat die gesetzlichenRahmenbedingungen geschaffen wären.Je nach ideologischem Hintergrundwollte <strong>als</strong>o jede Partei etwas anders unterdem gemeinsam eingebrachten Antragverstehen. Unter diesem Aspekt verdienter die Bezeichnung „gemeinsamer“kaum und ist vielmehr <strong>als</strong> eine vage,wahlkampfstrategisch motivierte Willensbekundungseitens der SPÖ undÖVP aufzufassen. 92 „Die Aufforderungan den Nationalrat“, so Lütgenau, „ge-schah entweder in Unkenntnis derRechtslage oder aus rein aktionistischenGründen“, 93 wobei angesichts der „krasse(n)Inaktivität der BurgenländischenLandesregierung“ 94 in der Verfolgungder Angelegenheit für die zweite Interpretationzu plädieren ist. Sowohl in derSPÖ <strong>als</strong> auch in der ÖVP fehlte der „politischeWille, eine Bodenreform ernsthaftanzugehen und bei den Bundesparteizentralenin Wien einzufordern“. 95Zwar trat Landeshauptmann Karall aufder Grundlage des Landtags-Beschlussesnoch im April 1947 an NationalratspräsidentKunschak und Bundeskanzler Figlheran, um diesen um die Schaffung gesetzlicherVoraussetzungen für eine Bodenreformim Burgenland zu bitten.Nach dem Einlangen der Antworten –Kunschak teilte mit, dass nach derGeschäftsordnung des NationalratesBeschlüsse der Landtage nicht unmittelbarGegenstand einer Verhandlung desNationalrates sein könnten; Figl verwiesauf den in Behandlung stehenden Gesetzesentwurfzur landwirtschaftlichenSiedlungswesen 96 – zog sich die Landes -regierung jedoch wieder auf die Positionder Inaktivität zurück. Die ÖVP hatte ohnehinnicht das geringste Interesse an derUmsetzung der Bodenreform, 97 die SPÖbeließ es bei weiteren verbalen Bekenntnissenund öffentlichen Schuldzuweisungenan die Adresse ihres Regierungspartners,deren Untätigkeit auf Landes- undBundesebene dazu geführt hätte, dass„die Frage der Bodenreform nicht weitergediehen ist <strong>als</strong> bis zu verschleppendenDiskussionen im Bodenreformausschußdes österreichischen Parlaments“. 98Als Mödlagl, des Zuwartens über -drüssig, am 13. April 1948 einen neuer -lichen Antrag zur „Durchführung derBoden reform im Burgenland“ 99 im burgenländischenLandtag einbrachte, erhobsich laut Parlamentsprotokoll bei der Abstimmungkein einziger Abgeordneter derRegierungsparteien zur notwendigen Unterstützung,was Mödlagl zum empörtenAusruf veranlasste: „Das ganze Geradeüber die Bodenreform im Landtag ist <strong>als</strong>odoch nur eine Augenauswischerei!“ 100Hatte sich die ÖVP bereits zuvor aberschon inhaltlich von der Bodenreformdistanziert, so kam ein gemeinsamesVorgehen mit der ganz offen <strong>als</strong> „Zwergpartei“punzierten KPÖ, „die nicht dasVertrauen der Bevölkerung hat, von derBevölkerung nichts wissen will, und diesich auf die Bajonette der Besatzungsmachtstützt“, 101 für die SPÖ offensichtlichnicht in Frage. Die 36. Sitzung desburgenländischen Landtages vom17./18. Dezember 1948 nahm Mödlagldaher zum Anlass für eine Abrechnungmit der Landwirtschaftspolitik von ÖVPund SPÖ: Bei der Bodenreform habe sichabseits von jährlich wiederkehrendenDiskussionen „nicht das Geringste getan“.102 Die Frage dürfe aber „nicht Propagandamittelvon einer Wahl zur anderensein, die Bodenreform ist etwas, wasdurchgeführt werden muß, um unsereburgenländischen Kleinbauern in allerersterLinie lebensfähig zu erhalten“. 103Nach dem Verlust des Landtagsmandatsder KPÖ spielte die Bodenreformim burgenländischen Landhaus eine nurnoch untergeordnete Rolle, obzwar sieaberm<strong>als</strong> in der Regierungserklärung desKabinetts Karall II <strong>als</strong> „Angelegenheitaller Parteien“ firmierte. 104 Dessen ungeachtetsetzten die Kommunisten abseitsder Debatten im Landesparlament ihrenagrarpolitischen Kurs fort. Die Durchführungeines „roten Landmonats“ 1952,der nicht nur die Mobilisierungsfähigkeitder Partei am Land erhöhen, sonderndurch öffentlichen Druck auch die offizielleLandespolitik zum Handeln zwingenwollte, blieb auf Regierungsebenejedoch ohne nachhaltige Wirkung.Neuerliche Initiativen der KPÖin den 1950er JahrenSofort nach Antritt seines Mandatsdrängte Vinzenz Böröcz aberm<strong>als</strong> aufdie sofortige Durchführung der Boden -reform und griff gleichzeitig ÖVP undSPÖ wegen deren Untätigkeit frontal an:Offen sprach er von einem „Betrug“ ander burgenländischen Landbevölkerung„zugusten der Großgrundbesitzer und2/13


10 Beiträge17/ Widder: Etappen zum Stolz, S. 17. – DieVorbehalte gehen auf Lesers Zusammenarbeitmit der Gestapo während der Jahre 1938 bis1945 zurück, die im Land bzw. in Teilen seinereigenen Partei bekannt gewesen sein dürfte; vgl.Feymann, Walter: Das Deutschnationale im politischenDenken Ludwig Lesers, in: Gürtler, Wolfgang/Winker,Gerhard J. (Hg.): Forscher – Gestalter– Vermittler. Festschrift Gerald Schlag.(= Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland,Bd. 105). Eisenstadt 2001, S. 87–106.18/ Vgl. im Folgenden Böröcz: Kampf um Bodenund Freiheit; Chmelar: Partei ohne Chance;Kriegler: Politisches Handbuch und Teuschler,Christine/Streibel, Andreas: Die Parteien imBurgenland seit 1945, in: Widder: Burgenland,S. 429–502, hier insbes. S. 481–487.19/ Böröcz: Kampf um Boden und Freiheit, S. 143.20/ Auf Auftrag Stalins stellte Dimitroff dieseListe verdienter Genossen zusammen, die fürdie sofortige Rückkehr nach Österreich vorgesehenwaren, um dort noch vor Beginn derstaatlichen Rekonsolidierung die politischeArbeit der Partei zu organisieren und Schlüsselpositionenzu besetzen. Rosak war Dimitroff <strong>als</strong>führendes Mitglied des im November 1944 gegründetenAntifaschistischen Büros österreichischerKriegsgefangener bekannt; vgl. Burgenland.Geschichte, Kultur und Wirtschaft in Biografien.20. Jahrhundert, hg. von Otto Maier.Eisenstadt 1991, S. 264 sowie Mueller, Wolfgang:Die sowjetische Besatzung in Österreich1945–1955 und ihre politische Mission. Wien,Köln, Weimar 2005, S. 72, Anm. 8.21/ Böröcz: Kampf um Boden und Freiheit,S. 147.22/ Ebd., S. 149.23/ Stenographische Protokolle über die Sitzungendes burgenländischen Landtages: V. Wahlperiodevom 25. November 1945 bis 8. Oktober1949 (1. bis 43. Sitzung). Eisenstadt 1949 [ProtokolleV.], S. 58.24/ Ebd., S. 82.25/ Ebd., S. 58.26/ Ebd.27/ Ebd., S. 61.28/ Ebd.29/ Ebd., S. 140.30/ Ebd.31/ Ebd., S. 374.32/ Ebd.33/ Böröcz: Kampf um Boden und Freiheit,S. 170ff.34/ Ebd., S. 181.35/ Ebd., S. 182 sowie DÖW, Spanienarchiv,Personendossier.36/ Ebd., S. 217.37/ Stenographische Protokolle über die Sitzungendes Burgenländischen Landtages:VII. Wahlperiode vom 19. März 1953 bis 9. März1956 (1. bis 42. Sitzung). Eisenstadt 1956 [ProtokolleVII.], S. 28.38/ Ebd., S. 243.2/1339/ Ebd., S. 110.40/ Ebd., S. 113.41/ Ebd., S. 44.42/ Ebd., S. 152.43/ Ebd., S. 183.44/ Ebd., S. 335.45/ Ebd., S. 417.46/ Ebd.47/ Freies Burgenland. KommunistischesWochenblatt, <strong>Nr</strong>. 4, 30.11.1945, S. 4.48/ Ebd.49/ Ebd., S. 2.50/ Ebd., S. 4.51/ Mödlagl, Otto: Die Kommunisten fordern:Bodenreform im Burgenland, hg. von der KommunistischenPartei Österreichs, LandesleitungBurgenland. Eisenstadt o.J. [1945]52/ Freies Burgenland, <strong>Nr</strong>. 4, 30.11.1945, S. 4.53/ Vgl. Krenn, Martin: „Es ist nicht länger zu ertragen!“Zur Agrarpolitik der KPÖ im Burgenland.In: Mugrauer, Manfred (Hg.): 90 JahreKPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunis -tischen Partei Österreichs. (= <strong>Alfred</strong> <strong>Klahr</strong><strong>Gesellschaft</strong>, Quellen & Studien, Sonderbd. 12).Wien 2009, S. 221–260.54/ Vgl. Figl, Leopold: Österreich geht an dieArbeit. Regierungserklärung des Bundeskanzlersam 21. Dezember 1945. Wien 1945.55/ Vgl. Protokolle V., S. 6.56/ Ebd., S. 104.57/ Ebd.58/ Ebd., S. 41.59/ Ebd., S. 60.60/ Ebd., S. 43.61/ Ebd., S. 104.62/ Ebd., S. 56.63/ Ebd.64/ Ebd.65/ Ebd., S. 57.66/ Ebd., S. 139.67/ Ebd.68/ Vgl. Szorger, Dieter: Die Ernährungslage imBurgenland 1945-1952, in: befreien – besetzen– bestehen. Das Burgenland von 1945–1955.Tagungsband des Symposions des Burgen -ländischen Landesarchivs vom 7./8. April 2005.(= Burgenländische Forschungen, Bd. 90).Eisenstadt 2005, S. 221–240.69/ Böröcz: Kampf um Boden und Freiheit,S. 170ff.70/ Entschließung auf der Landeskonferenz derKPOe (Burgenland) am 14. Oktober 1945, in:Mödlagl: Bodenreform, S. 13–15, hier S. 14.71/ Protokolle V., S. 60.72/ Ebd.73/ Sinowatz, Fred: Aufbruch an der Grenze.Die Wiedererstehung des Burgenlandes undder Aufstieg der Sozialdemokratie zurFührungspartei, in: Aufbruch an der Grenze. DieArbeiterbewegung von ihren Anfängen imwestungarischen Raum bis zum 100-Jahre-Jubiläum der Sozialistischen Partei Österreichs.Eisenstadt 1989, S. 95–190, hier S. 138.74/ Ebd., S. 138f.75/ Chmelar: Partei ohne Chance, S. 66.76/ Freies Burgenland, <strong>Nr</strong>. 5, 7.12.1945, S. 1.77/ Freies Burgenland, <strong>Nr</strong>. 13, 5.4.1946, S. 1.78/ Freies Burgenland, <strong>Nr</strong>. 5, 7.12.1945, S. 1.79/ Protokolle V., S. 176.80/ Ebd., S. 176f.81/ Ebd., S. 178.82/ Ebd.83/ Ebd., S. 179.84/ Ebd.85/ Protokolle V., S. 178.86/ Ebd.87/ Das Protokoll vermerkt nach der Rede Böglsnur „lebhaften Beifall bei den Sozialisten“ (ebd.).88/ Ebd., S. 180.89/ Ebd.90/ Ebd., S. 178.91/ Ebd.92/ Vgl. Lütgenau, Stefan August: Der Kampfum die Besitzungen in Österreich nach 1945, in:ders. (Hg.): Paul Esterhazy 1901–1989. EinLeben im Zeitalter der Extreme. Innsbruck,Wien, Bozen 2005, S. 133–190, hier S. 165.93/ Ebd., S. 155.94/ Ebd., S. 156.95/ Ebd., S. 165.96/ Ebd., S. 155 sowie den diesbezüglichen Originalaktim burgenländischen Landesarchiv(Burgenländisches Landesarchiv, Regierungsarchiv,LAD/I–608–1947).97/ Vgl. Lütgenau: Der Kampf um die Besitzungen,S. 157.98/ Jahresbericht. Vorgelegt dem Landesparteitagder Sozialistischen Partei des Burgenlandesam 20. und 21. März 1948 in Mattersburg, hg.von der Landesorganisation Burgenland. o.O.[Eisenstadt] o.J. [1948], S. 4.99/ Protokolle V., S. 265.100/ Ebd.101/ Ebd., S. 314.102/ Ebd., S. 298.103/ Ebd.104/ Stenographische Protokolle über die Sitzungendes Burgenländischen Landtages:VI. Wahlperiode vom 9. Oktober 1949 bis21. Februar 1953 (1. bis 39. Sitzung). Eisenstadt1953, S. 7.105/ Protokolle VII., S. 8.106/ Ebd., S. 65 sowie Böröcz: Kampf umBoden und Freiheit, S. 186f.107/ Protokolle VII., S. 66.108/ Ebd., S. 243.109/ Ebd., S. 290.110/ Ebd., S. 335.111/ Ebd.112/ Zit. nach Burgenländische Freiheit. Landesorgander Sozialistischen Partei des Burgenlandes,<strong>Nr</strong>. 49, 4.12.1955, S. 3.113/ Protokolle VII., S. 372.114/ Vgl. entsprechende Aussagen durchBöröcz auf der letzten Sitzung des Landtagsvom 9. März 1956 (Protokolle VII., S. 505).


Beiträge 11Genosse WildgansDer Komponist Friedrich Wildgans und die Kommunistische Partei ÖsterreichsManfred MugrauerNach der Befreiung Österreichsvom Faschismus ging von derKommunistischen Partei Österreichseine große Anziehungskraft aufviele Intellektuelle aus, auch auf solche,die bisher mit der organisierten ArbeiterInnenbewegungkaum verbunden waren.Einer von ihnen war der österreichischeKomponist Friedrich Wildgans, derim April 1945 zur KPÖ fand und ihr biszu seinem Ausschluss bzw. Austritt imJuli 1950 angehörte. In diesem Zeitraumbekleidete er im österreichischen Musik -leben wichtige Ämter, die nicht zuletzt inengem Zusammenhang mit seiner politischenOrientierung standen.Friedrich Wildgans wurde am 5. Juni1913 in Wien geboren, 1 womit sich seinGeburtstag dieses Jahr zum 100. Maljährt. Schon in jungen Jahren nahm erUnterricht in Musiktheorie und Kompositionbei Joseph Marx, der nach 1945 inÖsterreich <strong>als</strong> bedeutendster lebenderzeitgenössischer Komponist gehandeltwurde und der mit seinem Vater, demDichter und Burgtheaterdirektor AntonWildgans, befreundet war. Daneben erlernteer mehrere Instrumente und tratseit 1930 <strong>als</strong> Klarinettist auf. Im Juni1934 übersiedelte er nach Salzburg, woer ein Jahr lang am Mozarteum <strong>als</strong> Professorfür Klarinette, Kammermusik undMusiktheorie lehrte. Ab September 1936war er <strong>als</strong> Klarinettist im Bühnenorches -ter der Wiener Staatstheater und Korrepetitoram Burgtheater beschäftigt. Seit1932 war Wildgans mit dem Komponis -ten Marcel Rubin bekannt, mit dem gemeinsamer 1936/37 die Konzertreihe„Musik der Gegenwart“ leitete und derspäter u.a. <strong>als</strong> Musikkritiker der (Österreichischen)Volksstimme und Musikfunktionärmaßgeblich die Kultur- undMusikpolitik der KPÖ prägte. Im August1933 wurde Wildgans Mitglied derVaterländischen Front – zwangsweise,wie er in einem Verhör gegenüber derGestapo angab, 2 was zumindest vor demHintergrund seiner späteren Anstellungam Mozarteum und bei den Staats -theatern zutreffend ist. Von 1931 bis1934 gehörte er – eigenen Angabengegen über der KPÖ zufolge – der SozialdemokratischenPartei an. 3Am 25. Oktober 1940 wurde Wildgans<strong>als</strong> Mitglied der „Österreichischen Freiheitsbewegung“von der Gestapo festgenommen.Wildgans war im Frühjahr diesesJahres vom Burgschauspieler undGestapo-Spitzel Otto Hartmann für diesekatholisch-konservative Widerstandsgruppegeworben und mit deren Gründer,dem Augustiner Chorherrn RomanScholz, zusammengeführt worden. Vonder Gestapo wurde der mit einer Jüdinverheiratete Wildgans vor seiner Verhaftung<strong>als</strong> „Judenfreund“ und in einer späterenpolitischen Beurteilung durch dieNSDAP <strong>als</strong> „sehr religiös“ charakterisiert.4 Nach Abschluss der Ermittlungenam 17. Dezember 1940 wurde er dem Ermittlungsrichterdes Volksgerichtshofesbeim Landgericht Wien I wegen Verbrechensdes Hochverrats zur Anzeige gebracht.5 Aufgrund beharrlicher Interventionenkonnte seine Mutter Lilly Wildgansseine Entlassung aus der Untersuchungshaftam 24. Februar 1942 erwirken.Am 7. Dezember 1943 fand schließlichdie Verhandlung vor dem 2. Senatdes Volksgerichtshofes statt, der ihn <strong>als</strong>Mittäter zu 15 Monaten Haft verurteilte,die ihm <strong>als</strong> verbüßt angerechnet wurden.Das Urteil gibt auch Auskunft darüber,dass Wildgans über Kontakte zum kommunistischenWiderstand verfügte, soller doch Scholz den Zahnarzt Dr. WalterSuess, der im 2. Bezirk im Rahmen einerkommunistischen Widerstandsgruppeaktiv war und Anfang 1943 hingerichtetwurde, <strong>als</strong> „Vertreter der linksradikalenKreise“ empfohlen haben. 6KommunistischerMusikfunktionärIn der unmittelbaren Nachkriegszeitwar Wildgans eine der prägenden Figurendes österreichischen Musiklebens,was nicht zuletzt durch den innen- undkulturpolitischen Einfluss der KPÖ begünstigtwurde, gehörte diese doch <strong>als</strong>gleichberechtigte Partnerin von SPÖ undÖVP der ersten Nachkriegsregierungan. 7 Mit Ernst Fischer <strong>als</strong> Staatssekretärfür Volksaufklärung, Unterricht und Erziehungund Kultusangelegenheiten undViktor Matejka <strong>als</strong> Stadtrat für Kulturund Volksbildung standen sowohl aufstaat licher <strong>als</strong> auch auf Wiener EbeneKommunisten an der Spitze des kulturellenWiederaufbaus. Gemäß der ErinnerungFischers bekundete Wildgans nacheinem Besuch im Ministerium seinenBeitrittswillen zur KPÖ: „Betrachten Siemich <strong>als</strong> einen der Ihren!“, soll er ihmzum Abschied versichert haben. 8 SeinMitgliedsbuch nennt den 28. April 1945,<strong>als</strong>o einen sehr frühen Zeitpunkt, <strong>als</strong> Beitrittsdatum.9 Wie viele andere Intellek -tuelle auch, die der Partei bisher nichtnahegestanden waren, verband Wildgansmit der KPÖ die Hoffnung, nach denJahren der Diktatur und des Faschismuseine grundlegende Erneuerung und fortschrittlicheEntwicklung Österreichs einleitenzu können.Wildgans war aber in den Tagen derBefreiung Wiens bereits vor seinem Beitrittzur KPÖ aktiv geworden, und zwarim Kontext der WiderstandsbewegungO5, die im Palais Auersperg bzw. imNiederösterreichischen Landhaus in derHerrengasse <strong>als</strong> präsumtive Regierungbzw. Verwaltungsspitze agierte, bei densich neu formierenden Parteien aber aufMisstrauen stieß, bei der KPÖ nicht zuletztaufgrund ihrer Verbindung zu westlichenNachrichtendiensten und der konservativ-monarchistischenAusrichtungihrer führenden Mitglieder. Auf seineAktivitäten in der O5 anspielend, bezeichnetsich Wildgans in einem im September1945 an den österreichischenKomponisten Egon Wellesz gerichtetenSchreiben <strong>als</strong> „erster österreichischerKulturreferent der provisorischen Regierungsbehördenach dem Zusammenbrucheder Hitlerei“ 10 bzw. in einem weiterenBrief <strong>als</strong> Kulturreferent der „aller-ersten provisorischen ,O5‘-Regierung“.Im Rahmen dieser von ihm <strong>als</strong> „Niete“ 11und „Abenteuer“ eingeschätzten O5-Episodesei Wildgans allerdings der „einzigelinksgerichtete Mann in führender Stellung“gewesen, der „allein nicht die Sacheretten konnte“. 12 In diese Tage fälltauch Wildgans’ Initiative zur Wieder -errichtung der österreichischen Sektionder 1922 gegründeten Internationalen<strong>Gesellschaft</strong> für Neue Musik (IGNM), dieer fortan <strong>als</strong> geschäftsführender Vizepräsidentde facto leitete. 13 So fand am20. April 1945 im Büro von Wildgans inder Herrengasse unter seinem Vorsitz dieGründungsversammlung der IGNM statt.Seine an diesem Tag an den Komponis -ten Hans Erich Apostel ausgestellte Vollmachtzum Wiederaufbau der IGNM trugdie Anschrift „Zentralkomitee O5“. 14Wildgans übernahm in weiterer Folgeeine leitende Funktion an der Wiener2/13


12 BeiträgeGestapo-Fotos von Friedrich Wildgans, 1940Musikakademie, war Musikreferent derStadt Wien und arbeitete <strong>als</strong> Musikkritikerder Österreichischen Zeitung. DieseFunktionen, die Wildgans im Jahr 1945und danach in der Wiener Musikszeneausübte, wurden ihm nicht direkt von derKPÖ übertragen, seine Mitgliedschaft inder KPÖ verbreiterte aber die Spielräume,sich solche Positionen in seinen Wirkungszusammenhängenzu erarbeiten.Analog zur Zurückdrängung des innenpolitischenEinflusses der KPÖ wurdeauch Wildgans in verschiedenen Bereichenaus der aktiven Gestaltung desMusiklebens ausgegrenzt: Agierte er abJuni 1945 zunächst <strong>als</strong> künstlerischerLeiter der Staatsakademie für Musik unddarstellende Kunst, 15 musste er zu Beginndes Studienjahres 1946/47 HansSittner, „einem Juristen aus dem Ministerium“,Platz machen. 16 Erst 1955 erlangteer hier wieder eine feste Anstellung.Auch <strong>als</strong> Musikreferent der Stadt Wienwurde Wildgans im Jahr 1950 gekündigt,nachdem nach den Wiener Gemeinderatswahlenam 9. Oktober 1949 seinPartei freund Viktor Matejka <strong>als</strong> Kulturstadtrataus dem Stadtsenat ausscheidenmusste. Matejka hatte Wildgans im September1946 <strong>als</strong> Nachfolger von RobertFanta zum Musikkonsulenten mit demspeziellen Aufgabengebiet „ModerneMusik“ bestellt. 17 Als Hans Mandl (SPÖ)die Verwaltungsgruppe für Kultur undVolksbildung übernahm, wurde Wildganskurzerhand entlassen und das Musik -referat aufgelöst: „Kunst, Literatur, Musikwird wieder in die Akten einer Verwaltungsgruppegezwängt. Dazu genügtder Amtsschimmel. Der Fachmann istüberflüssig. Auch einen Musikreferentenbraucht die Stadt Wien nicht. Mag er auchProfessor Friedrich Wildgans heißen undeinen internationalen Ruf <strong>als</strong> Komponistund Ins trumentalist, <strong>als</strong> Lehrer und Theoretikergenießen“, 18 kommentierte diekommunis tische Abendzeitung DerAbend die Entlassung von Wildgans.Weitere öffentliche Aktivitäten vonWildgans waren darauf ausgerichtet,nach den Jahren des Hitlerfaschismuswieder Anschluss an die internationalemusikalische Moderne zu finden. Von1947 bis 1951 betreute Wildgans gemeinsammit Herbert Häfner die allwöchentlichgesendete „Moderne Stunde“im Programm des Wiener Sendersder RAVAG, wobei er für jede Sendungeine Einführung sprach. 19 Im Rahmendieser Sendung wurde auf Initiative vonWildgans u.a. Hanns Eislers Kantate„Die Mutter“ im Mai 1949 erstm<strong>als</strong> inÖsterreich aufgeführt. 20 Am 11. Mai1949 wurde Wildgans <strong>als</strong> Nachfolger desseit 1946 amtierenden Hans Erich Apos -tel zum Präsidenten der österreichischenSektion der IGNM gewählt, nachdem erbei der Generalversammlung am 15. Oktober1948 kurzzeitig ganz aus dem Vorstandgedrängt worden war. 21 Bei einerPressekonferenz im Herbst 1949 gestandWildgans ein, dass die IGNM „durch einegewisse selbstgenügsame Abkapslungvom großen Publikum“ in der VergangenheitFehler gemacht habe. 22 1961 legteer schließlich sein Präsidentenamt nieder,sich gegen „die dort herrschendeDiktatur einer Sekte“ auflehnend, wieRubin in einem Nachruf Jahre später diesenSchritt von Wildgans interpretierte. 23Wildgans war zwar ein entschiedenerVerfechter zeitgenössischer Musik, dessenKompositionsweise auch vomZwölftonprinzip bestimmt war, verließaber nie ganz den Boden der Tonalitätund galt nicht <strong>als</strong> radikaler „Neu töner“. 241955 wandte er sich auch von den DarmstädterFerienkursen ab, bei denen er inden Vorjahren gelehrt hatte, die nun aberin seinen Augen zu sehr von der seriellenRichtung geprägt wurden.Aktivitäten für die KPÖNeben seinen öffentlichen Ämtern undFunktionen in der Musikakademie, beider Stadt Wien und in der IGNM warWildgans in den Jahren seiner KPÖ-Mitgliedschaftin vielfältiger Weise auch indie kulturellen und kulturpolitischenAktivitäten der Partei eingebunden,sowohl <strong>als</strong> Komponist und ausübenderMusiker, <strong>als</strong> auch <strong>als</strong> Musikjournalistund Musikorganisator.Die politisch-ideologische Neuorientierungvon Wildgans spiegelte sich indieser kompositorisch insgesamt wenigproduktiven Phase auch in seinem Schaffenwider: Bei einem Konzert des überwiegendvon kommunistischen Beamtengeleiteten Kulturreferats der WienerPolizeidirektion im Wiener Konzerthaussollten am 9. September 1945 neben der5. Symphonie Beethovens auch die vonWildgans eingerichteten „Freiheitsliederder Völker“ uraufgeführt werden. DerKomponist war aber nicht in der Lage,neben dem bereits vollendeten „Titolied“weitere Lieder rechtzeitig fertigzu -stellen. 25 Eine vom Leiter der UniversalEdition (UE) <strong>Alfred</strong> Schlee kurzfristigangeregte Verschiebung dieses Konzertsder Wiener Philharmoniker unter JosefKrips ließ sich nicht realisieren. 26Zunächst <strong>als</strong> „symphonische Musik“ angekündigt,27 erschienen diese von Schlee<strong>als</strong> „künstlerisches Ereignis ersten Ranges“avisierten „Freiheitslieder derVölker“ schließlich im Jahr 1946 bei derUE <strong>als</strong> „Lieder der Freiheit“ in fünf Folgenmit jeweils vier Liedern, für dieWildgans den Klaviersatz erstellt hatte.Eine initiative Rolle spielte dabei die <strong>als</strong>Tänzerin und Choreographin bekanntekommunistische Künstlerin Hanna Berger,die in Abstimmung mit dem Referatfür Agitation und Propaganda der KPÖWien die Herausgabe dieser Lieder derinternationalen ArbeiterInnenbewegungbei der UE in die Wege leitete. 28 Seinekünstlerische Entwicklung befinde sichnun „in selten konsequenter Übereinstimmungmit seinen politisch-welt -anschaulichen Bestrebungen, für dieauch die Erneuerung der Kunst nur Ausdruckeiner das ganze Leben des Einzelnenund der Gemeinschaft erfassendenNeugestaltung bedeutet“, würdigte DesiderHajas, der Musikkritiker der ÖsterreichischenZeitung, in einem Portraitdes Komponisten die „Einheit vonMensch und Künstler“. 29Als die KPÖ zum ersten Jahrestag derBefreiung Österreichs am 14. April 1946im Wiener Musikverein ein Festkonzertmit den Wiener Philharmonikern unterKrips veranstaltete, erklang nebenBeethovens 9. Symphonie auch eine vonWildgans eingerichtete Orgelfassung desTrauermarsches der russischen Revolu -2/13


Beiträge 13tion „Unsterbliche Opfer“ mit ihm selbstan der Orgel. 30 Beim Eröffnungskonzertdes 14. Parteitages der KPÖ im WienerMusikverein am 29. Oktober 1948 wurdeneben für diesen Anlass geschaffenenWerken von Marcel Rubin und HannsEisler auch das von Wildgans komponierte„Lied von der Reaktion“ (nachWorten von Oskar Babinek) aufgeführt.Heinz Hollitscher dirigierte den „WienerArbeiterchor“ der KPÖ. 31 Bei der Eröffnungsvorstellungdes von der KPÖ initiiertenNeuen Theaters in der Scala am16. September 1948, in deren RahmenNestroys „Höllenangst“ dargeboten wurde,oblag Wildgans die musikalische Leitung.Als Interpret war Wildgans auchbei der Goethe-Feier der KPÖ anlässlichdes 200. Geburtstags des Dichters imMusikverein am 24. Juni 1949 beteiligt,wo er seine zweite Frau Ilona Steingruber,die er am 30. Dezember 1946 geheiratethatte und die sich <strong>als</strong> Interpretin zeitgenössischerMusik einen Namen machte,am Klavier begleitete. Die Sopranistinsang Goethe-Lieder von Hugo Wolf,Hanns Eisler und Franz Schubert. 32 FürErnst Fischers im April 1950 in der Scalauraufgeführtes Schauspiel „Der großeVerrat“ komponierte Wildgans (nebenToni Stubhan) die Bühnenmusik. 33Im Jahr der Befreiung begann Wildgansauch für die von der sowjetischenBesatzungsmacht herausgegebene ÖsterreichischeZeitung <strong>als</strong> Musikkritiker undMusikjournalist zu arbeiten. „Ich möchtehier nocheinmal betonen, wie sehr esmich freuen würde, mehr, – vielleichtsogar ständig – für das Blatt der RotenArmee, zu der ich aufrichtige und dankbareSympathie empfinde, zu arbeiten,wenn Ihnen das recht ist“, schrieb Wildgansan Hugo Huppert, den damaligenKultur redakteur der Zeitung, nachdem erihm einen ersten Beitrag über AntonWebern übermittelt hatte. 34 Bei den WienerLandtagswahlen am 25. November1945 war Wildgans auch auf der KandidatInnenlisteder KPÖ zu finden.Journalis tisch war Wildgans von Oktober1945 bis Juli 1948 nicht nur für dieÖsterreichische Zeitung tätig, sondern erverfasste in den Jahren 1946 bis 1948auch Musikkritiken für die seit April1946 von der KPÖ herausgegebeneIntellektuellenzeitschrift ÖsterreichischesTagebuch, deren RedaktionskollektivWildgans formal bis ins Jahr 1949angehörte. 35 Von der großen Bedeutung,die Wildgans insgesamt in der Kulturpolitikder KPÖ zukam, zeugt die Tatsache,dass eine vom Kulturreferat der Parteieinberufene erste Zusammenkunft jenerGenossInnen, „die im geistigen LebenÖsterreichs stehen, um über theoretischeund aktuelle Probleme zu sprechen“, am18. September 1946 in seiner Wohnungin der Waaggasse 6 im 4. Wiener Gemeindebezirkstattfand. 36 Insgesamt wurdeWildgans bis zur Rückkehr MarcelRubins aus dem mexikanischen Exil imFebruar 1947 <strong>als</strong> bedeutendste kommunistischePersönlichkeit in der österreichischenMusiklandschaft betrachtet.Im Umfeld der KPÖ sind auch dieAktivitäten von Wildgans in Freundschaftsgesellschaftenmit volksdemokratischenbzw. sozialistischen Ländern zuver orten: So wurde er am ersten Kongressder <strong>Gesellschaft</strong> zur Pflege der kulturellenund wirtschaftlichen Beziehungenzur Sowjetunion (der späteren Österreichisch-Sowjetischen<strong>Gesellschaft</strong>)Ende September 1946 zum Mitglied desVorstands ihrer Musiksektion gewählt,deren Hauptaufgabe in der Verbreitungrussischer und sowjetischer Musik inÖsterreich gesehen wurde. 37 LangjährigerPräsident der ÖSG-Musiksektionwar Joseph Marx. In diesen Jahrengehörte Wildgans auch dem Vorstandder 1946 gegründeten Österreichisch-Polnischen <strong>Gesellschaft</strong> an. 38Restauration desWiener MusiklebensInsgesamt war Wildgans im Jahr derBefreiung und in den Folgejahren einerder wichtigsten Exponenten des Versuchseiner fortschrittlichen Neugestaltungder österreichischen Musikszene,was zwangsläufig eine Konfrontationmit den konservativen und reaktionärenKreisen zur Folge hatte, nicht zuletzt vordem Hintergrund der beginnenden Re -etablierung der ehemaligen Nazis auchim Bereich der Musik.Bereits im Herbst 1945 berichteteWildgans an Egon Wellesz, dass die„konservative und reaktionäre Strömung“in der Musik <strong>als</strong> „höchst peinlichretardierendes Moment durch Intrigenund bürokratische Verschleppung“ wirke.39 Im Sommer 1946 wusste Wildgansin einem Exposé an Stadtrat Matejka einzuschätzen,dass die überwiegende Mehrheitder Vorstandsmitglieder der <strong>Gesellschaft</strong>der Musikfreunde und der WienerKonzerthausgesellschaft, der beidenführenden Musikgesellschaften Wiens,„rechtsgerichteten und kapitalistischenKreisen“ angehöre, „die offensichtlichdarauf abzielen, das gesamte WienerKulturleben unter ihre Aufsicht und inihre Hände zu bekommen“ und einen„gesunden Wiederaufbau eines neuenFriedrich Wildgans im Jahr 1931österreichischen Staates“ verhindern undsabotieren würden. Die Atmosphäre, dieim Vorstand der <strong>Gesellschaft</strong> der Musikfreundegeschaffen wurde, sei „rein reaktionärund kapitalistisch“. 40 Auch demKomponisten Ernst Krenek, der ebensowie Wellesz nicht aus dem Exil zurückkehrte,berichtete er ein Jahr später, dasssich die beiden Konzertgesellschaften „inden Händen von den alten großkapitalis -tischen und reaktionären Kreisen“ befändenund diese „nur vom Standpunkt derKonjunktur, Korruption und gesellschaftlichenVerpflichtungen aus“ neue Musikbrächten. 41 In ähnlichen Worten kritisierteauch Hugo Huppert die „erzkonservative“<strong>Gesellschaft</strong> der Musikfreunde und „ihrezeitfremde (und geschäftstüchtige) ,patrizische‘Exklusivität“. 42 Wildgans empfahlMatejka vor diesem Hintergrund die Auflösungder aus seiner Sicht unzeitgemäßenprivaten Konzertgesellschaftenund die Verwaltung von Musikverein undKonzerthaus durch Kuratorien, die sichaus Fachleuten und Parteienvertreternzusammensetzen sollten. 43Als besonders kritikwürdig erachteteWildgans den Einfluss der DirigentenHerbert Karajan und Karl Böhm, dietrotz ihrer durch die Nähe zum NS-Regimebedingten Kompromittierungzunächst wieder hinter den Kulissen dieFäden zogen, bzw. insgesamt die letztlich„immer stärker werdende Monopolisierungdes österreichischen Kunstlebensdurch Männer, die in der Nazizeitführend waren“. 44 Tatsächlich setztenWilhelm Furtwängler, Clemens Krauss,Hans Knappertsbusch, Karajan undBöhm ihre Karrieren in Österreich fortund zogen spätestens 1947 „wieder mitPauken und Trompeten in das WienerKonzertleben“ ein, wie Wildgans im2/13


14 BeiträgeTagebuch anprangerte. 45 Die unbelas -teten Dirigenten des demokratischenWiederaufbaus im Jahr 1945 wie JosefKrips und Robert Fanta wurden in denHintergrund gedrängt. Angesichts dieservon Wildgans konstatierten „Monopolstellung“der ehemaligen Nazis „imWiener Musikbetrieb, der dadurch wederan Lebendigkeit noch an Fortschrittlichkeitund Niveau“ gewinne, 46 soll er ineiner Unterredung mit dem DirigentenOtto Klemperer im Frühjahr 1948 sogardie Hoffnung auf eine Teilung Österreichsgeäußert haben, denn dann werde„Salzburg das hochnazistische Musik -zentrum der anglo-amerikanischen Westzone“,während man im Wiener Musikzentrumder sowjetischen Zone die Gelegenheithabe, die immer noch sabotiertenDirigenten wie Klemperer und HermannScherchen zu engagieren. 47„Angelegenheit Wildgans“Der Ausschluss bzw. Austritt vonFried rich Wildgans aus der KPÖ im Juli1950 steht im Zusammenhang mit jenenSpannungen, die aus der Musikresolu -tion des ZK der KPdSU vom Februar1948 resultierten, weil deren Inhalt vonder KPÖ zustimmend rezipiert und diesow jetische Argumentation weitgehendübernommen wurde, 48 Wildgans aber davonabweichende ästhetisch-politischePositionen bezog. Der Beschluss des ZKder KPdSU kritisierte die „formalis -tische“, „kosmopolitische“ und „volksfeindliche“Musik jenseits des „sozialis -tischen Realismus“ und erhob Forderungennach mehr Parteilichkeit, Einprägsamkeitund Volksverbundenheit. 49 AlsHöhepunkt dieser mit dem Namen AndrejSchdanow verbundenen Kulturkampagneder Jahre 1946 bis 1948 gerietenauch die renommiertesten sowjetischenKomponisten wie Dmitrij Schosta -kowitsch, Sergej Prokofjew, Aram Chatschaturjanund Nikolai Mjaskowskij insKreuzfeuer der Kritik. Hauptangriffszieldieser Kampagne war aber die Musikder radikalen westlichen Moderne, die<strong>als</strong> spätbürgerlich-dekadent verurteiltwurde, vor allem Arnold Schönberg unddie Exponenten dodekaphonischenKomponierens, was den auch in Tradi -tion der Zweiten Wiener Schule stehendenWildgans in Bedrängnis brachte. Daer sich offenbar nicht in der Lage sah,diese musikpolitische Linie gegen denModernismus zu vertreten, beendete er1948 seine Mitarbeit an der ÖsterreichischenZeitung. Auch im Tagebucherschienen fortan keine weiteren Musikkritikenvon Wildgans.2/13Auch seine verantwortliche Positionbei der IGNM, die von Huppert nun demLager der österreichischen Reaktion undderen „antidemokratischer und anti -populärer Musikübung“ zugerechnetwurde, 50 musste in Widerspruch geratenzur musikästhetischen Ausrichtung vonKPÖ und sowjetischer Besatzungsmacht.Wildgans trat zwar nicht öffentlich gegenden sowjetischen Musikerlass aufund wurde auch selbst nie des „Formalismus“beschuldigt, die Auffassungsunterschiedezeigten sich aber Anfang 1949bei der Gründung der Österreichischen<strong>Gesellschaft</strong> für zeitgenössische Musik(ÖGZM), die im Februar dieses Jahresunter dem Eindruck der sowjetischenMusikdiskussion mehr oder weniger <strong>als</strong>Gegengründung zur IGNM ins Lebengerufen wurde. Als Proponenten dieserüberparteilichen <strong>Gesellschaft</strong> zur „Erneuerungder österreichischen Musik“traten neben Marcel Rubin u.a. auchJoseph Marx, Theodor Berger, <strong>Alfred</strong>Uhl, Alois Melichar und Franz Salm -hofer auf, 51 womit sich die neue <strong>Gesellschaft</strong><strong>als</strong> Bündnis der kommunistischenLinken mit jenen darstellte, die von spät -romantischen ästhetischen Positionenaus der Zwölftonmusik und musikalischenAvantgarde distanziert gegenüberstanden.Wildgans kritisierte das Naheverhältnisder ÖGZM zu den kulturpolitischenAuffassungen der KPÖ, die wiederumauf den sowjetischen Beschlüssenfußten, weshalb er die „Tendenz dieser<strong>Gesellschaft</strong>“ ablehnte, so der Komponistin einem Schreiben an Matejka, daser in seiner Funktion <strong>als</strong> Musikkonsulentan den Stadtrat richtete. 52 Von der Arbeiter-Zeitungwurde die ÖGZM <strong>als</strong> kommunistischund „vereingewordenerAbleger der Kunstkomintern“ denunziert,53 wobei Wildgans parteiintern inVerdacht geriet, dem Zentralorgan derSPÖ die Information über eine angeb -liche Subvention der KPÖ für dieÖGZM zugeschanzt zu haben.Anfang 1949 wurden der KPÖ aucherste Gerüchte bekannt, dass Wildgansmit dem Gedanken spiele, aus der Parteiauszutreten, „aber nicht wisse, wie diesam besten anzustellen sei“. 54 Im November1949 spitzten sich die Spannungen soweit zu, dass vom Sekretariat des ZK derKPÖ eine Kommission zur Unter -suchung der „Angelegenheit Wildgans“eingesetzt wurde. 55 Wenige Tage zuvorhatte sich Ilona Steingruber in einemSchreiben an den Komponisten RobertSchollum darüber beklagt, dass die WienerZeitungen über Wildgans’ Bühnenmusikzu Strindbergs „Kronbraut“ guteKritiken gebracht hätten und er lediglichin den kommunistischen Zeitungen verrissenworden wäre, obwohl dieser mitnichten„formalistisch“ komponiert hätte.Politische Vorteile hätten sie beide, soSteingruber, durch die KPÖ keine genossen,„aber Nachteile genug“. 56 Im Jahr1950 bezahlte Wildgans bis zu seinemAusschluss bzw. Austritt auch keine Mitgliedsbeiträgemehr für die Betriebs -organisation Rathaus, jene Basisstrukturder KPÖ, in der er organisiert war.Unmittelbarer Anlass für den Ausschlussvon Wildgans aus der KPÖ wardessen Konzertreise nach Jugoslawien imMai 1950, nach der er sich öffentlich positivüber die dortigen Verhältnisse äußerte.Im Rahmen dieser zweiwöchigen Tourneehatte Wildgans Konzerte in Ljubljana,Maribor, Zagreb, Belgrad und Sarajewogegeben, anschließend wies er in einemInterview mit der jugoslawischen NachrichtenagenturTanjug die Behauptungender KPÖ über ein angeb liches Polizei -regime in Jugoslawien zurück. 57 MitGenugtuung habe Wildgans feststellenkönnen, „dass die jugoslawischen Musikeralle Möglichkeiten für freies Schaffen“hätten und ihnen im Gegensatz zurSowjetunion niemand vorschreibe, „wasund wie sie schaffen sollen“. 58Vor dem Hintergrund des Bruchs zwischenStalin und Tito im Jahr 1948 undder seither laufenden Kampagne desKommunistischen Informationsbüros gegenden „Titoismus“ muss für Wildgansklar gewesen sein, dass seine projugo -slawische Stellungnahme innerparteilichnicht ohne Konsequenzen bleiben würde.Tatsächlich beantragte am 4. Juli 1950 dieKaderabteilung des Zentralkomitees derKPÖ den Ausschluss von Wildgans. ZweiTage später wurde er vom Sekretariat desZentralkomitees „wegen parteifeindlichenVerhaltens“ aus der Partei ausgeschlossen.59 Im Antrag der Kaderabteilung wurdeins Treffen geführt, dass der ideologischkaum mit der Partei verbundeneWildgans seine Mitgliedschaft in der KPÖ„<strong>als</strong> Hemmnis für seine berufliche Karriere“betrachte, die „sein vorwiegendstesInteresse“ sei. Damit im Zusammenhanghätten sich bei ihm zunehmend „partei-fremde und sogar parteifeindliche“ Auffassungengezeigt und er habe sich von derKPÖ entfernt. Mit seiner Erklärung überJugoslawien habe er sich nunmehr „offengegen die Sowjetunion und gegen dieKommunis tische Partei – in das Lager derGegner des Sozialismus“ gestellt. 60In Reaktion auf seinen Ausschluss, derzunächst öffentlich nicht kommuniziertwurde, formulierte Wildgans am 11. Juli


Beiträge 151950 ein Austrittsschreiben, das er auchder Presse zugänglich machte. Dem wiederumkam die KPÖ damit zuvor, denAusschluss ihrerseits zu veröffentlichen:Wildgans sei „wegen parteifeindlichenund parteischädigenden Verhaltens“ ausder KPÖ ausgeschlossen worden, waram 15. Juli in einer kurzen Notiz im Zentralorganzu lesen. Er habe „gerade in derZeit, in der die Kriegsgefahr zugenommenhat und die faschistische Tito-Clique im Auftrag der amerikanischenImperialisten immer neue Kriegsprovokationenauf dem Balkan begeht, Verratan der Arbeiterklasse und der Kommunis -tischen Partei geübt, indem er sich in denDienst der Lügenpropaganda Titos stellte“.61 Bereits am selben Tag wurde auchin der Abendausgabe der vom britischenInformationsdienst herausgegebenenWeltpresse über den Austritt von Wildgansberichtet, wobei er <strong>als</strong> Hauptgrundfür diesen Schritt jene Gegensätze anführte,„die seit der Publikation der kommunistischenMusikerlässe vom Februar1948 zwischen der Partei und mir zuimmer ernsteren Spannungen geführthaben. Es war mir unmöglich, mich mitden Prinzipien der Musikerlässe zu identifizieren“,62 so Wildgans.Die Volksstimme reagierte darauf zwarmit der Replik, dass sich das Zentralkomiteeder KPÖ noch nie mit der Musik vonWildgans beschäftigt und nie ein Urteilüber ihre Qualität abgegeben habe undsein Ausschluss insofern nicht „wegenseiner atonalen, sondern wegen seinertitoistischen Lügentätigkeit“ erfolgt sei. 63Die Tatsache, dass Wildgans erst kurz davordie Bühnenmusik zu Ernst FischersAnti-Tito-Stück „Der große Verrat“ geschriebenhatte, gibt aber einen Hinweisdarauf, dass es dem Komponisten wenigerum ein Pro-Tito-Votum <strong>als</strong> um einen Vorwanddafür ging, sich von der KPÖ zu lösen,mit der er in musikästhetischen Fragenseit längerem nicht mehr übereinstimmte.Insgesamt wurde in der bürger -lichen und sozialdemokratischen Presseder Ausschluss bzw. Austritt von Wildgansbreit rezipiert und <strong>als</strong> neuerlicher Beweisfür die „Unvereinbarkeit von Individua -lismus und Kollektivismus in der KPÖ“ 64und <strong>als</strong> Beleg dafür gewertet, dass derKommunismus „kein freies Kunstschaffen“zulasse. 65 Wildgans habe nun „endlichdie Konsequenzen“ aus dem „politischenFehltritt“ im Jahr 1945 gezogen. 66Ungeachtet der großen Bedeutung der„inneren“ Faktoren, <strong>als</strong>o der musikpolitischenFragen, wird die Konfrontationvon Wildgans mit der KPÖ erst dannverständlich, wenn man die äußerenRahmenbedingungenin Betracht zieht, vorallem die kulturpolitischeZuspitzung desKalten Krieges.Nicht zu vernachlässigenist der gewaltigeDruck, der auf denmit der KPÖ verbundenenbzw. ihr nahestehendenIntellektuellenlastete. So erreichteunmittelbarvor dem Austritt vonWildgans die von denRegierungsparteienlancierte Kampagnegegen jene Intellektuelleneinen erstenHöhepunkt, die imRahmen der österreichischenFriedensbewegungmit derKPÖ zu kooperierenbereit waren. DerÖsterreichische Friedensratwurde in diesemZuge <strong>als</strong> kommunistischeTarn -organisation angegriffen,die nichtkommunistischenIntellektuellen, die ander Friedensbewegung teilnahmen, <strong>als</strong>„Kryptokommunisten“ und „Fellow Travellers“diskreditiert. 67 Es entsprach gewissermaßender Logik dieser kultur -politischen Konstellation, dass Wildgansnach seinem Austritt in eine Positionmanövriert wurde, die ihm von seinenehemaligen GenossInnen <strong>als</strong> antikommunistischausgelegt werden konnte.Zunächst trat Wildgans im Oktober1950, <strong>als</strong>o wenige Monate nach seinemAustritt aus der KPÖ, in die SPÖ ein. 68Kurz darauf wurde ihm von der ÖsterreichischenZeitung, seinem ehemaligenArbeitgeber, vorgeworfen, dass er anfortschrittliche Komponisten herangetretensei, um diese dazu zu bewegen, ihreUnterschrift unter den von der Weltfriedensbewegungverabschiedeten StockholmerAppell zurückzuziehen, in demfür das bedingungslose Verbot derAtomwaffen eingetreten wurde. Die ÖZbeschimpfte Wildgans daraufhin <strong>als</strong>„Intrigant“ und <strong>als</strong> „abgetakelten, zumAgenten herabgesunkenen Musiker“, derdas Panoptikum der Kriegshetzer „umeine Jammergestalt“ vermehre. 69„Gefallene Größe“Friedrich Wildgans (1913–1965)In einem Brief an StaatsoperndirektorFranz Salmhofer charakterisierte sichWildgans in diesen turbulenten Monaten<strong>als</strong> eine „heute abservierte ,gefalleneGröße‘“, die von Österreich „nun wirklichgenug“ habe. 70 Die folgenden Jahrestanden im Zeichen seines schrittweisenRückzugs aus der Öffentlichkeit, nichtzuletzt vor dem Hintergrund seines sichverschlechternden Gesundheitszustands.Infolge eines Schlaganfalls konnte er ab1954 auch nicht mehr <strong>als</strong> Klarinettistauftreten. Wildgans trat in diesen Jahrenweiterhin <strong>als</strong> Autor in der ÖsterreichischenMusikzeitschrift hervor, erst nachseinem Tod erschien die deutschsprachigeAusgabe seiner Monographie überAnton Webern. 71Das Verhältnis von Wildgans zur KPÖnormalisierte sich in weiterer Folge: Alsbei der Uraufführung seiner „Eucharis -tischen Hymnen“ am 14. Juni 1954 durchdie Wiener Symphoniker unter HeinrichHollreiser im Wiener Konzerthaus einerder letzten Konzertskandale Österreichsperfekt wurde, äußerten sich die kommunistischenTageszeitungen noch distanziert.Man könne weder die Begeisterungder einen noch die Entrüstung der anderenverstehen, so der Musikkritiker desAbend Karl Brix, sondern lediglich denIrrweg von Wildgans bedauern. 72 VonMärz bis November 1960 fand im Tagebuchim Anschluss an einen ablehnenden2/13


16 Beiträge2/13Artikel von Dmitrij Schostakowitsch 73die zweite große Diskussion über dieZwölftontechnik nach 1955 statt, wobeineben Marcel Rubin und Karl HeinzFüssl u.a. auch Wildgans um seine Meinunggebeten wurde. Während Rubin seineablehnende Haltung zur Zwölfton -musik verteidigte, 74 formulierte Wildganseine differenzierte Position zu den „Auswüchse(n)“,die Schönbergs Idee „in letzterZeit unter der Ägide westeuropäischerjunger Komponisten erfahren“ habe undaufgrund derer er <strong>als</strong> ein Komponist, derdiese Technik wiederholt angewandt habe,„niem<strong>als</strong> für diese Idee“ eingenommenwerden konnte: „Trotzdem ich <strong>als</strong>opersönlich dieses Beginnen junger west -licher Komponis ten in keiner Weise versteheund es auch nicht <strong>als</strong> Musik empfinde,daher vom musikalischen Standpunktaus ablehnen muß, bin ich der Ansicht,daß niemand von uns das Recht hat,den Weg dieser jungen Komponisten ineine bestimmte Richtung zu zwingen.“Seiner Meinung nach habe „jede ernstzunehmendekünstlerische Manifestationdas Recht des Kontaktes mit der Öffentlichkeit.Es ist notwendig, hier unbedingteFreiheit der künstlerischen Anschauungenzu gewährleisten. Ein Ge -sinnungsterrror – sei es von welcher Seiteimmer: von geschäftlichen Interessenoder von snobistischen Erwägungen, aberauch von politischen Ideen aus – wirdvon mir stets <strong>als</strong> schädlich empfundenund abgelehnt“, so Wildgans. 75Kurz davor – im Februar 1960 – hattenin Berlin, Hauptstadt der DDR,Gespräche mit Friedrich Wildgans undIlona Steingruber stattgefunden, in denenu.a. potenzielle Auftrittsmöglichkeitenvon Steingruber in der DDR besprochenwurden. Wildgans machte bei dieserGelegenheit den Vorschlag, beim WienerVolkstheater ein Gastspiel des BerlinerEnsembles anzuregen. 76 Sein KomponistenkollegeMarcel Rubin würdigteWildgans in einer Gratulationsadresse inder Volksstimme anlässlich dessen 50. Geburtstagsschließlich <strong>als</strong> „eine der originellstenund erfreulichsten musikalischenPersönlichkeiten der österreichischenGegenwart“, dessen Werke sich durch eine„seltene Kombination von Neuerertumund Musizierfreude“ auszeichnen. 77Friedrich Wildgans starb am 7. November1965 infolge eines Lungen -infarkts in Mödling, knapp drei Jahrenach dem frühen Tod seiner Frau IlonaSteingruber. Seine Werke sind heute mitAusnahme der ganz selten aufgeführten„Eucharistischen Hymnen“ und desTrompetenkonzerts aus den Konzertprogrammenverschwunden. Im Jahr 2002wurde Wildgans vom ORF in Erinnerunggerufen, indem eine CD mit Aufnahmenseiner wichtigsten Werke aus dem ORF-Archiv herausgebracht wurde. Der fürdiese Edition verantwortliche HannesHeher, seines Zeichens Vizepräsident desÖsterreichischen Komponistenbundes,charakterisiert Wildgans in einem aktuellenBeitrag <strong>als</strong> eine der „interessantestenMusiker- und Komponistenpersönlichkeitendes damaligen Österreich“. 78Anmerkungen:1/ Zur Biographie von Wildgans vgl. Brauneiss,Leopold: Friedrich Wildgans. Leben, Wirken undWerk. Dissertation Universität Wien 1988, S. 8–83.2/ Zentrales Parteiarchiv (ZPA) der KPÖ,Geheime Staatspolizei, StaatspolizeileitstelleWien, II A2-1716/40 g. v. 24.10.1940, Verhörprotokollmit Friedrich Wildgans, o.D.3/ ZPA der KPÖ, Kaderabteilung des ZK derKPÖ, Betrifft: Friedrich Wildgans, 4.7.1950, S. 1.4/ ZPA der KPÖ, Geheime Staatspolizei,Staatspolizeileitstelle Wien, II A2-1716/40 g. v.24.10.1940, Betrifft: Friedrich Wildgans, sympathisierendesMitglied der österr. Freiheitsbewegung;Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/Archiv der Republik (AdR), BMI, Gauakt 67143,NSDAP, Gauleitung Wien, Personalamt HauptstellePolitische Beurteilung, P.B. 67.143 Fi/Si v.30.7.1942.5/ ÖStA/AdR, BMI, Gauakt 67143, Gaupersonalamtsleiteran den Präsidenten der Reichsmusikkammer,PB 67143/V/Ra v. 19.10.1942.6/ Dokumentationsarchiv des österreichischenWiderstandes (DÖW) 2234, VGH-Urteil gegenMargarete Jahoda u.a., Zl. 8 J 201/41 – 2 H171/43 v. 7./8.12.1943, S. 2 und 13–15, hierS. 14, auszugsweise abgedruckt in: Widerstandund Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation.Band 3: 1938–1945, hg. vom Dokumentationsarchivdes österreichischen Widerstandes.Wien: Österreichischer Bundesverlag,Jugend und Volk 1984 2 , S. 97f., hier S. 97.7/ Vgl. dazu Mugrauer, Manfred: Die Politik derKPÖ in der Provisorischen Regierung Renner.Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag 2006.8/ Fischer, Ernst: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen1945–1955. Wien, München, Zürich:Molden 1973, S. 120.9/ Vgl. Brauneiss: Wildgans (wie Anm. 1), S. 74.10/ Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB),Musiksammlung (MUS), F13 Wellesz 1696,Friedrich Wildgans an Egon Wellesz (Oxford),18.9.1945, S. 2.11/ Friedrich Wildgans an Lilly Wildgans,11.5.1945, zit. nach Brauneiss: Wildgans (wieAnm. 1), S. 70.12/ DÖW 22343/18, Friedrich Wildgans anHubert Knauer, o.D. [1945].13/ So bezeichnete sich Wildgans in einemSchreiben an Matejka <strong>als</strong> „Präsident“ der österreichischenIGNM-Sektion (Wienbibliothek imRathaus, Nachlass Viktor Matejka, ZPH 830,Box 11, Friedrich Wildgans an Viktor Matejka,4.12.1945). Bei der Wiedererrichtung der IGNMwar die Präsidentenstelle für Anton Webern freigehaltenworden (Internationale <strong>Gesellschaft</strong> fürNeue Musik, in: Neues Österreich, 24.5.1945,S. 4), der am 15. September 1945 in Mittersillunbeabsichtigt von einem US-Soldatenerschossen wurde.14/ Vgl. Szmolyan, Walter: Wiederbeginn 1945mit Anton Webern und Rückblick in die dreißigerJahre, in: Österreichische Musikzeitschrift,37. Jg. (1982), <strong>Nr</strong>. 11, S. 623–630, hier S. 623.15/ Strauss, Martin [d.i. Marcel Rubin]: FriedrichWildgans. Ein Musikerporträt, in: ÖsterreichischesTagebuch, <strong>Nr</strong>. 15, 26.4.1947, S. 11. FormalerLeiter der Akademie war ab Juni 1945Karl Kobald, unterstützt von Friedrich Wildgans,der die Abteilung für Musiktheorie leitete, zu derdam<strong>als</strong> auch die Instrumentalfächer gehörten(Tittel, Ernst: Die Wiener Musikhochschule.Vom Konservatorium der <strong>Gesellschaft</strong> derMusikfreunde zur Staatlichen Akademie fürMusik und darstellende Kunst. Wien: ElisabethLafite 1967 (Publikationen der Wiener Musik -akademie, Bd. 1), S. 69).16/ ÖNB, MUS, F13 Wellesz 1696, FriedrichWildgans an Egon Wellesz, o.D. [1946]; Tittel:Musikhochschule (wie Anm. 15), S. 70.17/ Wiener Stadt- und Landesarchiv,1.3.2.350.A22.21, Viktor Matejka an Paul Speiser,1.7.1946; Brauneiss: Wildgans (wieAnm. 1), S. 75 und 130–134, hier S. 130. Karl B.Jindracek war zuständig für Chorwesen und Kirchenmusik,Philipp Ruff für „leichte“ Musik unddie juristischen Belange (Musik 1947. Ein WienerJahrbuch. Im Auftrage der Wiener Konzert -hausgesellschaft zusammengestellt von HansRutz <strong>als</strong> Sonderveröffentlichung der „WienerMusikblätter“. Wien o.J., S. 91; ÖsterreichischerAmtskalender für das Jahr 1950, XVIII. Jg.Wien: Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei1950, S. 459).18/ Fachmann überflüssig, in: Der Abend,29.3.1950, S. 6.19/ Bericht, in: Österreichische Musikzeitschrift,2. Jg. (1947), <strong>Nr</strong>. 9, S. 242–243, hier S. 243. Vgl.dazu auch Gayda, Thomas: Zur Auseinandersetzungum Organisation und Ästhetik der zeitgenössischenösterreichischen Musik im KonzertlebenWiens in den ersten Jahren nach 1945.Dissertation Universität Wien 1988, S. 54–65.20/ Oesterreichische Uraufführung von HannsEisler „Die Mutter“ in der Ravag, in: ÖsterreichischeVolksstimme, 28.5.1949, S. 4.21/ Dazu Brauneiss: Wildgans (wie Anm. 1),S. 135–149, hier S. 139f.22/ Das Konzertprogramm der IGNM, in: DerAbend, 14.10.1949, S. 6.23/ Rubin, Marcel: Zum Tode von FriedrichWildgans, in: Tagebuch, 20. Jg., <strong>Nr</strong>. 12, Dezember1965, S. 5.


Beiträge 1724/ Vgl. z.B. Waldstein, Wilhelm: Kontinuumund neuer Impuls. Wiener Musikschaffen imSpiegel der Öffentlichkeit, in: ÖsterreichischeMusikzeitschrift, 10. Jg. (1955), <strong>Nr</strong>. 1, S. 22–24,hier S. 24; F.S.: Friedrich Wildgans, in: ebd.,20. Jg. (1965), <strong>Nr</strong>. 12, S. 662–663, hier S. 663.25/ ZPA der KPÖ, Kulturreferat der Polizei, MoritzFels-Margulies an Viktor Matejka, 3.9.1945.26/ ZPA der KPÖ, Universal Edition, <strong>Alfred</strong>Schlee an Moritz Fels, 30.8.1945. An Stelle der„Freiheitslieder“ wurde schließlich das zweiteFinale aus Beethovens „Fidelio“ mit AnnyKonetzni, Emmy Loose, Fritz Krenn, Paul Schöff -ler, Herbert Alsen und Erich Majkut gegeben.27/ Neue Werke, in: Österreichische Musik -zeitschrift, 1. Jg. (1946), <strong>Nr</strong>. 1, S. 42.28/ ZPA der KPÖ, Hanna Berger: Lebenslauf1945–1952, S. 1f.29/ Dr. Hajas: Prof. Friedrich Wildgans, in:Österreichische Zeitung, 19.8.1947, S. 5.30/ Biba, Otto (Hg.): Die Programm-Sammlungim Archiv der <strong>Gesellschaft</strong> der Musikfreunde inWien 1937–1987. Tutzing: Hans Schneider 2001(Veröffentlichungen des Archivs der <strong>Gesellschaft</strong>der Musikfreunde in Wien, Bd. 2), S. 92.31/ ZPA der KPÖ, Programm der Eröffnungs -sitzung des XIV. Parteitags der Kommunis -tischen Partei Österreichs, 29.10.1948.32/ Die Goethe-Feier der KommunistischenPartei, in: Österreichische Volksstimme,26.6.1949, S. 6.33/ ZPA der KPÖ, Der Theaterfreund. Mitteilungendes Vereines „Die Theaterfreunde“, <strong>Nr</strong>. 10,1950, S. 5.34/ Archiv der Akademie der Künste (AdK)(Berlin), Hugo-Huppert-Archiv, 337, FriedrichWildgans an Hugo Huppert, o.D. [1945].35/ Vgl. das Impressum ab <strong>Nr</strong>. 34, 12.9.1947,Umschlagseite 2.36/ AdK, Hugo-Huppert-Archiv, 340, Zentral -stelle für Volksbildung (K.P.Ö.), Kulturreferat,Ein ladung von Georg Knepler, 10.9.1946.37/ Der Kongress, in: Die Brücke. Monatsheftefür Kultur und Wirtschaft, 1. Jg. (1945/46),<strong>Nr</strong>. 10/11, S. 1–130, hier S. 36.38/ ZPA der KPÖ, Liste der Vorstandsmitglieder[der Österreichisch-Polnischen <strong>Gesellschaft</strong>] fürdas Jahr 1947/48.39/ ÖNB, MUS, F13 Wellesz 1696, Friedrich Wildgansan Egon Wellesz (Oxford), 18.9.1945, S. 2.40/ Wienbibliothek, Nachlass Viktor Matejka,ZPH 830, Box 25, W. [Friedrich Wildgans]: DieVerhältnisse in den Wiener Konzertgesellschaften(Ges. der Musikfreunde und Konzerthausgesellschaft),für Stadtrat Matejka persönlich,27.8.1946, S. 1, 3 und 8.41/ Wienbibliothek, Nachlass Viktor Matejka,ZPH 830, Box 15, Friedrich Wildgans an ErnstKrenek, 15.8.1947, S. 2.42/ Huppert, Hugo: Musik und Demokratie, in:Stimme der Zeit. Monatsschrift für Politik undKultur. Verlag der „Österreichischen Zeitung“,1. Jg. (1947/48), <strong>Nr</strong>. 8/9, Februar/März 1948,S. 56–67, hier S. 64.43/ Wildgans: Die Verhältnisse in den WienerKonzertgesellschaften (wie Anm. 40), S. 7.44/ ÖNB, MUS, F10 Apostel 105/1, FriedrichWildgans an Hanns Erich Apostel, 23.11.1947.45/ Wildgans, Friedrich: Furtwängler und dieanderen, in: Österreichisches Tagebuch, <strong>Nr</strong>. 42,21.11.1947, S. 7–8, hier S. 8.46/ ÖNB, MUS, F13 Wellesz 1696, FriedrichWildgans an Egon Wellesz, 11.2.1948, S. 1.47/ So <strong>Alfred</strong> Rosenzweig in einem Brief an ErnstKrenek vom 1.4.1948, zit. nach Maurer Zenck,Claudia: Ernst Krenek – ein Komponist im Exil.Wien: Verlag Elisabeth Lafite 1980, S. 262.48/ Exemplarisch Rubin, Marcel: Musik undSozialismus (Zum Beschluß des Zentral -komitees der KPdSU über die Sowjetmusik), in:Weg und Ziel, 6. Jg. (1948), <strong>Nr</strong>. 3, S. 216–219.Zu den österreichischen Reaktionen vgl.Mugrauer, Manfred: Schostakowitsch in Wien,in: Boisits, Barbara/Szabó-Knotik, Cornelia(Hg.): Musicologica Austriaca 27 (2008). FreieBeiträge. Jahresschrift der Österreichischen<strong>Gesellschaft</strong> für Musikwissenschaft. Wien: PraesensVerlag 2009, S. 211–275, hier S. 243–248.49/ Der Beschluss ist abgedruckt in: Kuhn,Ernst (Hg.): „Volksfeind Dmitri Schosta -kowitsch“. Eine Dokumentation der öffentlichenAngriffe gegen den Komponisten in der ehemaligenSowjetunion. Berlin: Verlag Ernst Kuhn1997 (Opyt, Dokumente und Erlebnisberichte zuMusik und Musikleben in der ehemaligenSowjetunion, Bd. 3), S. 105–111.50/ Huppert: Musik und Demokratie (wieAnm. 42), S. 64.51/ Eine Österreichische <strong>Gesellschaft</strong> für zeitgenössischeMusik, in: Österreichische Musikzeitschrift,4. Jg. (1949), <strong>Nr</strong>. 1–2, S. 33; Rubin,Marcel: Ein Unbekannter auf Abwegen. Einenotwendige Erwiderung, in: ÖsterreichischesTagebuch, 4. Jg., <strong>Nr</strong>. 3, März 1949, S. 14; ders.:Die Österreichische <strong>Gesellschaft</strong> für zeitgenössischeMusik, in: Musik-Blätter. Organ der WienerPhilharmoniker, 3. Jg., <strong>Nr</strong>. 13, 1.4.1949, S. 5–7.52/ Vgl. ZPA der KPÖ, Zentralkomitee der KPÖ,Kaderabteilung, Betrifft: Friedrich Wildgans,4.7.1950, S. 2.53/ S.H.: Österreichische Komponisten aufAbwegen, in: Arbeiter-Zeitung, 20.2.1949, S. 6.54/ Vgl. ZPA der KPÖ, Zentralkomitee der KPÖ,Kaderabteilung, Betrifft: Friedrich Wildgans,4.7.1950, S. 1f.55/ ZPA der KPÖ, Protokoll der Sitzung des Sekretariatsdes ZK der KPÖ am 29.11.1949, S. 2.56/ ÖNB, MUS, F76 Schollum 464/5, Ilona Steingruberan Robert Schollum, 20.11.1949, S. 2f.57/ Österreichischer Komponist über Jugoslavien,in: Die Einheit. Für Fortschritt und Völker -verständigung, 2. Jg., <strong>Nr</strong>. 24, 29.6.1950, S. 3.58/ Prof. Wildgans über seine Tournee, in:Jugoslawien von heute. Wöchentliches Bulletin,hg. von der TANJUG, <strong>Nr</strong>. 14, 23.6.1950, S. 3.59/ ZPA der KPÖ, Protokoll der Sitzung desSekretariats des ZK der KPÖ am 6.7.1950, S. 2.60/ ZPA der KPÖ, Kaderabteilung des ZK derKPÖ, Betrifft: Friedrich Wildgans, 4.7.1950, S. 1und 3.61/ Ausschluß aus der Partei, in: ÖsterreichischeVolksstimme, 15.7.1950, S. 2.62/ Professor Wildgans aus der KPOe ausgetreten.Zum erstenmal in Oesterreich: Vorwurfdes Titoismus, in: Weltpresse (Abendausgabe),15.7.1950, S. 1.63/ Kein Opfer atonaler Musik, in: ÖsterreichischeVolksstimme, 18.7.1950, S. 3.64/ Der Fall Wildgans, in: Die Presse,16.7.1950.65/ „Titoisten“-Säuberung in Österreich, in:Arbeiter-Zeitung, 16.7.1950, S. 3.66/ „In fünfundzwanzigster Stunde“. FriedrichWildgans’ Bruch mit der KP, in: SalzburgerNachrichten, 18.7.1950.67/ Vgl. dazu Mugrauer, Manfred: Eine „reinkommunistische Angelegenheit“? Der Wiener„Völkerkongress für den Frieden“ im Dezember1952, in: Mikosch, Hans/Oberkofler, Anja (Hg.):Gegen üble Tradition, für revolutionär Neues.Festschrift für Gerhard Oberkofler. Innsbruck,Wien, Bozen: Studien-Verlag 2012, S. 131–155.68/ Brauneiss: Wildgans (wie Anm. 1), S. 75.Die Beitragsmarken in seinem Parteibuch sindbis Oktober 1954 geklebt (vgl. ebd., S. 78,Anm. 247).69/ Ein Agent der Kriegshetzer, in: ÖsterreichischeZeitung, 19.11.1950, S. 5.70/ ÖNB, MUS, F142 Salmhofer 1455/5, FriedrichWildgans an Franz Salmhofer, 17.9.1950.71/ Wildgans, Friedrich: Anton Webern, Eine Studie.Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag 1967.72/ --x [Karl Brix]: Viertes Orchesterkonzert desMusikfestes. Beifall und Pfiffe, in: Der Abend,16.6.1954, S. 5, ferner Liturgische[r] Jazz undOhrfeigen im Konzerthaus. „Neutönende“ Musikwird mit Watschen verteidigt, in: ÖsterreichischeVolksstimme, 16.6.1954, S. 5.73/ Schostakowitsch, Dmitri: Über den Streit dermusikalischen Auffassungen, in: Tagebuch,<strong>Nr</strong>. 3, März 1960, S. 8.74/ Rubin, Marcel: Das unpraktische Zwölfton -system, in: Tagebuch, <strong>Nr</strong>. 9, September 1960, S. 12.75/ Wildgans, Friedrich: Über Streit der musikalischenAuffassungen, in: Tagebuch, <strong>Nr</strong>. 4, April1960, S. 4.76/ Bundesarchiv (Berlin), SAPMO, DR1/18753, <strong>Gesellschaft</strong> für Kulturelle Verbindungenmit dem Ausland an das Ministerium fürKultur, z.H. [Irene] Gysi, 8.3.1960, S. 1f.77/ Rubin, Marcel: Friedrich Wildgans 50 Jahrealt, in: Volksstimme, 5.6.1963, S. 7.78/ Heher, Hannes: Hanns Eisler und dieWiener Komponistenszene der Nachkriegszeit,in: Krones, Hartmut (Hg.): Hanns Eisler – EinKomponist ohne Heimat? Wien, Köln, Weimar:Böhlau Verlag 2012 (Schriften des WissenschaftszentrumsArnold Schönberg, Bd. 6),S. 303–318, hier S. 308.2/13


18 BeiträgeEin Nachtrag zu Leo Stern in der DDRBemerkungen über zwei „Mathematikerfälle“ an der Martin-Luther-Universität HalleManfred SternIm Folgenden schildere ich kurz zweiBegebenheiten, welche die MathematikerHerbert Grötzsch (1902–1993)und Hans-Jürgen Hoehnke (1925–2007)sowie den Historiker Leo Stern (1901–1982) betreffen. Beide „Fälle“ ereignetensich zu Beginn der 1950er Jahre inder DDR.Vorausschicken möchte ich, dass ichalle drei Obengenannten persönlich gekannthabe. Leo Stern war mein Vater.Ich selbst habe in den Jahren 1965 bis1970 in Halle Mathematik studiert undhatte das Glück, noch eine Vorlesung beiGrötzsch kurz vor dessen Emeritierungzu hören. Später hatte ich Gelegenheit,im DDR-Algebraseminar, das meistensin Berlin stattfand, auch Hoehnkekennenzulernen. Kopien der im Folgendengenannten Dokumente sowie derHandakte Stern befinden sich bei mir. 12/13Die MathematikerGrötzsch und HoehnkeDer große Mathematiker HerbertCamillo Grötzsch ist durch seine fundamentalenEntdeckungen auf den Gebietender geometrischen Funktionentheorieund der Graphentheorie international bekanntgeworden. 2 Im Jahr 1947 wurdeGrötzsch an die Universität Halle berufen.Seit 1959 war er Mitglied der Leopoldinaund 1967 wurde ihm für sein mathematischesGesamtwerk der Nationalpreisder DDR verliehen. Im Jahr 2002fand anlässlich des 100. Geburtstags vonGrötzsch an der Universität Halle eineihm gewidmete Ehrentagung statt. 3Als sich nach dem Zweiten Weltkriegdie Universitäten wieder öffneten, erwiessich das seit 1839 bestehende mathematisch-naturwissenschaftlicheSeminar derMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<strong>als</strong> einer der wesentlichen Kristallisationspunkteauf dem Gebiet der Algebra.Die hier wirkenden Algebraiker H.W. E. Jung (1876–1953) und H. Brandt(1886–1954) verliehen bereits im erstenJahrzehnt nach dem Krieg dem Namender Halle’schen Mathematik wieder Gewicht.Brandt war maßgeblich am Neuanfangder halleschen Universität beteiligt4 und fungierte <strong>als</strong> Vizepräsident derLeopoldina. 5 An der MLU Halle fand1986 eine Algebra-Tagung statt, die dem100. Geburtstag von Brandt gewidmetwar. 6 Hoehnke, der seine Dissertation1951 in Halle verteidigte, hat sich <strong>als</strong>Brandt-Schüler auf dem Gebiet der sogenannten abstrakten Algebra einen Namengemacht. 7 Ihm zu Ehren fand 2008ein Gedenkkolloquium an der Martin-Luther-Universität statt, bei dem seinLeben und Wirken gewürdigt wurden.Der Historiker Leo SternLeo Stern studierte in Wien Rechtswissenschaft,Nationalökonomie und Geschichte.Er trat der SozialistischenArbeiterjugend, später der SDAPÖ undschließlich der KPÖ bei. Er emigrierte1935 aus Österreich zunächst in dieTschechoslowakei, danach in die Sowjetunion,wurde dort nach seiner Habilitation1940 a.o. Professor für NeuereGeschichte. Nach dem deutschen Angriffauf die Sowjetunion meldete er sich andie Front und wurde „ÖsterreichischerFreiwilliger der Roten Armee“. Nach derDemobilisierung war er Gastprofessor ander Universität Wien, 1950 erhielt er eineBerufung an die Martin-Luther-UniversitätHalle <strong>als</strong> Professor für Neuere Geschichte.In Halle übte er u.a. die Funktiondes Prorektors für <strong>Gesellschaft</strong>swissenschaftenaus, war stellvertretender Rektorund ab 1953 Rektor, bis er 1959 abgelöstwurde. Über sein Leben und Wirken gibtes eine Reihe von Darstellungen. 8Was hatten nun die MathematikerGrötzsch und Hoehnke mit dem HistorikerStern zu tun? Letzterer hatte <strong>als</strong>staatlicher Leiter in der ersten Hälfte der1950er Jahre in den „Fällen“ Grötzschund Hoehnke Entscheidungen zu treffen,auf die ich im Folgenden eingehe.Der Fall GrötzschDer Fall Grötzsch ereignete sich imZusammenhang mit dem 17. Juni 1953an der Martin-Luther-Universität Halle.Eine Dokumentation über diesen Tagund die Ereignisse an der MLU findetman bei Rupieper, der u.a. schreibt: „Beider Besprechung des Rektors mit denDekanen wurde jedoch auch deutlich,daß Stern sich bemühte, die aufgeregteAtmosphäre an der Universität zu beruhigen[...]“, „Gegner von Stern in derUniversitätsparteiorganisation versuchtenspäter, ihm sein moderates Verhalten<strong>als</strong> parteischädigend anzulasten.“ 9Wie war Grötzsch am bewussten Tagin Erscheinung getreten? In einem Be-richt der Bezirksverwaltung für Staats -sicherheit Halle hieß es dazu:„Professor [Franz] Runge (TechnischeChemie) ließ es sich nicht nehmen,an der faschistischen Kundgebung aufdem Hallmarkt teilzunehmen, wobei erseine Sympathie mit den faschistischenElementen durch seinen Beifall zum Ausdruckbrachte. Mit Professor Rungenahm auch Professor [Herbert]Grötzsch an dieser Kundgebung teil, derebenfalls Beifall spendete.“ 10Weiteres zu Grötzsch findet man beiKühnau, der Folgendes schreibt:„Mit direkt politischen Äußerungenhielt er sich in der DDR-Zeit extremzurück. [...] Seine übergroße Vorsichtwurde mir klarer, <strong>als</strong> ich im Archiv derUniversität Halle in seiner Akte einehandschriftliche Erklärung vom29.6.1953 von ihm fand, zu der er offenbargenötigt war, nachdem er am Randeeiner Demonstration zum 17. Juni 1953abends gegen 1/2 7 am Rande des HalleschenHallmarkts beobachtet wurde.Nach Aussage von Frau Grötzsch wurdeer zum Rektor zitiert, der die dam<strong>als</strong> sehrheikle Sache mit einem Verweis abbog.“ 11Der Fall HoehnkeAm 5.11.1952 wandte sich Prof. H.Brandt mit folgendem Brief an Stern:„Sehr geehrter Herr Kollege!Mein am 15.9. an den Herrn Verwaltungsdirektorgerichteter Antrag HerrnDr. Hans-Jürgen Hoehnke <strong>als</strong> Assistentfür Mathematik einzustellen, ist abgelehntworden, trotzdem ich am 28.9. ineinem zweiten Schreiben an den HerrnVerwaltungsdirektor auf die besondereBedeutung des Falles hingewiesen habe.Weil Sie <strong>als</strong> derzeitiger Vertreter desRektors für Entscheidungen verantwortlichzeichnen, bitte ich die Angelegenheitnochmal zu überprüfen und bemerkedazu folgendes: 1. Herr Dr. Hoehnkegehört zu den besten und am meistenbefähigten Mathematikern, die nach demKrieg hier ausgebildet sind. [...]“Vom VEB Kabelwerk Vacha, an demHoehnke tätig war, hatte er 1950 folgendeBeurteilung erhalten, die der Personalabteilungder Universität Halle vorlag:„Beurteilung des Herrn Dr. Hans-Jürgen Hoehnke, geb. am 27.10.25 inDanzig-Langfuhr, wohnhaft: Vacha(Rhön), Völkershauserstr. 23


Beiträge 19Ins Werk eingetreten: 26.5.1950.Fachlich: Dr. Hoehnke ist ein überdurchschnittlicherMathematiker undleistet wertvolle theoretische Arbeit inder Physik. Seine Einstellung zur Arbeitist positiv. Jedoch macht es den Eindruck,<strong>als</strong> ob er nur zum Zweck seinespersönlichen Vorteils willen (Fachl. Veröffentlichung)arbeitet.<strong>Gesellschaft</strong>lich: Er ist sehr gottesfürchtig.Er beteiligt sich gesellschaftlichsowie politisch überhaupt nicht. Er weigertesich sogar, dem FDGB beizutreten.Erst nach mehreren Diskussionen entschloßer sich, Mitglied des FDGB zuwerden. Bei den Versammlungen hat eröfters betont, daß er für Marxisten nichtsspenden könne, weil er es mit seinemGewissen nicht vereinbaren kann. DieAnnahme des Aktivistenabzeichens, welchesihm verliehen werden sollte, hat erstrikt abgelehnt.Schulbesuch: Verwaltungs- oder Wirtschaftsschulenhat er während seinerTätigkeit im Werk nicht besucht.Charakter: In charakterlicher Hinsichtist Hoehnke <strong>als</strong> ehrlich zu bezeichnen.Durch seine Ehrlichkeit konnten wir inDiskussionen mit ihm feststellen, daß erunserem Staat sowie der Wirtschaft inder heutigen Struktur fern steht.Dadurch hat er sich den Unwillen unsererBelegschaft und weiter Kreise derBevölkerung zugezogen.Ausscheidungsgrund: Sein beabsichtigtesAusscheiden geschieht auf eigenenWunsch. Wahrscheinlich will er sichfachlich qualifizieren.VEB Kabelwerk VachaVerwaltung volkseigener BetriebeIKAgez. (unleserliche Unterschrift)“Auf dieser Beurteilung befindet sichfolgender vom 8.10.1952 datiertermaschinengeschriebener Zusatz der Personalabteilungder MLU Halle:„Herrn Prof. Stern mit der Bitte umEntscheidung übersandt. Von Seiten derPA kann die Einstellung d. Herrn Dr. H.<strong>als</strong> wiss. Ass. im Math. Seminar nichtbefürwortet werden8.10.52 gez. (unleserliche Unterschrift)“Darunter befindet sich (datiert vom6. November 1952) folgende handschriftlicheNotiz von Stern:„Die von Prof. Brandt angeführtenTatsachen über Dr. Hoehnke, ferner derUmstand, daß wir hervorragende Fachleuteunbedingt brauchen, die, wenn siegesellschaftlich und politisch nochzurückgeblieben sind, von uns erzogenwerden müssen, veranlassen mich, Dr.Hoehnke <strong>als</strong> Assistenteneinzustellen.6.XI.52 gez. Stern“Tatsächlich wurdeHoehnke dann aucheingestellt und blieb einigeJahre in Halle, biser sich 1956 in Berlinbewarb. Eine vom17. Jänner 1956 datierteAktennotiz der AbteilungKader und Arbeitder DeutschenAkademie der Wissenschaftenbesagt:„Bewerbung des Dipl.-Math.Hans-JürgenHoehnke, Halle/Saale.Obengenannter istz.Zt. Lehrbeauftragteran der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg.Bei Durchsicht derdortigen Personalaktefiel besonders die Beurteilungseiner letztenDienststelle (VEB IKAVachta/Rhön) auf. [...]Leo Stern (1901–1982)Obwohl diese Beurteilung nicht geeignetwar, ihn <strong>als</strong> wissenschaftlichenNachwuchs bei der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg einzustellen,wurde die Einstellung von einigen HerrenProfessoren (Namen unleserlich,Anm.) vorgenommen, da sie der Meinungwaren, daß H. einer der bestenFachkräfte auf dem Gebiet der Mathematiksei und er dringend gebrauchtwird, auch wenn seine politische und gesellschaftlicheAnerkennung seiner Verdienste um dieWiedereröffnung der Akademie“ (Urkundeder Leopoldina vom 13.10.1977)und um die „Wiederherstellung einerguten Zusammenarbeit zwischen derMartin-Luther-Universität Halle-Wittenbergund unserer Akademie“ (Laudatiodes Präsidenten Bethge, 13.10.1977) 16über „anregenden Kopf und fähigenOrganisator“ bis hin zum „Fluchthelfer“,„Hochstabler“ (sic!) (Handakte) undEinstellung negativ sei.“ „windigen Burschen“. 17 Weitere Ein-ZusammenfassungMein Ziel war es, einerseits auf einenvielleicht weniger bekannten Aspekt derneueren Geschichte der Mathematik ander Martin-Luther-Universität Halle hinzuweisen.Andererseits wollte ich dasBild der Charakterisierungen von LeoStern durch die obengenannten beidenFälle ergänzen. Die in den Acta HistoricaLeopoldina <strong>Nr</strong>. 36 in der Diskussion behandelte„Janusköpfigkeit“ 12 bzw. die ananderer Stelle zitierte „Doppelzüngigkeit“von Stern muten angesichts desschätzungen (z.B. „Parteifeind“, „DieBeschlüsse der Universitätsparteileitungwurden von Prof. Stern nicht ernst genommen“,„Unterstützung und Förderungreaktionärer Elemente bzw. offenerFeinde unserer <strong>Gesellschaft</strong>sordnung“,„feindliche Einstellung gegenüber demMinisterium für Staatssicherheit“ u.a.)finden sich in der Handakte, die überStern angelegt worden ist (mit Berichtenvon 17 inoffiziellen Mitarbeitern). Eineumfassende Übersicht über den Inhaltder Akte nebst einer Analyse findet manbei Sabrow. 18folgenden Spektrums etwas schlicht an. Einer anderen CharakterisierungDie Bandbreite der Charakterisierungenvon Stern erstreckt sich von Altkommunistund Stalinist über Austromarxistund Trotzkist 14 bis hin zu dem Mann,„der den Traum von einer offenen sozialistischenHochschule erlöschen ließ“. 15Vom Ehrenförderer der Leopoldina „In(„Lippenriskierer“) begegnet man indem autobiographischen Roman vonFranz Kain:„Der Parteitag [IV. Parteitag derSED, 30.3–6.4.1954, Anm.] hatte einestraffe Regie. Wenn die Diskussion dahinzuplätschernbegann, stürmte eine2/13


20 BeiträgeGruppe von Kindern in den Saal, es kamenAbordnungen aus Betrieben, ausder Frauenbewegung, Theaterleute undeine Delegation der Hochschulen. Hierwar der Rektor der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg, der ÖsterreicherLeo Stern, der Sprecher. Er riskierteeine Lippe und erklärte, es sei nichtnotwendig, die Hochschullehrer auf einParteiprogramm hin einzuengen. WalterUlbricht schien über diesen Einwurf verärgertzu sein, denn er meinte später ineinem ,zusammenfassenden‘ Beitrag, esgehe da nicht um ein Parteiprogramm,sondern um den Fortschritt und für denwürden doch wohl auch die Hochschulenund Universitäten eintreten können,nicht wahr?“ 19Zu diesen Rückerinnerungen Kainspasst folgender Schlusssatz aus dem vom10. September 1954 datierten Bericht desIM Heinz Jäger in der Handakte LeoStern: „Diese Beispiele zeigen, dass esSt. offensichtlich auf ein ,gutes Verhältnis‘zu den bürgerlichen Kräften angelegthat, wobei er in bedenklicher Weisemanchmal die Linie der Politik der Parteiverläßt und seine ,eigene‘ Politikbetreibt.“Der Verfasser bedankt sich bei Univ.-Prof. i. R. Dr. Gerhard Oberkofler (Innsbruck)für eine Reihe von wertvollen Hinweisenund bei Prof. Dr. Reinhard Siegmund-Schultze(Universität Agder, Kris -tiansand) für hilfreiche Bemerkungen.Anmerkungen:1/ BStU, Ministerium für Staatssicherheit,Bezirksverwaltung Halle, Abteilung V/1, Hand -akte über Prof. Dr. Leo Stern.2/ Vgl. Sachs, Horst u.a. (Hg.): Entwicklung derMathematik in der DDR. Berlin 1974, Kapitel„Komplexe Analysis“ und „Graphentheorie“.3/ Umfassende Einblicke in Grötzschs Lebenund Wirken findet man bei Kühnau, Reiner: HerbertGrötzsch zum Gedächtnis. Jahresberichtder Deutschen Mathematikervereinigung, Bd. 99(1997), S. 122–145, hier S. 141 und Richter,Karin: Herbert Camillo Grötzsch (1902–1993),in: Goebel, Manfred/Richter, Karin/Richter, Kurt(Hg.): Aspekte der Mathematik geschichte inHalle. Reports on Didactics and History ofMathematics, <strong>Nr</strong>. 19 (2002), S. 99–104.4/ Vgl. Gerstengarbe, Sybille/Parthier, Benno:„Plötzlich mußte ich Geschäfte übernehmen.“ DieLeopoldina von 1954 bis 1974, in: Parthier, Benno/Engelhardt,Dietrich von (Hg.): 350 Jahre Leopoldina.Anspruch und Wirklichkeit. Festschriftder Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.Halle (Saale) 2002, S. 263–291.5/ Vgl. Parthier, Benno/Gerstengarbe, Sybille:„Das Schicksal Deutschlands ist das Schicksal2/13unserer Akademie“ Die Leopoldina von 1954 bis1974, in: Parthier/Engelhardt (Hg.): 350 JahreLeopoldina, S. 293–326.6/ Einzelheiten über Brandts Leben findet manin Fritzsche, Reiner: Heinrich Brandt (1886–1954), in: Goebel u.a. (Hg.): Mathematik -geschichte, S. 77–82.7/ Vgl. Sachs u.a. (Hg.): Mathematik, Kapitel„Algebra“.8/ Z.B. Hartewig, Karin: Zurückgekehrt.Geschichte der jüdischen Kommunisten in derDDR. Köln, Weimar, Wien 2000; Keßler, Mario:Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. RemigrierteHistoriker in der frühen DDR. Köln, Weimar,Wien 2001; Meier, Helmut (Hg.), Leo Stern(1901–1982). Antifaschist, Historiker, Hochschullehrerund Wissenschaftspolitiker. Berlin2002; Sabrow, Martin: Das Diktat des Konsenses.Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969. München 2001.9/ Rupieper, Hermann-Josef: Der 17. Juni 1953an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft,47. Jg. (1999), <strong>Nr</strong>. 6, S. 502–511.10/ Vgl. Löhn, Hans-Peter: „An den Demonstrationennahmen vorwiegend Studenten teil!“ –Die Angehörigen der Martin-Luther-Universitätwährend des Volksaufstandes am 17. Juni1953, in: Rupieper, Hermann-Josef (Hg.): „...und das Wichtigste ist doch die Einheit“. Der17. Juni 1953 in den Bezirken Halle und Magdeburg.Münster 2003, S. 217–251, hier S. 227.11/ Kühnau: Herbert Grötzsch, S. 141.12/ Vgl. Berg, Wieland u.a. (Hg.): Vorträge undAbhandlungen zur Wissenschaftsgeschichte1999/2000. Acta Historica Leopoldina <strong>Nr</strong>. 36,Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina.Halle (Saale) 2000, S. 101–110.13/ Vgl. Rupieper: Der 17. Juni 1953, S. 415.14/ Vgl. Handakte Leo Stern.15/ Brentjes, Burchard: As I seem to remember!,in: hochschule ost, <strong>Nr</strong>. 3/1996, S. 71–82.16/ Vgl. Parthier, Benno: Die Leopoldina. Bestandund Wandel der ältesten deutschen Akademie.Festschrift zum 300. Jahrestag derGründung der heutigen Martin-Luther-UniversitätHalle Wittenberg. Deutsche Akademie derNaturforscher Leopoldina. Halle (Saale) 1994,S. 71, sowie Parthier, Benno: Kurt Mothes(1900–1983). Acta Historica Leopoldina <strong>Nr</strong>. 37,Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina.Halle (Saale) 2001, S. 64 und Rupieper,Hermann-Josef: „... das Amt verlangt doch vielan Pflichten und Arbeit, und man wird an seinenVorgängern gemessen“. Der XXIII. PräsidentHeinz Bethge von 1974 bis 1990, in:Parthier/Engelhardt (Hg.): 350 Jahre Leopol -dina, S. 327–351, hier S. 346.17/ Berg u.a. (Hg.): Acta <strong>Nr</strong>. 36, Diskussion,S. 46.18/ Sabrow: Diktat, S. 160–169.19/ Kain, Franz: Auf dem Taubenmarkt. Weitra1991, S. 317.Zwei Neuerscheinungenüber Ernst BuschWessen Welt ist die Welt? ErnstBusch im 21. Jahrhundert, hg. vonder Ernst Busch <strong>Gesellschaft</strong>. Berlin:editionbodoni2012,223 S., 8,–ErnstBusch,legendärerSchauspielerund Sänger,hatsich mitseiner Kunst für eine neue, mensch -liche Welt eingesetzt, gestritten undgelitten. Wie stehen wir Heutigen zudiesem Erbe? Gemeinsam mit deredition bodoni legt die Ernst Busch<strong>Gesellschaft</strong> ein Echo von Nach -geborenen vor und stellt sich derAuseinandersetzung mit der Wirksamkeitdes Künstlers im 21. Jahrhundert.Der Band dokumentiert dieErnst Busch Tage 2010 in Berlin inWort und Bild. Darüber hinaus werdenneue Erkundungen, Ereignisseund Forschungen zu Ernst Busch undseinem Nachleben in unserem Jahrhundertvorgestellt. Buschs Auftrittein Wien sind Gegenstand einer detailliertenRecherche. Das Buch istNachklang und Anregung zugleich.Ernst Buschs künstlerisches und politischesWirken bleibt im 21. Jahrhundertaktuell. Bei der Suche nach Antwortenauf die Fragen unserer Zeitwird das Vermächtnis dieses großenpolitischen Künstlers gebraucht.Bezugsmöglichkeit: ernst-buschgesellschaft@ernst-busch.net»Lieber Ernesto, lass Dich um -armen«. Die Korrespondenz zwischenHeinar Kipphardt und ErnstBusch, hg. von Carola Schramm undJürgen Elsner. Hannover: WehrhahnVerlag 2012, 220 S., 20,60–Weit über einhundert Schriftzeugnisse,die hier größtenteils erstm<strong>als</strong> veröffentlichtwerden, dokumentierenden Austausch zwischen Ernst Buschund dem Schriftsteller und DramaturgenHeinar Kipphardt.


Beiträge 21Franz Marek (1913–1979)Im April dieses Jahres jährte sich FranzMareks Geburtstag zum hundertstenMal. Jüngere Jahrgänge, die nach 1969in die KPÖ eingetreten sind, sind mitdiesem ehem<strong>als</strong> führenden Kommunis -ten und kommunistischen Intellektuellennicht mehr in Berührung gekommen. Erwurde im Zuge der fraktionellen Auseinandersetzungwährend derKrise der KPÖ nach der Niederschlagungdes „PragerFrühlings“ und der Rücknahmeder Kritik am Einmarschder Warschauer Paktstaatenin die CSSR, wie viele anderenamhafte FunktionärInnen,aus der KPÖ ausgeschlossenbzw. hinaus -gedrängt, seine Biographie,weil „Dissident“ und <strong>als</strong> „Revisionist“abgestempelt, demVergessen anheimgestellt.Franz Marek gehörte zwischen1946 und 1969 derParteiführung der KPÖ anund leitete in dieser Zeit dastheoretische Organ der ParteiWeg und Ziel. Nach dem Bruch in derKPÖ und seinem Ausschluss übernahm erdas ehemalige Intellektuellenblatt derKPÖ Wiener Tagebuch, das zu dieser Zeitbereits von einem selbstständigen Vereinherausgegeben wurde, und führte es biszu seinem frühen Tod 1979 <strong>als</strong> unabhängigeslinkes Monatsmagazin weiter.Marek verbrachte seine Jugend unterärmlichsten Verhältnissen <strong>als</strong> EphraimFeuerlicht im jüdischen proletarischenMilieu des damaligen Wien. 1934 trat erzusammen mit Jura Soyfer, mit dem ereng befreundet war, in die KPÖ ein. Seit1935 war er Berufsrevolutionär, <strong>als</strong> erden dam<strong>als</strong> illegalen Apparat der KPÖübernahm. Ab 1936 leitete Marek dieillegale Agitation der Partei. Nach demEinmarsch der Hitlertruppen in Österreichmusste er emigrieren und ging mitdem KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenignach Paris, wo er das Büro der Parteileitete und mit Erwin Zucker-Schillingdie Nouvelles d’Autriche herausgab. AbJänner 1942 wirkte Marek illegal in Parisund verantwortete einen Frontabschnittder französischen Résistance. Über dieseZeit schreibt Marek in seinen bisher unveröffentlichtenErinnerungen, die imDÖW aufliegen: „Heute scheint es mirgewiss, […] daß die Jahre der Illegalitätdie glücklichste Zeit meines Lebens war.Ich dachte oft an die prominenten deutschenKommunisten, […] die ich 1940 inSüdfrankreich getroffen hatte, auf derFlucht nach Lateinamerika, um sich ,aufzuheben‘.Wofür? Wozu leben sie eigentlich,fragte ich mich. Und was ist dasfür eine internationale Solidarität, die dieFranzosen allein bluten läßt? Auch ichhatte ein kubanisches Visum, von meinerSchwester Netti unter schweren Opferngekauft – aber ich dachte nicht daran, davonGebrauch zu machen. Glück undstrengste Konspiration haben dazu geführt,daß diese glücklichsten Jahre derIllegalität recht viele wurden, ich derlängste ,Illegale‘ Österreichs bin – immerhin6–7 Jahre, nur kurz unterbrochen,auch im europäischen Maßstab eine,Spitzenleistung‘ – ein ,Spitzenglück‘.“Am 11. August 1944 wurdeMarek von der Gestapo doch noch verhaftetund landete in einer Todeszelle,der er durch die Befreiung von Paris eineWoche später nur knapp entkam.Eric Hobsbawm schrieb in seiner Autobiographie„Gefährliche Zeiten“ überFranz Marek: „Wenn ich 1956 nicht ausder Partei austrat, dann hing das nicht zuletztdamit zusammen, daß die Bewegungsolche Männer und Frauen hervorgebrachthatte. Ich denke dabei hauptsächlichan einen Menschen, der zu Lebzeitenkaum Bekanntheit erlangte und heute nurnoch Genossen und Freunden erinnerlichist. Ich sehe ihn noch vor mir, klein,scharfäugig, spöttisch […] es gibt wahrscheinlichkeinen, für den ich mehr Bewunderungempfinde <strong>als</strong> für diesen Mann[…]. Ein Mann von seiner starken Intelligenzund bemerkenswerten Gelehrsamkeithätte ein Denker, Schriftsteller oderein hervorragender Hochschullehrer werdenkönnen. Er hatte es jedoch vorgezogen,die Welt nicht zu interpretieren, sondernzu verändern. Hätte er in einemgrößeren Land und zu einer anderen Zeitgelebt, dann wäre aus ihm vielleicht einebedeutende Persönlichkeit in einem Kommunismusmit menschlichem Antlitz geworden[…]. Auf seine Weise war er einHeld unserer Zeit, die eineschlechte Zeit war und ist.“Marek selbst schätzte sichetwas bescheidener ein. Inden schon erwähnten Erinnerungensagt er von sich,dass er „in Fragen des Marxismuskeine große Schuhnummer“gewesen sei, dasser nur die „Präpotenz derStalinzeit variiert“ habe.„Die Begrenztheit meinerBegabung war wohl mit einGrund, warum ich in derStalinzeit glänzen konnte[…] gewisse Schranken derGedankenarbeit warenideale Bedingungen für dieAnfälligkeit gegenüber demStalinmythos.“Auch für Marek bildete der 20. Parteitagder KPdSU 1956 einen Wendepunkt.In der KPÖ wurden Grundfragen derkommunistischen Bewegung und ihrerTheorie, wie sie in der Weltbewegungnach dem Stalinismus immer schärferdiskutiert wurden, aber nur mit angezogenerBremse und dann mit spitzen Fingernangegangen. Diskussionen in Wegund Ziel oder im Tagebuch erreichten einennur verhältnismäßig kleinen Kreisvon Funktionären und Mitgliedern oderwurden für andere Auseinandersetzungeninstrumentalisiert. Später machteman der Parteiführung den Vorwurf,über schon lange bestehende Differenzenin ihrem Kreis die Masse der Mitgliedernicht informiert zu haben.Jedenfalls war Marek federführend inder Entwicklung einer politischen Konzeption,die am 19. Parteitag der KPÖ1965 beschlossen wurde und <strong>als</strong> „Prä-eurokommunismus“ bezeichnet werdenkann. Der Kernsatz dieser Plattform lautete,daß „die Bereitschaft der arbeitendenMenschen, die Orientierung auf den friedlichenWeg zum Sozialismus zu akzeptieren,weitgehend von der Überzeugung“abhänge, „daß die sozialistische Revolu -tion zu den bestehenden demokratischenFreiheiten und Errungenschaften neue fürsie hinzufügt, ohne die erkämpften und er-2/13


22 Beiträgeworbenen demokratischen Freiheiten undErrungenschaften, ohne die bestehendenpersönlichen Freizügigkeiten aufzu -heben.“ In der Resolution des 18. Parteitags(1961) hatte es noch geheißen, „fürden Sozialismus und einen Weg zumSozialismus kämpfen –, das heißt, diegroßartigen Errungenschaften des Sozialismuspropagieren, seine Überlegenheitauf wirtschaftlichem und kulturellen Gebietund die sozialistische Demokratie <strong>als</strong>eine höhere Demokratie nachweisen“. DieAkzentverschiebung ist offensichtlich.Später wertete Marek den 19. Parteitag <strong>als</strong>„trügerisch und verspätet“.Marek orientierte sich immer wenigeram „offiziellen“ Marxismus-Leninismus,sondern an den Diskussionen und derEntwicklung in den westeuropäischenKommunistischen Parteien, insbesondereder italienischen KP, zu der er enge Beziehungenpflegte. 1951 kam er erstm<strong>als</strong>,nach seinen eigenen Erinnerungen, beieinem längeren Spit<strong>als</strong>aufenthalt nach einemAutounfall in Italien, mit dem WerkAntonio Gramscis in Berührung. Allerdingserschien sein erster ausführlicherArtikel, in dem er Gramscis Gedankenweltdarstellte, erst 1966 in Weg und Ziel.Bis dahin galt Gramsci vor allem <strong>als</strong> Heldund Märtyrer der kommunistischenBewegung, Gedenkartikel beschränktensich auf biographische Angaben und dieWürdigung seiner Person und seines Wirkensfür die italienische Partei.Marek schrieb, warum Gramscis Werkbis dahin weitgehend unbekannt gebliebenwar: „In den sozialistischen Parteiennennt und kennt man ihn nicht, weil essich um den Gründer und Inspirator deritalienischen Kommunisten handelt, unddie Kommunisten außerhalb der Italienswissen […] recht wenig von den Auffassungenund Überlegungen Gramscis,weil er der geistige Führer der italienischenKommunisten war, denen dieFührung der Kommunistischen Internationaleschon bald nach der Gründungder Partei vorwarf, daß sie zu viel theoretisieren,wenn sie Politik machen. Undschon der erste Kontakt mit den GedankengängenGramscis bestätigt, daß dieseauf keinen Fall von der kommunis -tischen Bewegung in der Stalinzeit absorbierthätte werden können.“Immerhin ist zu registrieren, dass dieerste deutschsprachige Auswahl aus den„Gefängnisheften“ unter dem Titel „Philosophieder Praxis“ erst 1967 und da ineinem nichtkommunistischen Verlagherauskam. Marek war einer der Ersten,wenn nicht der Erste, der Gramsci in dietheoretische marxistische Diskussion im2/13deutschsprachigen Raum einführte. Darinbesteht auch seine Bedeutung über dasWirken in der kleinen KPÖ hinaus. NachMareks Entfernung aus der KPÖ verschwandauch Gramsci bis 1981 aus demtheoretischen Horizont der KPÖ.Da Marek sich weigerte, die Resolutiondes 18. Parteitags in Weg und Ziel zuveröffentlichen, wurde er schon zu dieserZeit nach eigenen Angaben immerweniger für Referate in den Parteiorganisationeneingesetzt. Seine letzte Redevor größerem Publikum war die auf derletzten großen Kundgebung der KPÖ1964 auf dem Hauptplatz in WienerNeustadt zum hundertsten Jahrestag derGründung der Ersten Internationale mitetwa 5.000 Teilnehmern.Marek teilte die Illusion, die KPÖkönnte durch die Wahlempfehlung, diesie 1966 für die SPÖ abgegeben hatte,aus der Isolation heraustreten und bezeichnetesie in seinen Erinnerungen <strong>als</strong>„elastischere Variante“. So schrieb etwaErwin Scharf zu dieser Entscheidung(Weg und Ziel, <strong>Nr</strong>. 2/1966), dass es dieKPÖ damit verstanden hätte, <strong>als</strong> politischerFaktor auf die Kräftesituation gegenüberden „Rechtsextremen“ einzuwirken.Gemeint waren die ÖVP-PolitikerKlaus und Withalm. 1966 soll esauch zu Kontakten zu Rudi Dutschke gekommensein, die aber in Mareks Erinnerungenkeine Erwähnung finden.Obwohl Marek sich selbst eher <strong>als</strong> Artikelschreibereinstufte, liegen doch einigeBücher vor. 1947 erschien „Frankreich– von der dritten zur vierten Republik“,1966 „Philosophie der Weltrevolution“und 1969 und 1970 teilweise zusammenmit Ernst Fischer „Was Marxwirklich sagte“ und „Was Lenin wirklichsagte“, Bücher, mit denen das im Zugeder Studentenbewegung neu erwachteInteresse an den marxistischen Klassikerngefördert werden sollte und die inmehreren Sprachen übersetzt und Auf -lagen herauskamen. In der KPÖ wurdendie Bücher z.T. angegriffen, weil sie einevon dogmatischen Verkrustungen undVerkürzungen befreite Sichtweise aufMarx und Lenin versuchten. Marek sympathisiertemit der Studentenbewegungund versuchte ihre Intentionen in derPartei zu vermitteln. Er warnte aber auchdavor, aus der (sozialdemokratischen)Erstarrung der Arbeiterbewegung denSchluss zu ziehen, diese gänzlich abzuschreiben,wie das vielfach unter denAntiautoritären der 68er der Fall war.In einem seiner letzten Artikel in Wegund Ziel, in dem er sich mit dem der„Struktur des Stalinmythos“ befasste(<strong>Nr</strong>. 11/1968), kam der „Marxismus-Leninismus“ nur unter Gänsefüßchenvor, was ihm eine Gänsefüßchendiskussioneinbrachte. In der Sache bezeichneteer den „Marxismus-Leninismus“ derStalinzeit <strong>als</strong> „wissenschaftliche Verbrämungdes Stalin-Mythos“ und „Pragmatismus,der die jeweilige Staatsraison, obsie nun räsonabel war oder nicht, <strong>als</strong> unabdingbareWahrheit und Erkenntnis des,Marxismus-Leninismus‘ proklamierte.[…] Kein Wunder, daß es später auchdeshalb zu ideologischen Auseinandersetzungenkommen mußte, weil es bereitsviele sozialistische Staaten gab, vonSchülern Stalins geführt, mit unterschiedlichenStaatsraisons. […] Die notwendigeSolidarität der revolutionären Arbeiterbewegungmit dem ersten sozialistischenStaat war die Grundlage jenes Monoli -thismus, der zum Wesen des Stalin-Mythos gehörte und der sich umsounerbitt licher gebärdete, je näher die Trägerder Zweifel und der Bedenken standen.“Und schließlich: „Die jeweiligeEntscheidung wurde so sehr mit dem allgemeinenBewegungsgesetz der geschichtlichenEntwicklung identifiziert,daß sich jeder Zweifler und Kritiker vonvornherein der lächerlichen Rolle bewußtsein mußte, der Geschichte ehernem Mußentgegenzuwirken. Er wurde so ein Gesetzesbrecherim doppelten Sinn des Wortes,das eine Mal lächerlich, das andereMal verbrecherisch.“ Aber auch Mareks„Gewissenserforschung“ ergab „keine andereAlternative, die sie [die Kommunis -ten, Anm.] dam<strong>als</strong> hätten wählen sollen“.Am 20. Parteitag der KPÖ im Jänner1969 wurden Marek sowie drei andereExponenten in der ersten Abstimmungaus dem Zentralkomitee hinaus gewählt.In der Begründung des AusschlussesMareks aus der KPÖ vom 25.11.1970heißt es u.a.: „Die Schiedskommissionhat sich mit der Entwicklung, die GenosseFranz Marek in den letzten Jahren genommenhat, sehr ernst und gründlichbeschäftigt und ist zu dem Schluß gekommen,daß sich Franz Marek immerweiter von den Grundsätzen unserer Partei,den Normen einer KommunistischenPartei, sowie des proletarischen Internationalismus,der positiven Einstellungzur Sowjetunion und den sozialistischenStaaten entfernt hat. / Franz Marek hatalle Anstrengungen unternommen, umVerwirrung in unseren Reihen entstehenzu lassen und so die Arbeit der Aktivis -ten, vor allem in der Durchführung vonAktionen, selbst vor entscheidendenWahlen, zu erschweren [...].“Michael graBer


Beiträge 23Karl Rankl <strong>als</strong> österreichischer „Musikbolschewist“Zwei Jahre hindurch, von Februar1931 bis Februar 1933, wurde inBerlin die Zeitschrift Kampfmusik. Organder revolutionären Arbeitersängerund -musiker Deutschlands publiziert,Redaktion und Zentralversand waren imVerlag für Arbeiterkultur Berlin C. 25,Münzstraße 24 erreichbar. Die Zeitschriftist in der Staatsbibliothek Berlin und inder Deutschen Nationalbibliothek überliefert,Mikrofilme besitzt die UniversitätsbibliothekOldenburg, solche werden überFernleihe freundlicherweise entlehnt.„Arbeiter-Sänger an die Front“ ist derEröffnungsartikel von Hermann Duncker(1874–1960), der, ein Absolvent desKonservatoriums in Leipzig, zu den Begründernder Kommunistischen ParteiDeutschlands (KPD) gehört. In Zeitendes Verbots und der Verfolgung politischerArbeiterorganisationen sei nichtzuletzt der Arbeitergesangsverein dieZuflucht der politisch aktivsten Kräfteim erwachenden Proletariat geworden.Dann hätte man außerhalb des Klassenkampfesmusiziert, jetzt aber müssten dieArbeitersänger aus ihren Laubengartenund Träumen in die revolutionäre Arbeiterbewegunghineinkommen. Inspiriertwurde die deutschsprachige revolutionäreArbeitermusikbewegung von HannsEisler (1898–1962). Sein Prinzip war,moderne künstlerisch-technische Mittelim Klassenkampf einzusetzen. Eisler warnicht nur Komponist von Kampfliedern,sondern selbst auch Kämpfer. GeorgKnepler (1906–2003), weltweit geachtetermarxistischer Denker und Musikwissenschaftleraus Wien, erinnert sich, dassEisler bei seinen mehrfachen Besuchenin der Sowjetunion die sowjetischenArbeiterlieder kennen und schätzen gelernthabe. Insbesondere hätten Eisler dieLieder des früh verstorbenen AlexanderDawidenko (1899–1934) beeindruckt,„so gut könne, müsse volkstümlicheMusik sein“. 1 Georg Knepler hat nachseiner Übersiedlung nach Berlin im Winter1932/33 Eisler erstm<strong>als</strong> persönlichgetroffen, <strong>als</strong> er Helene Weigel (1900–1971) mit dem Klavier bei den „Wiegenliederneiner proletarischen Mutter“begleitet hatte. In Nummer 1 (Jänner)und 2 (Februar) des letzten Jahrgangs(1933) der Kampfmusik hat Knepler dieFrage „Einstimmiger oder mehrstimmigerChorgesang?“ im Zusammenhangmit der missverständlichen Parole „Singteinstimmige Lieder!“ aufgegriffen. 2Georg Knepler begründet, weshalb dieseKarl Rankl (1898–1968)Fragestellung f<strong>als</strong>ch sei: „Einstimmigerund mehrstimmiger Chorgesang! Wirkönnen unsere großen politischen undkulturpolitischen Aufgaben nur erfüllen,wenn wir uns keiner von den Entwicklungsmöglichkeitender Musik verschließenund alle ihre Formen in denDienst unserer Sache stellen“. 3 Es wardas schon in den Wochen der Errichtungder faschistischen Diktatur in Deutschlandmit ihren Massenverhaftungen vonArbeiterfunktionären.Hanns Eisler schreibt in Nummer 4 desersten Jahrgangs (Mai 1931) der Kampfmusiküber „Fortschritte in der Arbeitermusikbewegung“.Dort nennt er unter jenenSpezialisten, die aus dem bürger -lichen Lager zur revolutionären Arbeiterschaftübergegangen sind, ausdrücklichden Österreicher Karl Rankl (geborenin Gaaden bei Wien am 1. Oktober 1898,gestorben in Salzburg am 6. September1968). 4 Rankl, Kompositionsschüler vonArnold Schönberg (1874–1951) undAnton Webern (1883–1945), war überKönigsberg und Berlin 1931 auf Wunschdes Intendanten Max Bekker (1892–1937) <strong>als</strong> Hauptdirigent an das HessischeStaatstheater Wiesbaden gekommen undhat <strong>als</strong> eines der eingreifenden Mittel imKampf gegen die faschistische Gefahrdie politische Musik 5 gesehen. Die WiesbadenerStadtbourgeoisie hatte dam<strong>als</strong>vergeblich gegen die Ernennung mobilisiertund in der Wiesbadener Zeitung am29. Oktober 1931 darauf hinweisen lassen,dass Rankl in der kommunistischenWelt am Abend geschrieben habe: „Jedesöffentliche Hervortreten eines Arbeiterchorsmuß eine politische Kundgebungsein. Das Konzert muß verwandelt werdenin eine Propagandaveranstaltung fürden revolutionären Kampf.“ Bekker, der1933 in die USA emigrieren konnte, kalmierte,das sei keine politische Meinungsäußerunggewesen, sondern ebendie künstlerische Ansicht von KarlRankl. Nach der Machtergreifung derNazis musste Karl Rankl Wiesbadenfluchtartig verlassen, er wurde Opern -dirigent am Landestheater Graz (bis1937). Das ist überraschend, weil übereine Anfrage der Leitung des Kampfbundesfür deutsche Kultur, Abteilung Musik,in Wien durch ihre gerade in Weimarweilende Vorsitzende Annemarie Schneider-Longard,Ehefrau des in Wien tätigenExoffiziers, Musikwissenschaftlers undArtikelschreibers in den Programmheftender Wiener Philharmoniker ConstantinSchneider (1889–1945), 6 an die durch dieNazis eingesetzte Intendantur in Wies -baden hervorgeht, dass über Karl Ranklvon den österreichischen Nazis schonErkundigungen eingezogen wurden. 7Karl Rankl ging von Graz <strong>als</strong> Kapellmeisteran das Deutschen Theater in Prag,wo er die Weltpremiere des Bühnenwerkesmit Musik in zwei Teilen „Karl V.“von Ernst Krenek (1900–1991) betreute,das dieser selbst <strong>als</strong> „enorm schwierigesProjekt“ eingeschätzt hat. 8 Der deutscheFaschismus holte Rankl in Prag wiederein, Rankl konnte mit seiner Partnerinüber die Schweiz und auf dem formal notwendigenUmweg über Prag nach Englandfliehen (August 1939), von wo ausseine Weltkarriere, zuerst <strong>als</strong> Direktor desRoyal Opera House Covent Garden,begann. In Wiesbaden hat Karl Rankl,was in der Geschichte der österreichischenArbeiterbewegung so nicht bekanntzu sein scheint, 9 das Lied „Arbeiter derWelt erwacht!“ von Joe Hill (1882–1915)vertont. Ein volkstümliches Lied zur Erinnerungan den Gewerkschaftsorganisatorund Arbeitersänger Joe Hill, der von derUS-Reaktion unter f<strong>als</strong>cher Anschul -digung hingerichtet wurde, hat PaulRobeson (1898–1976) interpretiert.gerhard OBerKOflerarbeiter der Welt erwacht! (Joe hill).Musik von Karl rankl. Kampfmusik.Organ der revolutionären arbeitersängerund -musiker deutschlands.1. Jg., nr. 2, März 1931.1. Arbeiter der Welt erwachet! EureStunde ist gekommen! Was ihr schafft,2/13


24 Beiträgewird euch genommen von den großenSchweinen die ihr fett gemacht. Wollt ihreuch denn täglich schinden lassen, bis ihreuch die letzte Grube grabt? Oder mal dieBestie an der Kehle fassen, die ihr hungerndaufgepäppelt habt? Steh auf, Prolet,erwache! Du wirst ein Rotgardist! Duweißt, dass deine Sache der MenschheitSache ist! Schlag diese Welt in Scherben,an Hungersnot zu sterben, das ist ein langerKrampf, gar mancher mag kaputt gehen,doch alle müssen mitgehn – es istder letzte Kampf, es ist der letzte Kampf.2. Alle Eisen die du nietest, kannst duauch wie nichts zermalmen – nicht einSchornstein wird mehr qualmen, nichtein Rad mehr rollen, wenn du Halt gebietest.Fahren denn die vielen schönenSchiffe und die Eisenbahnen von allein?Kennst denn du wohl nicht am bestenalle Griffe, die man braucht, um Steuermannzu sein? [Refrain:] Steh auf, Pro-let, erwache! Du wirst ein Rotgardist! Duweißt, dass deine Sache der FreiheitSache ist! Schieß auf die Menschenschlächter!Die Luft wird nicht vielschlechter durch etwas Pulverdampf! Gar[manche] mag kaputt gehn, doch alle werdenmitgehn – es ist dein letzter Kampf!3. Nimm den Hebel in die Hand, klappertnichts in den Scharnieren? Rad und Kolbenfunktionieren? Dann gib Volldampf– das Signal ist dir bekannt! Vorne deineFlaggen rot wie Flammen, so zerstampfstdu Berge aus Beton, und die Welt derMenschenschlächter bricht zusammenwie ein alter Pappkarton. [Refrain:] Stehauf, Prolet, erwache! Du wirst ein Rotgardist!Du weißt, dass deine Sache derZukunft Sache ist! Steh nicht beiseit undharre! Noch raucht aus deiner Knarre derschöne blaue Dampf. Und wirst du auchkaputt gehen, und morgen nicht mehrmitgehn – es war dein bester Kampf!Anmerkungen:1/ Georg Knepler: Erinnerungen an Eisler, in:Georg Knepler: Gedanken über Musik. Reden,Versuche, Aufsätze, Kritiken. Berlin 1980,S. 46–56, hier S. 51.2/ Wiederabgedruckt in Knepler: Gedankenüber Musik, S. 116–121.3/ Ebd., S. 121.4/ Die Musik in Geschichte und Gegenwart(MGG), Personenteil, Bd. 13. Kassel u.a. 2005 2 ,Sp. 1270f. (Nicole Ristow); Walter Pass/GerhardScheit/Wilhelm Svoboda: Orpheus im Exil.Die Vertreibung der österreichischen Musik von1938 bis 1945. Wien 1995, S. 334.5/ Artikel „Politische Musik“ in: MGG, Sachteil,Bd. 7. Kassel u.a. 1997 2 , Sp. 1661–1682(Hanns-Werner Heister).6/ ÖBL 10 (1993), S. 373 (Th. Hochradner/H. Reitterer).7/ Frau Albina Mayer-Hungershausen vomHessischen Hauptstaatsarchiv hat freundlicherweisedie gegenständlichen Akten recherchiertund zur Verfügung gestellt!8/ Ernst Krenek: Im Atem der Zeit. Erinnerungenan die Moderne. Wien 2012, S. 1141.9/ In den im Wiener Stern-Verlag 1952 in vierHeften herausgegebenen Hundert Kampf- undVolksliedern kommt dieses Lied nicht vor: Heft2: Wenn wir schreiten Seit’ an Seit’. Arbeiterliedervon Gestern und Heute.NeuerscheinungMartin Krenn: „Drum schaff’ denSchädel mir, den braven...“ Derlange Weg des Haydn-Craniums vonWien nach Eisenstadt. Eisenstadt2012 (Burgenländische Forschungen,Bd. 104), 144 S., 18,–Nicht weniger<strong>als</strong> 140 Jahresollten vergehen,ehe dasCranium desKomponistenJoseph Haydnnach dessenTod 1809 mitseinen Gebeinenwiedervereinigt wurde. Ein Lehrstückin Bürokratie und Amts intrigeund eine „Gründungsgeschichte“ desBurgenlandes auf kulturpolitischemGebiet, die zum Kräfte messen zwischenStadt Wien, <strong>Gesellschaft</strong> derMusikfreunde, Land Burgenland unddem Adel in Gestalt des fürstlichenHauses Esterházy wurde.Bezugsmöglichkeit:ines.illedits@bgld.gv.at2/13


Rezensionen 25Karin Nusko/Ilse Korotin (Hg.): Im Alltagder Stahlzeit. 18 Jahre in der UdSSR.Lilli Beer-Jergitsch (1904–1988).Lebens erinnerungen. Wien: PraesensVerlag <strong>2013</strong> (biografia. Neue Ergebnisseder Frauenbiografieforschung, Bd. 11),219 S., 32,00–Die im Dokumentationsarchiv desösterreichischen Widerstandesaufbewahrten, in den 1970er Jahrenverfassten Erinnerungen der österreichischenKommunistin Lilli Beer-Jergitschan ihren achtzehnjährigen Aufenthalt inder UdSSR fanden bereits in zahlreichenwissenschaftlichen Arbeiten <strong>als</strong> zeit -geschichtliche Quelle Verwendung.Durch die Herausgabe des vollständigenManuskripts werden sie nun einem breiterenLeserInnenkreis zugänglich gemacht.In ihrem knappen Vorwort präsentiertsich die Berichterstatterin <strong>als</strong> Zeitzeugin,die von den dramatischen Ereignissen jenerÄra – gemeint sind die politischenMassenverfolgungen der 1930er Jahre –verschont geblieben ist. Das eigeneSchicksal wird von vornherein <strong>als</strong>unspektakulär dargestellt und <strong>als</strong> Teildes kollektiven Geschehens begriffen,dessen Überlieferung sich die Autorin inerster Linie zur Aufgabe macht.Die 1904 in eine sozialdemokratischeFamilie (ihre Eltern waren Mitbegründerder Grazer Kinderfreunde) geborene LilliJergitsch, Absolventin der Erzieherinnenschulein Wien-Schönbrunn, findet inden 1920er Jahren Anschluss an diekommunistische Bewegung. Arbeitslosgeworden und schwanger von einemMann, mit dem sie keine gemeinsameZukunft plant, richten sich ihre Hoffnungenauf den sowjetischen Arbeiterstaat,dessen Strahlkraft Ende der 1920er Jahreungebrochen ist. 1928, kurz vor derGeburt ihres Sohnes, bricht sie in dieUdSSR auf. Jergitsch arbeitet zunächst<strong>als</strong> Redakteurin deutschsprachiger Zeitschriftenin Pokrowsk (später Engels),der Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik,bevor sie – nach einem kurzenAufenthalt in Wien – sich 1930 in Mos -kau ansiedelt. Dort ist sie – oft gleichzeitig– <strong>als</strong> Übersetzerin, Maschinschreiberinund Bibliothekarin an wechselndenArbeitsplätzen beschäftigt, um schließlichin die Redaktion der Deutschen Zentral-Zeitung(DZZ), Organ der in derUdSSR lebenden Deutschen, einzutreten.Die dreieinhalb Jahre <strong>als</strong> Übersetzerinbei der Zeitung, die prominenteKünstler wie Lion Feuchtwanger, JohannesR. Becher oder Erich Weinert zuihren Gästen und Mitarbeitern zählt,werden zur prägendsten Periode ihresAufenthalts in der UdSSR. Nach demAusbruch des Krieges wird Jergitsch, inzwischenÜbersetzerin beim deutschsprachigenMoskauer Rundfunk, mit der Redaktionnach Swerdlowsk am Ural (heuteJekaterinburg) und schließlich nach Kujbyschew(heute Samara) an der Wolgaevakuiert, wo sie und ihr Sohn zwar vonden unmittelbaren Kriegshandlungen,nicht aber von Hunger und Krankheitverschont bleiben. Die Befreiung erlebtsie in Moskau. Im Juli 1946 kehrt sie mitihrem Sohn nach Österreich zurück.Detailliert schildert Beer-Jergitsch densowjetischen Alltag der späten 1920erund der 1930er Jahre, geprägt durch oftmangelhafte Lebensmittelversorgung,akute Wohnungsnot, Arbeitslosigkeitund berufliche Mehrfachbelastung, dieihren physischen Tribut fordert. Die Hingabean das kommunistische Ideal unddas vom Kollektivgeist bestimmte Alltagslebenlassen den harten Existenzkampfjedoch <strong>als</strong> zweitrangig erscheinen,fragwürdige politische Entscheidungenwerden unter der Prämisse, der Sachezu dienen, akzeptiert. Das Zusammenlebenauf engstem Raum im Mos -kauer Wohnhaus „Weltoktober“ erlaubtder Berichterstatterin einen genauen Einblickin das Milieu der politischen Emigrantenund Arbeitsmigranten verschiedensterNationalität, das sich vom abgeschlossenenMikrokosmos der Funktionärseliteim berühmten Hotel „Lux“deutlich unterscheidet. Diesen nicht prominentenEmigranten sind die zahlreichenbiografischen Einschübe im Textgewidmet. Jergitschs Status <strong>als</strong> allein erziehendeund berufstätige Mutter ist übrigensnicht ungewöhnlich in der durchKrieg, Bürgerkrieg und berufliche Mobilitätgekennzeichneten sowjetischen <strong>Gesellschaft</strong>,auch das Familien- und Eherechtwar bis 1936 fortschrittlich.Wie ein roter Faden zieht sich die steigendeBedrohung durch den stalinis -tischen Terror, der im Jahr 1938 seinenHöhepunkt erreichte und auch die ausländischenEmigranten und Facharbeiterin großem Stil erfasste, durch Beer-JergitschsErzählung. In dem paranoidenKlima der „Wachsamkeit“ gegenüber„Verrätern“, „Spionen“ und „Volksfeinden“,in dem jeder noch so banale Irrtum,jede noch so harmlose Bemerkungzur tödlichen Falle werden konnte, warman stets ängstlich auf der Hut vor möglichemFehlverhalten. Auch vor der Redaktionder DZZ machte die Repressionnicht halt. Dass sie selbst der Verhaftungentging, begründet Beer-Jergitsch mitder Auflösung ihres Angestelltenverhältnissesnach der Verhaftung ihres FreundesFranz Roscher, die sie hätte meldenmüssen, um sich nicht <strong>als</strong> Komplizinverdächtig zu machen, und dass sie daherunter den zur Verhaftung vorgesehenenPersonen nicht aufschien. Als puresGlück erwies sich auch das Nichtzustandekommeneiner Erzieherinnenstellebeim ehemaligen MinisterpräsidentenRykow, der ebenfalls in die Mühlen derVerfolgung geriet.Nüchtern im Stil, dabei mit großer Anteilnahme,dokumentiert Lilli Beer-Jergitschdas Schicksal der Opfer der „Säuberungen“,unter ihnen zahlreiche ihrerBekannten und engsten Freunde. Um nurein Beispiel herauszugreifen: Der IngenieurMarkus Spitz und die ErzieherinMia Heybey, die <strong>als</strong> überzeugte Kommunistengemeinsam in die Sowjetunionausgewandert waren, wurden im Mai1938 verhaftet. Heybeys „Vergehen“: siewar <strong>als</strong> Erzieherin im Haushalt des inUngnade gefallenen GPU-Chefs Jagodatätig gewesen und hatte es verabsäumt,diesen zu „entlarven“. Es folgte der Ausschlussaus der Kommunistischen Partei,ihr Mann wurde daraufhin von seinemPosten im Volkskommissariat fürSchwerindustrie entlassen. Nach derVerhaftung verliert sich seine Spur. MiaHeybey verbrachte acht Jahre beiSchwerstarbeit in einem Lager inKasachstan, anschließend verblieb siedort in Verbannung. Erst 1954 konnte sienach Österreich zurückkehren. Nach ihrerRehabilitierung suchte Mia Heybeybei den sowjetischen Behörden um eineEntschädigung an, die ihr jedochzunächst mit der Begründung verweigertwurde, dass das Paar formell nicht verheiratetwar – was bei der Verfolgungallerdings keine Rolle gespielt hatte.Die Chronik dieser Periode des„Schreckens“ ist ein bedrückendes Zeugnisder von Einschüchterung, Angst,Opportunismus und absurden Selbst -bezichtigungen geprägten Atmosphäre,beeindruckt aber auch durch Beispiele vonSolidarität und Resistenz, insbesondereunter den Frauen, deren Männer in denGefängnissen und Lagern verschwanden.Beer-Jergitschs Memoiren, die auchvon ihrer sprachlichen Qualität überzeugen,sind <strong>als</strong> bedeutende sozialgeschichtlicheQuelle zu sehen, die einen authen -tischen Einblick in den sowjetischen Alltagder späten 1920er bis 1940er Jahrevermittelt, wie auch in das oft zitierte„Exil der kleinen Leute“ (WolfgangBenz). Trotz der vielfach traumatischenErfahrungen fehlt ihrem Bericht selbst in2/13


26 Rezensionender kritischen Distanz der Rückschaujede Bitterkeit. Glaubhaft und nachvollziehbarvermittelt die Autorin ihre Begeis -terung für das gemeinschaftliche, von gegenseitigerSolidarität bestimmte Lebenim Sinn des kommunis tischen Ide<strong>als</strong>, das,mochte es von den Machthabern noch soentstellt werden, von den Menschen ander Basis <strong>als</strong> Auftrag und persönlichesBedürfnis wahrgenommen wurde.Im Anhang zum autobiografischenText veröffentlichen die Herausgeberinnenein von Lilli Beer-Jergitsch aufgezeichnetesGespräch mit LeopoldineMünichreiter, der Witwe des nach denFebruarkämpfen hingerichteten SchutzbündlersKarl Münichreiter, die mitUnterstützung der Roten Hilfe in die Sow -jetunion emigriert war. Kurzbiografienzu ausgewählten Persönlichkeiten undein Personenregister runden den Band ab.chriStine KanzlerHeimo Halbrainer/Michael Schiestl(Hg.): Adolfburg statt Judenburg. NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstandin der Region Aichfeld-Murboden. Graz:Clio 2011, 300 S., 20,–Werner Anzenberger/Christian Ehetreiber/HeimoHalbrainer (Hg.): Die Eisenstraße1938–1945. NS-Terror – Widerstand– Neues Erinnern. Heimo Halbrainer:Archiv der Namen. Ein papierenesDenkmal der NS-Opfer aus dem BezirkLeoben. Graz: Clio <strong>2013</strong>, 2 Bände imSchuber, 29,90–Als Ende des vergangenen Jahrzehntsüberlegt wurde, die vom VereinCLIO gestaltete, im damaligen StadtmuseumGraz gezeigte erfolgreiche Ausstellung„unsichtbar. NS-Herrschaft: Verfolgungund Widerstand in der Steier mark“ins Stadtmuseum Judenburg zu transferieren,wurde daraus letztlich nicht nureine nahezu neue Ausstellung, sondernauch ein Buch unter dem Titel „Adolfburgstatt Judenburg“. Der Titel verweistauf das Ansuchen des Amtsverwalters anden „Führer“ in den Tagen nach dem„Anschluss“, „diese altehrwürdige Bergstadt[…] von ihrem sie geradezuschmähenden Namen zu befreien“.Nachdem Einheimische eine Umbenennungin „Jubelburg“ oder „Adolfburg“gefordert hatten. Erstm<strong>als</strong> wird mit diesemWerk unter anderem nicht nur derProzess der systematischen Vertreibungund Beraubung der jüdischen Bevölkerungin dieser obersteirischen Industriestadtdokumentiert, sondern auch die antisemitischeVorgeschichte und schließlichdie Ermordung ungarisch-jüdischer2/13Zwangsarbeiter im April 1945 durchlokale Volkssturmmänner („Todesmarsch“).Die bis zu dieser Publikationnahezu unbekannten, erstm<strong>als</strong> fundiertbeschriebenen Umstände der Mord -aktion der Jahre 1940/41, die von derobersteirischen Landes-SiechenanstaltKnittelfeld ihren Ausgang nahmen, werdenbis zur gescheiterten Sühne nach1945 nachgezeichnet.Den Herausgebern Heimo Halbrainerund Michael Schiestl war es offenbarnicht nur daran gelegen, die verschiedenenFacetten der NS-Herrschaft und desWiderstands in dieser Region für einbreites Publikum verständlich darzustellen,sondern auch wesentliche Aspektedes Aufarbeitens und Erinnerns nach1945 nachvollziehbar zu machen (Justiz,britische Militärgerichtsbarkeit, Erinnerungszeichenim öffentlichen Raum).Den Abschluss des Bandes bilden <strong>als</strong>„papierenes Denkmal“ jene teilweise mitFotos und mehr oder weniger umfangreicheBiographien ergänzten Namen derbis zu diesem Zeitpunkt erforschbaren236 Opfer (des politischen Widerstandes,des Mauthausen-Außenlagers Bretstein,der Deserteure, der Jüdinnen undJuden, der ausländischen Zwangsarbeiter,sowie der NS-Euthanasie).Dem zweiten, im Jänner des heurigenJahres erschienenen und von Werner Anzenberger,Christian Ehetreiber und HeimoHalbrainer unter dem Titel „Die Eisenstraße1938–1945“ herausgegebenenBuch ging ebenfalls eine mehrjährigeVorgeschichte voraus. Nach der vonHeimo Halbrainer verantworteten Wanderausstellung„Zwischen den Fronten.Die Region Eisenerz von 1938–1945“der Arbeiterkammer-Volkshochschuleund der gleichnamigen Broschüre imJahr 2000 wurden zu Beginn dieses Jahrtausendsverschiedene regionale Initiativenzum Gedenken an den Todesmarschungarischer Jüdinnen und Juden überden Präbichl angestoßen. Die StadtEisenerz errichtete nach einem Ideenwettbewerbin mehreren Schulen 2004ein von Jugendlichen gestaltetes Denkmalam Präbichl, ein Lehrer eines Leo -bener Gymnasiums entwickelte mit seinenSchülerinnen und Schülern einTheaterstück, das unter dem Titel „Wenndie Steine weinen“ bei der Denkmal -enthüllung im Beisein von zwei Überlebendendes Todesmarsches aufgeführtwurde, das Grazer Schauspielhaus brachteunter dem Titel „Eisenerz-Protokolle“das nach 1945 am Grazer Landesgerichtabgeführte Strafverfahren gegen verantwortlicheTäter <strong>als</strong> „treffsichere und an-gemessene Skizze von Zeugen, Täternund Opfern“ (Der Standard) auf die Bühne;und bei CLIO erschien das inzwischenlängst vergriffene Buch „TodesmarschEisenstraße 1945. Terror, Handlungsspielräume,Erinnerung: MenschlichesHandeln unter Zwangsbedingungen“.Es wird häufig übersehen, dass insbesondereder Bezirk Leoben des obersteirischenIndustriegebietes ein für die Geschichtedes heutigen Österreich äußerstbedeutsames Gebiet darstellt. Dieskommt im nun erschienen Buch über dieRegion in mehrerlei Hinsicht zum Ausdruck.Hat es doch in diesem Raum zwar„nicht die einzige bewaffnete Widerstandsbewegungin Österreich (gegeben),sie war aber wohl die erstaunlichste,zumal sie unmittelbar aus der Bevölkerungheraus und weitgehend ohneäußere Initiation entstanden war und –was besonders hervorzuheben ist – nahezuvöllig isoliert und auf sich selbst gestelltoperierte.“ (Werner Anzenberger indem dieser Partisanengruppe gewidmetenKapitel). Und wenn sich der steirischeGauleiter Uiberreither am 2. Dezember1942 zu einem Fernschreiben anden Höheren SS- und Polizeiführer ErwinRösener veranlasst sieht, in dem esu.a. heißt: „[...] in der inneren Stadt Leo -ben (wurde) eine kommunistischeSchmieraktion durchgeführt. Beschmiertwurden das Landratsamt an 8 Stellen mitHammer und Sichel und einmal mit‚Nieder mit Hitler‘, das Haus, in dem dieSS-Standarte untergebracht ist und 3weitere Wohnhäuser mit Hammer undSichel, der Gehweg an drei Stellen mitHammer und Sichel oder ‚Heil Moskau‘.Eine Schmieraktion wie in Leoben istseit der Eingliederung der Ostmark imGau Steiermark noch nicht vorgekommen“,so weist dies ebenfalls auf die besondereStellung dieser Region hin.Erstm<strong>als</strong> umfassend dokumentiert wird(von Gerald Lamprecht) die Geschichtejüdischer Leobener im 19. und 20. Jahrhundert,so wie auch die justizielle Nachgeschichtedes NS-Regimes der Regionaufgearbeitet wird und in mehrerenKapiteln über die Erinnerungskultur unddie Problematik des Erinnerns fundierteBeiträge Berücksichtigung finden. Zusammenmit dem in einem gesondertenBand vorliegenden „Archiv der Namen“<strong>als</strong> umfangreichem „papierenen Denkmalder NS-Opfer aus dem BezirkLeoben“ liegt nun ein regionalgeschichtlichesHandbuch vor, das nicht nurwissenschaftliche Forschungslückenschließt, sondern in einer auch für Laienverständlichen Form neue Zugänge des


Rezensionen 27historischen und politischen Verständnisseseröffnet.Karl WiMMlerDomenico Losurdo: Stalin. Geschichteund Kritik einer schwarzen Legende.Köln: PappyRossa Verlag 2012, 451 S.,23,60–Viele der mit dem Namen Stalin verbundenenAuseinandersetzungensind für nicht wenige Sozialisten, Kommunistenund ihnen Nahestehenden bisheute mit weithin ungeklärten Fragenverbunden. Da verspricht es zumindestInteresse, wenn ein Buch eines nicht <strong>als</strong>Speichellecker des Kapitalismus vorbelastetenAutors Abhilfe verspricht. Undder italienische Philosoph und PublizistLosurdo liefert tatsächlich eine Reihevon Fakten und Argumentationen, diedie Dämonisierung Stalins insbesonderedurch Ideologen des westlichen Imperialismuszu erschüttern vermögen. Von einigenzutreffenden Argumenten gegendie insbesondere von Hanna Arendt entwickelteTotalitarismustheorie bis zurDemaskierung einer Reihe von westlichenPropagandalügen, die vor allem derscheinheiligen Tarnung der imperialistischenVerbrechen dienen, kann man Losurdoproblemlos folgen.Es ist hier nicht der Platz, alle Einzelheitenund manche allzu platte Stalin-Apologetik Losurdos unter die Lupe zunehmen. So scheint es beispielsweise der„Ehre“ zu viel für Stalins Nachfolger,wenn Losurdo sein Werk mit dem Kapitel„Wie man einen Gott in die Höllestürzt: Chruschtschows Geheimrede“ beginnt.Abgesehen davon, dass einer bereitsvergottet worden sein muss, wenner <strong>als</strong> „Gott in die Hölle gestürzt“ wird.Wo ihn so mancher seiner früheren Anhängerschon vor dieser Rede gelandetsah. Aber schon diese erste Fixierung Losurdosauf Chruschtschow rührt in ers terLinie daher, dass ihn Stalin nur insoweitinteressiert, <strong>als</strong> er <strong>als</strong> Wahrer und Mehrerdes „Reichs des Guten“ in Erscheinungtrat und wirkte. Die von Stalin durchgesetzteArt und Weise der wirtschaftlichenund gesellschaftlichen Entwicklung derSowjetunion will Losurdo <strong>als</strong> „einzigmögliche“, um den Aggressionen westlicherMächte samt dem nazideutschenUnterwerfungsversuch zu begegnen, gesehenwissen. Die sich auf Marx berufendeinternationale sozialistisch-kommunistischeBewegung, die drei Jahrzehntelang von Stalin dominiert wurde und sichauf ihn bezog, ist Losurdos Sache nicht,spielt in seiner Stalin-Apologie keineRolle. Noch weniger das Volk, die Völker.Es sind die „großen Männer“, die interessierenund die Geschichte machen.Wie Stalin. Deswegen hat Losurdo auchkeine Hemmungen, über manche sowjetischenUmstände Klartext zu reden:„Zweifellos hat das Konzentrationslager-Universum, das gleich nach der OktoberrevolutionForm anzunehmen begonnenhatte, […] eine furchterregende Ausdehnungerlebt.“ (S. 387) Die „1930er Jahre,die Jahre, in denen sich in der UdSSR derStalinsche Terror ausbreitet“ (S. 385);oder das Jahr 1939, „wo der Terror wüteteund der Gulag sich ungeheuerlich ausbreitete“(S. 81).Mindestens eine Hälfte des Bucheslang vergleicht er die Handlungen Stalinsmit jenen Roosevelts, Churchills undanderer Häupter der westlichen Imperienbis hin zu Bush jr. und fragt beispielsweise:„Sind die Anfänge Churchillswirklich erbaulicher <strong>als</strong> die Stalins?“(S. 317) Schon ein Duzend Jahre zuvorfragte er: „Auf Grund welcher Logikkann man <strong>als</strong>o behaupten, die VerbrechenLenins und Stalins seien schlimmer<strong>als</strong> jene“? (Flucht aus der Geschichte?Essen 2000) – Losurdo ist der Verteidigerdes „großen Staatsmanns“ Stalin, derdann sinnigerweise auch auf derselbenEbene zum Stehen kommt, wie die Führerdes Imperialismus. Und der „<strong>als</strong>Staatsmann“ eben so und nicht andershandeln musste. Mehr noch. Laut Losurdoseien alle Vorhaltungen, Stalin habesich von Marx entfernt, abwegig. Richtigsei vielmehr, der marxistische Kommunismushabe Stalins korrekten Wegbehindert: „Es gibt nicht Wenige“, soLosurdo, „die die Geschichte des aus derOktoberrevolution hervorgegangenenLandes <strong>als</strong> fortschreitenden ‚Verrat‘ anden von Marx und Engels ausgearbeitetenIdeen interpretieren und beklagen; inWahrheit sind es gewissermaßen geradediese ‚ursprünglichen‘ Ideen (die messianischeErwartung einer <strong>Gesellschaft</strong>ohne Staat und Rechtsnormen, ohne nationaleGrenzen, ohne Markt und ohneGeld, letztendlich ohne wirklichen Konflikt),die eine unglückselige Rolle gespielthaben, weil sie den Übergang zueinem Zustand der Normalität behindert[…] haben.“ (S. 404) Losurdo erinnertdamit frappant an jenen Historiker ausmeiner Studentenzeit an der Grazer Universität,der (einer der wenigen mit –bürgerlichem – Format), ebenfalls überden großen Staatsmann Stalin nichtskommen ließ (und seine innerparteilichenGegner geringschätzte). Dass dergreise Professor Alkoholiker war, machteihn mir sympathisch. Dass er Monarchistwar, auch irgendwie. Zur Entschlüsselungund Kritik der „schwarzenLegende“ eignete er sich nicht.Karl WiMMlerBruno Böröcz 70 JahreAm 8. April dieses Jahres feierteBruno Böröcz (Eisenstadt), langjährigesMitglied und Förderer der <strong>Alfred</strong><strong>Klahr</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, unter großerAnteilnahme seiner Freunde undpolitischen Weggefährten seinen70. Geburtstag.Geboren im Jahr 1943 im nordburgenländischenWinden am NeusiedlerSee <strong>als</strong> zweiter Sohn des späterenburgenländischen KPÖ-LandesobmannsVinzenz Böröcz, ist BrunoBöröcz seit seiner frühen Jugend politischaktiv – bereits 1950 sammelteer <strong>als</strong> dam<strong>als</strong> jüngster Friedensaktivistdes Landes Unterschriften fürden „Stockholmer Appell“ zur Ächtungdes von den USA initiierten nuklearenWettrüstens. Der unermüd -liche Antifaschist und kompromiss -lose Kämpfer für den gesellschaftlichenFortschritt und den Sozialismusist damit seit über sechs Jahrzehnteneine nicht wegzudenkende Stimme inden Reihen der österreichischen Arbeiterbewegung.Im Jahr 2010 wurdeer eingedenk seiner großen Verdienstezum Ehrenobmann des burgenländischenKZ-Verbandes gewählt.Weit über den Kreis seiner politischenMitstreiter hinaus ist BrunoBöröcz zudem <strong>als</strong> Vermittler, Auskunftspersonund großzügiger Unterstützerder Forschung zur burgenländischenZeitgeschichte bekannt. Danebenist er ein steter Mahner gegendas Vergessen: gegen das Vergessenjener Menschen, die ihr Leben fürdie Errichtung eines freien unddemokratischen Österreich geopferthaben, gegen die nur zu oft und zugern von offizieller Seite getätigteAusblendung des Beitrages der österreichischenund internationalenArbeiterbewegung an der Errichtungdieses freien Österreich, gegen dieVerklärung von ausgewiesenenFaschisten zu „Mitläufern“.Der Vorstand der <strong>Alfred</strong> <strong>Klahr</strong><strong>Gesellschaft</strong> gratuliert unserem MitgliedBruno Böröcz herzlich zu seinemrunden Geburtstag und wünschthiermit: ad multos annos, Bruno!2/13


28 Ankündigungen<strong>Alfred</strong> <strong>Klahr</strong> <strong>Gesellschaft</strong>Verein zur Erforschung der Geschichte der ArbeiterbewegungBuchpräsentationKarl Steinhardt:Lebenserinnerungeneines Wiener ArbeitersVortrag von Manfred Mugrauer(Herausgeber, <strong>Alfred</strong> <strong>Klahr</strong> <strong>Gesellschaft</strong>)Lesung: Irene FilipGespräch mit Ewa SteinhardtDienstag, 18. Juni <strong>2013</strong>, 19.00Kulturcafé 7SternSiebensterngasse 31, 1070 WienKarl Steinhardt: Lebenserinnerungen eines Wiener Arbeitershg. und eingeleitet von Manfred MugrauerWien: <strong>Alfred</strong> <strong>Klahr</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>2013</strong> (Biografische Texte zur Geschichteder österreichischen Arbeiterbewegung, Bd. 7)320 Seiten, mit 39 Abbildungen und Fotos, 15,– EuroIm Jänner <strong>2013</strong> jährte sich zum 50. Mal der Todestag von Karl Steinhardt(1875–1963), einer bedeutenden Persönlichkeit der österreichischen und internationalenArbeiterInnenbewegung. Als Buchdruckerlehrling gehörteSteinhardt zu den Pionieren der österreichischen ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung.Er war Teilnehmer an der ersten Maidemonstration inWien im Jahr 1890 und am großen Buchdruckerstreik des Jahres 1891. ImNovember 1918 war er einer der Mitbegründer der Kommunistischen ParteiÖsterreichs. Nach der Befreiung Wiens im April 1945 amtierte er <strong>als</strong> WienerVizebürgermeister und Stadtrat für das Wohlfahrtswesen. International ist ervor allem durch sein Auftreten am Gründungskongress der KommunistischenInternationale im März 1919 in Moskau bekannt, <strong>als</strong> auf seinen Antrag hin dieKomintern ins Leben gerufen wurde. 1920 und 1921 war er Delegierter am2. und 3. Weltkongress und zwischendiesen beiden Kongressen<strong>als</strong> Parteienvertreter der KPÖ inMoskau auch Mitglied des Exe -kutivkomitees der Kommunis -tischen Internationale.Anlässlich seines 50. Todes -tages veröffentlicht die <strong>Alfred</strong><strong>Klahr</strong> <strong>Gesellschaft</strong> Steinhardts imJahr 1950 geschriebene „Lebens-erinnerungen eines Wiener Arbeiters“<strong>als</strong> Band 7 der Reihe „BiografischeTexte zur Geschichte derösterreichischen Arbeiterbewegung“.Ihnen vorangestellt ist eineinleitender biographischer Abrissvon Manfred Mugrauer.Bestellmöglichkeit:klahr.gesellschaft@aon.atMitteilungen deralfred <strong>Klahr</strong> geSellSchaftHerausgeber und Medieninhaber:ALFRED KLAHR GESELLSCHAFTPräsident: Dr. Walther LeebRedaktion und Grafik: Manfred MugrauerMitarbeiterInnen dieser Ausgabe: MichaelGraber, Christine Kanzler, Martin Krenn,Manfred Mugrauer, Gerhard Oberkofler,Manfred Stern, Karl WimmlerAdresse: Drechslergasse 42, 1140 WienTelefon: (+43–1) 982 10 86E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.atwww.klahrgesellschaft.atVertragsnummer: GZ 02 Z 030346 SP.b.b., Verlagspostamt 1140 WienAKG-SpendenkontoPSK 92023930, BLZ 60000IBAN: AT 6660 0000 0092 0239 30BIC: OPSKATWWKarl Flanner (1920–<strong>2013</strong>)Die <strong>Alfred</strong> <strong>Klahr</strong> <strong>Gesellschaft</strong> trauertum ihr langjähriges MitgliedKarl Flanner, der am 2. Juni verstorbenist. Flanner war seit seinerJugend in der ArbeiterInnenbewegungaktiv. Sechs Jahre lang war erin den Konzentrationslagern Dachauund Buchenwald inhaftiert. AlsFunktionär der KPÖ war er von1946–55 und 1960–71 Mitglied desWiener Neustädter Gemeinderates.Er war Gründer und langjährigerLeiter des Industrieviertel-Museums und Autor zahlreicherzeitgeschichtlicher Bücher.www.klahrgesellschaft.at– Sämtliche Beiträge aus den „Mitteilungen“1994–<strong>2013</strong> im Volltext.– Übersicht über aktuelle und bisherigeVeranstaltungen der AKG seit 1993.– Bibliographie zur Geschichte der KommunistischenPartei Österreichs.– Publikationen der ALFRED KLAHRGESELLSCHAFT und Bestellmöglichkeit.2/13

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