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ZUR FESTSCHRIFT FÜR HANS-HEINER KÜHNE AUFSÄTZE ... - ZIS

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Robert Esser_____________________________________________________________________________________Für die Genehmigung der parallelen Veröffentlichung derdrei Beiträge von Wolfgang Mitsch, Anna Oehmichen undHans Theile in der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik(<strong>ZIS</strong>) ist Frau Alexandra Burrer vom C.F. MüllerVerlag nachdrücklich zu danken.Prof. Dr. Robert Esser, PassauInhaltsübersicht der FestschriftI. Strafrecht – Allgemeiner TeilChristian JägerStrafrecht zwischen virtueller und realer Gewalt. Zugleicheine Besprechung des BGH-Beschlusses vom 22.3.2012 (FallWinnenden)Kristian KühlDas Unrecht als Kern der StraftatWolfgang MitschNichts ging los im „Münzhändler-Fall“ 5Franz StrengHemmschwellentheorie, Vorsatz und SchuldfähigkeitII. Strafrecht – Besonderer TeilDieter AndersSpionage – Die neuen Köpfe der HydraBernd HeckerIst das Abnötigen der Dienstleistung einer Prostituierten keinErpressungsunrecht?Eric HilgendorfKäufliche Liebe in Deutschland heute. Vom sittenwidrigenGewerbe zum (fast) normalen BerufMatthias JahnNächste Fortsetzungslieferung für den Vortatenkatalog? ZurErweiterung des Einzugsbereichs des Geldwäschetatbestands(§ 261 StGB) auf banden- und gewerbsmäßige DopingstraftatenCornelius PrittwitzBeschneidung männlicher Kinder als StrafrechtsproblemIII. StrafprozessrechtStephan BartonBeschlussverwerfung durch den Bundesgerichtshof – effektiverRechtsschutz?Axel BuchholzExperten – zugekaufte Kompetenz im JournalismusVolker ErbDie Beschlagnahme von Unterlagen bei Rechtsanwälten außerhalbeiner Vertrauensbeziehung zum BeschuldigtenÁkos FarkasGrundzüge des ungarischen Strafverfahrensrechts. Zu denRechten des Beschuldigten, des Verteidigers und des OpfersThomas FischerDie Deal-Entscheidung. Polemik über die rasselnden Federnder JustizWolfgang HeinzDie Staatsanwaltschaft. Eine Sanktionsinstanz mit zunehmendausgebauter, aber regional extrem ungleich gehandhabter undnicht hinreichend kontrollierter SanktionsmachtUwe HellmannAnfangsverdacht und Begründung der BeschuldigteneigenschaftHeike JungIn Defence of Lay ParticipationChristos MylonopoulosZur Möglichkeit einer theoretischen Begründung des plea bargainingBahri Öztürk/Özdem ÖzaydinDie Rechte des Verletzten im türkischen Strafverfahren unterBerücksichtigung der deutschen RechtslageKlaus RolinskiDer Grundsatz der Unmittelbarkeit: Garant der Wahrheitsfindung?Claus RoxinZur Reichweite von Verwertungsverboten bei Beeinträchtigungdes Aussageverweigerungsrechts und der VerteidigungBertram SchmittDas Zeugnisverweigerungsrecht des Angehörigen im Verfahrengegen mehrere BeschuldigteKurt SchmollerVerwertungsverbot infolge fehlerhafter Vernehmung – derösterreichische WegBernd SchünemannDie Allmacht des Tatrichters und die Einseitigkeit der Wahrheitsfindung.Erläutert am Beispiel eines Verbrechens amSeelenleben der Menschheit5 Parallelveröffentlichung in dieser Ausgabe: Mitsch, <strong>ZIS</strong>2013, 369._____________________________________________________________________________________366<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Festschrift für Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag am 21. August 2013_____________________________________________________________________________________Jürgen WolterStrafprozessuale Verwendungsverbote und Art. 1 Abs. 1GrundgesetzJiuan-Yih WuStrafprozessuale Telekommunikationsüberwachung in Taiwan.Das neue Gesetz über den Schutz und die Überwachung derKommunikation (GÜK) aus dem Jahr 2007Feridun YeniseyMediation und Verständigung im türkischen StrafverfahrenIV. Wirtschafts-, Medizin- und SteuerstrafrechtWolfgang HetzerGeldgauner zwischen Systemkriminalität und KriegsführungEgon MüllerDas Verbot der Mehrfachverteidigung und die Selbstanzeigegem. § 371 AOFrank SaligerHospitality und KorruptionPeter J. SchickDie körperliche Untersuchung als (straf-)prozessuale Maßnahme.Ein Abgrenzungsversuch zwischen Medizin- und StrafrechtHendrik SchneiderDie Dienstherrengenehmigung des § 331 Abs. 3 StGB. Bedeutungund Reichweite am Beispiel der Kooperation zwischenÄrzten und der Arzneimittel- bzw. MedizinprodukteindustrieHans TheileDie Herausbildung normativer Orientierungsmuster für InternalInvestigations. Am Beispiel selbstbelastender Aussagen 6V. Europäisches und Internationales Strafrecht, GrundundMenschenrechtsschutzKai AmbosDer Fall des Julian Assange: Europäischer Haftbefehl versusdiplomatisches AsylMartin BöseAusnahmen vom grenzüberschreitenden „Ne bis in idem“?Zur Fortgeltung der Vorbehalte nach Art. 55 SDÜDoris Brehmeier-MetzStaatsterrorismus vor dem ICTYRobert EsserZur Bestellung des Verteidigers im Ermittlungsverfahren.Plädoyer für eine Reform des § 141 Abs. 3 StPO im Lichteder EMRK und der EU-Richtlinie zum Recht auf RechtsbeistandMartin HegerDas europäische Doppelbestrafungsverbot aus Art. 50 GRCHans-Jürgen Kerner/Philipp A. Karnowski„Res Judicata“ und „Ne Bis in Idem“. Überlegungen zurRechtskraftdurchbrechung nach verfahrenserledigenden Entscheidungenin StrafsachenMichael KloepferGrundrechtsübermachtSusan NashBalancing Extradition and Human RightsAnna OehmichenSonderbares Recht am Sondergerichtshof für den Libanon:Die Entscheidungen zur Legalität und In Absentia 7Mark ZöllerDie Bedeutung staatlicher Schutzpflichten für das Recht aufLeben nach Art. 2 EMRKVI. Kriminologie, Jugendstrafrecht, StrafvollzugFrieder DünkelJugendgerichtsbarkeit im europäischen VergleichThomas FeltesFreie Bürger in sicheren Räumen? Zum Zusammenhang zwischenVerbrecherfreiheit und sozialem ZusammenhaltWalter GroppDie Strafbarkeit des Konsums von Kinder- und Jugendpornographie– Schutz der Person statt Schutz der sexuellen Selbstbestimmung.Kriminalpolitische Überlegungen eines Strafrechtsdogmatikersfür einen EmpirikerDaniel Joachim HussungSicherungsverwahrungArthur KreuzerZum Stand der Kriminologie in Deutschland. Eine besorgte,aber nicht resignative Bilanz6 Parallelveröffentlichung in dieser Ausgabe: Theile, <strong>ZIS</strong>7 Parallelveröffentlichung in dieser Ausgabe: Oehmichen, <strong>ZIS</strong>2013, 378.2013, 385._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com367


Robert Esser_____________________________________________________________________________________Klaus LaubenthalEntsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften der Strafprozessordnungim gerichtlichen Verfahren nach dem StrafvollzugsgesetzHans-Dieter SchwindTürken in Deutschland. Soziale Probleme – andiskutiert auskriminalpolitischer SichtHans-Ludwig ZachertPolizeibezogene kriminologische Forschung in Trier. Einigepersönliche ReminiszenzenVII. VariaMakoto IdaWissenschaftstransfer zwischen Deutschland und JapanVolker KreyZur strafprozessualen Folter. Rechtshistorische BetrachtungenHeinz Müller-DietzHeinrich von Kleist als „Kriminalberichterstatter“Philipp OstenThe Relationship between Legal Academia and the Judiciary.A Historical Review of the Japanese ExperienceFriedrich-Christian SchroederDie Haustyrannentötung im Justizkulturvergleich_____________________________________________________________________________________368<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Nichts ging los im „Münzhändler-Fall“Von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, PotsdamI. EinleitungWenn ich recht sehe, war Hans-Heiner Kühne der „schnellste“unter den zahlreichen Autoren, die mit Beiträgen in Fachzeitschriften,Festschriften, Kommentaren, Lehrbüchern und Monographienzu der kuriosen 1 „Münzhändler-Entscheidung“ desBundesgerichtshofs (BGHSt 40, 299) Stellung genommen haben.Das Urteil des 4. Strafsenates vom 25.10.1994 wurde1995 in Heft 2 der Neuen Juristischen Wochenschrift – alsoin der zweiten Januarwoche – erstmalig veröffentlicht. 2 InHeft 14 der NJW des Jahres 1995 – erschienen am 5.4.1995 –konnte man die erste Anmerkung aus der Strafrechtswissenschaftzu diesem Urteil lesen. 3 Verfasser war Hans-HeinerKühne. Es folgten in den nächsten Jahren unzählige weitereAufsätze, Entscheidungsbesprechungen und Entscheidungsanmerkungenanderer Autoren. Ich habe die Zahl der Textenicht verglichen mit der von Veröffentlichungen, die es zu anderenaufsehenerregenden BGH-Entscheidungen gibt, schätzeaber, dass BGHSt 40, 299 zu den zehn meistkommentiertenEntscheidungen gehört, die in der amtlichen Sammlung BGH-St veröffentlicht worden sind. 4 Kühnes Bemerkungen sindnicht nur die „frühesten“. Sie sind mit nur wenig mehr alseiner Spalte auf einer NJW-Seite auch die kürzesten, zugleichaber ungemein treffend, was wahrscheinlich gerade durchihre Knappheit zur Geltung gebracht wird. Klar erkannt hatKühne, dass der BGH „jenseits von dogmatischen Erwägungen“auf Biegen und Brechen (mit der „Brechstange“) dasErgebnis der Vorinstanz (LG Münster) – Strafbarkeit wegenversuchten mittäterschaftlichen Betruges – halten wollte undsich dazu einer „Begründung contra legem“ bediente. 5 Wieviele andere Autoren nach ihm hat Kühne den Fehlgebrauchder Rechtsfigur „untauglicher Versuch“ als einen entscheidendenGrund für die Fehlerhaftigkeit der ganzen Entscheidungsbegründungausgemacht. Der Angeklagte habe eine Beteiligungan der Tat eines anderen versucht. Dieser Beteiligungsversuchsei aber nicht strafbar, weil er nicht von § 30 Abs. 1StGB erfasst ist, so die zentrale Aussage von Kühne. In denspäter erschienenen Entscheidungsrezensionen, die zum gleichenErgebnis kommen, werden die dogmatischen Akzentezum Teil anders gesetzt. Einige Autoren stimmen dem BGHsogar zu und halten die Strafbarkeit des Angeklagten wegenversuchten mittäterschaftlichen Betrugs für die richtige strafrechtlicheBeurteilung des Falles. Insgesamt ist das aus vielen1 Treffend als „abenteuerlich“ wird der Fall bezeichnet vonErb, NStZ 1995, 424.2 BGH NJW 1995, 142.3 Kühne, NJW 1995, 934.4 Krack, ZStW 117 (2005), 555.5 Vgl. auch Krack, ZStW 117 (2005), 555 (564), der daskrampfhafte Bemühen von LG und BGH um eine Strafbarkeitsbegründungin der von ihm entschieden abgelehntenMünzhändler-Entscheidung für nachvollziehbar hält, weil derAngeklagte – anders als im „Türklingel-Fall“ (BGHSt 39,236) – nicht aus § 30 Abs. 2 StGB bestraft werden konnteund deshalb hätte freigesprochen werden müssen.Mosaiksteinchen zusammengesetzte Bild der strafrechtswissenschaftlichenEntscheidungskritik schillernd und – so meinpersönlicher Eindruck – einigermaßen verwirrend. Obwohleine deutliche Mehrzahl die Entscheidung als einen Fall unrichtigerStrafrechtsanwendung ablehnt, ist eine klare und einheitlicheArgumentationslinie der Kritiker nicht zu erkennen. 6Vor allem mangelt es an einer durchgreifenden Falsifikationder Texte, die dem BGH Rückhalt verschaffen und der Konstruktiondes mittäterschaftlichen Betrugsversuchs dogmatischeStimmigkeit attestieren. Daher soll hier vor dem Hintergrundder gesetzlichen Regelung in § 22 StGB und in § 25Abs. 2 StGB noch einmal die Frage aufgerollt werden, inwelchem Umfang das Fehlen von Strafbarkeitsvoraussetzungendurch die irrige Vorstellung eines Menschen kompensiertund Strafbarkeit begründet werden kann und welche Bedeutungdabei dem „untauglichen Versuch“ zukommt. Außerdemmöchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, die „Gesamtlösung“genannte Theorie der h.M., wonach das erste „unmittelbareAnsetzen“ eines Mittäters zugleich auch für alle anderen –zur mittäterschaftlichen Mitwirkung bereite – Tatgenossen denVersuchsbeginn markiert, einer kritischen Prüfung zu unterziehen.Am Ende wird eine erheblich reduzierte Strafbarkeitmittäterschaftlichen Versuchens stehen. Das ist in Zeiten beklagenswerterStrafrechtshypertrophie gewiss kein Ergebnis,das einen beunruhigen müsste.6 Dazu folgende willkürlich ausgewählte Beispiele: Ambos,in: Dölling/Duttge/Rössner (Hrsg.), Handkommentar, GesamtesStrafrecht, 3. Aufl. 2013, § 22 Rn. 35: „[…] das vermeintlicheAnsetzen kann die mittäterschaftliche Gesamttat nichtin das Versuchsstadium bringen, denn der bloße Glaube anein unmittelbares Ansetzen aufgrund eines gemeinsamen Tatplanskann dessen tatsächliches Vorliegen nicht ersetzen.“;Hoffmann-Holland, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl.2011, Rn. 647: „Da bei der vermeintlichen Mittäterschaft aberkein gemeinsamer Tatplan und damit auch kein gemeinsamerTatentschluss existiert, stellt die Handlung des vermeintlichenMittäters keine Betätigung des Tatentschlusses und daher auchkein unmittelbares Ansetzten dar.“; Joecks, Strafgesetzbuch,Studienkommentar, 10. Aufl. 2012, § 25 Rn. 81: „Auch wennman für den Versuchsbeginn bei der Mittäterschaft eine Gesamtlösungvertritt, kann auf das Erfordernis eines gemeinsamenTatplans nicht verzichtet werden. Überdies liegt auchin der Person des Münzhändlers kein Betrugsversuch vor.“;Kindhäuser, Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar,5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 41: „Auch der untaugliche Versuchverlangt nach h.M. ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung,woran es fehlt, wenn der Schein-Mittäter nur in derVorstellung des/der anderen mit der Tat beginnt.“; Kudlich/Schuhr,in: Satzger/Schmitt/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch,Kommentar, 2009, § 22 Rn. 52: „Zurechnung einesVerhaltens setzt immer die tatsächliche Möglichkeit einerEinflussnahme auf dieses Verhalten voraus. Daran aber fehltes bei der vermeintlichen Mittäterschaft.“_____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com369


Wolfgang Mitsch_____________________________________________________________________________________II. Die Münzhändler-EntscheidungIn dem der Entscheidung BGHSt 40, 299 zugrunde liegendenSachverhalt hatte der Angeklagte einem Münzhändler mitGewalt wertvolle Münzen weggenommen. Weil er aber vorder Tat von einem anderen Tatbeteiligten getäuscht wordenwar, glaubte er, der Münzhändler sei mit dieser Tat einverstanden.Aus diesem Grund beging der Angeklagte wederRaub noch Diebstahl, denn ihm fehlte der entsprechendeVorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. 7 Für die übereinstimmendenSchuldsprüche des LG Münster und des 4. Strafsenates desBGH ausschlaggebend war die Fehlvorstellung des Angeklagten,der Münzhändler mache mit ihm und den anderen Beteiligtengemeinsame Sache und wolle der Versicherung die mitseinem Einverständnis beiseite geschafften Münzen als gestohlenmelden. Auf diese Weise – so nahm der Angeklagtean – wolle sich der Münzhändler die Versicherungssummebetrügerisch erschleichen. Tatsächlich meldete der Münzhändlerseiner Versicherung wahrheitsgemäß den Verlust derversicherten Münzen infolge eines Raubüberfalls. Die Versicherungwurde also nicht betrogen, eine Strafbarkeit der ander Tat beteiligten Personen wegen vollendeten Betrugs warsomit nicht begründet. 8 Da objektiv niemand unmittelbar dazuansetzte, einen Betrug gegenüber der Versicherung zu begehen,9 wäre zu erwarten gewesen, dass die Gerichte auch eineStrafbarkeit wegen versuchten Betruges verneinen. Aber der4. Strafsenat des BGH fand dennoch eine Begründung, vonder er überzeugt war, dass sie eine Strafbarkeit des Angeklagtenwegen versuchten Betruges trägt. Das Fehlen eigenen unmittelbarenAnsetzens meint der BGH durch Zurechnung desunmittelbaren Ansetzens eines Mittäters – des Münzhändlers– ausgleichen zu können. Dass der Münzhändler mangels gemeinsamenTatenschlusses gar kein Mittäter war 10 und zudemebenfalls nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Betrugstatbestandesansetzte, 11 stört den Senat dabei nicht. 12Ausreichend sei nämlich, dass der Angeklagte glaubte, derMünzhändler sei sein Mittäter und setze tatplankonform unmittelbarzur Täuschung des Versicherungsunternehmens an.Es handele sich um einen untauglichen Versuch und deshalbkomme es allein auf die Vorstellung des Angeklagten von derTat an. 13 Und vorgestellt habe sich der Angeklagte, die Schadensmeldungdes Münzhändlers sei die Anmeldung einesfingierten Versicherungsfalles, also die Vorspiegelung nichtexistenter Tatsachen. Nach dieser Vorstellung habe jemand –7 BGHSt 40, 299 (300).8 BGHSt 40, 299 (301).9 Erb, NStZ 1995, 424 (426); Sonnen, JA 1995, 361 (362);Streng, ZStW 109 (1997), 862 (892); ders., in: Gössel/Triffterer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, 1999,S. 325 (S. 328).10 Streng, ZStW 109 (1997), 862 (891).11 Auch aus diesem Grund war der Versuch aus der Sicht desAngeklagten ein untauglicher und nicht nur – wie Ahrens, JA1996, 664 (666) meint –, weil zwischen Angeklagtem undMünzhändler keine mittäterschaftliche Verbindung bestand.12 Anders der 2. Strafsenat des BGH im „Türklingel-Fall“(BGHSt 39, 236 [238]).13 BGHSt 40, 299 (302).der Münzhändler – unmittelbar zur Verwirklichung des Betrugstatbestandesangesetzt. Ebenfalls nach der Vorstellungdes Angeklagten sei der Münzhändler ein Mittäter. Darausresultiere die Zurechnung des vorgestellten Münzhändlerverhaltens,mit dem die Schwelle zum strafbaren Versuch überschrittenworden sei.Dass dies letztendlich einen strafbaren Betrugsversuchdes Angeklagten begründe, stützt der BGH auf zwei dogmatischeAnnahmen, die mit dem Irrtum des Angeklagten nichtszu tun haben, also auch bei zutreffender Erfassung der Tatumständeentscheidungserheblich wären, ihrerseits aber durchausangreifbar sind. Der BGH hält die Mitwirkung an demÜberfall auf den Münzhändler für einen Tatbeitrag, der geeignetist, den Angeklagten zum Mittäter des Münzhändlersin Bezug auf den anschließenden Betrug gegenüber der Versicherungzu machen. 14 Dem kann mit guten Gründen entgegengehaltenwerden, dass die Beteiligung am Überfall im Vorfelddes Betrugs liegt und als bloße betrugsvorbereitendeHandlung lediglich Beihilfequalität haben kann. 15 Dann wäredas Verhalten des Angeklagten – wenn man die Konstruktiondes BGH im Übrigen akzeptiert – nur eine versuchte Beihilfezum Betrug, die nach geltendem Strafrecht (vgl. § 30 Abs. 1StGB) nicht strafbar ist. 16 Die zweite Prämisse, ohne die sichStrafbarkeit wegen Betrugsversuchs nicht postulieren ließe, istdie „Gesamtlösung“: Setzt ein Mittäter zur Tatbestandsverwirklichungunmittelbar an, dann gilt dies auch für die anderenBeteiligten – sofern sie Mittäter sind – als unmittelbaresAnsetzen. 17 Auf diese nicht nur vom BGH, sondern von derh.M. im Schrifttum anerkannte und favorisierte Theorie wirdunten (V.) noch einzugehen sein.III. Reaktionen des Schrifttums1. Verneinung der Strafbarkeit wegen versuchten BetrugesWie schon erwähnt, überwiegen im strafrechtlichen Schrifttumdie Stimmen, die Ergebnis und Begründung der Münzhändler-Entscheidung ablehnen. Das obenstehende Kurzreferat ausBGHSt 40, 299 zeigte, dass die Entscheidung mehrere Angriffsflächenbietet. Dementsprechend gibt es auch im Lagerder Entscheidungskritiker unterschiedliche Schwerpunktsetzungen.Häufig wird darauf hingewiesen, dass der auf Mitwirkungam Überfall auf den Münzhändler beschränkte Beitragdes Angeklagten zu dem Versuch gegenüber der Versicherungfür eine Mittäterschaft nicht ausreiche, sondern nur Beihilfecharakterhabe. 18 Wenn bereits aus diesem Grund eineStrafbarkeit wegen versuchten mittäterschaftlichen Betruges14 BGHSt 40, 299 (300).15 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 66.16 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, AllgemeinerTeil, 11. Aufl. 2003, § 26 Rn. 12.17 BGHSt 40, 299 (301).18 Joecks, wistra 1995, 58 (59); Krack, ZStW 117 (2005), 555(558); Küpper/Mosbacher, JuS 1995, 488 (490); Roßmüller/Rohrer, MDR 1996, 986 (988); a.A. auf der Grundlage dersubjektiven Teilnahmetheorie Weber, in: Eser (Hrsg.), Festschriftfür Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998,S. 435 (S. 447)._____________________________________________________________________________________370<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Nichts ging los im „Münzhändler-Fall“_____________________________________________________________________________________entfällt, ist die Fragwürdigkeit der auf die (Fehl-)Vorstellungdes Angeklagten bzgl. der vermeintlichen Mittäterversuchs desMünzhändlers gestützte Konstruktion des BGH nicht ausschlaggebend.Da aber dieser Aspekt gerade den besonderenReiz der Entscheidung ausmacht, stellen die meisten Autorenihre Bedenken bezüglich des eigenen Mittäterbeitrages desAngeklagten beiseite und setzen die Erörterung auf der Grundlageder Unterstellung, der Ausgangspunkt des BGH sei vertretbar,fort. 19 Im Mittelpunkt steht sodann die Frage, ob dieirrige Annahme des Angeklagten, der Münzhändler sei Mittäterund setze unmittelbar zur Verwirklichung des Betrugstatbestandesan, sowohl das Fehlen eines solchen Ansetzens beimMünzhändler als auch das Fehlen eines Ansetzens beim Angeklagtenselbst kompensieren kann.Eindeutig im Vordergrund der Abhandlungen steht der Gesichtspunktder Zurechnung mittäterschaftlichen Verhaltens. 20Da der BGH das Handeln des Münzhändlers trotz seinervollkommenen strafrechtlichen Neutralität als eine notwendigeVoraussetzung der Strafbarkeit des Angeklagten zu erachtenscheint, wird in den BGH-kritischen Texten überwiegenddargelegt, warum die Fehlvorstellung des Angeklagten ausdem Münzhändlerhandeln kein dem Angeklagten zurechenbaresunmittelbares Ansetzen machen kann. 21 Überwiegendsind die Ausführungen durch die Zugrundelegung der herrschenden„Gesamtlösung“ von vornherein auf eine Begründungder Strafbarkeit fixiert, in der das imaginierte unmittelbareAnsetzen des Münzhändlers unverzichtbares und ausschlaggebendesElement ist. 22 Da eine satisfaktionsfähige dogmatischeKonstruktion, in der der Münzhändler tatsächlicheine zumindest für Versuchsstrafbarkeit ausreichende Handlungmit der strafrechtlichen Qualität „unmittelbares Ansetzen“vollzieht, 23 nicht möglich ist, kommen sämtliche Arbeiten zurVerneinung eines mittäterschaftlichen Versuchs. Einige Autorenziehen daraus die Konsequenz, die Möglichkeit einer Strafbarkeitsbegründungins Auge zu fassen, in der die Mittäterschaftkeine Rolle spielt, es vielmehr das eigene Verhaltendes Angeklagten allein ist, welches die Voraussetzungen einesuntauglichen Betrugsversuchs erfüllt. 24 Innerhalb dieser19 Ahrens, JA 1996, 664 (665 Fn. 6); Joerden, JZ 1995, 735;Krack, ZStW 117 (2005), 555 (559); Küpper/Mosbacher, JuS1995, 488 (490); Roßmüller/Rohrer, MDR 1996, 986 (988);Zopfs, Jura 1996, 19 (20).20 Hillenkamp, in: Schünemann u.a. (Hrsg.), Festschrift fürClaus Roxin zum 70. Geburtstag am 15. Mai 2001, 2001,S. 689 (S. 709); Ingelfinger, JZ 1995, 704 (706).21 Erb, NStZ 1995, 424 (427); Graul, JR 1995, 427 (429);Ingelfinger, JZ 1995, 704 (714); Joerden, JZ 1995, 735 (736);Rath, JuS 1999, 140 (144).22 Erb, NStZ 1995, 424 (426); Ingelfinger, JZ 1995, 704 (713);Küpper/Mosbacher, JuS 1995, 488 (492); Rath, JuS 1999,140 (144); Zopfs, Jura 1996, 19 (20).23 Zutreffend weisen Roßmüller/Rohrer (MDR 1996, 986) daraufhin, dass es schon an einem Zurechnungsgegenstand fehlt.24 Beulke, Klausurenkurs im Strafrecht II, Ein Fall- und Repetitionsbuchfür Fortgeschrittene, 2. Aufl. 2010, Rn. 240; Joerden,JZ 1995, 735 (736); Prüßner, Die von mehreren versuchteTat, 2004, S. 187; Zopfs, Jura 1996, 19 (23).Gruppe kann noch einmal differenziert werden zwischenLösungsansätzen, die die Strafbarkeit des Angeklagten aufeigenes aktives Tun zu stützen 25 und solchen, die eine Strafbarkeitdes Angeklagten wegen Unterlassens für begründbarhalten. In der konkreten Konstellation des Münzhändler-Fallessei jedoch auch auf dieser dogmatischen Grundlage Strafbarkeitim Ergebnis nicht gegeben. 26 Dennoch nähern sichdiese Angehörigen des Lagers der „BGH-Gegner“ denjenigenam stärksten an, die der Beurteilung des Falles durch denBGH im Ergebnis und in der Begründung Richtigkeit attestieren.Einer Lösung über die Konstruktion eines Unterlassungsversuchshat sich Krack ausführlich gewidmet und auf dieserGrundlage im Ergebnis eine Strafbarkeit des Angeklagten bejaht.27 Dass er gleichwohl bis zuletzt „ein gewisses Unbehagen“gegenüber dieser Unterlassungskonstruktion nicht gänzlichabschütteln konnte, ist verständlich. 28 Denn trotz der schonerwähnten Menge von Stellungnahmen zum Münzhändler-Fallist Krack bislang der einzige geblieben, der die Idee einerStrafbarkeit wegen des Versuchs betrugstatbestandsmäßigenUnterlassens aufgegriffen und konsequent zu Ende gedachthat. Nicht thematisiert hat er allerdings die hoch umstritteneFrage, welche Beteiligtenrolle der Garant besetzt, dessen Unterlassen– wie im Münzhändler-Fall – in der Nichthinderungeines aktiv das Rechtsgut angreifenden Täters besteht. NachRoxin stellt die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahmebei Unterlassungen „das heute wohl noch ungeklärteste Gebietder Teilnahmelehre“ dar. 29 Eine beachtliche Gruppe indem vielfältigen Meinungsspektrum will dem Unterlassendeneine bloße Gehilfenrolle zuweisen, 30 damit nicht die Teilnahmelehrevom Unterlassungsdelikt her „aufgerollt“ werde. 31 ImVersuchsfall würde dies letztlich zur Straflosigkeit führen,weil die versuchte Beihilfe im deutschen Strafrecht generellstraflos ist. Für eine bloße Gehilfenrolle des Angeklagtenspricht auch der Umstand, dass er auf Grund seiner Mitwirkungan dem Überfall auf den Münzhändler nicht zum Beschützergarantengegenüber dem Vermögen des Versicherungsunternehmensgeworden ist. Die Untätigkeit des Überwachergarantenkann aber kein größeres Gewicht haben alssein eigener aktiver Tatbeitrag, den zu unterbinden er alsÜberwachergarant verpflichtet war. 32 Da dieser aktive Beitragnur Beihilfequalität hat, ist auch das garantenpflichtwidrige25 Joerden, JZ 1995, 735 (736); ebenso Graul, JR 1995, 427(428), die diese Erörterung an den Anfang stellt.26 Beulke (Fn. 24), Rn. 240.27 Eine generelle auf Unterlassen und Garantenstellung abstellende„Untätigkeitslösung“ bei der Mittäterschaft entwickeltGorka, Der Versuchsbeginn des Mittäters, 2000, S. 155 ff.28 Krack, ZStW 117 (2005), 555 (576).29 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. 2006, S. 757.30 So z.B. Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2012,§ 20 Rn. 230 m.w.N.31 Grünwald, GA 1959, 110 (114).32 Herzberg (Fn. 15), S. 97._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com371


Wolfgang Mitsch_____________________________________________________________________________________Unterlassen nicht mehr als eine Beihilfe zu der Tat des Münzhändlers.332. Bejahung der Strafbarkeit wegen versuchten BetrugesTrotz überwältigender Mehrheit der ablehnenden Stellungnehmerhat sich eine durchaus beachtliche Zahl der Befürworterhinter den BGH und seine Entscheidung im Münzhändler-Fallgestellt. Dabei wird das Fehlen aller Umstände,die eine reguläre Strafbarkeit wegen mittäterschaftlicher Tatbegründen würden, für unerheblich erklärt, weil es um einen(untauglichen) Versuch gehe und für dessen Strafbarkeit nurerforderlich sei, dass sich in der Vorstellung des zu Bestrafendendie vorhandenen und die fehlenden Umstände abbilden.Zu diesen Umständen gehörten auch die Tatsachen, die zwischenverschiedenen Personen eine mittäterschaftliche Verbindungund die wechselseitige Zurechnung von Handlungen begründen,durch die insgesamt die Voraussetzungen einer Straftaterfüllt werden. 34 Der Angeklagte habe sich alle tatsächlichenUmstände vorgestellt, bei deren wirklichem Vorliegender Münzhändler einen Betrugsversuch begangen hätte, welcherdem Angeklagten auf Grund Mittäterschaft gemäß § 25Abs. 2 StGB zuzurechnen wäre. 35IV. Eigene Lösung1. Zutreffender Ausgangspunkt des BGHSo sehr sich das Rechtsgefühl dagegen sträubt, der Argumentationdes BGH in der Münzhändler-Entscheidung zu folgen,so schwer fällt es indessen, den entscheidenden Fehler dieserArgumentation aufzudecken. Das ist m.E. den meisten die Entscheidungablehnenden Stellungnahmen nicht überzeugendgelungen. Denn in einem Punkt, den der BGH selbst als denausschlaggebenden anzusehen scheint, hat das Gericht zweifellosRecht: Die subjektive Versuchskonzeption des StGB 36und die Figur des untauglichen Versuchs machen es möglich,aus der Verbindung eines weit von der Tauglichkeit zur Tatbestandserfüllungentfernten – in dieser Hinsicht „abwegigen“– Sachverhalts und einer dies verkennenden Vorstellung desTäters von der Tat einen tatbestandsmäßigen und strafbarenVersuch zu machen. 37 Wie groß die Diskrepanz zwischentatbestandskongruenter Fehlvorstellung des Täters und tatbestandsinkompatiblerWirklichkeit sein kann, verdeutlicht § 23Abs. 3 StGB. Danach scheint jede beliebige Wirklichkeit tragfähigeGrundlage einer versuchten Straftat zu sein, sofern dieirrige Vorstellung des Täters dieser Wirklichkeit alle fehlendenElemente hinzufügt, derer es bedarf, um aus ihr eine tatbestandsmäßigeTat zu machen. Der neutrale Betrachter –also der Strafrechtsanwender –, der über das „unmittelbare33 Ebenso Streng (Fn. 9), S. 339; ebenfalls Unterlassungsstrafbarkeitablehnend Gorka (Fn. 27), S. 183.34 Weber (Fn. 18), S. 449.35 Buser, Zurechnungsfragen beim mittäterschaftlichen Versuch,1998, S. 135; Hauf, JA 1995, 776 (779); Heinrich, Strafrecht,Allgemeiner Teil, Bd. 1, 3. Aufl. 2012, Rn. 744.36 Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. 2011,§ 22 Rn. 11.37 Krack, ZStW 117 (2005), 555 (559).Ansetzen“ zu befinden hat, soll ja dieses entsprechend der„Vorstellung von der Tat“ (§ 22 StGB) korrigierte – undnicht das wahre – Wirklichkeitsbild seiner Beurteilung zugrundelegen. 38 Dies – und das ist die entscheidende Schlussfolgerungdes BGH – gelte auch für den Versuch, der nichtauf dem Verhalten eines Alleintäters beruht, sondern der sichaus mittäterschaftlichen Beiträgen verschiedener Beteiligterzusammensetzt. Im Münzhändler-Fall hat die Vorstellung desAngeklagten dem wirklichen Verhalten des Münzhändlers eineReihe von Umständen hinzugedichtet, 39 die den neutralen Beurteilerzwangsläufig dazu bringen, diesem Verhalten diestrafrechtliche Qualität „unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichungdes Betrugstatbestandes“ zu attestieren. 40 Wieso alsosoll das für eine Strafbarkeit wegen des untauglichen Versuchseines Betruges in Mittäterschaft nicht genügen? 41 Denn vordem Hintergrund der Vorstellung, die der Angeklagte von derTat hat, sieht der Betrachter einen mit dem Angeklagten kraftgemeinsamen mittäterschaftlichen Tatentschlusses verbundenenMünzhändler, der in betrügerischer Absicht dem Versicherungsunternehmeneinen Verlust meldet, der als auf einemRaubüberfall beruhend dargestellt wird, obwohl es weder einenRaubüberfall noch einen Verlust versicherter Wertgegenständeüberhaupt gegeben hat: 42 Daher fehlt es nicht an dervon Streng im „Münzhändler-Fall“ vermissten „Ausführungshandlung“.43 Das ist die Anmeldung des Versicherungsfalls38 Heckler, GA 1997, 72 (78).39 Erkannt wurde die „Kombination“ der Vorstellung des Angeklagtenmit dem Handeln des Münzhändlers von Roßmüller/Rohrer,MDR 1996, 986.40 Treffend Roßmüller/Rohrer, MDR 1996, 986 (987): Diesubjektive Sicht des Angeklagten soll die Schadensmeldungdes Münzhändlers in einen versuchsbegründenden Akt verwandeln.41 Auch Erb (NStZ 1995, 424 [427]) räumt ein, dass es bei„vordergründiger Betrachtung plausibel“ erscheine, dem Sachverhaltdie strafrechtliche Qualität zuzuerkennen, die er nachder irrigen Vorstellung des Angeklagten hatte. Freilich begründetErb sogleich die Unhaltbarkeit dieser Annahme. Vgl.auch Ahrens, JA 1996, 664 (668); Roßmüller/Rohrer, MDR1996, 986 (988). Entschieden eine strafbarkeitsbegründendeWirkung der Vorstellung des Angeklagten bejahend Gropp,Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2005, § 10 Rn. 91a;Hauf, JA 1995, 776 (779); Heckler, GA 1997, 72 (79); Herzberg,in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zumStrafgesetzbuch, Bd. 1, 1. Aufl. 2003, § 22 Rn. 152 (andersjetzt in der 2. Aufl. 2011 Hoffmann-Holland, § 22 Rn. 142);Weber (Fn. 18), S. 449. Nach Roxin, in: Böttcher/Hueck/Jähncke (Hrsg.), Festschrift für Walter Odersky zum Geburtstagam 16. Juli 1996, 1996, S. 489 (S. 496), der die Gesamtlösungablehnt, ist die Entscheidung des BGH „vom Standpunktder Gesamtlösung aus konsequent“; ähnlich Krack,ZStW 117 (2005), 555 (559).42 Hillenkamp (Fn. 20), S. 709; Roßmüller/Rohrer, MDR 1996,986 (988).43 Streng (Fn. 9), S. 329._____________________________________________________________________________________372<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Nichts ging los im „Münzhändler-Fall“_____________________________________________________________________________________durch den Münzhändler, die tatsächlich stattgefunden hat: 44Dass diese objektiv alles andere ist als ein Betrugsversuch, isteine Beurteilung, die sich nicht auf die „Vorstellung von derTat“, sondern auf die Wirklichkeit stützt. Maßgeblich sollaber das Vorstellungsbild des Täters von der Tat sein: 45 Deshalbtrifft es nicht zu, dass „schlechterdings nichts geschehenist“. 46Die Unrichtigkeit 47 der Argumentation des BGH kann alleindarauf beruhen, dass sie die Tragfähigkeit und Reichweiteder (Fehl-)Vorstellung des Angeklagten überschätzt: 48 Tatsächlichverhält es sich so. Im Folgenden werden drei Gründegenannt, auf die sich dieses Urteil stützt: Der erste ist, dassschon das Gesetz es verbietet, auf die Vorstellung des Angeklagtenvon der Tat abzustellen (2.). Der zweite ist, dass eskeine Theorie zum Versuchsbeginn bei Mittäterschaft gibt,nach der auf die Vorstellung des Angeklagten abgestellt werdenkönnte (3.). Und der dritte ist, dass es eine Strafbarkeitsvoraussetzungdes Versuchs gibt, die tatsächlich vorliegenmuss und nicht durch die irrige Vorstellung ihres Vorliegensersetzt werden kann (4.).2. Nichtanwendbarkeit des § 22 StGB auf VorbereitungenDer entscheidende Fehler der BGH-Entscheidung ist so simpel,dass er vielleicht gerade deswegen nicht gesehen wird: Erliegt darin, dass die zweifellos den Versuch betreffende Vorschriftdes § 22 StGB auf eine Person angewendet wird, derenVerhalten nicht die Qualität eines Versuchs, sondern einerVorbereitung hat. Der BGH stützt sich auf die „Vorstellung“des Angeklagten von der Tat, obwohl dessen eigenesVerhalten nur die Eigenschaft einer Vorbereitung hat. Die„Vorstellung von der Tat“ ist aber gem. § 22 StGB ein Elementdes Versuchs und hat somit ihren Sitz im Kopf einesTäters oder Tatbeteiligten, der selbst einen Versuch begeht.Die Vorstellung eines Beteiligten, der lediglich einen vorbereitendenBeitrag erbringt, ist unbeachtlich, weil sich § 22StGB nicht mit der Vorbereitung, sondern mit dem Versuchbefasst. § 22 StGB enthält eine Art Definition des Versuchsund ist auf die Vorbereitung nicht anwendbar: 49 Daran ver-44 Weber (Fn. 18), S. 446; zutreffend insoweit auch der Hinweisvon Hauf, NStZ 1994, 263 (266) darauf, dass im „Türklingel-Fall“der „ausgestiegene“ Tatgenosse tatsächlich tatplangemäßan der Haustür des zu überfallenden Ehepaarsgeklingelt hat.45 Hauf, NStZ 1994, 263 (265); Roxin (Fn. 41), S. 496.46 So aber Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2, 2003,§ 29 Rn. 312; ders. (Fn. 41), S. 496.47 Nach Roßmüller/Rohrer, MDR 1996, 986 (989), ist dieseArgumentation richtig, weil sie dem Gesetz in § 22 StGB entspreche.48 Hillenkamp (Fn. 20), S. 709: „Überdehnung der Leistungskraftder Vorstellung“.49 Das übersieht Heckler, GA 1997, 72 (79); zutreffend hingegenStreng, ZStW 109 (1997), 862 (893), der ablehnenddarauf hinweist, dass nach dem BGH das „Fassen eines Tatentschlussesplus einer bloßen Vorbereitungshandlung“ zurErfüllung des Versuchstatbestandes ausreichen soll; ebensoStreng (Fn. 9), S. 329.mag auch nichts zu ändern, dass das Verhalten des Vorbereitendennach der „Gesamtlösung“ auf Grund der Beziehung zueinem selbst versuchenden Mittäter letztlich ebenfalls Versuchsqualitäthaben soll. Denn das, was dafür Voraussetzungist – ein Versuch des Mittäters – soll hier ja gerade aus derVorstellung des Vorbereitenden von der Tat – also aus § 22StGB – gewonnen werden: 50 Ein klassischer Fall einer petitioprincipii. Voraussetzung und Folge werden vertauscht. Derandere (Münzhändler) wird zum Versuchs-Mittäter ja erst dadurchgemacht, dass der Vorbereitende (Angeklagte) eine entsprechendeVorstellung hat. Es bleibt also dabei: die „Vorstellungvon der Tat“, die jemand bei der Vorbereitung einerTat hat, ist etwas anderes als die Vorstellung, auf die § 22StGB abstellt. Sie kann daher zur Begründung eines strafbarenVersuchs nichts beitragen, egal, ob man der Gesamtlösungoder der Einzellösung folgt. Die wahrheitsgemäße Anmeldungeines Versicherungsfalles – durch den Münzhändler – wirddadurch nicht zum mittäterschaftlichen Betrugsversuch (Gesamtlösung)und schon gar nicht wird der eigene Überfall desAngeklagten auf den Münzhändler – der eine bloße Betrugsvorbereitungist – zum Versuch eines mittäterschaftlichen Betruges(Einzellösung).3. Weder Gesamtlösung noch EinzellösungDer BGH, der meint, auf dem Boden der „Gesamtlösung“ zuargumentieren, legt der Strafbarkeit des Angeklagten wegenversuchten Betruges in Mittäterschaft tatsächlich eine Begründungzugrunde, die eine Mischung aus Einzellösung und Gesamtlösungist: 51 Auf die Einzellösung stützt sich der BGH,weil er auf die Vorstellung des Angeklagten – um dessenStrafbarkeit es geht – von der Tat abstellt. Wäre die Gesamtlösungkonsequent angewendet worden, hätten allein desMünzhändlers Vorstellung von der Tat und sein nach dieserVorstellung gegebenes unmittelbares Ansetzen entscheidungserheblichsein können. 52 In der Spur der Gesamtlösung bewegtsich der BGH, weil er als „unmittelbares Ansetzen“ imSinne des § 22 StGB nur das Handeln des Münzhändlers –die Anzeige des Versicherungsfalles – in den Blick nimmt.Das ist verständlich, da das Verhalten des Angeklagten zukeinem Zeitpunkt geeignet gewesen ist, die Schwelle des Versuchsbeginnszu überschreiten. 53 Aber diese Bezugnahme aufdie Gesamtlösung ist halbherzig, weil sie die subjektive Tatseitedes Münzhändler-Handelns ausblendet. Nur die objektiveKomponente des Münzhändler-Verhaltens wird der Beurteilungdes Geschehens als Betrugsversuch zugrunde gelegt.50 Deshalb ist die Ableitung des BGH nicht nur „absurd“,sondern – entgegen Streng, ZStW 109 (1997), 862 (893) –auch nicht „konsequent“.51 Nach Roßmüller/Rohrer, MDR 1996, 986 (987), habe derBGH in dieser Entscheidung die Gesamtlösung der Sache nachsogar aufgegeben; ebenso Roxin (Fn. 41), S. 496.52 Roßmüller/Rohrer, MDR 1996, 986 (987); a.A. Hillenkamp(Fn. 20), S. 708, nach dem „auf der Grundlage einer Gesamtlösungdie Vorstellung nicht des unmittelbar ausführenden,sondern die des jeweiligen Mittäters vom Ablauf der Gesamttat“maßgeblich sein soll.53 Roxin (Fn. 46), § 29 Rn. 314._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com373


Wolfgang Mitsch_____________________________________________________________________________________Die subjektive Komponente soll durch den Angeklagten beigesteuertwerden. Wenn man so will, lässt der BGH denAngeklagten und den Münzhändler zu einer Täterperson verschmelzen,die das Gehirn des Angeklagten, sowie Mund,Hände und Füße des Münzhändlers hat. Aber diese Konstruktionkann nicht funktionieren, weil Gehirn und Bewegungsapparatdieses Mittäterlebewesens nicht aufeinander abgestimmtsynchron und koordiniert arbeiten können, wenn es –wie hier – an einem gemeinsamen Tatentschluss fehlt. Ohneeine wirkliche mittäterschaftliche Verbindung kann eine Strafbarkeitnur über eine reine Einzellösung begründet werden,dagegen nicht über eine reine Gesamtlösung und auch nichtüber eine gemischte Einzel-Gesamt-Lösung.4. Das Fehlen des handlungssynchronen Tatentschlusses(„Jetzt geht’s los“)Selbst wenn man der Fehlvorstellung des Angeklagten dasPotential zuspricht, die Erfüllung aller Strafbarkeitsvoraussetzungenzu bewirken, die nur in der Vorstellung des Tätersvorzuliegen brauchen, vermag sie Versuchsstrafbarkeit letztlichnicht zu begründen, wenn ein Merkmal des Versuchstatbestandesfehlt, das wirklich vorliegen muss und dessen Fehlennicht durch eine irrige Vorstellung des Täters von seinemVorliegen ersetzt werden kann. Denn auch wenn die Strafbarkeitdes einzelnen auf die Kumulation der Beiträge mehrerergestützt wird, müssen insgesamt doch „die Bausteine einerversuchten Straftat“ 54 komplett vorliegen und in der architektonischrichtigen Weise zu einem stabilen Versuchsgebäudezusammengefügt sein. In der Literatur wird als fehlenderBaustein meistens die Ausführungshandlung genannt, diewirklich begangen werden müsse und im Münzhändler-Fallaber nicht begangen worden sei. 55 Das ist aber nur teilweiserichtig, weil als Ausführungshandlung – wie gesehen (s.o. 1.)– die Anmeldung des Versicherungsfalles durch den Münzhändlerbei der Versicherung anerkannt werden kann: 56 Hätteder Münzhändler selbst in dem Bewusstsein gehandelt, einenvorgetäuschten Versicherungsfall anzuzeigen, würde niemanddaran zweifeln, dass die Verlustmeldung Ausführungshandlungeines (untauglichen) Betrugsversuches ist. Die fehlendeStrafbarkeitsvoraussetzung muss also ein Versuchselementsein, dessen strafbarkeitsbegründende Bedeutung nicht auf denAspekt des Gegenstands einer irrigen Vorstellung des Tätersreduziert werden kann. Dafür kommt nur ein Element in Betracht,das deswegen nicht in dieser Manier versubjektiviertwerden kann, weil es selbst schon in seiner realen – also nichtvorgestellten – Erscheinungsform von vornherein ein subjektivesElement ist. Es leuchtet ein, dass z.B. beim Diebstahldas Fehlen der Zueignungsabsicht nicht durch die irrige Vorstellungdes Alleintäters 57 Zueignungsabsicht zu haben, sub-54 Weber (Fn. 18), S. 441.55 Krack, ZStW 117 (2005), 555 (560); Krell, Jura 2012, 150(152).56 Weber (Fn. 18), S. 446.57 Beim mittäterschaftlichen Diebstahl kann es ausreichen,dass der eine Mittäter sich vorstellt, der andere Mittäter handlemit Zueignungsabsicht. Dann aber hat auch der erste Mittäterselbst (Dritt-)Zueignungsabsicht.stituiert werden kann. Diese subjektive Strafbarkeitsvoraussetzungmuss wirklich erfüllt sein. Beim Versuch ist es derTatentschluss, mit dem der Täter den objektiven Schritt in diestrafbare Versuchszone psychisch begleitet und mit dem ersich bewusst macht, dass die Verwirklichung eines Straftatbestandesbegonnen hat oder unmittelbar bevorsteht und mitdem das auch für den Versuch geltende 58 Erfordernis „vorsätzlichenHandelns“ (§ 15 StGB) erfüllt wird. Das berühmteund gewiss nicht unproblematische 59 „Jetzt geht’s los“ ist eineanschauliche und vereinfachende Umschreibung des psychischenErlebens einer entscheidenden Grenzüberschreitung,dem Übergang von der Vorbereitungs- in die Versuchsphase: 60Sie erinnert daran, dass die Handlung, mit der das unmittelbareAnsetzen objektiv beginnt, wie jede tatbestandsverwirklichendeHandlung von einem zeitgleichen – also handlungssynchronen– Vorsatz getragen sein muss: 61 Ein blindes vorsatzlosesHineinstolpern in den Versuchsbereich kann als unmittelbaresAnsetzen allenfalls auf der Grundlage einer actiolibera in causa-ähnlichen Konstruktion anerkannt werden: 62Wer in seinen prall mit echten Münzen gefüllten Geldbeuteleine einzige Falschmünze steckt und sich vorstellt, er werdedemnächst irgendwann ahnungslos dieses Falsifikat als Zahlungsmittelverwenden, setzt entweder jetzt zur Verwirklichungdes Geldfälschungstatbestandes (§§ 146 Abs. 1 Nr. 3,147 Abs. 1 StGB) an oder gar nicht. Will man als Versuchsbeginnerst den Akt qualifizieren, mit dem der Täter dieFalschmünze aus dem Geldbeutel nimmt und einem Gläubigerzwecks Bezahlung überreicht, ist das nur unter der Voraussetzungmöglich, dass der Täter bei diesem Zahlungsvorgangden wenigstens bedingten aktuellen Vorsatz hat, mit Falschgeldzu bezahlen: 63Der subjektive Tatbestand des Versuchs erfordert also,dass der Täter synchron zu der Handlung, die „unmittelbaresAnsetzen“ ist, den Vorsatz hat, eine vollendete tatbestandsmäßigeTat zu begehen: 64 Mir ist daher nicht klar, welche58 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch (Fn. 16), § 26 Rn. 25;Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl.1996, § 49 III. 1. a).59 Roxin (Fn. 46), § 29 Rn. 130.60 Heinrich (Fn. 35), Rn. 726; dagegen Herzberg, in: Seebode(Hrsg.), Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstagam 11. Juli 1992, 1992, S. 203 (S. 213).61 Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch (Fn. 16), § 20 Rn. 15;Jescheck/Weigend (Fn. 58), § 29 II. 2.; Roxin, Strafrecht,Allgemeiner Teil, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 89.62 Für eine solche Lösung Maurach, JuS 1961, 373 (374);ihm folgend Krause, in: Geerds (Hrsg.), Festschrift für HellmuthMayer, 1966, S. 305 (S. 308); ebenso Herzberg (Fn. 60),S. 219.63 Prinzipiell anders Herzberg (Fn. 60), S. 213; ders., in: Rogall(Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70.Geburtstag, 2004, S. 75 ff.; dagegen Roxin (Fn. 46), § 29Rn. 200.64 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch (Fn. 16), § 26 Rn. 24;Struensee, in: Philipps/Frommel (Hrsg.), Jenseits des Funktionalismus,Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag, 1989, S.523 (S. 529)._____________________________________________________________________________________374<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Nichts ging los im „Münzhändler-Fall“_____________________________________________________________________________________strafrechtliche Erheblichkeit ein von diesem „Willensakt“ zuunterscheidender und der Ausführungshandlung „weit vorauseilender“Tatentschluss 65 überhaupt haben soll, welcher strafrechtsdogmatischeStellenwert einer „rückbezüglichen Erfüllungsorientierung“zukommen könnte 66 und warum man beimVersuch einen Tatplan bzw. Tatentschluss „vor der Erörterungdes unmittelbaren Ansetzens“ prüfen muss: 67 Man kann auchzunächst die Ausführungshandlung feststellen und danach prüfen,ob sie von einem ausreichenden (Vollendungs-)Vorsatzbegleitet war: 68 An jeglichem ausführungssynchronen Vorsatzfehlt es jedenfalls im Münzhändler-Fall und zwar sowohlbei dem Münzhändler als auch bei dem Angeklagten. DerMünzhändler hatte zu keinem Zeitpunkt den Vorsatz, einenBetrug zu begehen. Ein „Jetzt geht’s los“ spielt sich in seinemKopf nicht und niemals ab. Der Angeklagte hat diesenVorsatz zwar gehabt, jedoch zum falschen Zeitpunkt: 69 Gewisshatte er die Vorstellung von dem demnächst zu begehendenBetrug, als er den Überfall auf den Münzhändler begingund dabei annahm, dieser sei mit dem „Schein-Überfall“einverstanden. 70 Vielleicht sagte er sich dabei auch „Jetztgeht‘s los“. Aber dies bezog sich allein auf den eigenen Beitrag,den der Betrugsvorbereitung dienenden inszeniertenÜberfall und nicht auf die Geltendmachung des – vorgetäuschten– Versicherungsfalles durch den Münzhändler. 71„Jetzt“ kann nur der Zeitpunkt sein, zu dem nach der Vorstellungdes Täters der Münzhändler die Versuchsschwelle überschreitet.72 In Bezug auf diesen Vorgang sagte sich der Angeklagte– wenn überhaupt – vielleicht: „Morgen geht es los“oder „Demnächst geht es los“. Was sich der Angeklagte aktuellvorstellte, als der Münzhändler die Schadensmeldungbei der Versicherung abgab – also „jetzt“ –, ist unbekannt.Sollte er just in diesem Moment gedacht haben „Jetzt geht’slos“, wäre das schon ein erstaunlicher Zufall.65 Auf ihn abhebend Struensee (Fn. 64), S. 526, siehe auchS. 529: „strafrechtlich noch irrelevant: cogitationis poenamnemo patitur“; Roxin (Fn. 46), § 29 Rn. 59: „strafrechtlich irrelevant“.66 Struensee (Fn. 64), S. 527. Ein ganz anderer Kontext liegtdem vorauseilenden Tatentschluss zugrunde, wenn es darumgeht, die qualifizierende Wirkung einer „mit Vorbedacht“(avec préméditation) begangenen Tat (z.B. Tötung) zu beurteilen,wie das bis 1941 bei § 211 StGB der Fall war undheute z.B. noch bei Art. 221-3 des französischen Code Pénalder Fall ist (zu letzterem demnächst Giraud/Mitsch, Festschriftfür Otmar Seul).67 So Struensee (Fn. 64), S. 531.68 Langer, JuS 1987, 896.69 Im Türklingel-Fall könnte dies anders gewesen sein, weildie Tatgenossen des an der Haustür klingelnden Beteiligtenam Tatort anwesend waren und das Handeln ihres Komplizenbeobachteten, vgl. Hauf, NStZ 1994, 263 (266).70 Auf diesen „Vorsatz im Zeitpunkt der Planung“ stellt Buser(Fn. 35), S. 46, ab.71 Zutreffend weist Roxin (Fn. 46), § 29 Rn. 131, darauf hin,dass „derartige subjektive Phänomene oft noch im Vorbereitungsstadium“liegen. So ist es hier.72 Heinrich (Fn. 35), Rn. 725.Dogmatisch ist die Asynchronität von objektiver Ausführungund darauf bezogenem Vorsatz in Mittäterschaftsfälleneine zwangsläufige Konsequenz der Anerkennung von vorbereitendenBeiträgen als ausreichende Mittäterleistung. Wennsich jemand schon im Vorbereitungsstadium mit einem Beitragzu der – zukünftigen – Tat zum Mittäter machen kann,dann hat er auch nur einen Vorsatz, der der Handlung, mit derdie Tat in das Versuchsstadium gebracht wird, zeitlich vorauseilt.73 Denn einen Vorsatz während der Handlung des ihmzuzurechnenden „unmittelbaren Ansetzens“ wird er tatsächlichnicht haben und braucht er auch nicht zu haben. Hoffmann-Hollandhat das anschaulich in seinem Lehrbuch illustriert,indem er einen Bandenboss beschreibt, der zur Vorbereitungder Tat wichtige planende, organisierende und logistischeMaßnahmen trifft und nach deren Vollzug mit seinerFamilie in Urlaub fährt. 74 Während seine Bandenkomplizenden Plan umsetzen, liegt er selbst irgendwo am Strand unddenkt wahrscheinlich allenfalls gelegentlich an die gemeinsameTat. Er hat also sicher keinen Vorsatz, der zeitgleichmit der Begehung des unmittelbaren Ansetzens sein Bewusstseinausfüllt und ihn just zu Beginn der Planausführungdurch die Kumpane mitteilt: „Jetzt geht’s los“. Seiner Strafbarkeitwegen mittäterschaftlichen Versuchs steht das nichtentgegen. 75 Denn ihm wird der von den Komplizen begangeneVersuch gem. § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet, ohne dass erselbst dabei ist und ohne dass er während dieses Versuchseinen diesbezüglichen Vorsatz hat. Das setzt allerdings voraus,dass die Komplizen wirklich einen Versuch begehen, alsonicht nur objektiv etwas tun, was die Qualität „unmittelbarenAnsetzens“ haben könnte, sondern diese Handlung auch vorsätzlichvollziehen. Haben sie diesen Vorsatz nicht, liegt keinVersuch vor. Dieses Defizit kann auch nicht dadurch ausgeglichenwerden, dass der vorbereitende Bandenchef irgendwannVorsatz gehabt hat, gleichgültig ob das vor dem Handelnder Komplizen war oder zufälligerweise genau währenddieses Handelns.V. Mittäterschaft und unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)Nach der eigenen – Einzel- und Gesamtlösung vermischenden(s.o. IV. 2.) – Entscheidungsbegründung des BGH stehtund fällt die Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchtenmittäterschaftlichen Betruges mit der Anerkennung oder Ablehnungder sog. „Gesamtlösung“. 76 Diese ist bekanntlich dieherrschende Theorie zu der Frage, ob in einer Konstellationmit mehreren Beteiligten, die sich zu einer mittäterschaftlichenTatbegehung zusammengeschlossen haben, der Eintrittdes ersten Beteiligten in das Versuchsanfangsstadium des „unmittelbarenAnsetzens“ (§ 22 StGB) den anderen Beteiligten73 Krack, ZStW 110 (1998), 611 (615).74 Hoffmann-Holland (Fn. 6), Rn. 527; vgl. auch Krack, ZStW110 (1998), 611 (615).75 Nach Herzberg (Fn. 60), S. 213, kann sogar der Alleintäter„im Schlaf“ die Grenze des unmittelbaren Ansetzens überschreiten,weil das Ansetzen keine tatbestandsmäßige Handlung,sondern ein tatbestandsmäßiger (Versuchs-)Erfolg sei;dagegen Roxin, JuS 1979, 1 (10).76 Weber (Fn. 18), S. 436._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com375


Wolfgang Mitsch_____________________________________________________________________________________zugerechnet wird oder nicht. Die von einer Mindermeinungvertretene „Einzellösung“ verneint dies und qualifiziert alsMittäter einer versuchten Straftat nur solche Tatbeteiligte, diedurch ihr eigenes Verhalten die Schwelle des unmittelbarenAnsetzens überschritten haben. Handeln die Beteiligten alsonicht gleichzeitig, begründet das unmittelbare Ansetzen deszuerst handelnden für ihn selbst die Versuchstatbestandsmäßigkeit,nicht hingegen für die anderen, solange diese nochnicht mit eigenem Handeln „nachgezogen“ haben. Dies beurteiltdie Gesamtlösung anders, da nach ihr das erste unmittelbareAnsetzen eines Beteiligten die anderen mit über die Versuchsschwellein die Strafbarkeitszone hineinzieht. 77 Es leuchtetein, dass die Einzellösung mit einer Mittäterschaftstheorie,die es unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen ausreichenlässt, dass im Vorbereitungsstadium ein gewichtigerTatbeitrag geleistet wird, unvereinbar ist. Denn auf ihrerGrundlage kann, wenn die Tat zur Vollendung kommt, jemandwegen vollendeter Straftat in Mittäterschaft strafbar sein, derselbst zu keinem Zeitpunkt mit eigenem Handeln unmittelbarzur Tatbestandsverwirklichung angesetzt hat. Bleibt nun dieTat im Versuchsstadium stecken, könnte nach der Einzellösungwegen mittäterschaftlichen Versuchs derjenige nicht bestraftwerden, der auf Grund seiner im Vorbereitungsstadium erbrachtenBeitragsleistung Mittäter geworden ist und damit diehinreichende Voraussetzung für Strafbarkeit wegen vollendeterTat in Mittäterschaft geschaffen hat, sofern sein Tatgenossedie Tat zur Vollendung brächte. Das ist ein offensichtlicherWertungswiderspruch und eine Inkonsequenz. 78 Diese Inkonsequenzlässt sich nicht dadurch vermeiden, dass man bereitsden vorbereitenden Beitrag oder gar die Mitwirkung an derTatverabredung als Versuch im Sinne des § 22 StGB ausreichenlässt, also zum unmittelbaren Ansetzen „hochstilisiert“. 79Die Gesamtlösung ist also zutreffend, sofern man der PrämisseRichtigkeit attestiert, wonach es für Mittäterschaft ausreichenkann, wenn ein Beteiligter einen tatvorbereitenden Mitwirkungsbeitragerbringt. 80 Konsequent genannt werden kannsomit der dogmatische Standpunkt all derjeniger, die – wiedie Rechtsprechung – die Möglichkeit eines mittäterschaftlichenTatbeitrags im Vorbereitungsstadium bejahen und das unmittelbareAnsetzen der Mittäter auf der Basis der Gesamtlösungfeststellen. Aber die Gesamtlösung hat auch Anhängerunter den Vertretern eines restriktiven Verständnisses von Mittäterschaft,d.h. bei den Vertretern der Ansicht, dass Mittäterschaftstets einen objektiven Tatbeitrag im Ausführungsstadiumder Tat zwischen Versuchsbeginn und Vollendung erfordere.81 Häufig wird die Gesamtlösung sogar herangezogen,um jemanden als Mittäter eines Versuchs bestrafen zu können,77 BGHSt 39, 236 (238).78 Ingelfinger, JZ 1995, 704 (711); Roßmüller/Rohrer, MDR1996, 986 (989).79 So aber Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittätersund des mittelbaren Täters, 1975, S. 112; gegen ihn treffendBuser (Fn. 35), S. 28; Erb, NStZ 1995, 424 (426); Ingelfinger,JZ 1995, 704 (712); Krack, ZStW 110 (1998), 611 (613);Roxin, JuS 1979, 1 (13); ders. (Fn. 41), S. 497.80 Erb, NStZ 1995, 424 (426): „zwingend“.81 Gropp (Fn. 41), § 10 Rn. 85a, 91.der seinen tatplangemäßen Beitrag noch gar nicht geleistethat, weil ihm nach der Tatverabredung die Aufgabe zugefallenist, zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem die anderen schonihre Beiträge erbracht haben, seine mittäterschaftliche Aktivitätzu entfalten. 82 Ebenfalls bereits einen versuchten Diebstahlin Mittäterschaft habe beispielsweise der Komplize begangen,der erst nach dem Aufbrechen einer verschlossenen Tür hinzukommenund sich um den Abtransport der Beute kümmernsoll. Obwohl dieser Beteiligte im Zeitpunkt des ersten unmittelbarenAnsetzens eines anderen Beteiligten noch gar nichtsgetan hat, außer sich mit den anderen verabredet zu haben,soll ihm gem. § 25 Abs. 2 StGB das Versuchsverhalten desanderen zugerechnet werden.Die Konsequenzen, die die Gesamtlösung in Bezug aufden noch untätigen Verabredungsbeteiligten zieht, muss manjedenfalls dann ablehnen, wenn man als „Begehung“ im Sinnedes § 25 Abs. 2 StGB nicht die bloße Mitwirkung am gemeinsamenTatentschluss ausreichen lässt. Soweit ich sehe, gibt esniemanden, der auf das Erfordernis des „objektiven Tatbeitrags“verzichtet. 83 Es gibt auch niemanden, der als objektivenTatbeitrag des Mittäters bereits die den anderen bei derTatentschlussfassung gegebene Zusage ausreichen lässt, sichan der Ausführung des Tatplans mit einem objektiven Beitragzu beteiligen. Der objektive Tatbeitrag muss zu dem gemeinsamenTatentschluss hinzukommen, er muss also etwas anderessein als die aktive Mitwirkung an der Gründung der Tatgenossenschaft.Wenn ein Vorbereitungsbeitrag ausreicht, istes möglich, auf der Grundlage der Gesamtlösung demjenigen,der einen solchen Vorbereitungsakt vollzogen hat, das darauffolgende unmittelbare Ansetzen eines anderen Mittäters gem.§ 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen. Denn jener hat zu diesemZeitpunkt bereits alle Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 StGBerfüllt, weshalb es rechtslogisch möglich ist, ihm gegenüberaus § 25 Abs. 2 StGB eine Rechtsfolge – Zurechnung desVerhaltens eines anderen Mittäters – abzuleiten. Wenn aberein Beteiligter den Beitrag, der ihn gemäß der vorausgesetz-82 Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar,28. Aufl. 2010, § 22 Rn. 55: Aus §§ 267, 22 StGB sei bereitsstrafbar, wer „erst zum Gebrauchen des Falsifikats eingesetztwerden sollte“; ebenso Kindhäuser (Fn. 6), § 22 Rn. 37;Lackner/Kühl (Fn. 36), § 22 Rn. 9; Roxin, JuS 1979, 1 (13);dagegen Köhler, Strafecht, Allgemeiner Teil, 1996, S. 541.83 Heinrich (Fn. 35), Rn. 1225; Ebert, Strafrecht, AllgemeinerTeil, 3. Aufl. 2001, S. 201; Gropp (Fn. 41), § 10 Rn. 85;Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1993, § 21Rn. 47; Jescheck/Weigend (Fn. 58), § 63 III. 1.; Kindhäuser,Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2011, § 40 Rn. 5;Köhler (Fn. 82), S. 518; Kühl (Fn. 30), § 20 Rn. 107; Lackner/Kühl(Fn. 36), § 25 Rn. 11; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht,Allgemeiner Teil, Bd. 2, 7. Aufl. 1989, § 49 Rn. 26;Joecks, in: Joecks/Miebach (Fn. 41), § 25 Rn. 190 ff.; Murmann,Grundkurs Strafrecht, 2. Aufl. 2013, § 27 Rn. 64; Otto,Grundkurs Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2004, § 21Rn. 61; Rengier, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2012,§ 44 Rn. 40; Heine, in: Schönke/Schröder (Fn. 82), § 25Rn. 63; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil,42. Aufl. 2012, Rn. 528._____________________________________________________________________________________376<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Nichts ging los im „Münzhändler-Fall“_____________________________________________________________________________________ten Definition der Mittäterschaft erst zum Mittäter machenwürde, noch nicht erbracht hat, kann eine Rechtsfolge aus§ 25 Abs. 2 StGB noch nicht abgeleitet werden. 84 Denn solangeer noch nicht Mittäter ist, erfüllt er nicht die Voraussetzungendes § 25 Abs. 2 StGB. 85 Und sind die Rechtsfolgenvoraussetzungeneiner Norm – die Tatbestandsmerkmale –noch nicht (vollständig) erfüllt, kann die Rechtsfolge dieserNorm noch nicht ausgelöst werden. 86 Dies wird in vielen dieGesamtlösung erläuternden und gegen Angriffe der Einzellösungs-Befürworterverteidigenden Texten nicht beachtet. Dortwird bedenkenlos davon gesprochen, dass „alle Mittäter“ dieGrenze zum Versuch gemeinsam überschritten, „unabhängigdavon, ob sie ihren eigenen Beitrag bereits geleistet haben“. 87Wer so argumentiert, bezeichnet als „Mittäter“ auch denjenigen,der seinen Beitrag noch nicht geleistet hat. Damit erklärter aber stillschweigend, dass die Erbringung dieses Beitragsgar nicht notwendig ist, um Mittäter zu werden und zu sein. 88Zugleich löst er sich von der allgemein anerkannten dogmatischenFestlegung, dass Mittäterschaft einen objektiven Tatbeitragvoraussetze. 89 Soll Mittäterschaft weiterhin von derErbringung eines objektiven Tatbeitrags abhängig sein, kannes die Figur des „zunächst untätigen Mittäters“ 90 nicht geben.Wer noch nicht tätig geworden ist, ist nicht einmal Gehilfe,es sei denn, er hat eine Garantenstellung, § 13 StGB.VI. SchlussDie vielen scharfsinnigen Abhandlungen zu der „Münzhändler-Entscheidung“des BGH, die nach der Anmerkung vonKühne publiziert worden sind, haben dem mit diesem kurzenText erreichten Erkenntnisstand viele kluge Gedanken hinzugefügt.Sie haben aber nichts an der Einschätzung geändert,dass Kühne uns alle zielsicher darauf aufmerksam gemachthat, dass mit dieser merkwürdigen Entscheidung etwas nichtstimmt. Die Festschrift zum 70. Geburtstag ist sicher kein unpassendesMedium, um an dieses fürwahr historische Ausrufezeichenzu erinnern.84 Anders Weber (Fn. 18), S. 443, der als Zurechnungsgrundallein den gemeinsamen Tatplan erachtet.85 Nach Lackner/Kühl ([Fn. 36], § 22 Rn. 9) genügt es, dassder zur Tatbestandsverwirklichung Ansetzende Mittäter ist.Das ist aber schon deswegen irrelevant, weil bereits als Alleintäterstrafbar ist, wer selbst unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichungansetzt.86 Klar erkannt von Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypusim Strafrecht, 1985, S. 266: „Die Person, die sichzur Beteiligung an der geplanten Tat bereiterklärt hat, mußsich erst als Mittäter erwiesen haben, damit ihr die Tatbeiträgeder anderen zurechenbar sind.“87 Ingelfinger, JZ 1995, 704 (711); ebenso Ahrens, JA 1996,664 (666); Buser (Fn. 35), S. 16; Heinrich (Fn. 35), Rn. 740;Maurach/Gössel/Zipf (Fn. 82), § 49 Rn. 100.88 Nicht nur stillschweigend, sondern explizit wird auf dieErbringung des Tatbeitrages als Voraussetzung von Mittäterschaftverzichtet bei Jescheck/Weigend (Fn. 58), § 63 IV. 1.:„Mittäterschaft setzt freilich auch hier voraus, dass die anderenBeteiligten nach der im gemeinsamen Tatentschluss festgelegtenRollenverteilung Tatbeiträge übernommen haben,die sie an der Tatherrschaft beteiligt hätten und die zur Ergänzungder begangenen Versuchshandlung zu leisten gewesenwären.“ (Hervorhebung des Verf.). Ebenso Buser (Fn. 35),S. 102: „Denn der Tatplan und der gemeinsame Tatentschlußim Planungsstadium machen die Beteiligten zu Mittätern“.89 Dies verwundert insbesondere bei Autoren, die den objektivenBeitrag des Mittäters als eine „tragende Säule der Mittäterschaft“charakterisieren, so Ingelfinger, JZ 1995, 704(708 re. Sp.).90 Krack, ZStW 110 (1998), 611._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com377


Die Herausbildung normativer Orientierungsmuster für Internal Investigations –am Beispiel selbstbelastender AussagenVon Prof. Dr. Hans Theile, LL.M., KonstanzI. EinleitungSpätestens seit den Debevoise-Untersuchungen bei Siemensbeschäftigen Internal Investigations Strafrechtswissenschaftund Praxis. Ein zentrales Problem dieser anlassbezogenenund nicht durch Regelprüfungen abgedeckten Sachverhaltsaufklärungenbesteht darin, 1 dass Arbeitnehmer im Rahmenvon Befragungen nach der bislang herrschenden Auffassungim Arbeitsrecht zu Auskünften verpflichtet sind, durch diesich selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezichtigen.2 Damit befinden sie sich auf einer schiefen Ebene, indemdie im Zuge interner Erhebungen generierten Informati-1 Knierim, StV 2009, 324 (328); ders., in: Hassemer/Kempf/Moccia (Hrsg.), In dubio pro libertate, Festschrift für KlausVolk zum 65. Geburtstag, 2009, S. 247 (S. 248 ff.); ders., in:Rotsch (Hrsg.), Wissenschaftliche und praktische Aspekte dernationalen und internationalen Compliance-Diskussion,2., unveränderte Aufl. 2013, S. 77 (S. 78 f.); Rotsch, in:Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht,3. Aufl. 2012, Kap. 4 Rn. 48 f.2 Die Auskunftspflicht soll sich bei Fehlen einer explizitenRegelung im Arbeitsvertrag aus §§ 666, 675 BGB ergeben,sofern die begehrten Informationen den unmittelbaren Tätigkeitsbereichdes Mitarbeiters betreffen, vgl. Böhm, WM 2009,1923 (1924); Diller, DB 2004, 313; Göpfert/Merten/Siegrist,NJW 2008, 1703 (1705); Grimm/Freh, KSzW 2012, 88; Berger,in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar in zweiBänden, Bd. 1, 13. Aufl. 2011, § 666 Rn. 13; Reichold, in:Richardi/Wißmann/Wlotzke/Oetker (Hrsg.), Münchner Handbuchzum Arbeitsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2009, § 49 Rn. 5;Seiler, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchner Kommentarzum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 4, 6. Aufl. 2012, § 666Rn. 4; Schaub/Linck, Arbeitsrechthandbuch, 14. Aufl. 2011,§ 53 Rn. 9; vgl. auch BAG NZA 1996, 637 (638); BAG NZA2002, 618 (620); BGHZ 41, 318 (320 f.) = NJW 1964, 1469;BGH NJW-RR 1989, 614 = WM 1989, 689 (690); jenseitsdieses Bereichs wird eine solche Verpflichtung jedenfalls beieinem überwiegenden Interesse des Arbeitgebers an der Erlangungder Information angenommen und auf § 241 Abs. 2 BGBoder § 242 BGB gestützt, vgl. BAG NZA 1996, 637 (638 f.);1997, 41 (42 f.); BGHZ 81, 21 (24); Diller, DB 2004, 313;Mengel/Ulrich, NZA 2006, 240 (243); Rieble, ZIP 2003, 1273(1276); Preis, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfurterKommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2013, § 611 BGBRn. 736; Reichold (a.a.O.), § 49 Rn. 6; vgl. aber Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (376); Göpfert/Merten/Siegrist,NJW 2008, 1703 (1705); Jahn, StV 2009, 41 (44); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (70). Einen anderen Akzent setzenneuere Stimmen aus dem strafrechtlichen Schrifttum, vgl.Jahn, StV 2009, 41 (43 f.); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009,68 (72 f.); Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), DieFinanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 2010,S. 348 (S. 358 f.).onen möglicherweise Eingang in ein staatliches Strafverfahrenfinden. Um den dort geltenden Nemo tenetur-Grundsatznicht vollends zu einer Hülle ohne Inhalt werden zu lassen,wird in der Literatur – mit unterschiedlicher Begründung undunterschiedlicher Reichweite – ein Beweisverwertungsverbotpostuliert. 3Ist damit aus der Innensicht des Strafrechts das dogmatischeInstrument zur Unterbindung eines allzu ungehindertenInformationstransfers zwischen privaten und staatlichen Untersuchungenidentifiziert, könnte eine Domestizierung vonInternal Investigations gleichermaßen über die Herausbildungnormativer Orientierungsmuster durch nicht-staatliche Institutionenerfolgen. Damit fällt der Blick auf die Thesen desStrafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer zumUnternehmensanwalt im Strafrecht (BRAK), die den bislangambitioniertesten Versuch darstellen, über die Formulierungnormativer Vorgaben der Praxis von Internal InvestigationsGrenzen zu setzen. 4Die eigentliche lex artis für die Durchführung der InternalInvestigations wird in der dritten These formuliert, wobeieine erste Unterthese die Tätigkeit des Unternehmensanwaltsdahin beschreibt, dass er straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicheSachverhalte erforsche, soweit dies im Rahmenseines Mandatsauftrags und im Unternehmensinteresse erforderlicherscheint. Im Zuge interner Erhebungen, insbesonderebei der Befragung von Mitarbeitern des Unternehmens, habeer – so die zweite Unterthese – die allgemeinen Gesetze unddie sich aus den rechtsstaatlichen Grundsätzen ergebendenStandards einzuhalten. Eine dritte Unterthese legt schließlichfest, die Erhebungen seien in einer Weise durchzuführen,dass Beweismittel in ihrer Qualität und Verwertbarkeit nichtbeeinträchtigt werden.Im Folgenden wird der die Herbeiführung selbstbelastenderAussagen betreffende Ausschnitt der BRAK-Thesen ineinen systemtheoretischen Rahmen gestellt, da die darin zumAusdruck kommende Entwicklung allein über eine dogmatischeAnalyse nicht verständlich wird. Darüber hinaus werdendie dort formulierten Standards mit empirischen Befundenaus einem Konstanzer DFG-Projekt zum Sanktionsdurchgriffim Unternehmensverbund kontrastiert. 5 Im Rahmen einer qualitativenUntersuchung wurden hierbei Gespräche mit Vertre-3 Grimm/Freh, Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht 2012, 88(91); Knauer/Buhlmann, AnwBl. 2010, 387 (390 ff.); Momsen,<strong>ZIS</strong> 2011, 508 (514 ff.); Rotsch (Fn. 1), Kap. 4 Rn. 52; Roxin,StV 2012, 116 (120); Theile, StV 2011, 381 (384 ff.); Neuhaus(Fn. 2), S. 358 f.; anders freilich LG Hamburg NJW 2011,942 (944) = m. abl. Anm. v. Galen, NJW 2011, 945; Jahn/Kirsch, StV 2011, 148 (151 ff.). Ferner Roxin, StV 2012, 116(119 f.); siehe zum Ganzen auch Minoggio, in: Burhoff (Hrsg.),Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2011, S. 1061 (S. 1100 ff.).4 Vgl. die Thesen der Bundesrechtsanwaltskammer zum Unternehmensanwaltim Strafrecht, http://www.brak.de/.5 http://www.uni-konstanz.de/sanktionsdurchgriff/ (26.9.2013)._____________________________________________________________________________________378<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Die Herausbildung normativer Orientierungsmuster für Internal Investigations_____________________________________________________________________________________tern aus den einschlägigen Berufsfeldern – insbesondereRechtsanwälten und Leitungspersonen aus den Complianceabteilungenmultinationaler Konzerne – geführt. Die hierbeierhobenen Daten ermöglichen zwar keine repräsentativen,aber immerhin erste Einblicke in die Innenwelt dieses Phänomens.Daher wird aus zwei Richtungen der Frage nachgegangen,inwieweit sich im Hinblick auf die Durchführungprivater Untersuchungen jenseits staatlicher Regulierung normativeOrientierungsmuster herausbilden.II. Der strafrechtliche UnternehmensanwaltAnlass für die Formulierung der Thesen ist die Herausbildungeines neuartigen Berufsbildes in Gestalt des strafrechtlichenUnternehmensanwalts. Diese wiederum ist nicht denkbarohne eine Entwicklung, nach der mittlerweile nicht mehrnur Individualpersonen, sondern über eine verstärkte Anwendungder strafrechtlichen Gewinnabschöpfungsvorschriften(§§ 73 ff. StGB) oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen(§§ 30, 130 OWiG) gerade Unternehmen ins Visierder Strafverfolgungsorgane geraten. Ein Interviewpartnerbeschrieb die Entwicklung mit folgenden Worten:„[…] Jetzt hat sich eine Umkehr dahin ergeben, dass mantatsächlich […] ganz massiv Unternehmen als juristische Personenin den Fokus nimmt und dort für die Staatsanwaltschaftenmonetäre Aspekte eine Rolle spielen, die früherüberhaupt kein Kriterium waren. Heutzutage gibt es ‚Hitlisten‘dazu, welche Staatsanwaltschaft das größte Abschöpfungsvolumenvorzuweisen hat. Das ist ein Gedanke, der überhauptkeine Rolle gespielt hat, als ich […] mit der Strafverteidigungbegonnen habe. So gesehen […] sind die Staatsanwaltschaftenjetzt auch Wirtschaftsunternehmen geworden“ (1-4,974/985).Mit Blick auf eine solche Entwicklung ist es nur folgerichtig,wenn die Wahrnehmung der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichenUnternehmensinteressen ein anwaltlichesBetätigungsfeld wird und zur Entstehung eines neuartigenBerufsbildes führt. 6Angesichts der in solchen Konstellationen regelmäßig bestehendenInteressengegensätze zwischen Unternehmen undMitarbeitern lässt sich anwaltliche Tätigkeit jedoch nichtlänger in erster Linie als Schutz von Individualinteressen vordem staatlichen Strafanspruch kennzeichnen. 7 Stattdessenkann die Tätigkeit des strafrechtlichen Unternehmensanwalts6 Siehe hierzu Ignor, CCZ 2011, 143; Jahn, ZWH 2012, 477(480 ff.); Leipold, NJW-Spezial 2011, 56; Minoggio, Firmenverteidigung,2. Aufl. 2010, Rn. 164 ff.; Taschke, in: Hassemer/Kempf/Moccia(Fn. 1), S. 801.7 Zu den Zielen und Aufgaben der Strafverteidigung sieheLüderssen/Jahn, in: Erb u.a. (Hrsg.), Löwe/Rosenberg, DieStrafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Bd. 4,26. Aufl. 2007, vor § 137 Rn. 1 ff.; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung,Kommentar, 56. Aufl. 2013, vor § 137 Rn. 1;Beulke, Strafprozessrecht, 12. Aufl. 2012, § 9 Rn. 149 ff.;Kindhäuser, Strafprozessrecht, 3. Aufl. 2013, § 7 Rn. 3 ff.;Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 27. Aufl. 2012, § 19Rn. 1 ff.; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, 8. Aufl. 2013,§ 11 Rn. 1, 16 ff.dazu führen, im Interesse des Unternehmens mit den Strafverfolgungsbehördenzu kooperieren oder sogar Strafanzeigegegen einzelne Mitarbeiter zu erstatten. 8 Es überrascht daherkaum, wenn das Urteil über das Berufsbild des strafrechtlichenUnternehmensanwalts innerhalb der Anwaltschaft durchauskontrovers ausfällt.Namentlich solche Vertreter, die sich als Individualverteidigerverstehen, begegnen der Figur des strafrechtlichenUnternehmensanwalts mit erheblicher Reserve.Ein Interviewpartner, dessen „Herz […] immer noch fürdie klassische Verteidigung schlägt“ (1-4, 19/21), äußerte:„Also, ich muss sagen, ich habe da hohe Standards für mich.Das muss jeder Anwalt mit sich selbst ausmachen“ (1-4,838/839).Demgegenüber erklärte ein Interviewpartner, der gleichermaßenals Individualverteidiger und strafrechtlicher Unternehmensanwaltauftritt:„Die große Kritik kommt von Anwälten, die sich als reineStrafverteidiger verstehen. Ich verstehe mich als Strafrechtler,nicht als Strafverteidiger. Ich bin auch durchaus bereit, imUnternehmensinteresse Anzeigen zu erstatten. Da gibt eszahlreiche Kollegen, die sagen: ‚Schrecklich, schrecklich, soetwas würde ich nie machen. Ich habe in meinem Leben nochnie eine Strafanzeige unterschrieben‘“ (1-2, 1257/1263).III. Die BRAK-Thesen als „Recht“Die besonderen Probleme im Zusammenhang mit dem neuartigenBerufsbild werden vor allem an der Frage deutlich, obund inwieweit der strafrechtliche Unternehmensanwalt beiinternen Erhebungen Mitarbeiter zu Äußerungen veranlassendarf, durch die sie sich selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeitbezichtigen – was nach der bislang herrschendenAuffassung im Arbeitsrecht zwar zulässig, aber mit demklassischen Berufsbild des Strafverteidigers als eines auf dieAbwehr des staatlichen Strafanspruchs sowie die Sicherungzentraler prozessualer Positionen eines Beschuldigten verpflichtetenInteressenvertreters nur schwer in Einklang gebrachtwerden kann.Die BRAK stellt in den Erläuterungen ihrer Thesen klar,dass derartige Befragungen nicht den Regeln der Strafprozessordnungunterlägen, aber dennoch – unbeschadet arbeitsrechtlicherAuskunftspflichten – die sich aus der „rechtsstaatlichenOrdnung“ ergebenden Standards einzuhalten seien. 9Dies bedeute einen Verzicht auf jegliche Beeinträchtigungder Freiheit der Willensentschließung, womit nicht allein diein § 136a StPO benannten Methoden gemeint sind, sondernjeder Zwang zu einer Selbstbelastung sowie auch ein Verzichtauf solche Rechte, die die Auskunftsperson als Zeugeoder Beschuldigter eines Strafverfahrens hätte. 10 Insbesonde-8 Siehe hierzu auch BRAK-These 1, Erläuterung Nr. 5. ZumVerhältnis zwischen internen Ermittlungen und StrafverfahrenKnierim, StV 2009, 324 (329 ff.).9 BRAK-These 3, Erläuterung Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5.10 BRAK-These 3, Erläuterung Nr. 4. Vgl. in diesem ZusammenhangLeipold, NJW-Spezial 2011, 56; Rotsch (Fn. 1),Kap. 4 Rn. 51 f. Grundlegend ferner Rönnau, in: Professorinnenund Professoren der Bucerius Law School (Hrsg.), Begeg-_____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com379


Hans Theile_____________________________________________________________________________________re die Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen wird alsunzulässig angesehen. 11Die Thesen der BRAK offenbaren damit merkwürdigeWidersprüche: Einerseits sollen die Befragungen nicht denRegeln der Strafprozessordnung unterliegen, andererseits istdie Ausgestaltung der Standards deutlich an strafprozessualenGewährleistungen – etwa dem Verzicht auf einen Einsatz derin § 136a StPO benannten Methoden oder einen Bezug aufdie Zeugen- und Beschuldigtenrechte – orientiert. 12 Ferner:Einerseits soll das Verbot einer Beeinträchtigung der Freiheitder Willensentschließung sogar dazu führen, dass befragtenMitarbeitern nicht einmal mit arbeitsrechtlichen Konsequenzengedroht werden darf, andererseits soll die Verpflichtungauf die sich aus der rechtsstaatlichen Ordnung ergebendenStandards „unbeschadet arbeitsrechtlicher Auskunftspflichten“bestehen – womit implizit von einer arbeitsrechtlichen Verpflichtungauch zu selbstbelastenden Auskünften ausgegangenwird. 13Die auf den ersten Blick bestehenden Widersprüchlichkeitenlösen sich auf, wenn man die BRAK-Thesen in einenZusammenhang mit der Compliance-Entwicklung der letztenJahre stellt. Da die Sicherung der Einhaltung (straf-)rechtlicherVerbote und Gebote nicht länger ausschließlich als eineAngelegenheit des Staates erscheint, treffen Unternehmen entsprechendeorganisatorische Vorkehrungen im Sinne einerSelbstverpflichtung. Den BRAK-Thesen liegt nun gleichermaßendas Element einer Selbstverpflichtung zugrunde, indemstrafrechtliche Unternehmensanwälte auch ohne gesetzlicheAnordnung ihr Handeln an den an sich nur im staatlichenStrafverfahren geltenden Standards orientieren und die arbeitsrechtlicheAuskunftspflicht nicht erzwingen sollen. Geht esdamit der Sache nach um eine Selbstbeschränkung für dieDurchführung von Internal Investigations, bilden die Thesenein prozedurales Pendant zu den die materielle Seite betreffendenUnternehmensrichtlinien, nur dass nunmehr nicht demStreben von Unternehmen nach Gewinn, sondern nach ComplianceGrenzen gesetzt werden. Ebenso wie man Unternehmensrichtlinienquasi-konstitutionellen Charakter zusprechenkann, gilt dies auch für die BRAK-Thesen, die das Handelnvon strafrechtlichen Unternehmensanwälten gleichermaßenlegitimieren und begrenzen und insofern eine Klammer zwischenWirtschafts- und Strafrechtssystem bilden können. 14nungen im Recht, Ringvorlesung der Bucerius Law Schoolzu Ehren von Karsten Schmidt anlässlich seines 70. Geburtstags,2011, S. 237 (S. 257 f.).11 BRAK-These 3, Erläuterung Nr. 4.12 Kritisch insbesondere Momsen, <strong>ZIS</strong> 2011, 508 (514); Momsen/Grützner,DB 2011, 1792 (1793 f.); skeptisch zur Ausrichtungan strafprozessualen Standards Rödiger, Strafverfolgungvon Unternehmen, Internal Investigations und strafrechtlicheVerwertung von „Mitarbeitergeständnissen“, 2012,S. 249; Szesny, BB 2011, VI (VII).13 Kritisch daher Grimm/Freh, ZSzW 2012, 88 (90); Momsen/Grützner,DB 2011, 1792 (1793); Szesny, BB 2011, VI(VII).14 Siehe hierzu insbesondere Teubner, in: Grundmann/Haar/Merkt (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburts-Allerdings: Handelt es sich hier angesichts des nicht-staatlichenUrsprungs und des nur selbstverpflichtenden Charaktersüberhaupt um „Recht“? Oder sind die BRAK-Thesen alsAusdruck eines gesamtgesellschaftlichen Entdifferenzierungsprozesses„systemisches Niemandsland“ und hat die Wirklichkeitlängst eine über den Wolken fliegende Systemtheoriemit ihren klaren Distinktionen zwischen unterschiedlichensozialen Systemen hinter sich gelassen? 15Besinnt man sich auf das analytische Potential der Systemtheorie,wird deutlich, dass die Thesen letztlich rechtlicheProgramme darstellen. Ihr nicht-staatlicher Ursprung jedenfallssteht einer solchen Einordnung nicht entgegen, weil normativeOrientierungsmuster nicht länger allein im Zentrum desPolitik- oder Rechtssystems herausgebildet werden, sondernes zu einer Dezentralisierung normativer Ordnungen kommt. 16Obgleich ihr selbstverständlich keine Gesetzgebungskompetenzensowie unmittelbare Erzwingungsinstrumente zur Durchsetzungder Standards zustehen und folgerichtig lediglich von„Thesen“ die Rede ist, kann diese Semantik nicht den Umstandverdecken, dass es der BRAK nicht etwa „nur“ umeinen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte, sondern angesichtsgroßer Verunsicherungen innerhalb der Anwaltschaftüber das bei Internal Investigations einzuhaltende Prozedereerkennbar um eine normative Arrondierung dieses Feldesgeht. 17 Ebenso wenig trifft es die Sache, wenn man die BRAK-Thesen als Ausdruck einer „Anwaltsethik“ interpretiert unddamit zumindest graduell ihren Geltungsanspruch reduziert,da die Thesen deutlich über eine Formulierung moralischertag am 24. August 2010, 2010, S. 1 (S. 3 ff., 7 ff.); ders., in:Gosewinkel/Merkel/Simon (Hrsg.), Unternehmen, Staat, Globalisierung,Festschrift für Jürgen Kocka zum 65. Geburtstag,2007, S. 36 (S. 42 ff.); ders., ZaöRV 63 (2003), 1 (5 ff.).Ähnlich Theile, <strong>ZIS</strong> 2008, 406 (418).15 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 13: „Diese Theorieanlageerzwingt eine Darstellung in ungewöhnlicher Abstraktionslage.Der Flug muss über den Wolken stattfinden,und es ist mit einer ziemlich geschlossenen Wolkendecke zurechnen. Man muss sich auf die eigenen Instrumente verlassen.Gelegentlich sind Durchblicke nach unten möglich – einBlick auf Gelände mit Wegen, Siedlungen, Flüssen und Küstenstreifen,die an Vertrautes erinnern; oder auch ein Blickauf ein größeres Stück Landschaft mit den erloschenen Vulkanendes Marxismus. Aber niemand sollte der Illusion zumOpfer fallen, dass diese wenigen Anhaltspunkte genügen, umden Flug zu steuern“. Vgl. in diesem Zusammenhang auchForst/Günther, in: Forst/Günther (Hrsg.), Die Herausbildungnormativer Ordnungen, 2011, S. 11 (S. 14 f.).16 Zu derartigen Zusammenhängen siehe Fischer-Lescano/Teubner, Regimekollisionen, 2006, S. 41; Vesting, Jura 2001,299 (304 f.); ders., Rechtstheorie, 2007, S. 77 ff., 93 ff.; ausanderer Perspektive Günther, in: Wingert/Günther (Hrsg.),Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit,Festschrift für Jürgen Habermas, 2001, S. 539 (S. 541ff.); Kadelbach/Günther, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Rechtohne Staat, 2011, S. 9 (S. 10).17 Zur Verunsicherung siehe Ignor, CCZ 2011, 143 (144);ferner Szesny, BB 2011, VI (VII); Wybitul, BB 2011, VI._____________________________________________________________________________________380<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Die Herausbildung normativer Orientierungsmuster für Internal Investigations_____________________________________________________________________________________Maßstäbe anhand einer auf Personen bezogenen Achtung oderNichtachtung hinausgehen. 18 Insbesondere verbindet sich mitden Thesen die Erwartung an ihre Beachtung, indem strafrechtlicheUnternehmensanwälte ihr Handeln an den postuliertenStandards ausrichten sollen. Eine solche Erwartung ergibtsich nicht allein aus der Autorität der BRAK als Standesvertretung,sondern aus dem Charakter der Thesen als normativeErwartungsstruktur: Im Falle einer Verletzung der Standardskönnen trotz der damit einhergehenden Erwartungsenttäuschungin ihre Geltung jene Standards nach wie vor alsnormative Erwartungsstruktur Geltung beanspruchen. Dieszeigt sich insbesondere daran, dass die Verletzung jener Standardsin einem untechnisch verstandenen Sinne „Sanktionen“nach sich ziehen kann. 19 Obwohl der BRAK insofern dieDurchsetzungsmacht fehlt, sollen Mitarbeiter – so die Thesen– ihre Mitwirkung bei Befragungen verweigern können oderes soll eine Unverwertbarkeit beziehungsweise Minderung derBeweisqualität der gewonnenen Informationen in Betrachtkommen. 20Daher lässt sich an diesem Punkt jedenfalls im Grundsatzder das Rechtssystem charakterisierende Typus einer normativenErwartungsstruktur ausmachen: Trotz einer Erwartungsenttäuschungim Einzelfall – hier: die Verletzung der Standards– kann kontrafaktisch gerade aufgrund einer möglichenSanktion – hier: Verweigerung der Mitwirkung, Beweisverwertungsverbotoder Minderung der Beweisqualität – im allgemeinenweiter davon ausgegangen werden, dass InternalInvestigations in Orientierung an jenen Vorgaben durchgeführtwerden. 21 Sie stehen damit im Gegensatz zu den dieWirtschaft oder Wissenschaft kennzeichnenden kognitivenErwartungsstrukturen, wo im Falle einer Enttäuschung vonErwartungen – etwa bei Scheitern einer Geschäftsstrategieoder Widerlegung einer Hypothese – eine Umstrukturierungdes Erwartungshorizontes erfolgt.IV. Die Herausbildung normativer Orientierungsmusteraus rechtstatsächlicher SichtDie anhand der BRAK-Thesen intendierte Domestizierungvon Internal Investigations wäre wenig aussichtsreich, wenndie Setzung normativer Standards von vornherein vollständigan der Praxis vorbeigehen würde. In eine solche Richtungkönnte die Aussage eines Interviewpartners deuten:18 Luhmann, in: Horster (Hrsg.), Die Moral der Gesellschaft,2008, S. 101 (256 ff., 270 ff.).19 Vgl. zu den rechtssoziologischen Zusammenhängen Luhmann,Rechtssoziologie, 1972, S. 108 ff.; ders., SoziologischeBeobachtung des Rechts, 1986, S. 22 f.; ders., Recht der Gesellschaft,1993, S. 134 f., 139, 152 f.; vgl. auch Gephart,Gesellschaftstheorie und Recht, 1993, S. 107; Smid, JuS 1986,513 (516).20 BRAK-These 3, Erläuterung Nr. 3, Nr. 5.21 Luhmann, Soziale Welt, 1969, S. 28, 36 ff.; ders., Rechtssystemund Rechtsdogmatik, 1974, S. 24 f.; ders., Rechtstheorie1983, 129 (138 f.); ders. (Fn. 19 – Recht der Gesellschaft),S. 125, 132; ders., ZRSoz 1999, 1 (4); Teubner, ARSP 1982,13 (48).„Es werden vom hohen Rosse die Internal Investigationsdurchgeführt, die Mitarbeiter reden sich, weil sie sich dazuangehalten fühlen, um nicht sofort die Kündigung auf denTisch zu kriegen, um Kopf und Kragen“ (1-4, 921/924).Aufs Ganze besehen scheint die Praxis jedoch vielschichtigerzu sein, als es in dieser Aussage zum Ausdruck kommt.Die Befunde offenbaren ein uneinheitliches Bild, soweites um die Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließunggeht. Zwar wiesen die mit internen Erhebungen beschäftigtenInterviewpartner einhellig den Einsatz der in § 136aAbs. 1 StPO benannten Methoden zurück. Klarheit bestehtaber vermutlich nur im Kern der Begriffe „Täuschung“,„Zwang“ oder „Drohung“, während an den Rändern Unklarheitenbeginnen, 22 wie die Aussage eines Rechtsanwalts nahelegt:„[…] Wenn es nicht so im Sinne von Täuschung über imSinne von, ja, also explizite Drohungen und so, das wärensicherlich Sachen, die würde auch keiner je machen. Also, eswird nie ausgesprochen werden ‚Du fliegst, wenn Du hiernicht sprichst‘“ (1-3, 1641/1646).Kann sich das Verbot jener Vernehmungsmethoden dennochjedenfalls im Grundsatz auf die Akzeptanz innerhalbder beteiligten Verkehrskreise stützen, ergibt sich mit Blickauf die Ausübung von Zwang zur Herbeiführung selbstbelastenderAussagen ein ambivalentes Bild. Entgegen den durchdie BRAK formulierten Standards wird in der Praxis jedenfallsdurchaus auf die arbeitsrechtliche Auskunftspflicht sowiedas Arsenal zivilrechtlicher Erzwingungsinstrumente –Abmahnung, Kündigung, Schadensersatz – hingewiesen undderen Realisierung angedroht. 23Daneben zeigen sich aber auch deutliche Relativierungen,indem etwa bewusst auf die Durchsetzung des dem Unternehmenarbeitsrechtlich zustehenden Auskunftsanspruchs verzichtetwird, was ein befragter Rechtsanwalt folgendermaßenumschrieb:„Wir weisen auf die Informationspflicht des Arbeitnehmersgegenüber dem Arbeitgeber hin, sagen aber, dass derArbeitgeber auf sein Informationsrecht verzichtet, wenn derArbeitnehmer sagt ‚Mir wird jetzt mulmig, ich möchte micherst einmal rechtlich beraten lassen. So belehren wir auch‘“(1-5, 1146/1150).Vielfach scheint die Praxis dadurch geprägt zu sein, dassim Schatten des zivilrechtlichen Drohpotentials über eine„Amnestie“ – also den zivilrechtlichen Verzicht auf Abmahnung,Kündigung oder Schadensersatz – selbstbelastende Aussagenherbeigeführt werden. Dies gilt gerade dann, wenn dieErlangung wie die Preisgabe einer Information im jeweiligenwirtschaftlichen Interesse des Unternehmens sowie des Mitarbeitersliegen. Freilich bleibt die Frage, inwieweit hier Mechanismeneiner „friedlich erpressenden Schlichtung“ wirkenund der befragte Mitarbeiter sich der Übermacht des Unternehmensoder der Unternehmensanwälte beugt. 24 Unter Hin-22 Siehe hierzu Szesny, BB 2011, VI (VII).23 BRAK-These 3, Erläuterung Nr. 4. Siehe auch Sidhu/v.Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881 (883).24 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Luhmann, Rechtstheorie1983, 129 (151)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com381


Hans Theile_____________________________________________________________________________________weis auf die kartellrechtliche Kronzeugenregelung (§ 81 Abs. 7GWB in Verbindung mit den allgemeinen Bußgeldleitlinienund der Bonusregelung [Kronzeuge]) erläuterte ein Interviewpartneraus der Complianceabteilung eines multinationalenKonzerns: 25„Wenn wir meinen, der Mitarbeiter hat etwas damit zutun, haben wir ihm durchaus schon einmal Amnestie angeboten.Und ihm die ganzen Konsequenzen aufgezeigt, die dieNichtwahrnehmung dieses Amnestieangebotes haben könnte:Schadensersatzansprüche […] unsererseits, Kündigung, Abmahnung,das ganze Paket disziplinarisch. […] Das wird ihmschon nahe gelegt, sage ich jetzt einmal. Also so in Aussichtgestellt, dass das das Worst-Case-Szenario ist. Dass wir abernatürlich gemeinsam an seinen Informationen auch ein Interessehaben. So wie wir ihm diese Amnestie anbieten, möchtenwir natürlich auch die Kronzeugenregelung beanspruchenkönnen. Dass es quasi ein Win-win-Effekt für uns beide seinkönnte und dass er dann seine Position nicht verliert. Dass ervielleicht woanders arbeitet im Konzern, aber natürlich zugleichen Bezügen, aber er hat seinen Job und kann sein Haus[…] weiter abbezahlen […]“ (2-5, 1488/1503).Jenseits des manifesten oder latenten Einsatzes solcherNötigungselemente sind in der Praxis aber durchaus auchUntersuchungen anzutreffen, in denen die Autonomie der zubefragenden Mitarbeiter sehr weitgehend respektiert wird.Leitend ist dabei offenbar die Erwägung, dass die Komplexitätder aufzuklärenden Sachverhalte nur über kooperativeFormen der Informationsgenerierung reduziert werden kann. 26Ein befragter Rechtsanwalt schilderte:„Ich bin nun einmal kein Staatsanwalt mit Zwangsmitteln.Und glauben Sie mir, wenn Sie dem Mitarbeiter wüst mitKündigung drohen, jetzt einmal pragmatisch gesprochen, kriegenSie noch ein Wort aus ihm heraus? Das läuft nur mit Kooperation.[…] Also ich denke, bei so einer internen Ermittlungist man auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, aufeine Kooperationsbereitschaft der Betroffenen angewiesen.Und mit Druck, denke ich – ich habe es noch nie versucht –,aber ich glaube nicht, dass man mit Druck etwas erreicht.Und wenn [seitens des Mitarbeiters, Anm. des Verf.] kommt:‚Wir sagen nichts mehr‘, kriegen Sie auch nichts heraus“ (1-2, 1171/1184).V. Die normative Geltung des Verzichts auf Durchsetzungeines Anspruchs auf Tätigung selbstbelastender AussagenDie BRAK-Thesen und das Kaleidoskop der Interviewaussagenlegen den Blick auf einen Vorgang der Herausbildungnormativer Orientierungsmuster frei, der sich deutlich vonausschließlich staatlich geprägter Rechtsgenese unterscheidet.27 Eine solche Perspektive hatte erstmalig zu Beginn des20. Jahrhunderts Eugen Ehrlich eröffnet, indem er darauf hinwies,dass „der Schwerpunkt der Rechtsentwicklung weder in25 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Leipold, NJW-Spezial2011, 56 (57).26 Siehe hierzu für das staatliche Strafverfahren Theile, Wirtschaftskriminalitätund Strafverfahren, 2009, S. 258 ff.27 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Weber, Wirtschaft undGesellschaft, 2009, S. 648 ff.der Gesetzgebung, noch in der Jurisprudenz oder Rechtsprechung,sondern in der Gesellschaft selbst“ liege. 28 Bezeichnenderweiselehrte Ehrlich in am Rande der Donaumonarchiegelegenen Czernowitz (Bukowina), wo die Aufmerksamkeitfür außerstaatlich generierte normative Orientierungsmustervielleicht größer war als im Zentrum Wien.Angesichts der sich für Internal Investigations herausbildendenMuster scheint einstweilen nur klar, dass die Entwicklungnicht abgeschlossen ist, während die konkrete Gestaltjener sich herausbildenden Muster allenfalls umrisshaft erkennbarist. Welches „Recht“ entsteht hier also? Zunächstrücken die sich herausbildenden normativen Orientierungsmusterenger an die Rationalität des konkreten Regelungsbereichsheran, was sich etwa darin zeigt, wie sehr wirtschaftlicheGewinn- und Verlusterwägungen über die Erlangung oderPreisgabe von Informationen bestimmen. Das wesentlicheMerkmal dürfte jedoch in der im Vergleich zum staatlichenRecht deutlich stärkeren kognitiven Aufladung jener normativenOrientierungsmuster liegen. Der nicht-staatliche Ursprungsowie der Selbstverpflichtungscharakter der BRAK-Thesen stehen zwar nicht ihrer Eigenschaft als normative Erwartungsstrukturentgegen. Da die Einhaltung jener Vorgabenaber nicht unmittelbar erzwungen werden kann, schwächt sichder diesen Erwartungstypus kennzeichnende Mechanismuseiner gerade über Sanktionen erfolgenden kontrafaktischenStabilisierung enttäuschter Erwartungen ab. Mit Blick auf dieBRAK-Thesen und eine durchaus schillernde Praxis könnenErwartungen prozeduraler Art dementsprechend nicht in gleicherWeise stabil gesetzt werden wie es etwa bezogen auf dieStrafprozessordnung der Fall ist. Insoweit scheint sich dieProphezeiung Luhmanns zu bewahrheiten, nach der die sichnicht anhand nationalstaatlicher Grenzen, sondern unterschiedlichersystemischer Eigengesetzlichkeiten ausdifferenzierendeWeltgesellschaft weniger durch normative als durch kognitiveErwartungsstrukturen geprägt ist. 29 Die De-Etatisierungdes (Straf-)Rechts ist dadurch geprägt, dass an die Stelleeines unbedingten Geltungsanspruchs „weichere“ normativeOrientierungsmuster treten.Zugleich kommt in den BRAK-Thesen jedoch ein Bedürfnisnach einem Kernbestand normativer Grundorientierungzum Ausdruck, das rudimentär wohl auch von den injenem Feld tätigen Akteuren geteilt wird. Denn obwohl arbeitsrechtlichein Anspruch auf Tätigung selbstbelastender Aussagenbesteht, wird auf dessen Durchsetzung weitgehend verzichtet.Leitend ist hier sicher die Erwägung, dass eine Konsensfindungzu einer schnelleren und umfassenderen Sachverhaltsaufklärungführt. Und dennoch: Abgesehen davon,dass die Problematik von den Interviewpartnern überhauptauch straf- und nicht nur arbeitsrechtlich reflektiert und überdiesder nahe liegenden Akkumulation privater und staatlicher28 Vgl. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, 1913,Vorrede S. V; vgl. hierzu Lüderssen, in: Hans Kelsen/EugenEhrlich, Rechtssoziologie und Rechtswissenschaft, 2003,S. XV ff.29 Luhmann, in: Luhmann (Hrsg.), Soziologische Aufklärung,Bd. 2, 1975, S. 63, 68; siehe zu den sich hieraus ergebendenProblemen Fischer-Lescano/Teubner (Fn. 16), S. 7 f._____________________________________________________________________________________382<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Die Herausbildung normativer Orientierungsmuster für Internal Investigations_____________________________________________________________________________________Untersuchungen Rechnung getragen wird, lässt sich innerhalbder beteiligten Verkehrskreise wohl immerhin eine normativeGrundüberzeugung des Inhalts identifizieren, nach der imSchatten eines drohenden Strafverfahrens selbstbelastendeAussagen nicht erzwungen werden sollen. Ein solcher Standardentfaltet nicht allein eine faktische Geltung, indem dieBeteiligten ihr Handeln daran ausrichten oder in ihrer jeweiligenKommunikation auf ihn Bezug nehmen. 30 Stattdessenscheint die Geltung darüber hinausgehend gerade auf der Anerkennungeiner solchen Position als essentieller Bestandteileiner fairen Untersuchung durch die beteiligten Verkehrskreisezu basieren. 31 Sucht man nach einem legitimatorischen Anknüpfungspunktfür diese normative Geltung, kann man aufdie diskurstheoretische Vorstellung der idealen Sprechsituationverweisen, 32 deren Entstehung unter anderem von der prozeduralenVoraussetzung horizontaler Chancengleichheit abhängt.33 Mit Blick auf Internal Investigations zeigt sich, dasshorizontale Chancengleichheit nur hergestellt werden kann,wenn man private und staatliche Erhebungen im Zusammenhangsieht. Das Argument, das Bestehen eines arbeitsrechtlichenAnspruchs auf Tätigung selbstbelastender Aussagen seider Preis für das Fehlen strafprozessualer Eingriffsbefugnissewie umgekehrt deren Existenz der Preis für das Verbot desZwangs zur Tätigung selbstbelastender Aussagen, 34 greift nichtdurch. Abgesehen davon, dass dem Arbeitgeber durchaus wirkungsvolleErhebungsinstrumente zustehen – man denke nuran Datenscreenings bei Mitarbeitern – muss der von vornhereinenge Zusammenhang zwischen privaten und staatlichenUntersuchungen gesehen werden, der dazu führt, dass betroffeneMitarbeiter angesichts der Akkumulation von Untersuchungspotentialenweder auf das Schweigerecht noch dasAusbleiben strafprozessualer Eingriffsbefugnisse vertrauenkönnen. 35 Das Nach- oder Nebeneinander privater und staatlicherUntersuchungen führt demnach zwangsläufig zu einemLeerlaufen der in den jeweiligen Untersuchungen vorgesehenenSchutzmechanismen.Alles in allem führt die dezentrale Herausbildung normativerOrientierungsmuster also keineswegs zu einer Verabschiedungdes Rechts, sondern lediglich zu einer Veränderungseiner Strukturen.30 Zum systemtheoretischen Geltungsbegriff siehe Luhmann(Fn. 19 – Recht der Gesellschaft), S. 32, 98 ff. Dazu Vesting,(Fn. 16), S. 92 f.31 Zu Theorien der Rechtsgeltung siehe Neumann, in: Gessner/Hassemer (Hrsg.), Gegenkultur und Recht, 1985, S. 21.32 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 138 ff.; siehezu einer solchen Anbindung auch Lüderssen, Genesis undGeltung in der Jurisprudenz, 1996, S. 19 ff., 94 ff.; ders.(Fn. 28), S. XI ff.33 Siehe hierzu Lüderssen (Fn. 32), S. 20 ff.; ders. (Fn. 28),S. XV; zur Übertragung diskurstheoretischer Vorstellungenauf das Strafrecht siehe Jahn, GA 2004, 272 (280 ff.).34 Momsen/Grützner, DB 2011, 1792 (1793); Szesny, BB 2011,VI (VII).35 Siehe hierzu auch Ignor, CCZ 2011, 143.VI. Die faktische Effektivierung des Nemo tenetur-GrundsatzesSelbstverständlich bleibt die Frage, inwieweit sich die hiernachgezeichnete Herausbildung normativer Orientierungsmusterzur entgegenstehenden arbeitsrechtlichen Dogmatikverhält, die nach wie vor von einem Anspruch auf Tätigungselbstbelastender Aussagen ausgeht. Eine dezentrale Rechtsbildungbietet eben nicht nur die Aussicht auf sachnähereRegelungen oder erhöhte Varianz von Optionen zur Lösungvon Problemen – kurz: auf eine Stärkung der Lernfähigkeitdes Rechts. Abgesehen von verminderter demokratischer Legitimationder rechtsetzenden Instanz ist mit ihr immer aucheine Schwächung der gesamtgesellschaftlichen Funktion desRechts in Gestalt der Stabilisierung normativer Erwartungenverbunden. Dies kann in der Folge zu Kollisionsproblemenführen, wenn trotz einer durch solche normativen Orientierungsmustergeprägten Praxis die Arbeitsgerichte an einerVerpflichtung zur Tätigung selbstbelastender Aussagen festhalten(was perspektivisch jedoch keinesfalls zwingend ist).Momentan wird dieses Kollisionsproblem dadurch verdeckt,dass der Verzicht auf eine Durchsetzung des arbeitsrechtlichenAnspruchs auf Tätigung selbstbelastender Aussagen alsSelbstverpflichtung der beteiligten Verkehrskreise begriffenwird. Allerdings: Je mehr es zu Prozessen dezentraler Ordnungsbildungkommt, desto unrealistischer wird die Erwartung,Recht könne stets gesamtgesellschaftlich wirken unddurchgesetzt werden.Obwohl man angesichts des „nur“ selbstverpflichtendenCharakters eines solchen Verzichts nicht auf ein strafprozessualesVerwertungsverbot wird verzichten können, effektivierendie BRAK-Thesen und eine sie jedenfalls ansatzweisestützende Praxis einstweilen das Verbot des Zwangs zurSelbstbelastung. Dies geschieht, indem einer ungehindertenInformationsgenerierung schon im Vorfeld eines StrafverfahrensGrenzen gesetzt werden und sich die daran orientierendenUnternehmensanwälte angesichts der entgegenstehendenarbeitsrechtlichen Dogmatik „überobligationsmäßige“ Beschränkungenfür die Durchführung von Internal Investigations auferlegen.Auch wenn namentlich die BRAK-Thesen in ersterLinie der Stärkung der Position der von Internal Investigationsbetroffenen Mitarbeitern dienen, ist dies durchaus folgerichtig,da die Herausbildung dieses neuartigen Compliancephänomenszu einer kaum hinnehmbaren Verschiebung derKräfteverhältnisse im Dreieck zwischen Unternehmen, Staatund Mitarbeiter geführt hatte. 36 Eine solche Entwicklung istauch aus Sicht des Strafrechts zu begrüßen, da die Bedeutungzentraler rechtsstaatlicher Grundsätze maßgeblich davon abhängt,inwieweit sie faktische Wirksamkeit entfalten undeben nicht zu jener Hülle ohne Inhalt werden. Die außerhalbdes Staates generierten normativen Orientierungsmuster stützendamit letztlich eine zentrale strafprozessuale Position desBeschuldigten.Entgegen einiger Kritik erscheint die grundsätzliche Ausrichtungder BRAK-Thesen an den innerhalb des staatlichenStrafverfahrens gewährleisteten Standards gerechtfertigt, zu-36 Kritisch Momsen/Grützner, DB 2011, 1792 (1793); Szesny,BB 2011, VI._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com383


Hans Theile_____________________________________________________________________________________mal sie sich in der Sache ja durchaus auf eine nach entsprechendernormativer Orientierung strebende Praxis stützenkann. Denn angesichts der – auch empirisch beobachtbaren –engen Verzahnung von privaten und staatlichen Sachverhaltsaufklärungenwird man die inhaltliche Ausgestaltung derStandards von der Rechtsmaterie her denken müssen, welcheals tiefster Punkt der schiefen Ebene dem potentiell Beschuldigtenangesichts ihrer Eingriffsintensität die weitreichendstenSchutzpositionen zugesteht. Dass die Internal Investigationsihre Bedeutung überhaupt erst durch die unter der Flaggeder Prävention segelnde Compliance-Entwicklung entfaltenkonnten, steht der Orientierung an der Strafprozessordnungnicht entgegen. Abgesehen davon, dass Prävention selten zumNulltarif zu haben ist und stets mehr oder weniger deutlicherepressive Komponenten aufweist, stellen jene privaten Erhebungengerade die repressive Seite von Compliance dar. 37Schon deshalb empfiehlt sich eine Orientierung an der Repressionpar excellence darstellenden Rechtsmaterie des Strafrechts.VII. FazitAlles in allem kann man anhand von Internal Investigationseinen Prozess der Herausbildung normativer Orientierungsmusterbeobachten, der zumindest graduell auf eine De-Etatisierungdes Rechts hinausläuft. Ungeachtet der damit verbundenenStrukturveränderungen des Rechts ist die Entwicklungzu begrüßen, solange sich die professionellen Akteureim Interesse potentiell Beschuldigter an strafprozessualenStandards orientierte überobligationsmäßige Beschränkungenauferlegen. Man mag einwenden, dass derartige normativeOrientierungsmuster zumindest dann an Wirkungsgrenzen stoßen,wenn es um Sachverhalte mit US-Bezug geht, da sichSEC oder DOJ kaum von alteuropäischen normativen Orientierungenbeeindrucken lassen werden. Normative Orientierungsmusterentstehen jedoch vor allem aus Konflikten, wasunter den Bedingungen der Weltgesellschaft auch transatlantischeKonflikte über Standards bei Internal Investigationsbedeuten kann. 38 Dazu nur so viel: Manche Konflikte mussman aushalten. Eine Kapitulation vor der angeblichen Übermachtvon SEC und DOJ erschiene vor diesem Hintergrundjedenfalls vorschnell.37 Anders Momsen/Grützner, DB 2011, 1792; vgl. aber Gerst,CCZ 2012, 1; Momsen, <strong>ZIS</strong> 2011, 508 (511).38 Siehe hierzu Wehnert, NJW 2009, 1190 (1192); vgl. fernerArzt, in: Jahn/Kudlich/Streng (Hrsg.), Strafrechtspraxis undReform, Festschrift für Heinz Stöckel zum 70. Geburtstag,2010, S. 15 (S. 26 ff.)._____________________________________________________________________________________384<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Sonderbares Recht am Sondergerichtshof für den Libanon*Die Entscheidungen zur Legalität und In AbsentiaVon Rechtsanwältin Dr. Anna Oehmichen, MainzI. Einführung1. Hans-Heiner Kühne und das VölkerstrafrechtDer Jubilar hegte schon seit Beginn seiner Karriere ein großesInteresse für die internationalen Zusammenhänge desStrafrechts. Neben seiner Gastprofessur an der Keio-UniversitätTokyo Anfang der 1970er Jahre sei hier nur auf seinezahlreichen Veröffentlichungen zu europäischen und internationalenThemen 1 sowie die weiteren Gastprofessuren inWestminster, Istanbul und Straßburg verwiesen, ganz zuschweigen von diversen ausländischen Ehrendoktorwürden.Schon während des Studiums nahm ich bei ihm an zwei internationalausgerichteten Seminaren teil. Das erste befasstesich mit europäischem Strafverfahrensrecht und mag zumTeil inspirierend auf das gleichnamige Lehrbuch des Jubilars 2gewirkt haben, das zweite behandelte Kernthemen des Völkerstrafrechts.Letzteres war ein für uns Studenten sehr großerErfolg, denn das vereinte Engagement des Jubilars, desHerausgebers dieser Festschrift und unseres SeminarteilnehmersMarc Gerding ermöglichten eine Veröffentlichung unsererArbeiten im vielsagenden, 2007 erschienenen Band„Völkerstrafrecht“, 3 für die meisten von uns die allerersteVeröffentlichung überhaupt. Da es nicht zuletzt Kühne war,der mein Interesse und meine weiteren Lebensstationen beider Europäischen Rechtsakademie und am InternationalenStrafgerichtshof in Den Haag entscheidend prägte, verbindetuns dieses Thema ganz besonders.2. Der Sondergerichtshof für den Libanon 4 als völkerstrafrechtlichesNovumAm spannendsten erschien mir als aktuelles Thema der Sondergerichtshoffür den Libanon (Special Tribunal for Lebanon,nachfolgend „STL“ oder „Tribunal“), da dieser einesder neuesten internationalen Strafgerichte ist und zudemeigens für die Verfolgung des tödlichen Anschlags auf denfrüheren libanesischen Premierminister Rafiq Hariri am 14.2.2005 geschaffen wurde; es ist damit das erste internationale* Dieser Aufsatz wurde anlässlich des 70. Geburtstages vonHans-Heiner Kühne in der von Esser/Günther/Jäger/Öztürk/Mylonopoulos im Oktober 2013 herausgegebenen Festschriftfür Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag am 21. August2013 veröffentlicht. Dem HJR-Verlag danke ich für die Ermöglichungder Parallel-Veröffentlichung in der <strong>ZIS</strong> zu Ehrendes Jubilars.1 Vgl. das Verzeichnis der Schriften von Hans-Heiner Kühnein Esser/Günther/Jäger/Öztürk/Mylonopoulos (Hrsg.), Festschriftfür Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag am21. August 2013, 2013, S. 823 ff.2 Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010.3 Kühne/Esser/Gerding, Völkerstrafrecht, 2007.4 Einen kurzen Überblick hierzu bietet: Williams, Hybrid andInternationalised Criminal Tribunals, 2012, S. 73 ff.Gericht, welches primär Straftaten des Terrorismus verfolgt. 5Auch insoweit verbindet der Gegenstand dieses Beitragesmich mit dem Jubilar, denn er betreute meine zum gleichenThema publizierte Dissertation. 6 Nicht zuletzt, weil im siebzigstenJahr des Jubilars voraussichtlich die erste Hauptverhandlungvor diesem Gericht stattfinden wird, 7 bietet sichzum gegenwärtigen Zeitpunkt eine nähere Auseinandersetzungmit dem STL an.II. Völkerstrafrechtliche Eigenarten des STLDas STL unterscheidet sich von seinen Vorläufern 8 wesentlichin dreifacher Weise: 9 Erstens im Hinblick auf die rechtlicheGrundlage für seine Entstehung, zweitens in Bezug aufdie durch ihn verfolgbaren Straftaten (und in diesem Zusam-5 Lediglich in ihrer Entscheidung in Sachen Prosecutor v.Stanislav Galić (ICTY [Trial Chamber I], Urt. v. 5.12.2003 –IT-98-29-T, qualifizierte Trial Chamber I des ICTY jedoch„Terror gegen die Zivilbevölkerung“ als Kriegsverbrecheni.S.d. Art. 3 ICTY-Statut. Kritisch hierzu aber etwa Cryer,Israel Defence Forces Law Review 6 (2005), 73. Bei denVerhandlungen zum ICC forderten die Vereinigten Staatenbereits 1995 vom Ad hoc-Komitee, Terrorismus und Drogenhandelvom Anwendungsbereich des ICC auszuschließen(United States Comments to Ad Hoc Committee Report, UNGeneral Assembly Official Records, 50 th Sess. = UN-DocA/AC.244/ 1/Add.2 v. 31.5.1995, Rn. 27-29). Im Draft Statutewaren Crimes of Terrorism zwar noch enthalten (DraftStatute for an International Criminal Court = UN-DocA/CONF.183/2/ Add.1 v. 14.4.1998, Rn. 27-28), doch setztesich die Mehrheit der Delegationen gegen die Aufnahme vonTerrorismus durch. Zum Ganzen vgl. Van der Vyver, EmoryIntl. Law Rev. 24 (2010), 527 (534).6 Oehmichen, Terrorism and Anti-Terror Legislation, TheTerrorised Legislator?, 2009.7Zur Zeit der Niederschrift dieses Aufsatzes war der25.3.2013 als vorläufiger Termin für die erste mündlicheVerhandlung im Verfahren Ayyash u.a. angesetzt, vgl. STL,Beschl. v. 19.7.2012 – STL-11-01/PT/PTJ/F0329 (OrderSetting a Tentative Date for the Start of Trial proceedings).Der Termin wurde zwischenzeitlich allerdings auf den13.1.2014 verlegt, STL, Beschl. v. 2.8.2013 – STL-11-01/PT/PTJ/F1025 (Order Setting a New Tentative Date forthe Start of Trial Proceedings). Die Prozessdokumente desGerichtshofs finden sich online auf www.stl-tsl.org.8 Zu denken sei hier vor allem an die Internationalen Militärgerichtshöfevon Nürnberg und Tokio, die InternationalenStrafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruandasowie die Sondergerichtshöfe von Sierra Leone, Kambodschaund Osttimor.9 Vgl. zu den Besonderheiten Aptel, Journal of InternationalCriminal Justice 5 (2007), 1107 (1124 ff.); Wierda/Nassar/Maalouf, Journal of International Criminal Justice 5 (2007),1065._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com385


Anna Oehmichen_____________________________________________________________________________________menhang auch das durch ihn anwendbare Recht) und drittensdarin, dass vor ihm Abwesenheitsverfahren in einem größerenUmfang als bis dato bei internationalen Gerichten üblichzugelassen sind. Bereits bei der Entstehung des STL führteninsbesondere diese Neuheiten zu lebhaften Diskussionen. 10Das Tribunal hat mittlerweile in zwei Entscheidungen nachRegel 140 des Verfahrens- und Beweisregeln des STL 11(Rules of Procedure and Evidence, nachfolgend: STL-RPE)Gelegenheit gehabt, zu Rechtsfragen vorab klärend Stellungzu nehmen. Die erste Entscheidung betraf die Legalität derEinrichtung des STL, die zweite die Eröffnung der Verfahrenin Abwesenheit der Angeklagten. 12 Daneben hat es außerdembereits im Februar 2011 in einer vieldiskutierten Zwischenentscheidung(interlocutory decision) auf Grundlage der (möglicherweisegenau zu diesem Zweck kurz zuvor erweiterten)Regel 176bis STL-RPE in Hinblick auf das materiell anzuwendendeRecht entschieden, dass sich aus dem Völkergewohnheitsrechtein Straftatbestand des Terrorismus herauskristallisierthabe, welcher bei der Auslegung von Art. 2STL-Statut Berücksichtigung finden müsse. 13 Letztere Entscheidungwurde bereits an anderer Stelle ausführlich diskutiertund soll hier daher nicht wiederholt werden. 14 Die dreiEntscheidungen bieten die Möglichkeit, neben den theoreti-10 Vgl. insb. die Beiträge im Rahmen des Symposiums „SpecialTribunal for Lebanon – A Cripple from Birth“ des Journalof International Criminal Justice = Journal of InternationalCriminal Justice 5 (2007), 1061.11 Nach dieser Regel kann die Kammer ex officio oder aufAntrag einer Partei eine Entscheidung überdenken/neu bescheiden,wenn dies zur Vermeidung von Ungerechtigkeiterforderlich ist (a Chamber may, proprio motu or at the requestof a Party with leave of the Presiding Judge, reconsider adecision, other than a Judgement or sentence, if necessary toavoid injustice.)12 STL, Entsch. v. 27.7.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0352 (Decisionon the Defence Challenges to the Jurisdiction andLegality of the Tribunal); STL, Entsch. v. 1.2.2012 – STL-11-01/I/TC/F0112 (Decision to hold trial in absentia); STL,Entsch. v. 11.7.2012– STL-11-01/PT/TC/F0320 (Decision onreconsideration of the trial in absentia decision).13 STL (Appeals Chamber), Entsch. v. 16.2.2011 – STL-11-01/I/AC/R176bis (Interlocutory Decision on the ApplicableLaw: Terrorism, Conspiracy, Homicide, Perpetration, CumulativeCharging). Die Entscheidung wurde u.a. besprochenvon Kirsch/Oehmichen, Durham Law Review 2011, 1 (onlineauf http://durhamlawreview.co.uk/attachments/article/26/Judges%20gone%20astray.pdf); dies., <strong>ZIS</strong> 2011, 800; Gillet/Schuster,Journal of International Criminal Justice 9(2011), 989; Ambos, Leiden Journal of International Law 24(2011), 655; Saul, Leiden Journal of International Law 24(2011), 677; ders., CLF 22 (2011), 365; Siehe auch Gless, in:Galli/Weyembergh (Hrsg.), EU counter-terrorism offences,2012, S. 33 (S. 40 ff.). Vorausschauend insoweit schon NabilJurdi, Journal of International Criminal Justice 5 (2007),1125. Siehe auch Milanovic, Journal of In-ternational CriminalJustice 5 (2007), 1139.14 Siehe vorige Fn.schen Aspekten dieser grundlegenden Besonderheiten desTribunals auch die Auswirkungen in der Praxis erstmalig imZusammenhang zu diskutieren. Dies ist Ziel dieses Beitrages.Schwerpunkt werden dabei die Regelungen zu Abwesenheitsverfahrensein. Diese strafprozessuale Besonderheit des STList nicht nur im Hinblick auf sein gemischt akkusatorischinquisitorischesRechtssystem von besonderem Interesse,sondern vor allem auch vor dem Hintergrund seiner Aktualitätund praktischen Relevanz, wurde doch bereits die ersteVerfahrenseröffnung gegen vier Angeklagte in deren Abwesenheitvom STL beschlossen. 151. Legalität des STL 16Schon im Hinblick auf seine Entstehung nimmt das STL eineSonderrolle ein: Am 29.3.2006 verabschiedete der UN-SicherheitsratResolution 1664, womit er den UN-Generalsekretärmandatierte, mit der libanesischen Regierung einen Vertragzur Errichtung eines internationalen Tribunals für den Libanoneinzurichten. Geplant war zunächst die Errichtung eineshybriden Tribunals ähnlich der Beispiele von Sierra Leoneund Kambodscha. Es wurde daher eine Vereinbarung mitdem libanesischen Premierminister Siniora ausgehandelt, diedie Errichtung dieses Tribunals vorsah. Diese wurde am23.1.2007 von der libanesischen Regierung gezeichnet und andas Parlament zur Ratifikation weitergeleitet. 17 Nachdem sichder prosyrische Parlamentssprecher geweigert hatte, das Parlamenteinzuberufen, forderte Premierminister Siniora denUN-Generalsekretär auf, unilateral ein internationales Tribunalzu errichten. 18 Der UN-Sicherheitsrat folgte diesem Wunsch.a) Historischer und politischer 19 KontextDer politische Hintergrund für diese Entwicklung war folgender:Sowohl im Libanon als auch international wurde derAnschlag auf Rafiq Hariri zunächst Syrien zugeschrieben. 2015 STL, Entsch. v. 1.2.2012 – STL-11-01/I/TC/F0112 (Decisionto hold trial in absentia).16 Zum Unterschied zwischen Legalität und Legitimität imZusammenhang mit internationalen Tribunalen vgl. auchCassese, Leiden Journal of International Law 25 (2012), 491.Zur Legitimität siehe etwa Wierda/Nassal/Malouf, Journal ofInternational Criminal Justice 5 (2007), 1065.17 Art. 19 des Agreement between the United Nations and theLebanese Republic on the establishment of a Special Tribunalfor Lebanon, Annex to SC Resolution 1757 (2007) = UN-Doc. S/RES/1737.18 UN Security Council, Letter dated 14 May 2007 from thePrime-Minister of Lebanon to the Secretary-General = UN-Doc. S/2007/281.19 Zu den unterschiedlichen Verschwörungstheorien vgl.bspw. Kassis, Perspectives on Terrorism, 4 (2010), S. 3 ff.Für eine kritische juristische Analyse des STL-Statuts vgl.Elberling, Leiden Journal of International Law 21 (2008), 529.20 Knowlton, International Herald Tribune v. 15.2.2005 („Wordof the assassination provoked a burst of finger-pointing directedat Syria.“)._____________________________________________________________________________________386<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Sonderbares Recht am Sondergerichtshof für den Libanon_____________________________________________________________________________________Libanon war zu jenem Zeitpunkt unter syrischer Besetzung. 21Die im Libanon herrschenden Spannungen zwischen der prosyrischenSeite (u.a. Hisbollah) und dem anti-syrischen Lagermachten eine objektive Aufklärung des Sachverhalts aus UN-Sicht äußerst schwierig. Am 7.4.2005 verabschiedete derUN-Sicherheitsrat daher Resolution 1595, mittels welchereine unabhängige internationale Kommission (United NationsInternational Independent Investigation Commission, UNIIIC)eingerichtet wurde, die den Anschlag auf Hariri unter Leitungdes Berliner Leitenden Oberstaatsanwaltes Detlev Mehlis aufklärensollte. 22 Die Kommission arbeitete unter großem politischemDruck von beiden (pro- und antisyrischen) Lagern;ihre Ergebnisse stießen auf heftige Kritik und waren demVorwurf ausgesetzt, das Ergebnis politischer Einflussnahmezu sein. 23 Auch nach Einsetzung der UNIIIC nahm die Gewaltim Libanon bis Ende 2005 nicht ab, der Ruf nach eineminternationalen Tribunal wurde lauter. Am 13.12.2005 batPremierminister Siniora schließlich den UN-Generalsekretärum die Einrichtung eines Tribunals. 24 Unter diesen Eindrückennun verhandelte das libanesische Parlament mit demUN-Sicherheitsrat über einen völkerrechtlichen Vertrag zurErrichtung des Tribunals. Da die von der Regierung gezeichneteVereinbarung aber mangels Einberufung des Parlamentsnicht ratifiziert werden konnte, bat Siniora die VereintenNationen im Februar 2007, Libanon unter Kapitel VII derCharta zur Einrichtung des Tribunals zu zwingen. Am 30.5.2007 folgte der Sicherheitsrat diesem Wunsch mit der Verabschiedungvon Resolution 1757. 25 Mit dieser Resolutionsetzte der Sicherheitsrat dem libanesischen Parlament eineFrist bis zum 10.6.2007, innerhalb derer das Parlament dieVereinbarung zur Einrichtung des Tribunals ratifizieren solle;andernfalls werde der Sicherheitsrat die Vereinbarung unilateralin Kraft setzen. Das Parlament ratifizierte nicht, mitder Folge, dass das Libanon-Tribunal das erste internationaleStrafgericht wurde, welches auf vertraglicher Grundlage entstandenist, die aber durch eine UN-Resolution unter KapitelVII (Art. 41 der UN-Charta) durchgesetzt wurde. 26 Die unterschriebene,aber nicht ratifizierte Vereinbarung wurde derUN-Resolution einfach als Annex beigefügt.b) Die Entscheidung des STL zur Legalitätsfrage21 Vgl. den syrisch-libanesischen Vertrag v. 22.5.1991: „Traitéde fraternité, de coopération et de coordination syro-libanais“.22 UN Security Council Resolution 1595 of 7.4.2005, Rn. 9 =UN-Doc. SC/1559.23 Bouhabib, Power and Perception, The Special Tribunal forLebanon, Selected Works, 2009, S. 12 ff. (online verfügbarauf http://works.bepress.com/melia_bouhabib/1 [25.9.2013]).24 Fuad Siniora, Annex to the Letter dated 13 December 2005from the Chargé d'affaires a.i. of the Permanent Mission ofLebanon to the United Nations addressed to the Secretary-General = UN-Doc. S/2005/783 v. 13.12.2005.25 UN Security Council Resolution 1757 of 30.5.2007, S. 2 =UN-Doc. S/RES/1757.26 Bouhabib (Fn. 23), S. 12 ff. m.w.N.Aus diesem Grunde wurde die Legalität des Tribunals lebhaftund kontrovers diskutiert. 27 Auch die Verteidiger der vierersten Angeklagten äußerten große Zweifel an der Legalitätdes Tribunals. Sie argumentierten, das Gericht sei durch denUN-Sicherheitsrat rechtswidrig eingerichtet worden, die Einrichtungverletze die Souveränität Libanons und sei verfassungswidrignach libanesischem Recht wegen Verletzungvon Art. 52 der Verfassung. Aufgrund dessen sei auch dasMenschenrecht der Angeklagten, von einem auf Gesetz beruhendenGericht 28 gerichtet zu werden, verletzt. 29 Am 27.7.2012wies die Strafkammer (Trial Chamber) des STL die Anträgeab. 30 Auch die daraufhin eingelegten Rechtsmittel der Angeklagtenbei der Rechtsmittelkammer (Appeals Chamber) bliebenohne Erfolg. 31 Die Rechtsmittelkammer bestätigte die Entscheidungder Strafkammer, das Gericht sei rechtmäßig durchUN-Sicherheitsresolution Nr. 1757 unter Kapitel VII der UN-Charta eingerichtet worden, und die Kammer habe keine Kompetenz,die Rechtmäßigkeit der Resolution zu beurteilen. DerSicherheitsrat habe nämlich bei der Frage, ob eine Bedrohungdes internationalen Friedens und der internationalen Sicherheitvorliege und, bejahendenfalls, welche Maßnahmen zu ergreifenseien, einen sehr großen Ermessensspielraum.27 Die Vereinbarkeit der Resolution 1757 v. 30.5.2007 mitden allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts oder mit derUN-Charta wurde bereits am 30.5.2007 von einigen UN-Mitgliedstaaten bei der Verabschiedung der Resolution imSicherheitsrat diskutiert; siehe z.B. Indonesien (S/PV.5685,S. 3), Südafrika (S/PV.5685, S. 4), China (S/PV.5685, S. 4 f.),Russland (S/PV.5685, S. 5); siehe auch Peru (S/PV.5685, S. 6).Vgl. ferner Fassbender, Journal of International CriminalJustice 5 (2007), 1091; Khairallah, Contemporary Arab Affair4 (October 2008), 589 (596); Bouhabib (Fn. 23), S. 12 ff.;allgemein zur demokratischen Legitimation internationalerGerichte siehe auch Glasius, European Journal of InternationalLaw 23 (2012), 43; siehe auch Williams (Fn. 4), S. 260 ff.28 „Court established by law“, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14Abs. 1 IPbpR.29 STL, Antrag v. 4.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0222 (Motionon Behalf of Salim Ayyash Challenging the Legality ofthe Special Tribunal for Lebanon); STL, Antrag v. 9.5.2012 –STL-11-01/PT/TC/F0237 (Sabra’s Preliminary Motion Challengingthe Jurisdiction of the Special Tribunal for Lebanon);STL, Antrag v. 10.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0238/COR(The Corrected Version of the Defence for Mr. HusseinHassan Oneissi’s Motion Challenging the Legality of theTribunal); STL, Antrag v. 6.6.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0239/COR/ (Version corrigée de l‘exception préjudicielled’incompétence du Tribunal special pour le Liban depose parla Défense de M. Abdreddine).30 STL, Antrag v. 27.7.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0352(Decision on the Defence Challenges to the Jurisdiction andLegality of the Tribunal).31 STL, Entsch. v. 24.10.2012 – STL-11-01/PT/AC/AR90.1(Decision on the Defence Appeals of the Trial Chamber „Decisionon the Defence Challenges to the Jurisdiction andLegality of the Tribunal)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com387


Anna Oehmichen_____________________________________________________________________________________Dies war freilich strategisch das einzig mögliche Ergebnisfür das Tribunal, hätte es sich doch andernfalls selbst abschaffenmüssen. Bedauernswert ist indes, dass es seine Entscheidungmit dem großen Ermessensspielraum des Sicherheitsratsbegründete und damit dessen – ohnehin schon sehrweitreichenden – Befugnisse weiter stärkte. Dass der Sicherheitsratdie Anschläge auf Hariri als „Bedrohung des internationalenFriedens und der internationalen Sicherheit“ qualifizierteund damit eine Maßnahme nach Art. 41 der UN-Chartarechtfertigte, liegt nämlich nicht gerade auf der Hand. Andersals im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda ging es imLibanon nicht um die sog. core crimes (Kriegsverbrechen,Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord), sondern„nur“ um einen terroristischen Anschlag, der überdies in seinemAusmaß keineswegs an andere terroristische Attentatewie etwa die in New York und Washington 2001 oder dieAnschläge von Madrid 2004 und London 2005 auch nur annäherndheranreichte. Die Macht des Sicherheitsrates, Maßnahmenunter Kapitel VII UN-Charta zu ergreifen, erscheintnach dieser Entscheidung kaum noch begrenzt; sollte dieEntscheidung des STL Präzedenzwirkung entfalten, könntekünftig praktisch jeder politische Mord in jedem beliebigenStaat vom Sicherheitsrat als Bedrohung des internationalenFriedens verstanden werden, mit der Folge, dass der Sicherheitsratdem betroffenen Staat ein internationales Tribunalaufoktroyiert.2. Abwesenheitsurteile im Völkerstrafrecht und am STLa) In Absentia-Verfahren und VölkerstrafrechtMit Abwesenheits- oder In Absentia-Verfahren sind in diesemBeitrag Abwesenheitsverfahren im engeren Sinne gemeint,d.h. solche Verfahren, die in vollständiger Abwesenheitdes Angeklagten durchgeführt werden können, von derVerfahrenseröffnung bis zum Urteil. Hiervon zu unterscheidensind Verfahren, in denen die zeitweilige Abwesenheitunter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Währendletztere in den meisten Rechtsordnungen anerkannt sind, 32sind Abwesenheitsverfahren im engeren Sinne nur in einigen,meist kontinental-europäisch geprägten Rechtssystemen möglich,33 weswegen kürzlich auf EU-Ebene übrigens auch einentsprechender Rahmenbeschluss verabschiedet wurde. 3432 Dort gilt der Grundsatz: semel praesens semper praesens,wonach das Verfahren ohne den Angeklagten durchgeführtwerden darf, wenn er jedenfalls zum Anfang des Verfahrenseinmal erschienen ist. Vgl. bspw. für die USA Rule 43 derFederal Rules of Criminal Procedure. Zu den unterschiedlichenBegriffsabgrenzungen Gardner, George WashingtonInternational Law Review 91 (2011), 91 (99).33 Z.B. in Frankreich, Italien, Rumänien, Albanien, Spanienund Belgien. Vgl. die in der von Kühne und Esser gemeinsamherausgegebenen Schriftenreihe „Internationales und EuropäischesStrafverfahrensrecht“ erschienene Monographie vonPaul, Das Abwesenheitsverfahren als rechtsstaatliches Problem– Rechtsvergleichende Untersuchung deutscher, englischer,französischer, niederländischer und österreichischerIm Völkerstrafrecht hat es Verfahren, die in vollständigerAbwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden, vor derEntstehung des STL (abgesehen von einer Ausnahme in Nürnbergim Falle von Martin Bormann) 35 nicht gegeben. Wiesoalso hat sich das STL für diesen Weg entschieden? Die Entscheidungfür oder gegen Abwesenheitsverfahren scheintmaßgeblich von dem jeweils zugrunde liegenden Rechtssystemabzuhängen. In Ländern, deren Rechtssysteme vomfranzösischen Recht beeinflusst wurden, sind Abwesenheitsurteilenach wie vor anerkannt (procédure par contumace). 36Kern des kontinentaleuropäischen Rechts ist nicht wie imangloamerikanischen Strafverfahren (oder im deutschen Zivilprozess)der Ausgleich widerstreitender Interessen, sonderndie objektive Wahrheitsfindung. Damit obliegt auch die Ermittlungsarbeitin erster Linie der Anklagebehörde; einerVerteidigung bedürfte es, legt man die ideale Vorstellungeiner absolut objektiv gleichermaßen zugunsten wie zulastendes Angeklagten ermittelnden Behörde zugrunde, dann ansich gar nicht, und damit auch nicht der Anwesenheit des Angeklagten.Im Gegensatz hierzu ist im angloamerikanischenRecht der Strafprozess ein Parteiverfahren, in welchem jedePartei die für sie jeweils günstigen Beweise vorzubringen hat,sodass die Abwesenheit eines Angeklagten diesen notwendigin Beweisnot bringt und die Fairness des Verfahrens in Fragestellt. Während das akkusatorische Rechtssystem also vonden Interessen der Parteien geleitet ist, ist das inquisitorischeVerfahren vom Interesse der Gesellschaft, das gegen sie begangeneUnrecht auszugleichen, geleitet. Die Durchführungeines Strafverfahrens ist hiernach unabhängig von der Anwesenheitdes Angeklagten erforderlich zur Ausgleichung desdurch die Straftat an der Gesellschaft begangenen Unrechts. 37Dieser Unterschiede der beiden grundlegenden RechtssystemeRegelungen angesichts der Rechtsprechung des EuropäischenGerichtshofs für Menschenrechte, 2007.34 Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates v. 26.2.2009 zurÄnderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI,2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung derVerfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendungdes Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennungauf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlungergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienenist = ABl. EU 2009 Nr. L 81 v. 26.3.2009, S. 24 ff. Kritischhierzu Klitsch, <strong>ZIS</strong> 2009, 11.35 Art. 12 der Nürnberg-Charta. Dieser Artikel kam nur imFalle eines Angeklagten zur Anwendung: Martin Bormannwurde in seiner Abwesenheit verurteilt (Internationales Militärtribunalin Nürnberg, Urteil v. 1.10.1946, abgedruckt inTrial of the Major War Criminals before the InternationalMilitary Tribunal – Nuremberg, 14 November 1945-1 October1946, Bd. 1, 1947, S. 171, online verfügbar aufhttp://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/NT_major-warcriminals.html[25.9.2013]).36 Die Wurzeln hierfür gehen auf eine Ordannance criminellevon 1670 zurück, vgl. Riachy, Journal of International CriminalJustice 8 (2010), 1295.37 Riachy, Journal of International Criminal Justice 8 (2010),1295 (1297)._____________________________________________________________________________________388<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Sonderbares Recht am Sondergerichtshof für den Libanon_____________________________________________________________________________________muss man sich gewahr sein, um die Behandlung von Abwesenheitsverfahrenim von verschiedensten Rechtsordnungengeprägten Völkerstrafrecht nachzuvollziehen.Überwiegend vom angloamerikanischen Recht inspiriert,hatte man sich bis zur Einsetzung des Libanon-Tribunals auchim Völkerstrafrecht weitgehend gegen In Absentia-Verfahrenentschieden. Vor dem Ständigen Internationalen Strafgerichtshof(ICC) in Den Haag werden Abwesenheitsverfahrennach Art. 63 des Rom-Statuts nur für den engen Ausnahme-Fall zugelassen, dass der Angeklagte das Verfahren behindert.Bei den Verhandlungen zum Rom-Statut gab es hierzuzwei verschiedene Ansichten. Einige Delegationen wollten InAbsentia-Verfahren grundsätzlich verbieten, mit der einzigenAusnahme, dass der Angeklagte das Verfahren wiederholtstöre. Die andere Gruppe war der Auffassung, dass aufgrundder Schwere der angeklagten Taten und der fehlenden exekutivenMöglichkeiten des ICC, die Anwesenheit zu erzwingen,die Chancen, den Angeklagten vor Gericht zu führen, schwindendgering seien, und daher zum Zwecke der Sicherung vonFrieden, Gerechtigkeit und Versöhnung Abwesenheitsverfahrenerforderlich seien. 38 Schließlich setzte sich aber die engeAnsicht, die Abwesenheit nur bei vorsätzlicher Verfahrensbehinderungzulässt, beim ICC durch. 39 Auch die UN-Tribunalefür das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und Ruanda(ICTR) sowie der Sondergerichtshof für Sierra Leone(SCSL) 40 und für Kambodscha (ECCC) 41 verbieten dieDurchführung von Verfahren in vollständiger Abwesenheitdes Angeklagten. 42 Gleiches gilt für die Gerichte in Osttimor. 43Für Abwesenheitsverfahren wird ins Feld geführt, dass eszu Ermittlungszwecken sinnvoll erscheint, die Anklage zueinem Zeitpunkt zu eröffnen, zu welchem noch Beweismittel38 Triffterer, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the RomeStatute, 2. Aufl. 2008, Art. 63 Rn. 3 ff.39 Allerdings wurde für den ICC eine besondere Art vonVerteidigern, die sog. ad hoc counsels, eingeführt mit demZiel, Ermittlungen im Falle “einzigartiger Ermittlungschancen“(unique investigation opportunity) zu ermöglichen, vgl.Art. 56 Abs. 2 lit. d Rom-Statut. Siehe hierzu auch Dieckmann/Kerll, International Community Law Review 11 (2011), 105.40 Beim Sondergerichtshof für Sierra Leone ist eine Verhandlungin Abwesenheit des Angeklagten nur möglich, wenndieser zu Beginn des Verfahrens vor Gericht erschienen ist(Regel 60 der Verfahrens- und Beweisregeln des SCSL).41 Regel 80 der Internen Verfahrensregeln (internal rules).42 Vgl. Art. 20 ICTR-Statuts, Art. 21 ICTY-Statut, Art. 17Abs. 4 lit. d SCSL-Statut und Regel 60 der Verfahrens- undBeweisregeln des SCSL sowie Regel 81 der ECCC InternalRules. Nach den beiden letzten – hybriden – Tribunalen kann– ähnlich der deutschen Regelung – das Verfahren in der Abwesenheitfortgesetzt werden, wenn der Angeklagte zu Beginndes Verfahrens erschienen ist und sich danach weigert,dem Verfahren beizuwohnen, vgl. Regel 81 Abs. 4, bzw. ausKrankheitsgründen verhandlungsunfähig ist, Regel 81 Abs. 5.43 Art. 5, 30 der Transitional Rules of Criminal Proceduresfor East Timor, adopted by the UN Transitional Administrationin East Timor by Regulation No. 2000/30.verfügbar sind. 44 Andererseits wird gegen Abwesenheitsverfahrengerade bei internationalen Tribunalen u.a. vorgebracht,dies würde der Glaubwürdigkeit des Tribunals schaden. 45Abwesenheitsverfahren können auch in Rechtsordnungensinnvoll sein, in denen die Verfolgungsverjährung für eineStraftat kürzer als die Vollstreckungsverjährung ist. 46 Bei denmeisten internationalen Tribunalen greift dieses Argumentangesichts der Unverjährbarkeit der dort angeklagten Tatenfreilich nicht; ob Terrorismus im Sinne des STL-Statuts verjährbarist, ist aber fraglich. Das Statut schweigt hierzu, undda es nur auf bestimmte, nicht die Verjährung betreffendeVorschriften des libanesischen StGB verweist, hilft auch keinRückgriff auf libanesisches Recht. Dem Tribunal ist nach denbisherigen Erfahrungen aber ohne weiteres zuzutrauen, dieUnverjährbarkeit von Terrorismus ggfs. wieder aus Völkergewohnheitsrechtabzuleiten.c) Die Einführung von Abwesenheitsverfahren vor dem STL 47Das Libanon-Tribunal ist (abgesehen von Nürnberg, s.o.) dererste internationale Strafgerichtshof, der die Durchführungvon Verfahren in vollständiger Abwesenheit des Angeklagtenzulässt. Nach Art. 22 des Libanon-Statuts soll sogar ein Verfahrenin der Abwesenheit des Angeklagten durchgeführtwerden, wenn dieser ausdrücklich und schriftlich auf seinRecht auf Anwesenheit verzichtet hat, nicht von den Behördeneines Staates an das Tribunal übergeben wurde und nichtauffindbar ist, obgleich alle „vernünftigen Schritte“ unternommenwurden, um seine Anwesenheit sicherzustellen undihn über die Anschuldigungen gegen ihn zu informieren.Art. 22 wird durch Art. 105bis ff. STL-RPE weiter konkretisiert.Diese Regeln zielen darauf ab, dass Abwesenheitsurteiledie Ausnahme darstellen sollen und der Anwendungsbereichsolcher Verfahren zu begrenzt wird. 4844 EGMR, Urt. v. 12.2.1985 – 9024/80 (Colozza v. Italien),Rn. 29.45 Siehe bspw. Meron, Foreign Affairs 76 (1997), 4 (betr. dieEntscheidung des ICTY gegen In-Absentia-Verfahren); HumanRights Watch, Report v. 17.11.2006 on „Secretariat ofthe Rules and Procedure Committee Extraordinary Chambersof the Courts of Cambodia“, S. 1 (betr. ECCC); Mundis,American Journal of International Law 94 (2000), 759 (762).46 Vgl. z.B. §§ 78 f. StGB. Siehe auch §§ 57, 59 des österreichischenStGB und Art. 70 und 73 des Schweizer StGB.47 Eingehend hierzu Jordash/Parker, Journal of InternationalCriminal Justice 8 (2010), 487; Gaeta, Journal of InternationalCriminal Justice 5 (2007), 1165; Riachy, Journal of InternationalCriminal Justice 8 (2010), 129; Pons, Journal of InternationalCriminal Justice 8 (2010), 1307; Gardner, GeorgeWashington International Law Review 91 (2011), 91 (99).48 So jedenfalls nach Auffassung der Rechtsmittelkammer desSTL, vgl. deren erklärenden Vermerk zu den STL-RPE: STL,RPE – Explanatory memorandum by the tribunal‘s president– 25.11.2010, §§ 38 ff. (online verfügbar aufhttp://www.stl-tsl.org/en/documents/rules-of-procedure-andevidence/rules-of-procedure-and-evidence-explanatorymemorandum-by-the-tribunal-s-president-25-november-2010[25.9.2013])._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com389


Anna Oehmichen_____________________________________________________________________________________Wie oben gezeigt, ist das Recht auf Neuverhandlunggrundlegend zur Wahrung der Menschenrechte des Angeklagten.Bedauerlicherweise ist das Regelwerk des STL hierzunicht eindeutig: Zwar spricht Art. 22 Abs. 3 STL-Statutvon einem „Recht auf ein neues Verfahren“. 49 Auch nachRegel 108 lit. A besteht ein solches Recht vor Abschluss desVerfahrens. Regeln 109 lit. C sublit. ii und lit. E sublit. iiSTL-RPE sehen demgegenüber lediglich vor, dass der Angeklagteeine Neuverhandlung beantragen (request) kann, esliegt dann aber nach dem Wortlaut der STL-RPE noch immerin der Hand der Rechtsmittelkammer, dem Antrag stattzugebenoder nicht. Die Verteidiger hatten diesbezüglich eineklarstellende Äußerung von der Rechtsmittelkammer beantragt,50 doch ging die Kammer hierauf nicht näher ein, mitder Begründung, die Frage, ob es ein Recht auf Neuverhandlunggebe, stehe in keinem Zusammenhang mit der hier zutreffenden Entscheidung über die Verfahrenseröffnung inAbwesenheit der Angeklagten. 51In seinem Memorandum zu den STL-RPE setzt sich dasTribunal mit der Zulässigkeit von Abwesenheitsurteilen beiinternationalen Gerichten auseinander. Es erwähnt die imnationalen Recht unterschiedlichen Ansätze hierzu und auchden oft erhobenen Einwand, dass Abwesenheitsverfahrenvorzugsweise von Diktatoren genutzt würden, um politischeSchauprozesse durchzuführen. 52 Das Tribunal jedoch hältdiese Einwände im Falle internationaler Verfahren für nichttragbar, da bei internationalen Tribunalen (anders als im angloamerikanischenRechtsraum) kein Parteiprozess stattfinde,sondern das Verfahren der Wahrheitsfindung diene (wie imkontinentaleuropäischen System), und dass die Gerichte jaaufgrund der internationalen Aufmerksamkeit gar nicht anderskönnten als gerecht und frei von Missbrauch zu sein. 53Besonders letzteres Argument ist freilich wenig überzeugend.Dass die internationale Aufmerksamkeit allein kein Garantfür die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze und die Gewährungabsoluter Gerechtigkeit sein kann, hat die Geschichte49 „[…] shall have the right to be retried in his or her presence.“50 STL, Antrag v. 22.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0259(Request of the Defence for Mr. Badreddine for Reconsiderationof the „Decision to Hold Trial in Absentia“ Rendered bythe Trial Chamber on 1 February 2012); STL, Antrag v.24.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0266 (Request by the OneissiDefence for Reconsideration of the Decision to Hold Trialin Absentia of 1 February 2012), Rn. 55.51 STL (Trial Chamber), Entsch. v. 11.7.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0320 (Decision on Reconsideration of the Trial inAbsentia Decision of 11. July 2012), Rn. 21.52 So auch der Chefankläger am ICTY Justice Goldstone(ICTY, Transcript v. 9.10.1995 – IT-94-2 [Prosecutor v.Dragan Nikolic], Rn. 53 ff.).53 „[…] international trials are conducted under a spotlight –the close scrutiny of the whole international community –which would not tolerate any abuse, bias or unfair treatment.“STL, RPE – Explanatory memorandum by the tribunal‘spresident – 25.11.2010, § 39.an vielen Beispielen gezeigt. 54 Der plausiblere Grund, warumim Gegensatz zu seinen Vorläufern Abwesenheitsurteile beimSTL rechtlich zulässig sind, liegt wohl eher in der Dominanzder kontinentaleuropäischen Einflüsse (in erster Linie alsodes maßgeblich vom französischen Recht beeinflussten libanesischenStrafrechts) bei diesem Tribunal im Gegensatz zuden anderen internationalen Tribunalen, die mehr auf angloamerikanischesRecht zurückgehen. 55 So wurde diese Regelungauch vom UN-Generalsekretär begründet, der darüberhinaus zu bedenken gab, dass wegen der Verbindung mehrererFälle Abwesenheitsverfahren erforderlich seien, um zugroße Verzögerungen für die anwesenden Mitangeklagten zuverhindern. 56 In der Tat arbeitet das Gericht unter großemZeitdruck, da sein Mandat zeitlich begrenzt ist. 57d) Menschenrechtliche Vorgaben 58Das Recht auf Anwesenheit ist ein international anerkanntesMenschenrecht. Es ist zwar nur in einer internationalen Menschenrechtskonventionexplizit vorgesehen (Art. 14 Abs. 3lit. d IPbpR). 59 Doch wird es auch nach der Rechtsprechungdes EGMR anerkannt. 60 Auch die Lehre sieht es als Bestandteildes Grundrechts auf ein faires Verfahren an. 61 Hintergrundist, dass der Angeklagte die Möglichkeit haben soll,seine Version der Dinge zu erklären. Er kann sich zwar anwaltlichvertreten lassen, doch kann die Anwesenheit eines54 Vgl. in der neueren Zeit bspw. die Verfahren gegen Chodorkowskiund Pussy Riot in der russischen Föderation.55 Vgl. Cassese, International Criminal Law, 2003, S. 365.56 „The institution of trials in absentia is common in a numberof civil law legal systems, including Lebanon’s. In addition,in the present case, where the conduct ofjoint trials for someor all of the cases falling within the jurisdiction of the tribunalis likely, it would be crucial to ensure that the legal processis not unduly or indefinitely delayed because of the absenceof some accused.“ (UN-Doc. S/2006/893, Rn. 32 lit. b).57 Vgl. bereits Art. 21 des Agreement between the UnitedNations and the Lebanese Republic on the establishment of aSpecial Tribunal for Lebanon, Annex to SC Resolution 1757(2007) = UN-Doc. S/RES/1737, der die Dauer des Tribunalsauf drei Jahre begrenzte. Allerdings verlängerte der UN-Generalsekretärdas Mandat für weitere drei Jahre bis zum März2015 auf Grundlage des Art. 21 Abs. 2 der zitierten Vereinbarung,vgl. den Brief v. 17.2.2012, Letter dated 16 February2012 from the Secretary-General addressed to the Presidentof the Security Council = UN-Doc. S/2012/101, online auf:http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2012/101 (25.9.2013).58 Vgl. hierzu auch Jordash/Parker, Journal of InternationalCriminal Justice 8 (2010), 487 m.w.N.59 Art. 14 Abs. 3 lit. d des IPbpR. Weder die EMRK noch dieAMRK erwähnen die Anwesenheit der Angeklagten explizit.60 EGMR, Urt. v. 12.2.1985 – 9024/80 (Colozza v. Italien),Rn. 27 ff.; EGMR, Urt. v. 16.12.1999 – 24724/94 (T v. VereinigtesKönigreich), Rn. 88 f.; EGMR, Urt. v. 18.10.2006 –18114/02 (Hermi v. Italien), Rn. 58 ff. Zur deutschen Rechtslagesiehe auch Kühne (Fn. 2), Rn. 105.61 Hoß, ZaöRV 2002, 809 (815 f.)._____________________________________________________________________________________390<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Sonderbares Recht am Sondergerichtshof für den Libanon_____________________________________________________________________________________Anwalts seine eigene Abwesenheit nicht kompensieren. 62Gerade in internationalen Strafverfahren ist die Anwesenheitdes Angeklagten zu Beginn des Verfahrens von essentiellerBedeutung. Denn bei diesen Verfahren gestaltet sich dieWahrheitsfindung besonders schwierig: das Gericht befindetsich meist in geographischer Distanz zum Tatort, es fehltsowohl an einem Untersuchungsrichter als auch an einer Ermittlungsbehörde,die sich frei bewegen und wie in nationalenStrafverfahren Zeugen befragen und Beweise sammelnkann, und schließlich geht es meist um lang zurückliegendeTaten, die einzig durch Zeugenaussagen nachweisbar sind. 63Allerdings sind Abwesenheitsverfahren nicht per se menschenrechtswidrig.64 Nach dem UN-Menschenrechtsausschusskann eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten imInteresse der Rechtspflege unter bestimmten Bedingungenzulässig sein, so etwa, wenn der Angeklagte rechtzeitig überdie Verhandlung informiert wird und selbst entscheidet, ihrnicht beizuwohnen. 65 Auch nach der Rspr. des EGMR sind InAbsentia-Verfahren fair im Sinne des Art. 6 EMRK, wennbestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Bereits 1975 beschlossdas Ministerkommittee des Europarates eine Resolution,die Mindeststandards für Abwesenheitsverfahren vorsieht.66 Nach der Rspr. des EGMR soll ein in seiner AbwesenheitVerurteilter, sobald er von dem Verfahren gegen ihnKenntnis erlangt, die Möglichkeit haben, von einem Gerichteine Neubewertung des materiellen Vorwurfs gegen ihn zubekommen (a fresh determination of the merits of the charge).67 Auch trifft ihn nicht die Beweislast dafür, dass er sichnicht der Strafverfolgung entziehen wollte oder dass seineAbwesenheit die Folge höherer Gewalt war. 68 Vielmehr bestehtfür den Staat eine positive Pflicht, dem Angeklagten dieMöglichkeit zu eröffnen, dass sein Fall in seiner Anwesenheitneu verhandelt wird (right to re-trial). 69Sowohl nach der Rspr. des UN-Menschenrechtsausschussesals auch des EGMR ist es zwar grundsätzlich auch mög-62 EGMR, Urt. v. 16.12.1999 – 24724/94 (T v. VereinigtesKönigreich), Rn. 88, und EGMR, Urt. v. 25.11.1997 –69/1996/688/880 (Zana v. Türkei), Rn. 67 ff.63 Cassese (Fn. 55), S. 400, 403.64 In Bezug auf Art. 14 des IPbpR vgl. Human Rights Commitee,Communication v. 8.9.1977 – 16/1977 (DanielMonguya Mbenge v. Zaire), Rn. 76. Zur Lage in Frankreichsiehe Kühne (Fn. 2), Rn. 1223.65 HRC, Communication Nr. 16/1977 (Mbenge v. Zaire),reported at 78 ILR 18, 19, UN Human Rights Commitee 1983.66 Council of Europe (Committee of Ministers), Resolution(75) 11 on the criteria governing proceedings held in theabsence of the accused v. 215.1975 (online verfügbar aufhttps://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=591160&SecMode=1&DocId=651212&Usage=2 (25.9.2013).67 EGMR, Urt. v. 12.2.1985 – 9024/80 (Colozza v. Italien),Rn. 29.68 EGMR, Urt. v. 12.2.1985 – 9024/80 (Colozza v. Italien),Rn. 30.69 EGMR, Urt. v. 13.2.2001 – 29731/96 (Krombach v. Frankreich),Rn. 87.lich, auf das Recht auf Anwesenheit zu verzichten oder dieseszu verwirken. 70 Eine Verwirkung kommt etwa in Betracht,wenn der Angeklagte sein Recht auf Anwesenheit missbrauchthat, z.B. um das Verfahren zu stören. 71 Ein freiwilligerVerzicht des Angeklagten auf Anwesenheit muss jedochunzweifelhaft feststehen; er darf nicht nur aus Umständengeschlossen werden, etwa aus seiner Abwesenheit als solcher.Voraussetzung ist in jedem Falle, dass er erwiesenermaßenüber das Verfahren Kenntnis hatte. 72Das Recht auf Neuverhandlung ist nach alledem wesentlichfür den Menschenrechtsschutz im Rahmen von Abwesenheitsverfahren.Eine Verwehrung dieses Rechts kommtnur dann in Betracht, wenn der Angeklagte nachweislichKenntnis vom Verfahren hatte und somit bewusst dem Verfahrenfernblieb. 73e) Die Entscheidung des STL für eine Verfahrenseröffnung InAbsentiaDie Strafkammer des STL entschied am 1.2.2012, Verfahrengegen die vier Angeklagten Salim Ayyash, Mustafa Badreddine,Hussein Oneissi and Assad Sabra auch in deren Abwesenheitzu eröffnen, sollten sie nicht vor Gericht erscheinen. 74Die vom Gericht ernannten Pflichtverteidiger 75 der Angeklagtenbeantragten eine Neubescheidung (request for reconsiderationgem. Regel 140 76 STL-RPE) 77 bzw. das Verfahren auszusetzenoder hilfsweise einige Aspekte zum Abwesenheitsverfahrenzu klären. 78Ein sehr wichtiger Einwand gegen die Abwesenheitsverfahrengerade im Falle des STL, den auch die Verteidiger inihren Anträgen betonten, besteht darin, dass diese Verfahrens-70 Trechsel, Human Rights in Criminal Proceedings, 2005,S. 255 f.71 So auch im deutschen Recht; vgl. die im Rahmen derStammheimer Prozesse eingeführten §§ 231a f. StPO.72 Vgl. Jordash/Parker, Journal of International CriminalJustice 8 (2010), 487 (491 ff. m.w.N.).73 Jordash/Parker, Journal of International Criminal Justice 8(2010), 487 (494).74 STL, Entsch. v. 1.2.2012 – STL-11-01/I/TC/F0112 (Decisionto hold trial in absentia).75 STL (Defence Office), Beiordnung v. 2.2.2012 – STL-11-01/PT/PTJ/F0113 (Assignment of Counsel for the ProceedingsHeld In Absentia Pursuant to Rule 106 of the Rules).76 S.o. Fn. 11.77 STL, Antrag v. 22.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0259(Request of the Defence for Mr. Badreddine for Reconsiderationof the „Decision to Hold Trial in Absentia“ Rendered bythe Trial Chamber on 1 February 2012); STL, Antrag v.24.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0266 (Request by theOneissi Defence for Reconsideration of the Decision to HoldTrial in Absentia of 1 February 2012).78 STL, Antrag v. 23.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0263(Sabra Motion for Reconsideration of the Trial Chamber’sOrder to hold a Trial in Absentia); STL, Antrag v. 24.5.2012 –STL-11-01/PT/TC/F0267 (Ayyash Motion Joining SabraMotion for Reconsideration of the Trial Chamber's Order toHold a Trial in Absentia)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com391


Anna Oehmichen_____________________________________________________________________________________art aufgrund der zeitlichen Begrenztheit des Mandats und derad hoc-Natur des STL keine Einhaltung der Menschenrechteder Angeklagten garantieren kann. Damit kann es die nachdem Statut garantierten Rechte, darunter das Recht auf Neuverhandlung,auch nur so lange garantieren, wie es noch aktivist. 79 Das Versprechen des Statuts in Art. 22 Abs. 3 STL-Statut, dass im Falle eines Abwesenheitsurteils der Angeklagtedas Recht auf Neuverhandlung vor dem Sondergerichtshofhat, kann das STL daher u.U. nicht einhalten. 80 Aber auch vorden nationalen libanesischen Gerichten kommt eine Neuverhandlungnicht in Betracht, da nach Art. 5 STL-Statut eineneue Verhandlung vor einem libanesischen Gericht wegenVerstoßes gegen den Grundsatz der Doppelbestrafung (ne bisin idem) unzulässig ist. 81 Die Verteidigung hat vorgebracht,dass völlig offen ist, wie mit in ihrer Abwesenheit verurteiltenPersonen, die erst nach der Schließung des Tribunals ergriffenwerden, umzugehen ist. Das ihnen durch Art. 22 Abs. 3des Statuts gewährte Recht auf eine Neuverhandlung vor demSTL hätten sie dann nicht, da es das Tribunal nicht mehrgäbe. Würde man sie aber freilassen, entbehrten die Urteiledes STL jeglichen Sinnes, was mit der Bedeutung der internationalenStrafjustiz nicht vereinbar wäre. 82 Damit aberkann das STL das menschenrechtlich anerkannte Recht aufNeuverhandlung, welches Grundvoraussetzung für ein fairesVerfahren bei In Absentia-Verfahren ist, 83 nicht effektivgarantieren. 84Ein weiteres Problem der Abwesenheitsverfahren vor demSTL, welches die Verteidigung identifizierte, 85 liegt darin,dass diese mit dem akkusatorisch inspirierten Verfahrensrechtdes Common Law nicht vereinbar sind. 86 Auch wenn dasSTL-Statut und seine Verfahrens- und Beweisregeln stärkerals die Rechtsgrundlagen anderer internationaler Tribunalekontinentaleuropäisch beeinflusst wurden, 87 folgt doch dasErmittlungsverfahren in erster Linie dem angloamerikanischenVorbild. Die Ermittlungen werden nicht von einem Ermittlungsrichteroder einer jedenfalls nach dem Willen des Gesetzesunabhängigen Staatsanwaltschaft, sondern von den Parteiendes Prozesses, von Verteidigung und Anklagebehörde,geführt, was einen Verteidiger, der keinerlei Kontakt zu seinemabwesenden Mandanten hat und dabei nicht über diegleichen Ermittlungsmöglichkeiten wie die Anklagebehörde,der auch die libanesische Staatsanwaltschaft zuarbeitet, verfügt,vor immense praktische Schwierigkeiten stellt.Am 12.6.2012 beantragte die Anklagebehörde, die Anträgeder Verteidigung abzulehnen. 88 Die Strafkammer gab diesemAntrag am 11.7.2012 statt. 89 Spekulative Argumente, ebensowie philosophische oder prinzipielle Einwände gegen In Absentia-Verfahrenseien irrelevant. 90 Bei der Entscheidungüber den Antrag auf Neubescheidung komme es einzig undallein auf die Frage an, ob das Verfahren in der Abwesenheitdes Angeklagten nach Regel 106 nach den dort genanntenVoraussetzungen eröffnet werden könne; hiervon zu trennenund hier nicht zu beurteilen sei die Frage, wie das In Absentia-Verfahrenim weiteren Verlauf durchzuführen sei; soweitdie Argumente der Verteidigung sich auf eine potentielle79 Jordash/Parker, Journal of International Criminal Justice 8(2010), 487 (498).80 Gaeta (Journal of International Criminal Justice 5 [2007],1165 ff.) plädiert daher dafür, dass den Angeklagten entgegendem Wortlaut von Art. 5 STL-Statut ein Recht auf Neuverhandlungvor libanesischen Gerichten zustehen sollte.81 Gaeta, Journal of International Criminal Justice 5 (2007),1165 (1172).82 STL, Antrag v. 22.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0259(Request of the Defence for Mr. Badreddine for Reconsiderationof the „Decision to Hold Trial in Absentia“ Rendered bythe Trial Chamber on 1 February 2012), Rn. 33 ff, 36; STL,Antrag v. 23.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0263 (Sabra Motionfor Reconsideration of the Trial Chamber’s Order to holda Trial in Absentia), Rn. 32 ff.83 Vgl. bspw. EGMR, Urt. v. 12.2.1985 – 9024/80 (Colozzav. Italien), Rn. 29; EGMR, Urt. v. 1.3.2006 – 56581/00 (Sejdovicv. Italien), Rn. 82; EGMR, Urt. v. 13.2.2001 –29731/96 (Krombach v. Frankreich), Rn. 85; EGMR, Urt. v.23.11.1993 – 14032/88 (Poitrimol v. Frankreich), Rn. 31;EGMR, Urt. v. 23.5.2000 – 31070/96 (Van Pelt v. Frankreich),Rn. 66.84 STL, Antrag v. 23.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0263(Sabra Motion for Reconsideration of the Trial Chamber’sOrder to hold a Trial in Absentia), Rn. 32 ff.85 STL, Antrag v. 23.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0263/20120523/R122006-R122026/EN/nc (Sabra Motion forReconsideration of the Trial Chamber’s Order to hold a Trialin Absentia), Rn. 48 ff; STL, Antrag v. 22.5.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0259 (Request of the Defence for Mr. Badreddinefor Reconsideration of the „Decision to Hold Trial in Absentia“Rendered by the Trial Chamber on 1 February 2012), Rn.44 ff.86 Nicht ganz fernliegend ist daher auch Skilbecks (Journal ofInternational Criminal Justice 8 [2010], 451) Bezeichnungder neuen internationalen Strafverfahren als „FrankensteinsMonster“, da die Kombination kontinentaleuropäischer undangloamerikanischer Elemente zum Teil große Risiken fürdie Rechte der Angeklagten in sich berge.87 Vgl. hierzu Gillet/Schuster, Journal of International CriminalJustice 7 (2009), 885.88 Ihr wesentliches Argument lag darin, dass die Verteidigungin Hinblick auf das Abwesenheitsverfahren keinen Antragnach Regel 140 stellen könnte, da sie erst nach der Entscheidungüber die Einleitung des In-Absentia-Verfahrens mandatiertworden seien, und dass im Übrigen die Voraussetzungenfür einen solchen Antrag nicht vorlägen (STL, Antwort v.12.6.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0290 [Prosecution ConsolidatedResponse to the Defence Requests for Reconsiderationof the Trial In Absentia Decision]).89 STL, Entsch. v. 11.7.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0320(Decision on reconsideration of the trial in absentia decision).90 STL, Entsch. v. 11.7.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0320(Decision on reconsideration of the trial in absentia decision),Rn. 10._____________________________________________________________________________________392<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Sonderbares Recht am Sondergerichtshof für den Libanon_____________________________________________________________________________________Durchführung des Verfahrens bezogen, seien sie daher hierirrelevant. 91Am 1.11.2012 wies die Rechtsmittelkammer auch die hiergegeneingelegten Rechtsmittel 92 der Verteidigung ab, da dieEntscheidung der Strafkammer keine Rechtsfehler enthalte. 93Eine Klärung der vielen offenen Fragen (insb. Umfang undpraktische Durchführung eines Rechts auf Neuverhandlungnach Urteilsverkündung) unterblieb.Auf den ersten Blick mag diese Entscheidung wenig überraschen,sieht doch bereits das STL-Statut ausdrücklich dieMöglichkeit von Abwesenheitsverfahren vor. Andererseits istdas Tribunal schon mit Blick auf seine zweifelhafte Entstehung(s.o. II. 1) stärker als andere internationale Tribunale einemerheblichen Legitimationsdruck ausgesetzt. Daher wärezu wünschen gewesen, dass auf die Anwesenheit der Angeklagtenzugunsten eines fairen Verfahrens mehr Wert gelegtwürde, wenn dies auch – man denke etwa an die späte Ergreifungvon Ratko Mladić beim Internationalen Strafgerichtshoffür das ehemalige Jugoslawien – eine zeitliche Verzögerungmit sich gebracht hätte. Andererseits zeugt die rasche Eröffnungdes Hauptverfahrens von dem politischen und – durchdie begrenzte Mandatierung und Ressourcenknappheit bedingten– zeitlichen Druck, den das Tribunal zu bewältigenhat.III. FazitDas STL ist nicht das erste Gericht, dessen rechtmäßige Entstehungangezweifelt wird. Auch beim ICTY wurde 1995 dieRechtmäßigkeit der Errichtung des Tribunals durch den Sicherheitsratvon der Verteidigung mit der Begründung inZweifel gezogen, der Sicherheitsrat habe nach der UN-Chartakeine Befugnis zur Errichtung internationaler Tribunale. Demhielt die Rechtsmittelkammer damals jedoch entgegen, einesolche Befugnis ergebe sich aus Art. 41 UN-Charta. 94 Die91 STL, Entsch. v. 11.7.2012 – STL-11-01/PT/TC/F0320(Decision on reconsideration of the trial in absentia decision),Rn. 21.92STL, Rechtsmittel v. 5.9.2012 – STL-11-01/PT/AC/AR126.1/F0007-AR126.1 (Appeal of the Oneissi DefenceAgainst the Trial Chamber Decision on Reconsideration ofthe Trial In Absentia Decision); STL, Rechtsmittel v.5.9.2012 – STL-11-01/PT/AC/AR126.1/F0004-AR126.1(Sabra’s Appeal against Decision on Reconsideration of theTrial In Absentia Decision); STL, Rechtsmittel v. 5.9.2012 –STL-11-01/PT/AC/AR126.1/F0006-AR126.1/PRV (PublicRedacted Version of the Appeal of the Badreddine Defenceagainst the „Decision on Reconsideration of the Trial In AbsentiaDecision“).93 STL, Entsch. v. 1.11.2012 – STL-11-01/PT/AC/AR126.1/F0012-AR126.1 (Decision on Defence Appeals against TrialChamber’s Decision on Reconsideration of the Trial in absentiaDecision).94 Art. 41 UN-Charta: „Der Sicherheitsrat kann beschließen,welche Maßnahmen – unter Ausschluss von Waffengewalt –zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zuverleihen; er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern,diese Maßnahmen durchzuführen. Sie können diedort bezeichneten Maßnahmen seien nicht abschließend undjede gewaltlose Maßnahme, mithin auch die Errichtung einesTribunals, fiele hierunter. 95 Im Unterschied zum ICTY gab esaber im Falle des STL einen unterschriebenen völkerrechtlichenVertrag. Nur weil aufgrund innerparlamentarischerStreitigkeiten nicht ratifiziert wurde, nahm man Rekurs aufeine einseitige Resolution, mit der Folge, dass diese von derlibanesischen Bevölkerung nur bedingt respektiert werdenkonnte. Der Vorwurf der Verletzung der libanesischen Souveränitätund der libanesischen Verfassung stand im Raum.Damit hatte das STL vom Beginn seiner Entstehung an mehrnoch als andere internationale Strafgerichte um seine Legitimationzu kämpfen. Es hatte der Welt zu beweisen, dass estrotz der einseitigen, zwangsweisen Durchsetzung durch denUN-Sicherheitsrat in der Lage sein würde, die Straftaten, dieim Zusammenhang mit dem Hariri-Attentat begangen wordenwaren, aufzuklären und die Täter einer gerechten Strafe zuzuführen.Aufgrund dieser prekären Ausgangssituation war auch dieFinanzierung des Tribunals nicht unproblematisch, ebensowie die Kooperation mit anderen Staaten. 96 Mit diesen praktischenProblemen hängt wohl auch die zeitliche Begrenzungdes Tribunals zusammen, die eine zügige Durchführung derVerfahren erfordert. Dies scheint angesichts dessen, dass dieAnklagebehörde auf die umfassenden, wenn auch nicht unumstrittenen97 Ermittlungen der UNIIIC seit 2007 zurückgreifenkann, nicht grundsätzlich undurchführbar. Die zügigeDurchführung von Verfahren ist freilich im Lichte des strafrechtlichenBeschleunigungsgebotes zu begrüßen. Problematischwird dies jedoch immer dann, wenn dies dazu führt,dass wesentliche Verteidigungsrechte der Angeklagten verletztwerden. Hierzu gehört auch das Recht auf Anwesenheitim Strafverfahren. Dieses wird durch die gegenwärtigenRegelungen im Statut und den RPE nicht ausreichend geschützt.Ob ein In Absentia-Verurteilter ein Recht auf eineNeuverhandlung vor dem STL haben wird, ist völlig ungewiss.Erschwerend kommt hinzu, dass Abwesenheitsverfahrennach dem Statut nicht nur zulässig, sondern sogar zwingenddurchzuführen sind, wenn die Voraussetzungen vonArt. 22 STL-Statut greifen. 98 Die Botschaft dieser Regelungist eindeutig: Erstes Ziel des Tribunals soll die Verurteilungsein. Nachrangig ist, was mit den Verurteilten geschieht undvollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen,des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-,Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeitenund den Abbruch der diplomatischen Beziehungeneinschließen.“95 ICTY, Entsch. v. 2.10.1995 – IT-94–1-T (Prosecutor v.Tadić, Decision on the Defence Motion for InterlocutoryAppeal on Jurisdiction), Rn. 33-36.96 Vgl. hierzu etwa Korecki, Journal of International CriminalJustice 7 (2009), 927.97 Vgl. etwa die Wikileaks-Veröffentlichung hierzu:http://www.joshualandis.com/blog/?p=7899 (25.9.2013).Kritisch siehe auch Tiedjen/Mattes, INAMO 66 (2011), 4.98 So auch Jordash/Parker, Journal of International CriminalJustice 8 (2010), 487 (495)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com393


Entwicklungspotentiale der „Schwurgerichtslösung“ – Strukturelle Defizite des Procederebei lebenslanger Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld*Von Rechtsassessor Dr. Benjamin Steinhilber, HamburgDer vorliegende Beitrag würdigt das verfahrensrechtlicheProcedere kritisch, das sich an die Verurteilung zu lebenslangerFreiheitsstrafe bei gleichzeitiger Bejahung einer besonderenSchwere der Schuld des Verurteilten anschließt.Nach diesem, als „Schwurgerichtslösung“ bezeichnetenKompetenzgefüge zwischen Tatgericht und Strafvollstreckungskammerobliegt es erst der letzteren, etwa 13 Jahrenach der Inhaftierung des Delinquenten dessen schuldschwerebedingteVollstreckungsdauer exakt zu beziffern. DieserAufsatz stellt diejenigen Argumente, die dafür sprechen, dasssich bereits das erkennende Gericht zur Höchstdauer jenerInhaftierung verbindlich äußert, solchen Erwägungen gegenüber,die für die Beibehaltung des Status quo streiten. ImErgebnis dürfte ein Zugewinn an Rechtsstaatlichkeit zu erwartensein, wenn die konkrete Bestimmung der schuldschwerebedingtenMaximalverbüßungsdauer de lege ferendaden Tatgerichten übertragen wird. Die hiergegen vorgebrachtenBedenken überzeugen im Ergebnis nicht.This paper investigates critically the procedural processwhich follows the sentencing to life imprisonment with simultaneousaffirmation of a extraordinary severity of guilt of theconvicted. After this as a ‟jury court-solution” describedstructure of competences between the trial court and thecriminal enforcement chamber, it is incumbent upon the laterto quantify, about 13 years after the imprisonment of theoffender whose fault caused severe enforcement, the enforcementperiod exactly. This paper compares those argumentswhich support the opinion, that already the trial courthas to express a binding maximum period of that detention,with such considerations that support the maintenance of thestatus quo. As a result, a gain of constituional legality shouldbe expected, if the concrete determination of the maximumserving time based on a severity of guilt will be de legeferenda transferred to the trial court. The concerns raisedhere against the results are not convincing.I. Hinführung zum ThemaUnter der sogenannten „Schwurgerichtslösung“ wird das verfahrensrechtlicheKompetenzgefüge verstanden, das mit einerVerurteilung zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe unterBejahung einer besonderen Schwere der Schuld des Verurteilten(§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB) verbunden ist. 1 Ihre* Ausführlich zu der Thematik und insgesamt zu Fragen derlebenslangen Freiheitsstrafe: Steinhilber, Mord und Lebenslang,Aktuelle Rechtsprobleme und Vorschläge für die überfälligeReform, 2012, S. 222 ff.1 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar,28. Aufl. 2010, § 57a Rn. 6.gegenwärtige Kontur basiert auf einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtesvom 3.6.1992. 2Seit jener vor rund 21 Jahren ergangenen Entscheidung,die nach Lesart des BVerfG eine grundgesetzkonforme Auslegungder §§ 454, 462a und des § 74 Abs. 1, Abs. 2 GVGsicherstellen sollte, 3 haben bereits die Tatgerichte im Urteilstenorund nicht mehr erst die Strafvollstreckungskammerndarüber zu befinden, ob im konkreten Einzelfall eine besondereSchwere der Schuld vorliegt. 4Welche konkreten Folgen hieraus für den Verurteilten erwachsen,haben indes erst die Strafvollstreckungskammernim Detail zu bestimmen. Diese werden regelmäßig nicht früherals circa 13 Jahre nach der Inhaftierung des Delinquentenauf den Plan gerufen, um die Weichenstellungen für eineEntlassung nach Ablauf der Mindestverbüßungszeit von 15Jahren (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB) zu überprüfen. 5 ImZuge einer sogenannten „vollstreckungsrechtlichen Gesamtwürdigung“befinden sie zunächst darüber, ob die vom Tatgerichtbejahte besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckungder lebenslangen Haftstrafe zum gegenwärtigenZeitpunkt tatsächlich noch gebietet. 6 Soweit dies, wie zwarnicht zwangsläufig, aber doch in aller Regel, angenommenwird, ist in einem zweiten Schritt zu entscheiden, wie langeder Verurteilte (unbeschadet des Erfordernisses einer positivenLegalprognose) konkret in Haft bleiben muss. 7Im vorliegenden Beitrag sollen zunächst diejenigen Argumentedargelegt werden, die für eine Bestimmung der schuldschwerebedingtenMindestverbüßungsdauer bereits durch dasTatgericht sprechen (dazu II.). Sodann werden die Gesichtspunktegeschildert und zugleich kritisch gewürdigt, die Gegnereiner entsprechenden Kompetenzerweiterung ins Feld führen(hierzu III.). Ein Fazit rundet die Erörterungen ab (IV.).II. Argumente für eine Erweiterung der tatgerichtlichenEntscheidungskompetenz bei bejahter besonderer Schwereder Schuld (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB)Würden bereits die Schwurgerichte die schuldschwerebedingteMindestverbüßungsdauer exakt beziffern, so entstündehierdurch beim Verurteilten frühzeitig Klarheit über denZeitpunkt seiner Entlassung im Fall einer positiven Legalprognosegemäß § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB (hierzu 1.).Von einem derart deutlich konturierten Aussetzungszeitpunkt2 BVerfGE 86, 288; Dünkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen(Hrsg.), Nomos Kommentar, Strafgesetzbuch, Bd. 1,4. Aufl. 2013, § 57a Rn. 23 ff.3 BVerfGE 86, 288 (321); anders noch derselbe Senat imJahre 1986 (BVerfGE 72, 113 f.), vgl. dazu Krey, JR 1995,221 (227).4 Dünkel (Fn. 2), § 57a Rn. 24; Große, NStZ 1996, 220 (221).5 OLG Hamburg NStZ-RR 1996, 124; Dünkel (Fn. 2), § 57aRn. 28.6 OLG Hamburg NStZ-RR 1996, 124.7 Stree/Kinzig (Fn. 1), § 57a Rn. 8._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com395


Benjamin Steinhilber_____________________________________________________________________________________ließen sich womöglich auch positive Einflüsse auf die Organisationdes Strafvollzuges bei lebenslanger Inhaftierungerwarten (dazu 2.). Bedeutsam ist außerdem, dass die Näheder erkennenden Schwurgerichte zur verwirklichten Tat dieseeher in die Lage versetzen könnten, die verwirklichte Tatschuldsachgerecht in eine korrelierende Mindestverbüßungsdauer„umzurechnen“ (hierzu 3.).1. Interesse des Inhaftierten an frühzeitiger Transparenz hinsichtlichdes schuldschwerebedingten EntlassungszeitpunktsFür den Verurteilten ist die schnellstmögliche Klarheit darüber,wann er im Fall positiver Legalprognose der Freiheit wiederteilhaftig werden kann, fraglos von immenser persönlicherRelevanz. 8 Dem trägt die gegenwärtige Ausgestaltung derSchwurgerichtslösung aber kaum Rechnung. Denn soweiteine besondere Schwere der Schuld vom Tatgericht bejahtworden ist, hat der Gefangene während vieler Jahre seinerStrafverbüßung damit zu rechnen, unter Umständen weit überdie 15-jährige Mindestverbüßungsdauer des § 57a Abs. 1 S. 1Nr. 1 StGB hinaus inhaftiert zu bleiben. 9 In diesem Kontextist auch zu bedenken, dass die Länderfinanzverwaltungen fürdie Gestaltung des Strafvollzuges oftmals nur geringe Mittelvorsehen und die Praxis des Strafvollzuges daher verfassungsrechtlicheStandards nicht selten allenfalls knapp erfüllt. 10 Insoferngeht von der lange schwelenden Ungewissheit für denVerurteilten ein persönlichkeitsschädigender Impuls aus, auchwenn freilich nach wie vor kontrovers diskutiert wird, ob langjährigerStrafvollzug die Persönlichkeit des Betroffenen zersetztund damit gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1Abs. 1 GG verstößt. 11 Vor diesem Hintergrund dürfte es aberjedenfalls zur Modernisierung des Strafvollzuges beitragen,wenn die im Einzelfall realisierte Mordschuld schon durchdas Schwurgericht auf eine bestimmte Vollstreckungsdauerkonkretisiert würde. 128 Vgl. H.-P. Dünkel, BewHi 1992, 196 (203); Preusker, in:Egg (Hrsg.), Tötungsdelikte: Mediale Wahrnehmung, kriminologischeErkenntnisse, juristische Aufarbeitung, 2002, S. 241(S. 246).9 Jahn/Kett-Straub, StV 2010, 271 (272); explizit auf psychologischeAuswirkungen abstellend auch Groß, in: Joecks/Miebach(Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch,Bd. 2, 2. Aufl. 2012, § 57a Rn. 34.10 Vgl. Kinzig/Steinhilber, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-ForschungTübingen (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus2008, 2008, S. 188 (S. 193 ff.).11 Vgl. Laubenthal, Lebenslange Freiheitsstrafe, Vollzug undAussetzung des Strafrestes zur Bewährung, 1987, S. 154 ff.;Nowara, in: Pollähne/Rode (Hrsg.), Schriftenreihe des Institutsfür Konfliktforschung, 2010, S. 67 (S. 82); siehe auchbereits LG Verden NJW 1976, 980.12 Duttge, in: Müller/Sander/Válková (Hrsg.), Festschrift fürUlrich Eisenberg zum 70. Geburtstag, 2009, S. 271 (S. 282f.); Rotthaus, NStZ 1993, 218 (219).2. Positive Auswirkungen auf die Organisation des Vollzugslebenslanger FreiheitsstrafeVon einer frühzeitigen Gewissheit über die schuldschwerebedingteMindestverbüßungsdauer könnten Vorteile nicht nurfür die Perspektivenkonturierung des Verurteilten, sondernauch für die Strukturierung des Strafvollzuges erwachsen.Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Entlassungeines „Lebenslänglichen“ zur Bewährung von langerHand vorbereitet werden muss. 13 In Betracht käme die Ausschaltungnamentlich zweier potentieller Fehlerquellen, diezu unbewusst falschen Entscheidungen der jeweiligen Justizvollzugsanstaltführen könnten. 14a) Zum einen wäre denkbar, dass die Haftanstalten aufdem Boden der Schwurgerichtslösung in ihrer gegenwärtigenGestalt dem Gefangenen (entlassungsvorbereitende) Lockerungennicht rechtzeitig gewähren, weil sie die bejahte besondereSchwere der Schuld eigenständig in eine zu hoheHaftzeit „umrechnen“. So könnten die Anstalten bspw. davonausgehen, dass momentan noch keine Ausführung genehmigtwerden müsse, weil die Entlassung des Verurteilten nochnicht in ansatzweise greifbare Nähe gerückt sei. 15 Konkretkönnte die Behörde z.B. annehmen, dass der Verurteilte nachder ausstehenden Konkretisierung durch die Strafvollstreckungskammerunter Schuldschweregesichtspunkten jedenfalls20 Jahre Haft zu verbüßen habe. Auf der Grundlage dieserPrognose erscheint es denkbar, dass Lockerungen des Vollzugesbis zur gerichtlichen Entscheidung zur Gänze ausbleiben.Würde die Strafvollstreckungskammer schließlich aber –rund 13 Jahre nach der Inhaftierung des Verurteilten – gleichwohlannehmen, dass trotz Vorliegens einer besonderenSchwere der Schuld eine Fortsetzung der Haft über die 15-Jahres-Grenze des § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB hinaus zuunterbleiben hat, 16 so verblieben nur noch zwei Jahre, um dieEntlassung des „Lebenslänglichen“ vorzubereiten.Indes ist es nicht sonderlich wahrscheinlich, dass die skizziertenKausalketten in der geschilderten Weise ineinandergreifen.17 Denn soweit das Tatgericht dem Delinquenten einebesondere Schwere seiner Schuld attestiert hat, ist dessen Entlassungzur Bewährung nach 15 Jahren Inhaftierung doch zumindestsehr unwahrscheinlich. 18 Folglich verblieben selbstbei einer von der Justizvollzugsanstalt deutlich zu hoch angesetztenMindestverbüßungsdauer praktisch immer mehr alszwei Jahre Zeit, um der Entlassung aus dem Strafvollzug den13 Siehe bereits Albrecht, Zur sozialen Situation entlassener„Lebenslänglicher“, 1977, S. 405 ff.; vgl. auch Dünkel (Fn. 2),§ 57a Rn. 28.14 Auf eine bewusst widerrechtliche Rechtsverkürzung seitensmancher Justizvollzugsanstalten soll im Rahmen dieses Beitragesnicht mehr eingegangen werden (vgl. hierzu etwa diequalitative Darstellung bei Weber, ZRP 1990, 65).15 Eisenberg, JZ 1992, 1188; Warnecke, Die Probleme derBegnadigung „Lebenslänglicher“ und des § 57a StGB sowiederen Ursachen, 2001, S. 74.16 Zu dieser rechtlichen Möglichkeit siehe Stree/Kinzig (Fn. 1),§ 57a Rn. 8.17 So wohl auch Warnecke (Fn. 15), S. 74 f.18 Kett-Straub, GA 2009, 586 (589)._____________________________________________________________________________________396<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Entwicklungspotentiale der „Schwurgerichtslösung“_____________________________________________________________________________________Boden zu bereiten. 19 Schon deshalb soll im Rahmen dieserErörterungen auch nicht mehr der (wohl: streitbaren) Fragenachgegangen werden, ob die Zeitspanne von (lediglich) zweiJahren zur schrittweisen Heranführung des „Lebenslänglichen“an ein Leben in Freiheit ohnehin weit genug bemessen ist.b) Die aktuelle Ausformung der Schwurgerichtslösungbirgt aber womöglich eine andere Störquelle für die Gestaltungdes Strafvollzuges. Konträr zur obigen Konstellation erscheintes denkbar, dass die Haftanstalt den Zeitpunkt derEntlassung auf ein signifikant früheres Datum taxiert, als esdie später entscheidende Strafvollstreckungskammer ihrerseitstut. Problematisch könnte dies dann sein, wenn die Justizvollzugsanstaltdem Gefangenen Lockerungen wie bspw. eineVerlegung in den offenen Vollzug gewährt, die sodann durcheine gerichtliche Entscheidung konterkariert werden. 20 Es bestündeeine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Gefangenehierauf mit Verbitterung oder sogar Resignationreagiert.Allerdings dürften eklatante behördliche Fehleinschätzungendieser Art nur ganz ausnahmsweise zu erwarten sein. 21Schließlich haben die Tatgerichte nicht nur isoliert über das„Ob“ einer besonderen Schwere der Schuld zu entscheiden,sondern zudem kraft verfassungsgerichtlichen Auftrages aucheine Gewichtung der festgestellten besonderen Schuldschwerevorzunehmen. 22 Insoweit wird den Vollzugsanstalten jedenfallsein „vollzugsplandienliche[r] Anhaltspunkt“ 23 an dieHand gegeben und dadurch eine strukturierende Wegweisunggeboten.Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass diekonkrete Bestimmung der schuldschwerebedingten Mindestverbüßungsdauerdurch das Tatgericht und nicht erst durchdie Strafvollstreckungskammer keine gravierende Konturenschärfungfür den Strafvollzug bewirken würde. Vielmehrwürde eine lediglich leichte Orientierungshilfe für die behördlicheOrganisation der Entlassungsvorbereitung eintreten. 2419 Vgl. OLG Frankfurt a.M. StV 1995, 540.20 Eisenberg, JZ 1992, 1188.21 Boetticher, in: Däubler-Gmelin u.a. (Hrsg.) Gegenrede, Aufklärung– Kritik – Öffentlichkeit, Festschrift für Ernst GottfriedMahrenholz zum 65. Geburtstag, 1994, S. 763 (S. 777 f.),sowie H.-P. Dünkel, BewHi 1992, 196.22 Vgl. Leitsatz 3a: „Die Regelungen der §§ 454, 462a StPOund des § 74 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG sind[…] mit dem Grundgesetz nur dann vereinbar, wenn die fürdie Bewertung der Schuld gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2StGB erheblichen Tatsachen im Erkenntnisverfahren […] festgestellt[…] werden [und] wenn das Urteil darüber hinaus aufdieser Grundlage die Schuld – unter dem für die Aussetzungsentscheidungerheblichen Gesichtspunkt ihrer besonderenSchwere – gewichtet“.23 Köhne, JR 2003, 5 (7); ähnlich Boetticher, MSchrKrim1998, 354 (360).24 Deutlich weitergehend aber Preusker, ZfStrVo 1993, 105(107 f.).3. Die Nähe der erkennenden Gerichte zur verwirklichten TatEin wesentlicher Grund für die verfassungsgerichtlich eingeforderteKompetenzverteilung zwischen Tatgericht und Strafvollstreckungskammerwar die (jedenfalls im Vergleich) geringereDistanz der Schwurgerichte zur jeweiligen (Mord-) 25Tat. 26 Soweit die Vollstreckungskammern – wie ehedem praktiziert– ohne vorangegangene tatgerichtliche Konturierungsowohl über das „Ob“ als auch über das „Wie“ der besonderenSchuldschwere autonom entscheiden müssten, so „bliebe[es] einem Vollstreckungsgericht, das die Tat nicht selbst inder Unmittelbarkeit einer Hauptverhandlung aufgeklärt hat,überlassen, sich nach seinem nur durch die Aktenkenntnisgeprägten Eindruck aus dem Urteil Gesichtspunkte für dieSchuldbewertung ‚zusammenzusuchen‘ und sie zu einerGesamtwertung zusammenzusetzen“. 27 Unter solchen Vorzeichenvermochte das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungenfür eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die voneinem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren zu erwarten wäre,nicht mehr zu erkennen. 28Diesen Erwägungen lässt sich schwerlich widersprechen.Vielmehr ist es im Gegenteil sogar die Plausibilität dieser Darlegungen,die für die Einräumung einer noch weitergehendenEntscheidungskompetenz des Tatgerichtes streiten dürfte.Nach der momentanen Schwurgerichtslösung obliegt es denVollstreckungskammern weiterhin, mit Blick auf die besondereSchwere der Schuld des Verurteilten dessen Haftdauerim Einzelnen festzulegen. Damit ist die bedeutungsrelevantereKomponente der Schuldschwerebewertung dem Einschätzungsspielraumdes Schwurgerichtes entzogen, 29 während imBereich zeitiger Freiheitsstrafen die schuldbezogene Strafzumessungzum unangefochtenen Kernbereich richterlichen Handelnsgehört. 30Bei Lichte betrachtet spricht denn auch wenig dafür, dassdie Strafvollstreckungskammern in einer guten Ausgangslagefür die Vornahme dieses „Quasi-Strafzumessungsaktes“ 31 sind.Dies gilt namentlich in Bezug auf die Entscheidungsgrundlage,auf der die Konkretisierung der exakten Verbüßungsdauerbasiert. Denn insoweit sind die Vollstreckungskammern aufdie von den Tatgerichten in den Urteilsgründen getroffenenFeststellungen angewiesen, zumal sie über keine eigenen25 Auf die einschneidendste Sanktion des deutschen Strafrechtswird fast ausschließlich wegen (vollendeter) Verbrechen nach§ 211 Abs. 1 und 2 StGB erkannt, vgl. Kett-Straub, Die lebenslangeFreiheitsstrafe – Legitimation, Praxis, Strafrestaussetzungund besondere Schwere der Schuld, 2011, S. 73.26 BVerfGE 86, 288 (316); Steinhilber, (Fn. *), S. 223.27 BVerfGE 86, 288 (316 f.).28 BVerfGE 86, 288 (317).29 BVerfGE 86, 288 (365 – Sondervotum Winter); vgl. auchschon Müller-Dietz, Jura 1983, 628 (632), nach dem der Vollstreckungsrichter„in die Rolle des erkennenden Richters gedrängt“wird.30 Rotthaus, NStZ 1993, 218 (219): „Für die erkennendenGerichte […] bei zeitigen Strafen die selbstverständliche Aufgabeder Strafzumessung“; auch Müller-Dietz, StV 1983, 162(164).31 Vgl. Stree/Kinzig (Fn. 1), § 57a Rn. 4._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com397


Benjamin Steinhilber_____________________________________________________________________________________Ermittlungsbefugnisse verfügen. 32 Diesbezüglich tritt dasgrundlegende Problem hervor, dass (schon) die Urteilsausführungendes erkennenden Gerichtes im Grunde nur einekonstruierte Realität abbilden. 33Dies gilt insbesondere in Bezug auf die deliktsrelevantensubjektiven Tatbestandsmerkmale; hiermit korrelierende innereWirklichkeiten können bereits kurze Zeit nach der Tatbegehungdurch den (späteren) Angeklagten verdrängt, rationalisiertoder durch andere Reflektionen und Wahrnehmungenüberlagert sein. 34 Im Zuge des anschließenden Strafverfolgungsverfahrensvollzieht sich sodann schon auf Ebene derpolizeilichen Ermittlungen ein durch verschiedene Interessenbeeinflusstes oder gar gesteuertes Kontruktionsverfahren. 35Problematisch ist des Weiteren, dass die Authentizität vonZeugenaussagen spätestens während der Hauptverhandlungendurch die Einflussnahme von Rechts- und Staatsanwälten, vonSachverständigen und auch von Richtern geschmälert wird,zumal die Erinnerungen des Zeugen mit wachsender zeitlicherDistanz zur jeweiligen Wahrnehmung kraft Natur der Sacheohnehin unpräziser und störanfälliger werden. 36 Erst rechtmarkieren die das erstinstanzliche Verfahren abschließendenschriftlichen Urteilsausführungen des Tatgerichtes keine originalgetreueWiedergabe des Tatgeschehens. Dies liegt, überdie bereits genannten Gründe hinausgehend, zum einen daran,dass oftmals nur diejenigen Entscheidungsgründe zu Papiergebracht werden, die nach Überzeugung des Gerichtes keineAngriffspunkte für eine Revision bieten. 37 Zum anderen leistetauch die juristische Fachsprache einen Beitrag dazu, dass dietatsächlichen Handlungsabläufe samt ihrer subjektiven Implikationenin eine juristische Parallelwirklichkeit überführt werden,auf deren Basis sodann der Schuld- und Strafausspruchermöglicht wird. 38Vor diesem Hintergrund drängt sich förmlich auf, dasseiner Strafvollstreckungskammer, die deutlich mehr als zehn32 Duttge (Fn. 12), S. 279.33 Vgl. Fabricius, in: Feltes u.a. (Hrsg.), Kriminalpolitik undihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für ProfessorDr. Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag, 2006, S. 269(S. 273), nach welchem die Tatgerichte „häufig nur eine selektiveund verzerrte Vorstellung [der Tat] verhandeln“; Rotthaus,NStZ 1993, 218 (219).34 Kreuzer, in: Schünemann u.a. (Hrsg.), Festschrift für ClausRoxin zum 70. Geburtstag am 15. Mai 2001, S. 1541 (S. 1549f.), sowie ders., in: Gropp u.a. (Hrsg.), Festschrift des FachbereichsRechtswissenschaft zum 400jährigen Gründungsjubiläumder Justus-Liebig-Universität Gießen, 2005, S. 205(S. 216).35 Kreuzer (Fn. 34 – FS Roxin), S. 1550.36 Kreuzer (Fn. 34 – FS Roxin), S. 1551.37 Kreuzer (Fn. 34 – FS Roxin), S. 1551; siehe auch Bayeru.a., MschrKrim 1987, 167 (169): „Das Insgesamt der Hauptverhandlungkann in der Niederschrift des Urteils nicht vermitteltwerden“.38 Kreuzer (Fn. 34 – FS JLU Gießen), S. 216; Tengeler, in:Weber/Scheerer (Hrsg.), Leben ohne Lebenslänglich, 1988,S. 27 (S. 30 f.).Jahre nach der Inhaftierung der später verurteilten Person 39die Feinjustierung der verwirklichten Schuld vornehmen muss,eine allenfalls schwer zu lösende Aufgabe verblieben ist.Anstelle des Verfahrens nach § 454 StPO dürfte die Hauptverhandlungvor dem Schwurgericht die deutlich bessere Ausgangsbasisdafür bieten, die verwirklichte Tatschuld adäquat ineine schuldschwerebedingte Verbüßungsdauer umzurechnen. 40Daneben sei ein zweiter Aspekt erwähnt, der indiziert,dass eine Kompetenzerweiterung des erkennenden Gerichtesunter rechtsstaatlichen Aspekten vorzugswürdig wäre. So sinddie Strafvollstreckungskammern bei Lichte betrachtet nicht ineiner solch strikten Weise an die tatgerichtlichen Feststellungenzur Schuldschwere gebunden, wie es das Bundesverfassungsgerichtmutmaßlich intendiert hatte. Sie können vielmehrdurchaus auch solche Schuldschwereaspekte berücksichtigenund zu Lasten des Verurteilten würdigen, die nach Auffassungdes Schwurgerichtes gar nicht vorgelegen haben. 41 Obgleichnicht mehr im Nachhinein Mordmerkmale angenommenwerden dürfen, die das erkennende Gericht verneint hat,kann der jeweilige Sinngehalt eines der Merkmale des § 211Abs. 2 StGB bei entsprechend verklausulierter Wortwahldurchaus strafschärfend gewürdigt werden. 42 Denn es ist rechtlichnicht zu beanstanden, wenn die Strafvollstreckungskammerzwar nicht explizit das Mordmerkmal der Grausamkeit(§ 211 Abs. 2, Gr. 2, Var. 2 StGB) bejaht, aber gleichwohldas Verhalten des Täters als „barbarisch“ etikettiert und darausentsprechende Folgen für die Sanktionierung ableitet. 43III. Erwägungen zugunsten der Beibehaltung der gegenwärtigpraktizierten SchwurgerichtslösungIm Rahmen dieses Beitrages können nicht alle Argumentationsmusterwiedergegeben werden, auf welche die Gegner einertatgerichtlichen Kompetenzerweiterung zurückgreifen. 44 Dienachfolgenden Darlegungen sollen aber doch die zentralenGesichtswinkel der Verfechter des Status quo nachzeichnen.Insoweit lässt sich zum einen anführen, dass womöglich nurbei einer Festlegung der konkreten Verbüßungsdauer durchdie Strafvollstreckungskammer Raum dafür bestehe, die persönlicheEntwicklung des Verurteilten während des Strafvollzugeszu berücksichtigen (hierzu 1.). Des Weiteren könnteangenommen werden, dass im Fall der Bejahung einer besonderenSchwere der Schuld die Tatgerichte unter dem unmittelbarenEindruck der Hauptverhandlung eine höhere schuldschwerebedingteVollstreckungsdauer bestimmen könnten alsdie „distanzierteren“ Strafvollstreckungskammern (dazu 2.).Weiterhin wird gelegentlich befürchtet, dass die Verfahrensdauervor den erkennenden Gerichten verlängert werden würde,wenn diese neben dem „Ob“ der besonderen Schwere der39 Freilich kann zwischen der Tatbegehung und der erstmaligenUnterbringung des Delinquenten in der (Untersuchungs-)Haftanstalt bereits eine erhebliche Zeitspanne verstrichen sein.40 Duttge (Fn. 12), S. 271 (S. 278 f.).41 Lüderssen, in: Albrecht u.a. (Hrsg.), Festschrift für HorstSchüler-Springorum: Zum 65. Geburtstag, 1993, S. 629 (S. 636).42 Lüderssen (Fn. 41), S. 636.43 Lüderssen (Fn. 41) ), S. 636.44 Vgl. diesbezüglich vertiefend Steinhilber (Fn. 26), S. 225 ff._____________________________________________________________________________________398<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Entwicklungspotentiale der „Schwurgerichtslösung“_____________________________________________________________________________________Schuld noch weitergehend als bisher auch über das „Wie“ zubefinden hätten (hierzu 3.).1. Zur Möglichkeit der Würdigung der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklungdes VerurteiltenZutreffend ist fraglos, dass die gegenwärtig praktizierte „vollstreckungsrechtlicheGesamtwürdigung“ die Strafvollstreckungskammerdazu verpflichtet, bei der Taxierung derschuldschwerebedingten Haftzeit auch die persönliche Entwicklungdes Gefangenen seit der Tat zu berücksichtigen. 45Als relevante Faktoren kommen dabei namentlich auch Sühneanstrengungendes Täters während des Strafvollzuges sowieder Umfang seiner Schuldverarbeitung in Betracht. 46 Solche– womöglich erst nach mehrjähriger therapeutischer Arbeitinitiierten – Entwicklungen vermag das Tatgericht zum Zeitpunktseiner Entscheidung freilich noch nicht abzuwägen. 47Dementsprechend soll es nach einer Auffassung der Strafvollstreckungskammervorbehalten bleiben, über die konkrete Verbüßungsdauerzu entscheiden. 48Allerdings ist hiergegen einzuwenden, dass im Zuge einermodifizierten gesetzlichen Konfiguration die Berücksichtigungund rechtliche Würdigung von Entwicklungen, die sich nachdem Anlassdelikt gezeigt haben, durchaus praktikabel wären.49 Denkbar wäre dies namentlich dann, wenn das Tatgerichtlediglich diejenige Vollstreckungsdauer festzulegenhätte, die bei günstiger Legalprognose maximal zu verbüßenist. Bei einer solchen Gesetzesstruktur bestünde für die späterauf den Plan gerufene Strafvollstreckungskammer die Möglichkeit,bei begründetem Anlass im Einzelfall die durch daserkennende Gericht bestimmte Vollstreckungsdauer nachträglichabzusenken. 502. Zur Wahrscheinlichkeit einer „Strafverhärtung“ im Fallder tatgerichtlichen KompetenzerweiterungIm Vorfeld des eingangs erwähnten, die heutige Schwurgerichtslösungvorgebenden Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes51 meldete das Bundesland Hessen in seiner StellungnahmeBedenken gegenüber einer weitreichenden Modifizierungdes damals praktizierten Kompetenzgefüges an. So wurdedie Annahme geäußert, dass im Fall einer Bejahung besonde-45 Krit. Lackner, in: Kerner (Hrsg.) Kriminologie, Psychiatrie,Strafrecht, Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag,1983, S. 609 (S. 624), mit der geäußerten Befürchtung, dass„die gesamte Lebensführung nach der Tat zur Entscheidungsgrundlagewird“.46 Stree/Kinzig (Fn. 1), § 57a Rn. 8; Dünkel (Fn. 2), § 57a Rn. 25.47 Obgleich § 46 Abs. 2 StGB explizit auch auf das „Verhaltennach der Tat“ abstellt.48Schulze, Die bedingte Haftentlassung lebenslänglicherGefangener, 2003, S. 43 f.49 Steinhilber (Fn. 26), S. 238.50 Konkreter Umsetzungsvorschlag bei Steinhilber (Fn. 26),S. 263 ff.; nicht a priori von der Hand zu weisen wäre imÜbrigen auch ein Beschreiten des Gnadenweges, was freilichwiederum mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden wäre.51 BVerfGE 86, 288.rer Schwere der Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2StGB die erkennenden Gerichte – soweit ihnen dies künftigermöglicht werden würde – eine im Vergleich zu den Strafvollstreckungskammernhöhere schuldschwerebedingte Vollstreckungsdauerbestimmen würden. 52Mag dieser Gedanke insbesondere auch bei liberalerenStrafjuristen prima facie verfangen und scheinbar gegen eineFortentwicklung der Schwurgerichtslösung sprechen, so setzter sich doch dem elementaren strafprozessualen Grundsatzder Unmittelbarkeit (z.B. §§ 226 Abs. 1, 250, 261 StPO) diametralentgegen. Es erschiene denn auf dem Felde zeitigerFreiheitsstrafen ziemlich fernliegend, bei einer Verurteilungwegen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4StGB) zunächst auf „mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe“zu erkennen, um die Konkretisierung der Haftzeit sodann,bspw. nach Ablauf von drei Jahren, durch eine Strafvollstreckungskammervornehmen zu lassen. 53 Unbeschadet der beidiesem gravierenden Delikt naheliegenden erheblichen undaugenfälligen Traumatisierung des Opfers (und seiner Angehörigen)zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung wird das Tatgerichtallgemein für kompetent befunden, ein ausgewogenesund sachgerechtes Urteil zu fällen. 54Soweit die lebenslange Freiheitsstrafe auf der Rechtsfolgenseitenur fakultativ angedroht ist, wird der mit der Schwurgerichtslösungverbundene Strukturbruch besonders deutlich.Wird bei einem Schuldspruch wegen sexueller Nötigung mitTodesfolge (§ 178 StGB) eine zeitige Freiheitsstrafe verhängt,so obliegt die konkrete Strafzumessung ohne weiteres demTatgericht. Wird jedoch ausnahmsweise die lebenslange Freiheitsstrafeals tat- und schuldangemessene Sanktion auf diesesDelikt gewertet, 55 erschöpft sich der Aufgabenbereich des erkennendenGerichtes insoweit darin, zum „Ob“ einer besonderenSchwere der Schuld Stellung zu beziehen. Über diekonkrete Straflänge in Bezug auf § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2StGB hat sodann – ohne dass neben der rechtlichen Einschätzungauch der Sachverhalt divergieren müsste – die Strafvollstreckungskammerzu entscheiden.3. Zur vermeintlichen Verfahrensökonomie der SchwurgerichtslösungJedenfalls prima facie ist die Überlegung nicht fernliegend,dass eine konkrete Festlegung der schuldschwerebedingtenVollstreckungsspanne durch das Tatgericht die jeweiligeHauptverhandlung in die Länge ziehen würde. Denn dieswurde schon gegenüber der gegenwärtig praktizierten Schwurgerichtslösungeingewendet. 5652 Steinhilber (Fn. 26), S. 235.53 Steinhilber (Fn. 26), S. 235.54 Stark, JZ 1994, 189 (190), der den Gerichten insbesonderedie Fähigkeit zuschreibt, sich nicht von medialer Berichterstattungbeeinflussen zu lassen.55 Wobei gerade in Ansehung von § 57a StGB der Strafausspruch„lebenslange Freiheitsstrafe“ bei Lichte betrachtet eherein verbales Konstrukt denn eine rechtliche Realität markiert.56 Stree, NStZ 1992, 464: „für das Erkenntnisverfahren erheblicheMehrarbeit“._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com399


Benjamin Steinhilber_____________________________________________________________________________________Zur Abschätzung der Begründetheit dieser Befürchtung istnochmals ein näherer Blick auf die Schwurgerichtslösung inihrer momentanen Kontur zu werfen. Wie bereits festgestellt,ist den erkennenden Gerichten ohnehin eine ins Detail gehende,umfangreiche Erörterung der Tatschuld aufgegeben. 57 Diesfolgt nicht zuletzt auch aus dem Arbeitsauftrag des Bundesgerichtshofes,nach welchem die Tatgerichte bei der vorzunehmendenGesamtwürdigung „die schuldrelevanten Umständezu ermitteln und zu gewichten“ haben. 58 Letzten Endes wirddadurch die Höhe der Vollstreckungsdauer so präzise vorgezeichnet,dass im Grunde lediglich die Bestimmung des exaktenStrafmaßes kupiert wird. Dieser sozusagen „endgültigeBemessungsakt“ ist dann durch die Strafvollstreckungskammernvor einem allerdings deutlich verwascheneren Hintergrundvorzunehmen, als es noch den Schwurgerichten möglichgewesen wäre. 59 Aus diesen Überlegungen ergibt sich,dass die Festlegung der schuldschwerebedingten Verbüßungsdauerfür die erkennenden Gerichte keine signifikanterhöhte Arbeitsbelastung nach sich ziehen würde. Die Tatgerichtehätten gerade nicht mit einem solchen Aufwand die„Quasi-Strafzumessung“ zu betreiben, wie er momentan beiden Strafvollstreckungskammern anfällt. Stattdessen müsstendie Schwurgerichtskammern ihre ohnehin zu ganz erheblichenTeilen durchgeführte Strafzumessung nur noch in einkonkretes Zeitmaß überführen.IV. FazitWas bei zeitiger Freiheitsstrafe zum unangefochtenen Kernbereichrichterlichen Handelns gehört, sollte auch bei der Verhängunglebenslanger Freiheitsstrafe mit besonderer Schwereder Schuld zur gängigen Praxis werden. Die konkrete Bestimmungeiner schuldschwerebedingten Maximalverbüßungsdauerbereits durch das erkennende Gericht verspricht, spürbare Verbesserungenin Bezug auf ein rechtsstaatliches Verfahren mitsich zu bringen. 60 Die geschilderten Bedenken gegen entsprechendkonkretisierte tatgerichtliche Urteilssprüche sind demgegenüberweniger überzeugend.57 Stark, JZ 1994, 189 (190).58 BGHSt 40, 360 (370); siehe auch Darstellung bei Streng,JZ 1995, 556 (560).59 Stark, JZ 1994, 189 (190); Streng, JZ 1995, 556 (557).60 So auch Dünkel (Fn. 2), § 57a Rn. 7: „Richtigerweise wirdman mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG [...] de lege ferendaeine Konkretisierung der besonderen Schuldschwere bereitsdurch das Tatgericht fordern müssen.“_____________________________________________________________________________________400<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Tagungsbericht: 5. Summer School des South African-German Centre for TransnationalCriminal JusticeHumboldt-Universität zu Berlin, 24.6. bis 5.7.2013Von Wiss. Mitarbeiterin Marlen Vesper-Gräske, LL.M. (NYU), Berlin*Vom 24.6. bis 5.7.2013 fand an der Berliner Humboldt-Universitätzum fünften Mal die Summer School des South African-GermanCentre for Transnational Criminal Justice 1 statt.Das Centre ist ein Gemeinschaftsprojekt der Humboldt-Universitätzu Berlin und der University of the Western Cape inKapstadt, Südafrika. Es wurde 2008 als eines von sieben sogenanntenCentres of African Excellence als Forschungs- undLehreinrichtung ins Leben gerufen. Es bietet seither dasLL.M.- und Doktorandenprogramm „Transnational CriminalJustice and Crime Prevention – An International and AfricanPerspectice“ an, das sich an internationale Studierende wendet,insbesondere an afrikanische. Alljährlich findet im Rahmendieses Programms die gemeinsame Summer School ander Humboldt-Universität zu Berlin statt, die renommierteAkademiker und Praktiker mit Schwerpunkten in den BereichenVölkerstrafrecht und internationales Wirtschaftsstrafrechtzu einem zweiwöchigen Programm zusammenführt, dasRaum für intensive Debatten bietet.Thematisch befassten sich die Referate der diesjährigenSummer School „Transnational Criminal Justice“ mit denneuesten Entwicklungen auf den Gebieten des Völkerstrafrechtsund des Wirtschaftsstrafrechts sowie mit den Herausforderungenan das Strafrecht in der heutigen Informationsgesellschaft.Die Vorträge gaben Einblicke in das deutsche,chinesische, US-amerikanische und europäische Strafrecht sowiein das Recht des Islam. Nicht nur inhaltlich stand Transnationalitätim Mittelpunkt, sondern auch was die Teilnehmerbetrifft. Professoren und Rechtspraktiker aus neun verschiedenenLändern von allen Kontinenten fanden sich an derHumboldt-Universität in Berlin ein, von Australien über dieVolksrepublik China, Italien, die Niederlande, Großbritannien,Deutschland und Südafrika bis hin zu den USA und Bolivien.Die 40 Studierenden und Promovierenden, die an derSummer School teilnahmen, kamen aus neun afrikanischenStaaten sowie Deutschland und einigen anderen europäischenLändern.Eröffnet wurde die Summer School am 24.6.2013 mit einemVortrag von dem Richter und Vize-Präsidenten des Inter-* Die Autorin promoviert zu einem völkerstrafrechtlichenThema bei Prof. Dr. Gerhard Werle am Lehrstuhl für deutschesund internationales Strafrecht, Strafprozessrecht undjuristische Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zuBerlin.1 Direktoren des Projektes sind Prof. Lovell Fernandez (Universityof the Western Cape, Kapstadt, Südafrika) sowie Prof.Dr. Gerhard Werle (Humboldt-Universität zu Berlin). Projekt-Koordinator ist Dr. Moritz Vormbaum. Gefördert wird dasCentre durch den Deutschen Akademischen Austauschdienstund die Aktion Afrika des Auswärtigen Amtes. Nähere Informationenzu dem Centre for Transnational Criminal Justiceals auch zu den angebotenen Projekten und Bewerbungsmöglichkeitensind abrufbar unter: http://www.transcrim.org/.nationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Cuno Jakob Tarfusserzu dem Thema „The ICC in its Second Decade: Achievements,Shortcomings, Challenges“. Kürzlich erfolgte ablehnende Verfahrensentscheidungendes IStGH sowie den Freispruch indem Verfahren gegen Mathieu Ngudjolo Chui 2 in 2012 werteteTarfusser als einen entscheidenden Schritt des IStGH,seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit als echtes Strafgerichtunter Beweis zu stellen und zu wahren. Als Schwachstellenwurden die unzureichenden Regelungen über die Opferbeteiligungund die Kostenstruktur des Den Haager Gerichtsangesprochen. Tarfusser sprach sich für eine effizientere Opferbeteiligungaus, welche – nach notwendigen Begrenzungen– das Völkerstrafverfahren in realistischem Umfang begleitensolle. Effizienter müsse ebenso der Finanzhaushalt des Gerichtsgestaltet werden, wobei es insbesondere auf die richtigeVerteilung des Budgets innerhalb der organisatorischen Strukturendes IStGH ankomme. Ungeachtet der internen Bemühungen,müsse die Staatengemeinschaft sich jedoch vergegenwärtigen,dass man sich die Errungenschaft eines permanenteninternationalen Strafgerichtes auch leisten wollen müsse,mithin dieses Gericht nicht unterfinanzieren dürfe. Tarfussererläuterte ferner die künftigen Herausforderungen, denen sichder IStGH seiner Ansicht nach stellen müsse und verwies u.a.auf die Stärkung und Konsolidierung der Staaten-Kooperationmit dem IStGH. Hier sah er vornehmlich das Gerichtselbst in der Pflicht, sich im Wege guter, solider juristischerArbeit als vertrauenswürdige Institution zu erweisen und aufdiese Weise die Unterstützung der Staaten zu erreichen.Dr. Chantal Meloni von der Universität Mailand führtedurch die Wirren um die Aufnahme eines Verfahrens zurPalästina-Situation vor dem IStGH. Meloni navigierte nacheinem geschichtlichen Abriss der politischen Gegebenheitenzu den rechtlichen Bewertungen des israelisch-palästinensischenKonflikts. Hauptaugenmerk wurde auf die (versuchte)Überweisung der Situation an den IStGH durch die palästinensischeRegierung am 23.1.2009 gelegt. Kontrovers diskutiertwurde die Kernfrage, ob es geboten ist, trotz der Problematikder völkerrechtlichen Anerkennung, Palästina im Rahmendes IStGH-Statuts als Staat zu behandeln.Der zweite Tag der Vortragsreihe begann mit einer Einführungin das chinesische Strafrecht durch Prof. ShizhouWang (Universität Peking). Er beleuchtete die Entwicklungsgeschichteseit 1979, dem Jahr, in dem China als sogenanntes„Land ohne Recht“ – freilich nur dem westlichen Rechtsverständniszufolge – mit einer umfassenden Strafrechtsreformeinen ersten Schritt hin zur Rule of Law wagte. 1997 erfolgte2 IStGH (Verfahrenskammer II), Urt. v. 18.12.2012 – ICC-01/04-02/12-3. Das Gericht unterstrich in seinem Urteil diegenerelle Bindung an die Feststellung der Schuld „beyondreasonable doubt“ und schob ein, dass dies nicht bedeute, dieVerfahrenskammer sei andererseits von der Unschuld überzeugt(vgl. S. 17 des Urteils)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com401


Marlen Vesper-Gräske_____________________________________________________________________________________die nächste große Strafrechtsreform, in deren Zuge das Legalitätsprinzipund das Analogieverbot eingeführt wurden. Seitherbestehe zwar immer noch ein Mangel an strafrechtlicherGesetzgebung in China, jedoch nehme diese insbesondere mitder Schaffung von Verbrechenstatbeständen gegen die Wirtschaftskriminalitätstetig zu. Stark kritisiert wurde von Wangschlussendlich die chinesische Praxis der Todesstrafe. Erkonstatierte, dass sich 1979 noch allein 15 Vorschriften imchinesischen Strafrecht finden ließen, welche die Todesstrafenach sich zögen, wohingegen sich die Zahl bis 1997 fast verdreifachthabe und auf 44 Normen angewachsen sei. Dennochsei die Todesstrafe mittlerweile (fast) ausschließlich auf solcheVerbrechen anwendbar, welche den Tod des Opfers nachsich zögen – mit einer entscheidenden Ausnahme: dem Drogenhandel.An das Referat von Prof. Wang schloss sich ein weiterSprung um den Globus an: Prof. Lawrence R. Douglas (AmherstCollege, USA) sprach zu den Verfahren vor der Militärkommissionauf der Guantanamo Bay Naval Base. Douglaswar selbst gerade erst von seinem zweiten Aufenthalt auf derGuantanamo Bay Naval Base zurückgekehrt. 3 Nach einer Einführungzur Geschichte der Militärkommissionen in den USA,die bis zur Ermordung Lincolns 1865 zurückreicht, kreistedie Präsentation vornehmlich um die Legitimierungsmöglichkeitder Verfahren auf der Guantanamo Base. Douglas unterstricheinerseits das aufrichtige Bemühen der Staatsanwaltschaftals auch der Richterschaft vor Ort, unter den gegebenenBedingungen ein „rechtstaatliches“ Verfahren zu gewährleisten.Auf der anderen Seite mahnte Douglas, dass die Verfahrenvon Guantanamo – würden sie auch mit noch so vielBedacht geführt – sich niemals von ihren Begleitumständenlösen ließen. Stets werde man auch das Gericht mit den Folterungenund der Praxis der Gefangennahmen in Verbindungbringen. Eine Legitimierung der Gerichtsverfahren erscheinedaher sehr schwierig. Douglas sah hierfür allein dann eineChance, wenn der Gerichtsort geändert würde sowie einestrikte Absage an die mögliche Verhängung der Todesstrafeerfolgte. Douglas beendete seinen Vortrag mit einer Anekdote,die er vor Ort beobachten konnte: Ein Protest der besonderenArt durch einen Strafverteidiger eines Guantanamo-Häftlings.Dieser habe bei jedem Plädoyer im Gerichtssaal ein Stoff-Känguru vor dem Rednerpult platziert. Die Bezeichnung „kangaroocourt“ steht als Synonym für ein Gericht, welches insbesonderedie Rechte der Angeklagten missachtet und keinfaires Verfahren gewährleistet.Prof. Ryszard Piotrowicz (University of Aberystwyth,Wales) stellte das Thema „Human Trafficking“ vor. Im Mittelpunktder Präsentation und der sich anschließenden Diskussionstand die Frage, inwiefern der Menschenhandel eineVerletzung der Menschenrechte darstellt. Piotrowicz vertratdie kontrovers debattierte Ansicht, dass Menschenrechtsverletzungennur im vertikalen Bürger-Staat-Verhältnis angenom-3 Douglas befand sich dort als Journalist für das US-MagazinHarper’s, für welches er einen umfassenden Beitrag über dieMilitärbasis verfasste. Der Artikel ist abrufbar unter:http://harpers.org/archive/2013/10/a-kangaroo-in-obamascourt/.men werden könnten und mithin der Menschenhandel ausdieser Betrachtung auszuschließen sei.Hieran anschließend stellte Prof. Najma Moosa von derUniversity of the Western Cape, Kapstadt (Südafrika), dieKriminalisierung von Abtreibungen in Südafrika und imIslam zur Debatte. Moosa erläuterte das im Jahre 1996 erlassenesüdafrikanische Abtreibungsgesetz, welches auch heutenoch eines der tolerantesten Abtreibungsgesetze weltweitdarstelle. 4 Speziell zur Situation des islamischen Rechts zeigteMoosa auf, dass unter muslimischen Ländern eine gespalteneHaltung vorherrsche; Tunesien lasse beispielsweise Abtreibungenzu, Pakistan und Sudan hingegen sanktioniertensie. Laut Moosa stehen allerdings die primären Quellen derSharia, der Koran und die Sunna, Ausnahmeregelungen zuSchwangerschaftsbeendigungen nicht entgegen.Die zweite Woche der Summer School eröffnete Prof. RenéBlattmann, ehemaliger Richter und Vizepräsident am IStGHsowie ehemaliger bolivianischer Justizminister, der momentanals DAAD-Gastprofessor an der Humboldt-Universität lehrt.Blattmann referierte über das Lubanga-Urteil von 2012, daserste Urteil des IStGH, an dem er selbst als Richter in DenHaag beteiligt war. Als Einstieg in die Thematik wählte ereinen geschichtlichen Rückblick auf die Tätigkeit internationalerTribunale, der die übliche Darstellungslinie – Entwicklungenbis und seit Nürnberg – verließ. Vielmehr rückteBlattmann die Antisklaverei-Gerichte des 19. Jahrhunderts inden Mittelpunkt, die zwischen 1817 und 1871 die ersteninternationalen Menschenrechtsgerichtshöfe darstellten – eingesetztzum Zwecke der Unterbindung des transatlantischenSklavenhandels. 5 Diese Gerichte waren mit internationalenRichtern besetzt und wendeten internationales Recht an. Nachdiesem historischen Abriss widmete sich das Referat gänzlichden gegenwärtigen Menschlichkeitsverbrechen und deren Aburteilungim Lubanga-Prozess. Der Blick wurde auf die disclosurerules gerichtet, die als eine zentrale Schwierigkeit imLubanga-Verfahren ausgemacht wurden. Blattmann erklärtedas Unbehagen und die Hemmung des Gerichts im Wissenum die Existenz von entlastendem Beweismaterial, das vonder Anklagebehörde nicht offengelegt wurde, ein Urteil zusprechen. Grundlage für die Nicht-Offenlegung seien sogenannteconfidentiality agreements zwischen den VereintenNationen und dem IStGH-Ankläger gewesen. 6 Diese – soeinleuchtend ihre Existenz auch sein möge – brächten erheblicheVerfahrensverzögerungen mit sich und stellten eine deutlicheGefährdung des Fair Trial-Grundsatzes dar, wie das Lubanga-Verfahrenverdeutlicht habe. Ein weiterer Diskussionspunktlag bei den Regelungen der Opferbeteiligung bzw. der4 Choice on termination of pregnancy Act (1996).5 Siehe hierzu erst kürzlich erschienen: Martinez, The SlaveTrade and the Origins of International Human Rights Law,2012. Die Thesen des Buches werden von international führendenMenschenrechtsexperten nicht unkritisch betrachtet,http://www.harvardlawreview.org/issues/126/may13/Book_Review_9480.php.6 Siehe Art. 54 Abs. 3 lit. e Römisches Statut, Art. 18 Abs. 3,20 Negotiated Relationship Agreement between the ICC andthe UN._____________________________________________________________________________________402<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Tagungsbericht: 5. Summer School des South African-German Centre for Transnational Criminal Justice_____________________________________________________________________________________Anerkennung der Opfereigenschaft. Prof. Werle warf die Frageauf, ob der IStGH durch eine breite Opferdefinition möglicherweiseErwartungen geweckt habe, die er nicht einhaltenkönne. Blattmann veranschaulichte hierauf die verschiedenenArten möglicher Reparationszahlungen – individuell durchden Verurteilten (Art. 75 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut) oder Gemeinschaftsreparationenüber den Treuhandfonds (Art. 75Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit Art. 79 IStGH-Statut). Dabeibegrüßte er nochmals die gegenwärtige Ausgestaltung derOpferrechte vor dem IStGH und hob hervor, dass er als Richterder Trial Chamber I die starke Opferbeteiligung nicht alsausschlaggebend für etwaige Verfahrensverzögerungen empfundenhabe.Im Anschluss an diesen Vortrag standen wiederum dasVölkerstrafrecht und der IStGH im Mittelpunkt der Veranstaltung.Prof. Sarah Nouwen von der University of Cambridge(Großbritannien) widmete sich dem Komplementaritätsprinzip(Art. 17 IStGH-Statut) in der Praxis, im Speziellendessen Auswirkungen auf die Situationen im Sudan und inUganda. Der Vortrag basiert auf ihrem neuen Buchprojekt 7 ,für das sie zur Feldforschung mehrere Monate in beidenafrikanischen Ländern verbracht hatte, um dortige Funktionäreund Politiker zu interviewen, aber auch, um die politischen Abläufezu observieren. Nouwen erläuterte zunächst das Doppellebendes Komplementaritätsprinzips – einerseits als Rechtsprinzip,welches sich im Gerichtssaal abspiele, andererseitsals große politische Idee des realen Lebens. Beide Formenbewegten sich jedoch in unterschiedliche Richtungen. Darananknüpfend legte Nouwen ihre Thesen zum sogenannten „catalyzingeffect“ des Komplementaritätsprinzips dar: Dieser beruhezunächst auf der Angst eines Souveränitätsverlustes aufSeiten des betreffenden Staates, bedingt durch das Eingreifendes IStGH zu Ermittlungszwecken und dem hieraus resultierendenReputationsverlust des jeweiligen Staates. Es werdeversucht, dem durch das Antreiben von eigenen Strafverfolgungenund der Reduzierung von Amnestien entgegenzuwirken,welches allerdings auch die Gefahr von unzureichendenStrafaussprüchen in sich berge. Uganda wurde als erfreulichesBeispiel genannt, weil dieser Staat das Römische Statut indas nationale Recht überführt habe, um tatsächlich die Arbeitdes IStGH zu ermöglichen und zu fördern, also nicht umlediglich dem Komplementaritätsprinzip zu entkommen undsich nicht dem Vorwurf des Unvermögens (Art. 17 Abs. 1 lit. aIStGH-Statut) zu nationalen Strafverfahren auszusetzen. Nouwenerklärte, dass dem IStGH im Falle Ugandas eine sehrpositive Wirkung bescheinigt werden könne. Das Tätigwerdendes Gerichtshofes auf Grundlage des self-referral habe dieSouveränität des Landes und dessen Ansehen gesteigert, wasletzten Endes auch für die Vergabe der ersten Review Conferencenach Kampala im Jahre 2010 gesprochen habe. Eindominierender Aspekt des Referates und der anschließendenDiskussion war das Problem des Schutzes einiger Personenvor Strafverfolgung. Dies sei einer der bedeutendsten Faktorender Straflosigkeit bei nationalen Verfahren. Nouwen sprach7 Nouwen, Complementarity in the Line of Fire: The CatalysingEffect of the International Criminal Court in Uganda andSudan, 2012.sogar von einem existierenden „marketplace of patronage“.Besonders kritisiert wurde, dass diese „Patronage-Haltung“auch auf internationaler Ebene zu beobachten sei, wenn mandie Situationen betrachte, in denen der IStGH ermittle. AuslösendeSchwierigkeit sei die Tatsache, dass der IStGH sichselbst um Loyalität und Unterstützung der Staaten bemühenmüsse. Die hieraus entstehende Abhängigkeit von bestimmtenPartnern begünstige Protektion in der Strafverfolgung durchden IStGH.Mit dem Vortrag „Searching for the Hinterman: SubjectiveImputation in International Criminal Law“ griff Prof. Jens D.Ohlin (Cornell University, Ithaca, USA) ein zentrales Themades materiellen Völkerstrafrechts auf. Den Schwerpunkt desReferats bildete die Täterschaft und Teilnahme. Nach einemkurzen historischen Abriss – insbesondere zur Verwendungdes „conspiracy“-Modells, dessen „Tod“ nach Nürnberg sowieseinem Wiederaufleben in neuem Gewand durch die Einführungder Joint Criminal Enterprise-Doktrin mit der Tadić-Entscheidungdes Jugoslawien-Tribunals – leitete Ohlin unmittelbarzu seiner Kritik an der Verwendung der Tatherrschaftslehre(„control of the crime-theory“) des IStGH über. Die imLubanga-Verfahren erfolgte Auslegung des Art. 25 Abs. 3IStGH-Statut in Anlehnung an die Tatherrschaftslehre sei eineÜberkorrektur der herkömmlich subjektiv-objektiven Methode.Ohlin schlug dagegen eine neue Theorie für die Bestimmungvon Mittäterschaft vor, welche den Fokus der Untersuchungauf die subjektive Tatseite verlagere, die man „Joint Intentions-Theory“nennen könne. Entscheidend für die Bestimmungvon (Mit-)Täterschaft sei danach, ob die Person einengemeinschaftlichen Vorsatz mit anderen Gruppen-Teilnehmernhabe, die das Verbrechen als Gruppe begehen wollten. Ohlinsah insofern in seiner Theorie eine Verbesserung der gegenwärtigenZurechnungsdogmatik, als das subjektive Elementstärker ausgeprägt sei, wohingegen die „control of the crimetheory“auch dolus eventualis anerkenne und somit eine deutlicheSchwächung der subjektiven Komponente bewirke. Hierausfolge eine Annäherung an das Joint Criminal Enterprise-Konzept bzw. sogar eine weitergehende Ausdehnung der strafrechtlichenZurechnung. In der darauffolgenden Diskussionzeigte sich Prof. Werle skeptisch gegenüber einer weiterenneuen Theorie zur mittäterschaftlichen Zurechnungslehre, dievielleicht ein bestimmtes Problem löse, aber dafür andere aufwerfe.Ferner wies er darauf hin, dass Ohlins Charakterisierungder Tatherrschaftslehre als „das deutsche Modell derZurechnung“ problematisch, ja im Grundsatz inkorrekt sei.So habe gerade die deutsche Rechtsprechung jahrzehntelangRoxins Tatherrschaftslehre die Anerkennung verweigert. Dr.Boris Burghardt (Humboldt-Universität zu Berlin) unterstrichmit Nachdruck die Vorzüge der Tatherrschaftslehre, welchestets enger gefasste Ergebnisse liefere als jede subjektiveTheorie es vermöge. Damit wies er die von Ohlin geltendgemachte Gefahr einer ausufernden Zurechnung zurück.Prof. Martin Heger (Humboldt-Universität zu Berlin) referierteüber das Thema „Wikileaks – The case of Julian Assange“.Sein Beitrag erfuhr durch die Causa Snowden undden NSA-Abhörskandal besondere Aktualität, nicht zuletzt,weil Assange derzeit selbst bemüht ist, Snowden über WikileaksHilfe zukommen zu lassen. Heger vollzog in seinem_____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com403


Marlen Vesper-Gräske_____________________________________________________________________________________Referat eine klare Trennung zwischen den Aktivitäten vonWikileaks und dem Rechtsfall Assange, welcher sich auf dieVergewaltigungsvorwürfe in Schweden beziehe. Letztererstand im Fokus seines Vortrages. Heger widmete sich einervertieften Analyse des Sachverhaltes und der schwedischenVergewaltigungsvorschriften sowie der Rechtslage zum EuropäischenHaftbefehl. Während der anschließenden Diskussionwurde weiterführend der politische Rahmen zum Assange-Fallthematisiert. Heger konstatierte, dass ein Verfahren in Schwedenwegen eines Sexualverbrechens jedenfalls schwerwiegendeKonsequenzen nach sich ziehen dürfte: Assanges Ruf alsWikileaks-Sprecher für freie Meinungsäußerung und seinHeldenstatus als Menschenrechtsaktivist wären damit zerrüttet.Dementsprechend schloss Heger mit der Feststellung, dassAssange sich wohl am ehesten davor ängstige, „hinter schwedischenGardinen zu sitzen“.Prof. Bernard Martin von der University of the WesternCape, Kapstadt (Südafrika), befasste sich mit dem Thema„The Criminal Prosecution of International Counterfeitures“.Martin sprach sich deutlich für die Kriminalisierung von Produktfälschungenund Urheberrechtsverletzungen sowie dereffektiven Durchsetzung des Strafrechts aus. PrivatrechtlicheSanktionierungen erschienen nicht hinreichend, da ein entscheidenderFaktor im Kampf gegen Produktpiraterie die Abschreckungswirkungdes Strafrechts sei, freilich mit großzügigerFlexibilität im Rahmen der Strafverhängung. Als Herausforderungenstellte Martin insbesondere den politischen Willenzur Bekämpfung auf internationaler Ebene heraus sowie Verbesserungender Grenzübergänge und Zollsysteme.Die abschließenden Vorträge der Summer School widmetensich Betätigungsfeldern des transnationalen Strafrechts imZusammenhang mit internationaler Wirtschafts- und Computerkriminalität.Im Bereich der Wirtschaftskriminalität stelltenDr. Matthias Korte 8 vom Bundesjustizministerium und StefanUecker, Referent der SPD-Bundestagsfraktion/ArbeitsgruppeInneres, die jeweiligen Herausforderungen des Strafrechts imBereich von Korruptionsbekämpfung und Anti-Geldwäsche-Maßnahmen vor.Korte selbst war 1996 in Paris bei der Ausarbeitung derOECD-Anti-Korruptionskonvention 9 als Mitglied der Arbeitsgruppevertreten und konnte somit besonders fundierte Hintergrundinformationenvermitteln. Im Rahmen seines Referatsmachte er auf signifikante Definitionsunterschiede auf nationalerund internationaler Ebene aufmerksam, welche aus derTatsache herrührten, dass „Korruption“ ein gesamtgesellschaftlichesund viele Wissenschaftsbereiche umfassendes Problemdarstelle, das nicht ohne weiteres mit einer griffigen Legaldefinitionfassbar sei. Besonderes Augenmerk richtete derReferent auf die Problemfelder des deutschen Rechts im Bereichder Korruptionseindämmung. So finde sich im StGBnoch immer keine umfassende Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung.Diese Problematik stehe im direkten Zusammenhangmit der Nicht-Ratifizierung der UN-Anti-Korruptions-8 Dr. Korte ist Unterabteilungsleiter der Abteilung Rechtspflegeim Bundesjustizministerium.9 OECD-Convention on combating bribery of Foreign PublicOfficials in International Business Transactions, 17.12.1997.konvention 10 durch Deutschland, welche zu einer weitergehendenSanktionierung verpflichten würde. Ein weiteres kritischesKapitel könne in der Straflosigkeit von Bestechungsdeliktendurch Pharmakonzerne und niedergelassenen Ärztenfestgemacht werden, was erst kürzlich durch den BGH 2012bestätigt worden sei. 11 In diesen Bereichen sei der deutscheGesetzgeber gefragt.Ueckers Referat konzentrierte sich auf die Geldwäscheund die deutsche Verfolgungspraxis in diesem Bereich. Hierbeiwurde deutlich, dass die Zahl der Verurteilungen relativgering sei, was, laut Uecker, durch den Schwerpunkt derErmittlungen bedingt ist. Dieser liege in Deutschland ebennicht auf den Geldwäsche-Aktivitäten, sondern auf den davorgelagerten Straftaten, aus denen der bemakelte Gegenstandherrühre. In ca. 70 % aller Fälle erfülle die Vortat zur Geldwäschehandlungeinen Betrugstatbestand. In seinem Referatbeleuchtete Uecker zudem das weite Feld der Aktivitäten zurGeldwäsche, u.a. das neueste Phänomen des „cyber-money“.Auf internationaler Ebene stellte Uecker die Financial ActionTask Force vor, welche u.a. durch ihren Mutual EvaluationReport zu Deutschland (2010) die Diskussion zum Ende desReferates bestimmte, denn der Report habe Deutschland alsanfällig für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erklärt,da es über eine große Marktwirtschaft und ein starkes Finanzzentrumverfüge sowie eine strategische Verortung inmittenEuropas und internationale Verknüpfungen besitze. Ueckerwidersprach der Einschätzung der Task Force deutlich.Prof. Ulrich Sieber (Direktor des Max-Planck-Instituts fürausländisches und internationales Strafrecht, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen) referierte zu dem, gerade in Verbindung mit denSnowden-Enthüllungen in der Öffentlichkeit heftig debattiertenThema „Cybercrime and Criminal Law in the InformationSociety“. Der Vortrag versetzte die Hörerschaft gleich zu Beginnin ein beklemmendes Unbehagen, verursacht durch dieVielseitigkeit der computergesteuerten Kriminalität sowie diekriminelle Kreativität der Täter. Sieber beschrieb die zahlreichenMöglichkeiten von unberechtigten Zugriffen auf PCs, Datenbanken,etc., die Zerstörung oder Blockierung von Datensystemen,Straftaten, wie Identitätsdiebstählen oder Erpressung,sowie die Verbindungen zur organisierten Kriminalität.Sieber erläuterte daran anknüpfend die notwendigen Adaptionsprozessedes Strafrechts, um in der Informationsgesellschaftwirkungsvoll agieren zu können. Hier sei das materielleStrafrecht gefragt. Bloße Diebstahls-, Hausfriedenbruchs- oderSachbeschädigungstatbestände könnten den neuesten Anforderungennicht mehr gerecht werden. Ferner scheine eine Vorverlagerungdes Strafrechts auf Vorbereitungshandlungen unausweichlich,wolle man schon effektiv und frühzeitig Cyber-Verbrechen unterbinden. Ein Beispiel seien notwendige Hacking-Hilfsmittel,welche bereits durch verbotenes Handeltreibenoder illegalen Besitz sanktioniert werden könnten.Eine der größten Herausforderungen sah Sieber aber in derAnpassung des deutschen Prozessrechts. Erschwerend komme10 United Nations Convention against Corruption (UNCAC),31.10.2003.11 BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – GSSt 2/11._____________________________________________________________________________________404<strong>ZIS</strong> 9-10/2013


Tagungsbericht: 5. Summer School des South African-German Centre for Transnational Criminal Justice_____________________________________________________________________________________freilich der grenzüberschreitende Kontext und die somit unabdingbareinternationale Kooperation hinzu. Als praktischesBeispiel aktuell globaler Cyber-Attacken rief Sieber den vermeintlichUS-amerikanisch-israelischen Angriff mit dem VirusStuxnet auf das iranische Atomprogramm 2010 in Erinnerung,welches mutmaßlich durch die freie Verteilung von einfachenUSB-Sticks im Umkreis der iranischen Forschungsanlagen zurInfizierung geführt habe. 12 Die anschließende Debatte konzentriertesich auf die Frage, ob und inwiefern die gegenwärtigeGesetzgebung überdacht werden müsse, um den rasantenEntwicklungen der heutigen Informationsgesellschaft nochgerecht werden zu können, d.h. einerseits Cyber-Verbrecheneinzudämmen, andererseits aber frei zugänglichen Informationsflusszu gewährleisten. Hauptschwierigkeiten sind, nachSieber, u.a. die heutige Abhängigkeit von Computersystemen,welche gleichzeitig hohe Unsicherheiten in sich bergen, dieVernetzung der Computernetzwerke, die hoch-dynamischenÄnderungen von Computersystemen sowie die Anonymitätdes Internets.Nach dem erfolgreichen Abschluss der Berliner SummerSchool folgt am 22./23.11.2013 eine Konferenz des SouthAfrican-German Centre for Transnational Criminal Justice inKapstadt (Südafrika), an welcher erneut namhafte internationaleWissenschaftler und Praktiker, insbesondere des IStGH,teilnehmen werden. Unter der Leitung und Koordinationdurch die Professoren Werle und Fernandez sowie Dr. Vormbaumsteht diese Veranstaltung gänzlich im Lichte des Völkerstrafrechts.Mit dem in letzter Zeit kontrovers diskutiertenThema „Africa and the International Criminal Court“ versprichtdie Konferenz im südafrikanischen Frühsommer, diebereichernden und anregenden Debatten der hiesigen BerlinerSummer School fortzusetzen und zu vertiefen.12 Seit Ende Juni 2013 ermittelt nun das US-Justizministeriumgegen den stellvertretenden US-Generalstabschef JamesCartwright wegen Geheimnisverrats. Ihm wird vorgeworfen,2010 der New York Times Informationen über die Virusattackezugespielt zu haben._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com405

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