Ethisch Handeln lernen (SS 2004, Prof. Simon, von ... - vaticarsten.de
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Ethisch handeln lernen (SS 2004, Prof. Simon) von Anke Heinz. Mehr Skripte unter www.vaticarsten.deS. 46vgl. Mat VIII: Komponenten einer gerechten Schul-KooperativeDie Kritik betrifft vor allem sechs Punkte:1. Die Bedeutung der 6. Stufe als Stufe der Orientierung an allgemeinenPrinzipien propagiert eine universale Gerechtigkeit, sodaß der Eindruckentsteht, Menschen seien auf dieser Stufe bereits ausgestorben; empirischeVerifikation ist nicht möglich. Diese Stufe hat nur theoretische, aber keinepraktische Varianz, sie ist vielmehr normatives Postulat und hat insofernZielcharakter.2. Es besteht die Gefahr des psychologischen Fehlschlusses: Läßt sich dieMoralerziehung gemäß des Stufenmodells pädagogisch rechtfertigen? DieMoral muß sich nämlich mit dem Leben, dem Erfahrungsbereich derKinder beschäftigen (real-life-situations), nicht nur mit hypothetischenSituationen. Sie müssen Ausgangspunkt der ethischen Erziehung sein.3. Moralisches Handeln muß auch als sozialpsychologisches und nicht nurals individualpsychologisches Problem gesehen werden, denn moralischesHandeln findet immer im sozialen Kontext statt, während die moralischeEntscheidung Sache des Einzelnen ist. Die Frage ist, welche sozialenMomente die individuelle moralische Entscheidung beeinflussen.4. Die nur formalen Prinzipien des „Guten“ müssen durch das konkrete „Gute“ergänzt werden, auch durch autoritative Einflußnahme. Die Kinder sollenschließlich zum konkreten Guten hin erzogen werden; es reicht nichtabzuwarten, bis irgendwann die 5. Stufe erreicht ist.5. Ein zentrales Problem bei Kohlberg ist, daß es nur um das moralischeUrteil, nicht aber um das moralische Handeln geht. Unter Umständen kannzwischen diesen beiden eine Kluft existieren! Für das pädagogischeHandeln ist die Reihenfolge wichtig: an erster Stelle sollten die praktischenErfahrungen stehen, danach das Reden über diese Erfahrungen. Darausergeben sich Anregungen zu einer neuen, reflektierten Bewährung desbisher Erlernten. Tugend wird nicht allein durch vernünftiges Einsehenerlangt.6. Bei Kohlberg wird nur die moralische Urteilskompetenz erfaßt, dieaffektiv-emotionalen Aspekte werden vernachlässigt (Empathie,Sympathie etc.). Die Entwicklungspsychologie betont hingegen, daß dasprosoziale Verhalten entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des
Ethisch handeln lernen (SS 2004, Prof. Simon) von Anke Heinz. Mehr Skripte unter www.vaticarsten.deS. 47moralischen Urteils hat, und sogar als deren Ausgangspunkt angesehenwerden kann.4.4. Ursprünge des prosozialen Empfindens und HandelnsProsoziales Verhalten ist bereits ab dem 1. Lebensjahr zu beobachten unddeshalb nicht nur auf Erziehung zurückzuführen. Es tritt in zwei Formen auf:a) Mitleid, RücksichtnahmeKinder haben schon früh Mitleid mit anderen. Sie wollen trösten, helfen undsind besorgt. Ihre Mitleidsbekundungen gelten vor allemFamilienangehörigen, aber auch unbekannten und in besonderer Weiseverletzten Tieren. Es geschieht eine spontane Zuwendung, obwohl kein Loboder Gelingenkönnen dazu motiviert. Der Schmerz anderer berührt Kinder.Sie verfügen außerdem über ein spontanes Gerechtigkeitsgefühl. Sie achtenz.B. beim Verteilen darauf, daß keiner benachteiligt wird.b) Mitfreude, WohlwollenKinder wollen anderen eine Freude machen, sind spontan wohlwollend. Sieschenken und freuen sich mit, wenn der Beschenkte sich freut.Diese beiden Formen haben ihre Wurzel in einer affektiven Apposition, die alsemphatisches Empfinden bezeichnet werden kann. Es geht um eine einfühlendeVergegenwärtigung oder Vorwegnahme des Empfindens einer anderen Person. MartinL. Hoffmann spricht von „stellvertretenden affektiven Reaktionen“: Der Beobachterreagiert, als ob er derselben Empfindung unterliegt wie das beobachtete Modell. Eserfolgt eine unwillkürliche stellvertretende Reaktion auf die affektiven Hinweise, dieeine andere Person gibt.Es gibt verschiedene Modi der Empathie:• „Unmittelbare Empathie“ liegt z.B. vor, wenn ein Säugling mit einemanderen Säugling mitschreit, obwohl es sonst keinen Grund dafür gäbe.• „Erlernte Empathie“: Hinweise des Gegenübers können auch „angelernt“werden, z.B. die Mimik und Gestik. Daß das Kind versteht, was derAusdruck im Gesicht des Gegenübers bedeutet, muß es schon früherErfahrungen mit dieser Empfindung gemacht haben.
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<strong>Ethisch</strong> han<strong>de</strong>ln <strong>lernen</strong> (<strong>SS</strong> <strong>2004</strong>, <strong>Prof</strong>. <strong>Simon</strong>) <strong>von</strong> Anke Heinz. Mehr Skripte unter www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>S. 46vgl. Mat VIII: Komponenten einer gerechten Schul-KooperativeDie Kritik betrifft vor allem sechs Punkte:1. Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r 6. Stufe als Stufe <strong>de</strong>r Orientierung an allgemeinenPrinzipien propagiert eine universale Gerechtigkeit, sodaß <strong>de</strong>r Eindruckentsteht, Menschen seien auf dieser Stufe bereits ausgestorben; empirischeVerifikation ist nicht möglich. Diese Stufe hat nur theoretische, aber keinepraktische Varianz, sie ist vielmehr normatives Postulat und hat insofernZielcharakter.2. Es besteht die Gefahr <strong>de</strong>s psychologischen Fehlschlusses: Läßt sich dieMoralerziehung gemäß <strong>de</strong>s Stufenmo<strong>de</strong>lls pädagogisch rechtfertigen? DieMoral muß sich nämlich mit <strong>de</strong>m Leben, <strong>de</strong>m Erfahrungsbereich <strong>de</strong>rKin<strong>de</strong>r beschäftigen (real-life-situations), nicht nur mit hypothetischenSituationen. Sie müssen Ausgangspunkt <strong>de</strong>r ethischen Erziehung sein.3. Moralisches <strong>Han<strong>de</strong>ln</strong> muß auch als sozialpsychologisches und nicht nurals individualpsychologisches Problem gesehen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn moralisches<strong>Han<strong>de</strong>ln</strong> fin<strong>de</strong>t immer im sozialen Kontext statt, während die moralischeEntscheidung Sache <strong>de</strong>s Einzelnen ist. Die Frage ist, welche sozialenMomente die individuelle moralische Entscheidung beeinflussen.4. Die nur formalen Prinzipien <strong>de</strong>s „Guten“ müssen durch das konkrete „Gute“ergänzt wer<strong>de</strong>n, auch durch autoritative Einflußnahme. Die Kin<strong>de</strong>r sollenschließlich zum konkreten Guten hin erzogen wer<strong>de</strong>n; es reicht nichtabzuwarten, bis irgendwann die 5. Stufe erreicht ist.5. Ein zentrales Problem bei Kohlberg ist, daß es nur um das moralischeUrteil, nicht aber um das moralische <strong>Han<strong>de</strong>ln</strong> geht. Unter Umstän<strong>de</strong>n kannzwischen diesen bei<strong>de</strong>n eine Kluft existieren! Für das pädagogische<strong>Han<strong>de</strong>ln</strong> ist die Reihenfolge wichtig: an erster Stelle sollten die praktischenErfahrungen stehen, danach das Re<strong>de</strong>n über diese Erfahrungen. Darausergeben sich Anregungen zu einer neuen, reflektierten Bewährung <strong>de</strong>sbisher Erlernten. Tugend wird nicht allein durch vernünftiges Einsehenerlangt.6. Bei Kohlberg wird nur die moralische Urteilskompetenz erfaßt, dieaffektiv-emotionalen Aspekte wer<strong>de</strong>n vernachlässigt (Empathie,Sympathie etc.). Die Entwicklungspsychologie betont hingegen, daß dasprosoziale Verhalten entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Einfluß auf die Entwicklung <strong>de</strong>s