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Brechtfestival-Programmheft (PDF)

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Einführung: Augsburg im lichtIm Oktober 1928 feierte Berlin drei Tage und vor allemNächte lang ein großes Fest, das mit einer gigantischenLichtershow die Metropole so ausleuchtete,dass die Nacht zum Tage wurde. Das durch densensationellen Erfolg der Dreigroschenoper geradefrisch gekürte Künstlerduo, Kurt Weill und BertBrecht, steuerte wie selbstverständlich den Titelsongbei und machte Berlin im Licht zum Ohrwurm,das heißt: zum Evergreen, der noch heute auf denProgrammen für „Neue Musik“ steht, wie zum Beispielauf dem des Ensembles Modern.2014 ist das Jahr, in dem jetzt nach bewährtem BerlinerMuster Augsburg im Licht seines Festivals aufleuchtensoll, eines Festivals, das buchstäblich dieHigh-Lights aus der Zeit der Weimarer Republik,den goldenen Twenties und ihrer frechen wie aufreizendenShows, zu erneutem Gleißen und Glänzenbringen soll, und dazu braucht man schon einigeWatt: „Na wat denn? Na wat denn? Was ist das für ’neStadt denn?“ Denn auch Augsburg ist „’ne ziemlicheStadt“. Das hat die Welt noch nicht gesehen.In der Verbindung von klassischer Musik und neuestemSound des Pop – erst seit Brecht / Weill gibt es inDeutschland den „Song“ – trafen die beiden den Nervder Zeit und wurden zu Weltstars, und dies mit 28bzw. 30 Jahren.Über ganz Deutschland ging 1923 – und von hier ausüber ganz Europa – die Dollarsonne auf; sie sorgtefür ein rasendes Tempo der Technisierung und Industrialisierung,tauchte das gesamte gesellschaftlicheLeben in einen gleißenden, als golden empfundenenGlimmer und brachte buchstäblich ans Licht(der Öffentlichkeit), was vorher noch nie zu sehenwar. Klaus Mann, der in dieser Zeit aus Paris zu Besuchin Deutschland weilte, schrieb verwundert:„Sodom und Gomorra zusammen waren nicht halbso verderbt, es geht alles drunter und drüber. Junge-Junge,so was hat die Welt noch nicht gesehen!Früher mal hatten wir eine Armee; jetzt haben wirprima Perversitäten! Laster noch und noch! KolossaleAuswahl!“ Und so war es: Auf dem Ganovenballbegruben Polizeichef und Gangsterboss in trauterEintracht wie Mackie Messer und Brown in der Drei -groschenoper das Kriegsbeil, die Damen verhülltenihre Gesichter hinter glitzernden Masken, damit sienicht kenntlich würden, und in Bills Ballhaus gingendie verrückt-freizügigen Shows ab wie die Feuerwehr,zeigten den neuen Herren der Welt, was die Weltnoch nicht gesehen hatte.Die Künste sprengten alle vorgegebenen ästhetischenund gesellschaftlichen Rahmen und hebeltendie Institutionen und Apparate aus, derer sie sichbedienten. Bertolt Brecht war immer dabei, und esgelang ihm und seinen unmittelbaren Mitstreitern,wenigstens für einige Zeit, in die Kunst- und Unterhaltungsindustriezu gelangen, die sie neuen vergnüglichenZwecken zuführten. Technisch warendiese Künstler auf der Höhe der Zeit und ließen dietraditionellen Künste buchstäblich „alt“ aussehen.Die Künste erlangten Dimensionen, die bis heutenicht wieder eingeholt sind und die Differenz zwischenE und U (zwischen ernster = klassischer undunterhaltender) Kunst für immer zu verabschiedenschienen.augsburgim lichtDer Einbruch der Nazizeit ab Anfang der dreißigerJahre konnte nicht durchschlagender sein. Die ästhetischenGlanzlichter der Golden Twenties undvor allem ihre Öffentlichkeit wurden ausgelöschtund ein traditioneller Kunst- und Literaturbegriffblieb bis heute erhalten. Für Brecht galt, wie erschon 1927 für Im Dickicht der Städte formulierte:„Das Chaos ist aufgebraucht; es war die beste Zeit.“Prof. Dr. Jan Knopfwissenschaftlicher Beraterdes <strong>Brechtfestival</strong>s1011

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