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Stammheim, Politische Verteidigung in Strafsachen - Social History ...

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POLITISCHE VERTEIDIGUNGIN STRAFSACHENe<strong>in</strong>e Fallstudie des von 1972-1977 <strong>in</strong> derBundesrepublik Deutschlandgeführten Strafverfahrens gegenAndreas Baader, Gudrun Enssl<strong>in</strong>,Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Holger Me<strong>in</strong>s, Jan Carl Raspe1\POLITIEKE VERDEDIGING IN STRAFZAKENeen case-study van het <strong>in</strong> deBondsrepubliek Duitsland van 1972 tot 1977gevoerde strafproces tegenAndreas Baader, Gudrun Enssl<strong>in</strong>,Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Holger Me<strong>in</strong>s, Jan Carl Raspe(met een samenvatt<strong>in</strong>g <strong>in</strong> het Nederlands)PROEFSCHRIFTter verkrijg<strong>in</strong>g van de graad van doctor <strong>in</strong>de rechtsgeleerdheid aan de Rijksuniversiteitte Utrecht op gezag van de Rector MagnjficusProf. Dr. J. A. van G<strong>in</strong>kelvolgens het besluit van het College van Decanen<strong>in</strong> het openbaar te verdedigen op woensdag15 Oktober 1986 des namiddags te 4.15 uurdoorPIETER HERMAN BAKKER SC HUTgeboren op 31 maart 1941te Haarlem.NEUER MALIK VERLAG - KIEL 1986


Promotor: Prof. Mr. A. A. G. PetersInhalt3.3. 4.3.1.3.2.1. 3.2.2.1.1.E<strong>in</strong>leitung1.KapitelI: 11: III:<strong>Verteidigung</strong>IV:E<strong>in</strong> "Mai-Offensive" Die Strafverfolgungauswegloser der Konflikt RAF (1972)VorwortStrafverfolgungsbehärde § Ausgangspunkte Gestaltung Behandlung Verfolgung Zusammenfassung Ausschluß Bundeskrim<strong>in</strong>alamt, Der Mediz<strong>in</strong>ische Mobilisierung Interne Externe Kampf Kollektive<strong>Verteidigung</strong> Die Erster Gründung 129 Problematik ersten Rechtsanwalt StGB Hungerstreik gegen Isolation zwei der von als Untersuchung die der "Komitees Aufhänger Rechtsanwälte Rechtsanwalt Hungerstreiks der Haftbed<strong>in</strong>gungen Öffentlichkeit im als Januar rechtlichen Generalbundesanwaltwestdeutschen <strong>Verteidigung</strong> Verteidiger gegen für / durch Februar Orto zuständige dieim Repression Folter" von Strafverfolgung von Anstaltsärzte? Schily Jahr Rechtswesen 1973 Gefangenen 1972 April Richter und 1973 45 55 59 80 84 9394 99 51 37 86 89 65 68 72 6274 79 77 92 33 37 74 13 11MassenmedienausderRAF5 -Van dit proefsehrift is ook een handelseditie versehenen onder de titel"<strong>Stammheim</strong> - Der Prozeß gegen die Rote Armee Fraktion"bij Neuer MalikVerlag te Kielonder ISBN 3-8902-010-8


d2.3.Maximal Zweiter Erste Hannover Der Köln-Ossendorf "Tote ZelIendurchsuchung Trakt" Mai/ Juni16./17. 1973 Juli 1973 108Verhandlung Anwendung Premiere Verbot Vorzeichen Ausschließung Aggressions-Forschung: "Aktion Gesetz Tod Vorgeschichte Ausschlußbestimmungen Dritter Gehirnuntersuchung Kommentar "Maihofer-Dokumentation" vonHungerstreik zur der W<strong>in</strong>terreise" Holger drei der Ergänzung "Mehrfachverteidigung" für der Wahlverteidiger auch "Lex den Me<strong>in</strong>s Ausschlußgesetzgebung Baader-Me<strong>in</strong>hof" Croissant Groenewold September Abwesenheit bei des amSonderforschungsbereich Ulrike Ersten (§§ 9. November (§ 138a von Me<strong>in</strong>hof? 1974/ 137 und Gesetzes des Croissant, -(§ StPO) dStröbele 146 Angeklagten Februar StPO) 1974 -zurStPO) 1975 154 124 123 107 106143142 156 103 129 132135 101 159 164 111 117 130 115115Juli und Groenewold Reform (§ 231a / Ströbele August des StPO) Strafverfahrensrechts1973 und Ströbele1233.1.1.3.1.2.3.1.3.3.1.4.3.1.5.3.2.3.2.1.3.2.2.3.2.3.3.2.4.3.2.5.3.3.3.3.1.3.3.2.4.4.1.4.2.4.3.Antrag auf H<strong>in</strong>zuziehung mediz<strong>in</strong>ischerSachverständigerAnstaltsarzt Henck als GutachterBundesanwaltschaft und Gericht zur HaftsituationDie Beauftragung mediz<strong>in</strong>ischer SachverständigerSachverständigengutachtenZur Situation der <strong>Verteidigung</strong>Baaders <strong>Verteidigung</strong>Die Position der "Zwangsverteidiger"E<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> der AusschließungsgesetzgebungVerhaftung der Rechtsanwälte Croissant und StröbeleE<strong>in</strong> fairer Prozeß für die AngeklagtenDie Unparteilichkeit des RichtersHolger Me<strong>in</strong>s; Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g als der gesetzliche RichterDas Gericht und die MedienDie Ausschließung der AngeklagtenBeschluß des OLG Stuttgart vom 30.9.75(Ausschließung der Angeklagten)Beschluß des BGH vom 22. 10. 75(Bestätigung der Ausschließungen)Beschluß des BVerfG vom 21.1.76(Verfassungskonforme Ausschließungen)192196200202207211211217220222227232234238245245247255Kapitel VI: Die "Inszenierung" (21.5.75 bis 30.9.75) 1701. Das "Mehrzweckgebäude" als Schauplatz der Handlung 1701.1. Journalistische Impressionen 1701.2. Die juristische Problematik 1741.3. <strong>Politische</strong> Justiz 1792. "HauptdarstelIer" und der Anklagesatz 1842.1. "HauptdarstelIer" 1842.2. Der Anklagesatz 1883. Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Prozeßvoraussetzungen 1903.1. Gesundheitszustand der Angeklagten 192Kapitel VII:Kontradiktorisches Verfahren oder Sche<strong>in</strong>veranstaltung?(28.10.75 bis 11.1.77) 2571.1. Die Beweisaufnahme 2571.2. Antrag auf Haftverschonung 2611.3. Weitere Beh<strong>in</strong>derung und Zerschlagung der<strong>Verteidigung</strong> 2632. Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft 2732.1. Indizienbeweis 2792.1.1. Die "RAF-Zentrale" <strong>in</strong> Frankfurt 2792.1.2. Weitere "RAF-Wohnungen" 2822.1.3. Ergänzungszeugen 2832.1.4. "Urkundenbeweis" 2852.1.4.1. ZelIenrundbriefe, RAF-Schriften und "Kassiber" 2862.2. Zeugen der Anklage 2902.2.1. Rechtsfigur des Kronzeugen 2902.2.2. Zeuge Hoff 2952.2.3. Zeuge MülIer 3053. Arbeitsweise der <strong>Verteidigung</strong> 3093.1. Aus der <strong>in</strong>ternen Diskussion über die <strong>Verteidigung</strong> 3116 7J


3.2. Die wichtigsten Initiativen während derBeweisaufnahme 3183.2.1. Vietnam-Anträge 3193.2.2. Die Angeklagten als Kriegsgefangene? 3293.2.3. Der Kronzeuge Müller 3553.2.3.1. Andere Gefangene aus der RAF als Zeugen 3573.2.3.2. Ehemalige Rechtsanwälte Müllers als Zeugen 3633.2.3.3. Die Geheimakte 3 ARP 74/75 I 3684. Stellungnahme der Angeklagten 3824.1. Erklärung zur Sache 3824.2. Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof 3944.2.1. Die zweite Verhaftung Klaus Croissants 409Kapitel VIII:Der Zusammenbruch e<strong>in</strong>er Veranstaltung(10.1. 77 bis 18. 10. 77) 4131. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Abgang 4132. Die Abhöraffaire 4272.1. Die Tatbestände 4282.2. Die Rechtslage 4302.3. Der Prozeß 4342.4. Die konstitutionellen Aspekte 4393. Die Plädoyers 4473.1. Das Plädoyer der Anklage 4473.2. Die Plädoyers der Verteidiger 4513.2.1. Die Zwangsverteidiger 4513.2.2. Die Vertrauensanwälte 4524. Das Urteil vom 28.4.77 4535. Zwischen Urteil und Tod von Baader, Enssl<strong>in</strong> und Raspe(18. 10.77) 4575.1. Der vierte kollektive Hungerstreik 4585.2. Muß Croissant zum drittenmal <strong>in</strong>s Gefängnis? 4665.3. Reaktionen auf die Erschießung von Jürgen Ponto 4675.4. Die Schleyer-Entführung 4755.4.1. Die Kontaktsperre 4785.4.2. Das Kontaktsperregesetz 4875.5. Die "Nacht von Mogadischu" 4915.6. Selbstmord oder Mord? 4945.6.1. Der Waffenschmuggel 500Kapitel IX:Die Justiz als Instrument der präventivenKonterrevolution1. Die Problematik politischer <strong>Verteidigung</strong>1.1. Der Prozeß als Integrationsmechanismus1.2. Das "Konzept Rechtsstaat"1.3. Die Funktion der Diszipl<strong>in</strong>arrechtsprechung1.4. Der Prozeß als kommunikatives Geschehen1.5. Die deutsche Haltung gegenüber demPhänomen "Konflikt"1.6. Das grundsätzliche Dilemma politischer <strong>Verteidigung</strong>2. Die Strafverfahren gegen Groenewold und Croissant2.1. Die Strafsache gegen Kurt Groenewold2.2. Die Strafsache gegen Klaus Croissant2.2.1. Die Auslieferung Croissants2.2.2. Die <strong>Strafsachen</strong> gegen Croissant und Groenewoldim VergleichAnhang:AnmerkungenLiteraturverzeichnisAbkürzungenNamensverzeichnisNiederländische Zusammenfassung50350350450650851151251551951953153253754354465366366867789•


Vorwortvoor mijn moederDieses Buch ist e<strong>in</strong>e Reflektion der verschiedenen Probleme, mitdenen die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland im Verfahrengegen die Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF)Andreas Baader,Gudrun Enssl<strong>in</strong>, Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Holger Me<strong>in</strong>s und Jan earl Raspeseit ihren Festnahmen Mitte 1972 konfrontiert wurde. Zu dem meistenMaterial, auf dem das Buch basiert, hatte ich Zugang als Verteidiger vonGefangenen aus der RAF. Ohne ihr Vertrauen und das Vertrauen ihrerVerteidiger zu mir hätte dieses Buch folglich nicht geschrieben werdenkönnnen. Ich hoffe, daß es ihr Vertrauen nicht enttäuscht. Leider s<strong>in</strong>d dieGefangenen, um die es <strong>in</strong> dieser Studie hauptsächlich geht, nicht mehrim Stande, sich dazu zu äußern.Großen Dank schulde ich me<strong>in</strong>em Promoter Prof. mr. A. A. G. Peters,Hochschul1ehrer für Rechtssoziologie an der Rijksuniversiteit Utrecht,der diese Studie durch die Jahre wissenschaftlich begleitete und me<strong>in</strong>eNeigung, aus dem geschriebenen Wort e<strong>in</strong> Plädoyer zu machen, erfolgreichbändigte. Auch b<strong>in</strong> ich dankbar für die herzliche Unterstützungdurch den Nestor der niederländischen Strafrechtswissenschaften, Prof.mr. L. H. C. Hulsman, seit kurzem emeritierter Hochschul1ehrer fürStrafrecht und Krim<strong>in</strong>ologie an der Erasmus Universiteit <strong>in</strong> Rotterdam,sowie - was die übrigen Mitglieder der Lesekommission betrifft - Prof.Dr. D. Schaffmeister, Hochschul1ehrer für Strafrecht an me<strong>in</strong>er Almamater, der Rijksuniversiteit Leiden, und Prof. mr. A. H. J. Swart, Hochschul1ehrerfür Strafrecht an der Rijksuniversiteit Utrecht, für ihre Bereitschaft,trotz ihrer vielen anderen Verpflichtungen das umfangreiche Manuskript<strong>in</strong> kürzester Zeit zu lesen.Die von der Distanzierung bis zur Ablehnung reichenden negativenReaktionen e<strong>in</strong>iger Kol1egen auf me<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong> von Gefangenenaus der RAF machten me<strong>in</strong>en unmittelbaren Arbeitskreis <strong>in</strong>nerhalb derjuristischen Fakultät der Rijksuniversiteit Utrecht, die Sektion Strafrecht,leider nicht zur idealen Umgebung für die Diskussion der vielen Probleme,die me<strong>in</strong>e auf teilnehmender Beobachtung basierende Studie mitbrachte.Umso erfreulicher war für mich, daß andere Kol1egenmir dieArbeit nicht schwerer machten, als sie sowieso schon war, die meistenKol1egenmich aber unterstützten. Ihnen b<strong>in</strong> ich sehr dankbar.Das gilt auch ohne E<strong>in</strong>schränkung für die Unterstützung durch Mitarbeiter<strong>in</strong>nenund Mitarbeiter <strong>in</strong> Bibliothek und Adm<strong>in</strong>istration des WillemPompe Instituut. Sehr geholfen hat mir das anhaltende Interesse vonKol1egenaus anderen Sektionen dieses Instituts, von denen ich besondersPaul Moedikdo nennen möchte.11


JE<strong>in</strong>en gewichtigen Beitrag haben geleistet die aktiven Mitglieder desehemaligen Medisch-Juridisch Comite Politieke Gevangenen, von denenHan Janse de Jonge, Gerard Mols, Adele van der Plas und diebesonders geschätzte Ties Prakken gleichzeitig auch Kollegen <strong>in</strong> derSektion Strafrecht waren. Ausschlaggebend war die Unterstützung vonJoke Sacksioni, mit der ich während der Periode, die dieses Buch behandelt,nicht nur die persönlichen Emotionen teilte, sondern die mir auchdie Kraft gab, durchzuhalten. Die Benützung des Komitee-Archivs, dashauptsächlich von Cisca Brakenhoff geführt wurde, hat mir bei me<strong>in</strong>erArbeit sehr geholfen. Auch die leider zu wenigen, dafür aber sehr <strong>in</strong>tensivenKontakte mit dem <strong>in</strong>zwischen verstorbenen entschiedenen AntifaschistenProf. mr. Willem Nagel haben mich bei me<strong>in</strong>er Arbeit <strong>in</strong>spiriertSchließlich wäre diese Studie vielleicht nie vollendet worden, wenn nichtme<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> Adele van der Plas - kritisch, aber solidarisch - daraufgeachtet hätte.Von me<strong>in</strong>en Kollegen im Advokatenkantoor Nieuwezijds <strong>in</strong> Amsterdamhabe ich <strong>in</strong> den letzten Jahren die kollegiale Solidarität <strong>in</strong> der Praxisder politischen <strong>Verteidigung</strong> erfahren, wie ich sie davor - ausgenommendiejenige <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit me<strong>in</strong>en holländischen KollegenArnoud Willems und Willem van Bennekom - fast nur bei me<strong>in</strong>enwestdeutschen Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen kennengelernt hatte.Am technischen Zustandekommen des Buches haben viele Bekannteund Freunde mitgeholfen. E<strong>in</strong>ige von ihnen möchte ich namentlichnennen, ohne daß das me<strong>in</strong>en Dank an die nicht erwähnten Mitarbeiterund Helfer überflüssig machen würde. Die ersten Kapitelhat Anneke van-Rangelrooy getippt; danach und bis zum "bitteren Ende" hat Alie vanLonden die Schreibarbeit mit großem E<strong>in</strong>satz erledigt. Petra Mangoldhat das holländische Manuskript vorzüglich <strong>in</strong> die deutsche Spracheübersetzt; die notwendigen stundenlangen Diskussionen darüber bedeutetene<strong>in</strong>e fruchtbare Ergänzung me<strong>in</strong>er Arbeit. Klaus Croissant, Annelieseund Johannes Bornheim haben die übersetzung überarbeitet; Johanneshat schließlich die Arbeit übernommen, den umfangreichen Text fürden Computersatz zu erfassen. Ihnen allen b<strong>in</strong> ich zu Dank verpflichtet.Schließlich möchte ich me<strong>in</strong>e drei Söhne dafür um Verständnis bitten,daß ich ihnen <strong>in</strong> den letzten zehn Jahren weniger Zeitwidmen konnte, alsdas ohne me<strong>in</strong>e Tätigkeit als Verteidiger von Gefangenen aus der RAFund ohne die Arbeit an dieser Studie der Fallgewesen wäre. Seit ihremzehnten Lebensjahr haben sie regelmäßig erlebt, daß sie als K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>es"Terroristenanwalts" beschimpft wurden. Für sie kann es nur e<strong>in</strong> spärlicherTrost se<strong>in</strong>, daß sie zukünftig <strong>in</strong> solchen Fällen auf das vorliegendeBuch verweisen können.12M.S. Pieterd<strong>in</strong>a Jacoba (49 t)Monnickendam, Juli 1986E<strong>in</strong>leitungDas vorliegende Buch ist e<strong>in</strong>e Fallstudie über den bis dah<strong>in</strong> größtenpolitischen Prozeß der Nachkriegszeit <strong>in</strong> der BRD, die Strafsache gegendie sogenannten Gründer und Rädelsführer der westdeutschen StadtguerillagruppeRote Armee Fraktion (RAF) Andreas Baader, GudrunEnssl<strong>in</strong>, Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Holger Me<strong>in</strong>s und Jan Carl Raspe.Mitte 1972 waren sie nach e<strong>in</strong>er monatelangen Hetzjagd von derPolizeifestgenommen worden; kurzzuvor, im Mai 1972, hatten verschiedeneKommandos der RAFihre ersten Angriffe- e<strong>in</strong>e Reihe aufsehenerregenderBombenanschläge u. a. gegen amerikanische Militäre<strong>in</strong>richtungen(siehe Kapitell) - durchgeführt. Die Hauptverhandlung <strong>in</strong> derStrafsache gegen "Baader u. a.", wie die Kurzadressierung der Strafaktelautete, wurde im Mai 1975 eröffnet; sie dauerte fast zwei Jahre. HolgerMe<strong>in</strong>s starb bereits vor Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung im November1974, Ulrike Me<strong>in</strong>hof im Mai 1976, die restlichen drei Beschuldigtenstarben im Oktober 1977.Ich werde zuerst kurz auf Entstehung und Selbstverständnis der RAFe<strong>in</strong>gehen und danach die spezifische Problemstellung der vorliegendenStudie sowie die angewandten Untersuchungsmethoden näher erläutern.Die 60er Jahre g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> die Geschichte vieler westlicher Staaten als"unruhige" Jahre e<strong>in</strong>. Vor allem <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des Jahrzehntswaren Demonstrationen von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der BRD noch nicht erlebtenHeftigkeit und Aktionen bürgerlichen Ungehorsams seitens großer Teileder Studentenschaft an der Tagesordnung. Ihr g<strong>in</strong>g es hauptsächlich ume<strong>in</strong>e Demokratisierung der Gesellschaft und um die Verbreitung desBewußtse<strong>in</strong>s, daß es notwendig sei, aktiven Widerstand zu leisten gegendas ökonomische, politische und militärische Vorgehen der westlichenStaaten <strong>in</strong> der dritten Welt, <strong>in</strong>sbesondere gegen den Kolonialkrieg <strong>in</strong>Indoch<strong>in</strong>a, den die USA von Frankreich quasi übernommen hatten undder <strong>in</strong>zwischen völkermörderische Formen angenommen hatte.Ebenso wie <strong>in</strong> anderen Ländern hat auch der studentische Widerstand<strong>in</strong> der BRD historisch und gesellschaftlich spezifische Dimensionen undH<strong>in</strong>tergründel. So richtete sich der Protest der radikalen "K<strong>in</strong>der derGeneration von Auschwitz" u. a. gegen die Restauration der politischenRechten unter den von Konrad Adenauer geleiteten CDU/CSU-Regierungender Nachkriegsjahre (1949 bis 1965) und <strong>in</strong> diesem Zusammenhangvor allem gegen die Tatsache, daß zahlreiche Ex-Nazis wiedere<strong>in</strong>flußreiche Positionen <strong>in</strong> den Machtzentren von Regierung, Militär,Justiz, Polizei, Parteien und Wirtschaft besetzen durften.13


"Konkret" kritisierte die Journalist<strong>in</strong> Ulrike Me<strong>in</strong>hof im Jahr 1960 diegeplante Notstandsgesetzgebung:"Dieser ,deutsche S<strong>in</strong>n für Ordnung', auf welchem die Hypothek von sechsMillionen vergaster Juden liegt und die schrecklichste aller NeuordnungenEuropas, soll nunmehr erneut <strong>in</strong> Kraft treten, <strong>in</strong>dem das Notstandsgesetz ­vorgeblich der Ordnung halber - die Vorbehalte der westlichen Alliiertengemäß Art. 5 der Pariser Verträge zugunsten der vollen Souveränität derBundesrepublik aufheben soll. Nur als Vorwand aber kann diese Berufung aufden Deutschlandvertrag h<strong>in</strong>genommen werden, denn dieser bezieht sich ausschließlich- dar<strong>in</strong> waren sich die Interpreten bei der Unterzeichnung desVertrages bis h<strong>in</strong> zum Bundeskanzler e<strong>in</strong>ig - auf den Schutz vor e<strong>in</strong>er ,äußerenBedrohung' - und zwar der Streitkräfte, während die Vorlage der Bundesregierungauch den Fall ,Innerer Krisen' berücksichtigt, ja geradezu bevorzugt"6.Anfang der 60er Jahre hatte sich e<strong>in</strong>e breite Koalition aus Studenten,Hochschullehrern und anderen Intellektuellen gegen das Zustandekommender Notstandsgesetzgebung zur Wehr gesetzt, anfänglich auch mitErfolg. Innerhalb dieses Zusammenschlusses entwickelte sich der 1961wegen "kommunistischer Unterwanderung" aus der SPD ausgeschlosseneSozialistische Deutsche Studentenbund (SOS) immer mehr zure<strong>in</strong>flußreichsten Gruppierung. Zu dieser Zeit diskutierte man <strong>in</strong> denverschiedenen SDS-Arbeitsgruppen, <strong>in</strong> Gruppen von Rätekommunisten,Anarchisten und Marxisten über das Verhältnis von Arbeit undKapital zue<strong>in</strong>ander und über die Rolle des modernen Staates. Fernersuchte die sozialistische Opposition <strong>in</strong> den kapitalistischen Ländern nache<strong>in</strong>er wirkungsvollen Möglichkeit, sich aktiv mit den antikolonialistischenBefreiungsbewegungen der dritten Welt zu solidarisieren. Geistige Anregungboten anfänglich vor allem die Schriften der neomarxistischenPhilosophen der sogenannten Frankfurter Schule wie Theodor Adorno,Max Horkheimer, Jürgen Habermas, Walter Benjam<strong>in</strong> und HerbertMarcuse; später kamen die Schriften der Guerillastrategen wie Mao Tsetung,Frantz Fanon und Che Guevara h<strong>in</strong>zu.Von 1965 an nahmen der amerika nische Vietnamkrieg und dieBeteiligung der BRD an diesem Krieg (unter anderem durch die Billigungamerikanischer Militärbasen mit logistischer Funktion für diesen Krieg <strong>in</strong>der BRD) e<strong>in</strong>en zunehmenden Stellenwert <strong>in</strong>nerhalb der Diskussion e<strong>in</strong>.Nach dem E<strong>in</strong>tritt der SPD <strong>in</strong> die Große Koalition mit CDU/CSU imNovember 1966 rief der SOS-Vorsitzende Rudi Dutschke - im Anschlußan e<strong>in</strong>e Woche stark besuchter teach-<strong>in</strong>s über Vietnam <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> - zurBildung e<strong>in</strong>er "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) auf, die alleGruppen und Bewegungen l<strong>in</strong>ks von der SPD umfassen sollte. Dies warder Beg<strong>in</strong>n der großen Vietnamdemonstrationen, die immer wieder mitbrutaler Gewalt durch massive Polizeiaufgebote zerschlagen wurden.Die diversen Blätter des marktbeherrschenden Spr<strong>in</strong>gerkonzerns liefertendie verbale Munition gegen die Demonstranten.Am 2. Juni 1967 demonstrierten die Studenten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gegen den16Staatsbesuch des Schahs von Persien. Die Polizei knüppelte die Demonstrantenause<strong>in</strong>ander. Der 26jährige Student Benno Ohnesorg, aktivesMitglied der Evangelischen Studentengeme<strong>in</strong>de, wurde von der Polizeiauf der Flucht erschossen. Der Schütze erhielt une<strong>in</strong>geschränkte Rükkendeckungvon se<strong>in</strong>en Vorgesetzten und g<strong>in</strong>g letztlich straffrei aus7.Auf e<strong>in</strong>er emotional aufgeladenen Versammlung am Abend des 3.Juni rief das SOS-Vorstandsmitglied Gudrun Enssl<strong>in</strong> (die sich <strong>in</strong> früherenJahren noch <strong>in</strong>nerhalb der SPD gegen atomare Bewaffnung und für dieKanzlerkandidatur Willy Brandts e<strong>in</strong>gesetzt hatte) zur Gegengewalt auf:"Denn man kann mit ihnen nicht diskutieren - es ist die Generation vonAuschwitz".Während <strong>in</strong>nerhalb der l<strong>in</strong>ken Bewegung noch recht zögernd überdas Thema Gewalt und Gegengewalt diskutiert wurde, g<strong>in</strong>g die Polizeiweiter unverm<strong>in</strong>dert brutal gegen Demonstranten vor, begleitet undunterstützt von Hetzartikeln der Spr<strong>in</strong>gerpresse gegen den SOS und vorallem gegen den SOS-Vorsitzenden Rudi Dutschke. Am 11.4.68 schosse<strong>in</strong> 23jähriger Mann Dutschke e<strong>in</strong>e Kugel <strong>in</strong> den Kopf. Dutschke wurdelebensgefährlich verletzt; er starb Jahre später an den Folgen.Die Studenten reagierten auf diesen Anschlag mit heftigen Demonstrationenund Aktionen gegen Niederlassungen des Spr<strong>in</strong>gerkonzerns<strong>in</strong> verschiedenen Städten der BRD. Ostern 1968 wurde <strong>in</strong> der gesamtenBRD (und auch <strong>in</strong> vielen anderen europäischen Universitätsstädten)demonstriert; die Demonstrationen richteten sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gegenden Krieg <strong>in</strong> Vietnam. E<strong>in</strong>e Demonstration <strong>in</strong> München entwickelte sichzu e<strong>in</strong>er regelrechten Schlacht; e<strong>in</strong> Student und e<strong>in</strong> Fotograf wurden vonSte<strong>in</strong>en tödlich getroffen. Ulrike Me<strong>in</strong>hof dazu <strong>in</strong> "Konkret":",Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Widerstand ist,wennich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht.Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit. Widerstand ist, wennich dafür sorge, daß alle anderen auch nicht mehr mitmachen'. So ähnlich-nicht wörtlich - konnte man es von e<strong>in</strong>em Schwarzen der Black PowerBewegung auf der Vietnamkonferenz im Februar <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> hören.Die Studenten proben ke<strong>in</strong>en Aufstand, sie üben Widerstand ... Die Grenzezwischen verbalem Protest und physischem Widerstand ist bei den Protestengegen den Anschlag auf Rudi Dutschke <strong>in</strong> den Osterfeiertagen erstmaligmassenhaft, von vielen, nicht nur e<strong>in</strong>zelnen, über Tage h<strong>in</strong>, nicht nur e<strong>in</strong>malig,vielerorts, nicht nur <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, tatsächlich, nicht nur symbolisch - überschrittenworden. Nach dem 2. Juni wurden Spr<strong>in</strong>gerzeitungen nur verbrannt, jetztwurde die Blockierung ihrer Auslieferung versucht. Am 2. Juni flogen nurTomaten, jetzt flogen Ste<strong>in</strong>e. Im Februar wurde nur e<strong>in</strong> mehr amüsanter undlustiger Film über die Verfertigung von Molotowcocktails gezeigt, jetzt hat estatsächlich gebrannt. Die Grenze zwischen Protest und Widerstand wurdeüberschritten, dennoch nicht effektiv, dennoch wird sich das, was passiert ist,wiederholen können; Machtverhältnisse s<strong>in</strong>d nicht verändert worden.Widerstand wurde geübt. Machtpositionen wurden nicht besetzt. War das17-


Jalles deshalb s<strong>in</strong>nlose, ausufernde, terroristische, unpolitische, ohnmächtigeGewalt?Stellen wir fest: Diejenigen, die von politischen Machtpositionen aus Ste<strong>in</strong>würfeund Brandstiftung hier verurteilen, nicht aber die Hetze des HausesSpr<strong>in</strong>ger, nicht die Bomben auf Vietnam, nicht Terror <strong>in</strong> Persien, nicht Folter <strong>in</strong>Südafrika, diejenigen, die die Enteignung Spr<strong>in</strong>gers tatsächlich betreibenkönnten, stattdessen Große Koalition machen, die <strong>in</strong> den Massenmedien dieWahrheit über BILD und BZ verbreiten könnten, stattdessen Halbwahrheitenüber Studenten verbreiten, deren Engagement für Gewaltlosigkeit ist heuchlerisch,sie messen mit zweierleiMaß, sie wollen genau, was wir, die wir<strong>in</strong> diesenTagen - mit und ohne Ste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> unseren Taschen - auf die Straße g<strong>in</strong>gen, nichtwollen: Politik als Schicksal, entmündigte Massen, e<strong>in</strong>e ohnmächtige, nichtsund niemanden störende Opposition, demokratische Sandkastenspiele, wennes ernst wird den Notstand ...Nun, nachdem gezeigt worden ist, daß andere Mittelals nur Demonstrationen,Spr<strong>in</strong>ger-Hear<strong>in</strong>g, Protestveranstaltungen zur Verfügung stehen, andereals die, die versagt haben, weil sie den Anschlag auf Rudi Dutschke nichtverh<strong>in</strong>dern konnten, nun, da die Fesseln von Sitte & Anstand gesprengtworden s<strong>in</strong>d, kann und muß neu und von vorne über Gewalt und Gegengewaltdiskutiert werden. Gegengewalt, wie sie <strong>in</strong> diesen Ostertagen praktiziertworden ist, ist nicht geeignet, Sympathien zu wecken, nicht, erschrockeneLiberale auf die Seite der Außerparlamentarischen Opposition zu ziehen.Gegengewalt läuft Gefahr, zu Gewalt zu werden, wo die Brutalität der Polizeidas Gesetz des Hande<strong>in</strong>s bestimmt, wo ohnmächtige Wut überlegene Rationalitätablöst, wo der paramilitärische E<strong>in</strong>satz der Polizei mit paramilitärischenMitteln beantwortet wird"8Gut e<strong>in</strong>e Woche vor dem Anschlag auf Rudi Dutschke hatten vierStudenten,Gudrun Enssl<strong>in</strong>, Andreas Baader, Horst Söhnle<strong>in</strong> und ThorwaldProll versucht, der staatlichen Gewalt die Gegengewalt der Gewaltunterworfenenentgegenzusetzen. In der Nacht vom 2. zum 3. April 1968legten sie <strong>in</strong> zwei großen Kaufhäusern im Frankfurter Zentrum mitprimitiven Brandbomben Feuer. Bereits e<strong>in</strong>en Tag danach, am 4. April,wurden sie festgenommen. Gudrun Enssl<strong>in</strong> bezeichnete diese Aktionwährend des Prozesses als Fehler, entstanden aus e<strong>in</strong>em Gefühl derOhnmacht; gedacht war sie als Aktion gegen den "Konsumterror" <strong>in</strong> denkapitalistischen Ländern des Westens, der den Völkermord <strong>in</strong> Vietnamsowohl möglich mache als auch verschleiere. Mit Hilfe der Brandstiftungwollten sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Bombardierung Vietnamsmit Napalm richten; von den öffentlichen Medien wurde diesesMotiv weitgehend unterschlagen. E<strong>in</strong>er der Verteidiger war Horst Mahler,bundesweit als Rechtsanwalt der Studentenbewegung bekannt. Hierder Kommentar der Prozeßbeobachter<strong>in</strong> und "Konkret"-Kolumnist<strong>in</strong>Me<strong>in</strong>hof:18"Gegen Brandstiftung im allgeme<strong>in</strong>en spricht, daß dabei Menschen gefährdetse<strong>in</strong> könnten, die nicht gefährdet werden sollen.Gegen Warenhausbrandstiftung im besonderen spricht, daß dieser Angriffauf die kapitalistische Konsumwelt - und als solchen wollten ihn wohl die imFrankfurter Warenhausbrandprozeß Angeklagten verstanden wissen - ebendiese Konsumwelt nicht aus den Angeln hebt, sie nicht e<strong>in</strong>mal verletzt, das, wassie treibt, selbst treibt, denen, die daran verdienen, Verdienste ermöglicht.Dem Pr<strong>in</strong>zip, nach dem hierzulande produziert und konsumiert wird, dem .Pr<strong>in</strong>zip des Profits und der Akkumulation von Kapital, wird durch e<strong>in</strong>facheWarenvernichtung eher entsprochen, als daß es durchbrochen würde. Denndenen, die an der Produktion und dem Verkauf der <strong>in</strong> den Warenhäusernmassenhaft angebotenen Güter verdienen, kann möglicherweise und gelegentlichke<strong>in</strong> größerer Gefallen getan werden als die kostenlose Vernichtungdieser Güter. Den Schaden - sprich Profit - zahlt die Versicherung...Immerh<strong>in</strong>, die Vernichtung gesellschaftlich produzierten Reichtums durchWarenhausbrand unterscheidet sich qualitativ nicht von der systematischenVernichtung gesellschaftlichen Reichtums durch Mode, Verpackung, Werbung,e<strong>in</strong>gebauten Verschleiß. So gesehen ist Warenhausbrandstiftung ke<strong>in</strong>e. antikapitalistische Aktion, eher systemerhaltend, konterrevolutionär.Das progressive Moment e<strong>in</strong>er Warenhausbrandstiftung liegt nicht <strong>in</strong> derVernichtung der Waren, es liegt <strong>in</strong> der Krim<strong>in</strong>alität der Tat, im Gesetzesbruch.Das Gesetz, das da gebrochen wird, schützt ja die Menschen nicht davor, daßihre Arbeitszeit und -kraft, der von ihnen geschaffene Mehrwert vernichtet,verdorben, vergeudet wird, daß sie durch Werbung über ihre eigenen Produktebelogen, durch Arbeitsorganisation und Verheimlichung von allen Informationenüber ihre Produkte getrennt werden, als Produzenten wie als Verbraucher,denen unterworfen und ausgeliefert s<strong>in</strong>d, die sich den Profit aneignenund nach eigenem Gusto <strong>in</strong>vestieren. Nach eigenem Gusto heißt nach derLogik des Profits also da, wo neuer, mehr Mehrwert angeeignet werden kann,nicht da, wo das Geld effektiv und von allen gebraucht wird: also z. B. imErziehungswesen, im Gesundheitswesen, für öffentliche Verkehrsmittel, fürRuhe, re<strong>in</strong>e Luft und Sexualaufklärung etc. ,,9Das Urteil lautete auf drei Jahre Freiheitsentzug ohne Bewährung. ImJuni 1969, 14 Monate danach, wurde den <strong>in</strong>haftierten Angeklagten <strong>in</strong>Erwartung des Urteils der Berufungsverhandlung Haftverschonung gewährt.Baader und Enssl<strong>in</strong> arbeiteten mit anderen Soziologie- und Pädagogikstudententäglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vom SOS f<strong>in</strong>anziell unterstützten Randgruppenprojekt<strong>in</strong> Frankfurt. Dieses Projekt befaßte sich mit Aufnahmeund Betreuung von Jugendlichen, die aus Erziehungsanstalten weggelaufenwaren, und von K<strong>in</strong>dern, die verwahrlost, von zu Hause weggelaufenoder mißhandelt worden waren. Auch Ulrike Me<strong>in</strong>hof, die sichschon geraume Zeit mit dem Aufdecken von Mißständen <strong>in</strong> Erziehungsheimenfür Mädchen beschäftigt hattelO, besuchte dieses Projekt. Als dieRevision der Angeklagten <strong>in</strong> der Brandstiftungssache im November1969 vom Bundesgerichtshof abgewiesen wurde, entzogen sich Baaderund Enssl<strong>in</strong> der restlichen Gefängnisstrafe und tauchten unter. AnfangFebruar 1970 g<strong>in</strong>gen sie nach Westberl<strong>in</strong>. Dort hatten aktive L<strong>in</strong>ke, diez. B. wegen noch abzusitzender Haftstrafen gesucht wurden oder die sichihrem Prozeß entzogen hatten, e<strong>in</strong>e untergrundähnliche Struktur ge-19


schaffen. Viele hatten e<strong>in</strong>e ähnliche politische Entwicklung h<strong>in</strong>ter sichwie Baader und Enssl<strong>in</strong>, so etwa die Mitglieder l<strong>in</strong>ker Kommunen, diemilitante Schriften herausgegeben und sich mit Randgruppenarbeit, u. a.mit drogenabhängigen Jugendlichen, beschäftigt hatten. Diese Art vonRandgruppenarbeit wurde von den Behörden jedoch 1969 systematischzerstört; fortwährende Razzien und Hausdurchsuchungen der Polizei,gefolgt von Festnahmen, hatten dazu geführt, daß mancher Mitarbeiter<strong>in</strong> der Illegalität leben mußte.In anderen Großstädten der BRD vollzogen sich <strong>in</strong> jenen Jahrenähnliche Entwicklungen. So etwa <strong>in</strong> Heidelberg, wo sich <strong>in</strong> der psychiatrischenPolikl<strong>in</strong>ikder Universität um den radikalen ArztWolfgang HuberAnfang 1970 das sogenannte Sozialistische Patienten-Kollektiv (SPK)gebildet hatte. Grundgedanke des Experiments, an dem im Lauf derJahre mehr als 250 Patienten teilnahmen, war, daß die Entfremdung desMenschen im kapitalistischen Produktionsprozeß als Ursache für psychischeKrankheiten anzusehen sei. Im weiteren Verlauf werde die Krankheitselbst wiederum Ausgangspunkt e<strong>in</strong>es erneuten Ausbeutungsprozesses,denn Aufgabe der traditionellen Mediz<strong>in</strong> sei, "kranke" Arbeitskräftefür den kapitalistischen Produktionsprozeß wieder herzustellen,e<strong>in</strong> Vorgang, an dem Arzneimittelkonzerne, Ärzte usw. viel Geld verdienen.Unter dem Motto "Aus der Krankheit e<strong>in</strong>e Waffemachen" 11rief dasSPK dazu auf, mittels Schulung und Agitation gegen e<strong>in</strong>e "Genesung"Widerstand zu leisten, die nur den Zweck der Wiederanpassung an denkapitalistischen Produktionsprozeß verfolge. Die Resonanz und der Erfolg,den diese Bewegung hatte, waren für die traditionellen Ärzte derUniversität Heidelberg sowie für die Regierung von Baden-Württembergoffensichtlich so bedrohlich, daß Huber schließlich entlassen wurde unddie daraufh<strong>in</strong> vom SPK besetzten Arbeitsräume Mitte 1971 von derPolizei gewaltsam geräumt wurden. E<strong>in</strong>ige aktive SPK-Mitglieder saßenwegen des Verdachts der Mitgliedschaft und/oder Unterstützung des<strong>in</strong>zwischen von der Justiz als krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung (§ 129StGB) e<strong>in</strong>gestufteSPK monatelang <strong>in</strong> Untersuchungshaft.Von Anfang 1970 an beteiligten sich Baader und Enssl<strong>in</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ander Diskussion über die Frage, wie nach der gewaltsamen Zerschlagungder legalen außerparlamentarischen Opposition und der legalen Randgruppenarbeit das noch vorhandene Widerstandspotential effektiv genutztwerden könne und welche Formen dafür <strong>in</strong> Frage kämen. Indiesem Reflexions- und Diskussionsprozeß suchte man Anregungen undneue Erkenntnisse <strong>in</strong> den Schriften Mao Tse-tungs als dem großenTheoretiker und Praktiker des Guerillakampfes. Wie <strong>in</strong>spirierend MaosWerke, die Bücher von Frantz Fanon über den Befreiungskampf <strong>in</strong>Algerien und die Berichte über die erfolgreiche Guerilla des Vietkonggegen die technische Übermacht der amerikanischen Kriegsmasch<strong>in</strong>eauch immer waren, so ließ sich doch nicht übersehen, daß die gesell-20schaftlichen Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e solche Guerilla <strong>in</strong> der BRD nichtexistierten. Mit breiter Unterstützung durch die ländliche Bevölkerungwie etwa <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a war überhaupt nicht zu rechnen. Deshalb bot sichalle<strong>in</strong> die Taktik der Stadtguerilla, wie sie etwa von den Tupamaros <strong>in</strong>Uruguay praktiziert worden war12,zur Analyse dah<strong>in</strong> an, ob sie sich fürden bewaffneten Kampf <strong>in</strong> den "Metropolen" der westlichen Industriestaateneigne. Damals gab es <strong>in</strong> den USA die praktizierende l<strong>in</strong>ke Guerillagruppe"Weathermen"13. Zur Diskussion stand auch noch das "M<strong>in</strong>ihandbuchder Stadtguerilla" des brasilianischen Guerilleros Carlos Marighela,das kurz nach dem Mord an Che Guevara im Oktober 1967veröffentlicht worden war. Für Andreas Baader endeten diese Diskussionenum den Aufbau e<strong>in</strong>er militanten Widerstandsebene vorläufig mitse<strong>in</strong>er Verhaftung im April 1970. Baader hatte knapp drei Jahre Haft vorsich: 22 Monate Reststrafe für den Kaufhausbrand, dazu sechs Monate,die zur Bewährung ausgesetzt waren und noch etwa sechs Monate fürUrkundenfälschung.Gut e<strong>in</strong>en Monat nach se<strong>in</strong>er Inhaftierung befreiten ihn Mitgliedere<strong>in</strong>er Gruppe, zu der auch Mahler und Me<strong>in</strong>hof gehörten. Baader hattedie Erlaubnis erhalten, zusammen mit der damals noch legal lebendenUlrike Me<strong>in</strong>hof im Westberl<strong>in</strong>er Institut für Soziale Fragen Literatur füre<strong>in</strong> geplantes Buch über Randgruppenarbeit zu sichten. Beim erstenTreffen am 14.5.70 wurde die bewaffnete Befreiungsaktion durchgeführt;dabei erlitt e<strong>in</strong> Bibliotheksangestellter schwere Verletzungen. Kurznach der Befreiung g<strong>in</strong>g die Gruppe <strong>in</strong> den Mittleren Osten, wo sie <strong>in</strong>paläst<strong>in</strong>ensischen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gslagern geschult wurde und wichtige Kontakteknüpfte.Von Ende September 1970 an erregte die Gruppe Aufsehen u. a.wegen mehrerer Banküberfälle, Autodiebstähle und E<strong>in</strong>brüche <strong>in</strong> Rathäuserund E<strong>in</strong>wohnermeldeämter zur Beschaffung von Pässen, Führersche<strong>in</strong>enund Fahrzeugpapieren, Stempel und Plaketten für Autokennzeichenusw. Dies war die Aufbauphase der Stadtguerilla, die als RoteArmee Fraktion (RAF) erst im April 1971 mit der Schrift "Das KonzeptStadtguerilla" 14an die Öffentlichkeit trat. Inzwischen hatte der Staatsapparatüber die Massenmedien schon den Begriff "Baader-Me<strong>in</strong>hof­Bande"(BM-Bande) oder "Baader-Mahler-Me<strong>in</strong>hof-Bande" für dieGruppe durchgesetzt. WeilAndreas Baader wegen des Frankfurter Kaufhausbrandesund se<strong>in</strong>er Befreiung aus der Haft, Horst Mahler wegense<strong>in</strong>er <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> politischen Prozessen und Ulrike Me<strong>in</strong>hof wegenihrer Kolumnen <strong>in</strong> "Konkret" bereits bundesweite Bekanntheit erlangthatten, war es e<strong>in</strong> leichtes, die gesamte Gruppe, die <strong>in</strong>zwischen aus etwa50 Mitgliedern bestand, mit diesen drei Personen zu identifizieren. DerE<strong>in</strong>fachheit halber wurden die drei gleich als "Rädelsführer" e<strong>in</strong>er "ganzgewöhnlichen Verbrecherbande" apostrophiert.Anfang Oktober 1970 gelang es der Polizei, <strong>in</strong> zwei Berl<strong>in</strong>er Wohnun-21


Jgen mehrere Mitgliederder RAF, unter ihnen auch Mahler, zu verhaften.Im Dezember 1970und im Januar 1971 gab es weitere Festnahmen. Siehatten jedoch offensichtlich ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß auf die Schlagkraft der Gruppe.Anfang 1971 wurden bundesweite Großfahndungen gestartet. InWestberl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> der BRD fanden permanent "Verkehrskontrollen"sowie Durchsuchungen von Wohnungen und Büros l<strong>in</strong>ker Organisationenund Personen statt. Die Polizei erschien fast immer mit e<strong>in</strong>emmartialisch bewaffneten Aufgebot. Diese Aktionen verliefen im H<strong>in</strong>blickauf das offizielleZiel,Mitgliederder RAFzu verhaften, ohne Ergebnis; siedienten aber auch e<strong>in</strong>er Krim<strong>in</strong>alisierung der RAF und ihres Ursprungs,der l<strong>in</strong>ken (Studenten-)Bewegung.Wie schon erwähnt, brachte die RAF im April 1971 ihre Schrift "DasKonzept Stadtguerilla" <strong>in</strong> Umlauf. Dar<strong>in</strong> ließ die RAF wissen, daß ihrePraxis noch ke<strong>in</strong> Jahr alt sei und die Zeit zu kurz, um schon von Resultatenreden zu können, daß aber die Reaktion des Staates und die enormePublicity, die ihr die Großfahndungen verschafft hatten, es propagandistischangebracht ersche<strong>in</strong>en lasse, e<strong>in</strong>ige praktische und theoretischeFragen aufzuwerfen. So etwa die Frage - "sie ist uns oft genug gestelltworden" - ob die Baader-Befreiung auch gelaufen wäre, wenn die RAFgewußt hätte, daß e<strong>in</strong> Angestellter des Instituts dabei angeschossenwürde; die Antwort der RAFlautete, dies "kann nur mit Ne<strong>in</strong> beantwortetwerden". Es folgt e<strong>in</strong>e ausführliche Betrachtung des Problems. Zu denGroßfahndungen f<strong>in</strong>det sich die Bemerkung:"Es ist richtig, wenn behauptet wird, mit dem immensen Fahndungsaufwandgegen uns sei die ganze sozialistische L<strong>in</strong>ke <strong>in</strong> der Bundesrepublik undWestberl<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>t. Das bißchen Geld, das wir geklaut haben sollen, die paarAuto- und Dokumentendiebstähle, wegen derer gegen uns ermittelt wird, auchnicht der Mordversuch, den man uns anzuhängen versucht, rechtfertigen fürsich den Tanz. Der Schreck ist den Herrschenden <strong>in</strong> die Knochen gefahren(... )"15.An Beispielen wird gezeigt, daß "fast alles, was die Zeitungen über unsschreiben - und wie sie es schreiben: alles - gelogen ist".In den folgenden Kapiteln wird analysiert, warum die RAF der Me<strong>in</strong>ungist, daß "die Organisation von bewaffneten Widerstandsgruppenzu diesem Zeitpunkt <strong>in</strong> der Bundesrepublik und Westberl<strong>in</strong> richtig ist,möglich ist, gerechtfertigt ist". Zuerst wird die <strong>in</strong>ternationale Rolle der"Metropole Bundesrepublik" untersucht; die westdeutsche Beteiligungan der amerikanischen Kriegswirtschaft f<strong>in</strong>det besondere Aufmerksamkeit.Es folgt e<strong>in</strong>e Beschreibung und E<strong>in</strong>schätzung des radikalen Studentenprotestsund -widerstands <strong>in</strong> der BRD. Als Ergebnis lasse sich feststellen,daß die heutigen Organisationen der Neuen L<strong>in</strong>ken ihre Vorgeschichteals Teil der Studentenbewegung - im Gegensatz zur RAF ­leugneten. Schließlich habe die Praxis der Studentenbewegung "imBewußtse<strong>in</strong> wenigstens der Intelligenz" den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus als22Waffe im Klassenkampf rekonstruiert, nämlich als diejenige Theorie,ohne die politische, ökonomische und ideologische Tatsachen und ihreErsche<strong>in</strong>ungsformen nicht auf den Begriffzu br<strong>in</strong>gen seien. Weiter habedieStudentenbewegung den <strong>in</strong>ternationalen Kontext für den revolutionärenKampf <strong>in</strong> den Metropolen hergestellt; ihr Selbstbewußtse<strong>in</strong> sei dasBewußtse<strong>in</strong> gewesen,Teii e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen Bewegung zu se<strong>in</strong>, "esmit demselben Klassenfe<strong>in</strong>d hier zu tun zu haben, wie der Vietkongdort".Im vierten Kapitel ("Prirnat der Praxis") wird unter Bezugnahme aufAnalysen von Marx und Len<strong>in</strong> begründet, warum es an der Zeit sei, diepolitische Theorie <strong>in</strong> Praxis umzusetzen. Gleichzeitigwird mit der "Rückkehrzu ihren studentischen Schreibtischen" der ehemaligen "Autoritätender Studentenbewegung" abgerechnet, ebenso wie mit der "Papierproduktion" der vielen sich e<strong>in</strong>ander bekämpfenden l<strong>in</strong>ken Gruppen, deren"Praxis" nichts anderes sei als der "Konkurrenzkampf von Intellektuellen,die sich vor e<strong>in</strong>er imag<strong>in</strong>ären Jury, die die Arbeiterklasse nicht se<strong>in</strong>kann, weil ihre Sprache schon deren Mitsprache ausschließt, den Rangum die bessere Marx-Rezeption ablaufen,,16. Demgegenüber die RAF:"Wir behaupten, daß ohne revolutionäre Initiative, ohne die praktischerevolutionäre Intervention der Avantgarde, der sozialistischen Arbeiter undIntellektuellen, ohne den konkreten antiimperialistischen Kampf es ke<strong>in</strong>enVere<strong>in</strong>heitlichungsprozeßgibt, daß das Bündnis nur <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samen Kämpfenhergestellt wird oder nicht, <strong>in</strong> denen der bewußte Teil der Arbeiter undIntellektuellen nicht Regie zu führen, sondern voranzugehen hat"17.Im Kapitel "Stadtguerilla" wird näher erläutert, was die RAF mit demBegriff "praktische revolutionäre Intervention" me<strong>in</strong>t: Das aus Late<strong>in</strong>amerikastammende Konzept Stadtguerilla, "die revolutionäre Interventionsmethodevon <strong>in</strong>sgesamt schwachen revolutionären Kräften"; undweiter:"Wenn es richtigist, daß der amerikanische Imperialismus e<strong>in</strong> Papiertiger ist,d.h. daß er letzten Endes besiegt werden kann; und wenn die These derch<strong>in</strong>esischen Kommunisten richtig ist, daß der Sieg über den amerikanischener Imperialismus dadurch möglich geworden ist, daß an allen Ecken undEnden der Welt der Kampf gegen ihn geführt wird, sodaß dadurch die Kräftedes Imperialismus zersplittert werden und durch ihre Zersplitterung schlagbarwerden - wenn das richtigist, dann gibt es ke<strong>in</strong>en Grund, irgende<strong>in</strong> Land undirgende<strong>in</strong>e Region aus dem antiimperialistischen Kampf deswegen auszuschließenoder auszuklammern, weil die Kräfte der Revolution dort besondersschwach, weil die Kräfte der Reaktion dort besonders stark s<strong>in</strong>d"18.Betont wird übrigens, daß sich die RAF über den Umfang der revolutionärenKräfte <strong>in</strong> der BRD ke<strong>in</strong>e Illusionen mache. Dennoch müßten die<strong>in</strong> der Studentenbewegung Aktiven doch zum<strong>in</strong>dest teilweise wissen ­und an e<strong>in</strong>igen Beispielen wird das verdeutlicht - was Stadtguerillabewirken kann: "Sie kann die Agitation und Propaganda, worauf l<strong>in</strong>keArbeit noch reduziert ist, konkret machen". Wichtig sei, daß die Stadt-23


guerilla sich nicht an der "herrschenden Öffentlichkeit" orientiere, dienur die "Öffentlichkeit der Herrschenden" se<strong>in</strong> könne und von der nur"erbitterte Fe<strong>in</strong>dschaft" zu erwarten sei, sondern "an marxistischer Kritikund Selbstkritik hat die Stadtguerilla sich zu orientieren, an sonstnichts,,19.Als Ausdruck realistischer Vorstellungen über Erreichbares ersche<strong>in</strong>tdas selbstgesetzte Ziel, "den staatlichen Herrschaftsapparat an e<strong>in</strong>zelnenPunkten zu destruieren, stellenweise außer Kraft zu setzen, den Mythosvon der Allgegenwart des Systems und se<strong>in</strong>er Unverletzbarkeit zu zerstören"zo.Für die Stadtguerilla gelte, "daß dann, wenn die Situation reifse<strong>in</strong> wird für den bewaffneten Kampf,es zu spät se<strong>in</strong> wird, ihn erstvorzubereiten "Z1.Jetzt gehe es darum, revolutionäre Initiativenzu ergreifen,und zwar gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land wie der BRD, "dessen Potential anGewalt so groß, dessen revolutionäre Tradition so kaputt und soschwach s<strong>in</strong>d", weil es ohne solche Initiativen auch dann ke<strong>in</strong>e revolutionäreOrientierung geben werde, "wenn die Bed<strong>in</strong>gungen für den revolutionärenKampfgünstiger se<strong>in</strong> werden, als sie es jetzt schon s<strong>in</strong>d aufgrundder politischen und ökonomischen Entwicklung des Spätkapitalismusselbst"zz.Logischerweise geht es im letzten Kapitel um das Verhältnis zu Legalitätund Illegalität. Bereits zu Beg<strong>in</strong>n des "Konzepts Stadtguerilla" stelltdie RAF fest, daß die Organisierung illegaler bewaffneter Widerstandsgruppennicht die legalen proletarischen Organisationen ersetzen könne,ebensowenig wie klassenkämpferische E<strong>in</strong>zelaktionen oder der bewaffneteKampf überhaupt die politische Arbeit <strong>in</strong> Betrieben und Stadtteilenersetzen könnten."Wir behaupten nur, daß das e<strong>in</strong>e die Voraussetzung für den Erfolg undFortschritt des anderen ist. Wir s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Blanquisten und ke<strong>in</strong>e Anarchisten,obwohl wir Blanqui für e<strong>in</strong>en großen Revolutionär halten und den persönlichenHeroismus vieler Anarchisten für ganz und gar nicht verächtlich "Z3.Im Text f<strong>in</strong>det sich übrigens auch der H<strong>in</strong>weis, daß die RAF <strong>in</strong> ihremursprünglichen Organisationskonzept noch davon ausgegangen war,daß die Mitglieder der illegalen Gruppe gleichzeitig auch <strong>in</strong> legalensozialistischen Stadtteil- und Betriebsgruppen mitarbeiten könnten. Eshabe sich jedoch gezeigt,"daß das nicht geht. Daß die Kontrolle, die die politische Polizei über dieseGruppen hat, ihre Treffen, ihre Term<strong>in</strong>e, ihre Diskussions<strong>in</strong>halte, schon jetzt soweit reicht, daß man dort nicht se<strong>in</strong> kann, wenn man auch noch unkontrolliertse<strong>in</strong> will"24.Die Behauptung, Legalität sei e<strong>in</strong>e Machtfrage und "das Verhältnisvon Legalität und Illegalität (sei) an dem Widerspruch von reformistischerund faschistischer Herrschaftsausübung zu bestimmen "Z5,wird mitzahlreichen Beispielen untermauert. Legalität - als Ideologie des Parlamentarismus,der Sozialpartnerschaft der pluralistischen Gesellschaft-24werde zum Fetisch, wenn man ignoriere, "daß die Organisierung vonpolitischer Arbeit, wenn sie dem Zugriff der politischen Polizei nichtpermanent ausgesetzt se<strong>in</strong> will,gleichzeitiglegal und illegalzu se<strong>in</strong> hat"z6.Es sei wichtig, sich klar zu machen, "daß sich die Bed<strong>in</strong>gungen derLegalität durch aktiven Widerstand notwendigerweise verändern, unddaß es deshalb notwendig ist, die Legalität gleichzeitigfür den politischenKampf und für die Organisierung der Illegalitätauszunutzen, und daß esfalsch ist, auf die Illegalisierungals Schicksalsschlag durch das System zuwarten, weil Illegalisierungdann gleich Zerschlagung ist und das dann dieRechnung ist, die aufgeht'


Jschätzen zu können. Das politische Selbstverständnis der RAF beruhtauch auf ihrem Bewußtse<strong>in</strong>, gegenüber dem Staat BRD und se<strong>in</strong>en­Machthabern die politische Moral auf ihrer Seite zu wissen. Dies ist <strong>in</strong>vielen Fällen kennzeichnend für das Verhältnis zwischen angeklagtenOppositionellen und Staat <strong>in</strong> politischen Strafverfahren und mit e<strong>in</strong>Grund dafür, daß politische Strafverfahren häufig <strong>in</strong>quisitorische Zügeaufweisen. Die Moral des überzeugten politischen Gegners muß gebrochenwerden, damit se<strong>in</strong>e antagonistische Konzeption der Wirklichkeitim Prozeß selbst nicht mehr thematisiert zu werden braucht. 31Ziel der vorliegenden Studie ist es, e<strong>in</strong>en Beitrag zum Verständnis derProblematik von <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> politischen Strafverfahren zu leisten.Den Begriff "politische Justiz" verwende ich hier im S<strong>in</strong>n der von Otto 'Kirchheimer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emStandardwerk "<strong>Politische</strong> Justiz: Verwendung juristischerVerfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken "32 gegebenenDef<strong>in</strong>ition. Kirchheimer zufolge geht es <strong>in</strong> politischen Strafverfahrenim wesentlichen um die (beabsichtigte) Bee<strong>in</strong>flussung gesellschaftlicherMachtverhältnisse, egal, welche der Prozeßparteien dies auf welcheWeise auch immer versuchf3. Für den Richti<strong>in</strong>ienprozeß <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>stellt sich folglich als wichtigste Frage: Wer wollte im Prozeß gegen"Baader u. a." bzw. mittels desselben auf welche Art und Weise welcheMachtverhältnisse bee<strong>in</strong>flussen? Die Besonderheit und Problematik politischerStrafverfahren implizieren, daß es für Staatsanwaltschaft und/oder Richter häufig nicht möglich ist, den politischen Charakter desProzesses offen e<strong>in</strong>zugestehen. Aus ihrer Sicht kann die Frage, ob <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Strafverfahren gesellschaftliche Verhältnisse zur Diskussion stehenund ob sie selbst dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Rolle spielen, nur verdeckt und <strong>in</strong>nerhalbe<strong>in</strong>es formalen und begrenzten Rahmens angegangen werden. DieserRahmen läßt sich durch die Fragen veranschaulichen: Haben die e<strong>in</strong>zelnenBeschuldigten die ihnen <strong>in</strong>dividuell zur Last gelegten Taten tatsächlichverübt; handelt es sich um Taten, die dem geltenden Strafrechtzufolge als strafbare Handlungen anzusehen s<strong>in</strong>d, haben sich die Täterdemzufolge strafbar gemacht? <strong>Politische</strong> Motive der Beschuldigten könnenaus der Sicht der Staatsanwaltschaft und des Gerichts <strong>in</strong> den meistenFällen höchstens bei der Strafzumessung als erschwerende oder milderndeUmstände bewertet werden. <strong>Politische</strong> Motive der Staatsanwaltschaft,die e<strong>in</strong>e bestimmte Art und Weise der Strafverfolgung, Anklage,Beweisführung, Inhaftierung usw. mit sich br<strong>in</strong>gen, werden ausschließlichdann explizitgenannt, wenn dies im staatlichen Interesse liegt. Häufiggel<strong>in</strong>gt es jedoch nicht - wie <strong>in</strong> der Strafsache gegen "Baader u. a. " - dieFassade e<strong>in</strong>er "normalen" Strafjustiz aufrecht zu erhalten, den politischenCharakter des Strafverfahrens zu negieren und/oder zu unterdrükken.Meist liegen die Gründe dafür <strong>in</strong> der politisierenden Haltung derAngeklagten und Verteidiger sowie der E<strong>in</strong>führung und/oder Anwendungspezieller Gesetze und besonderer Sicherheitsrnaßnahmen.26Die <strong>Verteidigung</strong> ist "jene Institution des Strafverfahrens (. .. ), <strong>in</strong> dersich die Autonomie des Beschuldigten verwirklicht, <strong>in</strong> der sich se<strong>in</strong>eStellung als Prozeßsubjekt erst konstituiert,,34.Nun ist jedoch e<strong>in</strong>es derKennzeichen politischer Prozesse wie dem hier zur Diskussion stehenden,daß die subjektive Autonomie der Angeklagten eigentlich nichtzugelassen werden kann, da ihre Konzeptionen der gesellschaftlichenWirklichkeit nicht thematisiert werden dürfen. Aus diesem Grund habeich versucht, die Antworten auf die oben gestellten Fragen hauptsächlichaus der Sicht und Erfahrung der <strong>Verteidigung</strong> zu suchen, wobei mir die"teilnehmende Beobachtung" der <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong> wichtiges Hilfsmittelwar. Strafverteidigung be<strong>in</strong>haltet immer e<strong>in</strong>en Anspruch, der sich gegendie Justiz richtet. In vielen Fällen ist der Beschuldigte <strong>in</strong>haftiert und e<strong>in</strong>erVerurteilung nahe; beides gilt <strong>in</strong> noch weit höherem Maße für politischeStraftäter. Der Charakter e<strong>in</strong>es politischen Prozesses wird vom Verteidiger,der auftragsgemäß versucht, das Selbstverständnis se<strong>in</strong>es Mandanten,die Beweggründe und Ziele se<strong>in</strong>es Hande<strong>in</strong>s darzulegen, besonders<strong>in</strong>tensiv erfahren. Die H<strong>in</strong>dernisse, die der Verteidiger bei diesem Versuchzu überw<strong>in</strong>den hat, führen ihm ständig vor Augen, daß er sich <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em von Widersprüchen gekennzeichneten Handlungsspielraum bewegt:Auf der e<strong>in</strong>en Seite die als selbstverständlich vorausgesetzte Loyalitätgegenüber der Justiz, auf der anderen Seite die unerläßliche Loyalitätgegenüber se<strong>in</strong>em Mandanten, die genau dieselbe Justiz versucht zuunterb<strong>in</strong>den. Auf Grund dieses Widerspruchs, <strong>in</strong> dem alle<strong>in</strong> der Verteidigersteht, sche<strong>in</strong>t es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus der Sichtweise der <strong>Verteidigung</strong>heraus möglich, e<strong>in</strong>en entsprechenden Versuch zu unternehmen, sichüber Möglichkeiten und Grenzen von <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> politischen <strong>Strafsachen</strong>e<strong>in</strong> Bild zu machen; im Grunde genommen läßt die Problemstellunggar ke<strong>in</strong>e andere Möglichkeit offen.Darüber h<strong>in</strong>aus möchte ich mit der Studie e<strong>in</strong>en Beitrag zur Geschichtedes größten politischen Prozesses der Nachkriegszeit <strong>in</strong> der BRDleisten, bei dem die verfassungsmäßigen Grundlagen des Strafverfahrensselbst auf dem Spiel standen.Zu der von mir angewandten Untersuchungsmethode der teilnehmendenBeobachtung noch e<strong>in</strong>e Anmerkung. E<strong>in</strong>e Reihe von Zufällenführten dazu, daß ich im Herbst 1974 als Verteidiger mit e<strong>in</strong>igen westdeutschenAnwälten <strong>in</strong> Kontakt kam; wir verteidigten geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>endeutschen Mandanten, der verdächtigt wurde, e<strong>in</strong>es der führenden Mitgliederdes Heidelberger Sozialistischen Patienten-Kollektivs zu se<strong>in</strong>. ZuBeg<strong>in</strong>n der Ermittlungen gegen das SPK als krim<strong>in</strong>eller Vere<strong>in</strong>igunghatte sich der Beschuldigte <strong>in</strong> die Niederlande abgesetzt, dort e<strong>in</strong>igeJahre gewohnt, war schließlich <strong>in</strong> Amsterdam verhaftet und unverzüglichden westdeutschen Behörden übergeben worden - e<strong>in</strong> klassischer Fallverkappter Auslieferung unter Mißachtung des deutsch-holländischenAuslieferungsabkommens. Die anderen <strong>in</strong> diesem Prozeß auftretenden27


Verteidiger hatten auch Gefangene aus der RAF als Mandanten. Wenigspäter wandte sich e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der BRD <strong>in</strong>haftiertes niederländisches Mitgliedder RAF, Ronald August<strong>in</strong>, mit der Bitte an mich, se<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong> mitzu übernehmen. Se<strong>in</strong> Prozeß war für das Frühjahr 1975 angesetzt. In derZwischenzeit traten die Gefangenen aus der RAF (unter ihnen RonaldAugust<strong>in</strong>) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hungerstreik gegen die ihnen auferlegten Haftbed<strong>in</strong>gungen.Des weiteren wurde mir durch me<strong>in</strong>e regelmäßigen Besuchebei August<strong>in</strong>, die Gespräche mit westdeutschen Anwälten, Dokumentationenund die Berichterstattung <strong>in</strong> den Medien deutlich, daß die bevorstehendeHauptverhandlung <strong>in</strong> Stuttgart -Stamm heim e<strong>in</strong> ganz außergewöhnlicherProzeß werden würde. Zu diesem Zeitpunkt entschied ichmich, diesen Prozeß genau zu verfolgen. Ich nahm regelmäßig an ihren<strong>in</strong>ternen Verteidigerbesprechungen teil, die gesamte schriftliche Korrespondenzzwischen den Gefangenen aus der RAFund ihren Verteidigernwar mir zugänglich, jede sachdienliche Information wurde mir verschafft.Zudem war ich häufiger Zuschauer der Hauptverhandlung. Die vielenKontakte mit den Verteidigern führten dazu, daß mich ihre Schicksale <strong>in</strong>zunehmendem Maße auch persönlich beschäftigten und betroffenmachten.Als ich Ende 1974 zum ersten mal <strong>in</strong> der BRD als Verteidiger auftrat,war mir die Nachkriegsgeschichte Deutschlands nur <strong>in</strong> groben Zügenund recht oberflächlich bekannt; dies galt auch für die Studentenbewegungder 60er Jahre und die damit zusammenhängende Entstehungsgeschichteder RAF als Stadtguerilla-Gruppe. Die Eskalation von Gewaltund Gegengewalt sah ich, e<strong>in</strong> gutbürgerlicher holländischer Rechtsanwalt,als e<strong>in</strong> typisch deutsches Phänomen an. Zwar hatte Deutschlandgroße Denker und Künstler hervorgebracht, auf politischem Gebietjedoch nur Elend <strong>in</strong> der Welt verbreitet. Ausgehend von dieser <strong>in</strong> denNiederlanden nicht ungewöhnlichen E<strong>in</strong>schätzung war ich der Auffassung,daß auch dieser Konfliktdas Produkt typisch deutscher autoritärerStrukturen und Denkweisen sei, und zwar sowohl auf Seiten des Staatesals auch auf Seiten se<strong>in</strong>er Gegner; Produkt des historischen deutschenUnvermögens, anders als <strong>in</strong>tolerant, autoritär, rechthaberisch und letztlichgewaltsam auf Gegensätzliches zu reagieren. Me<strong>in</strong>e persönlichenKontakte mit Gefangenen, mit den sie unterstützenden Gruppen undPersonen sowie mit ihren Verteidigern brachten mich langsam von dieservore<strong>in</strong>genommenen Haltung ab. In zunehmendem Maße entwickelteich Verständnis für die konkrete historische Situation, den Widerstandgegen e<strong>in</strong>e faschistische Vergangenheit, deren Herrschaftsstrukturen <strong>in</strong>der deutschen Nachkriegsgeschichte restauriert worden waren. Auchwurde mir allmählich deutlich, welche Rolle die Justiz <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>erkapitalistisch organisierten Gesellschaft und dem zugehörigen konformenOrdnungssystem spielen muß, um die für den Erhalt des Systemsnotwendige Abwehr fundamentaloppositioneller Vorstellungen und Be-28wegungen sicherzustellen. Letztlicherhielt ich dann auch mehr und mehrE<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>e und konkrete Problematik politischer <strong>Verteidigung</strong>.Zu me<strong>in</strong>er zum<strong>in</strong>dest anfänglichen überraschung mußte ich feststellen,daß die meisten Deutschen, mit denen ich während me<strong>in</strong>er AnwaltsundBeobachtertätigkeit Kontakt hatte (Verteidiger, Gefangene, ihnenberuflich und politisch nahestehende Personen), ausgesprochen freundlicheund alles andere als autoritär denkende Persönlichkeiten waren.Ihre politische Willensbildung sowie ihr damit verbundenes politischesHandeln waren, mit <strong>in</strong>dividuell unterschiedlichem Verlauf, von der Verabscheuungder faschistischen Vergangenheit geprägt; sie alle empfandendie Notwendigkeit, sich persönlich für die Abwehr vergleichbarerEntwicklungen <strong>in</strong> Gegenwart und Zukunft, auf nationaler und <strong>in</strong>ternationalerEbene, zu engagieren. Diese Haltung führte bei den Anwältendazu, daß sie sich bei ihrer <strong>Verteidigung</strong> an dem Anspruch auf une<strong>in</strong>geschränkteAchtung der <strong>in</strong>ternational und grundgesetzlich verankertenMenschenrechte sowie der Bestimmungen der Strafprozeßordnung undder Untersuchungshaft-Vollzugsordnung orientierten. Ihre staats- undmedienpolitische Krim<strong>in</strong>alisierung, die für viele <strong>in</strong> der Ausschließungoder Zurückweisung von der <strong>Verteidigung</strong> und, für e<strong>in</strong>ige, <strong>in</strong> ihrer Inhaftierunggipfelte, habe ich weitgehend aus unmittelbarer Nähe miterlebt.E<strong>in</strong>e solche Behandlung von Verteidigern, die ich als <strong>in</strong>tegre, engagierteund fachlich kompetente Rechtsanwälte und Antifaschisten kennengelernthatte, konnte mich selbstverständlich nicht unberührt lassen.Letzteres läßt fast unvermeidlich die Frage nach me<strong>in</strong>er für die Durchführungder Studie erforderlichen wissenschaftlichen Objektivität aufkommen.Diese Frage drängt sich um so mehr auf, als davon ausgegangenwerden muß, daß hier zwar e<strong>in</strong> bestimmter historischer Prozeßuntersucht wird, er jedoch noch so jung ist, daß er ke<strong>in</strong>eswegs als e<strong>in</strong>Stück abgeschlossener Geschichte betrachtet werden kann.Ich kann nur versichern, daß ich mir dieser Problematik bewußt b<strong>in</strong>,und ich hoffe, daß dem Leser dies durch den Aufbau der Abhandlungdeutlich wird, sowie durch die Art und Weise, mit der ich das ihr zugrundeliegende Material gesammelt, ausgewählt, präsentiert und mit Analysenund Interpretationen versehen habe.Dies istauch e<strong>in</strong> Grund, warum die Studie doppelt so umfangreich wieanfänglich geplant ausgefallen ist, obwohl ich immer noch nur e<strong>in</strong>en Teildes vorhandenen Materials verarbeitet habe. Viele Themen, die e<strong>in</strong>egesonderte Behandlung verdient hätten, mußte ich zur Seite legen. Sowäre es im Rahmen der Untersuchung sicherlich aufschlußreich gewesen,e<strong>in</strong>e Inhaltsanalyse der e<strong>in</strong>schlägigen Presseberichterstattung von1970 an vorzunehmen. Der E<strong>in</strong>fluß der Medien auf den Verlauf der vonmir beschriebenen Konflikte ist auch unter dem Gesichtspunkt sichgegenseitig hochschaukelnder Handlungen der staatlichen Instanzen29


handlung selbst jedoch nicht oder nur gelegentlich und bruchstückhaftzur Sprache (und damit auch <strong>in</strong> die Protokolle) kam.In der Studie habe ich mich bemüht, so chronologisch wie möglichvorzugehen. Me<strong>in</strong> Zielwar, die Entwicklung dieses Strafprozesses genauzu untersuchen, die Bedeutung späterer Ereignisse im Zusammenhangmit früheren Ereignissen oder umgekehrt zu verstehen. Von dieser strengchronologischen Vorgehensweise b<strong>in</strong> ich nur dann abgewichen, wennmir dies aus Gründen e<strong>in</strong>es besseren Verständnisses oder der Effizienznotwendig erschien. Dieses Vorgehen hatte zur Konsequenz, daß ichmich z. B. bei der Behandlung e<strong>in</strong>es beliebigen juristisch relevantenEreignisses des Jahres 1973 weitgehend auf Verweise auf Handbücher,Literatur und/oder Rechtsprechung aus dieser Zeit, als dem relevantenjuristischen Bezugsrahmen, beschränken mußte.Bei der Informationsverarbeitung sche<strong>in</strong>t mir die Benutzung von Medienberichten,politischen Debatten im Bundestag u. a. als Quellenmaterialebenso unproblematisch zu se<strong>in</strong>, wie der Rückgriff auf juristischeFachliteratur und Rechtsprechung, ganz abgesehen davon, daß es sich<strong>in</strong> beiden Fällen um meist allgeme<strong>in</strong> zugängliche Quellen handelt.Auf die vielen Berichte und Dokumentationen der verschiedenstenUntersuchungsausschüsse, auf Pressemitteilungen, Begleit<strong>in</strong>formationenund -materialien, die von Verteidigern, Gefangenen, Familienangehörigen,Gefangenenhilfegruppen usw. zu Verfahren, Hungerstreiks,Demonstrationen, der Vorgehensweise staatlicher Organe gegen Gefangene,Verteidiger usw. zusammengestellt wurden, trifftdies jedoch nichtzu.Problematisch ist hier nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die mangelhafte Zugänglichkeitdes Materials, sondern vielmehr die (methodologische) Frage nachder Gültigkeit der <strong>in</strong> solchen Materialien enthaltenen Informationen. Wie<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>eren Kontext bereits erwähnt, handelt es sich auchhier um Daten, <strong>in</strong> denen bestimmte Interpretationen äußerst kontroverserGeschehnisse ihren Niederschlag gefunden haben. In diesem S<strong>in</strong>neunterscheiden sie sich nicht von den anderen von mir verarbeitetenDaten. Es s<strong>in</strong>d deshalb auch genau diese e<strong>in</strong>ander häufig widersprechendenInterpretationen, die erst <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit die Wirklichkeitausmachen35. Wenn <strong>in</strong> der Studie Interpretationen zum Zuge kommen,die <strong>in</strong> der bisherigen "Geschichtsschreibung" den Kürzeren gezogenhaben, entspricht dies me<strong>in</strong>er Absicht, e<strong>in</strong>en Beitrag zur Rekonstruktione<strong>in</strong>er unterdrückten Wirklichkeitzu leisten.32Kapitel I: "Mai-Offensive" der RAF (1972)Am 11. Mai 1972, dem Tag, an dem die Bombenblockade Nordvietnamsdurch die Vere<strong>in</strong>igten Staaten mit heftigen Bombenangriffen gegenHanoi, die Hafenstadt Haiphong und die Prov<strong>in</strong>z Than Hoa begann,verübte die RAF durch e<strong>in</strong> "Kommando Petra Schelm" (Petra Schelmwar 1971 als RAF-Mitglied von der Polizei <strong>in</strong> Hamburg erschossenworden) e<strong>in</strong>en Bombenanschlag auf das Hauptquartier des 5. Armeekorpsder amerikanischen Streitkräfte <strong>in</strong> der BRD und Westberl<strong>in</strong> mit Sitzim früheren IG-Farben-Haus <strong>in</strong> Frankfurt. E<strong>in</strong> Armeeangehöriger kamums Leben, 13 weitere wurden verwundet. In der Kommandoerklärungvom 14.5.721 heißt es zum Anschlag:"Für die Ausrottungsstrategen von Vietnam sollen Westdeutschland undWest-Berl<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> sicheres H<strong>in</strong>terland mehr se<strong>in</strong>. Sie müssen wissen, daß ihreVerbrechen am vietnamesischen Volk ihnen neue, erbitterte Fe<strong>in</strong>de geschaffenhaben, daß es für sie ke<strong>in</strong>en Platz mehr geben wird <strong>in</strong> der Welt, an dem sievor den Angriffen revolutionärer Guerilla-E<strong>in</strong>heiten sicher se<strong>in</strong> können".Der Sitz des europäischen Hauptquartiers des e<strong>in</strong>flußreichsten amerikanischenNachrichtendienstes, der National Security Agency (NSA),befand sich ebenfalls im IG-Farben-Haus <strong>in</strong> Frankfurt. Dazu äußerte sichder ehemalige NSA-Agent W<strong>in</strong>slow Peck,auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am23.6.76 <strong>in</strong> Frankfurt:"Das Hauptquartier der NSA <strong>in</strong> Europa, das IG-Farben-Haus, das <strong>in</strong> NSA­Kreisen unter dem Decknamen U::)/-- /':18firmiert, verfügt über e<strong>in</strong>en immensenelektronischen Spionageapparat, mit dessen Hilfe nicht nur Informationenüber den Ostblock, sondern auch über westeuropäische Regierungen gesammeltwerden.Viele der an USF-798 angeschlossenen NSA-Stationen <strong>in</strong> England, Italien,Griechenland, Marokko und vor allem <strong>in</strong> Deutschland überwachen sogar dieNachrichtenwege jener Regierungen, die mit den USA verbündet s<strong>in</strong>d. Dasheißt, daß unter anderem die Kommunikation <strong>in</strong> den Bereichen der Diplomatie,des Militärs, des Handels (Industriespionage), der öffentlichen Anstaltenund der Schiffahrt abgehört wird. Diese Aufgabe wird mit solcher Fertigkeitund Präzision erfüllt, daß es praktisch für ke<strong>in</strong>e europäische Regierung imOsten wie im Westen möglich ist, e<strong>in</strong>en Schritt zu tun, den die amerikanischeRegierung nicht erfährt.überall, wo amerikanische Truppen <strong>in</strong> Deutschland stationiert s<strong>in</strong>d, gibt esStützpunkte von USF-798. Dazu kommt noch, daß USF-798 der NSA vondeutschen ziale<strong>in</strong>heiten und dem britischen GCHQ unterstützt ~ie beide ebenfalls auf elektronische Spionage spezia isiert s<strong>in</strong>d. Währendme<strong>in</strong>es Aufenthaltes <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a habe ich erlebt, daß deutsche Elektronik­Spionage-Agenten <strong>in</strong> Vietnam waren und dort der NSA geholfen haben.33•


•USF-798 ist nicht nur das wichtigste Geheimdienstzentrum der USA und derNato <strong>in</strong> Europa, sondern wurde gelegentlich auch e<strong>in</strong>gesetzt, um für andereTeile der Welt zu arbeiten. So s<strong>in</strong>d beispielsweise viele Berechnungen undAuswertungenvon E<strong>in</strong>sätzen des US-Militärs im Indoch<strong>in</strong>akrieg im IG-Farben­Haus gemacht worden".Anschließend g<strong>in</strong>g Peck auf die Schlüsselposition des IG-Farben­Hauses im Indoch<strong>in</strong>akrieg sowie <strong>in</strong>nerhalb der gesamten US-Spionagegegen den Ostblock, gegen die Verbündeten der USA, gegen Befreiungsbewegungen<strong>in</strong> der dritten Welt sowie gegen Wirtschaftsunternehmen,die sich <strong>in</strong> Konkurrenz zu amerikanischen Firmenbefanden, e<strong>in</strong>.Schlußfolgernd sagte er:"Aufgrund me<strong>in</strong>er Forschungen auf dem Gebiet des Terrors und Gegenterrorsb<strong>in</strong> ich der Ansicht, daß die Rote Armee Fraktion e<strong>in</strong>e Antwort auf diekrim<strong>in</strong>elle Aggression der US-Regierung <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a und die Beihilfe derdeutschen Regierung war. In dieser H<strong>in</strong>sicht glaube ich nicht, daß man auchnur e<strong>in</strong>e der sogenannten ,Terrorismus'-Aktionen der Roten Armee Fraktion<strong>in</strong> menschlicher oder logischer H<strong>in</strong>sicht vergleichen kann mit dem Terrorismus,der von den USA, <strong>in</strong> massivem Ausmaß <strong>in</strong> Vietnam, verübt wurde. DieBombenanschläge auf das IG-Farben-Haus aufgrund dessen Rolle <strong>in</strong> diesemkrim<strong>in</strong>ellen Krieg können unmöglich verglichen werden mit dem Bombardementauf Laos oder dem Versuch, die Flußdeiche <strong>in</strong> Nordvietnam zu zerstören.Die wahren Terroristen, das war me<strong>in</strong>e Regierung und nicht die RoteArmee Fraktion".Am 12.5.72 folgten zwei weitere Bombenanschläge der RAF, beidenen 13 Personen verletzt wurden und erheblicher Sachschaden entstand.Sowohl der Anschlag gegen das Polizeipräsidium <strong>in</strong> Augsburg alsauch der gegen das Landeskrim<strong>in</strong>alamt <strong>in</strong> München wurden von e<strong>in</strong>em"Kommando Thomas Weisbecker" der RAF ausgeführt, das mit diesenAktionen auf die Erschießung Weisbeckers durch Angehörige der obigenPolizeidienststellen bei dessen Festnahme am 2.3.72 <strong>in</strong> Augsburgantworten wollte.Am 16.5.72 explodierte e<strong>in</strong>e unter dem Auto des BundesrichtersBuddenberg angebrachte Bombe. Buddenberg war am Bundesgerichtshofverantwortlich für die Ausgestaltung der Haftbed<strong>in</strong>gungen für Personen,die im Zusammenhang RAF gefangengehalten wurden. Für denAnschlag, bei dem Frau Buddenberg verletzt wurde, hatte e<strong>in</strong> "KommandoManfred Grashof" der RAF die Verantwortung übernommen3.Am 19.5.72 wurden bei e<strong>in</strong>em Bombenanschlag auf die Zentrale desAxel-Spr<strong>in</strong>ger-Konzerns (u. a. Herausgeber von "Bild" und "Welt") <strong>in</strong>Hamburg 34 Menschen verwundet. In der Erklärung e<strong>in</strong>es "Kommando2. Juni" (am 2.6.67 wurde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> der Student Benno Ohnesorgerschossen) wurde u. a. mitgeteilt, daß frühzeitig dreimal telefonisch zurRäumung des Hochhauses aufgefordert worden war4. Vom Spr<strong>in</strong>ger­Konzern wurde gefordert, "die antikommunistische Hetze gegen dieNeue L<strong>in</strong>ke, gegen solidarische Aktionen der Arbeiterklasse wie Streiks,34·1gegen die kommunistischen Parteien hier und <strong>in</strong> anderen Ländern" und"gegen die Befreiungsbewegungen <strong>in</strong> der Dritten Welt (. .. ), besondersgegen die arabischen Völker, die für die Befreiung Paläst<strong>in</strong>as kämpfen",<strong>in</strong> den konzerneigenen Zeitungen e<strong>in</strong>zustellen.Schließlich erfolgte am 24.5.72 e<strong>in</strong> Bombenanschlag auf das europäischeHauptquartier der amerikanischen Armee <strong>in</strong> Heidelberg. E<strong>in</strong> Gebäude,<strong>in</strong> dem sich die Computerzentrale befand, wurde fast völligzerstört, drei Personen wurden getötet und sechs verwundet. E<strong>in</strong> RAF­Kommando ,,15. Juli" (am 15.7.71 wurde das RAF-Mitglied PetraSchelm <strong>in</strong> Hamburg erschossen) übernahm die Verantwortung. In derKommandoerklärung vom 25.5.72 5 heißt es:"Im Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte <strong>in</strong> Europa <strong>in</strong> Heidelbergs<strong>in</strong>dgestern abend, am Mittwoch den 24. Mai 1972 zwei Bomben mit e<strong>in</strong>er­Sprengkraft von 200 Kg TNT explodiert. Der Anschlag wurde durchgeführt,nachdem General Daniel James, Abteilungsleiter im Pentagon, am Mittwoch<strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton erklärt hatte: ,Für die US-Luftwaffe bleibt bei Bombenangriffenkünftigke<strong>in</strong> Ziel nördlich und südlich des 17. Breitengrades ausgenommen.'Am Montag hatte das Außenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Hanoi die Vere<strong>in</strong>igten Staatenerneut beschuldigt, dichtbesiedelte Gebiete <strong>in</strong> Nordvietnam bombardiert zuhaben.Die amerikanische Luftwaffe hat <strong>in</strong> den letzten 7 Wochen mehr Bombenüber Vietnam abgeworfen als im Zweiten Weltkrieg über Deutschland undJapan zusammen. Von weiteren Millionen Tonnen Sprengstoffen ist die Rede,die das Pentagon e<strong>in</strong>setzen will, um die nordvietnamesische Offensive zustoppen. Das ist Genocid, Völkermord, das wäre die ,Endlösung', das istAuschwitz."Ober das Heidelberger Computerzentrum sagte der ehemalige CIA­Agent K. Barton Osborne auf der im Zusammenhang mit dem NSA­Agenten W<strong>in</strong>slow Peck zitierten Pressekonferenz:"Da die meisten geheimdienstlichen US-Stützpunkte <strong>in</strong> der Bundesrepublikwährend des Kalten Krieges e<strong>in</strong>gerichtet worden waren, benützten die amerikanischenAgenten die zur Verfügung stehenden deutschen E<strong>in</strong>richtungenauch während der Vietnam-Ära. In großem Umfang wurden erfahrene Geheimdienstlervon der Bundesrepublik nach Vietnam geschleust und die hiervormals entwickelten geheimdienstlichen Techniken wurden nach Vietnamexportiert. Inzwischen war das hiesige Netz von US-E<strong>in</strong>richtungen zur Unterstützungdes Kriegs <strong>in</strong> Vietnam herangezogen worden, darunter die Computer-Anla'stischen KommandosteIle der US-Armee <strong>in</strong> Heidelberg, ~ml es derer der Bombennachschub für die gewa tigen F äc enbom ar lerungenvon Zivilgebieten Südvietnams und Deichen des Roten Flusses <strong>in</strong>Nordvietnam berechnet wurden"6Die "Mai-Offensive,,7 der RAF, von ihr als Antwort auf die Wiederaufnahmeder amerikanischen Luftangriffe gegen Vietnam gedacht, löstee<strong>in</strong>e zentralgesteuerte Hetzjagd auf die Mitglieder der RAF aus, an dermehr als 130 000 Polizisten und Staatsschutzbeamte, unterstützt von35


Jwestdeutschen und amerikanischen Armee-E<strong>in</strong>heiten, teilnahmen. Am2. Juni 1972 wurden Jan earl Raspe, Holger Me<strong>in</strong>s und Andreas Baaderfestgenommen, am 7. Juni Gudrun Enssl<strong>in</strong> und am 15. Juni UlrikeMe<strong>in</strong>hof.Kapitel11:Strafverfolgung1. Strafverfolgungsbehörde und zuständiger RichterDie angeklagten Straftaten, Mord und versuchter Mord, Totschlag,Verstöße gegen die Sprengstoff- und Waffengesetzgebung, Teilnahmean e<strong>in</strong>er "Krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung", fallen grundsätzlich dem §§ 74 Abs.2 und 74a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) <strong>in</strong> die Zuständigkeit derLandgerichte (vergleichbar mit den holländischen arrondissementsrechtbanken).Merkwürdigerweise ist es nicht möglich, gegen LandgerichtsurteileBerufung e<strong>in</strong>zulegen, im Gegensatz zu Urteilen von Amtsgerichten,die für e<strong>in</strong>fachere Straftaten (§312 StPO) zuständig s<strong>in</strong>d (vergleichbarmit dem kantonrechter und politierechter <strong>in</strong> den Niederlanden,obwohl e<strong>in</strong> Amtsgericht Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren verhängenkann - §24 Abs. 2 GVG). AlleVergehen gegen § 129 StGB "Krim<strong>in</strong>elleVere<strong>in</strong>igung" (siehe 1.1.) werden gem § 74a GVG ausschließlich vone<strong>in</strong>er speziellen Strafkammer an e<strong>in</strong>em Landgericht, der sogenanntenStaatsschutzkammer, behandelt. Darüber h<strong>in</strong>aus ist diese Kammer verpflichtet,gegebenenfalls' auch über solche Straftaten zu urteilen, die imZusammenhang mit Verstößen gegen § 129 verübt wurden (§§ 4,13 StPO), wenn das Schwergewicht <strong>in</strong> dem Verfahren bei der "Krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung" liegt und damit der Staatsschutzaspekt überwiegt. Letztereswurde <strong>in</strong> Anlehnung an den auch <strong>in</strong> § 103 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzesvom 4.8.53 zugrunde liegenden Gedanken entwickelt; dieFrage, vor welchem Gericht e<strong>in</strong>e Strafsache verhandelt werden muß, <strong>in</strong>der Jugendliche und Erwachsene geme<strong>in</strong>sam angeklagt s<strong>in</strong>d,wurde dortso entschieden: "Der Staatsanwalt erhebt die Anklage vor dem Jugendgericht,wenn das Schwergewicht bei dem Verfahren gegen Jugendlicheliegt"l.Sollte die Strafverfolgungsbehörde der Me<strong>in</strong>ung se<strong>in</strong>, daß e<strong>in</strong>e bestimmteStrafsache <strong>in</strong> die Zuständigkeit e<strong>in</strong>er Staatsschutzkammer fällt,und mißt sie ihr zudem "besondere Bedeutung" zu, dann ist der Generalbundesanwalt(Leiter der Bundesanwaltschaft; zu vergleichen mitdem Procureur-Generaal bij de Hoge Raadder Nederlanden) verpflichtet,von se<strong>in</strong>em <strong>in</strong> § 74a Abs. 2 GVG umschriebenen EvokationsrechtGebrauch zu machen und die Strafverfolgung von der Staatsanwaltschaftdes betreffenden Bundeslandes zu übernehmen2 Folgerichtig istdanngemäß § 120 Abs. 2 GVG e<strong>in</strong> Oberlandesgericht (OLG) für e<strong>in</strong>eBehandlung der Sache <strong>in</strong> erster Instanz zuständig. Während die Strafkammerne<strong>in</strong>es Landgerichts bei der erst<strong>in</strong>stanzlichen Verhandlung ei-3637


Jner Strafsache aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen (§ 76 Abs. 2GVG - Schwurgericht und Große Strafkammer) zusammengesetzt s<strong>in</strong>d,bestehen die Strafkammern e<strong>in</strong>es OLG <strong>in</strong> Revisionsverfahren aus dreiund bei erst<strong>in</strong>stanzlicher Verhandlung aus fünf Berufsrichtern (§ 122GVG). Das OLG kann nach Eröffnung der öffentlichen Verhandlung dieSache gemäß § 120 Abs. 2 GVG wieder an das Landgericht verweisen,und zwar dann, "wenn e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung des Falles nichtvorliegt" (§ 74a Abs. 2 GVG). Geschieht dies nicht, dann handelt es sichnach E<strong>in</strong>schätzung des Generalbundesanwalts (GBA)und des OLG vonAnfang an um e<strong>in</strong>e Staatsschutzsache von besonderer Bedeutung.Aus dem Gesagten wird nicht ersichtlich, warum pr<strong>in</strong>zipiell und ausschließliche<strong>in</strong>e spezielle Staatsschutzkammer an e<strong>in</strong>em Landgerichtbefugt ist, über Verstöße gegen § 129, der se<strong>in</strong>er Formulierung nach(siehe 1.1.) ke<strong>in</strong>eswegs auf den Schutz der Staatssicherheit ausgerichtetist, zu urteilen. Ebenso bleibt unverständlich, warum die "besondereBedeutung" e<strong>in</strong>er Sache zur Folge hat, daß sie vor e<strong>in</strong>em OLG verhandeltwerden muß. Es sche<strong>in</strong>t mir deshalb s<strong>in</strong>nvoll, e<strong>in</strong>en kurzen Oberblicküber die Verteilung der Zuständigkeit der verschiedenen westdeutschenGerichte für Vergehen, die allgeme<strong>in</strong> als "Staatsschutzdelikte"betrachtet werden, zu geben. Ich werde kurz darlegen (Punkt 7), warum§ 129 weniger qua Formulierung als qua Rechtsweg und Rechtsanwendungzu den Staatsschutzdelikten gerechnet werden kann.1. Aus dem Schema geht hervor, daß leichtere Staatsschutzdelikte <strong>in</strong>erster Instanz vor e<strong>in</strong>er Staatsschutzkammer an e<strong>in</strong>em Landgericht verhandeltwerden, während schwerere Delikte <strong>in</strong> die Zuständigkeit e<strong>in</strong>esOLG fallen. Revisions<strong>in</strong>stanz ist <strong>in</strong> allen Fällen der Bundesgerichtshof.Auch bei der Strafverfolgung "normaler" Delikte, die <strong>in</strong> Tate<strong>in</strong>heit mitStaatsschutzdelikten begangen werden, überwiegt die besondere Zuständigkeitder Staatsschutzjustiz 4.2. Gemäß § 74a Abs. 1 GVG ist nicht jedem Landgericht e<strong>in</strong>e (odermehrere)Strafkammer für Staatsschutzsachen (Staatsschutzkammer) zugeordnet,sondern nur denjenigen, <strong>in</strong> deren Bezirk auch e<strong>in</strong> OLG se<strong>in</strong>enSitz hat. Auch die Zahl der OLG, die mit Staatsschutzdelikten befaßtwerden können, ist beschränkt: Zuständig können nur diejenigen se<strong>in</strong>,die ihren Sitz <strong>in</strong> der Hauptstadt e<strong>in</strong>es Bundeslandes haben (§ 120 Abs. 1GVG). Schließlich können mehrere Bundesländer übere<strong>in</strong>kommen, nure<strong>in</strong> OLG mit der Wahrnehmung von Staatsschutzdelikten aus mehrerenBundesländern zu beauftragen (§ 120 Abs. 5 GVG)5.3. § 74a GVG sieht zwar unter den zuvor genannten Voraussetzungene<strong>in</strong>e besondere Staatsschutzkammer für Landgerichte vor, nicht jedochStaatsschutzsenate für OLG. In der Praxis haben aber fast alle OLG auche<strong>in</strong>en (od~r mehrere) Staatsschutzsenat(e). Seit dem 1. Strafrechtsänd;­rungsgesetz vom 30.8.51 b werden Staats~chutzdelikte beim BGH ausschließlichvom 3. Strafsenat (bis 1956 der 6. Senat) behandele. DieseStaatsschutzkammerLandgerichtsdeszuständig für (§ 74a GVG):- Friedensverrat, § 80a StGB- Staatsgefährdung, §§ 84-90,90a Abs. 3. 90b StGB- Gefährdung der Landesverteidigung,§§ 109d. g StGB- Krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung, § 129StGB, § 20 Vere<strong>in</strong>sG- Verschleppung und politischeVerdächtigung, §§ 234a. 241a- entsprechende Delikte gegendie NATO. Art. 7, 8, 12 4. StRÄndG- Beschwerde gegen Entscheidungendes Ermittlungsrichters(Amtsgericht) und des Untersuchungsrichters(Landgericht),§304 StPO: t__,IL --+I. InstanzOberlandesgericht der Landeshauptstadt(bzw. Kammergericht)- ggfs. Staatsschutzsenat -zuständig für (§ 120 GVG):- Friedensverrat, § 80 StGB- Hochverrat, §§ 81-83 StGB- Landesverrat, §§ 94a-100a StGB- § 30c Abs. 2 PatentG, § 3a Abs. 2GebrauchsmusterG- Anschlag auf ausländische Staatsmänner,§102 StGB- Straftaten gegen Verfassungsorgane,§§ 105. 106 StGB- Nichtanzeige von Staatsverbrechen§138 StGB- Völkermord. § 220a StGB- Außerdem: alle <strong>in</strong> § 74a GVG genanntenDelikte, wenn der GBA sie wegen der"besonderen Bedeutung des Falles" übernommenhat.Verne<strong>in</strong>t das OLG diese "besondere Bedeutung",wird an die Staatsschutzkammerüberwiesen.- Beschwerde gegen Entscheidungen des Ermittlungs-und des Untersuchungsrichtersdes OLG, § 304 StPO- Beschwerde gegen Verfügungen und Beschlüsseder Staatsschutzkammer,§304 StPO2. Instanz 1Bundesgerichtshof- 3. Strafsenat -zuständig für (§ 135 GVG):- Revision gegen Urteile der Staatsschutzkammer unddes OLG, § 333 StPO- Beschwerde gegen Verfügungen und Beschlüsse des OLGund gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters des BGH. § 304 StPO- Weitere Beschwerde gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichtersund des Untersuchungsrichters des OLG, § 310 StPODie Instanzen der politischen Justiz <strong>in</strong> der BRD338 39


JE<strong>in</strong>richtung spezieller Staatsschutzsenate beruht auf der Befugnis desPräsidiums e<strong>in</strong>es Richterkollegiums, e<strong>in</strong>en "Geschäftsverteilungsplan"aufzustellen8. Nur kle<strong>in</strong>ere OLG wie z. B. das Kammergericht Berl<strong>in</strong>haben ke<strong>in</strong>en speziellen Staatsschutzsenat.4. Für die Auswahl von Richtern an Staatsschutzkammern bzw. -senatenbesteht ke<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung; sie wäre allerd<strong>in</strong>gs auch unvere<strong>in</strong>barmit der vom Grundgesetz garantierten richterlichen Unabhängigkeit(§97 Abs. 1 GG). Bei Löwe-Rosenberg, dem tonangebenden Kommentarzur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, istvon "Richter(n) mit besonderer Sachkunde und breiter Erfahrung aufdem Gebiet der Staatsschutzstrafsachen" die Rede9. Der StrafrechtsgelehrteEberhard Schmidt spricht 1960 von "Richtern mit besondersgroßer Erfahrung bezüglich der heutigen Methoden des gegen denRechtsstaat gerichteten Kampfes"lO. Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Robert Lehr(CDU) erklärte während der Bundestagsdebatten über die E<strong>in</strong>führungdes § 74a GVG, "daß die Staatsschutzrichter <strong>in</strong> besonderem Maße sichdurch Staatstreue, bed<strong>in</strong>gungslose Unterwürfigkeit unter die Staats<strong>in</strong>teressenetc. auszeichnen müssen". Ober die Zusammensetzung des 3.Senats des BGH sagte Generalbundesanwalt Ludwig Mart<strong>in</strong> 1969, daßdie Ermittlungsrichter des BGH, die <strong>in</strong>haltlich überwiegend Aufgabender Staatsanwaltschaft zu erfüllen hätten, den "natürlichen Nachwuchs"dieses Senats hervorbr<strong>in</strong>gen könntenu.5. In e<strong>in</strong>er Art von geschlossenem Kreis ist e<strong>in</strong>e begrenzte Zahl vonStaatsschutzrichtern für alle Entscheidungen im Verlauf der Ermittlungen,<strong>in</strong>sbesondere bezüglich der Untersuchungshaft, der Durchsuchungs-und Beschlagnahmemaßnahmen verantwortlich. Bei Beschwerdengegen wichtige Entscheidungen <strong>in</strong> Ermittlungsverfahren setztder 3. Strafsenat des BGH die Maßstäbe, an denen sich Staatsschutzrichter<strong>in</strong> der BRD orientieren sollen.6. Dem Generalbundesanwalt obliegt nicht (wie etwa dem Procureur­Generaal bijde Hoge Raad <strong>in</strong> den Niederlanden) <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dieBehandlung von Revisionssachen, sondern vielmehr die Verfolgungpolitischer Straftaten <strong>in</strong> direkter Zuständigkeit12.Hierarchisch gesehen istder Generalbundesanwalt dem Bundesjustizm<strong>in</strong>ister untergeordnet (§§146, 147 GVG); als "politischer Beamter" kann er jederzeit entlassenwerden (§ 36 Abs. 1 Nr. 5 Bundesbeamtengesetz). Der GBA ist<strong>in</strong> allen <strong>in</strong>§ 120 GVG (§ 142a Abs. 1 GVG) genannten politischen <strong>Strafsachen</strong>Untersuchungsleiter und Ankläger, es sei denn, es handelt sich um e<strong>in</strong>ige<strong>in</strong> § 142a Abs. 1 Nr. 1 GVG genannte Fälle (hauptsächlich Staatsschutzdeliktegegen Bundesländer) oder um <strong>Strafsachen</strong> von ger<strong>in</strong>gerer Bedeutung,immer vorausgesetzt, daß "die Tat weder die Interessen desBundes <strong>in</strong> besonderem Maße berührt", noch "es im Interesse derRechtse<strong>in</strong>heit geboten ist, daß der GBA die Tat verfolgt" (§142a Abs. 3GVG). Auch kann der GBA, sollte e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung vorliegen,40alle<strong>in</strong> § 74a GVG genannten Straftaten verfolgen (§ 74aAbs. 2 GVG), erkann die Verfolgung aber auch wieder der zuständigen Staatsanwaltschafte<strong>in</strong>es Bundeslandes übertragen, falls die besondere Bedeutungnicht mehr gegeben se<strong>in</strong> sollte (§142a Abs. 4 GVG). Diese gesetzlichenBestimmungen bzw. ihre unscharfen Kriterien räumen dem GBA <strong>in</strong> derFrage, welche Staatsschutzkammer e<strong>in</strong>es Landgerichts bzw.welcherStaatsschutzsenat e<strong>in</strong>es OLG im jeweiligen Fall zuständig ist, e<strong>in</strong>en weitenEntscheidungsspielraum e<strong>in</strong>. Außerdem obliegt dem GBA bei <strong>Strafsachen</strong>,für die pr<strong>in</strong>zipiellmehrere Staatsschutzsenate e<strong>in</strong>es OLG zuständigwären, Auswahl und Zuweisung des Senats, "bei dem nach justizgemäßenGesichtspunkten der Schwerpunkt liegt"13.Dieser maßgeblicheE<strong>in</strong>fluß des GBA bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts <strong>in</strong> Staatsschutzsachenhat auch bei staatstreuen westdeutschen Kommentatorenzu Zweifeln daran geführt, ob diese Entscheidungsbefugnis des GBAnoch mit dem grundgesetzlich garantierten Gebot vere<strong>in</strong>bar sei, demzufolgeniemand se<strong>in</strong>em gesetzlichen Richter entzogen werden darf14.Bemerkenswert ersche<strong>in</strong>t mir noch, daß der GBA seit 1969 während desErmittlungsverfahrens <strong>in</strong> Staatsschutzsachen auf e<strong>in</strong>en Ermittlungsrichterdes BGH zurückgreifen kann, und zwar bei <strong>Strafsachen</strong>, über die e<strong>in</strong>OLG-Staatsschutzsenat <strong>in</strong> erster Instanz verhandeln und entscheidenmuß15. E<strong>in</strong>e merkwürdige Konstruktion: e<strong>in</strong> Bundesrichter als Ermittlungsrichter,im Vorverfahren belastet mit so e<strong>in</strong>schneidenden Entscheidungenwie über die Haftfrage, die <strong>in</strong> der Beschwerde<strong>in</strong>stanz von e<strong>in</strong>emRichterkollegium des höchsten Gerichts, dem er selbst angehört, überprüftwerde16. Es ist immerh<strong>in</strong> denkbar, daß dem Ermittlungsrichter e<strong>in</strong>edie Bundesanwaltschaft kontrollierende Funktion zugedacht ist17.Derfrühere GBA Mart<strong>in</strong> sah dies allerd<strong>in</strong>gs nicht so: e<strong>in</strong> solcher Ermittlungsrichtersei vor allem "Partnerund Gegenspieler", "e<strong>in</strong> Pendant zur Bundesanwaltschaft",der es dem GBA erspare, sich "auf die Suche nache<strong>in</strong>em willigeren Ermittlungsrichter e<strong>in</strong>es anderen Bundeslandes" zubegeben. Bezüglich e<strong>in</strong>es Ermittlungsrichters des BGH solle "künftig vonvornhere<strong>in</strong> jeder Zweifel an der völligen Unabhängigkeit e<strong>in</strong>es Ermittlungsrichters(gegenüber der Bundesanwaltschaft) unmöglich" se<strong>in</strong>,auch habe er,was se<strong>in</strong>e weitreichenden Entscheidungen betreffe, nicht"die Kritikder Öffentlichkeit" zu befürchten18. Verfassungsschutz, GBAund Ermittlungsrichter können sich somit unbekümmert über Untersuchungsergebnisseaustauschen, die sie mit Mitteln, "welche im normalenRechtsverkehr nicht geschätzt s<strong>in</strong>d", gleichsam "naturgemäß" erhaltenhaben19.7. Die Frage ist durchaus berechtigt, ob die E<strong>in</strong>richtung solcher Staatsschutzkammernbzw. -senate nicht dem im Grundgesetz verankertenVerbot von "Ausnahmegerichten" (§ 101 Abs. 1 GG) widerspricht.Dieses Verbot war als Reaktion auf die politischen Sondergerichte desNationalsozialismus gedacht. Das Bundesverfassungsgericht, mit der41


Jüberwachung der E<strong>in</strong>haltung des Grundgesetzes beauftragt, beruft sichjedoch auf § 101 Abs. 2 GG, der "Gerichte für besondere Sachgebiete"für zulässig erklärt und der nur solche Gerichte als "Ausnahmegerichte"begreift, die erst nach dem Begehen e<strong>in</strong>er Straftat "<strong>in</strong> Abweichung vonder gesetzlichen Zuständigkeit besonders gebildet und zur Entscheidunge<strong>in</strong>zelner konkreter oder <strong>in</strong>dividueller Fälle berufen s<strong>in</strong>d,,2o.Weiter verweistdas Bundesverfassungsgericht auf die "geschäftsordnungsmäßigeZuständigkeitsregelung imVerhältnis der Strafkammern bzw. Strafsenatezue<strong>in</strong>ander" und auf das Bestehen spezialisierter Strafkammern z. B. fürJugendangelegenheiten und für Wirtschafts- und Verkehrsdelikte. Eshielt deshalb die E<strong>in</strong>richtung spezieller Strafkammern für politische Straftatenfür gerechtfertigt. Laut BGH ist dafür zu sorgen, daß diese Kammern"e<strong>in</strong>en überblick über die gesamten verfassungsfe<strong>in</strong>dlichen Bestrebungenund ihre Verflechtungen untere<strong>in</strong>ander gew<strong>in</strong>nen, daß sieErfahrungen sammeln können und überörtliche Zusammenhänge, e<strong>in</strong>heitlicheMethoden sowie die eigentlichen Drahtzieher besser erkennen,,21.Me<strong>in</strong>e Kritik,die E<strong>in</strong>führung von Staatsschutzkammern im Jahr 1951stehe <strong>in</strong> der Tradition er on . te es ritten Reiches ,hat miren orwurf es niederländischen Strafrechtsgelehrten C. F. Rüter e<strong>in</strong>getragen,hier seien mir "die Pferde durchgegangen"23. Dazu e<strong>in</strong>igevergleichende Anmerkungen und Zitate über Funktion, Organisationund Auswahl der Richter sowie das Prozeßrecht an NS-Sondergerichtenund an Staatsschutzgerichten <strong>in</strong> der BRD.Aufgabe der Sondergerichte war, politische Gegner zu bekämpfen,e<strong>in</strong>zuschüchtern und auszuschalten. In se<strong>in</strong>er Dissertation aus dem Jahr1935 beschreibt der Nationalsozialist Wolfgang Idel, nach dem KriegRichter <strong>in</strong> der BRD, diese Funktion: "Der junge Staat brauchte e<strong>in</strong>schlagkräftiges Instrument <strong>in</strong> der Justiz zur Bekämpfung se<strong>in</strong>er zahlreichenFe<strong>in</strong>de, die sich natürlich besonders am Anfang nicht ohne weiteresder neuen Sach- und Rechtslage e<strong>in</strong>fügen wollten... "; auch sollten dieSondergerichte mithelfen, "die Gegner des Dritten Reiches, hauptsächlichKommunisten und Sozialdemokraten ... , vollständig auszurotten ,,24.E<strong>in</strong>em anderen nationalsozialistischen Juristen, Beamter beim Reichsjustizm<strong>in</strong>isterium,zufolge "... s<strong>in</strong>d Sondergerichte dazu berufen, durchschnelle und nachdrückliche Ausübung der Staatsgewalt darauf h<strong>in</strong>zuwirken,daß unruhige Geister gewarnt oder beseitigt werden"25.Auch die Staatsschutzgerichte der BRD werden zum Zeitpunkt ihrerEntstehung als Instrumente der Bekämpfung des <strong>in</strong>nerstaatlichen politischenFe<strong>in</strong>des betrachtet. So behauptete der CDU-Abgeordnete Wahl1949 während der Bundestagsdebatte über die E<strong>in</strong>führung des politischenStrafrechts und der Staatsschutzgerichte: ,,wie <strong>in</strong> den äußerenBeziehungen zwischen den Staaten hat sich neben dem Heißen Kriegder Kalte Krieg auch im Inneren entwickelt,,26. Daß diese Funktion <strong>in</strong>42den Jahren 1949 bis 1968 tatsächlich auch verwirklicht wurde, ist <strong>in</strong>Alexander von Brünnecks Standardwerk "<strong>Politische</strong> Justiz gegen Kommunisten<strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1968" ausreichenddokumentie~7.Organisatorisch gesehen waren die NS-Sondergerichte Teil der normalenrichterlichen Gewalt, "re<strong>in</strong> äußerlich nichts anderes ... als Spezialstrafkammern"28,was den E<strong>in</strong>druck entstehen lassen mußte, daß dortRecht gesprochen und nicht Politik betrieben wurde. Das gleiche läßtsich von den Staatsschutzgerichten sagen. E<strong>in</strong> Kommentar aus dem Jahr1951: "Die ,politischen' Strafkammern s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> jedem S<strong>in</strong>ne ordentlicheStrafkammern im S<strong>in</strong>ne des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung,und der Gesetzgeber hat sich bemüht, nicht den E<strong>in</strong>druckaufkommen zu lassen, als ob es sich hier um irgende<strong>in</strong>e Art vonSondergerichtsbarkeit handelt"29.Zwecks Zentralisierung der politischen Justiz und Vere<strong>in</strong>fachung derKontrollausübung wurden die NS-Sondergerichte nur bei den Landgerichtene<strong>in</strong>gerichtet, <strong>in</strong> deren Bezirk auch e<strong>in</strong> Oberlandesgericht war;genau dies gilt auch heute für die Staatsschutzkammern. über die Auswahlvon Richtern für die NS-Sondergerichte schrieb der Präsident e<strong>in</strong>esLandgerichts 1943 an den Präsidenten des OLG Hamburg: "Nur geeignete,politisch möglichst erfahrene Richter s<strong>in</strong>d mit der Arbeit im Sondergerichtbetraut worden"3o. Zu den Auswahlkriterien von Richtern für dieStaatsschutzkammern verweise ich auf die oben zitierten Kommentarevon Löwe-Rosenberg, Schmidt und Lehr.Prozesse vor Sondergerichten konnten schnell und reibungslos abgewickeltwerden (e<strong>in</strong>e gerichtliche Voruntersuchung und die Möglichkeit,Rechtsmittel e<strong>in</strong>zulegen, gab es nicht). Für diesen reibungslosen Ablaufspielte § 3 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft von1933 e<strong>in</strong>e wichtige Rolle; danach war es "Personen, die sich im kommunistischenS<strong>in</strong>ne betätigt haben", nicht erlaubt, Rechtsanwalt zu werden,oder, falls sie diesen Beruf bereits ausübten, war ihnen die weitereBerufsausübung verboten31 Kurze Zeit danach wurde e<strong>in</strong>e Verordnungerlassen, die bestimmte, daß die <strong>Verteidigung</strong> von Mitgliedern der kommunistischenPartei grundsätzlich "als Betätigung im kommunistischenS<strong>in</strong>ne" aufzufassen sei; der Kreis war damit geschlossen32. In der Praxisg<strong>in</strong>gen die Forderungen an die Verteidiger noch weiter. So schrieb e<strong>in</strong>damaliger Kommentator zur Reichs-Rechtsanwaltsordnung: "Es kann(. .. ) freier Anwalt nur der se<strong>in</strong>, dem durch se<strong>in</strong>e Blutzugehörigkeit zumdeutschen Volk die nationalsozialistische Weltanschauung Gewissen gewordenist,,33.Für die Verhandlung von <strong>Strafsachen</strong> vor den Staatsschutzgerichtenistauf gesetzlichem Weg ke<strong>in</strong> spezielles Prozeßrecht e<strong>in</strong>geführt wordene<strong>in</strong>nicht unwesentlicher Unterschied gegenüber den NS-Sondergerichten.Andererseits macht diese Abhandlung deutlich, daß mit Hilfe der43


JE<strong>in</strong>schränkung der Rechte der Angeklagten, der Beh<strong>in</strong>derung der Verteidigertätigkeit,der Krim<strong>in</strong>alisierung und Ausschließung von Verteidigernerreicht werden soll, daß Strafverfahren <strong>in</strong> Staatsschutzsachenmöglichst reibungslos abgewickelt werden können.Nun sollen nache<strong>in</strong>ander die jeweiligen gesetzlichen Grundlagen fürdie Strafverfolgung, die Ausgestaltung der Haftbed<strong>in</strong>gungen und dieBehandlung der Verteidiger im Jahr 1972 behandelt werden. Selbstverständlichist es den Strafverfolgungsbehörden (Bundesanwaltschaft undStaatsanwaltschaften) hier nicht möglich gewesen, völligeigenständig zuhandeln. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Maßnahmen für e<strong>in</strong>everschärfte Strafverfolgung auf Regierungsebene diskutiert, wenn nichtsogar entschieden wurden. E<strong>in</strong> Grund für die außergewöhnliche Komplexitätder Prozesse gegen Mitglieder der RAF war u. a. die totaleAussageverweigerung der Gefangenen auch über konkrete Tatsachender ihnen vorgeworfenen Tatbeteiligung, zumal es dafür ke<strong>in</strong>e Augenzeugengab. Auf Regierungsebene war man dr<strong>in</strong>gend daran <strong>in</strong>teressiert,die RAFradikalen Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> diesem Lande auch geben mag. Das ist e<strong>in</strong>e derwichtigsten Aufgaben"34.1 Empfehlungen "...völlig zu entsolidarisieren, des Bundeskrim<strong>in</strong>alamts sie von all dem (BKA)s<strong>in</strong>d zu isolieren, für was die Ausgestal­sonst antung der Haftbed<strong>in</strong>gungen sicherlich ausschlaggebend gewesen35. Allerd<strong>in</strong>gsbenötigte man selbstverständlich auch e<strong>in</strong>e entsprechende Mitarbeitder Richter. In den ersten Jahren waren - vor allem <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> - nochAbweichungen von der <strong>in</strong> Abschnitt 2 geschilderten e<strong>in</strong>heitlichen L<strong>in</strong>iefestzustellen. Die 1972 e<strong>in</strong>setzende Verfolgung der Verteidiger, die - wie<strong>in</strong> Abschnitt 3 noch zu schildern ist- den Charakter e<strong>in</strong>er Hetzkampagneannehmen sollte, dürfte das Ergebnis e<strong>in</strong>er konzertierten Aktion zwischenBKAund BAWgewesen se<strong>in</strong>. Angesichts der Funktionen des BKAals hauseigenem Ermittlungs- und Geheimdienstapparat des GBA liegte<strong>in</strong> Zusammenwirken auch auf propagandistischem Gebiet nahe.Neben den genannten Themengebieten gibt es noch e<strong>in</strong>e Reiheanderer, von deren Behandlung die Rechtsstellung der Gefangenen ausder Guerilla und ihrer Verteidiger abhängt und die der E<strong>in</strong>flußnahmedurch den GBA und das BKA unterliegen. Gedacht ist z. B. an dasZustandekommen e<strong>in</strong>er neuen Staatsschutzgesetzgebung von 1974 an(siehe Kapitel V und IX)und <strong>in</strong>ternationaler Abkommen über die "Terrorismus-Bekämpfung"sowie an die Bee<strong>in</strong>flussung der öffentlichen Me<strong>in</strong>ungzur Vorbereitung auf bestimmte noch zu treffende Maßnahmenund Gesetze. Letzteres wurde vom damaligen GBA Siegfried Buback als"offensive Information" bezeichnet: "Es komme darauf an, wie, wannund welche Informationen weitergegeben würden ... " (FAZ vom22.2.75); am 6.5.75 forderte er <strong>in</strong> der Fernsehsendung "Kennzeichen0" sogar, daß "... Journalisten sich darauf beschränken, Mittler zwi-44schen Polizei, Staatsanwaltschaft und Bevölkerung (zu se<strong>in</strong>)". Weiter istan die mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung stattf<strong>in</strong>dendeRegistrierung und Kontrolle vor allem der "L<strong>in</strong>ksextremen" gedacht.Dazu Bundesanwalt Träger <strong>in</strong> der Zeitschrift "Das Parlament" vom17.1.76: "Der moderne Staatsschutz muß nahezu alle Bereiche dessozialen Lebens umfassen ... ".1.1. § 129 StGB als Aufhänger für die Strafverfolgung§ 129. (Bildung krim<strong>in</strong>eller Vere<strong>in</strong>igungen)(1) Wer e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeitdarauf gerichtet s<strong>in</strong>d, Straftaten zu begehen, oder wer sich an e<strong>in</strong>er solchenVere<strong>in</strong>igung als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mitFreiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,1. wenn die Vere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>e politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgerichtnicht für verfassungswidrig erklärt hat,2. wenn die Begehung von Straftaten nur e<strong>in</strong> Zweck oder e<strong>in</strong>e Tätigkeit vonuntergeordneter Bedeutung ist oder3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vere<strong>in</strong>igung Straftaten nach den§ § 84 bis 87 betreffen.(3) Der Versuch, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Absatz 1 bezeichnete Vere<strong>in</strong>igung zu gründen, iststrafbar.(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder H<strong>in</strong>termännern oder liegtsonste<strong>in</strong> besonders schwerer Fall vor, so ist auf Freiheitsstrafe von sechsMonaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.(5) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld ger<strong>in</strong>g und deren Mitwirkungvon untergeordneter Bedeutung ist, von e<strong>in</strong>er Bestrafung nach denAbsätzen 1 und 3 absehen.(6) Das Gericht kann die Strafe nach se<strong>in</strong>em Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2)oder von e<strong>in</strong>er Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter1. sich freiwilligund ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vere<strong>in</strong>igungoder die Begehung e<strong>in</strong>er ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verh<strong>in</strong>dern,oder2. freiwilligse<strong>in</strong> Wissen so rechtzeitig e<strong>in</strong>er Dienststelle offenbart, daß Straftaten,deren Planung er kennt, noch verh<strong>in</strong>dert werden können; erreicht derTäter se<strong>in</strong> Ziel, das Fortbestehen der Vere<strong>in</strong>igung zu verh<strong>in</strong>dern, oder wird esohne se<strong>in</strong> Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.Ebenso wie bei den vielen anderen damals bereits <strong>in</strong>haftierten Personen,die der Mitgliedschaft <strong>in</strong> der RAF oder ähnlichen Organisationenverdächtigt wurden, stand auch bei der Strafverfolgung von "Baaderu. a. " das Delikt"Krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung" von Anfang an im Zentrum derAnklage. Dieses Organisationsdelikt sollte zur Drehscheibe der Strafverfolgungwerden. In der späteren Anklageschrift geht es um e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung,die sich den Umsturz der gesellschaftlichen und ökonomischenVerhältnisse <strong>in</strong> der BRD zum Zielgesetzt habe, und deren Handeln von45


dem Konzept e<strong>in</strong>er Stadtguerilla, wie es die revolutionäre Stadtguerillabewegung"Tupamaros" seit 1964 entwickelte, bestimmt sei. E<strong>in</strong> solcherUmsturz impliziert eo ipso e<strong>in</strong>e gewaltsame Veränderung der verfassungsmäßigenOrdnung der BRD und fälltdamit direkt unter den Straftatbestanddes Hochverrats als dem klassischen politischen Delikt.§ 81 Hochverrat gegen den Bund (1) Wer es unternimmt, mit Gewalt oderdurch Drohung mit Gewalt1. den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu bee<strong>in</strong>trächtigen oder2. die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhendeverfassungsmäßige Ordnung zu ändern,wird 36 mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unterzehn Jahren bestraft.(2) In m<strong>in</strong>der schweren Fällen istdie Strafe Freiheitsstrafe von e<strong>in</strong>em Jahr biszu zehn Jahren.Erfüllt wäre auch der Tatbestand des sogenannten Verfassungshochverrats,wie er <strong>in</strong> § 81 Abs. 1 Satz 2 StGB formuliert ist. "VersuchterVerfassungshochverrat" (§ 23 Abs. 2 und § 49 Abs. 1 StGB) kann, mußaber nicht milder bestraft werden als die ausgeführte Straftat. Die Vorbereitunge<strong>in</strong>es bestimmten Hochverratsunternehmens ist als gesonderteStraftat <strong>in</strong> § 83 StGB aufgeführt: ,,(1)Wer e<strong>in</strong> bestimmtes hochverräterischesUnternehmen gegen den Bund vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafevon e<strong>in</strong>em bis zu zehn Jahren, <strong>in</strong> m<strong>in</strong>der schweren Fällen von e<strong>in</strong>em biszu fünf Jahren bestraft".Unter e<strong>in</strong>er Veränderung der verfassungsmäßigen Ordnung wirdnicht nur die Abschaffung oder Nicht-Anwendung konstitutioneller Normenverstanden, sondern auch e<strong>in</strong> tatsächlicher E<strong>in</strong>griff,mit dem fundamentalekonstitutionelle Organe abgeschafft oder für gewisse Zeit entmachtetwerden37. Das Mittel "Gewalt" oder "Androhung von Gewalt"kann unter Umständen auch e<strong>in</strong>en Massenstreik oder e<strong>in</strong>e Massendemonstrationumfassen38. Von der strafbaren Vorbereitung e<strong>in</strong>er hochverräterischenUnternehmung ist die Rede, wenn das Angriffszielfeststehtund Ort und Zeitpunkt des Unternehmens weitgehend bestimmts<strong>in</strong>d39. Für die Annahme,daß es sich um e<strong>in</strong>e strafbare Vorbereitunghandelt (dazu zählt auch die mittelbare Vorbereitung oder die Vorbereitungder Vorbereitung) ist es nicht notwendig, daß für den Staat tatsächliche<strong>in</strong>e konkrete Gefahr gegeben ist; es istausreichend, daß die Vorbereitunge<strong>in</strong>en bestimmten Grad der Gefährlichkeit erreicht hat40. AlsMittelder Vorbereitung kommt so gut wie alles <strong>in</strong> Betracht, das Sammelnvon Geld ebenso wie die "geistige oder seelische Bee<strong>in</strong>flussung derBevölkerung des Staates (. .. ), gegen den das Unternehmen geplantist,,41.Wegen der von der RAF seit 1970 herausgegebenen Schriften, derBombenanschläge und der dazu abgegebenen Kommandoerklärungen,deren Echtheit sehr schnell feststand, und wegen der Tatsache, daß46Gefangene aus der RAF sich e<strong>in</strong>deutig zur Mitgliedschaft <strong>in</strong> dieser Organisationbekannten (und bekennen), hätte e<strong>in</strong>e Strafverfolgung vonMitgliedern dieser Organisation wegen des Versuchs oder der Vorbereitunge<strong>in</strong>er hochverräterischen Unternehmung wahrsche<strong>in</strong>lich relativ wenigBeweisführungsprobleme ergeben.Auch die Staatsschutzkammer des Land erichts Kaiserslautern g<strong>in</strong>gnoch im 19 von der Mö lichkeit aus, a " aa er u. a."we en Hochverrats strafrechtlich belangt wer en könnten. In e<strong>in</strong>er nichtveröffentlichten ntsc eidung vom eschließt dieses Gericht,die ihm vorliegende Strafsache gegen drei RAF-Mitglieder, die zum Teilderselben Straftaten wie "Baader u. a. " verdächtigt wurden, dem Bundesgerichtshofvorzulegen "mit der Anregung, sie gegebenenfalls vonAmts wegen mit der bei dem Oberlandesgericht <strong>in</strong> Stuttgart anhängigenStrafsache gegen Baader u. a. -1 StE 1/74 des Generalbundesanwaltes- zu verb<strong>in</strong>den ,,42.In der Begründung dieser Entscheidung heißt es nache<strong>in</strong>er Diskussion der Frage, warum die "rechtlich zulässige Verb<strong>in</strong>dungbeider <strong>Strafsachen</strong>(. .. ) auch zweckmäßig (sei)":"Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß bei Durchführung des Hauptverfahrensdie den Angeschuldigten vorgeworfenen Taten unter dem Gesichtspunktdes Hochverrats (§§ 81, 83 StGB) Bedeutung gew<strong>in</strong>nen. Das Ermittlungsergebnisüber die Bestrebungen und Ziele der ,Roten Armee Fraktion' .(RAF) sowie Vorgänge <strong>in</strong> jüngster Vergangenheit geben hierzu Anlaß".In ihrem Plädoyer gegen "Baader u. a." hat die Bundesanwaltschafterklärt, daß aus strafrechtsdogmatischen Gründen von e<strong>in</strong>er Strafverfolgungwegen (Vorbereitung von) Hochverrats abgesehen wurde, "mangelsBestimmtheit nach Zeit, Ort und Art des Unternehmens"43. DieBAW stützte sich jedoch auf e<strong>in</strong> BGH-Urteil aus dem Jahr 195444, dasbereits zu jener Zeit "scharf kritisiert worden ist,,45und zudem e<strong>in</strong>emvöllig anderen geschichtlichen Rahmen entstammte, wie der Experte fürStaatsschutzstrafrecht, F. ehr. Schroeder, 1980 noch e<strong>in</strong>mal konstatierte46.Erist auch der Me<strong>in</strong>ung, ohne allerd<strong>in</strong>gs zu e<strong>in</strong>em def<strong>in</strong>itiven Urteilzu kommen, daß auch die RAF <strong>in</strong> bestimmter H<strong>in</strong>sicht "über die M<strong>in</strong>desterfordernisseder Vorbereitung e<strong>in</strong>es hochverräterischen Unternehmensweit h<strong>in</strong>ausgegangen (sei)"47.Den Strafverfolgungs<strong>in</strong>stanzen standen damit von Anfang an dreiMöglichkeiten zur Auswahl: Strafverfolgung wegen (Vorbereitung von)Hochverrats und der <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von den Beteiligtenbegangenen konkreten Straftaten, wegen Bildung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igungund der <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von den Beteiligten begangenenkonkreten Straftaten oder wegen jeweils gesondert aufgeführterStraftaten wie Bankraub, Sprengstoffanschlägen usw.Der ehemalige GBA Ludwig Markus.M9rti~der für die Strafverfolgunggegen Gefangene aus der RAF bis zur Ablösung durch SiegfriedBuback im April 1974 zuständig war, schrieb 197548, daß man sich für47


j§ 129 der Staatsschutzabteilung der BAWals Aufhänger dienen konnte,~ um e<strong>in</strong>edie Strafverfolgung Gruppe als Ganzes wegen verfolgen krim<strong>in</strong>eller zu können. Vere<strong>in</strong>igung Im anderen entschied, Fall hätten weildie Angeschuldigten wegen gesondert aufgeführter konkreter Straftatenvon den verschiedenen Staatsanwaltschaften der e<strong>in</strong>zelnen Bundesländerverfolgt werden müssen. Mit dieser Argumentation wird jedoch nurdie Wahl zwischen der zweiten und der dritten Möglichkeit begründet,und auch das nur teilweise. Hauptursache für die Entscheidung zwischendiesen beiden Möglichkeiten sche<strong>in</strong>t die schwierige Beweislage gewesenzu se<strong>in</strong>. Von der ersten Verhaftung e<strong>in</strong>es Mitglieds der RAF an wardeutlich geworden, daß diese Beschuldigten nichts zur Rekonstruktiondes Hergangs der ihnen angelasteten Straftaten beitragen würden. E<strong>in</strong>ealle<strong>in</strong> auf der dritten Möglichkeit basierende Strafverfolgung wäre wahrsche<strong>in</strong>lichan der nahezu unüberw<strong>in</strong>dbaren Beweisnot gescheitert. DieseBeweisno~ab die BAW auch von Anfang an zu. Die Anklage hätte diepersönliche Beteiligung an konkreten, im Rahmen e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenkulierte deshalb darauf, daß Lücken <strong>in</strong> der Beweisführung <strong>in</strong> dem Maßihre Problematik verlieren würden, <strong>in</strong> dem das Bestehen e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung und die Zugehörigkeit der Beschuldigten zu ihr (als"Rädelsführer", wie es <strong>in</strong> der Anklage heißt) deutlicher würde.IVere<strong>in</strong>igung verübten Straftaten nicht beweisen können. Die BAWspe­Der Straftatbestand über die "Krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung" weist als Organisationsdeliktzahlreiche Parallelen mit dem anglo-amerikanischen conspiracy-Delikt,der Verschwörung, auf, wozu vor allem die relativ unproblematischeBeweisführung zählt. Bei e<strong>in</strong>er "Krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung"braucht im Pr<strong>in</strong>zip nur nachgewiesen zu werden, daß für kürzere oderlängere Zeit e<strong>in</strong> Arbeitszusammenhang zwischen den Beschuldigten bestandenhat, daß sich aus ihm Gesetzesverletzungen ergaben oder sie zuden wahrsche<strong>in</strong>lichen Konsequenzen gehörten. Für e<strong>in</strong>e Verurteilungwegen "conspiracy" ist es pr<strong>in</strong>zipiellzum<strong>in</strong>dest notwendig, zu beweisen,daß zwischen zwei Jder mehr Personen konkrete Absprachen über dasBegehen spezifischer Straftaten gemacht wurden49. Vorallem wegen dergroßen Elastizitätder BeweismöglichkeitenSOwird das "conspiracy" Deliktals "darl<strong>in</strong>g of themodern prosecutor's nursery"Sl und als "mosteffective, ifnot the only method of reach<strong>in</strong>g and punish<strong>in</strong>g many forms ofcomplex crim<strong>in</strong>al organisations"s2 gesehen. Die Effektivität ergibt sichvor allem aus dem taktischen Vorteilder Strafverfolgungsbehörden: "Bycharg<strong>in</strong>g 'conspiracy" he can reach persons who might escape convictionjf they were proceeded aga<strong>in</strong>st separately or if they were chargedwith accomplished harm to the community"S3. Nicht umsonst zielt dasVerschwörungsdelikt darauf ab, "to make it easier to impose crim<strong>in</strong>alpunishment on members of groups that plot forbidden activity" 54.Im 19.Jahrhundert wurde das "conspiracy" -Delikt <strong>in</strong> England u. a. zum Brechendes organisierten Arbeiterwiderstands, der sich zumeist <strong>in</strong> Streiks48äußerte, herangezogenss. Auch <strong>in</strong> der BRD ist es unter UmständenDie Parallelen zwischen den Organisationsdelikten "conspiracy" und"Krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung" liegen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie bei e<strong>in</strong>em beweistechnischvere<strong>in</strong>fachten strafrechtlichen Zugriff auf (politische) Gruppenkrim<strong>in</strong>alitäf7.möglich, e<strong>in</strong>en Da Massenstreik sich die "conspiracy" als Vergehen Konstruktion gegen § 129 nur zu schwerlich bewertenS6./ mitklassi-schen liberalen Strafrechtsgrundsätzen vere<strong>in</strong>baren läßt, kommtsie <strong>in</strong> den westeuropäischen kont<strong>in</strong>entalen Strafrechtssystemen auch sogut wie nie vor. Auch das westdeutsche Strafrecht kennt diese Rechtsfigurnicht.Auch bei e<strong>in</strong>er Strafverfolgung wegen Hochverrats hätte die BAWdiegesamte Gruppe getroffen. E<strong>in</strong>e Verurteilung wegen (versuchten) Hochverratsläßt lebenslängliche Freiheitsstrafen zu, e<strong>in</strong>e Verurteilung wegenVorbereitung zum Hochverrat e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe von zehn Jahren.Diese Strafen liegen also wesentlich höher, als sie bei Verurteilungen aufder Basis e<strong>in</strong>er "Krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung" möglich s<strong>in</strong>d. Die konkretenE<strong>in</strong>zelstraftaten, deren <strong>in</strong>dividuelle Zuweisung sich als so ungeme<strong>in</strong>schwierig erwies, hätten als "Wechselgeld" benutzt werden können.Angesichts dieser Möglichkeiten bleibt die Frage offen, warum man sichnicht für e<strong>in</strong>e Strafverfolgung wegen Hochverrats entschied. Dies ersche<strong>in</strong>tumso verwunderlicher, als "Baader u. a. " seit 1970/71 von allenVerantwortlichen öffentlich permanent als der "harte Kern", als dieGründer und Anführer der RAF dargestellt wurdens8.Die Antwort kann me<strong>in</strong>es Erachtens nur <strong>in</strong> den Bemühungen vonBundesregierung, BAW und BKA zu sehen se<strong>in</strong>, die politische Dimensionaus der Konfrontati· F herauszuhalt Oder <strong>in</strong> deno en oac im Wagners: "Hätte die Bundesanwaltschaft Baader undMe<strong>in</strong>hof auch wegen Vorbereitung e<strong>in</strong>es hochverräterischen Unternehmensangeklagt, wären diese dadurch als politische Straftäter aufgewertetworden"s9. E<strong>in</strong>e Anklage wegen Hochverrats könnte gewissermaßenals Anerkennung e<strong>in</strong>er grundsätzlichen politischen Opposition - sei sieauch noch so ger<strong>in</strong>g - aufgefaßt werden, und folglichauch als Anerkennunge<strong>in</strong>er legitimen Konfrontation zwischen RAF und BRD. Das aberhätte bedeutet, daß das politische Konzept dieser Opposition im Zentrumder Prozeßführung hätte stehen müssen, daß Ziele und MittelderAngeklagten nicht oder nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Umfang mit normalen krim<strong>in</strong>ellenbzw. krim<strong>in</strong>alistischen Maßstäben hätten gemessen werden können,und daß die BRD wegen ihrer von der RAF behaupteten direktenBeteiligung am Krieg <strong>in</strong> Vietnam selbst hätte auf der publizistischenAnklagebank landen können. E<strong>in</strong>e schier endlose Reihe öffentlicherÄußerungen verantwortlicher Politiker und -Behördensprecher von1970 bis heute illustrieren den festgelegten Kurs: die Politik muß "draußen,vor der Tür zum Gerichtssaal" bleiben, wie das der Vorsitzende des<strong>Stammheim</strong>er Gerichts nach der Urteilsverkündung noch e<strong>in</strong>mal beton-49


te60. Diese Betonung war notwendig geworden, weiltrotz der Strafverfolgungwegen krim<strong>in</strong>eller Vere<strong>in</strong>igung der politische Kontext doch nochmehr oder weniger im Prozeß offen geworden war.Es bleibt undeutlich, wie bewußt und von welchen staatlichen Instanzendiese Entscheidung, die politische Dimension <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzungmit der RAFzu unterdrücken, getroffen wurde. Schon das Ausrufender RAF zum Staatsfe<strong>in</strong>d Nummer E<strong>in</strong>s taucht diese Entscheidung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zweifelhaftes Licht61. Beachtenswert sche<strong>in</strong>t mir auch die Tatsache, daßgerade durch Äußerungen der Instanzen, die an erster Stelle für dieBekämpfung der RAF zuständig waren und s<strong>in</strong>d, die absoluten Verne<strong>in</strong>erpolitischer Inhalte im RAF-Konzept unglaubwürdig werden. So erklärteder Präsident des BKA, Dr. Horst Herold, am 22.8.75 <strong>in</strong> derFernsehsendung "Tatort Bundesrepublik": -"Zunächst wäre da die Frage zu klären nach den Ursachen. Ob, wie das <strong>in</strong>Ihrer Frage durchsche<strong>in</strong>t, der Terrorismus e<strong>in</strong> Produkt der Hirne ist, e<strong>in</strong>Produkt des Denkens der Baaders und Me<strong>in</strong>hofs, was dann zu der Annahmeführen würde: wenn Baader und Me<strong>in</strong>hof elim<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d, wäre auch dieErsche<strong>in</strong>ung elim<strong>in</strong>iert. Dem ist nicht so. Sondern die Ursachen liegen <strong>in</strong> dengewissen Widersprüchen unserer hoch<strong>in</strong>dustrialisierten Gesellschaft, überhauptder westlichen und östlichen Welt. Es s<strong>in</strong>d objektive Bed<strong>in</strong>gungen, diedie Baaders und die Me<strong>in</strong>hofs auf den Plan rufen, wenn eben die historischeSituation solche Ersche<strong>in</strong>ungen gewissermaßen hervorruft. So verstehen sichdie Terroristen auch. (... )Und ihre Auffassung von der augenblicklichen historischen Phase ist ebendie, daß es unerträglich ersche<strong>in</strong>t - ich spreche jetzt <strong>in</strong> deren Jargon - daß esunerträglich ersche<strong>in</strong>t, hier <strong>in</strong> der BRD e<strong>in</strong>e Welt des Wohlstands auf Kostender Dritten Welt aufgebaut zu haben. Wenn wir<strong>in</strong> vollen Zügen den Wohlstandgenießen, so doch nur deshalb, weil andere ihn zu Millionen und MilliardenMenschen nicht haben"62.Aus dieser Aussage Herolds läßt sich zwar noch ke<strong>in</strong>e Anerkennungder RAF als "politischem Gegner" entnehmen, dennoch gibt Herold zuerkennen, daß die RAF ("die Baaders und Me<strong>in</strong>hofs") als e<strong>in</strong> Resultatobjektiver Gegebenheiten e<strong>in</strong>er konkreten historischen Situation, diedurch Widersprüche zwischen den hoch<strong>in</strong>dustrialisierten Gesellschaftenund der Dritten Welt gekennzeichnet ist, gesehen werden kann.H<strong>in</strong> und wieder jedoch wurden der westdeutschen Justiz wegen derArt und Weise ihrer Versuche, Gefangene aus der RAFals "re<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>elleVerbrecher" abzustempeln, aus völlig unverdächtigem Munde Rügenerteilt. So sagte zum Beispiel Richard Schmid, vormals Präsident desOLG Stuttgart, im Süddeutschen Rundfunk am 2.7.75:50"Wenn auch die Mittel gewiß krim<strong>in</strong>ell s<strong>in</strong>d, so ist doch trotzdem die Tatpolitisch motiviert, und darauf kommt es an. Das ist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der Geschichte desStrafrechts häufige Ersche<strong>in</strong>ung, ebenso wie es bei solchen Taten auch unbeteiligteOpfer gibt. Gegen alle Logik daraus Stimmung mit dem populären S<strong>in</strong>ndes Wortes "krim<strong>in</strong>ell" zu machen, ist e<strong>in</strong>er Justizbehörde unwürdig"63.Auf jeden Fall waren die westdeutschen Behörden gezwungen, dieErgebnisse wissenschaftlicher Me<strong>in</strong>ungsbefragungen des Jahres 1971,die für sie durchaus alarmierend gewesen se<strong>in</strong> müssen, zu berücksichtigen.Diese Untersuchungen zeigten, daß 18 Prozent der jugendlichenBevölkerung und 25 Prozent der 19 bis 24 Jahre alten Bürger so weitgehendmit der RAF sympathisierten, daß sie e<strong>in</strong>e strafrechtliche Verfolgung<strong>in</strong> Kauf nehmen würden, um Mitglieder der RAFvor der Polizei zuverstecken64."Im März 1971 kennt fast jeder erwachsene Deutsche die Baader-Me<strong>in</strong>hof­Gruppe - 82 % kennen die Namen Baader und Me<strong>in</strong>hof. .. ",,18 % glauben, sie handeln aus politischen Motiven, weitere 13 % s<strong>in</strong>d nochunentschieden".(Allensbach / März 71)"E<strong>in</strong> dreiviertel Jahr später hat sich das Bild entscheidend verschoben.Nach Großfahndung und Schußwechseln, nach dem Tod der Anarchist<strong>in</strong>Petra Schelm und des Polizisten Norbert Schmid, billiaen 40 % der erwachsenenGesamtbevölkerung der Gruppe politische ~tive~ 17 % s<strong>in</strong>d unentschieden".(Emnid / November"Der Kreis der Sympathisanten der BM-Gruppe war im Frühjahr 1971erstaunlich groß ... jeder fünfte Bundesbür er to 'erte den Schutz der Anarchistenvor Ve un "."Jeder siebte Bundesbürger wollte im Frühjahr 71 nicht ausschließen, daßer e<strong>in</strong> Mitglied der Gruppe für e<strong>in</strong>e Nacht aufnehmen würde, um es vor derPolizei zu schützen, 6 % bezeichneten sich sogar völlig fremden Interviewerngegenüberals potentielle Helfer der Anarchisten"."In den vier Küstenländern, wo die Großfahndung Juli 1971 lief,bezeichnetensich (Emnid-Umfrage fünf Tage später) 10 % als Sympathisanten".,,(Diese) Entschlossenheit zur Unterstützung dürfte sich auch unter demE<strong>in</strong>druck der Bombenattentate vom Frühjahr 1972 nicht geändert haben".Betrachtet man diese Zitate vom Gesichtspunkt e<strong>in</strong>er effektiven Bekämpfungder RAF aus, so ist offensichtlich, daß den Behörden vieldaran liegen mußte, das Bild von der RAF als politisch motivierterGruppierung zu "korrigieren" und ihm das Bild e<strong>in</strong>er "re<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>ellenBande" gegenüberzustellen. Außerdem galt eS,den Kreis der (potentiellen)Sympathisanten - die Ermittlungen und Bekämpfung erheblichbeh<strong>in</strong>dern konnten - e<strong>in</strong>zudämmen65.2. Gestaltung der Haftbed<strong>in</strong>gungenDie Gestaltung der Untersuchungshaft be<strong>in</strong>haltet im vorlie~enden Fallstrafrechtstheoretisch zwei Probleme. Erstens bef<strong>in</strong>den sich das e<strong>in</strong>schneidendeZwangsmittel der vorläufigen Freiheitsentziehung, die Untersuchungshaft,und der rechtsstaatliche Grundsatz der Unschuldsvermutungschon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gespannten Verhältnis zue<strong>in</strong>ander66. DiesesSpannungsverhältnis wird noch problematischer, wenn der vorläufig In-51•


haftierte längere Zeit e<strong>in</strong>sitzt und er außer dem Freiheitsentzug weiterenE<strong>in</strong>schränkungen unterworfen ist.Das zweite Problem ergibt sich aus dem möglichen KonfliktzwischenForderungen der Justizbehörden wie z. B. E<strong>in</strong>zelhaft, Besuchsverbot,Postverbot, und den Grundrechten des Individuums wie z. B. Informations-und Me<strong>in</strong>ungsfreiheit, Recht auf körperliche Unversehrtheit.Beide Problembereiche kulm<strong>in</strong>ieren, wenn die Behandlung des Untersuchungshäftl<strong>in</strong>gse<strong>in</strong>e Verletzung von Artikel 3 der europäischenKonvention zum Schutz der Menschenrechte und der vom Grundgesetzgarantierten Freiheitsrechte darstellt:"No one shall be subjected to tortureor to <strong>in</strong>human or degrad<strong>in</strong>g treatment or punishment"67.Die Grundregeln für die Gestaltung der Untersuchungshaft <strong>in</strong> derBRD s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> §119 StPO 68<strong>in</strong> sehr allgeme<strong>in</strong> gehaltenen Formulierungenfestgelegt; dieser Paragraph war als Magna Charta des Untersuchungshäftl<strong>in</strong>gsgedacht69. Kraft § 119 Abs. 6 können die Haftbed<strong>in</strong>gungen fürjeden e<strong>in</strong>zelnen Untersuchungshäftl<strong>in</strong>g gesondert durch richterliche Verfügunggeregelt werden. Die Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO)hat als Sammlung allgeme<strong>in</strong>er verwaltungsrechtlicher Bestimmungenfür die Gefängnisleitungen und als Rahmen der Gestaltung derUntersuchungshaft gemäß § 119 für den Richter ke<strong>in</strong>en b<strong>in</strong>dendenCharakter7o. Dem Untersuchungshäftl<strong>in</strong>g dürfen nur solche Beschränkungenauferlegt werden, wie sie "der Zweck der Untersuchungshaftoder die Ordnung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt erfordert" (§ 119 Abs. 3). Zweckder Untersuchungshaft s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die im Haftbefehl angeführtenGründe, <strong>in</strong> ihrer Allgeme<strong>in</strong>heit aber dient sie der Abwehr von Flucht undVerdunklung und <strong>in</strong> besonderen Fällen der Wiederholung (§§ 112, 112aStPO). Die Ordnung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt umfaßt Begriffe wie "Ruhe"und "Sicherheit"; als Kriterien für die Bestimmung von E<strong>in</strong>schränkungenalso äußerst dehnbare Begriffe. Diese Flexibilität kommt auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emUrteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, <strong>in</strong> dem es heißt, essei zu berücksichtigen, "daß das Funktionieren des Ablaufs des Lebens<strong>in</strong> der Anstalt nicht <strong>in</strong> Frage gestellt wird"71.Die §§ 125 und 126 StPO regeln, welcher Richter zuständig ist,Entscheidungen bezüglich der (Ausgestaltung der) Untersuchungshaft zutreffen. Die Regierungen der Bundesländer können die Zuständigkeit füralle die Untersuchungshaft betreffenden Angelegenheiten besonderenAmtsgerichten zuweisen72. In Staatsschutzverfahren s<strong>in</strong>d entweder derRichter am Amtsgericht, der Ermittlungsrichter am OLG oder - falls derGBA von se<strong>in</strong>em Evokationsrecht Gebrauch machen sollte - derErmittlungsrichteram BGH entscheidungsbefugt73. Demzufolge können sichbei Staatsschutzsachen Richter aller Rangordnungen mit Fragen derUntersuchungshaft befassen.Obwohl zahlreiche Richter verschiedener Gerichts<strong>in</strong>stanzen <strong>in</strong> Haftsachenzuständig gewesen waren, zeigte sich schon seit den ersten52Verhaftungen 1971, daß die meisten wegen § 129 StGB e<strong>in</strong>sitzendenUntersuchungshäftl<strong>in</strong>ge (Mitglieder des Sozialistischen Patienten-KollektivsSPK und der RAF) auf besondere, bis dah<strong>in</strong> nicht angewandteArt und Weise "verwahrt" wurden. Diese Sonderbehandlung äußertesich z. B. <strong>in</strong> den folgenden Maßnahmen: strenge E<strong>in</strong>zelhaft, täglicheE<strong>in</strong>zelfreistunde unter Abschirmung von allen anderen Gefangenen,Ausschluß von allen Geme<strong>in</strong>schaftsveranstaltungen (wie Filmvorführungen,Fernsehen, Duschen, Gottesdienst, Sport), laufende Kontrolle- auch nachts - durch den "Spion" <strong>in</strong> der Zellentür, Leerstehen derZellen neben, über und unter der Zelle des Gefangenen, Post- undBesuchsverbote (Familienangehörige ausgenommen). Die Gesamtheitdieser Maßnahmen - die Isolationshaft - wirkte sich für die Gefangenenals "Gefängnis <strong>in</strong>nerhalb des Gefängnisses" aus. Die Kontakte zurAußenwelt beschränkten sich auf die Verteidiger, streng kontrolliertePost und Besuche von Angehörigen74. Wie außergewöhnlich dieseRegelungen waren, wurde zunächst von den Verteidigern der Gefangenenfestgestelles. Aber auch die geltenden Bestimmungen überdenVollzug der Untersuchungshaft bestätigten den Ausnahmecharakterder neuen Maßnahmen. Immerh<strong>in</strong> def<strong>in</strong>iert § 60 UVollzO (<strong>in</strong> deme<strong>in</strong>zig das Leerräumen benachbarter Zellen als mögliche Maßnahmegenannt wird) e<strong>in</strong>e Behandlung, die auf e<strong>in</strong>e weitgehende Isolation<strong>in</strong> Form "strenger E<strong>in</strong>zelhaft" h<strong>in</strong>ausläuft, deutlich als Ausnahme,die nur aufgrund "erheblicher Verdunklungsgefahr" und auch dannnur für begrenzte Zeit angeordnet werden darf76. Die Anordnungzeitlich unbegrenzter strenger E<strong>in</strong>zelhaft gegen Gefangene aus derGuerilla wurde jedoch mit pauschalen Begriffen wie "erhöhteWiderstands- und Befreiungsgefahr" ohne Angabe von Tatsachenbeweisenbegründet 77.Alle Versuche seitens der Verteidiger, mit Hilfe von Rechtsmittelne<strong>in</strong>e Veränderung dieser Haftbed<strong>in</strong>gungen zu erreichen, scheiterten ­auch auf höchstrichterlicher Ebene78.Mitte 1972, vor allem nach der Verhaftung von "Baader u. a. ", verschwandendie meisten der bis dah<strong>in</strong> noch bestehenden Unterschiede<strong>in</strong> der Behandlung von Gefangenen, die nach § 129 verfolgt wurden.Verständlich ist diese Entwicklung angesichts der Richtl<strong>in</strong>ienfunktionder vom Ermittlungsrichter des BGH erlassenen und von dessen drittenSenat stets bestätigten Verfügungen zur Gestaltung der Untersuchungshaftvon "Baader u. a.,m. Obwohl die besonderen Bed<strong>in</strong>gungenfür die Untersuchungshaft formal von verschiedenen Haftrichternerlassen wurden, manchmal auf Ersuchen des GBA h<strong>in</strong>, läßt sich ausdem spezifischen Charakter dieser Bed<strong>in</strong>gungen, aus der Anwendungauf alle Gefangenen aus der Guerilla und aus dem Scheitern der Verteidigerbemühungenum Veränderung bzw. Verbesserung dieser Situationableiten, daß die BAW und das BKA wesentlich an Konzep-53


tion und Durchsetzung dieses Sonderhaftstatus beteiligt waren. Anfang1976 gab der damalige GBA Buback dies <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit demSpiegel auch <strong>in</strong>direkt zu 80.Schlüsselbegriff für die Haftbed<strong>in</strong>gungen ist Isolation. Hier e<strong>in</strong> Beispiel81:Die am 22. 10. 71 wegen Verdachts der Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung und des verbotenen Waffenbesitzes verhafteteMargrit Schiller wurde direkt im Anschluß an ihre Festnahme folgendenHaftbed<strong>in</strong>gungen unterworfen:1. Strenge E<strong>in</strong>zelhaft,2. Fesselung der Hände auf dem Rücken, wenn sich MargritSchiller außerhalbder Zelle aufhält,3. Fesselung auch während der Bewegungsstunde,4. Dauerbeleuchtung <strong>in</strong> der Zelle bei Tag und Nacht,5. Entzug aller E<strong>in</strong>richtungsgegenstände,6. Anstaltskleidung statt privater Kleidung,7. am Abend Entzug auch der Anstaltskleidung.Dieses Beispiel ist vor allem deshalb aufschlußreich, weil die vone<strong>in</strong>em Hamburger Richter erlassenen Haftbed<strong>in</strong>gungen, die Reaktionder Verteidiger darauf und die folgenden Ereignisse sofort deutlich machen,<strong>in</strong> welchem Spannungsfeld sich die Arbeit der Verteidiger <strong>in</strong> solchen<strong>Strafsachen</strong> vollziehen sollte.Am 28. 10.71 erstatteten die Stuttgarter Rechtsanwälte Dr. KlausCroissant und Jörg Lang gegen den Richter, der diese Maßnahmen zuverantworten hatte, Anzeige. Die Anwälte behaupteten, daß solcheMaßnahmen gegen e<strong>in</strong>e bis auf weiteres als unschuldig zu betrachtendeUntersuchungsgefangene außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens lägenund <strong>in</strong> eklatantem Widerspruch zu geltendem Recht, dem Grundgesetzund <strong>in</strong>ternational anerkannten Menschenrechten stünden. Zur Veranschaulichungwurden die betreffenden Bestimmungen nache<strong>in</strong>anderzitiert: unter anderem Artikel 1 GG ("Die Würde des Menschen istunantastbar"); Artikel 104 Abs. 2 GG ("Festgehaltene Personen dürfenweder seelisch noch körperlich mißhandelt werden"); Artikel 3 undArtikel 6 Absatz 2 des Vertrags von Rom von 1950; Artikel 88 Absatz 1der UNO-Standard M<strong>in</strong>imum Rules for the Treatment of Prisoners ("Anuntried prisoner shall be allowed to wear his own cloth<strong>in</strong>g ifit isclean andsUitable"); § 136a StPO ("Die Freiheit der Willensentschließung und derWillensbetätigung des Beschuldigten darf nicht bee<strong>in</strong>trächtigt werdendurch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperliche E<strong>in</strong>griffe,durch Verabreichung von Mitteln, Quälerei, durch Täuschung oderdurch Hypnose"); § 119 Abs. 3 StPO <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Grundsatzder Verhältnismäßigkeit; Artikel 1 Abs. 3 UVollzO ("Die Persönlichkeitdes Untersuchungsgefangenen ist zu achten und se<strong>in</strong> Ehrgefühl zu schonen.Im Umgang mit ihm muß selbst der Ansche<strong>in</strong> vermieden werden,als ob er zur Strafe festgehalten werde. Die Untersuchungshaft ist so zu54vollziehen, daß der Gefangene ke<strong>in</strong>en sittlichen oder körperlichen Schadenleidet"). Den Abschluß der Anklageschrift der Verteidiger bildet diefolgende Passage:"Für diese Maßnahme gibt es ke<strong>in</strong>e Rechtfertigung. Es gibt nur die Erklärung,daß der Mensch Margrit Schiller systematisch und bewußt gequält,se<strong>in</strong>er Freiheit beraubt und entwürdigt werden soll, um vor aller Öffentlichkeite<strong>in</strong> abschreckendes Strafexempel zu statuieren und um e<strong>in</strong>en Untersuchungsgefangenenfür Aussagen vor dem Ermittlungsrichter mürbe zu machen!Damit hat Haftrlchter Müller gegen alle oben genannten Gesetze verstoßen.Da e<strong>in</strong>em Richter nicht die Unkenntnis dieser Gesetze und Rechtsgrundsätzeabgenommen werden kann, die er <strong>in</strong> der täglichen Praxis anzuwenden hat,hat er das Recht vorsätzlich gebeugt82.Die Maßnahme des Haftrlchters Müller stellen e<strong>in</strong>e erschreckende Anschlußtatan die sogenannte Pressekonferenz dar, zu der der HamburgerPolizeipräsident Redd<strong>in</strong>g die festgenommene Margrit Schiller wie e<strong>in</strong> Tiergewaltsam vorführen ließ 83.Die hier e<strong>in</strong>geschlagene Entwicklung muß klarerkannt werden. Es darf nicht geduldet werden, daß auf Rechtsstaat undVerfassung vereidigte Richter und Beamte heute noch unter eklatanter Mißachtungaller Gebote unseres Grundgesetzes Brutalitäten und Gewaltmaßnahmenbegehen, die im öffentlichen Bewußtse<strong>in</strong> bisher nur im Zusammenhangmit der Tätigkeit der ehemaligen Gestapo und offen faschistischer Regimevorstellbar s<strong>in</strong>d".Wegen dieser Anzeige und e<strong>in</strong>er gleichlautenden, beim zuständigenAmtsgerichtspräsidenten e<strong>in</strong>gereichten Dienstaufsichtsbeschwerde, erstatteteder Präsident des Amtsgerichts Anzeige gegen Croissant undLang wegen Beleidigung. Der Stuttgarter Anwaltskammer teilte er mit:"Das Verhalten der Rechtsanwälte Dr. Croissant und Lang ist me<strong>in</strong>esErachtens geeignet, das Ansehen der Rechtsanwaltschaft <strong>in</strong> erheblichemMaße zu bee<strong>in</strong>trächtigen". Danach wurden gegen Croissant und Langsowohl ehrengerichtliche als auch strafrechtliche Verfahren e<strong>in</strong>geleitet.Zwei Komponenten kennzeichnen die Isolation der Gefangenen ausder RAF: 1. gefängnis<strong>in</strong>terne Isolation, also ihre Abschirmung gegenüberanderen Gefangenen und 2. Isolation gegenüber der Außenwelt. '2.1. Interne IsolationUntersuchungsgefangene werden grundsätzlich getrennt von rechtskräftigverurteilten Gefangenen (Strafgefangenen) untergebracht84. Gemäߧ 119 Abs. 1 StPO hat der Untersuchungshäftl<strong>in</strong>g Anrecht auf e<strong>in</strong>eeigene Zelle85. Aufgabe der Vollzugsanstalt ist es, zu verh<strong>in</strong>dern, daß ermit Mittätern und Tatbeteiligten im weitesten S<strong>in</strong>ne Kontakt aufnehmenkann. Weiter s<strong>in</strong>d männliche und weibliche sowie jugendliche und erwachseneHäftl<strong>in</strong>ge getrennt unterzubr<strong>in</strong>gen 86. Schließlich müssenauch Untersuchungsgefangene, die "nach ihrer Persönlichkeit, <strong>in</strong>sbesonderenach Art, Zahl und Dauer der von ihnen verbüßten Freiheits-55


strafen oder wegen der an ihnen vollzogenen Maßregeln der Sicherungund Besserung e<strong>in</strong>e Gefahr für andere Gefangene bedeuten", gesondertuntergebracht werden87. Unbeschadet der vorhergehenden Bestimmungenmuß es Untersuchungsgefangenen grundsätzlich erlaubt se<strong>in</strong>,an Geme<strong>in</strong>schaftsaktivitäten (wie Sport-, Musik-, Theater- und Filmveranstaltungen,Fernsehen und Unterricht) und an der täglichen geme<strong>in</strong>samenFreistunde teilzunehmen88). Von dieser Regel darf laut UVollzO nur<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fall abgewichen werden (es sei denn, es handelt sich um e<strong>in</strong>eStrafmaßnahme, Nr. 68 UVollzO), und zwar dann, wenn erheblicheVerdunklungsgefahr gegeben se<strong>in</strong> sollte (Nr. 60 UVollzO). Die dann <strong>in</strong>Betracht kommende "strenge E<strong>in</strong>zelhaft" darf jedoch nur von begrenzterDauer se<strong>in</strong>, und zwar "nur für die Zeit e<strong>in</strong>er erheblichen Verdunklungsgefahr,,89.Bei solchen Sonderregelungen kommt es wesentlich daraufan, "daß sie der im E<strong>in</strong>zelfall durch Tatsachen belegten erheblichenVerdunklungsgefahr adäquat und geeignet s<strong>in</strong>d, ihr wirksam zu begegnen.Nur dann s<strong>in</strong>d die Maßnahmen und ihr Vollzug verfassungskonform,,90.Zum Teil wurden die jahrelange strenge E<strong>in</strong>zelhaft für Gefangene ausder RAF und die entsprechenden Begleitmaßnahmen gegen sie tatsächlichmit Verdunklungsgefahr begründet, übrigens ohne die erforderlichenTatsachenbelege. Meistens begnügte man sich jedoch mit e<strong>in</strong>emallgeme<strong>in</strong> gehaltenen H<strong>in</strong>weis auf die "erhöhte Flucht-, WiderstandsundBefreiungsgefahr" , welche direkt aus dem dr<strong>in</strong>genden Verdacht derZugehörigkeit zur "Baader-Me<strong>in</strong>hof-Vere<strong>in</strong>igung" abgeleitet wurde91.Bleibt zu fragen, ob diese Gefangenen aufgrund von konkreten, "imE<strong>in</strong>zelfall durch Tatsachen belegten" Verdachtsmomenten, die e<strong>in</strong>eFlucht-, Verdunklungs- oder Befreiungsgefahr hätten glaubhaft machenkönnen, oder aufgrund der ihnen unterstellten Ges<strong>in</strong>nuQfJ und der Zugehörigkeitzu e<strong>in</strong>er bestimmten Organisation unter solch außergewöhnlichenHaftbed<strong>in</strong>gungen "verwahrt" wurden. Der Ausnahmecharakterder Haftbed<strong>in</strong>gungen wird hier an e<strong>in</strong>igen Beispielen illustriert.Holger Me<strong>in</strong>s, u. a. wegen des Verdachts auf Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>erkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, versuchtem Mord und illegalem Waffenbesitzseit dem 2.6.72 <strong>in</strong>haftiert. Beispielhaft für die <strong>in</strong>terne Isolation ist e<strong>in</strong>eVerfügung des Wittlicher Gefängnisdirektors vom 26.3.73, die das normaleHaftstatut für Untersuchungsgefangene durch 23 Sondermaßnahmenfür den spezifischen Vollzug an Holger Me<strong>in</strong>s vollständig beseitigt92.Diese Maßnahmen wurden bereits während der vorangegangenen neunMonate, also seit der Verhaftung, angewandt; sie wurden am 11.4.73von dem zuständigen Haftrichter Dr. Georg Knoblich, Ermittlungsrichteram BGH, ohne wesentliche Veränderungen bestätigt. Hier e<strong>in</strong>e Auswahl:567. Der Untersuchungsgefangene Me<strong>in</strong>s wird auf Abteilung 2 Zelle 51 <strong>in</strong>strenger E<strong>in</strong>zelhaft gehalten.8. Die unmittelbar rechts und l<strong>in</strong>ks und die unter und über der Zelle des U­Gefangenen Me<strong>in</strong>s liegenden Zellen dürfen nicht mit Gefangenen belegt werden.10. Der Gefangene wird nur im Beise<strong>in</strong> des Aufsichtsdienstleiters <strong>in</strong> Begleitunge<strong>in</strong>es zweiten Beamten <strong>in</strong> der Zelle aufgesucht.16. Der U-Gefangene ist bei der Bewegung im Freien ab Austritt aus derZelle bis zu se<strong>in</strong>er Rückführung zu fesseln.17. Ausschluß von allen Geme<strong>in</strong>schaftsveranstaltungen e<strong>in</strong>schließlichKirchgang.18. Tägliche Zellenkontrolle <strong>in</strong> Abwesenheit des Gefangenen und Leibesvisitation.AndreasBaader, seit dem2. 6. 72 u. a. wegen des Verdachts aufZugehörigkeitzu e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung und Mord <strong>in</strong> Untersuchungshaft.Von se<strong>in</strong>er Verhaftung bis zum 7.11. 74 war er so systematisch von se<strong>in</strong>erUmwelt isoliert, daß er <strong>in</strong> dieser Zeit ke<strong>in</strong>en anderen Gefangenen sah93.UlrikeMe<strong>in</strong>hof, seit dem 15.6.72 wegen des Verdachts auf Zugehörigkeitzu e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, illegalem Waffenbesitz u. a. <strong>in</strong>Untersuchungshaft. Vom 16.6.72 bis zum 9.2.73 wurde sie "aus Sicherheitsgründen"94<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em leerstehenden, auch akustisch isolierten Flügelder psychiatrischen Frauenabteilung des Gefängnisses Köln-Ossendorfuntergebracht. Dasselbe war noch e<strong>in</strong>mal für kürzere Zeit im Dezember1973 und im Februar 1974 der Fall. Der Begriff "akustische Isolation"(Geräuschisolierung) wurde vom dortigen Gefängnisdirektor Bücker <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em vom 20. 12. 72 datierten Bericht an die Staatsanwaltschaft Frankfurtverwandt: "Während die Untersuchungsgefangene Prall im Männertraktder Untersuchungsabteilung zum<strong>in</strong>dest akustisch an dem Leben <strong>in</strong>dieser Anstalt teilnehmen kann, ist die Gefangene Me<strong>in</strong>hof <strong>in</strong> ihremHaftraum auch akustisch isoliert"95.Der damalige Verteidiger von Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Ulrich K. Preuß, schriebam 10.8. 73 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an den Präsidenten des JustizvollzugsamtsNordrhe<strong>in</strong>- Westfalen 96:"Die völlige Isolierung des Trakts <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit se<strong>in</strong>er Leere bewirkene<strong>in</strong>espezifische Form akustischer Isolation (. .. ). Zu der räumlichen und akustischenIsolation trat h<strong>in</strong>zu, daß die Zellen me<strong>in</strong>er Mandant<strong>in</strong>nen sowi~ diegesamte Zimmere<strong>in</strong>richtung - mit Ausnahme der Zellentür - vollständig <strong>in</strong>weißer Farbe geölt waren97; daß sich das Zellenfenster zunächst gar nicht,später nur e<strong>in</strong>en w<strong>in</strong>zigen Spalt öffnen ließ und mit e<strong>in</strong>em fe<strong>in</strong>maschigenFliegendraht verhängt war98; daß die <strong>in</strong> der Zelle bef<strong>in</strong>dliche weiße Neon­Beleuchtung nachts bei Frau Me<strong>in</strong>hof nicht ausgeschaltet wurde99; schließlich,daß die Zelle von Frau Me<strong>in</strong>hof <strong>in</strong> den W<strong>in</strong>termonaten permanent unterkühltwarlOO In dieser akustischen und visuellen Isolierung hatten me<strong>in</strong>e Mandant<strong>in</strong>nenlediglich den für die Essensversorgung unabd<strong>in</strong>gbaren m<strong>in</strong>imalen akustischenund sozialen Kontakt mit den Vollzugsbeamt<strong>in</strong>nen. Sie lebten praktisch24 Stunden lang ohne e<strong>in</strong>e unterscheidbare Umwelt. So war es beispielsweiseme<strong>in</strong>en Mandant<strong>in</strong>nen sogar verboten, Plakate, Bilder, Tabellen o.ä. an diefahlweißen Wände zu hängen".57


Ronald August<strong>in</strong>, seit dem 24.7.73 wegen des Verdachts auf Zugehörigkeitzu e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, versuchtem Mord und illegalemWaffenbesitz <strong>in</strong>haftiert. Auch er wurde sieben Monate (von Mai 1974 an)<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er so gut wie ke<strong>in</strong>e Geräusche here<strong>in</strong>lassenden Zelle e<strong>in</strong>geschlossen,die ursprünglich für Gefangene mit ansteckenden Krankheiten gedachtwar, und die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unbenutzten Krankenabteilung des GefängnissesHannover lag101. Dies war die praktische Ausführung von Punkt 6e<strong>in</strong>er vom 2.5.74 stammenden Verordnung des dortigen Gefängnisleiters102:"Es ist unbed<strong>in</strong>gt zu verh<strong>in</strong>dem, daß der Gefangene August<strong>in</strong> mite<strong>in</strong>em anderen Gefangenen körperlichen, akustischen oder sonstigenKontakt aufnehmen kann".Bis jetzt ist vor allem von (unterbundenen) Kontakten zu Mitgefangenendie Rede gewesen. Es wäre zum<strong>in</strong>dest denkbar, daß das Gefängnispersonalden völlig isolierten Gefangenen gleichsam als Ausgleich mehrAufmerksamkeit widmet. Dieser Gedanke liegt auch Nr. 21 der UVollzOzugrunde, wor<strong>in</strong> der Gefängnisleiter oder se<strong>in</strong> Stellvertreter verpflichtetwerden, den Gefangenen "<strong>in</strong> angemessenen Zeitabständen " <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erZelle aufzusuchen. Grunau bedauert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kommentar zu Nr.21 derUVollzO, daß man dieser "wichtigen" Vorschrift so wenig Aufmerksamkeitzu kommen läßt, wo doch das System der Verwahrung <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelzellen"nur zu rechtfertigen (ist), wenn die E<strong>in</strong>samkeit durch regelmäßigeZellenbesuche gelockert wird,,103. Für übertrieben hält er es allerd<strong>in</strong>gs,den Gefängnisleiter zu verpflichten, jeden Gefangenen täglich zu besuchenund, sollte das nicht gel<strong>in</strong>gen, se<strong>in</strong>en Vorgesetzten jedesmal Fehlmeldungzu machen, wie dies noch vor etwa 140 Jahren im Pentoville­Gefängnis <strong>in</strong> London vorgeschrieben war. Dennoch hält er den Anstaltsleiterund das übrige Personal (vor allem Geistliche, Ärzte, Sozialarbeiter)für verpflichtet, regelmäßig Zellenbesuche zu machen. Und er fügt nochh<strong>in</strong>zu:"Daß alle diese Bediensteten den Untersuchungsgefangenen nur<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Interesse besuchen, sollte e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit se<strong>in</strong>" 104.E<strong>in</strong>e solche Selbstverständlichkeit ist allerd<strong>in</strong>gs nur schwer vorstellbar,wenn man die mit Nr. 6 bis 8 UVollzO gegebenen Vorschriften berücksichtigt,daß Richter, Staatsanwaltschaft und Gefängnisleitung geme<strong>in</strong>samdafür zu sorgen haben, daß die Ziele der Untersuchungshaft verwirklichtwerden und die Ordnung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt gewährleistet ist(Nr. 6)105. Weiter ist der Anstaltsleiter verpflichtet, dem Richter oderStaatsanwalt über alle den Gefangenen betreffenden Maßnahmen,Wahmehmungen und andere wichtige Vorkommnisse Meldung zu machen,wenn sie für den Strafprozeß wichtig se<strong>in</strong> könnten (Nr. 8).58"Wahrnehmungen bestehen dar<strong>in</strong>, was Anstaltsbeamte im Umgang mitdem U-Gefangenen sehen oder hören, sei es, daß er sich bei ihnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ermöglicherweise für das Verfahren wichtigen Weise ausspricht, sei es, daß sichbei überwachung von Gesprächen des U-Gefangenen mit Besuchern D<strong>in</strong>geergeben, die für die Untersuchung wissenswert s<strong>in</strong>d, sei es, daß die U-Haft diePersönlichkeit des Gefangenen sichtbar verändert, oder daß e<strong>in</strong> U-Gefangener,der wegenVerdachts von ihm geleugneter homosexueller Betätigunge<strong>in</strong>sitzt, <strong>in</strong> der U-Haft dabei betroffen wird, wie er sich zu diesem Zweck e<strong>in</strong>emanderen Gefangenen nähern möchte, sei es, daß sich Mitgefangene melden,denen der leugnende U-Gefangene Geständnisse über se<strong>in</strong>e Tat gemachthaben soll u. a.m. ,,106Dem Anstaltspersonal kommt somit die Funktion e<strong>in</strong>es verlängertenArms der Strafverfolgungsbehörden zu, gewissermaßen e<strong>in</strong>es "stillen"Fahndungsbeamten oder Zuträgers. Deshalb ist es nicht verwunderlich,wenn Gefangene jeden "menschlichen Kontakt" mit dem Anstaltspersonalablehnen. Daher sollte es den Justizbehörden e<strong>in</strong>igermaßen schwerfallen, bei der Behauptung zu bleiben, jene Gefangene hätten sich dietotale Isolation <strong>in</strong>nerhalb der Anstalt selbst zuzuschreiben.2.2. Externe IsolationUntersuchungsgefangene haben <strong>in</strong> der BRD grundsätzlich die Möglichkeit,Kontakte mit der Außenwelt (Besuche von Familienangehörigenund Dritten, Briefverkehr, schriftlicher und mündlicher Kontakt mitVerteidigern) zu unterhaltenlO7. Die Benutzung des (Anstalts-)Radioskann - auch wenn es ke<strong>in</strong> Kommunikationsmittel im engeren S<strong>in</strong>n ist ­das Abgeschnittense<strong>in</strong> von der Außenwelt ebenfalls etwas verm<strong>in</strong>dern108.Im Regelfall können Untersuchungsgefangene m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal<strong>in</strong> zwei Wochen, meistens jedoch häufiger, abhängig "von derjeweiligen Auffassung des betreffenden Richters oder Staatsanwalts" 109,Besuch erhalten, der normalerweise von e<strong>in</strong>em Anstaltsbeamten kontrolliertwird 110.Für jeden Besuch ist beim Haftrichter oder beim zuständigenStaatsanwalt e<strong>in</strong>e Besuchserlaubnis e<strong>in</strong>zuholen. Als e<strong>in</strong>zigenGrund für die Ablehnung e<strong>in</strong>es Besuchsantrags wird e<strong>in</strong>e zu erwartendeStörung der Anstaltsordnung durch bestimmte Personen genannt (Nr. 3Abs. 3 UVollzO). Dem Untersuchungsgefangenen ist es grundsätzlicherlaubt, unbegrenzt Post zu verschicken und zu empfangen 111.Die Postzensurbef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den Händen des Haftrichters oder des zuständigenStaatsanwalts (Nr. 31 Abs. 1 UVollzO) und dient <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie derüberprüfung, ob Briefe die Beseitigung von Beweismaterial zum Zielhaben, aber auch der Kontrolle, ob Briefe beleidigenden oder strafbarenInhalts verschickt werden oder ob von ihnen e<strong>in</strong>e Störung der Anstaltsordnungausgehen könnte (Nr. 34 Abs. 1UVollzO). Die genannten Kriteriens<strong>in</strong>d nicht umfassend112.Wie bei der Isolation <strong>in</strong>nerhalb der Anstalt, so stellt sich auch bei derE<strong>in</strong>schränkung von Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt die Frage, wieweit die jeweils angeführten Gründe, etwa die Gefahr e<strong>in</strong>er Störung derAnstaltsordnung, lediglich dehnbare Formulierungen s<strong>in</strong>d, um die Gefangenenaufgrund der ihnen unterstellten Ges<strong>in</strong>nung und Zugehörigkeit59


zu e<strong>in</strong>er bestimmten Vere<strong>in</strong>igung völlig zu isolieren. Jedenfalls werden <strong>in</strong>den Isolationsverfügungen weder unterschiedliche Interessen abgewogennoch konkrete Tatsachen und Kriterien angeführt.Jahrelang galt für fast alle Gefangenen aus der RAF, daß sie, imGegensatz zu anderen Gefangenen, Besuch und Post nur von Familienangehörigenund Verteidigern empfangen durften. Familienbesuche beiihnen werden immer von m<strong>in</strong>destens zwei Beamten (im allgeme<strong>in</strong>en jee<strong>in</strong> Beamter des Vollzugs und der politischen Polizei) überwacht, die dieGespräche mitverfolgen113. Daß von diesen Beamten Gesprächsaufzeichnungengemacht werden, die auch im Strafprozeß selbst e<strong>in</strong>e Rollespielen, zeigte sich u. a. bei Ulrike Me<strong>in</strong>hof, über die aufgrund solcherGesprächsnotizen e<strong>in</strong> psychiatrisches Gutachten angefertigt wurde114.Postsendungen an Gefangene und von ihnen, vor allem Briefe, Bücherund Drucksachen mit politischem Inhalt, werden festgehaltenl15.Die folgenden zwei Beispiele s<strong>in</strong>d repräsentativ für die seit den erstenVerhaftungen angeführten Gründe zur Beschlagnahmung von Briefen.Die beschlagnahmten Briefe werden als belastendes Beweismaterialgegen die Gefangenen benutzt. Das erste Zitat stammt aus dem Beschluße<strong>in</strong>es Heidelberger Richters vom Juli 1971, das zweite aus demBeschluß e<strong>in</strong>es Berl<strong>in</strong>er Richters vom März 1972:"Der Inhalt des über dreiseitigen Briefes ist zwar zum Teil unverständlich,enthält aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit e<strong>in</strong>deutig aggressive politische Bezüge, die <strong>in</strong>ihrer Grundtendenz zweifelsfrei gegen die verfassungsmäßige Ordnung derBundesrepublik Deutschland gerichtet s<strong>in</strong>d; dies bedarf ke<strong>in</strong>er weiteren Begründung.Im übrigen wird erkennbar, daß dem Brief bösartige und staatsfe<strong>in</strong>dlicheMotive zugrunde liegen. Die Aufreizung dritter Personen ist mitSicherheit beabsichtigt Alle<strong>in</strong> die Formulierungen: "Denn e<strong>in</strong> Gefangenerschafft 1, 2, 3, 4 Revolutionäre" und "wir s<strong>in</strong>d solidarisch, und das heißtKampf" rechtfertigen Beanstandung und Beschlagnahme"116."... wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berl<strong>in</strong>vom14. März 1972 der Briefder Beschuldigten an Monika Berberich vom 3.3.1972gemäß Nr. 34 (1) Nr. 3 UVollzOvon der Beförderung ausgeschlossen, weil dasSchreiben beleidigenden Inhalts ist. Schon im ersten Satz wird von "ErmordungTommis", "H<strong>in</strong>richtungen am Fließband im Iran" und der "Wiedere<strong>in</strong>führungder Todesstrafe <strong>in</strong> der BRD" gesprochen. Der Briefwird gemäß § § 94,98, 119 StPOl17 beschlagnahmt, da er als Beweismittel für die Grundhaltungund das beabsichtigte künftige Verhalten der Beschuldigten von Bedeutungist"118.In den meisten Fällen werden richterliche Zensurbeschlüsse allerd<strong>in</strong>gsnur stereotyp mit der Möglichkeit e<strong>in</strong>er Störung der Anstaltsordnungbegründet. Im Oktober 1972 begründete e<strong>in</strong> Richter des BGH dieZurückhaltung e<strong>in</strong>er Broschüre der Westberl<strong>in</strong>er "Roten Hilfe" an e<strong>in</strong>eGefangene aus der RAF folgendermaßen:60"Die Ordnung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt erfordert, die Sendung von der Weitergabeauszuschließen (§ 119 Abs. 3 StPO). Die <strong>in</strong> ihr alle<strong>in</strong> enthaltene Drucksa-che stellt e<strong>in</strong>e Hetzschrift ohne Informationswert dar, die geeignet ist, als Agitationsmaterialauf Unkritische <strong>in</strong> der Anstalt im S<strong>in</strong>ne von Störungen der Anstaltsordnunge<strong>in</strong>zuwirken"ll9.In e<strong>in</strong>er anderen Verfügung e<strong>in</strong>es BGH-Richters vom August 1972 _es g<strong>in</strong>g um vier an e<strong>in</strong>en Gefangenen aus der RAF geschickte Bücherüber bewaffneten Kampf und Massenl<strong>in</strong>ie, Klassenkampf <strong>in</strong> der Armee,den Bürgerkrieg <strong>in</strong> Nordirland und den Kampf der Paläst<strong>in</strong>enser - wirdauffallend deutlich ausgedrückt, daß die Anstaltsordnung wichtiger ist alsdie Identität e<strong>in</strong>es Gefangenen:"Die Verfasser der beigefügten Druckschriften propagieren <strong>in</strong> primitiverWeise die bewaffnete Ause<strong>in</strong>andersetzung angeblich unterdrückter Gruppen<strong>in</strong> verschiedenen Teilen der Welt mit ihren Unterdrückern. Da dadurch für denEmpfänger der E<strong>in</strong>druck entstehen kann, daß er Mitglied e<strong>in</strong>er Gruppe ist,welche sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weltweiten Kampf gegen die Ausbeutung bef<strong>in</strong>det undsich der Solidarität ähnlicher Gruppen im Ausland gewiß se<strong>in</strong> kann, wird erdurch die Lektüre dieser Bücher <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ablehnenden Haltung bestärkt unddurch die dar<strong>in</strong> enthaltenen Kampfaufrufe zu Störungen der Anstaltsordnungverleitet"120Auch der e<strong>in</strong>zige "freie" Kontakt von Gefangenen, der unkontrolliertemündliche und schriftliche Verkehr mit dem Verteidiger, auf dem dasVertrauensverhältnis zwischen beiden basiert, muß wegen der regelmäßigenZellendurchsuchungen, die <strong>in</strong> Abwesenheit der Gefangenen stattf<strong>in</strong>den,mit Fragezeichen versehen werden. Offiziell war es den Beamtenbei diesen Zellenkontrollen nicht erlaubt, Verteidigerpost durchzusehen.Zwangsläufig ergibt sich die Frage, wie Beamte feststellen können, ob e<strong>in</strong>bestimmtes Schriftstück zur Verteicligerpost gehört oder nicht, wenn siees nicht durchlesen dürfen. E<strong>in</strong>e den Beschuldigten Jan earl Raspebetreffende Verfügung des 3. BGH-Senats vom August 1972 beseitigtdiese "Unklarheit":"Der schriftliche und mündliche Verkehr mit dem Verteidiger unterliegt zwarke<strong>in</strong>er Kontrolle (§ 148 StPO). Geprüft werden darf und muß jedoch, ob essich wirklich um solchen Verkehr mit dem Verteidiger handelt. Für den vorliegendenFallbedeutet dies, daß sich e<strong>in</strong> Anstaltsangehöriger <strong>in</strong> das Schriftstück,das nicht etwa zur Übergabe an den Verteidiger vorgesehen war, sondern demBeschuldigten als Gedächtnisstütze für die Besprechung dienen sollte, <strong>in</strong>soweitkurz E<strong>in</strong>sicht verschaffen durfte, als es nötig war, um jene Voraussetzung zuprüfen und auf diese Weise auszuschließen, daß der Beschuldigte beispi~sweisee<strong>in</strong>en Kassiber mit sich trug, den er im Besuchsraum versteckt für e<strong>in</strong>enMitgefangenen zu h<strong>in</strong>terlassen gedachte. E<strong>in</strong>e weitergehende Durchsicht hatder Bedienstete nach Angaben der Anstaltsleitung nicht vorgenommen"12161


3. Die Behandlung der Rechtsanwälte (1972) 1223.1. Bundeskrim<strong>in</strong>alamt, Generalbundesanwalt und MassenmedienAm 22.5.72 wird von der zum Spr<strong>in</strong>ger-Konzern gehörenden Zeitschrift"Bild amSonntag" der folgende Bericht veröffentlicht, der sich aufdirekte Informationen aus dem BKA stütztl23:"Wissen Kanzler und Staatsoberhaupt, daß das Kommunikationszentrumder Radikalen bekannt ist? Es s<strong>in</strong>d rund 45 namentlich bekannte l<strong>in</strong>ksradikaleAnwälte. Über sie hat das Bundeskrim<strong>in</strong>alamt unseren Politikern erklärt (wörtlichesZitat):,Diese Anwälte üben erwiesenermaßen folgende Tätigkeiten aus: Sie präparierenZeugen, die bei e<strong>in</strong>em Geschehen gar nicht zugegen waren, um angeklagteBandenmitglieder - gleichsam me<strong>in</strong>eidig - zu entlasten. Sie übernehmenden Transport von Gegenständen, die der Ausübung von Straftatendienen, zum Beispiel den Transport von Sprengkörpern. Sie verbr<strong>in</strong>gen Haschisch,Rauchwaren, Fotoapparate <strong>in</strong> die Zellen, transportieren Nachrichtenaus den Gefängnissen und vermitteln Kassiber. Sie sarnrneln Nachrichten überPolizeibearnte und Richter, <strong>in</strong>sbesondere deren Lichtbilder. Sie verwahrenBlankovollmachten aller Bandenrnitglieder, um diesen jederzeit juristischenBeistand leisten zu können' ,,124Fast alle westdeutschen Zeitungen und Rundfunkanstalten übernahmenden Inhalt dieses Artikels. In der Tat war der Zeitpunkt für dieEntfachung e<strong>in</strong>er Hetzkampagne ausgesprochen günstig. E<strong>in</strong> RAF-Kommandohatte am 11.5.72 <strong>in</strong> Frankfurt das US-Hauptquartier angegriffen.Zwei Tage nach der Veröffentlichung des Artikels folgte am 24.5.72 derAnschlag auf das US-Hauptquartier <strong>in</strong> Heidelbergl25. Am 26.5.72 ersche<strong>in</strong>t<strong>in</strong> der "Bild"-Zeitung e<strong>in</strong> Bericht über die Rede des Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>istersHans-Dietrich Genscher vor dem Innenausschuß des Bundestags:"Die Helfershelfer und die Ges<strong>in</strong>nungsfreunde der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bandeseien vor allem l<strong>in</strong>ks e<strong>in</strong>gestellte Rechtsanwälte ... Wörtlich sagte Genscher:,Die polizeilichen Ermittlungen richten sich nicht nur gegen die Bombenleger,sondern auch gegen ihre Helfershelfer, da diese sich mitschuldig machen anMord und die Verantwortung dafür tragen, daß die Täter ihre Verbrechengegen das Leben anderer fortsetzen können"


der er sich entschieden gegen die "pauschale Verdächtigung des Anwaltsstandes"zur Wehr setzte. Am 19.6.72 wird nachts e<strong>in</strong> Brandanschlagauf das Büro Groenewolds verübt; das Feuer vernichtet nachAngaben der Anwälte zahlreiche Akten.Abgesehen von e<strong>in</strong>er beim Landgericht Hamburg erwirkten e<strong>in</strong>stweiligenVerfügung gegen Spr<strong>in</strong>ger131,mit der dem Verlag verboten wurde,durch Tatsachenbehauptungen <strong>in</strong> Wort und Bild den E<strong>in</strong>druck entstehenzu lassen, der prom<strong>in</strong>ente Bremer Rechtsanwalt He<strong>in</strong>rich Hannover,damals Verteidiger von Ulrike Me<strong>in</strong>hof, werde der "Bandenbegünstigung"132verdächtigt, blieben alle Versuche der betroffenen Rechtsanwälteerfolglos, sich mit rechtlichen Mitteln gegen diese von den Behördengesteuerte oder zum<strong>in</strong>dest unterstützte Hetzkampagne zu wehrenund zukünftig zu schützen133. Strafanzeigen gegen Spr<strong>in</strong>ger und se<strong>in</strong>eRedakteure wurden e<strong>in</strong>gestellt, Dienstaufsichtsbeschwerden gegen GBAMart<strong>in</strong> wurden vom Bundesjustizm<strong>in</strong>isterium abgewiesen. Die Staatsanwaltschaft,der die Anzeige gegen Spr<strong>in</strong>ger vorlag, teilte mit, e<strong>in</strong>e Klärungdes Sachverhalts sei nicht möglich, weil Spr<strong>in</strong>ger sich darauf berufe, daßdie zitierten Behauptungen wörtlich dem Bericht der Innenm<strong>in</strong>isterkonferenzvom 27.1.72 entnommen seien 134.Der Vorsitzende dieser Konferenzwolle den Bericht aber nicht zur E<strong>in</strong>sicht freigeben, weil dies vonNachteil für die BRD und die Bundesländer sei135.Kurz gesagt: die Behörden lassen der Presse Informationen zukommen,gegen deren Verbreitung die Anwälte wehrlos s<strong>in</strong>d, da die verleumderischenInformationen wegen ihres vertraulichen Charakters nichtüberprüft werden können.Auf diese vertraulichen Informationen bezog sich auch der <strong>in</strong>zwischenzum Außenm<strong>in</strong>ister und Kanzlerstellvertreter avancierte RechtsanwaltGenscher, als er <strong>in</strong> der Bundestagssitzung vom 13.3.75 feststellte: "BegründeteVermutungen, die wir seit langem haben, so zu verdichten, daßsie für solche gerichtlichen Entscheidungen auch wirklichausreichen, daswar das Problem, mit dem wir über Jahre - ich sage: geme<strong>in</strong>sam - zur<strong>in</strong>gen hatten"136. Der vormalige Innenm<strong>in</strong>ister gab also 1975 öffentlichzu, daß 1972 nur "begründete Vermutungen" vorgelegen hatten, diemangels jeder gesicherten Erkenntnis für e<strong>in</strong>e strafrechtliche oder ehrengerichtlicheVerfolgung der Anwälte nutzlos waren. So drängt sich dennauch die Schlußfolgerung auf, daß man sich 1972, da der Rechtswegaussichtslos erschien, für e<strong>in</strong>e Verfolgung der Anwälte durch die Medienentschieden hatte.Die oben beschriebene Zusammenarbeit zwischen BKA, Innenm<strong>in</strong>ister,GBA und der Presse hatte zur Folge, daß für die Öffentlichkeitbereits im Juni 1972 die meisten Rechtsanwälte, zu deren Mandantenauch Gefangene aus der RAF zählten, als "Terroristen <strong>in</strong> Robe" galten137643.2. Ausschluß von Rechtsanwalt SchilyAm 19.6.72 teilte der GBA auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz mit, daß derzuständige Ermittlungsrichter des BGH den Berl<strong>in</strong>er Rechtsanwalt OttoSchily als Verteidiger<strong>in</strong> der Strafsache gegen Gudrun Enssl<strong>in</strong>am 17.6.72antragsgemäß ausgeschlossen habe.Schily hatte von dem Antrag des GBA nichts gewußt; von se<strong>in</strong>emAusschluß erfuhr er am Tag der Pressekonferenz aus den Fernsehnachrichten138.Den Beschluß vom 17.6. erhielt Schily am 20.6.72. Amselben Tag erschien die "Berl<strong>in</strong>er Zeitung" mit der Schlagzeile "Berl<strong>in</strong>erAnwalt unter schwerem Verdacht".Der Beschluß wurde mit dem Verdacht begründet, Schily sei Mitgliedder krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, der auch se<strong>in</strong>e Mandant<strong>in</strong> Enssl<strong>in</strong> angehörebzw. er würde sie zum<strong>in</strong>dest unterstützen. Bei Ulrike Me<strong>in</strong>hof sei nachihrer Verhaftung am 15.6.72 e<strong>in</strong>e Nachricht (Kassiber) der <strong>in</strong>haftiertenGudrun Enssl<strong>in</strong> gefunden worden, der e<strong>in</strong>e Beschreibung der genauerenUmstände ihrer (Enssl<strong>in</strong>s) Festnahme sowie H<strong>in</strong>weise für weitere Aktionenenthalten habe, e<strong>in</strong> Schreiben also, das "nur durch RechtsanwaltSchily, der als e<strong>in</strong>ziger Besucher der Beschuldigten Enssl<strong>in</strong> Gelegenheitgehabt hat, diese unbeaufsichtigt zu sprechen, aus der Haftanstalt herausgeschmuggeltund der Beschuldigten Me<strong>in</strong>hof übermittelt wordense<strong>in</strong> kann"139.Schilys Verteidiger, Professor Dr. Uwe WeseI, reichte beim BGH e<strong>in</strong>eausführliche Beschwerdeschrift gegen den Ausschließungsbeschluß e<strong>in</strong>,<strong>in</strong> der aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen die Aufhebung desBeschlusses beantragt wurde. Obwohl während der Ermittlungen zuTage kam, daß auch verschiedene weibliche Gefängnisbeamte mit GudrunEnssl<strong>in</strong> alle<strong>in</strong> Kontakt gehabt hatten, daß die Nachricht aus derZelle <strong>in</strong> den Innenhof geworfen oder vorläufig im Duschraum deponiertworden se<strong>in</strong> könnte, daß zudem trotz aller Sicherheitsvorkehrungenauch e<strong>in</strong> Kontakt mit anderen Gefangenen nicht ausgeschlossen werdenkonnte, daß die Zelle Gudrun Enssl<strong>in</strong>s schließlich vom etwa 120 bis 150Meter entfernt liegenden Gerichtsgebäude mit e<strong>in</strong>em Fernglas e<strong>in</strong>gesehenwerden konnte, wies der 3. Strafsenat des BGH durch Beschlußvom 25.8.72 die Beschwerde Schilys zurück 140.Charakteristisch für die <strong>in</strong> dem Entscheid benutzte Argumentationsweiseist folgende Passage:"Gegen die Annahme, Gudrun Enssl<strong>in</strong> habe die Nachricht durd1 e<strong>in</strong>eAnstaltsangehörige oder e<strong>in</strong>e Mitgefangene befördern lassen, spricht auch derUmstand, daß sie die umfangreiche Mitteilung <strong>in</strong> diesem Falle trotz des dafürerforderlichen Zeitaufwands ungeachtet ständiger Kontrollen und täglicherDurchsuchungen <strong>in</strong> der Zelle geschrieben haben müßte, wobei auch dieHerkunft des Papiers offen bliebe, während die Erklärung all dessen ke<strong>in</strong>eSchwierigkeiten bereitet, wenn man davon ausgeht, daß sie die Mitteilungwährend des Besuchs ihres Verteidigers gefertigt hat. Dann stelltsich <strong>in</strong>sbeson-65


dere auch die sich sonst aufdrängende Frage nicht, warum sie sich, was diePerson des übermittIers angeht, auf vage Andeutungen beschränkt. An e<strong>in</strong>er<strong>Verteidigung</strong> durch Rechtsanwalt Schily wäre ihr ersichtlich gelegen. Nurschwer erklärlich aber bleibt dann, warum sie nicht ganz konkret angibt, anwen, zu welcher Zeit und unter welchen näheren Umständen sie den Kassiberübergeben hat - dieser Weg wäre jetzt ohneh<strong>in</strong> verschüttet -, um von demRechtsanwalt auf diese Weise den Verdacht zu nehmen, der auf ihm lastet undder die Wahrnehmung der <strong>Verteidigung</strong> h<strong>in</strong>dert".Mit dem letzten Satz gibt der BGH deutlich zu verstehen, daß GudrunEnssl<strong>in</strong>, würde ihr so viel daran liegen, Schily als Anwalt zu behalten, nurzu erzählen brauche, wie ihre Mitteilung denn anders als mit Schilys Hilfezu Ulrike Me<strong>in</strong>hof gelangen konnte. Dem Vorwurf von Schilys Verteidiger,die negative Beweisführung des BGH sei nur dann zu akzeptieren,wenn man der Palmströmschen Theorie anhänge (" ... andere Wegeseien verschlossen gewesen, weil nicht se<strong>in</strong> kann, was nicht se<strong>in</strong>darf"141), begegnete der BGH wie folgt:"Vorallem aber müssen hier die <strong>in</strong> erheblichem Umfange gleichgerichtetenInteressen Berücksichtigung f<strong>in</strong>den, die Beschuldigten und Verteidiger verb<strong>in</strong>den,während diejenigen e<strong>in</strong>es Vollzugsbeamten und die des Gefangenendurchaus gegensätzlicher Art s<strong>in</strong>d"142.Die re<strong>in</strong> rechtlichen Argumente der Beschwerde, e<strong>in</strong> Ausschluß seiaufgrund mangelnder gesetzlicher Bestimmungen nach Artikel 12 Absatz1GG (Recht der freien Berufsausübung) überhaupt nicht möglich, zudemsei auch ke<strong>in</strong> der Verfassung vorgelagertes Gewohnheitsrecht aufzuf<strong>in</strong>den,wurden vom BGH ebenfalls abgewiesen:"Was zunächst die rechtliche Grundlage für die getroffene Maßnahmeangeht, so enthält die Strafprozeßordnung e<strong>in</strong>e ausdrückliche Regelung zwarnicht. Die Möglichkeit der Ausschließung folgt aber aus S<strong>in</strong>n und Zweck e<strong>in</strong>erReihe von Bestimmungen der Prozeßordnung sowie der Bundesanwaltsordnung;sie wäre überdies durch gewohnheitsrechtliche übung gedeckt".Interessant ist, daß sich das Bundesgericht auf Gewohnheitsrechtberuft und auf zwei Entscheidungen des Reichsgerichts (RG) der WeimarerRepublik verweist, die sich beide auf Verteidiger von angeklagtenKommunisten beziehenl43. Die e<strong>in</strong>e Entscheidung betrifft die Ausschließunge<strong>in</strong>es Verteidigers durch das RG am 5.7.28 wegen Verdachts derTeilnahme an demselben "hochverräterischen Unternehmen", für dasse<strong>in</strong> Mandant sich vor Gericht zu verantworten hatte. Zur Stellung desVerteidigers im Gerichtsverfahren sagt das RG:66"Das Gericht hat (§§ 145, 146 StPO) dafür zu sorgen, daß der Verteidigerposten,<strong>in</strong>sbesondere bei der notwendigen <strong>Verteidigung</strong>, richtig besetzt ist.Wer als Teilnehmer an der abzuurteilenden Tat verdächtig ist, kann an derVerhandlung des Straffalls nicht, <strong>in</strong>sbesondere auch nicht als Verteidiger,mitwirken. Denn der Verteidiger ist nicht lediglich Beistand des Angeklagten,sondern e<strong>in</strong> mit besonderen Befugnissen ausgestattetes Organ der Rechtspflege".Der Beschuldigte war der kommunistische Schriftsteller Braun, dessenstrafbare Handlung die Publikation e<strong>in</strong>iger ausgearbeiteter revolutionärerThesen ("Moskauer Thesen") <strong>in</strong> der kommunistischen Zeitschrift"Rote Fahne" vom Juli 1927 gewesen warl44. Die "Mittäterschaft" desVerteidigers bestand aus se<strong>in</strong>er Anwesenheit bei der sogenannten kommunistischenJuristenkonferenz im Januar 1926, wo er über "Revolutionierungsarbeit<strong>in</strong> Anwalts- und Juristenkreisen " gesprochen hatte. AlsZeuge im Prozeß gegen Braun verweigerte der Verteidiger die Aussage,da sie die Möglichkeit e<strong>in</strong>er Strafverfolgung be<strong>in</strong>halten könne. Da dieJuristenkonferenz absolut nichts mit Brauns Veröffentlichung zu tunhatte, beruhte das RG-Urteil wegen Teilnahme des Verteidigers an derVorbereitung e<strong>in</strong>es hochverräterischen Unternehmens durch Braun aufder "viel angefochtenen Theorie des RG, die alle Handlungen vonMitgliedern des kommunistischen Funktionärskörpers als Bestandteilee<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen hochverräterischen Unternehmens ansieht"145.E<strong>in</strong>er ähnlichen Theorie, allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> verschleierter Form, werden wirbei der Diskussion über den am 1.1. 75 abgeänderten § 146 StPObegegnen, demzufolge e<strong>in</strong> Anwalt nur noch e<strong>in</strong>en Beschuldigten ausdemselben "Tatkomplex" verteidigen darfl46.Etwa sechs Monate nach Schilys Ausschluß durch den BGH beschloßdas Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 14.2.73, Schilys Verfassungsbeschwerdeanzunehmen. Es stellte fest, das vom Grundgesetzgarantierte Recht der freien Berufsausübung mache den Ausschluß vonTeilnehmern e<strong>in</strong>es bestimmten Strafprozesses durch den VorsitzendenRichter mangels e<strong>in</strong>er ausdrücklichen gesetzlichen Regelung und mangelse<strong>in</strong>es der Verfassung vorgelagerten Gewohnheitsrechts unmöglich147.Das BVerfG kam zu dem Schluß, daß "e<strong>in</strong> höchst unbefriedigenderRechtszustand aufgedeckt worden ist, dessen Aufrechterhaltung sichmit dem Interesse an e<strong>in</strong>er geordneten Strafrechtspflege <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weisevere<strong>in</strong>baren läßt" und daß der Gesetzgeber demzufolge "die Voraussetzungendes Verteidigerausschlusses <strong>in</strong> naher Zukunft zu regeln haben(werde)".Der unbefangene Leser könnte nun aufgrund der oben zitierten Passagender Me<strong>in</strong>ung se<strong>in</strong>, daß der Verteidigerausschluß <strong>in</strong> der BRDweder rechtstheoretisch noch <strong>in</strong> der Jurisprudenz e<strong>in</strong>e Rolle gespielthabe. Das Gegenteil ist aber der Fall. Sowohl <strong>in</strong> der Weimarer Republikals auch nach dem Zweiten Weltkrieg s<strong>in</strong>d Verteidiger von Prozessenausgeschlossen worden. In allen Fällen handelte es sich um " l<strong>in</strong>ke "Verteidiger, die <strong>in</strong> politischen <strong>Strafsachen</strong> tätig geworden warenl48. Vierwährend der Weimarer Republik getroffene Entscheidungen des Reichsgerichtsund des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik führtenzu e<strong>in</strong>er wahren Welle von Publikationen, darunter alle<strong>in</strong> drei Dissertationen149.Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Verteidiger mehrmalsvon Prozessen ausgeschlossen mit Begründungen, die von Richtern67


höherer Instanzen regelmäßig für nicht rechtmäßig erklärt wurden. Auchhierzu gibt es e<strong>in</strong>e Reihe von Veröffentlichungen, darunter wiederumzwei Dissertationen15o. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dreimalmit Verteidigerausschlüssen beschäftigen müssen, zuletzt im Jahr1967151 <strong>in</strong> allen Fällen wurden die Ausschlüsse zwar für nicht rechtenserklärt, e<strong>in</strong>e grundsätzliche Entscheidung traf das Gericht jedoch nie 152.Aber auch der Gesetzgeber beriet 1958, 1959, 1961 und 1963 über dieProblematik153. Es würde zu weit führen, auf die Rechtsprechung, Veröffentlichungenund Parlamentsdebatten zu diesem Thema e<strong>in</strong>zugehen.Beabsichtigt ist hier nur, deutlich zumachen, daß der Ausspruch desBundesverfassungsgerichts, erst durch den Fall Schily sei die Problematikdes Verteidigerausschlusses "aufgedeckt worden", nicht den wirklichenGegebenheiten entspricht154.Wie dem auch sei, von Februar 1973 an ist das Bundesjustizm<strong>in</strong>isteriumeifrig bemüht, diesem "höchst unbefriedigenden" Zustand e<strong>in</strong> Endezu bereiten.3.3. Verfolgung der RechtsanwälteSchily istnicht der e<strong>in</strong>zige Verteidiger, der von offiziellererSeite als denMedien attackiert wurde. Konsequenterweise hätte man erwarten können,daß gegen die ,,45 namentlich bekannten Terroristen-Anwälte"<strong>in</strong>tensive Ermittlungen mit anschließenden öffentlichen Strafverfahrenbetrieben worden wären, nachdem sie öffentlich so schwerwiegenderDelikte wie z. B. Sprengstofftransporte verdächtigt worden waren. Essollte jedoch ganz anders kommen. Biszum 21.5.75, dem Eröffnungstagdes Prozesses gegen "Baader u. a." <strong>in</strong> Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>, hatteke<strong>in</strong>er der Verteidiger vor Gericht ersche<strong>in</strong>en und über das ihm öffentlichvorgeworfene Verhalten Verantwortung ablegen müssen. Wohl liefene<strong>in</strong>e Reihe von strafrechtlichen Ermittlungen gegen e<strong>in</strong>ige Anwälte, wassie oft erst der Presse oder Haus- und Kanzleidurchsuchungen entnehmenkonnten. Bei diesen Gelegenheiten wurden im Regelfall auch zahlreicheAkten und Dokumentationsmaterialien "sichergestellt" und mitgenommen,meist, so die Anwälte, Aufzeichnungen und Unterlagen, diezur Vorbereitung von Prozessen gegen Gefangene aus der RAF undähnliche Gruppierungen angefertigt bzw. gesammelt worden waren155.E<strong>in</strong>geleitet wurden die meisten Ermittlungsverfahren wegen Verdachtsauf Unterstützung von oder Werbung für krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igungenwie RAF, Bewegung 2.Juni oder SPK, wegen Beleidigung vonBehörden, etwa durch den Vergleich bestimmter staatlicher Handlungenmit Gestapo-Methoden und ähnlichem. E<strong>in</strong> typisches Beispiel ist diebereits beschriebene Reaktion auf Croissants Anzeige wegen der Haftbed<strong>in</strong>gungenvon Margrit Schiller.Hier noch e<strong>in</strong> anderes Beispiel vom Frühjahr 1972. Am 27.3.7268erstattete Croissant Anzeige wegen versuchten Mordes, Mißhandlungund Freiheitsberaubung, verübt an se<strong>in</strong>er Mandant<strong>in</strong> Carmen Roll undausgeführt von verschiedenen Beamten. Angeblich um F<strong>in</strong>gerabdrückeabnehmen zu können, hatten sie Carmen Roll zwangsweise narkotisiert156.In der Anzeige wird detailliert geschildert, wie die sich mit allenKräften zur Wehr setzende Carmen Roll auf e<strong>in</strong>er Art Gynäkologenstuhlfestgezurrt und dann ohne Prämedikation mit Äther narkotisiert wurde.In der rechtlichen Bewertung der angeführten Tatsachen wird u. a. argumentiert:"Die Anwendung unmittelbaren Zwangs, die durch den richterlichen Beschlußvom 15.3.72 für zulässig erklärt wurde, schließt niemals das Recht e<strong>in</strong>,e<strong>in</strong>en Menschen durch gewaltsame Betäubung zu e<strong>in</strong>em absolut willenlosenWerkzeug zu machen. E<strong>in</strong>e gesetzliche oder rechtliche Vorschrift, die zu e<strong>in</strong>erZwangsbetäubung ermächtigt, besteht nicht.Aus ärztlicher Sicht war die Äthemarkose, die unserer Mandant<strong>in</strong> gegenihren Willen ,unter Anwendung unmittelbaren Zwangs' verpaßt wurde, nichtzu verantworten. Die mit e<strong>in</strong>er Äthemarkose für unsere Mandant<strong>in</strong> verbundeneLebensgefahr war so groß, daß der verantwortliche Arzt mit e<strong>in</strong>em tödlichenAusgang der Narkose rechnen mußte, selbst wenn er darauf vertrauthaben mag, unsere Mandant<strong>in</strong> werde die Zwangsbetäubung überstehen.Die Grenze zwischen bed<strong>in</strong>gtem Tötungsvorsatz und der sogenannten, bewußtenFahrlässigkeit' wurde <strong>in</strong> diesem Fall überschritten.E<strong>in</strong>e Äthemarkose wird von der mediz<strong>in</strong>ischen Wissenschaft durchwegabgelehnt und heute praktisch nicht mehr angewendet. Gegen e<strong>in</strong>en Menschen,der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Erregungszustand bef<strong>in</strong>det und sich psychisch undphysisch gegen die Betäubung sträubt, darf e<strong>in</strong>e Äthemarkose wegen derUnmöglichkeit, das Narkotikum auch nur e<strong>in</strong>igermaßen h<strong>in</strong>reichend zu dosieren,überhaupt nicht angewendet werden.Die Zwangsbetäubung unserer Mandant<strong>in</strong> wurde unter Umständen durchgeführt,die mit erheblicher Lebensgefahr für unsere Mandant<strong>in</strong> verbundenwaren. Im vorliegenden Fall bestand <strong>in</strong>sbesondere die Gefahr, daß die Zungeunserer Mandant<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Hals rutscht und Tod durch Ersticken e<strong>in</strong>tritt. Daraufdeuten auch die von unserer Mandant<strong>in</strong> geschilderten Verletzungen am Halsund Unterkiefer h<strong>in</strong>.Diese Verletzungen zeigen mit Sicherheit, daß die Zwangsbetäubung ke<strong>in</strong>esfallskomplikationslos verlaufen ist"157Croissant schickte den Strafantrag auch an den Bayrischen Innenm<strong>in</strong>isterBruno Merck mit der Bitte, gegen die betreffenden Beamten Diszipl<strong>in</strong>armaßnahmene<strong>in</strong>zuleiten. Croissants Begleitschreiben entdete mitden Worten: "... Der Fall der Zwangsbetäubung e<strong>in</strong>es Menschen zumZweck der Abnahme von F<strong>in</strong>gerabdrücken ist- soweit ersichtlich- <strong>in</strong> derdeutschen Justizgeschichte nach 1945 e<strong>in</strong>malig. Das Verhalten der Krim<strong>in</strong>albeamtenund des Arztes muß den Vergleich mit Methoden derehemaligen Gestapo und offen faschistischer Regime für jeden herausfordern,der "diesen ungeheuerlichen Vorfall kritisch betrachtet" 158.Am 18.3.72 ersucht die Staatsanwaltschaft Frankenthai das zuständi-69


ge Gericht, Croissant wegen se<strong>in</strong>er ersten Proteste gegen die Zwangsnarkosevon der <strong>Verteidigung</strong> der Beschuldigten Roll auszuschließen. AusProtest tritt Carmen Roll für 20 Tage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hungerstreik159.Am 1.4.72 berichtet die "Süddeutsche Zeitung", daß Merck wegender oben zitierten Sätze gegen Croissant Anzeige wegen Beleidigung vonPolizeibeamten erstattet habe. Das Innenm<strong>in</strong>isterium habe aber auchzugegeben, daß von Carmen Roll F<strong>in</strong>gerabdrücke "unter Anwendungunmittelbaren Zwanges und unter ärztlicher Aufsicht"160abgenommenwurden.Auf Croissants Bitte h<strong>in</strong> erstattete der ärztliche Leiter der Anästhesieabteilungdes Stuttgarter Kathar<strong>in</strong>enhospitals e<strong>in</strong> Sachverständigengutachten.Daraus geht unmißverständlich hervor, daß auf lebensgefährlicheWeise mit Carmen Roll umgegangen wurde. Trotzdem wird CroissantsAnzeige niedergeschlagen.Nicht aber Mercks Strafanzeige gegen Croissant. Nach der Verhandlungder Strafsache am 9.6.75 (!) vor dem Schöffengericht am AmtsgerichtAugsburg161wird Croissant wegen Beleidigung von Polizeibeamtenzu e<strong>in</strong>er Geldstrafe <strong>in</strong> Höhe von 400 Mark verurteilt162.Croissant legtbeim Landgericht Augsburg Berufung e<strong>in</strong>. Inzwischen war e<strong>in</strong> zweitesausführliches Sachverständigengutachten des Ulmer Hochschulprofessorsfür Anästhesie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em von Carmen Roll erwirkten Schmerzensgeldverfahrengegen das Bundesland Bayern vorgelegt worden. Auch <strong>in</strong>diesem Gutachten wird die Chloräthyläthernarkose, unter Zwang ausgeführt,als e<strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>isch nicht zu rechtfertigender und gefährlicher E<strong>in</strong>griffbezeichnet.Zudem hätten die näheren Begleitumstände e<strong>in</strong> "nichtkalkulierbares Risiko" be<strong>in</strong>haltet. Geme<strong>in</strong>t waren mit dieser Bemerkungder ausführende Arzt (e<strong>in</strong> 70jähriger Gefängnisarzt, der se<strong>in</strong>e letzteNarkose 17 Jahre zuvor ausgeführt hatte und sich, als Zeuge vor Gerichtbefragt, vornehmlich auf Fachliteratur aus dem Jahr 1935 berief), dasFehlen der unbed<strong>in</strong>gt notwendigen Geräte (vor allem e<strong>in</strong>es Beatmungsgeräts)und der Verzicht auf e<strong>in</strong>e medikamentöse Vorbereitung desE<strong>in</strong>griffsl63. Carmen Roll werden 1 000 Mark Schmerzensgeld zuerkannt.Das Strafverfahren gegen Croissant wird ohne abschließendesUrteil e<strong>in</strong>gestellt, nachdem er während des laufenden BerufungsverfahrensMitte Juli 1976 zum zweitenmal verhaftet worden warl64.Die erste Kanzleidurchsuchung im Zusammenhang mit Verfahrengegen die RAF nahmen Staatsanwaltschaft und Polizei <strong>in</strong> der zweitenMai-Woche des Jahres 1972 bei Croissant/Lang vor. Anlaß war, GBAMart<strong>in</strong> zufolge, e<strong>in</strong> abgehörtes Telefongespräch aus der Kanzlei,aus demsich der Verdacht ergeben habe, daß Lang Baader und Enssl<strong>in</strong> beimF<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>er Wohnung behilflich gewesen sei. Außerdem habe Croissantam 9. Mai e<strong>in</strong> "konspiratives" Gespräch mit e<strong>in</strong>er Polizei-Sekretär<strong>in</strong><strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ch<strong>in</strong>esischen Restaurant geführt165.Ersteres wurde von Lang ausdrücklich bestritten, letzteres erfordert70weitere Erläuterungen. Die Polizei-Sekretär<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e ehemalige Mandant<strong>in</strong>Croissants, hatte ihn telefonisch zu dem Treffen gebeten, um ihmmitzuteilen, daß das Büro e<strong>in</strong>schließlich Post und Telefon überwachtwerde. Im Restaurant ("wo ,Spitzle', so e<strong>in</strong> Ober, das Treffen von e<strong>in</strong>emNebenzimmer aus überwachten"166) habe sie Croissant gesagt, daß sieihn aus Dankbarkeit für vormals erwiesene Dienste warnen wolle. Er undLang würden von Polizei und Staatsanwaltschaft als "große Drahtzieher"und "ausführende Organe" gesehen. Die überwachung des Büroshabe das Ziel, dem "harten Kern der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe" auf dieSpur zu kommen. Im polizeilichen Verhör sagte die Sekretär<strong>in</strong> aus,Croissant habe mit der Bemerkung reagiert: "Da haben Sie der Revolutione<strong>in</strong>en großen Dienst erwiesen", e<strong>in</strong> Ausspruch, den Croissant bestätigte,der jedoch ironisch geme<strong>in</strong>t gewesen sei. Die Durchsuchung am13.5.72 brachte ke<strong>in</strong> Ergebnis. Trotzdem erschien kurze Zeit später"Bild" mit der Schlagzeile "Polizeiangestellte gab Tip / Andreas Baaderentkam". Gegenüber der Presse äußerte Croissant: ,,wir haben denVerdacht, daß die Polizei dieses Gespräch brauchte, um unsere Räumedurchsuchen zu können".Als erster wird am 13.7.72 Lang verhaftet und wegen Verdachts derUnterstützung der RAF <strong>in</strong> Untersuchungshaft genommen. Außer denoben erwähnten und vom GBA am 13. Mai bekanntgegebenen Verdachtsmomentengebe es noch weitere H<strong>in</strong>weise auf Langs "Unterstützertätigkeit".E<strong>in</strong> ehemaliger Häftl<strong>in</strong>g aus Tüb<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong> gewisser "Conny",habe ausgesagt, Lang habe ihn ermutigt, nach se<strong>in</strong>er Freilassungfalsche Papiere für Mitglieder der RAF zu beschaffen167.Es müsse vonFluchtgefahr ausgegangen werden, da Lang Anfang Juni 1972 irgendwoangekündigt habe, "<strong>in</strong> den Untergrund zu gehen"l68, sobald sich dieRAF <strong>in</strong> der Defensive befände. Nach vier Monaten wurde Lang wiederfreigelassen.Kurzvor der Eröffnung des gegen ihn anhängigen Verfahrens im Jahr1974 tauchte Lang tatsächlich unter. Auf den ersten Blicksche<strong>in</strong>t dieserUmstand die von der Staatsanwaltschaft gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungenzu bestätigen. "Man sollte jedoch mit e<strong>in</strong>em solchenUrteil vorsichtig se<strong>in</strong>... ", bemerkt Frank Rühmann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch"Anwaltsverfolgung <strong>in</strong> der Bundesrepublik 1971-1976" richtig169.Rühmannweist darauf h<strong>in</strong>, daß zwischen der Verhaftung und dem Beg<strong>in</strong>ndes Prozesses fast zweiJahre lagen, "<strong>in</strong> denen man mit <strong>in</strong>tensiver Öffentlichkeitsarbeitgegen die Anwälte vorg<strong>in</strong>g". Es spreche viel dafür, daßerst diese Öffentlichkeitskampagne gegen die Anwälte, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ansich schon äußerst schwierigen Strafverfahren auftraten, zu e<strong>in</strong>em solchradikalen Bruch mit dem herrschenden Gesellschaftssystem führte; damit"hätten sich die Vorwürfe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art sich selbst erfüllender Prophezeiungbestätigt"17O.Macht man sich diese Sichtweise zu eigen, dannwäre Langs Schritt <strong>in</strong> die Illegalität aus e<strong>in</strong>er durch die "öffentliche71


Me<strong>in</strong>ung" vorangetriebenen Solidarität mit den Mandanten und ihrenAuffassungen zu erklären. Während des auch für westdeutsche Verhältnisseungewöhnlich langen Zeitraums zwischen Verhaftung und Verhandlungwurde die Hetzkampagne gegen die Anwälte <strong>in</strong> der Öffentlichkeittatsächlich une<strong>in</strong>geschränkt fortgeführtl71.Aus der Sicht der Anwältewar durchaus zweifelhaft, ob qualitative Aspekte der Beweisführung fürden Ausgang der Strafsache gegen Lang ausschlaggebend se<strong>in</strong> würden.Zweifel, die auch angesichts der großen übere<strong>in</strong>stimmung mit e<strong>in</strong>er aufder "conspiracy"-Konstruktion beruhenden Anklage aufkommen mußten.Der Zeitpunkt von Langs Untertauchen könnte von diesen Zweifelnmitbestimmt worden se<strong>in</strong>, wobei die Entscheidung auch dann noch alsKonsequenz bzw. als qualitativer Sprung e<strong>in</strong>es Radikalisierungsprozessesgesehen werden könnte. E<strong>in</strong>en solchen Radikalisierungsprozeß jedoch<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie durch den von der "öffentlichen Me<strong>in</strong>ung" ausgehendenDruck zu erklären, ersche<strong>in</strong>t mir zu e<strong>in</strong>fach und zu mechanisch.Es ist durchaus vorstellbar, daß e<strong>in</strong> Radikalisierungsprozeß beschleunigtwird, wenn e<strong>in</strong> Anwalt erfahren muß, daß er mit rechtlichen Mittelnnichterfolgreich arbeiten kann, z. B. wenn es um die Verbesserung der alsmenschenunwürdig erfahrenen Haftsituation se<strong>in</strong>er Mandanten geht,während der zur gleichen Zeit über die Medien und von ihnen angegriffenwird, und zwar vor allem wegen se<strong>in</strong>es beruflichen Auftretens. Daßder Erklärungswert e<strong>in</strong>es Konzepts der "self-fulfill<strong>in</strong>gprophecy" im S<strong>in</strong>nvon" a fals e def<strong>in</strong>ition of the situation evok<strong>in</strong>g a new behavior whichmakes the orig<strong>in</strong>ally false conceptioncome t r u e"172begrenzt ist, läßtsich aber aus der Tatsache ableiten, daß von den mehrere Dutzendzählenden Verteidigern von Gefangenen aus der RAF nur e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> denUntergrund g<strong>in</strong>g (Siegfried Haag, Mai 1975). In Ermangelung e<strong>in</strong>deutigerInformationen über die materielle Wahrheit, über das, was wirklichgeschehen ist und warum, bleibt jegliche Erklärung für Langs Untertauchenspekulativ. Andererseits liegt der Vorwurf nahe, man begnüge sichmit der halben Wahrheit, wenn man sich auf die verfahrens mäßigeWahrheit, auf die beweisbaren Fakten, beschränkt. Für dieses Problem,das <strong>in</strong> dieser Studie noch häufiger auftreten wird, gibt es me<strong>in</strong>es Erachtenske<strong>in</strong>e andere Lösung, als das Problem jeweils als solches zu benennen.und überall von Anfang an auch ausgeführt. Ihre isolierende Ausgestaltungweicht von den üblichen Haftbed<strong>in</strong>gungen so stark ab, daß die alsBegründung vorgebrachten Sicherheitsargumente den Ausnahmecharakterke<strong>in</strong>esfalls h<strong>in</strong>reichend erklären können. Die e<strong>in</strong>zigen, die dieseIsolierungsstrategie hätten durchkreuzen können, die Verteidiger, werden<strong>in</strong>sgesamt der krim<strong>in</strong>ellen Zusammenarbeit mit ihren Mandantenbeschuldigt. Die vorgebrachten und von den Medien verbreiteten Tatsachenbehauptungenschlagen sich aber nicht <strong>in</strong> normalen Strafverfahrennieder. Noch im Dezember 1974 kommt der Vorstand der Bundesrechtsanwaltskammer173zu der Feststellung, daß von ke<strong>in</strong>er Staatsanwaltschafte<strong>in</strong> Verfahren zwecks Ausschluß aus der Anwaltschaft beie<strong>in</strong>em der dafür zuständigen Ehrengerichte e<strong>in</strong>geleitet wurde, "offenbar,weil das Beweismaterial nicht ausreicht,,174.Die Behörden konzentrierensich vor allem auf die Rechtsanwälte, die sich am schärfsten und hartnäkkigstengegen die Verletzungen der Menschenrechte an ihren <strong>in</strong>haftier_ten Mandanten wehren.Besonders empf<strong>in</strong>dlich und übere<strong>in</strong>stimmend hart reagieren die Behördenauf die von e<strong>in</strong>igen Anwälten <strong>in</strong> diesem Zusammenhang gezogenenParallelen zu polizeilichem und gerichtlichem Auftreten während derZeit des Nationalsozialismus.4. ZusammenfassungDie mit der Strafverfolgung befaßten Behörden verne<strong>in</strong>en <strong>in</strong> ihrenoffiziellenStellungnahmen von Anfang an, daß der bevorstehende Strafprozeßgegen "Baader u. a." <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em politischen Kontext gesehenwerden kann oder darf, und daß die politischen Motive der Beschuldigtenernstgenommen werden müssen. Gleichzeitigwerden für die Gefangenenaus der RAF jedoch besonders scharfe Haftbed<strong>in</strong>gungen verfügt7273


Kapitel III: <strong>Verteidigung</strong>Um e<strong>in</strong> genaues Bild von den Problemen vermitteln zu können, diemit der <strong>Verteidigung</strong> von "Baader u. a. " verbunden waren, ersche<strong>in</strong>t esmir s<strong>in</strong>nvoll, mit e<strong>in</strong>igen allgeme<strong>in</strong>en Bemerkungen über Stellung undFunktion des Rechtsanwalts im westdeutschen Rechtswesen (vor allem<strong>in</strong> Strafverfahren) zu beg<strong>in</strong>nen. Anschließend soll auf die prekäre Positionder Verteidiger von Gefangenen aus der RAF e<strong>in</strong>gegangen werden.Letzteres wird beispielhaft abgehandelt an Hand der Konzeption für die<strong>Verteidigung</strong> von "Baader u. a.", wie sie von den Gefangenen <strong>in</strong> Absprachemit ihren Verteidigern entwickelt wurde und wie sie vornehmlichdurch das Auftreten sowie die Sondermaßnahmen der ausführendengerichtlichen und gesetzgebenden Organe bee<strong>in</strong>flußt, verändert unddurchkreuzt wurde.1. Der Rechtsanwalt im westdeutschen RechtswesenAufgrund se<strong>in</strong>er Funktion im westdeutschen Rechtswesen wird derRechtsanwalt gelegentlich als "Zwitter" bezeichnetl. Er ist sowohl unabhängigesOrgan der Rechtspflege"Z, als auch - kraft se<strong>in</strong>es Auftrags,ausschließlich se<strong>in</strong>em Mandanten zu dienen - zu "strenger E<strong>in</strong>seitigkeit"verpflichtet3. Mit dieser Zwitterposition ist an sich ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e unterschiedlicheGewichtung e<strong>in</strong>er der beiden Funktionen verbunden; esspricht im Gegenteil alles dafür, daß der Rechtsanwalt gerade dann,wenn er von allen Beteiligten als unabhängiges Organ der Rechtspflegerespektiert wird, se<strong>in</strong>er Verpflichtung zu e<strong>in</strong>seitiger Interessenvertretungoptimal nachkommen kann4. Diese Sichtweise steht und fällt mit derjeweils bevorzugten Interpretation des Begriffs "Organ der Rechtspflege";Ist der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege zu Loyalität gegenüberunabhängigen Rechtsgrundsätzen und -werten als fundamentalenOrientierungspunkten der Rechtspflege verpflichtet, oder zur Loyalitätgegenüber der Rechtspflege als e<strong>in</strong>em Instrument des Staates zur Durchsetzungder von ihm gewünschten Gesellschaftsordnung? Rechtslehreund Rechtspflege sche<strong>in</strong>en überwiegend der letzten Auffassung zuzuneigen5,wobei man sich vor allem auf den Gedankengang stützt, dieRechtspflege gehöre zu den expliziten Aufgaben des Staates, sodaß ­nach der Organtheorie6 - der Rechtsanwalt, selbst e<strong>in</strong> Organ der Rechtspflege,fast als staatliches Organ gesehen werden kann. Der Anwalt istzwar ke<strong>in</strong> Beamter7, dennoch wird se<strong>in</strong>e Tätigkeit allgeme<strong>in</strong> als zu den"staatlich gebundenen Berufen" zählend gesehen8, das Bundesverfas-74sungsgericht spricht sogar von e<strong>in</strong>er "amtsähnlichen" Stellung9. Dieerwähnte Zwitterhaftigkeit läßt sich denn auch primär aus den historischenUrsprüngen des zur Diskussion stehenden Begriffserklären wie siesich auch heute noch <strong>in</strong> den Auffassungen e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>flußreichen Teilsderwestdeutschen Juristenelite widerspiegelnlO. Im 18. Jahrhundert, unterder absolutistischen Herrschaft Friedrich 11.,durften Rechtsanwälte <strong>in</strong>Preußen, das die übrigen deutschen Staaten stark bee<strong>in</strong>flußte, nur alskönigliche Beamte ihren Beruf ausüben. Funktion dieser Anwälte war,den Gerichten Hilfestellung bei der Wahrheitsf<strong>in</strong>dung zu leisten, notfallsauch zum Nachteil ihrer Mandantenll. Bis 1878 hatten Anwälte <strong>in</strong>Preußen Beamtenstatus: Ihre Zahl war durch e<strong>in</strong>en numerus c1aususbegrenzt, sie unterlagen gleichzeitige<strong>in</strong>em vom Staat streng kontrolliertenStandesrecht. Dieaußerhalb Preußens bereits früher verwirklichteLoslösungvom Beamtenstatus, e<strong>in</strong>e der wesentlichsten Forderungen derRevolutionen von 1789 und 1848, vollzogsich <strong>in</strong> Preußen erst 1878. Anse<strong>in</strong>e Stelle trate<strong>in</strong>e von der eigenen Berufsgruppe streng organisierte undüberprüfte standesrechtliche überwachung. Die Formel "Organ derRechtspflege", 1893 vom Ehrengerichtshot1z e<strong>in</strong>geführt, ist unmittelbarder oben erwähnten <strong>in</strong>strumentalistischen Rechtsauffassung entlehnt. MitAusnahme e<strong>in</strong>es kurzen Zeitraums nach dem Zweiten Weltkrieg, alsverständliche Reaktion auf die Pervertierung des Begriffs "Organ derRechtspflege" während der zwölfjährigen NS-Herrschaft (<strong>in</strong> der Anwälteübrigens ebensowenig Beamtenstatus hatten, zum<strong>in</strong>destformal), hat sichdiese Auffassung als herrschende Rechtsme<strong>in</strong>ung bis heute erhaltenkönnen13 Es fällt nicht schwer, nachzuvollziehen, daß e<strong>in</strong>e solche Konzeptiondes Anwalts als "Organ der Rechtspflege" vor allem für Anwälte,die sich ideologisch radikal-sozialistischem oder kommunistischem Gedankengutverwandt fühlen, e<strong>in</strong>e Reihe von Problemen br<strong>in</strong>gt. Aus ihrerSichtgesehen14rechtfertigen und bestätigen sie <strong>in</strong>nerhalb dieser Konzeptionalle<strong>in</strong> schon durch ihre bloße Funktion und Tätigkeit als InteressenvertreterihrerMandanten die Legitimitätder bürgerlichen Rechtsordnungsowie die ihr zugrunde liegenden gesellschaftlichen Verhältrlisse. Diedualistische Position des Anwalts (staatliches Organ versus e<strong>in</strong>seitiggebundenemInteressenvertreter) weist ihm notwendigerweise die Rollee<strong>in</strong>es Vermittlers <strong>in</strong> Interessenkonflikten zu, die häufig auf grundsätzlichegesellschaftliche Machtverhältnisse zurückverweisen. Die auch vom Anwaltzu benutzenden rechtlichen Regelungen sollen schon im voraus e<strong>in</strong>für se<strong>in</strong>en Mandanten nachteiliges Ergebnis legitimieren. Wenn jeglichesHandeln des Rechtsanwalts dem Mandanten die herrschende Legalitätsowie die sich daraus ergebenden Entscheidungenals legitim ersche<strong>in</strong>enlassen müssen, besteht die wesentliche ideologische Funktion des Rechtsanwalts<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bürgerlichen Klassengesellschaft dar<strong>in</strong>, die Machtverhältnissezu verschleiern, <strong>in</strong>dem der Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es isolierten und <strong>in</strong>dividuellenRechtsverhältnisses aufrecht erhalten wird.75


E<strong>in</strong>e Bestätigung der oben entwickelten Argumentation f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong>dem Buch "Legitimation durch Verfahren" des konservativen westdeutschenRechtssoziologen Luhmann:"Durch ihre Teilnahme am Verfahren werden alle Beteiligten veranlaßt, dendekorativen Rahmen und die Ernsthaftigkeit des Geschehens, die Verteilungder Rollen und Entscheidungskompetenzen, die Prämissen der gesuchtenEntscheidung, ja das ganze Recht, soweit es nicht im Streit ist, mit darzustellenund so zu bestätigen. Es genügt nicht, daß die Vertreter der Macht ihreEntscheidungsgrundsätze und Entscheidungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>seitiger Feierlichkeit verkünden.Gerade die Mitwirkung derer, die möglicherweise den Kürzeren ziehen, hatfür e<strong>in</strong>e Bestätigung der Normen, für ihre Fixierung als verb<strong>in</strong>dliche, persönlich-engagierendeVerhaltensprämisse besonderen Wert"15.Die Realisation des Legitimationsanspruchs ist Luhmann zufolge wesentlichfür das Funktionieren des Prozesses. Ermöglicht wird dies durchdie "unbezahlte zeremonielle Arbeit" aller Prozeßbeteiligten. Vor allemdann, wenn es um politisch ges<strong>in</strong>nte Mandanten geht, ist zu erwarten,daß Rechtsanwälte dieses verschleiernde Rollenspiel nicht kritiklos mitspielen.Demzufolge werden sie, ausgehend von der grundsätzlichenBeistandspflicht, sich voll auf die Seite ihrer Mandanten gegenüber demstaatlichen Gegner stellen. Ihre "strenge E<strong>in</strong>seitigkeit" wird aus demVersuch bestehen, dort, wo es notwendig und gerechtfertigt ersche<strong>in</strong>t,mit Hilfe ihres beruflichen Instrumentariums die Legitimität des Rechtszur Diskussion zu stellen und die Justiz als politisch und parteiisch zuentlarven; sie werden versuchen, auf prozeßrechtlichen Positionen undmateriellen Rechten, die jedem Individuum garantiert werden, zu beharren,und zwar auch oder gerade dann, wenn diese Positionen undRechte im Widerspruch zu staatlichen Interessen stehen sollten; sie werdendas Verhalten der unter Verletzung der geltenden Regeln und Wertehandelnden staatlichen Organe öffentlich anprangern und sie werdenverh<strong>in</strong>dern, daß ihre Mandanten gegene<strong>in</strong>ander ausgespielt werden.Noch e<strong>in</strong>mal Luhmann: "Funktion des Verfahrens ist mith<strong>in</strong> die Spezifizierungder Unzufriedenheit und die Absorption von Protesten"16, undweiter, schlußfolgernd: "Es sche<strong>in</strong>t mith<strong>in</strong>, daß e<strong>in</strong>e Legitimation durchVerfahren nicht dar<strong>in</strong> besteht, den Betroffenen <strong>in</strong>nerlich zu b<strong>in</strong>den,sondern dar<strong>in</strong>, ihn als Problemquelle zu isolieren und die Sozialordnungvon se<strong>in</strong>er Zustimmung oder Ablehnung unabhängig zu stellen"17. Kurzgesagt, Funktion des (Straf)Prozesses als e<strong>in</strong>es sozialen Ereignisses istnicht die Wahrheitsf<strong>in</strong>dung oder die Verwirklichung materiellen Rechts,sondern vielmehr die thematische und soziale Isolation e<strong>in</strong>es sich widersetzendenIndividuums mit Hilfe e<strong>in</strong>es Rollenspiels, so daß se<strong>in</strong> Widerstandsich gleichsam <strong>in</strong> Luft auflöst.762. Der Rechtsanwalt als Verteidiger von Gefangenen aus der RAFIn e<strong>in</strong>er "normalen" Strafsache kann man vom Anwalt <strong>in</strong> der Regelzwar e<strong>in</strong>e formelle, selten jedoch e<strong>in</strong>e grundsätzliche opponierende Haltungerwarten. Insgesamt gesehen liegtse<strong>in</strong>e Funktion <strong>in</strong> der Vermittlungzwischen Justiz und Mandant. Dem amerikanischen RechtssoziologenBlumberg zufolge, der den Rechtsanwalt <strong>in</strong> Straiverfahren als "doubleagent"(se<strong>in</strong>es Mandanten und der Justizbürokratie) schildert, ist derAnwalt selbst primär an den Voraussetzungen und Anforderungen derOrganisation des Gerichtsbetriebs orientiert18; "These priorities exertahigher claim than the stated ideological goals of ,due process of law' andare often <strong>in</strong>consistent with them"19. Obwohl diese Beobachtungen ander amerikanischen Strafrechtspflege orientiert und bereits <strong>in</strong> früherenStudien von Talcott Parsonszo und David Sudnoifl ausgearbeitet wordens<strong>in</strong>d, also nicht ohne weiteres auf die kont<strong>in</strong>entale europäischeAdvokatur übertragen werden können, gibt es me<strong>in</strong>es Erachtens wenigGründe für die Annahme, daß das Bild des Verteidigers als "agent­'mediator"zz wesentlich von dem der kont<strong>in</strong>ental-europäischen Praxisabweichen sollte. Das Gegenteil ist eher der Fall, da die mit diesem Bildwiderstreitende Ideologie des Strafprozesses als e<strong>in</strong>em "adversary, combativeproceed<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> which counsel for the defense assidously mustersall the admittedly limited resources at his command to defend the accused"z3nirgendwo so stark entwickelt ist wie <strong>in</strong> den USA. Während derStrafprozeß als e<strong>in</strong>e auf Widerrede e<strong>in</strong>gestellte Prozedur <strong>in</strong> der Praxisdemzufolge dah<strong>in</strong> tendiert, vor allem über die Rolle und Funktion desVerteidigers den Weg der Vermittlung, womöglich sogar der Versöhnung,e<strong>in</strong>zuschlagen, macht der obige Abschnitt deutlich, daß <strong>in</strong> politischen<strong>Strafsachen</strong> e<strong>in</strong> l<strong>in</strong>ker Verteidiger auf der e<strong>in</strong>en Seite und Staatsanwaltschaftund Richter auf der anderen Seite sich leicht als grundsätzlicheGegner erfahren werden. Formell ist die Position des Verteidigersdurch diejenige se<strong>in</strong>es Mandanten bestimmt; im Namen se<strong>in</strong>es Mandantenwird er versuchen, die grundsätzliche politische Opposition des Mandantenso deutlich und so überzeugend wie möglich zu präsentieren.E<strong>in</strong>e solche oppositionelle Haltung wird für den Richter häufig wahrsche<strong>in</strong>lichnoch problematischer se<strong>in</strong> als für den Staatsanwalt, der jazum<strong>in</strong>dest an formelle Opposition bereits gewöhnt ist;persönlich wird fürRichter und Staatsanwalt jedoch am schwersten zu begreifen und zuverarbeiten se<strong>in</strong>, daß Verteidiger und Angeklagte von allen ihnen zurVerfügung stehenden strafprozeßrechtlichen Möglichkeiten Gebrauchmachen, um so zu versuchen, die Legitimität der Gesellschaftsordnung(deren Rechtsordnung den Gebrauch dieser Möglichkeiten ja schließlichvorsieht!) <strong>in</strong> der Öffentlichkeit <strong>in</strong> Zweifel zu ziehen.Mitanderen Worten: Während die richterliche Gewalt im allgeme<strong>in</strong>engewöhnt ist, daß die Legitimität (imS<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es faktischen Akzeptierens)77


der Gesellschaftsordnung durch die <strong>in</strong>dividualisierenden und entpolitisierendenTendenzen des (Straf-)Prozesses bestätigt wird, werden dieJustizbehörden jetzt mit Verteidigern und Angeklagten konfrontiert, diedie ihnen zugedachten Rollen (deren übernahme e<strong>in</strong>e "Legitimationdurch Verfahren" erst möglich macht) von Anfang an ablehnen und sichstatt dessen auf die generalisierenden und politisierenden Möglichkeiten,die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Strafprozeß zum<strong>in</strong>dest pr<strong>in</strong>zipiellauch enthalten s<strong>in</strong>d, konzentrieren.Die Tatsache, daß die Verteidiger von Gefangenen aus der RAF vonallen westdeutschen Behörden von Anfang an nicht nur als Widersacher,sondern als unmittelbare Fe<strong>in</strong>de gesehen und entsprechend behandeltwurden (und werden), bedarf aber e<strong>in</strong>er noch weiter gehenden Erklärung.Schon zu Beg<strong>in</strong>n der Ermittlungen war, wie bereits erwähnt, aufhöchster Ebene (vor allem durch den E<strong>in</strong>fluß des Generalbundesanwalts,der als materieller "Knotenpunkt" der Staatsschutzbehörden gesehenwerden kann) beschlossen worden, die den Gefangenen aus derRAF vorgeworfenen Straftaten mit Hilfe rechtlicher und medienpolitischerAktivitäten zu entpolitisieren. Das war auch notwendig, um den"revolutionären Virus", wie ihn Me<strong>in</strong>ungsforscher <strong>in</strong> weiten Teilen derBevölkerung entdeckt haben wollten, e<strong>in</strong>zudämmen. E<strong>in</strong>e weitere dasFe<strong>in</strong>dbild der Behörden erklärende und mit dem vorher Gesagten zusammenhängendeHypothese, die <strong>in</strong> dieser Studie noch e<strong>in</strong>er genauenBetrachtung unterzogen wird, ist die, daß den Sicherheitsbehörden fürdie Verwirklichung ihrer Entpolitisierungsabsicht extrem isolierendeHaftbed<strong>in</strong>gungen unbed<strong>in</strong>gt notwendig erschienen. Erstens sollte dieIsolation verh<strong>in</strong>dern, daß die Gefangenen aus der RAF mit ihrer politischenBotschaft die Außenwelt erreichen können, und zweitens sollte siedie politische Identität dieser Gefangenen zerstören. Auch sollten möglicheNachfolger abgeschreckt werden. In öffentlichen Verhandlungenhätte man die Gefangenen dem Volk zudem als apolitische Wirrköpfepräsentieren können. Schließlich hätten auch Aussagen von Gefangenen,die unter dem Druck der Haftbed<strong>in</strong>gungen abtrünnig würden, dieLücken <strong>in</strong> der Beweisführung ausfüllen und die für e<strong>in</strong>e Verurteilungbestehende erhebliche Beweisnot beseitigen können.Schon von Berufs wegen waren die Verteidiger verpflichtet, e<strong>in</strong>esolche Strategie <strong>in</strong> allen Punkten zu durchkreuzen. Durch die Art undWeise, wie die Verteidiger dies versuchten, drohte diese staatliche Strategiezu scheitern und öffentlich als e<strong>in</strong> im Widerspruch zu rechtsstaatlichenGrundsätzen stehendes, an e<strong>in</strong>er besonderen Gruppe von Gefangenendurchgeführtes Vemichtungsprogramm entlarvt zu werden. Die Anwältebeschränkten sich nicht nur auf den E<strong>in</strong>satz "defensiver" Rechtsmittel,sondern sie versuchten noch vor Beg<strong>in</strong>n der öffentlichen Verhandlung,die unterschiedlichen Schritte der staatlichen Strategie offensiv und öffentlich<strong>in</strong> politische Begrifflichkeitenzu "übersetzen". Außerdem errich-78teten sie e<strong>in</strong> Informationsnetz unter sich und zu den Gefangenen, um dieProzesse besser vorbereiten zu können und koord<strong>in</strong>ierte Aktionen ihrerMandanten gegen ungerechtfertigte Behandlung zu ermöglichen. DieHungerstreiks s<strong>in</strong>d als Beispiel zu nennen. Weiter arbeiteten Anwälte mitanderen Personen und Gruppen zusammen, um den Aktionen derGefangenen geme<strong>in</strong>sam so viel Publizität wie möglich zu verschaffen. Alsdie staatliche Strategie aufgrund dieser anwaltlichen Bemühungen zuscheitern drohte, mußten die Verteidiger als glaubwürdige Organe derRechtspflege ausgeschaltet werden. Mangels belastenden Materials wardas nur mit e<strong>in</strong>er Hetzkampagne möglich, die die Verteidiger als "verlängertenArm der RAF" darstellte.3. Ausgangspunkte der <strong>Verteidigung</strong>Bevor die verschiedenen Verteidigerbemühungen der Anwälte währendder Untersuchungshaft von "Baader u. a. " e<strong>in</strong>er näheren Betrachtungunterzogen werden, ersche<strong>in</strong>t es mir s<strong>in</strong>nvoll, die wichtigsten Ausgangspunktezu benennen, die der <strong>Verteidigung</strong> zugrunde lagen. Sies<strong>in</strong>d u. a. auch <strong>in</strong> den Prozeßerklärungen von Groenewold, Croissantund Ströbele zu strafrechtlichen und standesrechtlichen Verfahren gegensie (1978 und 1979) zu f<strong>in</strong>den. Diese Ausgangspunkte werde ich dannkurz illustrieren. Von 1971/72 an hatten die drei Anwälte e<strong>in</strong>en wichtigenund kont<strong>in</strong>uierlichen Anteil an der Vorbereitung des Prozesses gegenBaader, Me<strong>in</strong>hof, Me<strong>in</strong>s, Enssl<strong>in</strong> und Raspe. Vor allem wegen der Haftbed<strong>in</strong>gungenarbeiteten sie durchgängig mit 15 bis 25 anderen Verteidigernvon Gefangenen aus der RAF, dem SPK und anderen Gruppenzusammen. Unter diesen Anwälten herrschte über die Konzeption der<strong>Verteidigung</strong> und die sich daraus ergebende Tätigkeit im wesentlichenübere<strong>in</strong>stimmung.In der Prozeßvorbereitung lassen sich drei verschiedene Ausgangspunkteunterscheiden:1. Das Recht auf freie <strong>Verteidigung</strong> be<strong>in</strong>haltet, daß der Beschuldigteselbst bestimmen kann, wie er sich verteidigen möchte, gemäß denMöglichkeiten, die das Recht bietet.2. Der Verteidiger hat darüber zu wachen, daß die jeweiligen Haftbed<strong>in</strong>gungendie Gesundheit se<strong>in</strong>er Mandanten und folglichihre Fähigkeit,sich auf den Prozeß vorzubereiten, nicht negativ bee<strong>in</strong>flussen.3. Der Verteidiger hat darauf zu achten, daß die Garantie e<strong>in</strong>es "fairtrial", e<strong>in</strong>es fairen öffentlichen Prozesses, nicht zur Illusion wird. DieseGefahr besteht <strong>in</strong>sbesondere dann, wenn die "praesumptio <strong>in</strong>nocentiae",die Unschuldsvermutung, durch offizielleund öffentliche Vorverurteilungenquasi beseitigt wird.Der zweite und dritte Ausgangspunkt ergeben sich direkt aus denallgeme<strong>in</strong> anerkannten Funktionen des Verteidigers, und zwar der Inter-79


essenvertretung für se<strong>in</strong>en Mandanten und der Prozeßüberwachung.Diese Aufgaben e<strong>in</strong>es Verteidigers s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong>nerhalb der westdeutschenAdvokatur völligunumstritten24. Der erste Punkt sche<strong>in</strong>t selbstverständlichzu se<strong>in</strong>, berücksichtigt man die allgeme<strong>in</strong>e Anerkennung derPosition des Beschuldigten als selbständiger Prozeßpartei, unterstütztvon e<strong>in</strong>em unabhängigen rechtskundigen Berater, der die Interessense<strong>in</strong>es Mandanten e<strong>in</strong>seitig zu beherzigen hat und u. a. dadurch versucht,den Grundsatz der "Waffengleichheit" <strong>in</strong> die Praxis umzusetzen25. Innerhalbder westdeutschen Advokatur besteht aber die Auffassung, derVerteidiger sei mit der"straffen Führung der <strong>Verteidigung</strong>" beauftragt;die Forderung nach Unabhängigkeit gelte auch gegenüber dem Mandanten,wodurch es zu Spannungen kommen könne, da Mandantenhäufig mit "unsachgemäßen Wünschen und Zumutungen" ankämen,die "zum Teil auf ihrem Unverstand oder ihrem schlechten Charakter(beruhen) , zumTeils<strong>in</strong>d es Respektlosigkeiten, Dünkel und Arroganz"26.Bei politisch motivierten Beschuldigten beschränkt sich dieses Problemim Pr<strong>in</strong>zip auf die Frage, ob und wie weit e<strong>in</strong> Verteidiger zu e<strong>in</strong>erpolitischen <strong>Verteidigung</strong> bereit ist oder dafür sorgen will,daß se<strong>in</strong> Mandantse<strong>in</strong>e politischen Erklärungen <strong>in</strong> dem und über das gegen ihnlaufende Strafverfahren abgeben kann. In Deutschland gibt es e<strong>in</strong>e langeTradition auf diesem Gebiet, aus der sich entnehmen läßt, daß derWunsch e<strong>in</strong>es Mandanten nach politischer <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> der Praxisnicht nur bei den betreffenden Rechtsanwälten große Unterstützungfand, sondern auch von der Justiz - wenn auch häufig wider Willen ­zugelassen wurde27.3.1. Kollektive <strong>Verteidigung</strong>Wie ich bereits erwähnte, ist es nicht möglich, den Prozeß gegenBaader, Enssl<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>hofund Raspe (Holger Me<strong>in</strong>sstarb am 9.11. 74imHungerstreik28) losgelöst von se<strong>in</strong>em historischen Zusammenhang zubetrachten, zu behandeln und zu analysieren. Dies giltweitgehend auchfür die <strong>Verteidigung</strong>, und zwar vorallem wegen der von ihren Mandantene<strong>in</strong>genommenen Haltung zur Vorbereitung und Ausgestaltung ihrer <strong>Verteidigung</strong>.Da Gefangene aus der RAF sich als e<strong>in</strong>em Kollektivzugehörigbetrachten, halten sie e<strong>in</strong>e kollektive Vorbereitung ihres Auftretens undihrer Stellungnahmen <strong>in</strong> den verschiedenen Prozessen - die sie <strong>in</strong> derSache als e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Prozeß betrachten - für unerläßlich. Darüberh<strong>in</strong>aus lehnen siejegliches Rollenspiel bei den konkreten strafrechtlichenErmittlungen, <strong>in</strong>sbesondere Angaben zu den ihnen vorgeworfenenStraftaten, grundsätzlich ab. In den meisten Fällen beschränkt sich ihrAnteil an der Gerichtsverhandlung auf die Abgabe von Prozeßerklärungen,<strong>in</strong> denen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die politischen Ziele und Me<strong>in</strong>ungen derGruppe, die Funktion des Strafprozesses und die Haftbed<strong>in</strong>gungen be-80handelt werden. Folglich· waren die Probleme der <strong>Verteidigung</strong> vonAnfang an auch eher praktischer als grundsätzlicher Natur: Wie ist esmöglich, die notwendige Kommunikation zwischen den Angeklagten zurBestimmung der Prozeßstrategie herzustellen? Das Ausmaß des Problemsläßt sich noch am ehesten mit Zahlen verdeutlichen: E<strong>in</strong>er Dokumentationder Westberl<strong>in</strong>er Gefangenenhilfsorganisation "Rote Hilfe"von Ende 1972 zufolge gab es Mitte 1972 <strong>in</strong> der BRD und Westberl<strong>in</strong>etwa 60 politische Gefangene, die meisten aus der RAFund dem SPK. Inihre <strong>Verteidigung</strong> waren m<strong>in</strong>destens 55 Anwaltsbüros e<strong>in</strong>bezogen29.Bereits kurz nach der Festnahme von "Baader u. a." Mitte 1972 zeigtesich, daß die Behörden den bevorstehenden Prozeß als den Prozeßgegen die RAF schlechth<strong>in</strong> betrachteten, so daß sich alle Gefangenen,zum<strong>in</strong>dest was die Vorbereitungungen betraf, auf diesen Prozeß konzentrierenkonnten. Das Kommunikationsproblem war damit jedoch ke<strong>in</strong>eswegsgelöst. Daß der Prozeß zum exemplarischen Prozeß gegen dieRAF werden würde, war die logische Konsequenz aus der offenenAbsicht der Behörden, "Baader u. a. " als "den harten Kern" der RAFvorGericht zu stellen und für den Aufbau der RAF zur "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung"sowie für die wichtigsten Anschläge der RAFwährend der OffensiveMitte 1972 verurteilen zu lassen. Unmißverständlich wurde dies vonGeneralbundesanwalt Siegfried Buback am 27.6.76 im "Deutschlandfunk"formuliert:"Wirmußten <strong>in</strong> diesem Verfahren e<strong>in</strong>en größeren Sachverhalt zur Anklagestellen,weil es sich ja um die führenden Leute dieser Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bandehandelte. Man mußte also vor Gericht e<strong>in</strong>en repräsentativen QuerschnittihresTuns und HandeIns ausbreiten".Die zur Vorbereitung der <strong>Verteidigung</strong> notwendige Kommunikationsollte sich demnach vornehmlich auf zwei Bereiche konzentrieren: aufdie Prozeßerklärungen der Angeklagten und auf die überprüfung desvorgelegten Beweismaterials. Daß die überprüfung des Beweismaterialsals Hauptaufgabe der <strong>Verteidigung</strong> gesehen werden kann, ergibt sichbereits aus der allgeme<strong>in</strong> anerkannten Aufgabe des Verteidigers, dasStrafverfahren rechtlich zu überwachen, wobei er sich e<strong>in</strong>seitig an denInteressen se<strong>in</strong>es Mandanten zu orientieren hat. Zur Erfüllung dieserAufgabe ist es für den Verteidiger nicht von wesentlichem Interesse, obse<strong>in</strong> Mandant die Straftaten, derer er angeklagt ist, auch tatsächlichbegangen hat; ihn <strong>in</strong>teressiert vielmehr, ob das Sammeln, die Analyseund die juristische Bewertung des Beweismaterials gegen se<strong>in</strong>en Mandanten<strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmung mit dem geltenden Recht vorgenommenwird.Im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit des bürgerlichen Rechtsstaatslegitimieren sich die Vorbereitung und das Abgeben von (politischen)Prozeßerklärungen aus der Struktur des Strafprozesses selbst als e<strong>in</strong>esauf Gegenrede beruhenden Verfahrens, <strong>in</strong> dem der Beschuldigte eigen-81


•ständige Partei ist, also Subjekt und nicht Objekt. Obwohl diese Struktur<strong>in</strong> den verschiedenen westeuropäischen Staaten bereits während desvorigen Jahrhunderts <strong>in</strong> den unterschiedlichen strafprozeßrechtlichenRegelungen, vor allem für die öffentliche Verhandlung, ihre positivrechtlicheAusdrucksform gefunden hat, hat sich die Auffassung über dieStellung des Angeklagten als Prozeßsubjekt erst mit der übernahme desaus der anglo-amerikanischen Rechtstradition stammenden Begriffsdes"fair trial" <strong>in</strong> Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonventionsowie mit der bestehenden Spruchpraxis der Europäischen Menschenrechtskommissionund des Europäischen Gerichtshofes durchgesetzt3o.In den Niederlanden haben Angeklagte drei Möglichkeiten, sich zu äußern:1. In Form e<strong>in</strong>er Erklärung zu e<strong>in</strong>er Zeugenaussage 3\2. imRahmen e<strong>in</strong>er richterlichen Befragung des Angeklagten32 und 3. <strong>in</strong> Forme<strong>in</strong>es Plädoyers oder "letzten Wortes" des Angeklagten33. Im westdeutschenStrafprozeßrecht s<strong>in</strong>d wesentlich mehr Möglichkeiten für die Abgabevon Prozeßerklärungen vorhanden, wobei der "Erklärung zurSache" besondere Bedeutung zukommt: Sie bietet dem Angeklagten dieMöglichkeit, sich ausführlich zu der von der Staatsanwaltschaft verlese-.nen Anklage zu äußern und den Rahmen se<strong>in</strong>er <strong>Verteidigung</strong> anzugeben34.Weitere Möglichkeiten s<strong>in</strong>d Erklärungen zu Zeugen- und Sachverständigenaussagen,zu vorgelegten Beweisstücken sowie zu anderenHandlungen im Rahmen der Beweisführung35. Prozeßerklärungen könnenfür die Bewertung von Beweisstücken und der Motive des Angeklagtenfür die ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen von Bedeutungse<strong>in</strong>, wobei die Beweggründe bei Fragen der Widerrechtlichkeit, derSchuldzuweisung und der Strafzumessung e<strong>in</strong>e Rolle spielen können.In der Strafsache gegen "Baader u. a. " bestand noch e<strong>in</strong> besondererGrund, um den politischen Prozeßerklärungen der Angeklagten Bedeutungbeizumessen. Immerh<strong>in</strong> basierten die Festnahme, die Ermittlungenund die zu erwartende Anklage auf dem Verdacht e<strong>in</strong>es Vergehensgegen § 129 StGB über die "krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung" und den <strong>in</strong> diesemorganisatorischen Rahmen verübten konkreten strafbaren Handlungen.Nach § 129 Abs. 2 Satz 2 kann von e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung jedochnicht gesprochen werden, "wenn die Begehung von Straftaten nur e<strong>in</strong>Zweck oder e<strong>in</strong>e Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung" ist. Es lagnahe, daß sich die <strong>Verteidigung</strong> auf diesen Strafausschließungsgrundberufen und versuchen würde, zu beweisen, daß die vorgeworfenenkonkreten Straftaten gegenüber dem Endziel der RAF, der revolutionärenUmwälzung des kapitalistischen und imperialistischenStaates, vonuntergeordneter Bedeutung waren36.In der Anklageschrift der BAW ist über das angestrebte Ziel derBeschuldigtenzu lesen:"Endziel all ihrer Bestrebungen müsse se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e sozialistischeGesellschaftsordnungherbeizuführen. Dies könne gegenwärtig jedoch nur dadurch geför-82dert werden, daß neben der politischen Aufklärungsarbeit <strong>in</strong> den Betrieben,Universitäten, Schulen und Heimen anschauliche revolutionäre Beispiele <strong>in</strong>­Form gezielter und bewaffneter Aktionen gegen die Organe der Staatsmacht,ähnlich der Methode der südamerikanischen Stadtguerillas, gegeben würden.Die revolutionäre Theorie mobilisiere die Massen nur dazu, wenn ihr konkreteMöglichkeiten zur revolutionären Veränderung bestehender gesellschaftlicherVerhältnisse vor Augen geführt würden".E<strong>in</strong>e Berufung auf e<strong>in</strong>en sich aus § 129,2,2 ergebenden Strafausschließungsgrundvorwegnehmend, behauptete die BAW schlichtweg,daß die Aktivitäten derGruppe schon sehr bald nur noch <strong>in</strong> der Ausführungvon strafbaren Handlungen bestanden hätten, die RAFsomit raschvon "e<strong>in</strong>er auch politischen Vere<strong>in</strong>igung" zu e<strong>in</strong>er "re<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>ellenBande" geworden sei. Das Recht der Beschuldigten, diese für denVorwurf der "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung" so zentrale Behauptung mit Hilfevon politischen Prozeßerklärungen zu bekämpfen und zu widerlegen,läßt sich wohl kaum anzweifeln. Die Gefangenen wollten sich <strong>in</strong> ersterL<strong>in</strong>ie auf e<strong>in</strong>e ausführliche "Erklärung zur Sache" vorbereiten, wor<strong>in</strong> siedie Politik der RAF als sozialrevolutionärer Bewegung <strong>in</strong>nerhalb desgrößeren Rahmens e<strong>in</strong>es Befreiungskampfes der Dritten Welt und denAufbau e<strong>in</strong>er Stadtguerilla <strong>in</strong> Westeuropa darlegen wollten. Die Prozeßerklärungensollten die imperialistischen Strukturen und Ziele aufdeckensowie aufzeigen, daß Widerstand dagegen, nach dem Konzept derStadtguerilla, notwendig, möglich und effektiv sei. Dem könnte manentgegenhalten, daß doch wohl e<strong>in</strong> Unterschied bestehe zwischen e<strong>in</strong>er(rechtmäßigen) Prozeßerklärung, <strong>in</strong> der der Angeklagte se<strong>in</strong>e politischenAuffassungen und das daraus folgende (vergangene) Verhaltendarlegt, und e<strong>in</strong>er (rechtswidrigen) Prozeßerklärung, die auf e<strong>in</strong> Plädoyerfür die Anwendung illegaler Gewalt <strong>in</strong> der Zukunft h<strong>in</strong>ausläuft. Mirsche<strong>in</strong>t es jedoch ausgesprochen schwierig zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e solche denkbareUnterscheidung praktisch umzusetzen, ohne e<strong>in</strong>en unmittelbaren unde<strong>in</strong>schneidenden E<strong>in</strong>griff<strong>in</strong> die Stellung des Angeklagten als autonomer,"selbständiger" Prozeßpartei vorzunehmen.Die für die Prozeßerklärung im <strong>Stammheim</strong>er Verfahren erforderlichepolitische Analyse sollte vor allem auf die Rolle der USA als Führungsmacht<strong>in</strong> der westlichen Welt, ihre globale Interventionspolitik sowie dieUnterwerfung anderer Völker - <strong>in</strong>sbesondere der "Dritten Welt" - mitHilfe militär-strategischer oder ökonomischer Machtrnittel gerichtet se<strong>in</strong>,wobei auch die enge Zusammenarbeit zwischen den USA und denübrigen westlichen Staaten zur Sprache kommen sollte. Zur Vorbereitunge<strong>in</strong>er solchen Prozeßerklärung bedurfte es e<strong>in</strong>er gewissenhaften­Verarbeitung aller als politisch zu bezeichnenden Informationen überhistorische und strukturelle Entwicklungen, über Kultur und Imperialismussowie über waffentechnische, -taktische und -strategische Probleme.83


Folgende Zahlen mögen den Umfang der mit der überprüfung desBeweismaterials <strong>in</strong> diesem Prozeß verbundenen Problematik veranschaulichen:Zu Beg<strong>in</strong>n des Prozesses beabsichtigte die Bundesanwaltschaft,etwa 1 000 Zeugen zu vernehmen und mehr als 1000 Sachverständigengutachtenerstellen zu lassen (die von der <strong>Verteidigung</strong> geplantenZeugenvernehmungen und Sachverständigengutachten s<strong>in</strong>d alsonoch nicht mitgerechnet); mehr als 250 Aktenordner mit ca. 70000Seiten Text waren als Prozeßmaterial schon vorhanden.Der von der Bundesanwaltschaft selbst e<strong>in</strong>geführte Begriff "Materialschlacht"war sicherlich nicht übertrieben. Die Verteidiger konnten nachder herrschenden Rechtsauffassung davon ausgehen, daß die persönlicheBeteiligung jedes Angeklagten an den ihm zur Last gelegten Straftatenfestgestellt werden müsse. Ferner hatten die Verteidiger umso mehrvon der gesetzlichen Unschuldsvermutung auszugehen, als es ke<strong>in</strong>erleikonkrete H<strong>in</strong>weise gab, welche Mandanten für welche angeklagtenStraftaten verantwortlich se<strong>in</strong> sollten. Das vorhandene Prozeßmaterialerforderte somit e<strong>in</strong>e außerordentlich gründliche Durchsicht und Bearbeitunge<strong>in</strong>schließlich der Vorbereitung von eventuellen Gegenbeweisanträgen,Gegengutachten u.ä. Diese Arbeit, die zum Teil von denMandanten selbst erledigt wurde, erwies sich als um so notwendiger, jedeutlicher zum Vorsche<strong>in</strong> kam, daß sich der größteTeil der bei derPolizei angefallenen Ermittlungsunterlagen nicht <strong>in</strong> den Prozeßaktenbefand37.Die für e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>schaftliche <strong>Verteidigung</strong> notwendige Kommunikationversuchte man auf zwei Wegen herzustellen: Erstens dadurch, daßmöglichst viele Rechtsanwälte für alle Angeklagten e<strong>in</strong> Mandat erhaltensollten - nach dem Grundsatz: alle verteidigen alle ("Blockverteidigung");jeder Verteidiger sollte jeden Angeklagten besuchen, ihn überdie damals noch unkontrollierte Verteidigerpost mit Informationen versorgenund vor Gericht für im gleichen Prozeß angeklagte Gefangeneauftreten können. Zweitens sollte die Kommunikation durch den Aufbaue<strong>in</strong>es Informationssystems mit e<strong>in</strong>em Anwaltsbüro als Zentrale hergestelltwerden, von der aus die von den anderen Verteidigern und Gefangenengeschickten Informationen an alle anderen Gefangenen und Verteidigerverbreitet werden konnten.3.2. Kampf gegen Haftbed<strong>in</strong>gungenDie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ungewöhnlichen Ausmaß isolierenden Haftbed<strong>in</strong>gungenhatten bei e<strong>in</strong>igen Gefangenen schon nach relativ kurzer Zeit negativeAuswirkungen auf ihren Gesundheitszustand, wie nach der vorhandenenwissenschaftlichen Literatur über soziale Isolation38 und sensorischeDeprivation39 zu erwarten gewesen war.Die Anwälte waren mit Mandanten konfrontiert, die immer deutliche-,!!IIttIr,,\\,"I i,!IjṭI\re Anzeichen von Konzentrationsschwierigkeiten, Vergeßlichkeit,schneller Ermüdung aufwiesen und über Schw<strong>in</strong>delgefühle, Kopfschmerzen,Schlafstörungen klagten. Ulrike Me<strong>in</strong>hof schreibt über ihrenersten achtmonatigen Aufenthalt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Isolationstrakt des GefängnissesKöln-OssendorfO:"Aus der Zeit 16.6.72 - 9.2.73:Das Gefühl, es explodiert e<strong>in</strong>em der Kopf (das Gefühl, die Schädeldeckemüßte eigentlich zerreißen, abplatzen) -das Gefühl, es würde e<strong>in</strong>em das Rückenmark <strong>in</strong>s Gehirn gepreßt -das Gefühl, das Gehirn schrumpelt e<strong>in</strong>em allmählich zusammen wie Backobstz. B.-das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, manwürde ferngesteuert -das Gefühl, die Assoziationen würden e<strong>in</strong>em weggehackt -das Gefühl, man pisse sich die Seele aus dem Leib, als wenn man dasWasser nicht halten kann -das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zellefährt; nachmittags, wenn die Sonne re<strong>in</strong>sche<strong>in</strong>t, bleibt sie plötzlich stehen.Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen.Man kann nicht klären, ob man vor Fieber oder vor Kälte zittert, man kannnicht klären, warum man zittert - man friert.Um <strong>in</strong> normaler Lautstärke zu sprechen, Anstrengungen, wie für lautesSprechen, fast Brüllen -das Gefühl, man verstummt -man kann die Bedeutung von Wörtern nicht mehr identifizieren, nur nochraten - der Gebrauch von Zischlauten - s, ss, tz, sch - ist absolut unerträglichWärter, Besuch, Hof ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>em wie aus Zelluloid -Kopfschmerzen -flashs -Satzbau, Grammatik, Syntax - nicht mehr zu kontrollieren.Beim Schreiben: zwei Zeilen - man kann am Ende der zweiten Zeile denAnfang der ersten nicht behalten -das Gefühl, <strong>in</strong>nerlich auszubrennen -das Gefühl, wenn man sagen würde, was los ist, wenn man rausgelassenwürde, das wäre, wie dem anderen kochendes Wasser <strong>in</strong>s Gesicht zischen,wie z. B. kochendes Tr<strong>in</strong>kwasser, das e<strong>in</strong>en lebenslänglich verbrüht, entstellt-Rasende Aggressivität, für die es ke<strong>in</strong> Ventil gibt. Das ist das schlimmste.Klares Bewußtse<strong>in</strong>, daß man ke<strong>in</strong>e Oberlebenschancen hat; völliges Scheitern,das zu vermitteln; Besuche h<strong>in</strong>terlassen nichts. E<strong>in</strong>e halbe Stunde danachkann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heuteoder vorige Woche war -E<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Woche baden dagegen bedeutet: e<strong>in</strong>en Moment auftauen,erholen - hält auch für e<strong>in</strong> paar Stunden an -Das Gefühl, Zeit und Raum s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander verschachtelt -das Gefühl, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verzerrspiegelraum zu bef<strong>in</strong>den - torkeln ­H<strong>in</strong>terher: fürchterliche Euphorie, daß man was hört - über den akustischenTag-und Nacht-Unterschied-84~C85..


Das Gefühl, daß jetzt die Zeit abfließt, das Gehirn sich wieder ausdehnt, dasRückenmark wieder runtersackt über Wochen.Das Gefühl, als sei e<strong>in</strong>em die Haut abgezogen worden".Da die Gefangenen Untersuchungen durch Gefängnisärzte ablehntenund Gesuche, Ärzte ihres Vertrauens zuzulassen, systematisch abgewiesenwurden, stand jahrelang ke<strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>isches Untersuchungsmaterialüber e<strong>in</strong>zelne Gefangene zur Verfügung. Die zuständigen Justizbehördenargumentierten <strong>in</strong> den meisten Fällen folgendermaßen: <strong>in</strong> ersterL<strong>in</strong>ie sei der Gefängnisarzt für die Gesundheit der Inhaftierten verantwortlich;komme es zu gesundheitlichen Beschwerden, so müsse ihnenzuerst vom Anstaltsarzt nachgegangen werden, wonach sich selbstverständlichdie Heranziehung anderer Ärzte als notwendig erweisen könne;mangels konkreter mediz<strong>in</strong>ischer Untersuchungsergebnisse gebe es jedochke<strong>in</strong>en Anlaß, die aus Sicherheitserwägungen angeordneten Haftbed<strong>in</strong>gungenzu verändern.Währenddessen sahen die Anwälte mit jedem Monat deutlicher, daßihre Mandanten e<strong>in</strong>em allmählichen Verfalisprozeß ausgesetzt waren.Nun könnte man me<strong>in</strong>en, daß deshalb den Anwälten die besondereAufgabe zukam, die blockierte Situation zur Verbesserung des Gesundheitszustandesihrer Mandanten zu durchbrechen. Es schien, als ob sienur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten hätten: 1. ihre Mandantendazu zu bewegen, sich mit e<strong>in</strong>er Untersuchung und eventuellen Behandlungdurch den Anstaltsarzt e<strong>in</strong>verstanden zu erklären und anschließendmit Hilfe der dann vorhandenen Untersuchungsergebnisse erneut unterE<strong>in</strong>satz aller rechtlichen Möglichkeiten e<strong>in</strong>e Verbesserung der Haftbed<strong>in</strong>gungenzu erreichen; 2. unter Berufung auf die grundgesetzlich garantiertenRechte und die <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen Abkommen festgelegten Menschenrechtesowie mit Hilfe e<strong>in</strong>er Dokumentations- und Informationskampagnean alle als liberal und fortschrittlich bekannten e<strong>in</strong>flußreichenPersonen, Gruppen, Organisationen und Medien zu appellieren unddamit über die kritische Öffentlichkeit auf die für das Gefängniswesenverantwortlichen Behörden Druck auszuüben.3.2.1. Mediz<strong>in</strong>ische Untersuchung durch Anstaltsärzte?Mir ist nicht bekannt, ob diese Möglichkeit erwogen wurde. Die Mandantenwaren kategorisch gegen Untersuchungen durch Anstaltsärzte.E<strong>in</strong>ige von ihnen hatten ausgesprochen unangenehme Erfahrungen mitAnstaItsärzten gemacht; man er<strong>in</strong>nere sich nur an die unter Leitung e<strong>in</strong>esAnstaltsarztes vorgenommene Zwangsnarkotisierung von Carrnen Roll.Unverständnis und Unfähigkeit der Anstaltsärzte hatten sich zudem <strong>in</strong>extrem schmerzhaften, teilweise sogar lebensgefährlichen Zwangsernährungenbei Hungerstreiks offenbart. Schließlich hatten Anstaltsärzteauch bei verschiedenen Gefangenen <strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>isch unverantwortlicher86Weise Wasserentzug angeordnet, um sie zum Abbruch e<strong>in</strong>es Hungerstreikszu zw<strong>in</strong>gen. Die Gefangenen beabsichtigten zudem, den Behördenihre eigenen Rechtsregeln vorzuhalten, und sei es nur, um deutlichzu machen, daß deren Allgeme<strong>in</strong>gültigkeit - als e<strong>in</strong> Ausdruck desrechtsstaatlichen Fundaments - im H<strong>in</strong>blick auf Gefangene aus derRAF beiseite gelegt worden war, wodurch die Illegitimität, wenn nichtsogar Illegalität des staatlichen Verhaltens bewiesen wäre. So gestehtArtikel91 der Standard M<strong>in</strong>imum Rules for the Treatment of PrisonersUntersuchungsgefangenen das Recht zu, von e<strong>in</strong>em Arzt ihrer Wahluntersucht und behandelt zu werden. Diese 1955 <strong>in</strong> Genf im Rahmender Vere<strong>in</strong>ten Nationen zustande gekommenen Rechtsregeln habenzwar <strong>in</strong> der BRD und <strong>in</strong> den Niederlanden ke<strong>in</strong>e Gesetzeskraft, sies<strong>in</strong>d aber moralisch <strong>in</strong> hohem Maß verpflichtend, vor allem seit dasM<strong>in</strong>isterkomitee 1973 im Rahmen des Europarates die E<strong>in</strong>haltung dieserRegeln, angepaßt an die europäischen Verhältnisse, empfohlenhat41.Schließlich betrachteten die Angeklagten die Anstaltsärzte - unddies ist wohl das wesentlichste Argument - als verlängerten Arm oderausführendes Organ ihres Gegners, der deutschen Obrigkeit, die dasZiel habe, mit Hilfe der besonderen Haftbed<strong>in</strong>gungen die Identität derGefangenen zu zerstören42. So erklärten die Gefangenen, vorgetragenvon Baader, am 9.7.75 im Prozeß während der Behandlung ihres Antragsauf Zulassung unabhängiger Ärzte43:"Was Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, der Senat, hier zu retten versuchen, um jeden Preis, ist dieKonstruktion der Vernichtungshaft, <strong>in</strong> der die vom Vollzugabhängigen Ärztebzw. die von der Bundesanwaltschaft ausgesuchten, vor<strong>in</strong>formierten, konditioniertenGutachter e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielen.Sie haben neulich gesagt, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, zu der Forderung nach e<strong>in</strong>em Arzteigener Wahl: ,Da steckt doch was dah<strong>in</strong>ter', ich sage nochmal: was dah<strong>in</strong>tersteckt,s<strong>in</strong>d die Menschenrechte für Gefangene; was dah<strong>in</strong>ter steckt, istdie Tatsache, daß die Vollzugsärzte <strong>in</strong> ihrer Diagnose und schließlich Veranlassung,die nie Therapie, sondern zwangsläufig immer Vollzug ist, vonstaatlichem Druck bestimmt s<strong>in</strong>d und kaum von mediz<strong>in</strong>ischen Kriterien.Das, der staatliche Druck, ist <strong>in</strong> München auf der Konferenz der Vollzugsärzteimmerh<strong>in</strong> zum erstenmal thematisiert worden: der staatliche Druck alsdie die Situation von Vollzugsärzten bestimmende Sache.Henck44 ist e<strong>in</strong> Beispiel: das Verhältnis zu ihm ist e<strong>in</strong> Zwangsverhältnjs,das heißt, er hat unter - wie es heißt nach ihren Beschlüssen - ,Anwendungunmittelbaren Zwangs' durch sechs bis acht Uniformierte die Zwangsernährungoder wie Friedland, e<strong>in</strong> anderer Vollzugsarzt, typischer Sadist,sagt, die ,Schlauchorgie , - <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> während des Hungerstreiksdurchgeführt, zuletzt so, wie ich das erklärt habe, als physische Folter, <strong>in</strong>demer uns drei Liter Flüssigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stunde <strong>in</strong> den Bauch pumpen ließ,während wir bewegungslos <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Riemenkonstruktion gespannt waren.Das ist das Verhältnis zu Henck. Daß er als Psychiater, und das ist e<strong>in</strong>eDiszipl<strong>in</strong>, über die wir durch die Psychoanalyse ne ganze Menge wissen,87-


nicht drumrum kam, auch die Wirkungen der Isolation festzustellen - alszerstörerisch, weil er mit ihnen konfrontiert war, charakterisiert das Verhältnisallerd<strong>in</strong>gs auch.Er hat sie festgestellt als vernichtend, aber er kann und konnte sie nichtändern, weil e<strong>in</strong> Arzt im Vollzug vor allen D<strong>in</strong>gen dem Vollzug dient. WasHenck als Arzt für richtig oder notwendig hält, ist völlig belanglos - dasbestimmt das Schicksal se<strong>in</strong>er gesamten Initiative, die Haftbed<strong>in</strong>gungen zuändern - als Resultat se<strong>in</strong>er Feststellungen als Psychiater - er hat sie immerh<strong>in</strong>,ich habe hier e<strong>in</strong> paar wörtliche Zitate, ,zerstörerisch' genannt, er hat sie,unmenschlich' und, unverantwortlich' genannt."Ende 1973 wurden noch zwei Fälle bekannt, <strong>in</strong> denen Gefangene ausder RAF sich von Anstaltsärzten hatten untersuchen und behandelnlassen, jedoch mit verhängnisvollem Ausgang. Es handelte sich um dieGefangenen Kathar<strong>in</strong>a Hammerschmidt und Astrid Proll.Bei Kathar<strong>in</strong>a Hammerschmidt45, seit Ende Juni 1972 <strong>in</strong> West-Berl<strong>in</strong>isoliert, wurde 1m August 1973 rout<strong>in</strong>e mäßig e<strong>in</strong>e Röntgenaufnahmeder Lungen gemacht. Schon <strong>in</strong> dieser Aufnahme ließ sich e<strong>in</strong>e Wucherungerkennen. Ende September 1973 begab sich Kathar<strong>in</strong>a Hammerschmidterneut mit erheblichen Brustschmerzen, Heiserkeit und e<strong>in</strong>emgeschwollenen Hals zum selben Anstaltsarzt. Obwohl zwei Anstaltsärzte,unter ihnen e<strong>in</strong> Internist, sie untersuchten, neue Röntenaufnahmenangefertigt und Blutproben analysiert wurden, erhielt sie die Auskunft, essei alles <strong>in</strong> Ordnung. In den folgenden sechs Wochen verschlechterte sichihr Gesundheitszustand zusehends; die zunehmende Atemnot und dieHalsschwellung wurden vom Anstaltsarzt mit der Teilnahme an dem imJuni 1973 beendeten Hungerstreik und mit Rufen aus dem Fenstererklärt. Ihr Anwalt Otto Schily erzwang schließlich mit e<strong>in</strong>em Gerichtsurteile<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Untersuchung. Sie fand am 12. November statt.Trotz des von den anstaltsexternen Spezialisten festgestellten angegriffenenGesundheitszustands wurde Kathar<strong>in</strong>a Hammerschmidt erst EndeNovember 1973 nach e<strong>in</strong>em schweren Erstickungsanfall <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krankenhausgebracht. Das war zu spät. Sie starb kurz nach ihrer E<strong>in</strong>lieferung.Der sie behandelnde Spezialist erklärte nach ihrem Tod, "mit normalemmediz<strong>in</strong>ischem Verstand hätte seit langem e<strong>in</strong>e Erkrankung festgestelltwerden müssen", und "se<strong>in</strong>erzeit sei der <strong>in</strong>zwischen k<strong>in</strong>dskopfgroßeTumor möglicherweise noch zu operieren gewesen". E<strong>in</strong>e von 131Ärzten unterzeichnete Anzeige gegen die fünf beteiligten Anstaltsärztewegen versuchten Mordes ("Dies läßt sich nicht mit ungenügendenmediz<strong>in</strong>ischen Kenntnissen erklären") wurde niedergeschlagen. Dafürmußte sich Schily später <strong>in</strong> öffentlicher Verhandlung wegen Verleumdungder Anstaltsärzte, die Anzeige gegen ihn erstattet hatten, verantworten.Er wurde freigesprochen.Astrid Proll46,seit Mai 1971 <strong>in</strong> Isolationshaft, mußte im Januar 1974wegen lebensgefährlicher Störungen des Kreislaufs freigelassen und <strong>in</strong>e<strong>in</strong> Sanatorium e<strong>in</strong>gewiesen werden. Nachdem Astrid Proll während der88ersten Prozeßtage regelmäßig zusammengebrochen war, hatte der vomGericht benannte Internist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gutachten dr<strong>in</strong>gend dazu geraten.Der Sachverständige führte ihren desolaten Gesundheitszustand auf die"durch die Untersuchungshaft <strong>in</strong> besonderer Weise veränderte Lebenssituation"zurück, womit mehr als zwei Jahre Isolationshaft geme<strong>in</strong>twaren. Die dem Prozeß vorangegangenen Monate, während derer sie <strong>in</strong>den Normalvollzug <strong>in</strong>tegriert gewesen war, hatten der Verschlechterungihres Gesundheitszustandes nicht entgegenwirken können. Astrid Prollhatte sich schon seit Juli 1971 <strong>in</strong> der Behandlung des Köln-OssendorferAnstaltsarztes, dem Psychiater Dr. Götte, befunden. Götte schrieb am16. 11. 72 an die Staatsanwaltschaft47:"Frau P. wird seit dem 13.7.1971 von mir psychiatrisch betreut, zunächstambulant im Frauenhaus, später sogar stationär auf me<strong>in</strong>er Abteilung wie auchjetzt noch. Insofern trifftes nicht zu, daß Frau Proll <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zelle untergebrachtist, auf der sie nichts hört. Sie ist extra hierher verlegt worden, damit siewenigstens durch die Tür am Leben auf der Abteilung teilnehmen kann. Siekennt alle Pfleger und mich an Stimme und Schritt! Im übrigen wird siemedikamentös behandelt und erlernt neuerd<strong>in</strong>gs das autogene Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g nachI. H. Schultz. Damit ist verh<strong>in</strong>dert worden, daß sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e psychische Streßsituationkommt, wovor sie immer wieder Angst hat. Deshalb habe ich sie auchpsychiatrisch betreut.Vom ärztlichen Standpunkt ist e<strong>in</strong>e so strenge Isolation auf längere Zeit füre<strong>in</strong>en Menschen grundsätzlich nicht günstig. Wenn man dadurch auch ke<strong>in</strong>eendogene Psychose bekommt, so kann es doch durch den Streß zu vegetativenStörungen kommen, die den Betreffenden erheblich bee<strong>in</strong>trächtigen können.Psychiatrisch wäre es also wünschenswert, wenn die strenge Isolierungwenigstens stundenweise gelockert würde, fallssich nicht überhaupt e<strong>in</strong>e ganzandere Unterbr<strong>in</strong>gung verantworten ließe".3.2.2. Mobilisierung der ÖffentlichkeitAus verschiedenen Gesprächen mit Verteidigern, die schon seit 1971/72tätig gewesen waren, ist mir deutlich geworden, daß zum damaligenZeitpunkt von e<strong>in</strong>er bewußten und auf genauer Analyse gegründetenEntscheidung der Verteidiger, die Öffentlichkeit zu mobilisieren, um dieIsolationshaft zu durchbrechen, nicht die Rede se<strong>in</strong> kann. Die meistenVerteidiger konnten sich trotz der regelmäßigen Besprechungen mitihren Mandanten nicht vorstellen, was es heißt, unter zusätzlichisolierendenBed<strong>in</strong>gungen im Gefängnis zu leben. Sie hörten sich die Berichteihrer Mandanten über die Auswirkungen der Isolationshaft zu Anfang mitSkepsis an. Erst nachdem sie die ersten Zeichen der gesundheitlichenZerstörung ihrer Mandanten wahrnehmen konnten, gelangten sie zu derAnsicht, daß auch die zuständigen Justizbehörden von der Unmenschlichkeitund folglich auch der rechtlichen Unhaltbarkeit e<strong>in</strong>er solchenBehandlung zu überzeugen se<strong>in</strong> müßten. Am 17.1.73 schließlich, <strong>in</strong>zwi-89•


schen durch die völlige Effektlosigkeit ihrer juristischen Bemühungenverbittert, wurden sie mit der Tatsache konfrontiert, daß 40 Gefangene<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hungerstreik traten, dessen zentrale Forderung die Aufhebungder Isolationshaft war. Der "organisierte Charakter" dieses Hungerstreikswar zwar durch die Blockverteidigung ermöglicht worden, dennochwurden die Verteidiger von dem kollektiven Hungerstreik überrascht,ebenso wie von den darauf folgenden Reaktionen der Behörden.In e<strong>in</strong>em Fall wurde bereits nach fünf Tagen Zwangsernährung angeordnet,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen wurde mit tagelangern Wasserentzug versucht, denHungerstreik zu brechen48. In dieser Situation trafen sieben Anwälte dieEntscheidung, der Forderung ihrer Mandanten <strong>in</strong> der Öffentlichkeit dadurchGehör zu verschaffen, daß sie vom 9.2.73 an vor dem BGH <strong>in</strong>Anwaltsroben e<strong>in</strong>en viertägigen Hungerstreik abhalten wollten. Hier diePresseerklärung dazu49:"In der BRD gibt es politische Gefangene. Zum großen Teilwerden sie überJahre <strong>in</strong> totaler Isolation gehalten, die mit den von der Justiz angegebenenZwecken der Haft, Flucht und ,Verdunklung' zu verh<strong>in</strong>dern, nicht zu begründenist, sondern objektiv abzielt auf die Auslöschung des Lebens der Gefangenen.Dies offensichtliche Ziel kann zwar am Widerstand der Häftl<strong>in</strong>ge scheitern,e<strong>in</strong> großer Teilvon ihnen bef<strong>in</strong>det sich seit dem 17.1. 73, also seit drei Wochen,im Hungerstreik, das Scheitern der Strategie der Justiz, die auf die Zerstörungder Subjekte gerichtet ist, nimmt jedoch den besonderen Haftmaßnahmennicht den Charakter: sie s<strong>in</strong>d Folter.Die Existenz von Folter <strong>in</strong> der BRD ist Ausdruck des schleichenden Faschismus,der sich <strong>in</strong> das Gewand der Rechtmäßigkeit zu hüllen versucht. DieVerabschiedung der Notstandsgesetze, die Aufgabenerweiterung für Polizeiund Bundesgrenzschutz, die Verschärfung des Haftrechts und die E<strong>in</strong>übungder Bevölkerung <strong>in</strong> die Duldung von Polizeiterror s<strong>in</strong>d erst durch den bewußtenProtest als der neue Faschismus entlarvt worden, der heute existiert.Als Verteidiger, die mit der Abwendung von Rechtsbrüchen an den Gefangenenbeschäftigt s<strong>in</strong>d, müssen wir angesichts der Tatsache, daß Beschwerdenoffensichtlich nicht wirken, unserer Pflicht zum Widerstand nachkommen.Dem dient dieser Hungerstreik, der von Freitag, dem 9.2.73, 8 Uhr, bisMontag, dem 12.2.73, 20 Uhr, vor dem Gebäude des Bundesgerichtshofs <strong>in</strong>Karlsruhe angesetzt ist.Unsere Erfahrung ist: Gegen Folter helfen Rechtsmittel nicht. Unsere Forderungist: Aufhebung der Isolation als Folter für die politischen Häftl<strong>in</strong>ge<strong>in</strong> derBRD".Auch wenn die Presseerklärung nur hier und da, meist ausschnittsweise,veröffentlicht wurde, so ließ sich doch feststellen, daß als unmittelbareFolge dieser Aktion zum erstenmal relativ ausführlich <strong>in</strong> den Medienüber die Isolationshaft und den Hungerstreik der Gefangenen berichtetwurde. Höchstwahrsche<strong>in</strong>lich ist auch die öffentlich nicht bekanntgegebeneVerlegung Ulrike Me<strong>in</strong>hofs aus ihrer akustisch isolierten Zelle am9.2.73 dieser Aktion zuzuschreiben.90Me<strong>in</strong>es Erachtens haben die sieben Verteidiger mit dieser Aktion denPolarisierungsprozeß zwischen Justiz und Verteidigern erheblich beschleunigtund verschärft. Offen bleibt die Frage, ob die Verteidiger esder Justiz mit der Wahl e<strong>in</strong>er primär spektakulären an Stelle e<strong>in</strong>er mehr<strong>in</strong>formativen Aktion nicht zu e<strong>in</strong>fach gemacht haben. Zu berücksichtigenist aber, daß die Anwälte sich mit e<strong>in</strong>em Justizapparat konfrontiert sahen,der bis h<strong>in</strong>auf zu den höchsten Instanzen menschenunwürdige Haftmaßnahmenabsegnete und der auf das letzte Protestmittel der Gefangenen,den Hungerstreik, mit unmittelbar lebensbedrohenden Maßnahmen wieetwa den Wasserentzug reagierte. In der akuten Situation war es von denAnwälten sicherlich zuviel verlangt, wenn sie noch versucht hätten, sichder Unterstützung ihrer Berufsorganisation zu versichern. Wie dem auchsei, der Vorstand des Deutschen Anwaltsvere<strong>in</strong>s jedenfalls beeilte sich,e<strong>in</strong>e ausdrückliche Distanzierungserklärung zu verabschieden. Das Verhaltender Rechtsanwälte wurde als "geschmackloses Spektakel" abgetan,und "die zuständigen Berufsorgane und Staatsanwaltschaften (sollten)aus diesen beschämenden Vorgängen die notwendigenKonsequenzenziehen".91•


Kapitel IV: E<strong>in</strong> auswegloserKonfliktskizzieren, <strong>in</strong>nerhalb dessen die folgenden Themengebiete als Teile und!oder Phasen e<strong>in</strong>es dialektischen Prozesses gesehen werden können.In der nun folgenden Beschreibung der Geschehnisse vom Februar1973 bis zum Mai 1975 will ich versuchen, anhand der von mir fürwesentlich gehaltenen Themengebiete und Ereignisse e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong>die zahlreichen Schwierigkeiten zu geben, vor die die <strong>Verteidigung</strong> sichgestellt sah. Es wird sich zeigen, daß die Anwälte <strong>in</strong> Wirklichkeit ke<strong>in</strong>eWahl <strong>in</strong> der Art ihres Auftretens hatten, e<strong>in</strong>erseits aufgrund der Haltungder staatlichen Organe und andererseits aufgrund der eigenen, obenbeschriebenen Konzeption der <strong>Verteidigung</strong>. Die sic~ ergebenden Konflikteließen selten oder nie Raum für <strong>in</strong>haltlich verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten;zu wählen war höchstens zwischen e<strong>in</strong>em mehroder weniger sachlich-<strong>in</strong>tellektuellen und e<strong>in</strong>em mehr gefühlsbetontenexpressivenAuftreten. Die e<strong>in</strong>zige echte Entscheidung für die Verteidigerwar: verteidigen oder nicht verteidigen.Dies muß verwunderlich kl<strong>in</strong>gen, weil normalerweise auch <strong>in</strong> politischenStrafverfahren dem Verteidiger grundsätzlich doch e<strong>in</strong>e Reihe vonOptionen zur Verfügung stehen. Die <strong>Verteidigung</strong> kann im Extremfalle<strong>in</strong>e technisch-juristische oder e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> politische se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e weitereWahlmöglichkeit, die mit der genannten nicht unmittelbar zusammenfällt,ist die zwischen e<strong>in</strong>er eher <strong>in</strong>strumentellen <strong>Verteidigung</strong> ("Me<strong>in</strong>Mandant ist der Me<strong>in</strong>ung ... ") und e<strong>in</strong>er mehr expressiven ("Ich b<strong>in</strong> derMe<strong>in</strong>ung ... "). Se<strong>in</strong>e Haltung gegenüber dem Mandanten kann derVerteidiger <strong>in</strong> dem Bereich zwischen weitgehender politischer Solidarisierungund e<strong>in</strong>er Vermittlung zwischen Mandant und Justiz bestimmen.Danach bestimmt sich auch die Haltung des Verteidigers gegenüber denJustizorganen: Sie liegt zwischen versöhnlich und fundamental opponierend.Es ist auch nicht unwichtig, an welche Öffentlichkeit sich derVerteidiger vornehmlich richten will:an das liberale Establishment oderan die (radikale) Opposition. Bei der Wahl zwischen diesen Optionengeht es natürlich nicht um e<strong>in</strong> Entweder-Oder, sondern vielmehr umgraduelle Unterschiede.In der <strong>Verteidigung</strong> von Gefangenen aus der RAF waren die meistendieser Wahlmöglichkeiten jedoch von Anfang an auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum reduziert.Zwei Faktoren s<strong>in</strong>d dafür <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie verantwortlich: die von denBehörden gesteuerte und unterstützte Hetzkampagne gegen die Verteidigerals "Helfershelfer" ihrer Mandanten und die auf diese Mandantenangewandte Isolationshaft, die mit juristischen Mitteln nicht veränderbarschien.Im ersten Abschnitt werde ich nun kurz den allgeme<strong>in</strong>en Rahmen921. Die Problematik der rechtlichen RepressionVon 1970 an wurde die RAF von Verwaltungs-, Politik- und Justizeliten<strong>in</strong> der BRD als die schwerwiegendste gewalttätige Herausforderungdes bestehenden politischen und ökonomischen Systems der Nachkriegszeitgesehen ("Staatsfe<strong>in</strong>d Nr.1"). Dieses System, gekennzeichnetals spätkapitalistische1 entwickelte Industriegesellschaft unter parlamentarisch-demokratischerLeitung, sah sich mit e<strong>in</strong>em zweischneidigen Auftragkonfrontiert: E<strong>in</strong>erseits war die militante l<strong>in</strong>ke Opposition sofort undmöglichst gründlich auszuschalten, andererseits die Entstehung e<strong>in</strong>esrevolutionären Potentials gerade aus dieser Opposition heraus zu verh<strong>in</strong>dern.Daraus ergab sich das Dilemma, daß die gleichzeitige Erfüllungbeider Aufgaben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em westlichen Verfassungssystem e<strong>in</strong>en Widerspruchbe<strong>in</strong>haltet. Die Reaktion auf e<strong>in</strong>en nach militärischen Pr<strong>in</strong>zipienausgeführten Angriffe<strong>in</strong>er revolutionären Gruppierung mit militärischenMitteln würde zwar e<strong>in</strong>e schnelle Vernichtung des noch schwachenGegners ermöglichen (obwohl "Fe<strong>in</strong>dberührung" bei Guerillaorganisationenimmer ungewiß bleibt), aber auch die Anerkennung des Bestehense<strong>in</strong>er nicht <strong>in</strong>tegrierbaren fundamentalen politischen Oppositionbedeuten. Die "kriegsmäßige" Bekämpfung kann Folgeersche<strong>in</strong>ungenwie Legitimitätsverlust bei Teilen der Bevölkerung und Anwachsen derMitgliederzahl der Guerillazur Folge haben. Demgegenüber wäre dieBekämpfung e<strong>in</strong>er Guerilla-Organisation mit re<strong>in</strong> verfassungskonformenMitteln, also e<strong>in</strong>e ausschließlich strafrechtliche Reaktion unter Aufrechterhaltungaller Rechte für den e<strong>in</strong>zelnen Beschuldigten, eher dazu geeignet,staatliche Maßnahmen als legitim ersche<strong>in</strong>en zu lassen und dasrevolutionäre Potential zu verkle<strong>in</strong>ern. Für die angestrebte "Ausrottung"der Guerilla wäre e<strong>in</strong>e solche Reaktion jedoch unzureichend. Die für dieMachthaber entscheidende Frage wurde von dem amerikanischen PolitologenBalbus formuliert: "How can we reconcile our immediate <strong>in</strong>terest<strong>in</strong> order with our long-run <strong>in</strong>terest <strong>in</strong> maximiz<strong>in</strong>g our legitimacy?"z DieserKonflikt zwischen <strong>in</strong>nerer Ordnung und Legitimität der Herrschaftsausübungbesteht vor allem für sich als liberal betrachtende Staaten, weil dieLegitimität staatlichen Hande<strong>in</strong>s entscheidend von der Handhabung derLegalität ("therule of law") und e<strong>in</strong>er Reihe ethischer Werte und Pr<strong>in</strong>zipienund daran orientierter Normen und Verfahren abhängt. Wurde dieEntwicklung e<strong>in</strong>er modernen kapitalistischen Gesellschaft erst <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dungmit e<strong>in</strong>em formellen Gesetzessystem möglich, das dem UnternehmerStabilität, Sicherheit und relative Unabhängigkeit gegenüber denjeweiligen politischen Geschehnissen garantierte, so können eben dieseLegalitä~ der "due process" und die garantierten Grundrechte der kapi-93•


talistischen Gesellschaft auch lästigwerden, z. B. dadurch, daß die Lohnabhängigen,die Arbeits- und Besitzlosen Anspruch auf ihre Verwirklichungerheben, <strong>in</strong>sbesondere durch die <strong>in</strong>haltliche E<strong>in</strong>lösung. Im vorliegendenFall geht es um die Ansprüche von Gefangenen aus e<strong>in</strong>erGuerilla-Organisation, die sich ausdrücklich als Teil des <strong>in</strong>ternationalenProletariats betrachten.Ich stelle nun folgende Hypothese auf: Der liberale Staat westlicherPrägung kann den Widerspruch zwischen e<strong>in</strong>er effektiven Bekämpfungder Guerilla und e<strong>in</strong>er Erhaltung der Legitimität durch das Festhalten anallen juristischen Regelungen nur durch e<strong>in</strong>e vom Gesetzgeber und derJustiz selbst ausgehenden Repression, also durch deren Legalisierung,auflösen. E<strong>in</strong>er solchen formalrechtlich legalen Repression gegenüberGefangenen aus e<strong>in</strong>er antiimperialistischen Widerstandsbewegung kämedann erstens die Funktion zu, (Gegen- )Gewalt zu entpolitisieren unddie sie Ausübenden politisch zu isolieren, und zweitens die Funktion, die"Ansteckungsgefahr" für Dritte e<strong>in</strong>zudämmen. Die Spannungen undWidersprüche, die im Laufe e<strong>in</strong>es solchen Repressionsprozesses durche<strong>in</strong>en sich rechtsstaatlich gebenden Staat entstehen, werden wiederumdurch e<strong>in</strong>e gezielte Manipulation der "öffentlichen Me<strong>in</strong>ung" zu bewältigense<strong>in</strong>.2. Die ersten zwei Hungerstreiks2.1. Erster Hungerstreik Januar/Februar 1973Wie im vorigen Kapitel unter Punkt 3.2.2. bereits erwähnt, wurdedieser viere<strong>in</strong>halbwöchige Hungerstreik von etwa 40 Gefangenen ausder RAF gegen die ihnen auferlegten Haftbed<strong>in</strong>gungen drei Wochennach Beg<strong>in</strong>n durch e<strong>in</strong>en solidarischen viertägigen Hungerstreik vonsieben Verteidigern <strong>in</strong> Robe vor dem BGH e<strong>in</strong>er breiteren Öffentlichkeitbekannt. Diese spektakuläre Vorgehensweise der Verteidiger enthieltebenso wie ihre Presseerklärung e<strong>in</strong>en heftigen politischen Angriffe<strong>in</strong>es"Organs der Rechtspflege" gegen e<strong>in</strong> anderes. Immerh<strong>in</strong> wurde derBGH öffentlich beschuldigt, Isolationshaft als "Folter an politischen Gefangenen"zu legitimieren und damit e<strong>in</strong>em schleichenden "neuen Faschismus"Vorschub zu leisten.E<strong>in</strong>e Reaktion darauf konnte nicht ausbleiben. In e<strong>in</strong>er ausführlichenPressemitteilung vom 22.2.73, die von den meisten Tageszeitungen fastvollständig übernommen wurde, bezog der Generalbundesanwalt SteIlung:94"In den von der Bundesanwaltschaft gegen Mitglieder der Baader-Me<strong>in</strong>hof­Gruppe geführten Ermittlungsverfahren bef<strong>in</strong>den sich z. Zt. fünf Personen <strong>in</strong>Untersuchungshaft. Es handelt sich um die am 1. Juni 1972 festgenommenenBeschuldigten Holger Me<strong>in</strong>s und Jan-Carl Raspe, die am 15. Juni 1972festgenommenen Beschuldigten Ulrike Me<strong>in</strong>hof und Gerhard Müller und dieam 8. Juli 1972 verhaftete Irmgard Möller. Der ebenfalls am 1. Juni 1972festgenommene Andreas Baader und die am 7. Juni 1972 ergriffene GudrunEnssl<strong>in</strong> sitzen <strong>in</strong> Strafhaft e<strong>in</strong>. Sie verbüßen Restfreiheitsstrafen aus dem Urteildes Landgerichts FrankfurtJMa<strong>in</strong> vom 31. Oktober 1968, durch das sie wegengeme<strong>in</strong>schaftlicher menschengefährdender Brandstiftung zu je drei JahrenZuchthaus verurteilt worden s<strong>in</strong>d. Alle Beschuldigten s<strong>in</strong>d nach den richterlichenHaftbefehlen der Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung dr<strong>in</strong>gendverdächtig.In den Haftbefehlen werden ihnen weiter folgende Straftaten zur Lastgelegt:Andreas Baader und Gudrun Enssl<strong>in</strong>: Geme<strong>in</strong>schaftlicher schwerer Raub;Ulrike Me<strong>in</strong>hof: Geme<strong>in</strong>schaftlicher schwerer Raub <strong>in</strong> zwei Fällen;Holger Me<strong>in</strong>s: Versuchter Mord, geme<strong>in</strong>schaftlicher schwerer Raub undWiderstand gegen Vollstreckungsbeamte;Irmgard Möller: Geme<strong>in</strong>schaftlicher Mord, geme<strong>in</strong>schaftlicher versuchterMord, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und unerlaubter Waffenbesitz;Gerhard Müller: Geme<strong>in</strong>schaftlicher Mord, geme<strong>in</strong>schaftlicher versuchterMord und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte;Jan-Carl Raspe: Geme<strong>in</strong>schaftlicher schwerer und besonders schwererRaub,versuchter Mord und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte;Bei diesen Straftaten ist es unrichtig, von politischen Gefangenen zusprechen.Zweck der Untersuchungshaft ist es, die Flucht der Beschuldigten zu verh<strong>in</strong>dernund der Gefahr vorzubeugen, daß die Ermittlung der Wahrheit durchVernichtungoder Verfälschung von Beweisen, durch Absprachen zwischen Mitbeschuldigten,durch die E<strong>in</strong>wirkung auf Zeugen u.ä. erschwert wird (Verdunklungsgefahr).Für die Durchführung des Haftvollzugs haben die zuständigenJustizvollzugsanstalten Anordnungen getroffen, die der zuständige Ermittlungsrichterdes Bundesgerichtshofes gebilligthat. Die Gefangenen werden <strong>in</strong>E<strong>in</strong>zelhaft gehalten. Das entspricht der gesetzlichen Regel des Paragraphen119 Absatz 1 Satz 1 der Strafprozeßordnung, die lautet: ,Der Verhaftete darfnicht mit anderen Gefangenen <strong>in</strong> dem selben Raum untergebracht werden'.Die Gefangenen s<strong>in</strong>d von der Teilnahme an Geme<strong>in</strong>schaftsveranstaltungenausgeschlossen und unterliegen besonderen Kontrollen. Der Kreis der Besucherist auf Angehörige und Verteidiger beschränkt. Dasselbe giltfür denPostverkehr.Diese Maßnahmen s<strong>in</strong>d aus Sicherheitsgründen richterlich angeordnetworden. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat mit Beschluß vom21. Juli 1972 diese Beschränkungen für die Beschuldigten Baader, Enssl<strong>in</strong>,Me<strong>in</strong>s und Raspe mit e<strong>in</strong>gehender Begründung bestätigt und <strong>in</strong>sbesondereausgeführt, es lägen Anhaltspunkte dafür vor, daß Mitglieder der Baader­Me<strong>in</strong>hof-Bande Pläne verfolgten, ihre <strong>in</strong>haftierten Ges<strong>in</strong>nungsgenossen gewaltsamzu befreien.Von e<strong>in</strong>er völligen Isolierung der Gefangenen, die sie seelisch und körperlichübermäßig belastet oder sogar foltert, kann ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>. Die Gefangenenunterhalten sehr rege briefliche und persönliche Verb<strong>in</strong>dungen mit ihrenVerteidigern.Jedem von ihnen stehen mehrere Verteidiger zur Verfügung. DieBesuche der Rechtsanwälte <strong>in</strong> den Haftanstalten ziehen sich sehr häufig über-95•


96mehrere Stunden h<strong>in</strong>. Die Verteidigerbesuche bei den <strong>in</strong> der JustizvollzugsanstaltKöln-Ossendorf e<strong>in</strong>sitzenden Untersuchungsgefangenen dauern regelmäßigbis zu drei Stunden. Die Verteidiger der Beschuldigten Enssl<strong>in</strong> verbrachtenwiederholt sogar annähernd acht Stunden bei ihrer Mandant<strong>in</strong>.Auch bei Besuchen von Angehörigen verfahren die Justizvollzugsanstaltengroßzügig. Den <strong>in</strong>haftierten Angehörigen der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe werdenlange Besuchszeiten e<strong>in</strong>geräumt. In der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorfbetragen sie im Durchschnitt 45 M<strong>in</strong>uten. Die Beschuldigte Irmgard Möllerkonnte im Januar 1973 <strong>in</strong> der Justizvollzugsanstalt Nümberg zweimal je e<strong>in</strong>eStunde mit ihrer Mutter und e<strong>in</strong>e halbe Stunde mit ihrer Schwester zusammentreffen.Angehörigen der Beschuldigten Enssl<strong>in</strong>, die sich <strong>in</strong> Strafhaft bef<strong>in</strong>det, wurdewiederholt gestattet, die sonst für Strafgefangene übliche Besuchszeit von 30M<strong>in</strong>uten erheblich zu überschreiten. Der Besuchsverkehr nahm im e<strong>in</strong>zelnenfolgenden Umfang an:Seit ihrer Festnahme bis Anfang 1973 hatten Andreas Baader an 25 Tagen<strong>in</strong>sgesamt 26 Besucher, Gudrun Enssl<strong>in</strong> an 25 Tagen 27 Besucher, UlrikeMe<strong>in</strong>hof an 41 Tagen 48 Besucher, Holger Me<strong>in</strong>s an 24 Tagen 25 Besucher,Irmgard Möller an 11 Tagen 12 Besucher, Gerhard Müller an 23 Tagen 35Besucher, Jan-Carl Raspe an 23 Tagen 26 Besucher.Bei Andreas Baader handelte es sich um 4 Angehörigen- und 22 Anwaltsbesuche,bei Gudrun Enssl<strong>in</strong> um 7 Angehörigen- und 20 Anwaltsbesuche, beiUlrike Me<strong>in</strong>hof um 18 Angehörigen- und 30 AnwaItsbesuche, bei HolgerMe<strong>in</strong>s um 9 Verwandten- und 16 Anwaltsbesuche, bei Irmgard Möller um 9Verwandten- und 3 Anwaltsbesuche, bei Gerhard Müllerum 15 Angehörigenund20 AnwaItsbesuche und bei Jan-Carl Raspe um 3 Verwandten- und 23Anwaltsbesuche.Die Kontakte der angeblich von der Außenwelt völligisolierten Gefangenens<strong>in</strong>d nicht auf den Besuchsverkehr beschränkt. Die Beschuldigten Me<strong>in</strong>hof,Müller und Raspe werden mit Rücksicht auf die strenge E<strong>in</strong>zelhaft häufiger alssonst üblich von Anstaltsbediensteten aufgesucht; die Beschuldigte Me<strong>in</strong>hof,die bisher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nicht belegten Gefängnisflügel untergebracht war, ist<strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en auch mit anderen Gefangenen belegten Teil der Anstaltverlegt worden; sie konnte auch e<strong>in</strong> Gespräch mit der Mitbeschuldigten Astrid­Prell führen. Die Gefangenen werden laufend ärztlich betreut, von Psychologenund Seelsorgern aufgesucht und erhalten so mannigfache Gelegenheit,zwischenmenschliche Kontakte zu pflegen. Alle Gefangenen können sichdurch den Empfang von Rundfunksendungen und durch den Erwerb vonBüchern, Zeitungen und Zeitschriften, der durch die Haftanstalten oder dieVerteidiger vermittelt wird, <strong>in</strong>formieren und zerstreuen. Gudrun Enssl<strong>in</strong> z. B.bezieht 3 Tageszeitungen (2 deutsche und 1 französische) sowie e<strong>in</strong> Wochenmagaz<strong>in</strong>und e<strong>in</strong>e Illustrierte, Irmgard Möller 3 Tageszeitungen und 2 Illustrierte.Die ständige ärztliche und psychologische Betreuung stellt sicher, daß die­Haftbed<strong>in</strong>gungen der jeweiligen körperlichen und psychischen Lage des e<strong>in</strong>zelnenGefangenen angepaßt werden. Soweit ärztlicher Rat e<strong>in</strong>e Änderungder Haftbed<strong>in</strong>gungen nahelegt, wird dem, wie schon <strong>in</strong> der Vergangenheit,unter Berücksichtigung des nicht ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>zuschätzenden SicherheitsrisikosRechnung getragen werden. Es liegtjedoch auf der Hand, daß die angestrebteZusammenlegung mehrerer <strong>in</strong>haftierter Mitglieder der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bandenicht <strong>in</strong> Frage kommen kann".Da die Bundesanwaltschaft mit dieser Pressernitteilung anläßlich desersten Hungerstreiks zum erstenmal öffentlich auf den Vorwurf "Isolationsfolter"reagierte, ist es angebracht, sie näher zu untersuchen, zumal<strong>in</strong> späteren Erklärungen im wesentlichen die selben Argumente auftauchen.Als erstes fällt auf, daß sich die BAW <strong>in</strong> der Erklärung nur auf siebenGefangene bezieht, und zwar auf die von den Behörden als der "harteKern" der RAF bezeichneten Personen, die von Anfang an direkt vomGBA verfolgt wurden. Weiter fällt auf, daß der erste Teil der Erklärung,der sich auf "Tatsachen" bezieht, mit der Bemerkung abschließt, es seiunrichtig, angesichts dieser Straftaten von "politischen Gefangenen" zusprechen. Bemerkenswert ist, daß im folgenden die rechtliche Legitimationfür die Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelhaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigenSatz des § 119Absatz 1 StPO gesucht wird. Liest man aber den ganzen § 119, wirddeutlich, daß sich jener Abschnitt hauptsächlich auf die getrennte Unterbr<strong>in</strong>gungvon Untersuchungsgefangenen und Strafgefangenen bezieht,und daß der zweite Absatz sogar das genaue Gegenteil von E<strong>in</strong>zelhaft alsMöglichkeit vorsieht, d.h.daß Untersuchungshäftl<strong>in</strong>ge beantragen können,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftszelle untergebracht zu werden, ganz zuschweigen von der Teilnahme an den üblichen Geme<strong>in</strong>schaftsveranstaltungen3.Folglich ist das vom GBA benutzte Zitat wegen se<strong>in</strong>er Unvollständigkeitirreführend.Im folgenden Text wird die besondere Isolierung der Gefangenenbestätigt und mit e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>weis auf "Anhaltspunkte" für mögliche Befreiungsplänebegründet (e<strong>in</strong>ziger konkreter Anhaltspunkt: die Baader­Befreiung 1970). Dann wird noch e<strong>in</strong>mal ausdrücklich verne<strong>in</strong>t, daß dieIsolierung der Gefangenen vollständig, schädlich oder gar als Folter zubezeichnen sei. Zur Veranschaulichung und Bestätigung dieser Behauptungwird dann e<strong>in</strong>e ausführliche Aufzählung der Besuche von Familienangehörigenund Verteidigern angeführt. Diese Aufzählung ist aus zweiGründen ebenfalls irreführend. Erstens wird durch e<strong>in</strong>en Vergleich derdirekt nebene<strong>in</strong>ander gestellten Rubriken "Anzahl der Tage" und "Besucher"("an 25 Tagen 27 Besucher" usw) der E<strong>in</strong>druck erweckt, daß dieGefangenen täglich Besuch erhielten, während es sich <strong>in</strong> der Regel umetwa e<strong>in</strong>en Besuch alle zehn Tage handelte. Zweitens g<strong>in</strong>g es bei denAnwaltsbesuchen häufig um die Entwicklung von Aktivitäten geradegegen den isolierenden Haftvollzug; e<strong>in</strong> Argument gegen den Vorwurfder Isolation läßt sich also aus diesen Besuchen schwerlich ableiten.Ausgesprochen zynisch ist der dieser Aufzählung folgende Teil, <strong>in</strong> demals Beispiel für "die Kontakte der angeblich von der Außenwelt völligisolierten Gefangenen" angeführt wird, daß e<strong>in</strong>ige Gefangene häufiger97.


als üblich vom Anstaltspersonal aufgesucht würden. Ganz abgesehenvon der dem Anstaltspersonal auch zukommenden Funktion e<strong>in</strong>es verlängertenArms der Ermittlungsbehörden dient das "häufige Aufsuchen"<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der Kontrolle, und zwar Tag und Nacht. Zudem hat es <strong>in</strong>e<strong>in</strong>igen Fällen den S<strong>in</strong>n, nachzuprüfen, ob der Gefangene se<strong>in</strong>e sichwidersetzende Haltung weiter beibehält, was aus der Ablehnung vonGesprächen mit Bewachern, Psychologen und Seelsorgern abgeleitetwird. Derartige "Kontakte", die den Vorwurf der Isolationshaft entkräftensollen, stellen wegen der von ihnen ausgehenden Streßbelastung fürden Gefangenen eher e<strong>in</strong>e Verschärfung der Isolation dar.Der Schlußsatz der Erklärung des GBA ist zum<strong>in</strong>dest doppeldeutig.Daß die Haftbed<strong>in</strong>gungen fortwährend dem körperlichen und geistigenZustand des e<strong>in</strong>zelnen Gefangenen "angepaßt" werden, wie behauptetwird, kann zweierlei bedeuten: entweder, daß ständig für differenzierte,aber möglichst optimale Haftbed<strong>in</strong>gungen gesorgt wird, oder daß manaufmerksam darüber wacht, daß die angeordneten Haftbed<strong>in</strong>gungennicht zu e<strong>in</strong>er akuten und unmittelbar wahrnehmbaren Bee<strong>in</strong>trächtigungder geistigen und körperlichen Gesundheit der Gefangenen führen. DerSatz, ärztliche Empfehlungen könnten zu e<strong>in</strong>er Veränderung der Haftsituationführen, fallsdies aufgrund des Sicherheitsrisikos zu verantwortensei, deutet eher auf die zweite Interpretation h<strong>in</strong>. Auf jeden Fall wirddeutlich ausgedrückt, daß Sicherheitserwägungen weit höher bewertetwerden als die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen,was angesichts der Dehnbarkeit des Begriffs"Sicherheit" die Möglichkeitenbehördlicher Willkür wesentlich erhöht. Daß der plötzliche Zusammenbruche<strong>in</strong>es Gefangenen als Folge der Isolierung auch zu e<strong>in</strong>emSicherheitsrisiko für die Behörden werden kann, sei es auch andererNatur, als <strong>in</strong> der Erklärung geme<strong>in</strong>t ist, wird den Gefangenen wohl kaume<strong>in</strong> Trost se<strong>in</strong>.Ausgehend von dem Primat der Sicherheit ergibt sich weiter, daßGefängnisärzten und -psychologen kaum mehr als e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> <strong>in</strong>strumentelleFunktion zukommt, die sich auf e<strong>in</strong>e Beobachtung und die Berichterstattungüber e<strong>in</strong>e Haftsituation bezieht, die größtmögliche "Sicherheit"garantieren soll. Gleichzeitig ist sichergestellt, daß die verantwortlichenBehörden nicht von dem eventuellen Zusammenbruch e<strong>in</strong>es Gefangenenüberrascht werden können. Dadurch sollen aggressive Reaktionen,Unruhe, militante Aktionen und Legitimationsverlust aufgefangenwerden. Diese Funktion läßt sich z. B. anhand des Briefes vonGefängnispsychiater Dr. Götte an die BAW vom 1.2.73 veranschaulichen,<strong>in</strong> dem er sich über den Gesundheitszustand der <strong>in</strong> Köln-Ossendorfverwahrten Ulrike Me<strong>in</strong>hof äußert, woraufh<strong>in</strong> diese am 9.2.73verlegt wird:"Auf entsprechende Frage wird mitgeteilt,daß schon aus theoretischenGründenund praktischenErfahrungene<strong>in</strong>elangdauemde,strengeIsolierung,98bei der Kontakte mit der Umgebung bis auf die notwendigeVersorgungunmöglichs<strong>in</strong>d,gesundheitlichnichtvertretbar ist.SiewirdnurimE<strong>in</strong>zelfallbeibesonderskonfiguriertenPersönlichkeitenmöglichund durchführbarse<strong>in</strong>.BeiFrauMe<strong>in</strong>hof,dieichzweimalkurzuntersuchthabe, istdieGrenzeder Belastbarkeitnach psychiatrischerAnsichtjetzterreicht.Ich halte die gegenwärtigpraktizierteIsolierung<strong>in</strong> dieserFormnichtmehr fürvertretbar"4.2.2. Gründung der "Komitees gegen Folter"Hatten die Verteidiger <strong>in</strong> ihrer Hungerstreikerklärung von Anfang Februarschon behauptet, "gegen Folter helfen Rechtsmittel nicht", so warihnen nach Ende des ersten Hungerstreiks ihrer Mandanten auch deutlichgeworden, daß er zwar e<strong>in</strong>en größeren Bekanntheitsgrad dieserbesonderen Haftbed<strong>in</strong>gungen erreicht, aber ke<strong>in</strong>e wesentlichen Veränderungenan der Haftsituation bewirkt hatte. Die Gefangenen erwogene<strong>in</strong>en Monat danach e<strong>in</strong>en erneuten Hungerstreik. Gleichzeitigwurde imE<strong>in</strong>vernehmen zwischen Gefangenen und Verteidigern e<strong>in</strong>e neue Initiativeentwickelt: die Bildung von örtlichen "Komitees gegen Folter". DerPlan wurde von vielen bundesweit bekannten Persönlichkeiten unterstütztund Ende April 1973 <strong>in</strong> zehn Städten <strong>in</strong> die Tat umgesetzt.Funktion dieser Komitees sollte die effektivere Mobilisierung der kritischenÖffentlichkeit gegen den Isolationshaft-Vollzug se<strong>in</strong>, um so dieBehörden zu Veränderungen zu zw<strong>in</strong>gen.Die Bildung und die Arbeit dieser Komitees s<strong>in</strong>d nach me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzungfür die weitere Entwicklung des Konfliktszwischen Justizorganenund <strong>Verteidigung</strong> von entscheidender Bedeutung gewesen: DieGefangenen und ihre Anwälte sahen sich e<strong>in</strong>er Situation gegenüber, <strong>in</strong>der jeder Versuch, durch Anrufung der Gerichte e<strong>in</strong>e direkte Veränderungdes als menschenunwürdig erfahrenen Haftvollzugs zu bewirken,gescheitert war. Andererseits erschienen Forderungen nach e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>greifendes Gesetzgebers aufgrund der politischen Verhältnisse s<strong>in</strong>nlos.Innerhalb des legalen Rahmens blieb also nur der Weg über die Mobilisierungder Öffentlichkeit; man versuchte nun, unter Berufung auf liberaleGrundsätze und Wertvorstellungen, die kritische Öffentlichkeit zuerreichen und mit unkonventionellen Aktionen und Veröffentlichungendurch politisch-solidarische Gruppen Leute "an der Basis" zu gew<strong>in</strong>nen.Es liegt auf der Hand, daß diese Basisgruppen - die "Komitees gegenFolter" - sich vornehmlich aus Personen zusammensetzten, die sichpolitisch mit der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung der sechziger Jahre verwandtfühlten, aus der die RAF hervorgegangen war, und die nicht schon<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der vielen e<strong>in</strong>ander heftig und dogmatisch bekämpfenden radikal-l<strong>in</strong>kenGruppen verwurzelt waren. Bei diesem H<strong>in</strong>tergrund liegt esnahe, daß die "Komitees gegen Folter" aus ihrer politischen Solidaritätheraus sich auch die politische Analyse der RAF stets mehr zu eigen99


machten. Diese Analyse, die von den Gefangenen aus der RAF weiterentwickeltwurde, enthält e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> sich schlüssige Erklärung der auf Identitätszerstörungangelegten spezifischen Haftsituation. Sie bezog sich aufden gefangenen Teil e<strong>in</strong>er antiimperialistischen Guerilla-Organisation,die den bewaffneten Kampf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em imperialistischen Zentrum aufgenommenhat, und die von den Repräsentanten des kapitalistischenSystems als politisch-militärischer Gegner begriffen wird, den es, auch imGefängnis, zu vernichten gilt.Diese Analyse geht davon aus, daß bewaffneterWiderstand <strong>in</strong> den imperialistischen Metropolen notwendig undmöglich ist. Sie kann daher bei e<strong>in</strong>em wachsenden Solidarisierungsprozeßauch zu e<strong>in</strong>er wachsenden Empfänglichkeit für die Idee führen,selbst Teil der Guerilla zu werden. Die Staatsschutzbehörden betrachtetenund behandelten die Mitglieder der "Komitees gegen Folter" dennauch von Anfang an als potentielle Guerilleros, was die legale Arbeit fürdie Gefangenen erheblich erschwerte und schließlich sogar unmöglichmachte. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß e<strong>in</strong>ige Mitglieder dieserKomitees von 1973 an die Reihen der Guerilla verstärkten.Da die Verteidiger die Initiatoren dieser Komitees gewesen waren, undsie auch die Komitees mit Informationen über die Haftbed<strong>in</strong>gungen, diejuristische Prozeßvorbereitung und -führung für die Öffentlichkeitsarbeitversorgten, wurden die Verteidiger als erste für die Kont<strong>in</strong>uität der Guerilla,"Werbung" und "Unterstützung" für sie, verantwortlich gemacht.Infolge der Zusammenarbeit mit den Komitees ergab sich für die Behördendie Notwendigkeit, den Verteidigern, wo immer auch möglich,"Knüppel zwischen die Be<strong>in</strong>e zu werfen", sie zu beh<strong>in</strong>dern und letztlichdann auch auszuschalten.Die erste bundesweite Veranstaltung der "Komitees gegen Folter"fand am 11.5.73 statt, e<strong>in</strong>ige Tage nach Beg<strong>in</strong>n des zweiten Hungerstreikspolitischer Gefangener, die zumeist der RAF und dem SPK angehörten.Das politische Profil der Komitees, die den Behörden wahrsche<strong>in</strong>lichschon damals Kopfzerbrechen bereiteten, läßt sich aus dreiRedebeiträgen auf dieser Veranstaltung ableiten. He<strong>in</strong>z Brandt, Vorstandsmitgliedder IG Metall, der vier Jahre <strong>in</strong> Konzentrationslagernverbracht hatte, erklärte, daß die heutige Isolationshaft schlimmer, gefährlicherund zerstörerischer sei, als die von ihm unter den Nationalsozialistenerlebte Isolationshaft. Der niederländische Psychiater Dr. SjefTeuns sprach über"lsolation / Sensorische Deprivation: die programmierteFolter"s. Der Soziologieprofessor Dr. Christian Sigrist analysierte<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag über "Imperialismus: Provokation und Repression" die"Vernichtungsstrategie" der deutschen Justiz als Teil der weltweiten'Gegenstrategie gegen antiimperialistische Kämpfer u. a. anhand se<strong>in</strong>erpersönlichen Erfahrungen mit der antiportugiesischen Guerilla <strong>in</strong> denehemaligen portugiesischen Kolonien Afrikas6.1002.3. Zweiter Hungerstreik Mai/Juni 1973Am 8.5.73 traten 80 Gefangene <strong>in</strong> den Hungerstreik. In e<strong>in</strong>er ausführlichenErklärung forderten sie "Gleichstellung der politischen Gefangenenmit allen anderen Gefangenen und freie politische Information fürdie Gefangenen - auch aus außerparlamentarischen Medien; nicht mehr- nicht weniger. Jetzt. ,,7 Bereits nach fünf Tagen wurde bei dem imhessischen Schwalmstadt e<strong>in</strong>sitzenden Andreas ~crader mit Zwangsernährungbegonnen. Baader zufolge so\1 dabefe<strong>in</strong> zu dicker Gummi-""-schlauchauf so grobe Weise e<strong>in</strong>geführt worden se<strong>in</strong>, daß er be<strong>in</strong>aheerstickt sei und später Blut spucken mußte. Se<strong>in</strong> Verteidiger reagierte mite<strong>in</strong>er Anzeige gegen den Anstaltsarzt wegen Mißhandlung8.Die sich anschließende Sonderbehandlung Baaders legt die Vermutungnahe, daß man hoffte, über ihn als verme<strong>in</strong>tlichen Anführer denHungerstreik der 80 Gefangenen brechen zu können. Am 24.5.73 fande<strong>in</strong>e Versammlung aller Anstaltsärzte des Bundeslandes Hessen statt.Noch am gleichen Tag wurde beschlossen, Baader das Tr<strong>in</strong>kwasser zu- sperren Qie "FAZ" .:----kommentierte diese Maßnahme am 28.5.73 unterdem Titel "Ke<strong>in</strong> Anzeichen für Folter" als e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> übliche Maßnahmegegenüber hungerstreikenden Gefangenen: "Dies aber nicht, umden Häftl<strong>in</strong>g durch Durst zu zw<strong>in</strong>gen, Nahrung zu sich zu nehmen,sondern weil Wasseraufnahme für e<strong>in</strong>en HunQernden Qesundheitsschädlichist"g Das folgende Zitat aus dem "Heidelberger Tageblatt"vom 29.5.7310 gibt die völlig unverständliche bzw. nicht nachzuvollziehendeErklärung des hessischen Justizm<strong>in</strong>isteriums wieder:"Das hessischeJustizm<strong>in</strong>isteriumbegründet das Vorgehengegen den seitdem 8. MaihungerndenBaader damit,daß sichder menschlicheKörperbeider bloßen Zufuhrvon Wasserund zwarüber vieleMonateam Leben haltenkönne, dabei andererseitsjedoch irreparableGewebs- und Organschädenaufträten.DieJustizwürdeihreFürsorgepflicht fürGefangeneverletzen,wennsie es zuließe,,daß schwereGesundheitsschädenoder gar der TodalsFolgeverweigerterNahrungsaufnahmee<strong>in</strong>treten', erklärte der M<strong>in</strong>isteriumssprecher".In der mediz<strong>in</strong>ischen Wissenschaft istallgeme<strong>in</strong> bekannt, daß Wasserentzug<strong>in</strong>nerhalb weniger Tage zu irreparablen Nierenschäden und damitzum Tod führt. Baader erhielt nach acht Taaen ~der Wasser.Nierenschmerzen, Halsschmerzen, Sehstörungen hatten den bevorstehendenTod angekündigt. Baader brach deshalb se<strong>in</strong>en Hungerstreikab. Juristisch ist e<strong>in</strong> solcher Wasserentzug, zum<strong>in</strong>dest nach niederländischemRecht, als versuchter Totschlag zu bewerten, auch wenn derGefangene das E<strong>in</strong>treten des Todes dadurch verh<strong>in</strong>dert, daß er wiederNahrung zu sich nimmt. Auch der Polizist, dessen Aufforderung zumAnhalten von e<strong>in</strong>em Kraftfahrer bewußt ignoriert wird, kann e<strong>in</strong>en fürihn fatalen Ablauf dadurch verh<strong>in</strong>dern, daß er zur Seite spr<strong>in</strong>gt; trotzdem101


•wird der erwischte Kraftfahrer wegen versuchten Totschlags verurteilt,und zwar auch dann, wenn er den Polizisten gar nicht töten, sondern nurdem drohenden Strafzettel entkommen wollte. In den Niederlandenwürden die Gerichte argumentieren, der Autofahrer "habe sich wissentlichund willentlich der ke<strong>in</strong>eswegs als imag<strong>in</strong>är e<strong>in</strong>zuschätzenden Möglichkeitausgesetzt", daß der Polizistnicht (rechtzeitig) zur Seite spr<strong>in</strong>gen(können) würde, wodurch der Tod verursacht werden könntel1. Nachdieser Theorie des bed<strong>in</strong>gten Vorsatzes, die auch im westdeutschenStrafrecht gehandhabt wird, nehmen die Behörden bei angeordnetemWasserentzug ebenfalls "die ke<strong>in</strong>eswegs als imag<strong>in</strong>är e<strong>in</strong>zuschätzendeMöglichkeit" <strong>in</strong> Kauf, daß der Betroffene nicht "zur Seite spr<strong>in</strong>gt" undse<strong>in</strong>en Hungerstreik fortsetzt. Auch nach dem westdeutschen Strafrechtkommt man pr<strong>in</strong>zipiell zum gleichen Ergebnis, da auch dort die Auffassungvom "bed<strong>in</strong>gten Vorsatz" Geltung hat; maßgeblich ist, ob der Täterdie (an sich nicht gewollte) Folgeersche<strong>in</strong>ung "billigend <strong>in</strong> Kauf genommenhat"12.E<strong>in</strong>er Entscheidung des Landgerichts München vom 5.6.73 zufolge,mit der die Unterbr<strong>in</strong>gung des hungerstreiken den Häftl<strong>in</strong>gs BernhardBraun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sogenannteTrockenzelle beschlossen wurde, ist der Rechtfertigungsgrundfür e<strong>in</strong>en solchen versuchten Totschlag <strong>in</strong> der gesetzlichenVorschriftgemäß § 119 Absatz 3 StPO zu f<strong>in</strong>den: Dem Verhaftetendürfen nur solche Beschränkungen der Untersuchungshaft auferlegtwerden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung <strong>in</strong> derVollzugsanstalt erfordert.,,(... ) Der Hungerstreik des Beschuldigten, bei dem es sich um e<strong>in</strong>en re<strong>in</strong>demonstrativen Akt handelt, stellt wegen der notwendigen ständigen ärztlichenüberwachung e<strong>in</strong>e Störung der Ordnung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt dar,weshalb die für se<strong>in</strong>e Haft zuständigen Instanzen mit allen ihnen zur Verfügungstehenden gesetzlichen MittelnSorge dafür zu tragen haben, daß der Beschuldigtebaldmöglichst wieder Nahrung zu sich nimmt (. .. )Mit dem Amtsgericht ist die Kammer der Auffassung, daß es sich bei derbeantragten Maßnahme des Tr<strong>in</strong>kwasserentzugs um e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> diekörperliche Unversehrtheit handelt, weshalb es hierzu e<strong>in</strong>es Gesetzes bedarf(Art.2,Abs. 2 GG). Nicht gefolgt werden kann jedoch dem Amtsgericht, daß §119 Abs. 3 StPO nicht als e<strong>in</strong>e solche gesetzliche Grundlage angesehenwerden könne(. .. ).Die Verlegung des Beschuldigten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Trockenzelle und damit der Entzugdes Tr<strong>in</strong>kwassers ist e<strong>in</strong>e geeignete Maßnahme, um ihn baldmöglichst wiederzur Nahrungsaufnahme zu veranlassen (. .. ),,13Im westdeutschen Recht ist der sogenannte Grundsatz der Verhältnismäßigkeitder Mittele<strong>in</strong> wichtiges Kriterium der Rechtmäßigkeit behördlichenHandelns14, vergleichbar mit dem "proportionaliteitsbeg<strong>in</strong>sel",der <strong>in</strong> der niederländischen Strafrechtslehre für e<strong>in</strong>ige Rechtfertigungsgründeentwickelt wurde, und ebenso vergleichbar mit dem "zorgvuldigheidsbeg<strong>in</strong>sel"im Verwaltungsrecht. Mit diesem Problem konfrontiert,102setzt das Landgericht München das "Strafrechtsroulett" (Mißhandlung,schwere Mißhandlung, Mißhandlung mit Todesfolge, versuchter Totschlag,Totschlag, versuchter Mord, Mord?) mit den folgenden überlegungen<strong>in</strong> Bewegung:,,(. .. ) Sie (die Tr<strong>in</strong>kwasserentziehung - BS) würde vielmehr ihre zeitlicheBegrenzung entweder dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>den, daß der Beschuldigte se<strong>in</strong>en Hungerstreikzu e<strong>in</strong>er Zeit aufgibt, wo gesundheitliche Schäden noch nicht zu besorgen s<strong>in</strong>d,oder aber spätestens zu dem Zeitpunkt, wo nach ärztlicherAnsicht im Falle derFortführung des Hungerstreiks bei gleichzeitigem Tr<strong>in</strong>kwasserentzug solcheSchäden sich abzuzeichnen beg<strong>in</strong>nen und deshalb die Durchführung derZwangsernährung geboten wäre(. .. )".Am 29.6.73 wurde der Hungerstreik beendet; e<strong>in</strong>ziges konkretes Ergebniswar die vom Landgericht Karlsruhe angeordnete Aufhebung derIsolationshaft von zwei Gefangenen15.Allen Beteiligten war klar, daß die 40 bzw. 80 streng isolierten Gefangenenihre beiden Hungerstreiks nur mit Hilfe der als Informationsträgerdienenden Verteidiger gleichzeitig mit e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Erklärungbeg<strong>in</strong>nen und fast gleichzeitig beenden konnten. Damit gab es ke<strong>in</strong>erleiZweifel mehr an der Mitverantwortung der Verteidiger für diese "re<strong>in</strong>demonstrativen" Hungerstreiks, die e<strong>in</strong>e Störung der Ordnung <strong>in</strong> denVollzugsanstalten bedeuteten.3. Erste Zellendurchsuchung am 16.118. Juli 1973Gut zwei Wochen nach Beendigung des zweiten Hungerstreiks durchsuchtenFahndungsbeamte des BKA (Sicherungsgruppe Bonn) zumgleichen Zeitpunkt <strong>in</strong> verschiedenen Haftanstalten die Zellen von Baader,Enssl<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>hof, Me<strong>in</strong>s, Möller, Müller und Raspe. Die Beamtenbeschlagnahmten alle der <strong>Verteidigung</strong> dienenden Papiere. Die Aktionbasierte auf der Entscheidung des BGH-Untersuchungsrichters Knoblichvom 11.7.73, <strong>in</strong> der u. a. folgende Erwägungen zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d:"Nach dem Ergebnis der bisher durchgeführten Ermittlungen besteht derVerdacht, daß die Beschuldigten ihr Ziel,die <strong>in</strong> der Bundesrepublik herrschendefreiheitliche Grundordnung mit aUen Mitteln, auch unter Anwendung vonGewalt, zu beseitigen, mit Unterstützung ihrer Verteidiger auch aus den Vollzugsanstaltenheraus weiter verfolgen. Dieser Verdacht gründet sich <strong>in</strong>sbesondereauf e<strong>in</strong>en am 21. Juni 1973 sichergestellten Rundbrief, dessen Verfassernach dem vorliegenden ErmittlungsE!rgebnisoffensichtlich der Rechtsanwalt­Ströbele istl6. In diesem Briefwird unter anderem von e<strong>in</strong>em unter Mitwirkungder Beschuldigten durchzuführenden ,neuen Projekt' berichtet, das mit, Info­Zentrale HH und Erstellung von Analysen und konkrete Gruppenschulung'bezeichnet wird, und dazu erklärt, als ,wesentlicher Punkt' müsse ,unbed<strong>in</strong>gtberücksichtigt' werden, ,daß es Leute gibt, die auf kaum was schärfer s<strong>in</strong>d, alsirgendwo sauber gesammelt und entwickelt die Theorie und Anleitung zurPraxis e<strong>in</strong>es konsequenten Kampfes gegen den bestehenden Macht- undGewaltapparat zu f<strong>in</strong>den'.103


Bei dieser Sachlage ist zu vermuten, daß die Beschuldigten im Besitz vonUnterlagen s<strong>in</strong>d, die weitere H<strong>in</strong>weise auf ihre Bestrebungen enthalten, die Tätigkeitder krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, deren Mitglieder sie nach dem Ermittlungsergebniss<strong>in</strong>d, auch aus der Haft heraus fortzusetzen. Um diese als Beweismittelsicherzustellen, mußten gemäß §§ 102, 105, 168a StP017 die Durchsuchungenangeordnet werden"18.Dieser Beschluß, der von höchster Instanz bestätigt wurde19, nahmder Verteidigerpost mit e<strong>in</strong>em Schlag ihren vertraulichen Charakter. Aufdas Vertrauensverhältnis zwischen Gefangenen und Verteidigern, dasweitgehend auf dem unkontrollierten Briefverkehr beruht, wurde ke<strong>in</strong>eRücksicht mehr genommen. Aus dem dreiseitigen Rundbrief des RechtsanwaltsChristian Ströbele vom 16.6. 73 läßt sich entnehmen, daß dembeanstandeten Informationssystem kaum mehr als die <strong>in</strong> Knoblichs Beschlußzitierten Sätze gewidmet s<strong>in</strong>d. Die Idee, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Anwaltsbürose<strong>in</strong>e Zentrale e<strong>in</strong>zurichten, um von dort aus alle benötigten Informationenzu verbreiten, war nach Beendigung des ersten Hungerstreiks imFebruar1973 entstanden, u. a. wegen der damals evident gewordenenKommunikationsprobleme. So schrieb Ströbele am 2.3.73 den Gefangenen:,,(... ) Um schlechter Kommunikation und schlechter Koord<strong>in</strong>ationunter den Anwälten Abhilfe zu schaffen, soll über das Büro derHamburger Anwälte e<strong>in</strong>e regelmäßige ständige Kommunikation <strong>in</strong> Forme<strong>in</strong>es kurzen Rundschreibens mit entsprechenden Anlagen geschaffenwerden(. .. ),,20. über den Inhalt dieses "Info-Systems" wurde <strong>in</strong> denfolgenden Wochen heftig diskutiert; die Passagen über diese Diskussionim Rundbrief vom 16.6.73 bezogen sich, so Ströbele21, auf die Vorschlägee<strong>in</strong>iger Gefangener, <strong>in</strong> den Info-Briefen - u. a. auch als Hilfe für dieVerteidiger gedacht - ihre Erfahrungen mit Theorie und Praxis derStadtguerilla e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Der Gefangene Holger Me<strong>in</strong>s hatte dagegenerhebliche Bedenken, und genau darüber berichtete Ströbele: "Me<strong>in</strong>shat dazu e<strong>in</strong>en wesentlichen Punkt angefügt. Nämlich, daß es Leute gibt,die... " (siehe Knoblich-Beschluß oben).In diesem Beschluß wird unmißverständlich argumentiert, das vonden Verteidigern zu organisierende Informations- und Schulungssystemsei für "Leute" außerhalb der Gefängnisse gedacht, womit die Weiterführunge<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung aus dem Gefängnis heraus, unterstütztvon den Verteidigern, feststehe22 Ströbele erklärte dagegen, esgehe um die Ausarbeitung e<strong>in</strong>es Plans, wie die Gruppe im Gefängnis mitInformationen versorgt werden und sie diese verarbeiten könne; der fürdie Behörden ausschlaggebende Satz "daß es Leute gibt, die... " drückenichts anderes als die von Me<strong>in</strong>s vorgebrachte Warnung vor der zweifellosgroßen Neugierde des Staatsschutzapparats aus, über diesen Bereichmehr zu erfahren. Wieviel Glauben man dieser Erklärung auch schenkenmag, der viel zitierte Satz begann sich zu verselbständigen. Erstenslieferte er der Justiz die benötigte Legitimation für den entscheidenden104E<strong>in</strong>griff<strong>in</strong> das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidigern und Mandanten.Zweitens wurde damit implizit auch der strafrechtliche Grundsatz,demzufolge Beschuldigte nicht gezwungen werden dürfen, an der Beweisführungmitzuwirken, außer Kraft gesetzt. Der gesetzliche Niederschlagdieses Grundsatzes s<strong>in</strong>d die Rechte des Beschuldigten, se<strong>in</strong>eAussage zu verweigern und Erklärungen abzugeben (§§ 136, 136a, 163aStPO; <strong>in</strong> den Niederlanden Art. 29 WvSv). Es handelt sich um Rechte,die erst nach vertraulicher schriftlicher und mündlicher Rücksprache mite<strong>in</strong>em Verteidiger zur vollen Wirkung kommen können. Die Beschlagnahmevon Verteidigerpost, Gesprächsnotizen u.ä. bedeutet die Aufhebungdieses Vertrauensverhältnisses. Durch die Beschlagnahmung erhieltendie Strafverfolgungsbehörden Beweismaterial, zu dem die Beschuldigtenwider Willen als Gesprächs- und Briefpartner der Verteidigeraktiv beigetragen haben. Drittens: Nach der offiziellen Auslegung desRundbriefes von Ströbele beteiligten sich die Anwälte offensichtlich ohneBedenken an e<strong>in</strong>em illegalen Kommunikationssystem zwischen den Gefangenenaus der RAF und den <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen RAF-Mitgliedern.Schließlich hatten der Beschlagnahmebeschluß und die Zellendurchsuchungene<strong>in</strong>e erhebliche Verschärfung der Isolation zur Folge, da vonnun an e<strong>in</strong>e freie schriftliche Kommunikation nicht mehr möglich war,und die wichtigsten D<strong>in</strong>ge folglich nur noch mündlich während derVerteidigerbesuche besprochen werden konnten.Die Verteidigerverfolgung konkretisierte sich nach den Zellenrazzien<strong>in</strong> strafrechtlichen Ermittlungen wegen des Verdachts der Unterstützunge<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung gegen sechs Anwälte. Ihnen wurde vorgeworfen,sie hätten "das Kommunikationssystem der ,RAF-Gefangenen'untere<strong>in</strong>ander und mit der Außenwelt zu gewährleisten, die Kampagne(gegen die Haftbed<strong>in</strong>gungen - BS) <strong>in</strong> Gang zu setzen und den Kampf(gegen die Justiz - BS) mit formaljuristischen Mitteln zu führen". DieseFormulierung stammt aus dem Antrag der BAW vom 7. 11. 73 an denBGH, die Beschlagnahme der bei den Zellendurchsuchungen gefundenenSchriftstücke auch für das Ermittlungsverfahren gegen die Anwältezu bestätigen. Dabei wird die anfängliche Unterstellung, die Anwältewürden als verlängerter Arm der RAF fungieren, sche<strong>in</strong>bar fallenge1assen.Andererseits war diese Formulierung wegen ihrer Allgeme<strong>in</strong>heit vonden Verteidigern auch kaum zu bestreiten, oder doch nur <strong>in</strong>soweit, alsdie erwähnte Unterstellung jetzt <strong>in</strong> dem Vorwurf, die Anwälte würden fürdie Kommunikation zwischen den gefangenen und freien RAF-Mitgliedemsorgen, versteckt enthalten se<strong>in</strong> sollte.105•


4. Der "Tote Trakt""Death can be faced,you used to say,tortures can be undergone,but not silence".Die von den Verteidigern <strong>in</strong>itiierten öffentlichen Informationskampagnengegen den Isolationshaftvollzug waren vor allem auf die extremsteForm dieses Vollzugs,nämlich die E<strong>in</strong>zelhaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em leeren Gefängnisteil,dem "Toten Trakt", gerichtet. Die ersten "Toten Trakte" gab es <strong>in</strong>den Gefängnissen Köln-Ossendorf und Hannover. Aus verschiedenenGründen ersche<strong>in</strong>t mir e<strong>in</strong>e nähere Betrachtunghier angebracht.Die von den Gefangenen e<strong>in</strong>geführten und nach e<strong>in</strong>iger Zeitauch vonden meisten Verteidigern übernommenen Begriffe"Isolationsfolter" und"Vernichtungshaft" erhielten <strong>in</strong> den Jahren 1972 bis 1974 vor allemdurch das Ergebnis e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Untersuchung Bekanntheit.Der dem Staat <strong>in</strong> der Öffentlichkeit gemachte Vorwurf der wissentlichenund willentlichen Folterung durch Isolationshaft, vorgebracht von e<strong>in</strong>flußreichenPersonen und Gruppen der liberalen Prom<strong>in</strong>enz sowie vonradikal-l<strong>in</strong>ken Gruppierungen, drohte die Legitimationsbasis der Strafverfolgungsbehörden,die Berufung auf rechtsstaatlich zu vertretendesHandeln, <strong>in</strong>s Wanken zu br<strong>in</strong>gen und es <strong>in</strong> Wahrheit als unmenschlicheBehandlung von politischen Gefangenen zu entlarven. Die rechtsstaatlicheLegitimation war besonders gefährdet, weil die Gefangenen sichselbst als Teil e<strong>in</strong>er revolutionären Bewegung betrachteten, währendStaatsschutzorgane und Justizvertreter von "re<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>ellen Handlungen"sprachen.AlsInitiatoren der Öffentlichkeitskampagne wurden die Verteidiger fürdie möglichen Folgen (etwa wachsende Sympathie für die Guerilla,Unterstützung und sogar personelle Verstärkung der Guerilla) verantwortlichgemacht, was sich <strong>in</strong> erheblichen Repressalien niederschlug.Diese zunehmend repressiven Maßnahmen, die zum Teildirekt mit Verteidigeraktivitätenbegründet wurden, bestärkten Gefangene, Anwälteund andere <strong>in</strong> ihrer überzeugung, daß der mit Sicherheitserwägungenverteidigte Isolationshaftvollzug <strong>in</strong> Wirklichkeit darauf abzielte, die Solidaritätder Gefangenen und ihr "werbendes" politisches Selbstverständniszuzerstören, und daß man darauf bedacht war, jeglichen Versuch,den wahren Charakter dieser staatlichen Vernichtungsstrategie zu enthüllen,im Keim zu ersticken.Im folgenden Abschnitt werde ich e<strong>in</strong>en kurzen Erfahrungsberichtüber die "Toten Trakte" der Gefängnisse Köln-Ossendorf und Hannoverwiedergeben und danach auf e<strong>in</strong>e damals <strong>in</strong> Hamburg laufende wissenschaftlicheUntersuchung e<strong>in</strong>gehen, die von den Gefangenen und ihrenVerteidigern als Bestätigung dieser Erfahrungenbetrachtet wurde.1064.1. Köln-OssendorfDie sogenannte Abteilung für psychiatrische Untersuchung weiblicherGefangener wurde vom dortigen Psychiater Götte selbst als "stilleAbteilung"bezeichnet. Es handelt sich um e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>stöckiges Gebäude, dasabseits des Gefängniskomplexes liegt und nur sechs Zellen umfaßt. Alsjeweils e<strong>in</strong>zige Gefangene waren dort untergebracht: Astrid Proll vom22.11. e<strong>in</strong>hof71vom bis 16.6.72 zum 141bis72zum und9.2.73 vom 12.4. und imbisDezember zum 16 619772:~lrike noche<strong>in</strong>mal zwei Wochen. Mit zwei Gefangenen gleichzeitig, Ulrike Me<strong>in</strong>hofund Gudrun t.nssJm, war die Abteilung vom 5.2. bis zurri28.4. 74 2e1egt. ­- t:<strong>in</strong>zelheiten über äie Haftbed<strong>in</strong>gungen von Proll und Me<strong>in</strong>hof f<strong>in</strong>densich <strong>in</strong> Kapitel II unter Punkt 2.1.; sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>em Brief von VerteidigerUlrich Preuß an den Präsidenten des Justizvollzugsamts Nordrhe<strong>in</strong>­Westfalen entnommen24.Auf den ersten Blicksche<strong>in</strong>t es unverständlich, daß die Proteste gegendie Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> dieser Abteilung erst vom Februar 1974 an besonderszahlreich und heftig ausfielen, zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt also, als Me<strong>in</strong>hofund Enssl<strong>in</strong> dort geme<strong>in</strong>sam untergebracht waren, zweiStunden am TagUmschluß und geme<strong>in</strong>samen Hofgang hatten. Inzwischen waren aberdie früher gemachten Erfahrungen analysiert worden. Das Studiumneuerer wissenschaftlicher Untersuchungen über Isolation hatte zudemzu der Erkenntnis geführt, daß auch die Isolierung mehrerer Menschenvonihrer Außenwelt e<strong>in</strong>en unaufhaltsamen Prozeß des geistigen undkörperlichen Verfalls bewirkt. Bei der Isolation nur e<strong>in</strong>es Menschenschreitet dieser Verfall allerd<strong>in</strong>gs rascher voran. Darüber h<strong>in</strong>aus hattendie Komitees gegen Folter zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Aktivitätenentwickelt und Kontakte zu Medien und der liberalen Prom<strong>in</strong>enzaufgebaut, so daß die Ergebnisse der Reflexion dieser Erfahrungen nichtmehr so e<strong>in</strong>fach zu negieren waren. Und schließlich hatte auch die~eilassl JnQ Actrirl Pml1c im ,Januar 1974 wegen lebensgefährlicher Kreislaufstörungenals Folge von Isolationshaft (wozu auch fast vier Monate"Toter Trakt" gehörten) entsprechendes Aufsehen erregt.Am 9. März 1974 demonstrierten deutsche und niederländische Ärzteund Psychologen "im weißen Kittel" vor dem Gefängnis Köln-Ossendorf,<strong>in</strong>formiert und alarmiert durch Informationen der Komitees gegenFolte~5. Vom 14. März 1974 an demonstrierten die Komitees 45 Tagelang vor dem Justizm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Düsseldorf. Es folgten Demonstrationen<strong>in</strong> Den Haag und Amsterdam, offene Briefe an die westdeutscheBotschaft <strong>in</strong> den Niederlanden, e<strong>in</strong>e Pressekonferenz <strong>in</strong> Paris, ausführlicheArtikel <strong>in</strong> französischen Zeitungen über "la torture en RFA"26,e<strong>in</strong>offener Brief "gegen den toten Trakt" und "für die Abschaffung vonFolter durch Isolation und sensorische Deprivation", unterzeichnet von40 französischen Prom<strong>in</strong>enten wie Sartre, de Beauvoir und Foucault.107•


Anfang April 1974 hielten Familienangehörige von Gefangenen <strong>in</strong>Düsseldorf e<strong>in</strong>e Pressekonferenz ab, <strong>in</strong> der bisher ungehörte und außergewöhnlichheftige Vorwürfe gegen staatliche Behörden erhoben wurden27.Es war das erstemal, daß Familienangehörige <strong>in</strong> großer Zahlgeschlossen mit sehr vielen Details an die Öffentlichkeit traten und vollerEmpörung ihre Anklage "Folter" öffentlich aussprachen. Die Pressekonferenz,die große Publizität erhielt, endete mit der konkreten Forderung,Ulrike Me<strong>in</strong>hof und Gudrun Enssl<strong>in</strong> sofort aus dem "Toten Trakt" <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enormale Abteilung zu verlegen. E<strong>in</strong>e Woche später folgten demonstrativezwei- und dreitägige Hungerstreiks von Familienangehörigen undKomiteemitgliedern <strong>in</strong> verschiedenen Städten, zum Beispiel vor demBGH <strong>in</strong> Karlsruhe und vor dem Justizm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Düsseldorf. Inzwischeng<strong>in</strong>gen beim nordrhe<strong>in</strong>-westfälischen Justizm<strong>in</strong>ister Posser Hunderteoffener Briefe von <strong>in</strong>- und ausländischen Persönlichkeiten e<strong>in</strong>28.Am 28. April 1974 wurden Gudrun Enssl<strong>in</strong> und Ulrike Me<strong>in</strong>hof lötz­Iich <strong>in</strong> das Gefängnis ~tutt art- tam le . Offiziellwurde derbevorste ende rozeß als Begründung dafür genannt; die Verlegung seiseit langem geplant gewesen. Da aber Baader, Me<strong>in</strong>s und Raspe nicht <strong>in</strong>die baulich noch unfertiae Sonderabteilung im 7. Stock des <strong>Stammheim</strong>erGefängnisses verlegt wurden, läßt sich an der offiziellen Begründungdurchaus zweifeln.4.2. HannoverRonald August<strong>in</strong>, seit dem 24.7.73 wegen Verdachts der Mitgliedschaft<strong>in</strong> der RAF, Mordversuchs, Urkundenfälschung, Waffenbesitzes undWiderstands gegen Vollstreckungsbeamte <strong>in</strong> Haft, wurde am 3.5.74,also kurz nach der Ankunft von Me<strong>in</strong>hof und Enssl<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>,nach Hannover verlegt. Auch August<strong>in</strong> hatte seit se<strong>in</strong>er Festnahme-ke<strong>in</strong>en Kontakt zu MItgerangenen. Nach diesen neun Monaten sozialerIsolation wurde er im Hannoveraner Gefängnis so untergebracht, daß erauch noch akustisch und visuell fast total isoliert war. Zusätzlich zumEisengitter hatte das Fenster <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zelle e<strong>in</strong>e fünf Millimeter dickePlexiglasplatte als Verstärkung erhalten, so daß er die Mauer der Gefängniskirchegerade noch verschwommen sehen konnte. Die Zellentür waram unteren Rand mit e<strong>in</strong>em Metallstreifen abgedichtet. Diese Sondervorrichtungenließen so gut wie ke<strong>in</strong>e Geräusche <strong>in</strong> die Zelle h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>,zumal sie e<strong>in</strong>e von sieben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nicht belegtenKrankenabteilung war.Die Abteilung selbst war außerdem mit e<strong>in</strong>er Metallwand und e<strong>in</strong>erStahltür vom übrigen Krankentrakt abgetrennt. Die Kommunikation mitden Verteidigern mußte durch e<strong>in</strong>e sogenannte Trennscheibe geführtwerden, e<strong>in</strong>e kreisrund perforierte Plexiglasscheibe mit e<strong>in</strong>em w<strong>in</strong>zigenSpalt zum Durchschieben von Papieren. Wegen der geräuschdämpfendenWirkung waren Unterhaltungen durch diese Scheibe für beide Sei-108ten extrem ermüdend; die geme<strong>in</strong>same Durchsicht von Aktenordnernund anderen Prozeßdokumenten ließ sich nicht mehr verwirklichen.Außerdem war jeglicher persönlicher Kontakt - Handschlag, Anbietene<strong>in</strong>er Zigarette usw. - ausgeschlossen. Nach Rücksprache mit August<strong>in</strong>beschlossen dieVerteidiger, ihn so lange nicht mehr zu besuchen, bis dieswieder unter normalen Bed<strong>in</strong>gungen möglich sei; der Zwang zur Kommunikationdurch die Plexiglasscheibe wurde als untragbare Bee<strong>in</strong>trächtigungder <strong>Verteidigung</strong>svorbereitungen und als ebenso untragbare Verletzungdes Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Verteidigerbetrachtet. Die Konsequenz war, daß August<strong>in</strong> fünf Monate lang nurBesuch von se<strong>in</strong>er Mutter und se<strong>in</strong>er Schwester erhielt, e<strong>in</strong>mal im Monatfür 90M<strong>in</strong>uten. Diese Besuche fanden unter strenger Überwachung statt;die Gespräche wurden von Staatsschutzbeamten mitgeschrieben.Am 8.5.74 erklärte der zuständige Haftrichter am Amtsgericht L<strong>in</strong>gen(Ems) die vom Anstaltsleiter angeordneten Sicherheitsmaßnahmen fürzulässii9. Der Antrag Rechtsanwalts Croissants vom 22.5.74 auf e<strong>in</strong>ennormalen Besuchsraum für die Verteidigergespräche und auf VerlegungAugust<strong>in</strong>s aus dem "Toten Trakt" <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e normal belegte Abteilungwurde vom Haftrichter am 31.5.74 mit der Begründung abgelehnt,normale Kommunikation sei auch durch e<strong>in</strong>e Trennscheibe möglich, mitAugust<strong>in</strong> befänden sich noch zwei weitere Gefangene auf der Abteilung,und im übrigen sei er im Besitz von Radio und Büchern3o.Inzwischen waren die Komitees gegen Folter, vor allem das im nahenHamburg, von den Verteidigern über August<strong>in</strong>s Situation <strong>in</strong>formiertworden; sie begannen Anfang Juni 74, Aktionen entsprechend dem <strong>in</strong>Köln-Ossendorf erprobten Modell zu organisieren. Vom 5. bis zum 7.Juni fand vor dem niedersächsischen Justizm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Hannover e<strong>in</strong>Sitzstreik statt. E<strong>in</strong> Ausschnitt aus dem Bericht des Komitees:"Am Morgen des 1. Tages des Sitzstreiks kam der Justizm<strong>in</strong>ister Schäfer,tobte, riß eigenhändig die Transparente vom M<strong>in</strong>isterium ab undforderte die sofortige Entfernung der Demonstranten durch die Polizei.Weiterh<strong>in</strong> sagte er,daß Ronald August<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Verbrecher und Polizistenmördersei, der isoliert werden müsse (. .. ) Der persönliche Referent desLeiters der Vollzugsabteilung im Justizm<strong>in</strong>isterium, Berlitt, antwortete,als er von uns zur Rede gestellt wurde: August<strong>in</strong> müsse so lange isoliertwerden, wie er andere Gefangene ,aufhetze' und bis jede Möglichkeit,daß er andere Gefangene agitiere, ausgeschlossen ist'


Am 12.6.74 forderten mehr als 30 westdeutsche Schriftsteller undMitglieder des PEN-Clubs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Brief an Justizm<strong>in</strong>ister Schäferund den zuständigen Haftrichter unter anderem "Aufhebung derIsolationsfolter" bei August<strong>in</strong>33. Am 21.6.74 schrieb die EvangelischeStudentengeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Hannover e<strong>in</strong>en äußerst kritischen Brief an denJustizm<strong>in</strong>iste~4. Während der Debatte im niedersächsischen Parlamentüber die Regierungserklärung der neu gewählten Regierung am 10.7.74,die live <strong>in</strong> Rundfunk und Femsehen übertragen wurde, entrollten Mitgliederdes Komitees auf der Publikumstribüne Transparente, warfenFlugblätter <strong>in</strong> den Saal und protestierten mit Sprechchören gegen das"Foltern des politischen Gefangenen August<strong>in</strong>"35.Am 3. August demonstrierten 40 Ärzte und Psychologen <strong>in</strong> weißenKitteln vor dem Gefängnis und hielten anschließend e<strong>in</strong>e Pressekonferenzab36.E<strong>in</strong> von Pfarrern der Evangelischen Kirche für den 4. Septembergeplanter und <strong>in</strong> den Zeitungen angekündigter Gottesdienst fürAugust<strong>in</strong>wurde wenige Tage vorher von e<strong>in</strong>em höherstehenden Geistlichen derEvangelischen Kirche Niedersachsen abgesagt, weil die erhobenen Vorwürfenicht stimmen würden. Daraufh<strong>in</strong> untermauerten fünf Pfarrer denVorwurf der "Isolationsfolter" <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Briefvoml5. 9.74 an ihreAmtskollegen mit weiteren Tatsachen37. Sie ersuchten ihren Vorgesetzten,sich für se<strong>in</strong>e "dilettantischen Feststellungen im Interesse der Glaubwürdigkeitunserer Kirche" öffentlich zu entschuldigen.Inzwischen hatten die Verteidiger beim Landgericht Osnabrückdurchgesetzt, daß Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Gericht geme<strong>in</strong>saman Ort und Stelle die Situation von August<strong>in</strong> überprüften. DieBesichtigung war am 6.8.74; die Verteidiger veröffentlichten am 7. Auguste<strong>in</strong>e anhand des Besichtigungsprotokolls angefertigte Presseerklärung38.Anfang September gab das niedersächsische Justizm<strong>in</strong>isteriume<strong>in</strong>e "Dokumentation" heraus, <strong>in</strong> der den Verteidigern vorgeworfenwurde, sie hätten <strong>in</strong> ihrer Presseerklärung "falsche Behauptungen" aufgestellt,denen nun die "tatsächlichen Feststellungen des Gerichts" gegenübergestelltwürden. Die Verteidiger hatten das Gerichtsprotokolljedoch bereits Pfarrern und Journalisten zur Verfügung gestellt. AlsFolgemußte sich das Justizm<strong>in</strong>isterium bereits wenige Tage nach Veröffentlichungder Dokumentation auf e<strong>in</strong>er der wöchentlichen Rout<strong>in</strong>e-Pressekonferenzenöffentlich entschuldigen und zugeben, daß die "Dokumentation"<strong>in</strong> wesentlichen Punkten nicht mit dem Protokoll des Gerichtsübere<strong>in</strong>stimmte39.Ebenfalls Anfang September 1974 entschied das Landgericht Osnabrücküber die von den Verteidigern gegen die Entscheidung des Haftrichtersvom 31.5.74 e<strong>in</strong>gereichten Beschwerden, Verteidigerbesuchehätten ohne Trennscheibe stattzuf<strong>in</strong>den. Das Landgericht erklärte dieBeschwerden für begründet, da "nicht ganz abzuleugnen" sei, daß der110Kontakt zwischen Verteidiger und Mandant durch die Trennscheibenegativ bee<strong>in</strong>flußt würde. Im gleichen Beschluß verwahrte sich dasLandgericht gegen den Vorwurf der "Isolationsfolter" . Dennoch wurden<strong>in</strong> Hannover e<strong>in</strong>en Monat später Veränderungen an der HaftsituationAugust<strong>in</strong>s vorgenommen, so daß zum<strong>in</strong>dest die akustische Isolationerheblich verr<strong>in</strong>gert war.4.3. Aggressionsforschung: Sonderforschungsbereich 115"ln der E<strong>in</strong>zelhaft ist der Hungernach menschlichem Kontakt so groß,daß Gefangene sogar das Verhörihrer Häscher willkommen heißen".(G.L. Engel, Psychological Development<strong>in</strong> Health and Disease, NY 1967).Seit Gefangene aus dem SPK und der RAF 1971/72 erste Erfahrungenmit dem Isolationshaftvollzug und se<strong>in</strong>en Auswirkungen auf ihrengeistigen und körperlichen Zustand gemacht hatten, hatten sie begonnen,wissenschaftliche Literatur über Isolation, sensorische Deprivationund deren Folgen zu studieren. Die vorhandene Literatur machte deutlich,daß auf diesem Gebiet seit den fünfzigerJahren und vornehmlich <strong>in</strong>der amerikanischen Psychiatrie <strong>in</strong>tensiv geforscht worden war. Was dieBRD betrifft, so stießen sie auf e<strong>in</strong>e gerade laufende Untersuchung ander Universitätskl<strong>in</strong>ik Hamburg-Eppendorf, den Sonderforschungsbereich(SFB) 115 zum Thema Isolation und Aggression. E<strong>in</strong>e Reihe vonVorfällen bestätigte bei den Gefangenen bereits vorhandene Vermutungen,daß zwischen ihrer Haftsituation und der Hamburger Untersuchunge<strong>in</strong> direkter Zusammenhang bestehe, vor allem, was den "Toten Trakt"betrifft, aber auch, was die wissenschaftliche Fundierung und Programmierungihrer Behandlung ang<strong>in</strong>g. Im Folgenden gebe ich e<strong>in</strong>e Zusammenfassungdes Hamburger Forschungsprojekts wieder40 und kommedanach auf die Isolationspraxis zurück.Seit 1967 gibt es an den meisten westdeutschen Universitäten sogenannteSonderforschungsbereiche (SFB). Die dort laufenden wissenschaftlichenForschungen werden von der Deutschen Forschungsgeme<strong>in</strong>schaft(DFG) f<strong>in</strong>anziert und wissenschaftlich überwacht. Die DFGselbst erhält ihre Gelder vom Staat und von großen Unternehmen. Siewird von Vertretern staatlicher Institutionen und der Wirtschaft geleitet.Der 1971 an der Universität Hamburg e<strong>in</strong>gerichtete SFB 115 warthematisch auf Aggressionsforschung ausgerichtet. Das Projekt gliedertesich <strong>in</strong> drei Abschnitte: a) Wie wirken sich chronische Erkrankungen aufdas Aggressionspotential der betreffenden Personen aus (z.B. Menschen,die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gipsbett liegen müssen oder die von Masch<strong>in</strong>en wiekünstlichen Nieren abhängig s<strong>in</strong>d)? Wie werden die Aggressionen von111


der verstärkten Isolation bee<strong>in</strong>flußt, und wie wirkt sich letzteres auf denKrankheitsverlauf aus? b) Welche Maßnahmen lassen sich entwickeln,um das <strong>in</strong>folge der Isolation erhöhte Agressionspotential zu verr<strong>in</strong>gern,neurotische Aggressionshemmungen abzubauen und um e<strong>in</strong>e Anpassungvorhandener Aggressionen an die jeweilige Situation zu ermöglichen?c) Wie läßt sich Aggression mit Hilfe testpsychologischer, poliphysiographischerund biochemischer Verfahren messen? Der Untersuchungsschwerpunktlag also bei der Erforschung des Zusammenhangszwischen Aggression und Isolation, denn " ... physische, psychische undsoziale E<strong>in</strong>schränkungen stellen starke Frustrationen dar, die zu aggressivenReaktionen führen können". Für solche Untersuchungen war (undist) die sogenannte "camera silens" ("stiller Raum") das wichtigste Forschungs<strong>in</strong>strument:E<strong>in</strong> Raum, der so gebaut und e<strong>in</strong>gerichtet ist, daße<strong>in</strong> Mensch dar<strong>in</strong> absolut abgeschirmt ist und ke<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nlichen Wahrnehmungenmehr machen kann; er ist, <strong>in</strong> der Fachsprache,,,sensorischdepriviert". In e<strong>in</strong>er derartigen Umgebung beg<strong>in</strong>nen Versuchspersonen<strong>in</strong> der Regel bereits nach wenigen M<strong>in</strong>uten zu halluz<strong>in</strong>ieren, völlig unzusammenhängende,unkontrollierbare Gedanken zu produzieren. In dernächsten Stufe treten derartig extreme Angstzustände auf, daß der gesamteHormonhaushalt aus demGleichgewicht gerät. Nach e<strong>in</strong>igenStunden tritt e<strong>in</strong>e drastische Veränderung der Blutzusammensetzunge<strong>in</strong>, die Hypophyse funktioniert nicht mehr, die Hormonproduktiongerät <strong>in</strong>s Stocken - der Organismus beg<strong>in</strong>nt zu zerfallen41.Das Projekt SFB 115 stand unter Leitung des 1967 aus Prag <strong>in</strong> dieBRD übergesiedelten Psychiaters Jan Gross. Gross hatte sich bereits <strong>in</strong>Prag ausführlich mit Forschungen über sensorische Deprivation beschäftigtund an amerikanischen Untersuchungen weitergearbeitet, die sichmit Experimenten über die Bee<strong>in</strong>flußbarkeit von Personen im Zustandsensorischer Deprivation befaßten. In e<strong>in</strong>em Artikel über Experimentemit Flugzeugpiloten, die er sechs Stunden lang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er"camera silens"unter wechselnden Versuchs bed<strong>in</strong>gungen beobachtet hatte, beschriebGrass die verschiedenen Möglichkeiten, Personen, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erSituation e<strong>in</strong>geschränkter s<strong>in</strong>nlicher Anregungen bef<strong>in</strong>den, mit Hilfegesteuerter sozialer Kontakte zu bee<strong>in</strong>flussen42. Als Anwendungsbereichenannte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Artikel die Krim<strong>in</strong>alistik und die Poenologie(Lehre vom Strafen) <strong>in</strong> Bereichen, "wo es um die Umerziehung desE<strong>in</strong>zelnen oder e<strong>in</strong>er Gruppe geht, und wo die empf<strong>in</strong>dliche Ausnutzungderartiger Abhängigkeiten und die Manipulation mit solchen Zuständenwirksam den Prozeß der Umerziehung bee<strong>in</strong>flussen können. Auch <strong>in</strong> derKrim<strong>in</strong>alistik bei der Untersuchung von Angeklagten oder Zeugen gehörtdie Ausnutzung der Abhängigkeit von dem Untersucher beim Gew<strong>in</strong>ndes Schuldgeständnisses oder für das Erreichen der Mitteilung verschwiegenerTatsachen zur traditionellen Untersuchungstechnik". Esfolgt der H<strong>in</strong>weis, daß der Wahrheitsgehalt derartig erzielter Aussagen112nicht unbed<strong>in</strong>gt hoch zu se<strong>in</strong> brauche; immerh<strong>in</strong> könne es geschehen,"daß der Untersuchende eher das feststellt, was er hören will, als das,was geschah".Der Artikel von Gross macht deutlich, daß es um Methoden derGehirnwäsche, der Umerziehung und Geständniserzielung geht, die aufe<strong>in</strong>er Komb<strong>in</strong>ation von sensorischer Deprivation mit manipulierten sozialenKontakten beruhen. Das Studium des Projektberichtes des SFB115 läßt den E<strong>in</strong>druck entstehen, daß sich ähnlich gelagerte Interessenauch hier niedergeschlagen haben:"Versuchspersonen <strong>in</strong> sensorischer Deprivation zeichnen sich durch e<strong>in</strong>über das Andauern der Versuchsbed<strong>in</strong>gungen h<strong>in</strong> zunehmendes Bedürfnisnach sensorischen Reizen aus, welches ziemlich generalisiert auftritt.Die Frustration, welche durch das Anhalten dieser Bed<strong>in</strong>gung ausgelöstwird, führt zu Aggressionen, für deren Äußerung fast nur der verbale Kanal zurVerfügung steht.MittelsRat<strong>in</strong>g-Kriterien läßt sich dieser verbale Report <strong>in</strong>haltlich bestimmenund mit den Effekten <strong>in</strong> psychologischen Massen <strong>in</strong> Beziehung setzen.Es ist möglich, daß sich diese stark aggressionsauslösende Bed<strong>in</strong>gung, <strong>in</strong>der verbale Reaktionsmasse, nicht Stimuli, mit den physiologischen Variablenverglichen werden, besser als Validierungssituation eignet als bisher angestellteExperimente"43.Aggressionen e<strong>in</strong>er sensorisch deprivierten Person, die zusätzlich auch<strong>in</strong> ihren Bewegungsmöglichkeiten erheblich e<strong>in</strong>geschränkt ist, könnensich nur noch verbal entladen. Solche Äußerungen von Aggressionen,für die also "fast ausschließlich der verbale Kanal zur Verfügung steht",standen im Mittelpunkt der Untersuchungen des Teilprojekts A 8 im SFB115. Das A-8-Projekt hatte den Titel "Soziale Interaktion <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er modellhaften,<strong>in</strong>kompatiblen Gruppensituation unter besonderer Berücksichtigungder Aggressivität". Hier wurde die soziale Interaktion zwischen zweiPersonen untersucht, die sich geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er isolierten, sensorischdeprivierten Situation befanden. Im Versuch wird die Versuchspersonmit e<strong>in</strong>em "fiktiven Partner" (z. B. durch das Abspielen von Tonbändernmit Atemgeräuschen) konfrontiert. Unter der überschrift "Erwartete Bedeutung"erfährt man, daß die E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es fiktiven Partners beider Erforschung des "Verhaltens von Kle<strong>in</strong>gruppen unter e<strong>in</strong>schränkendenBed<strong>in</strong>gungen" neu ist. Weiter:"Mittels des ,fiktiven Partners' läßt sich die ,2. Versuchsperson' <strong>in</strong> ihremVerhalten entweder konstant halten (wie <strong>in</strong> dem hier beschriebenen Projekt),oder <strong>in</strong> gezielter Weise manipulieren, <strong>in</strong>dem der Versuchsleiter im Kontrollraumdie Rolle der 2. Versuchsperson spielt. Damit eröffnet sich e<strong>in</strong> neuer Wegzur Untersuchung e<strong>in</strong>er Vielzahlvon Variablen der sozialen Interaktion e<strong>in</strong>erseitsund der ModelIierung verschiedener <strong>in</strong>terpersonaler Beziehungen andererseits,,44Die Unterbr<strong>in</strong>gung von Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an s<strong>in</strong>nlichen Reizen äußerstger<strong>in</strong>gen Umgebung führt also je nach Umfang der sensorischen113


Deprivation und der Willenskraft des Betroffenen über kurz oder langunweigerlich zur Des<strong>in</strong>tegration der Persönlichkeit und zum Zerfall desmenschlichen Organismus. Ine<strong>in</strong>er solchen sensorisch deprivierten Situationwächst der Hunger der S<strong>in</strong>nesorgane so stark an, daß die Reaktionendes Individuums durch gesteuerte soziale Kontakte (imvorliegenden Fallre<strong>in</strong> verbale) im Pr<strong>in</strong>zip beliebig manipuliert werden können.Br<strong>in</strong>gt man nun das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Untersuchungmit der Situation e<strong>in</strong>es über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum sozialisolierten und<strong>in</strong> bestimmtem Ausmaß auch sensorisch deprivierten Gefangenen <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung, so ist durchaus vorstellbar, daß mit Hilfe der erwähntenManipulationstechniken e<strong>in</strong>e ideale Situation für Verhöre und/oder Gehirnwäschegeschaffen werden kann. Vor allem die Anwendung der"fiktiven Partner"-Methode mit Hilfe von Mitgefangenen, Fahndungsbeamten,Anstaltspersonal, Familienangehörigen oder anderen kann vonBedeutung se<strong>in</strong>.In ihrer Ausgabe vom 1.3.74 befaßt sich die Wochenzeitschrift "DieZeit" mit e<strong>in</strong>em Bericht über sensorische Deprivation, den e<strong>in</strong> hoherBeamter 1973 für den nordrhe<strong>in</strong>-westfälischen Innenm<strong>in</strong>ister verfaßthatte45. Dieser Bericht stützt sich nach Angaben der "Zeit" auch aufErgebnisse aus dem SFB 115. Der nordrhe<strong>in</strong>-westfälische Innenm<strong>in</strong>isterist für das Gefängnis Köln-Ossendorf verantwortlich.Die Gefangenen selbst waren davon überzeugt, daß sich der Staatsschutz(GBA und BKA)bei der Gestaltung ihrer Haftbed<strong>in</strong>gungen direktauf Untersuchungsergebnisse des Hamburger Forschungsprojekts gestützthatten. Folgende Vorfälle bestärkten sie <strong>in</strong> dieser Auffassung:- AlsAstridProll im "Toten Trakt" von Ossendorf e<strong>in</strong>saß, erteilte ihr derAnstaltspsychiater Götte die Erlaubnis, über e<strong>in</strong>e Wechselsprechanlagemit e<strong>in</strong>em ihr unbekannten "Gefangenen" zu sprechen. Die Parallelenzum Versuch mit dem "fiktiven Partner" s<strong>in</strong>d frappierend.- Nachdem Astrid Proll aus dem "Toten Trakt" <strong>in</strong> den "normalen"Isolationshaftvollzug verlegt worden war, behandelte Götte sie mit autogenemTra<strong>in</strong><strong>in</strong>g "nach I. H. Schultz". In e<strong>in</strong>em Buch über autogenesTra<strong>in</strong><strong>in</strong>g schreibt Professor Schultz, daß dieses Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g "e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nereH<strong>in</strong>gabe an bestimmte ,übungs-E<strong>in</strong>bildungen'" bewirkt46. AutogenesTra<strong>in</strong><strong>in</strong>g kann als e<strong>in</strong>e Variante der Hypnose angesehen werden und istsomit auch relativ e<strong>in</strong>fach fürZwecke der Gehirnwäsche zu mißbrauchen.- Zwei Wochen nach Ende des ersten Hungerstreiks entschied derUntersuchungsrichter des BGH <strong>in</strong> dem sogenannten Beigeher -Beschlußvom 5.3. 73 e<strong>in</strong>e Erleichterung der Isolation von Baader, Me<strong>in</strong>hof, Me<strong>in</strong>s,Möller,Müllerund Raspe: die Gefangenen sollten tägliche<strong>in</strong>e Stunde langmit e<strong>in</strong>em von der Gefängnisleitung auszusuchenden "normalen" MitgefangenenKontakt haben dürfen47. E<strong>in</strong>er der Gefangenen berichtetese<strong>in</strong>em Verteidiger über den Kontakt mit e<strong>in</strong>em solchen "Beigeher":"Er versucht, mich auszufragen über (... ) die Organisationsstrukturen der114RAF. Ob und wenn ja, welche Zusammenhänge mit dem Schwarzen Septemberbestehen (. .. ). Während er mir e<strong>in</strong>e nagelneue Masch<strong>in</strong>enpistole FabrikatHeckler und Koch und andere Waffen, die er zu besitzen behauptete, anbot,versuchte er, me<strong>in</strong>e Kenntnisse über Waffen allgeme<strong>in</strong> und Masch<strong>in</strong>enpistolenim besonderen auszuloten. E<strong>in</strong>e ähnliche Tour fuhr er mit Sprengstoff. Dannbot er mir an, sofort und ohne Gegenleistung e<strong>in</strong>en Kassiber rauszuschmuggeln..."48.- Nachdem der Hochschullehrer für Forensische Psychiatrie H. W.Witter den Auftrag erhalten hatte, Ulrike Me<strong>in</strong>hof auf ihre Zurechnungsfähigkeitzu untersuchen, erstellte er se<strong>in</strong> Gutachten mangels Kooperationvon Me<strong>in</strong>hof überwiegend auf der Basis der detaillierten Aufzeichnungen,die BKA-Beamte über die von ihr mit Familienangehörigengeführten Gespräche gemacht hatten. Während dieser Gespräche gezeigteEmotionen waren ebenfalls aufgezeichnet worden. Auch hier wirdalso die seltene "verbale Produktion" e<strong>in</strong>er für längere Zeit sensorischdeprivierten Person für krim<strong>in</strong>alistische Zwecke benutzt. Aufgrund derzur Verfügung stehenden Informationen läßt sich nicht leugnen, daß esaus der Sicht der Gefangenen nahe lag, e<strong>in</strong>en direkten Zusammenhangzwischen ihrer Haftsituation und dem SFB-115-Projekt zu vermuten.Daß dies noch ke<strong>in</strong> juristischer Beweis für den Zusammenhang darstellt,sche<strong>in</strong>t mir angesichts des objektiven wissenschaftlichen Stellenwerts,den das Forschungsprojekt h<strong>in</strong>sichtlich der Beurteilung der Haftbed<strong>in</strong>gungene<strong>in</strong>nimmt, unerheblich zu se<strong>in</strong>.5. Gehirnuntersuchung bei Ulrike Me<strong>in</strong>hof? - Juli/August 197349Am 13.7. 73 b~schied der BGH-Untersuchungsrichter Knoblich denAntragder BAW,Ulrike Me<strong>in</strong>hof auf ihre Zurechnungsfähigkeit währendder Zeit von Juni 1970 bis Juni 1972 untersuchen zu lassen, positiv. Indem Beschluß wird ausdrücklich erlaubt, Röntgenaufnahmen des Schädelszu machen und e<strong>in</strong>e Sz<strong>in</strong>tigraphie des Gehirns (E<strong>in</strong>gabe e<strong>in</strong>esradioaktiven Kontrastmittels zur röntgentechnischen überprüfung derjeweiligen Verteilung) vorzunehmen, falls erforderlich auch gegen denWillen Ulrike Me<strong>in</strong>hofs und unter Anwendung von Narkose5o. Der Antragder BAW beruhte auf dem Wissen, daß bei Ulrike Me<strong>in</strong>hof 1962e<strong>in</strong>e (gutartige) Geschwulst operativ aus dem Kopf entfernt worden war.Die angeordneten Untersuchungsmaßnahmen waren von H. W. Witter,Direktor des Instituts für Gerichtsmediz<strong>in</strong> und Psychiatrie der UniversitätHomburg/Saar, vorgeschlagen worden und sollten auch von ihm durchgeführtwerden.Dieser Beschluß versetzte die Verteidiger <strong>in</strong> Alarm, nachdem ihnenMediz<strong>in</strong>er auch noch versichert hatten, daß die angeordneten Untersuchungenniemals zu e<strong>in</strong>er zuverlässigen Antwort auf die Frage nach derZurechnungsfähigkeit <strong>in</strong> den Jahren 1970 bis 1972 führen könnten.115


Würde e<strong>in</strong> Tumor festgestellt, so könnten Untersuchungen höchstensAussagen über die eventuelle Größe des Tumors zu e<strong>in</strong>em früherenZeitpunkt und se<strong>in</strong>e mögliche Wachstumsgeschw<strong>in</strong>digkeit machen.Würde ke<strong>in</strong> Tumor gefunden, so wäre e<strong>in</strong>e Unzurechnungsfähigkeittrotzdem nicht ausgeschlossen; umgekehrt bedeute die Feststellung e<strong>in</strong>esTumors noch längst nicht auch die Unzurechnungsfähigkeit desBetroffenen.Folgende schwere Anschuldigungen g<strong>in</strong>gen an die Adressen vonBundesanwaltschaft und BGH: Mit Hilfe der Gehirnuntersuchung solleMe<strong>in</strong>hof und damit auch die RAF der Öffentlichkeit als "verrückt" präsentiertwerden; Ziel dieser Untersuchung sei weiter, wissenschaftlichfundierte Ergebnisse über die Auswirkungen von acht Monaten "TotemTrakt" zu erhalten; die angedrohte Zwangsnarkotisierung könne gleichzeitigdazu dienen, Me<strong>in</strong>hof zum Sprechen zu br<strong>in</strong>gen. Trotz der Ferienmonategelang es den Verteidigern und den Komitees wiederum, e<strong>in</strong>ebreite liberale Prom<strong>in</strong>enz, vornehmlich Mediz<strong>in</strong>er, zu mobilisierenSI.Witters Mediz<strong>in</strong>erkollegen äußerten sich <strong>in</strong> der Öffentlichkeit undauch <strong>in</strong> Gegengutachten an den BGH scharf gegen die beabsichtigtenUntersuchungen und die Zwangsnarkoses2. In e<strong>in</strong>em Offenen Brief anBundesrichter Knoblich kommentierten 70 Ärzte Witters Vorhaben u. a.so: "Dies steht <strong>in</strong> der Tradition der NS-Mediz<strong>in</strong> im deutschen Faschismus"S3.Am29.8.73 hob Knoblich se<strong>in</strong>en Beschluß auf Antrag der BAWmit der Begründung auf, die Untersuchung sei überflüssig geworden,nachdem Professor Witter im Zentralblatt für Neurochirurgie e<strong>in</strong>en Artikelüber Ulrike Me<strong>in</strong>hofs Krankengeschichte aus dem Jahr 1968 entdeckthabe. Aus später bekannt gewordenen Dokumenten (u. a. demBriefwechsel zwischen Witter und der Bundesanwaltschaft seit Januar1973 und se<strong>in</strong>em Abschlußgutachten über Me<strong>in</strong>hof vom 5. 11. 73) gehtjedoch hervor, daß Witter die Krankengeschichte bereits viel frühergekannt haben muß.Auf jenem Briefwechsel zwischen Witter und der BAW beruhte dievon den Gefangenen geäußerte und von e<strong>in</strong>igen Verteidigern öffentlichunterschriebene schwerste Beschuldigung <strong>in</strong> dieser Affäre: Es sei beabsichtigtgewesen, bei Ulrike Me<strong>in</strong>hof e<strong>in</strong>e Gehirnoperation vorzunehmen,um sie zu e<strong>in</strong>em geistigen Wrack zu machen. In e<strong>in</strong>em Brief vom18.4.73 hatte Bundesanwalt Zeis dem Psychiater Witter vorgeschlagen,den Leiter der neurochirurgischen Universitätskl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Homburg umse<strong>in</strong>e Mitarbeit zu bitten, falls "die H<strong>in</strong>zuziehung e<strong>in</strong>es Neurochirurgenerforderlich se<strong>in</strong> sollte". Ferner steht folgender Satz <strong>in</strong> Witters Brief vom27.8. 73 an Zeis: "... Vor allem hätte sich durch den Nachweis e<strong>in</strong>esHirngewebegeschwulstes auch e<strong>in</strong>e vitale Indikation für e<strong>in</strong>en therapeutischenoperativen E<strong>in</strong>griffergeben Können".Vitale Indikation aber bedeutet nichts anderes als e<strong>in</strong>en unmittelbaren,sofortigen E<strong>in</strong>qriff.1166. Dritter Hungerstreik September 1974 bis Februar 1975Am 10.9.74 begann <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> der Prozeß e e<strong>in</strong>hof u. a.wegen Gefangenenbefreiung aa er 970). AI1l13.9.74 g


Mund e<strong>in</strong>en 12 Millimeter dicken Gummischlauch, der heftige Schmerzenund Verwundungen von Kehle und Speiseröhre verursache sowieKrämpfe bewirke und e<strong>in</strong> erhöhtes Erstickungsrisiko bedeute. Mite<strong>in</strong>emerheblich dünneren Schlauch, durch die Nase e<strong>in</strong>zuführen, sei e<strong>in</strong>eschmerzlose künstliche Ernährung zu erreichen; e<strong>in</strong> entsprechender Antragwar bereits am 7. 10. bei Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>gereicht worden59 Weiterwurde behauptet, Me<strong>in</strong>s erhalte zuwenig Nährstoffe, so daß mit se<strong>in</strong>emTod durch Unterernährung zu rechnen sei. All dies wurde Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gschriftlich zugeschickt mit der Bitte um genaue Auskunft, welche undwieviele Nährstoffe Me<strong>in</strong>s täglich verabreicht würden. Ferner solle Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gdem Wittlicher Anstaltsarzt die weitere Behandlung von Me<strong>in</strong>s untersagenund bei zukünftiger Zwangsernährung durch e<strong>in</strong>en anderenAnstaltsarzt die Anwesenheit e<strong>in</strong>es Vertrauensarztes sicherstellen60 Am22.10. ordnete der Strafsenat durch se<strong>in</strong>en Vorsitzenden Me<strong>in</strong>s'Zwangsernährung durch die Nase an, erwähnte jedoch <strong>in</strong> der Begründungse<strong>in</strong>er Anordnung die Äußerung des Wirtlicher Anstaltsarztes:"Dazu sieht sich die Anstalt mit ihrem ärztlichen und Sanitätspersonalnicht <strong>in</strong> der Lage". Andererseits begründete der StrafsenatsvorsitzendePr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>e Anordnung mit der Bemerkung: "Nach der Äußerung vonRegierungsmediz<strong>in</strong>aldirektor Dr. Lang, der <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>e<strong>in</strong>e durch die Nase e<strong>in</strong>geführte Sonde angeordnethat, ist diese Methode gebräuchlich; e<strong>in</strong>es Facharztes bedarf es dazunicht,,61. Ober die anderen Anträge wurde vom Gericht nicht entschieden.Den schon Monate zuvor e<strong>in</strong>gereichten und seitdem regelmäßigwiederholten Antrag, Baader, Me<strong>in</strong>s und Raspe zu verlegen, beschiedder Vorsitzende Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g dann am 21. 10. 74: "Der Angeschuldigte Baaderist spätestens <strong>in</strong> der Woche nach dem 2. November 1974, dieAngeschuldigten Raspe und Me<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d spätestens bis 2. November1974 <strong>in</strong> die Vollzugsanstalt <strong>Stammheim</strong> zu verlegen"62.Diese Entscheidung sowie die sich anschließende Kommunikationzwischen Strafsenatsvorsitzendem und GBA wurde den Verteidigern erstnach dem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s bekannt. Am 24. 10.74 hatte der GBAdem Strafsenat wegen der Verlegung von Me<strong>in</strong>s mitgeteilt: "Der Transportdes Angeschuldigten bedarf umfangreicher Vorbereitungen undSicherheitsvorkehrungen. Schon jetzt darf ich deshalb vorsorglich daraufh<strong>in</strong>weisen, daß im H<strong>in</strong>blick hierauf die <strong>in</strong> dem o.a. Beschluß aufgegebenenVerlegungsterm<strong>in</strong>e nicht e<strong>in</strong>gehalten werden können ,,63.Nach Erhalt des Schreibens verlängerte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g den Term<strong>in</strong> bis zum4. 11. 74. Aber auch am 4. November wurde Me<strong>in</strong>s nicht verlegt. Am 8.November riefMe<strong>in</strong>s se<strong>in</strong>en Verteidiger Siegfried Haag <strong>in</strong> Heidelberg an,um ihm mitzuteilen, daß es ihm sehr schlecht gehe. Am Morgen des9.11.74, e<strong>in</strong>em Samstag, fuhr Haag nach Wirtlich,wo ihm der Besuchbei Me<strong>in</strong>s verweigert wurde, weil Me<strong>in</strong>s nicht mehr <strong>in</strong> der Lage war, auseigener Kraft <strong>in</strong> den Besuchsraum zu gehen. E<strong>in</strong> Besuch <strong>in</strong> der Zelle118könne Haag aus Sicherheitsgründen nicht gestattet werden. Der sofortvon Haag alarmierte Verteidiger Croissant <strong>in</strong> Stuttgart telefonierte daraufh<strong>in</strong>mit Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, berichtete ihm, daß Me<strong>in</strong>s' Zustand äußerst kritischsei und forderte ihn auf, sowohl Haag als auch e<strong>in</strong>em Vertrauensarztsofort zu erlauben, Me<strong>in</strong>s zu besuchen. Um 13 Uhr wurde jedoch nurHaag zugelassen. Me<strong>in</strong>s war so geschwächt, daß Haag ihn kaum nochverstehen konnte. Wie Haag erfuhr, war die Gefängnisleitung offenbarnicht anwesend; der Anstaltsarzt wurde erst wieder am Montag erwartet;die Verlegung von Me<strong>in</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Intensivstation lehnte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g ab.Holger Me<strong>in</strong>s starb um 16 Uhr64.Er hatte systematisch zu wenig Nahrungerhalten, <strong>in</strong> den letzten zwei Wochen vor se<strong>in</strong>em Tod täglich 400 bis 800Kalorien, an den letzten vier Tagen 400 Kalorien. E<strong>in</strong> Erwachsenerbenötigt täglich m<strong>in</strong>destens 1200 bis 1600 Kalorien65. Me<strong>in</strong>s war nure<strong>in</strong>mal alle 24 Stunden künstlich ernährt worden, während normalerweiseunter solchen Umständen die Nahrung auf mehrere Portionen proTag verteilt wird.Für die Gefangenen war der Tod von Holger Me<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>deutig Mord: Erwar ermordet worden, um den Hungerstreik der Gefangenen brechenund die Vernichtungshaft unverändert fortsetzen zu können. Hauptschuldigerwar der Staatsschutz bzw. dessen für die Gefangenen aus derRAFzuständige BKA-Abteilung, die "Sicherungsgruppe Bonn ", die überdie unzureichende mediz<strong>in</strong>ische Versorgung <strong>in</strong> Wirtlichunterrichtet gewesense<strong>in</strong> mußte und den Transport nach <strong>Stammheim</strong> absichtlich mitHilfe des GBA verzögert habe. Alle anderen Beamten, vom Anstaltsarztbis zu Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, hätten sich den Anordnungen des Staatsschutzes völligunterworfen und seien somit als Mittäter oder Mitschuldige haftbar zumachen. Am 9.11.74 erstattete Rechtsanwalt Ruppert von Plottnitz imNamen der Angehörigen von Me<strong>in</strong>s gegen den Generalbundesanwalt,den Vorsitzenden Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, den Chef des BKA,den WirtlicherAnstaltsleiterund den Anstaltsarzt Strafanzeige wegen Mordes bzw. Totschlags66.Der Tod von Holger Me<strong>in</strong>s war aus verschiedenen Gründen vongroßer Bedeutung für die Entwicklung des Konfliktszwischen den Gefangenenund ihren Verteidigern e<strong>in</strong>erseits und den staatlichen Behördenandererseits.Für die Gefangenen hatte der Tod von Holger Me<strong>in</strong>s den endgültigenBeweis für die Richtigkeit ihrer Behauptung geliefert, der Staat und vorallem der Staatsschutz führten den Krieggegen die Guerilleros bis <strong>in</strong> dieGefängnisse h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, um <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nicht<strong>in</strong>haftierte und potentielleGuerilleros abzuschrecken (Gefangene als Geiseln). Aus der Sicht derGefangenen konnte dies nur bedeuten, daß der Staat nun mit "rechtlichen"Mitteln versuchen würde, das zu erreichen, was ihm mit polizeilichenund para-militärischen Mitteln nicht gelungen war: ihre direktephysische Vernichtung. Der Staat dagegen benutzte den Tod von HolgerMe<strong>in</strong>s als Beweis für die alte Behauptung, daß die Gefangenen aus den119


Zellen heraus und unterstützt von den Verteidigern die Guerilla gegenden Staat weiterführten: mit ungerechtfertigten Hungerstreiks und organisatorischerHilfe der Verteidiger würden Märtyrer "produziert", um e<strong>in</strong>Anwachsen des sogenannten revolutionären Potentials gegen e<strong>in</strong>en alsneo-faschistisch etikettierten Rechtsstaat zu bewirken. Daraus leitete derStaat wiederum die Notwendigkeit ab, Rechtsanwälte von der <strong>Verteidigung</strong>von Gefangenen aus der RAF auszuschließen. E<strong>in</strong>e Diskussion desPhänomens Hungerstreik wird fast zwangsläufig e<strong>in</strong>e Problematisierungbeider Thesen umfassen, vor allem deshalb, weil die deutschen Behördenaufgrund der bestehenden Rechtslage dazu verpflichtet s<strong>in</strong>d, Lebenund Gesundheit von Häftl<strong>in</strong>gen jederzeit zu schützen. Mit den Hungerstreikswird zwar versucht, e<strong>in</strong>e bessere Haftsituation zu erzw<strong>in</strong>gen,solange diese Forderung aber nicht erfüllt wird, haben sie e<strong>in</strong>e unmittelbareVerschlechterung des Gesundheitszustands zur Folge, was die Behördenwiederum zw<strong>in</strong>gt, zu e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>isch <strong>in</strong>dizierten Zwangsernährungüberzugehen67. Während die Gefangenen sich gegen die Zwangsernährungzur Wehr setzen, denn es geht ihnen schließlich um dieErfüllung ihrer Forderung, s<strong>in</strong>d die Verteidiger darum bemüht, die staatlichenBehörden zu veranlassen, ihrer Pflicht, Leben und Gesundheit vonGefangenen zu schützen, nachzukommen. Dies kann unter anderem e<strong>in</strong>unnachgiebiges Beharren auf mediz<strong>in</strong>isch korrekter und adäquater(Zwangs- )Ernährung be<strong>in</strong>halten68. Nun ist jedoch - so die Erfahrung vonGefangenen - künstliche Ernährung selbst dann, wenn sie ohne Zwangund mediz<strong>in</strong>isch korrekt vorgenommen wird, bereits "the worst torment",so z. B. Panagoulis, der später ermordete Widerstandskämpfergegen die griechische Militärjunta69. Wird Zwangsernährung allerd<strong>in</strong>gsauf e<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>isch unverantwortbare und <strong>in</strong>folgedessen äußerstschmerzhafte Weise vorgenommen und stirbt e<strong>in</strong> Gefangener an denFolgen e<strong>in</strong>er nicht adäquaten oder mediz<strong>in</strong>isch stümperhaft durchgeführtenZwangsernährung, so ergibt sich daraus logischerweise der Verdachtauf e<strong>in</strong>e strafbare Mißhandlung, auf Totschlag oder Mord. Undzwar <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es "unechten Unterlassungsdelikts", für das auch <strong>in</strong> derBRD der "bed<strong>in</strong>gte Vorsatz" ("das willentliche und wissentliche Inkaufnehmene<strong>in</strong>er ke<strong>in</strong>eswegs als imag<strong>in</strong>är e<strong>in</strong>zuschätzenden Möglichkeit")7ogenügt.So wurde denn auch die strafrechtliche Verantwortung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs fürden Tod von Holger Me<strong>in</strong>s <strong>in</strong> der bereits erwähnten Strafanzeige vom19.11.74 u. a. wie folgt begründet:"Se<strong>in</strong>e aus der prozessualen Fürsorgepflicht abzuleitende Rechtspflichf1 zuunverzüglichem Handeln hat der Beschuldigte zu 1) (Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g - BS) <strong>in</strong> eklatanterund durch nichts zu rechtfertigender Weise verletzt. Der Beschuldigte zu1) hat es am Mittag des 9. 11. 74 <strong>in</strong> voller Kenntnis der Tatsache, daß wegendes geschwächten Gesundheitszustandes des Getöteten Lebensgefahr nichtauszuschließen war, unterlassen, als Richter auch nur das Ger<strong>in</strong>gste zu verfü-120gen, was die ärztliche Versorgung des Getöteten hätte sicherstellen können. Erhat im H<strong>in</strong>blick auf se<strong>in</strong> Unterlassen den Tod des Getöteten zum<strong>in</strong>dest billigendmit <strong>in</strong> Kauf genommen. Wären noch am Mittag oder Nachmittag des9. 11. 1974 sofortige ärztliche Maßnahmen, <strong>in</strong>sbesondere Fusionen und ähnliches,von dem Beschuldigten zu 1) richterlich veranlaßt worden, hätte dasLeben des Getöteten gerettet werden können"n.Der <strong>in</strong> dieser Strafanzeige im e<strong>in</strong>zelnen dargelegte öffentlich bekanntgemachte Verdacht wurde von den verantwortlichen Behörden jedochsofort als Teil e<strong>in</strong>er von den Gefangenen organisierten und von denVerteidigern durchgeführten Verleumdungskampagne gegen die Justizbegriffen. Für die Justiz s<strong>in</strong>d die bestehenden Haftbed<strong>in</strong>gungen notwendig,legal und legitim; und die sich dagegen wendenden Hungerstreikss<strong>in</strong>d nichts anderes als Versuche, unter der Parole "Isolationsfolter" dieöffentliche Me<strong>in</strong>ung gegen die Justiz aufzuhetzen, Mithäftl<strong>in</strong>ge politischzu aktivieren und die Entlassung aus der Untersuchungshaft oder e<strong>in</strong>Scheitern der Strafprozesse durch e<strong>in</strong>en selbst verschuldeten kritischenGesundheitszustand zu erreichen.Die Anzeige gegen den WittIicher Gefängnisarzt wies das OLG Koblenzam 2.6.77 durch richterlichen Beschluß endgültig zurück73. DerSenat kam tatsächlich zu der Feststellung, daß Me<strong>in</strong>s seit dem 23.10.74fortwährend zuwenig Nahrung erhalten hatte. Von diesem Zeitpunkt anhabe der Anstaltsarzt auf Zwangsernährung verzichtet, weil Me<strong>in</strong>s sichgegen jegliche künstliche Ernährung zur Wehr gesetzt habe. Der Senatwar der Me<strong>in</strong>ung, daß der Anstaltsarzt auch nicht verpflichtet gewesensei, die Zwangsernährung weiter durchzuführen. Implizit wurde dies mitdem erst am 1.1. 77 <strong>in</strong> Kraft getretenen neuen Strafvollzugsgesetz begründet;zum Zeitpunkt von Me<strong>in</strong>s' Tod gab es noch ke<strong>in</strong>e gesetzlicheRegelung auf diesem Gebiet. Das neue Gesetz (§ 101 StrVollzO; vgl.Kapitel VIII Abschnitt 5.1.1.) enthält e<strong>in</strong>e Regelung, nach der dieZwangsernährung von Häftl<strong>in</strong>gen dann Pflicht für den Arzt ist, wenn"akute" Lebensgefahr besteht. Angesichts des Umstandes, so die Argumentationdes Senats, daß Me<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>e Untersuchung durch den Anstaltsarztverweigerte, sei es dem Arzt auch nicht möglich gewesen, festzustellen,ob und wann von akuter Lebensgefahr die Rede se<strong>in</strong> konnte;gleichzeitig seien dafür "bis zuletzt ke<strong>in</strong>e Anzeichen (. .. ) erkennbargewesen". Sachverständige hätten bei der Obduktion darüber h<strong>in</strong>ausfestgestellt, daß Me<strong>in</strong>s <strong>in</strong> den letzten Tagen auch schon nicht mehr zuretten gewesen wäre; die organische Krise sei erst <strong>in</strong> den letzten Stundenvor se<strong>in</strong>em Tod unerwartet und plötzlich e<strong>in</strong>getreten.Für den westdeutschen Rechtsexperten auf diesem Gebiet (Selbstmordund Selbstmordverh<strong>in</strong>derung74), Joachim Wagner, war diesesUrteil des OLG Koblenz e<strong>in</strong> weiterer Beweis dafür, daß die gesetzlicheRegelung der Zwangsernährung "rechtlich wie tatsächlich mißlungen"war75:121


"Damit ist e<strong>in</strong>e ebenso merkwürdige wie unhaltbare Situation entstanden:E<strong>in</strong> Hungerstreikender bekommt über mehr als zwei Wochen ke<strong>in</strong>e zumLebensunterhalt ausreichende Nahrungsmenge zugeführt; es treten auffälligeSchwächeersche<strong>in</strong>ungen auf; und der verantwortliche Arzt verreist für zweiTage, während der der Hungerstreikende ohne ärztliche Aufsicht ist. E<strong>in</strong>Verhalten, das unter mediz<strong>in</strong>ischen Gesichtspunkten kaum anders als e<strong>in</strong>efahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflichten anzusehen ist: Wenn e<strong>in</strong> Hungerstreikenderseit längerer Zeit unterernährt und <strong>in</strong> auffälligerWeise geschwächtist und se<strong>in</strong> Tod jederzeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kippreaktion <strong>in</strong>nerhalb weniger Stundene<strong>in</strong>treten kann, darf der Hungerstreikende nicht zwei Tage ohne ärztlicheBetreuung bleiben. Wenn es um e<strong>in</strong> Menschenleben geht, muß die Möglichkeitdes Todes und nicht die Chance des Weiterlebens das Verhalten desverantwortlichen Arztes bestimmen. Daß dieser Grundsatz nicht auch Richtschnurder rechtlichen Beurteilung des ärztlichen Verhaltens beim Hungerstreikvon Holger Me<strong>in</strong>s ist, liegt alle<strong>in</strong> daran, daß das OLG Koblenz imAnschluß an § 101 StVollzG für die Begründung e<strong>in</strong>er Pflicht zur Zwangsernährungauf Indikationen abhebt, die unter mediz<strong>in</strong>ischen wie psychologischenAspekten an der Realität e<strong>in</strong>es Hungerstreikes und der Verh<strong>in</strong>derungse<strong>in</strong>es tödlichen Ausgangs vorbeigehen. Der Beschluß des OLG Koblenz istder erste Beweis dafür, daß der § 101 StVollzGdem Gesetzgeber rechtlich wietatsächlich mißlungen ist".Holger Me<strong>in</strong>s hatte se<strong>in</strong>e Verteidiger bereits im März 1974 wissenlassen:122"WITTLICH, DEN 9.3.1974FüR DEN FALL, DASS ICH IN HAFT VOM LEBEN IN DEN TOD KOMME,WAR'S MORD - GLEICH WAS DIE SCHWEINE BEHAUPTEN WERDEN.NIE WERDE ICH MICH SELBST TÖTEN, NIE WERDE ICH IHNEN EINENVORWAND GEBEN, ICH BIN KEIN PROVO UND KEIN ABENTEURER,WENNS HEISST - UND DAFüR GIBT'S ANZEICHEN - ,SELBSTMORD',,SCHWERE KRANKHEIT', ,NOTWEHR', ,AUF DER FLUCHT': GLAUBTDEN LÜGEN DER MÖRDER NICHT."Kapitel V: Ausschließung der RechtsanwälteCroissant, Groenewold und Ströbele1. Aktion W<strong>in</strong>terreise-Am Tag nach dem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s wurde der Präsident desBerl<strong>in</strong>er Gerichtshofs, von Drenckmann, erschossen. Vermutlich handeltees sich um den mißlungenen Entführungsversuch e<strong>in</strong>es Kommandosder Bewegung 2. Juni. Zwei Tage später hielten die Innenm<strong>in</strong>isterdes Bundes und der Länder e<strong>in</strong>e Konferenz zum Thema "Innere Sicherheit"ab. Auf dieser Konferenz wurde unter anderem beschlossen, am26.11. 74 e<strong>in</strong>e bundesweite Fahndungsaktion, die sogenannte AktionW<strong>in</strong>terreise, öurchzuführen. An diesem Tag schien <strong>in</strong> der BRD derNotstand ausgebrochen zu se<strong>in</strong>. In e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftsaktion von Polizeie<strong>in</strong>heitendes Bundes und der Länder, unterstützt vom paramilitärischenBundesgrenzschutz, wurden <strong>in</strong> der gesamten BRD Straßensperrenerrichtet und scharfe Kontrollen durchgeführt, Büros und Wohnungendurchsucht - vor allem die ~Verteidiger von Gefangenen aus derRAF. Durchsucht wurden auch als "l<strong>in</strong>ks" bekannt~Verlaqe, Druckereien,Wohngeme<strong>in</strong>schaften. Die Zahl der vorläufigen Festnahmen zwecks-Verhor und/oder erkennungsdienstlicher Behandlung wurde nie veröffentlicht.Augenzeugenberichten und Strafanzeigen gegen Polizeikommandoszufolge wurde diese Aktion mit fast militärischer Härte durchgeführt;sie h<strong>in</strong>terließ e<strong>in</strong>e breite Spur von Zerstörungen und Mißhandlungen.OffiziellesZiel dieses von den Medien <strong>in</strong>teressiert verfolgten "Feldzuges"waren 23 Personen, die wegen Mitgliedschaft<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung gesucht wurden. Obwohl ke<strong>in</strong>e von ihnen entdeckt wurde,f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der "Welt am Sonntag" vom 1. 12. 74 e<strong>in</strong>e positive Bewertungdurch Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Prof. Werner Maihofer: "E<strong>in</strong> Erfolg(lnnenm<strong>in</strong>ister Maihofer) war die ,W<strong>in</strong>terreise' nämlich vor allem für dasImage und das Selbstbewußtse<strong>in</strong> der Polizei". Noch deutlicher formuliertSiegfriedFröhlich, Mitarbeiter der Abteilung "Innere Sicherheit" desBundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums, <strong>in</strong> der Fernsehsendung "Im Brennpunkt"vom 5. 12. 74 die anderen der Aktion W<strong>in</strong>terreise zugrunde liegendenBeweggründe. Auf die Frage, ob die Aktion nicht mangels konkreterErgebnisse e<strong>in</strong> "Schlag <strong>in</strong>s Wasser" gewesen sei, antwortete er:"Ich sehe das nicht so. E<strong>in</strong>mal mußte, das sag ich ganz offen hier, nachdiesen Vorfällen - Ermordung des Herrn von Drenckmann <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> - <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ergewissen vorgezogenen Art und Weise etwas gemacht werden, was eigentlichzu diesem Zeitpunkt nicht geplant war. Es mußte gegen diese Herausforderungdes Rechtsstaates reagiert werden. Und hier ist es wirklich nun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erwirklichvorbildlichen Weise gelungen, <strong>in</strong> sehr schneller Zeit zu e<strong>in</strong>er doch also123


gewaltigen Operation von Länderpolizeien, Bundeskrim<strong>in</strong>alamt und Schutzpolizeienund Krim<strong>in</strong>alpolizeigekommen, e<strong>in</strong>e Organisation, die als solche e<strong>in</strong>wirklich bewunderungswürdiges ... alle<strong>in</strong> dies ist me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong>e Demonstrationvon staatlicher Reaktionsfähigkeit, die e<strong>in</strong>mal fälligwar"!.Im November 74 wurden im Zusammenhang mit der "Aktion W<strong>in</strong>terreise"zwei weitere Entscheidungen getroffen, die für die Position derVerteidiger von Gefangenen aus der RAF weitreichende Bedeutungerhalten sollten. Die erste betraf die Herausgabe e<strong>in</strong>er "Dokumentationüber Aktivitäten anarchistischer Gewalttäter <strong>in</strong> der BundesrepublikDeutschland", bekannter als "Maihofer-Dokumentation", durch dasBundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterium. Sie erschien im Dezember 74. Die zweiteEntscheidung galt der beschleunigten parlamentarischen Behandlunge<strong>in</strong>er neuen die Advokatur betreffenden Gesetzgebun~. In diesem Kapitelgehe ich nache<strong>in</strong>ander auf die Maihofer-Dokumentation, die neueGesetzgebung und die sich auf sie berufenden Ausschließungen derVerteidiger Croissant, Groenewold und Ströbele e<strong>in</strong>.2. Maihofer-DokumentationDie 165 Seiten starke Veröffentlichung enthält u. a. 29 amtliche Dokumente,von denen 18 bei Zellenrazzien3im Juli 1973 gefunden wurden,neun <strong>in</strong> "konspirativen" Wohnungen <strong>in</strong> Frankfurt und Hamburg imFebruar 74 und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bremer "konspirativen" Wohnung.Schließlich noch die Presseerklärung von Rechtsanwalt Jörg Lang ausStuttgart vom 16.9.74, <strong>in</strong> der er mitteilt, daß er nicht an dem Prozeßteilnehmen werde, der gegen ihn wegen Unterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung am gleichen Tag vor dem OLG Stuttgart beg<strong>in</strong>nen sollte. Inder Erklärung begründet Lang außerdem, warum er <strong>in</strong> die Illegalitätgehe4.Von den zehn <strong>in</strong> "konspirativen" Wohnungen gefundenen Dokumentenstammen laut Maihofer-Dokumentationdrei von Gefangenen mit konkreten Angaben über Befreiungspläne, Aktionenund Herstellung von Sprengsätzen (Verfasser sei "vermutlich Baader");zwei von den Anwälten Groenewold und (vermutlich) Becker über e<strong>in</strong> Verteidigertreffenam 17. 12. 73; zwei von (vermutlich) Gudrun Enssl<strong>in</strong> oder HolgerMe<strong>in</strong>s über die Funktion von Verteidigern; drei von anonymen Autoren überdas Fälschen von Papieren, den Umgang mit Sympathisanten und über e<strong>in</strong>eTelexfahndung <strong>in</strong> Bremen.Die 18 bei Zellenrazzien beschlagnahmten Dokumente teilen sich auf<strong>in</strong>zwölfRundbriefe von Gefangenen für die <strong>in</strong>terne Diskussion über Stadtguerilla,Arbeitsverteilungbeim Literaturstudium, e<strong>in</strong> Archivierungs- und Informationssystem,Haftbed<strong>in</strong>gungen und Prozeßvorbereitung, Rolle und Funktionvon Anwälten, vergangene und künftige Hungerstreiks sowie e<strong>in</strong>e Kritik der"Roten Hilfe" an den Hungerstreiks und der Def<strong>in</strong>ition des Begriffs"politischer124Gefangener"; drei Rundbriefe aus dem Büro Groenewold an die Gefangenenmit e<strong>in</strong>em 14seitigen Aufsatz über die geplante Gründung e<strong>in</strong>er l<strong>in</strong>ken Juristenvere<strong>in</strong>igungund Berichten über den Verlauf der Hungerstreiks und Verteidigerbemühungen;e<strong>in</strong> Rundbrief aus dem Büro Ströbele; zwei Papiere der"Roten Hilfe" mit Kritiken an Hungerstreiks und am Gebrauch des Begriffs"politische Gefangene".Der Inhalt dieser Dokumentation wurde so ausführlich aufgeführt, weilvom Dezember 1974 an <strong>in</strong> Bundestagsdebatten, Radio- und Fernsehsendungen,Zeitungsberichten und sogar bei Diskussionen im Auslandimmer wieder auf diese Dokumentation als der Beweis für die krim<strong>in</strong>elleRolle der Verteidiger von Gefangenen aus der RAFverwiesen wurde undweil mit dieser Dokumentation zudem die Ausschließungsgesetzgebungund die entsprechenden Begleitmaßnahmen der deutschen Behördengegen die Anwälte gerechtfertigt wurden. Auch wenn man davon ausgeht,daß die Dokumentation nur authentisches Material enthält (was füre<strong>in</strong>ige Papiere von Anwälten und Gefangenen bestritten wird), so läßtsich daraus h<strong>in</strong>sichtlich der Verteidigertätigkeit jedoch folgendes ableiten:Die 20 bis 30 Rechtsanwälte, die für etwa 40 bis 80 Gefangene ausdem SPK, der RAF und anderen revolutionären Gruppen als Verteidigerauftraten, hatten es für richtig und wichtig gehalten, sich gegenseitig undihre Mandanten mit Hilfe der im Pr<strong>in</strong>zip unzensierten Verteidigerpostüber die Prozeßvorbereitungen, die fast identischen Sonderhaftbed<strong>in</strong>gungen,die dagegen gerichteten Hungerstreiks und legalen Kampagnen,über die daraus folgenden <strong>in</strong>ternen und externen Auswirkungensowie über die Funktion dieser Kampagnen und der Strafprozesse zu<strong>in</strong>formieren. Des weiteren betrafen die Inforrilationen die Kont<strong>in</strong>uitätantiimperialistischer bewaffneter Politik, die Notwendigkeit für die Gefangenen,darüber wissenschaftlich zu arbeiten und schließlich die Rolleund Funktion ihrer Verteidiger. Nun läßt sich natürlich nicht leugnen,daß die verschiedenen Themen dieses Informationsaustauschs rechtunterschiedlichen Charakters s<strong>in</strong>d. So ließe sich sagen, daß es tatsächlichAufgabeder Verteidiger sei, ihren Mandanten die Vorbereitung e<strong>in</strong>ergeme<strong>in</strong>samen politischen Prozeßerklärung zu ermöglichen, daß diesaber kaum auch im gleichen Maße für Forschungsarbeiten zum bewaffnetenKampf und se<strong>in</strong>er künftigen Perspektive gelten könne. Andererseitsistjedoch nicht ersichtlich, wie das e<strong>in</strong>e vom anderen zu trennen ist.Inhaltlich müßte die Prozeßerklärung auch durch e<strong>in</strong>e "historische"Bewertung der zur Last gelegten Handlungen bestimmt se<strong>in</strong>. Ohne e<strong>in</strong>eZukunftsprojektion ist das jedoch nicht möglich.Es sche<strong>in</strong>t mir berechtigt zu se<strong>in</strong>, von der Annahme auszugehen, daßder Grad der bei staatlichen Behörden vorhandenen Tolerierung e<strong>in</strong>erbestimmten Rolle des Strafverteidigers, aus der sich z. B. die soebenskizzierte Auffassung über den zulässigen Inhalt von Verteidigerpostergibt, direkt mit dem Grad der Tolerierung der von den Beschuldigten125


vertretenen Auffassung über den politischen Kontext "ihrer Sache" korrelierenwird. Weiter: Staatliche Behörden, die vorgeben, sich an Grundrechten,an der Verfassung sowie rechtsstaatlichen Pr<strong>in</strong>zipien und Wertenzu orientieren, sollten eigentlich jede Selbstdarstellung von Beschuldigten,wie politisch extrem sie auch se<strong>in</strong> mag, tolerieren können; andernfallsverlieren sie an Glaubwürdigkeit. E<strong>in</strong>e solche Tolerierung wirdfür die Behörden jedoch dann problematisch, wenn sie dazu führensollte, daß die Beschuldigten ihre revolutionäre Identität auch tatsächlichnach außen vermitteln können. E<strong>in</strong>e konsequente rechtsstaatliche Haltungseitens der staatlichen Behörden müßte den Beschuldigten dazuvor Gericht etwa durch Prozeßerklärungen Gelegenheit geben. Diedadurch zu bee<strong>in</strong>flussende Öffentlichkeit und vor allem der Teil e<strong>in</strong>erl<strong>in</strong>ken Öffentlichkeit, der für revolutionäre Ideen empfänglich ist, könnteaber zu e<strong>in</strong>er Gefahr für "Ruhe und Ordnung" werden. Wie bereitsfestgestellt wurde, waren die deutschen Behörden wegen ihres großenInteresses an der Vermeidung e<strong>in</strong>er kurzfristigen Störung von Ruhe undOrdnung der Me<strong>in</strong>ung, sich die öffentlich vorgetragene revolutionäreSelbstdarstellung dieser Gefangenen nicht leisten zu können. Die e<strong>in</strong>zigeMöglichkeit, dieses Dilemma zwischen Ordnung und Legalität aufzulösen,bestand denn auch <strong>in</strong> dem Versuch, die Selbstdarstellung derGefangenen mit Hilfe der selektiven und exemplarischen Ausschaltungder Verteidiger als den Vermittlungsträgern zu unterdrücken. Dazu mußtennoch die sondergesetzlichen Instrumente geschaffen werden, währenddas Vorhaben selbst langfristigpublizistischvorbereitet wurde. DieseÖffentlichkeitsarbeit, vehement, aber eher noch ungezielt im Sommer1972 begonnen, fand ihren Höhepunkt <strong>in</strong> der sogenannten Maihofer­Dokumentation. Schreiben von Verteidigern, Diskussionspapiere derGefangenen untere<strong>in</strong>ander, drei offenbar aus dem Gefängnis geschmuggelteKassiber sowie e<strong>in</strong>ige "konspirative " Dokumente unbekannterHerkunft wurden, e<strong>in</strong>en Zusammenhang suggerierend, <strong>in</strong> dieseDokumentation aufgenommen. Die folgende Passage ist der völlig unmißverständlichenE<strong>in</strong>leitung zu dieser Dokumentation entnommen:"An ihrer ursprünglichen Zielsetzung hat die krim<strong>in</strong>elle Baader-Me<strong>in</strong>hof­Vere<strong>in</strong>igung auch nach der Inhaftierung ihres Führungskaders und weitererMitglieder e<strong>in</strong>deutig festgehalten. Arbeitsweise und Taktikjedoch wurden denveränderten Umständen und den aus der Vergangenheit gewonnenen Erfahrungenangepaßt. Die Vere<strong>in</strong>igung konzentrierte sich, wie aus dem bei denZellendurchsuchungen und <strong>in</strong> konspirativen Wohnungen sichergestellten Beweismaterialhervorgeht, vornehmlich auf1) die politische und militärische Schulung von Kadern für den Stadtguerillakampf,2) die Politisierung der Gefängnis<strong>in</strong>sassen mit dem Ziel,Aufstände herbeizuführen,3) die Verbreiterung der revolutionären Basis außerhalb der Haftanstaltenmit dem Ziel e<strong>in</strong>er Volksfrontbewegung,1264) e<strong>in</strong>e großangelegte Kampagne gegen die Justiz.Es gelang den Häftl<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong> schnell und reibungslos funktionierendesKommunikationssystem <strong>in</strong>nerhalb der verschiedenen Haftanstalten und mitder Außenwelt aufzubauen. Gewichtige Anhaltspunkte deuten auf die bewußteMitwirkungverschiedener Rechtsanwälte bei der unkontrollierten und ungeh<strong>in</strong>dertenVerbreitung der Schriftstücke h<strong>in</strong>. Sendungen zwischen den Gefangenenund an Sympathisanten wurden mißbräuchlich als ,Verteidigerpost'deklariert oder bei den häufigen und zeitlich ausgedehnten Besuchen derVerteidiger unmittelbar übergeben, Erklärungen mündlich oder auf Tonträgernübermittelt.Die <strong>in</strong>haftierten Führungsmitglieder entwickelten e<strong>in</strong> System der Arbeitsteilung,<strong>in</strong> das Häftl<strong>in</strong>ge, Verteidiger, <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dliche Mitglieder, Unterstützerund Sympathisanten e<strong>in</strong>bezogen waren.Aufgabe der Häftl<strong>in</strong>ge sollte es se<strong>in</strong>, die Niederlage der RAF zu analysieren,e<strong>in</strong> Schulungsprogramm und e<strong>in</strong>e Konzeption für die Fortsetzung des ,Guerillakampfes'durch Aktionen der <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen revolutionären Basiszu entwickeln.Aufgabe der <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Anarchisten, Unterstützer und Sympathisantensollte der Vollzuglegaler und illegaler Aktivitäten se<strong>in</strong>. Tätig werdensollten hier vor allem - neben den noch nicht ermittelten RAF-Mitgliedern- die,Rote Hilfe'-Organisationen, das ,Informationszentrum Rote Universität Heidelberg'(IZRU)und die im Rahmen der Justizkampagne gegründeten ,Ko~iteesgegen Folter <strong>in</strong> den Gefängnissen der Bundesrepublik Deutschland'. DieVerteidiger sollten die Kommunikation aller Beteiligten, <strong>in</strong>sbesondere mit denHäftl<strong>in</strong>gen, gewährleisten, den Kampf gegen die Justiz mit formaljuristischenMitteln und durch e<strong>in</strong>e breit angelegte öffentliche Diffamierungskampagneführen und für diese Zwecke e<strong>in</strong>e Informationszentrale e<strong>in</strong>richten.Aus den vorgelegten Dokumenten ergibt sich der Verdacht, daß sich e<strong>in</strong>igeRechtsanwälte sogar rnit der ihnen von den Führern der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igungzugedachten Schlüsselrolle voll identifizieren.Die Gefangenen, die nach wie vor e<strong>in</strong>e Führungsrolle <strong>in</strong>nerhalb der Organisationbeanspruchen und durchgesetzt haben, forderten wiederholt die <strong>in</strong>Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Mitglieder auf, den bewaffneten Kampf fortzusetzen.Verschiedene Schriften enthalten e<strong>in</strong>e Anleitung zur Herstellung von Sprengstoffen,Tips zur Fälschung von Urkunden und zum konspirativen Verhalten.Darüber h<strong>in</strong>aus wurden Pläne für Ausbruchsversuche und e<strong>in</strong>e Gefangenenbefreiungdurch Geiselnahme entwickelt und dazu e<strong>in</strong>e umfangreiche Liste mitexakten Beschreibungen der Personal- und Lebensverhältnisse von Politikern,Industriellen, prom<strong>in</strong>enten Personen aus Justiz und Polizei erstellt".Beachtung verdient die Tatsache, daß <strong>in</strong> dieser E<strong>in</strong>leitung - im Gegensatzzu den seit 1972 immer wieder über die Medien verbreitetenBerichten - die Behauptung nicht mehr zu f<strong>in</strong>den ist, e<strong>in</strong>ige der Verteidigerhätten an den ihren Mandanten zur Last gelegten oder noch zulegenden Straftaten teilgenommen oder würden daran teilnehmen. Ausgehendvon e<strong>in</strong>er Wiedergabe der Auffassungen der Gefangenen überdie notwendigen Tätigkeiten der Verteidiger ("Die Verteidiger sollten... ") kann das Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterium im Dezember 1974 anhand127


des beschlagnahmten Beweismaterials nur den Verdacht aussprechen,e<strong>in</strong>ige Verteidiger würden sich "sogar mit der ihnen von den Führern derkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung zugedachten Schlüsselrolle voll identifizieren".Diese "Schlüsselfunktion" hat es offensichtlich e<strong>in</strong>em anonymen Zellenrundbrief(Nr. 19 der Dokumentation) entnommen, <strong>in</strong> dem überlegungenzur Teilnahme der Gefangenen an den Strafverfahren wiedergegebenwerden. Die <strong>in</strong> diesem Zusammenhang relevanten Abschnitte lauten:"die demokratische öffentlichkeit, also wie manipulation + boykott durchbrochenwerden kann, was das volk wissen muß, damit z.b. das im imperialistischenstaat geteilte bürgerliche lager auch wirklich geteilt wird, der teil zusozialisten gemacht wirdn das ist <strong>in</strong> den prozessen sache der anwälte.ihre funktion ist die verschärfung des nebenwiderspruchs, das ist sozialistischepolitik. prozeß, komitees, kampagne, kongress etc. s<strong>in</strong>d vehikel dieserpolitik. und die anwälte haben natürlich sowas wie ne schlüsselfunktion dar<strong>in</strong>,das ist<strong>in</strong>zwischen ja wohl klar, als unsere anwälte, als <strong>in</strong>formationsverteiler weil<strong>in</strong>formationsträger etc.für die prozesse heißt das also, daß sie dort die dialektiker s<strong>in</strong>d. politisch,<strong>in</strong>dem sie den nebenwiderspruch, also zwischen ,justiz' und klassenjustiz,zwischen ,unpolitischer' aber politischer justiz, zwischen ,unabhängiger' aberabhängiger justiz verschärfen. und sie verschärfen ihn, <strong>in</strong>dem sie es s<strong>in</strong>d, dieden bürgerlichen begriff von justiz ganz entfalten können, und das können sie,weil im politischen prozeß der nebenwiderspruch von vornhere<strong>in</strong> auf demtisch ist, die staatsdiener <strong>in</strong> dieser wesentlichen beziehung von vornhere<strong>in</strong> <strong>in</strong>der defensive s<strong>in</strong>d.im politischen prozeß s<strong>in</strong>d also die anwälte die juristen, und als juristen s<strong>in</strong>dsie politisch, und zwar ,aktivisten' der progressiven revolutionären tendenz dergeschichte, aufklärer, sozusagen mit kreide, zeigestock und schautafel ausgerüstet:bitte, hier die beweislücke. wodurch sich der <strong>in</strong>halt der lücke, maximal',das heißt, von selbst' als das def<strong>in</strong>iert was er ist: politik. genau diese möglichkeit,also sozusagen von ,forschung und lehre' im <strong>in</strong>teresse des volks, habendie richter und staatsanwälte nicht im gegensatz zu den anwälten. durch diesewerden alsojene so nackt wie möglich zu dem was sie wirklichund eben immers<strong>in</strong>d: unter ihrer klamotte politiker, als politiker f<strong>in</strong>sterste reaktionäre, kapitalistenknechte,imperialistenschwe<strong>in</strong>e, kommunistenfresser, schreibtischtäter,mörder.es ist also so, daß die anwälte teil, und eben wichtiger teil, der volksfrontstrategies<strong>in</strong>d. wobei es jetzt, noch derart schwach die basis, erstmal um dieherstellung demokratischer öffentlichkeit, der ,öffentlichen me<strong>in</strong>ung' geht, dienatürlich e<strong>in</strong>e der voraussetzungen zur proletarischen ist. erstmal gehts e<strong>in</strong>fachdarum, fußbreit um fußbreit den boden verteidigen und verbreitern, virulentzu machen, auf dem die verschiedenen teile des volks sich überhaupt erst zumantifaschistischen kampf vere<strong>in</strong>en können, überhaupt erst vere<strong>in</strong>en werden".Inzwischen waren die Verteidiger durch die Initiativeder bundesdeutschenBehörden, die Veröffentlichung von Beweismaterialien, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>eschwierige Lage geraten. Abgesehen von dem Umstand, daß die Beschlagnahmeder Unterlagen <strong>in</strong> den Zellen durchaus anfechtbar und die128Publikation dieser Unterlagen nach deutschem Presserecht sogar strafbarwar, weil die Unterlagen zur Akte <strong>in</strong> der Strafsache gegen "Baaderu. a." gehörten und noch nicht behandelt worden waren5 - die Verteidigerhatten ke<strong>in</strong>e Möglichkeit, <strong>in</strong>haltlich dazu Stellung zu nehmen,ohne das Vertrauensverhältnis zu ihren Mandanten zu gefährden. Darüberh<strong>in</strong>aus würden sie genau das tun, was sie den staatlichen Behördenvorwarfen, nämlich über die Medien e<strong>in</strong>e Art Vorprozeß zu führen. Undschließlich konnten sie aufgrund ihrer früheren Erfahrungen sicher se<strong>in</strong>,daß ihre eventuelle Reaktion nicht e<strong>in</strong>mal ansatzweise so viel Aufmerksamkeit<strong>in</strong> den Medien und <strong>in</strong> der Öffentlichkeit erhalten würde, wie diePräsentation der Maihofer-Dokumentation. Die Maihofer-Dokumentationhat bis <strong>in</strong>s Ausland bei der Verstärkung der Vorurteile gegen dieVerteidiger von Gefangenen aus der RAF sowie bei ihrer Krim<strong>in</strong>alisierunge<strong>in</strong>e entscheidende Rolle gespielt. So er<strong>in</strong>nere ich mich nochlebhaft daran, wie G. E. Mulder, Professor für Strafrecht an der UniversitätNijmegen, mich nach e<strong>in</strong>em von mir als Verteidiger von RonaldAugust<strong>in</strong> im Frühjahr 1975 vor dem strafrechtlichen Diskussionskreis"Nico Müller" gehaltenen Vortrag über die neue Ausschließungsgesetzgebungsehr erregt angriff und sich dabei ausdrücklich auf die Dokumentationberief. Auch der Amsterdamer Hochschullehrer für Strafrecht C. F.Rüter verweist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em imJuni 1975 <strong>in</strong> "Delikten Del<strong>in</strong>kwent" erschienenenArtikel "een lex Baader-Me<strong>in</strong>hof?", <strong>in</strong> dem er auf e<strong>in</strong>en von mirüber dieses Problem geschriebenen und im "Nederlands Juristenblad"vom 15.2.75 veröffentlichten Artikel e<strong>in</strong>geht, an mehreren Stellen aufdie Maihofer-Dokumentation. Aus e<strong>in</strong>em der veröffentlichten RundschreibenGroenewolds (Nr. 10 der Dokumentation) etwa leitet Rüter dieMe<strong>in</strong>ung ab, daß Groenewold e<strong>in</strong>en Gefangenen wegen der Unterbrechungdes Hungerstreiks zur Verantwortung gerufen und ihm Befehleerteilt habe. Hätte Rüter diesen Rundbrief etwas sorgfältiger gelesen, sowäre ihm deutlich geworden, daß es sich um e<strong>in</strong>e Diskussion zwischenGefangenen handelte. Nur durch e<strong>in</strong>e Verletzung der Schweigepflichtseitens der Verteidiger wäre Rüter klar zu machen gewesen, daß die vonihm beanstandeten "Befehle" (für das Auftreten vor Gericht, Interviewsmit Journalisten, Sprechen mit Polizeibeamten) das Ergebnis e<strong>in</strong>er längerenüber die Verteidiger(post) geführten Diskussion zwischen denGefangenen waren.3. Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reformdes Strafverfahrensrechts6Dieses Gesetz trat am 1. Januar 1975 nach e<strong>in</strong>er im Eiltempo von denverschiedenen parlamentarischen Gremien absolvierten Beratung <strong>in</strong>Krafe. Die für die Stellung der Verteidiger <strong>in</strong> Strafverfahren wichtigenParagraphen betreffen die Möglichkeit der Ausschließung e<strong>in</strong>es Rechts-129


anwalts aus e<strong>in</strong>er bestimmten Strafsache (§§ 138 a - d StP08), dieBeschränkung der Zahl der Wahlverteidiger auf drei (§137 StP09), dasVerbot, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Strafsache mehr als e<strong>in</strong>en Beschuldigten zu verteidigen(§ 146 StPOlO) sowie die Möglichkeit, die Gerichtsverhandlung auch <strong>in</strong>Abwesenheit des Angeklagten zu führen (§ 231a StPOll).3.1. VorgeschichteBereits kurze Zeit nach dem <strong>in</strong> Kap. Il, 3.2., erwähnten Urteil desBundesverfassungsgerichts von Anfang 1973 über die Ausschließungvon Rechtsanwalt Schily wurden vom Bundesjustizm<strong>in</strong>isterium die erstenKonzepte für e<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung der Ausschließungsmöglichkeitvorgelegt1z. Zudem wurde bereits damals vorgeschlagen, e<strong>in</strong>Anwalt solle <strong>in</strong> Zukunft nicht mehr als e<strong>in</strong>en Angeklagten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emProzeß verteidigen dürfen13.Die geplante Ausschließungsregelung stießanfangs <strong>in</strong> Kreisen der Advokatur und ihren wichtigsten Organisationen,der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltsvere<strong>in</strong>(DAV)auf erheblichen Widerstand. Ihnen g<strong>in</strong>g es jedoch weniger um dieMöglichkeit der Ausschließung selbst als um die Frage, welches Kollegiumdafür zuständig se<strong>in</strong> sollte14.Die Justiz war der Me<strong>in</strong>ung, daß e<strong>in</strong>Oberlandesgericht zuständig se<strong>in</strong> sollte, die Anwaltsorganisationen plädiertenanfangs dafür, diese Aufgabe e<strong>in</strong>em Kollegium aus Mitgliedernder eigenen Berufsgruppe zu übertragen, wie dies teilweise auch imdeutschen Anwaltsgesetz, der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO),vorgesehen war. Diese Haltung entsprang allerd<strong>in</strong>gs nicht e<strong>in</strong>er Solidaritätmit den Anwälten, die e<strong>in</strong> solches Verfahren als erste zu erwartenhatten, sondern vielmehr aus der Befürchtung, daß sich das bereits <strong>in</strong>sWanken geratene Gleichgewicht zwischen den drei unterschiedlichenOrganen der Rechtspflege noch stärker zum Nachteil der Advokaturverschieben könnte. E<strong>in</strong>e gleichzeitig vorbereitete Gesetzesänderung,durch die die gesamte gerichtliche Voruntersuchung abgeschafft und derStaatsanwaltschaft übertragen sowie e<strong>in</strong> Zeuge verpflichtet werden sollte,zur Zeugenaussage vor der Staatsanwaltschaft zu ersche<strong>in</strong>en, ohnedas Recht auf Anwesenheit e<strong>in</strong>es Anwaltes zu haben, machte die drohendeVerschiebung des Gleichgewichts besonders deutlich15.Dieser Widerstand der Standesorganisationen war höchstwahrsche<strong>in</strong>lichdie Ursache dafür, daß es noch bis zum 6.9.74 dauern sollte, ehe derGesetzesentwurf über e<strong>in</strong>e Ausschlußregelung und über das Verbot derMehrfachverteidigung dem Bundestag vorgelegt werden konnte16.Nache<strong>in</strong>er lediglich formellen ersten Behandlung am 11. 10. 74 wurden dieGesetzesvorlagen an den Rechtsausschuß (<strong>in</strong> den Niederlanden: VasteKamerkomissie voor Justitie) weiterverwiesen. Inzwischen war der drittegroße Hungerstreik bereits <strong>in</strong> der vierten Woche, und vom 9. 11. 74 ansollten "mehrere Ereignisse das <strong>in</strong>nenpolitische Klima(anheizen)"17: der130Tod von Holger Me<strong>in</strong>s, der Tod des Richters von Drenckmann, dieDiskussion über die Wiedere<strong>in</strong>führung der Todesstrafe und die schriftlicheAufforderung von Bundespräsident Dr. Gustav He<strong>in</strong>emann an UlrikeMe<strong>in</strong>hof, ihren Hungerstreik zu beenden. In diesem aufgeheizten<strong>in</strong>nenpolitischen Klima wurde die parlamentarische Behandlung derGesetzesvorlagen auf Initiative der Bundesregierung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für dieparlamentarische Geschichte der BRD bis dah<strong>in</strong> e<strong>in</strong>maligen und späternur noch von der "Beratung" des Kontaktsperregesetzes übertroffenenTempo abgewickelt.Ende November beschloß das Bundeskab<strong>in</strong>ett e<strong>in</strong>e Gesetzesvorlage,mit der u. a. die Kontrolle des schriftlichen und mündlichen Verkehrszwischen Verteidiger und Beschuldigtem <strong>in</strong> bestimmten Fällen geregelt,die Zahl der Wahlverteidiger auf fünf pro Angeklagtem beschränkt undöffentliche Gerichtsverfahren ohne anwesende Angeklagte ermöglichtwerden sollten. Dieser Kab<strong>in</strong>ettsbeschluß wurde bei den am 4. 12.74beg<strong>in</strong>nenden Beratungen des Rechtsausschusses über die Gesetzesvorlagenvom 6.9.74 als "Formulierungshilfe" e<strong>in</strong>gereicht, "... e<strong>in</strong> <strong>in</strong> derGeschichte der Bundesrepublik Deutschland e<strong>in</strong>maliger Vorgang" 18.Unmittelbar nach Bekanntgabe des Kab<strong>in</strong>ettsbeschlusses entbrannte <strong>in</strong>den Kreisen der Advokatur e<strong>in</strong> Sturm der Entrüstung über die vorgesehene"überwachungsregelung"; der DAVbezeichnete diesen Teil derGesetzesvorlage als gänzlich unüberlegt19. Drei Tage lang beriet derRechtsausschuß über die unterschiedlichen Entwürfe, nahm hier und daVeränderungen vor, ließ die überwachungsregelung - mit Zustimmungdes Bundesjustizm<strong>in</strong>isters - fallen und verwies das Ganze an den Bundestag,der das "Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reformdes Strafverfahrensrechts" nach zweitägigen Beratungen am 20.12.74unverändert und e<strong>in</strong>stimmig verabschiedete.Bei dem außergewöhnlichen Zustandekommen dieses Gesetzes fallenvor allem die plötzliche Vorlage e<strong>in</strong>er überwachungsregelung durchdie Bundesregierung und der spätere gegen die Stimmen der CDUICSU-Fraktion beschlossene - Verzicht auf e<strong>in</strong>e solche Regelung auf.".. , über die Motive kann man nur spekulieren"zo, so der CDU-AbgeordneteLenz während der Bundestagsdebatte am 18. 12.74. Der niederländischeRechtsgelehrte Rüter me<strong>in</strong>t, die E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gung der Regelungsei sicherlich darauf zurückzuführen, daß die Justiz unter dem E<strong>in</strong>druckvon Informationen gestanden habe, nach denen der Anschlag aufDrenckmann von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>haftierten RAF-Mitgliedgeplant und angeordnetworden sei, während der Verzichtauf die Regelung so zu erklären sei,daß der Gesetzgeber sich dem Druck der Advokatur gebeugt habe, dieverh<strong>in</strong>dern wollte, daß es zu e<strong>in</strong>er Möglichkeitder E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> denVerkehr zwischen <strong>in</strong>haftiertem Beschuldigten und dessen VerteidigerkommeZ1. E<strong>in</strong> anderer Erklärungsversuch ist der, daß die Bundesregierunge<strong>in</strong> Maximum gefordert habe, um dann ger<strong>in</strong>gere Forderungen131


esser durchsetzen zu können; e<strong>in</strong>e für Verhandlungen übliche Taktik.Wie dem auch sei, es war immerh<strong>in</strong> möglich gewesen, den Widerstanddes Anwaltsstandes gegen die geplante Ausschließungsregelung auf dienoch heftigere Proteste hervorrufende Oberwachungsregelung umzuleiten,die man dann zum<strong>in</strong>dest vorläufig "opfern" konnte. Vorläufig, daman jederzeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dafür günstigen <strong>in</strong>nenpolitischen Klima auf dieabgelehnte Oberwachungsregelung zurückkommen konnte; mit demoffiziellen Gesetzesvorschlag war die erste psychologische Barriere jedenfallsüberwunden. Dieser Erklärungsversuch sche<strong>in</strong>t mir auch deshalbe<strong>in</strong>leuchtend, weil die Bundesregierung kaum von den von Rütergenannten "Informationen" bee<strong>in</strong>druckt gewesen se<strong>in</strong> konnte, weil siesich <strong>in</strong> nichts von denjenigen unterschieden, die BKAund/oder GBA seit1972 ununterbrochen herausgegeben hatten, die jedoch niemals konkretbelegt worden waren. Die spätere Gesetzgebung vom 18.8.76 überkontrollierte Kontakte zwischen Beschuldigten und Rechtsanwältensche<strong>in</strong>t diese Sichtweise zu bestätigen22, obwohl sie zugegebenermaßenauch nicht frei ist von spekulativen Elementen.Zur Ergänzung sei noch erwähnt, daß e<strong>in</strong>e sehr weitreichende Möglichkeitder richterlichen Kontrolle des schriftlichen und mündlichenKontakts zwischen Rechtsanwalt und Beschuldigtem bereits <strong>in</strong> der Strafrechtsgesetzgebungder Weimarer Republik enthalten war und bis 1965auch gehandhabt wurde, sei es auch mit Beschränkung auf die Phase derVoruntersuchung.3.2. KommentarBevor ich auf die wichtigsten Abschnitte der neuen gesetzlichen Bestimmungene<strong>in</strong>gehe, ersche<strong>in</strong>t es mir angebracht, kurz der Frage nachzugehen,ob diese Bestimmungen als ad hoc-Gesetze, als e<strong>in</strong>e "LexSchily" oder e<strong>in</strong>e "Lex RAF" zu bezeichnen s<strong>in</strong>d. Die Antwort ist vorallem deshalb wichtig, weil die Anwendung dieser Bestimmungen e<strong>in</strong>enrigorosen E<strong>in</strong>griff<strong>in</strong> die Zusammensetzung und das Konzept der <strong>Verteidigung</strong>zur Folge hatte, sodaß das Recht auf Verteidiguni3 für dieAngeklagten "Baader u. a. " <strong>in</strong> erheblichem Maße ausgehöhlt wurde. MitHilfe eigens dazu erlassener Sondergesetze <strong>in</strong> bestimmte laufende oderbevorstehende Strafprozesse e<strong>in</strong>zugreifen, steht <strong>in</strong> absolutem Widerspruchzu rechtsstaatlichen Grundsätzen, wie sie im bundesdeutschenGrundgesetz Artikel 19 Absatz 1 festgelegt s<strong>in</strong>d: "Soweit nach diesemGrundgesetz e<strong>in</strong> Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund e<strong>in</strong>es Gesetzese<strong>in</strong>geschränkt werden kann, muß das Gesetz allgeme<strong>in</strong> und nicht fürden E<strong>in</strong>zelfallgelten". Noch e<strong>in</strong>mal Rüter: "Denkt man an den Anlaß, sokann man allerd<strong>in</strong>gs von e<strong>in</strong>er Lex Baader-Me<strong>in</strong>hof sprechen, betrachtetman jedoch den Inhalt des Gesetzes, so drängt sich eher die BezeichnungLex imperfekta auf,,24. Me<strong>in</strong>e These ist dagegen, daß dieses Gesetz132sowohl dem Anlaß als auch dem Inhalt nach als Lex RAFzu bezeichnenist, und daß die Unvollkommenheit dieser gesetzlichen Bestimmungenvon allen Instanzen zugedeckt wurde, und zwar immer unter wohlwollenderBerücksichtigung der politischen Absichten des Gesetzgebers.Das "Beweismaterial", auf das sich me<strong>in</strong>e These gründet, wird <strong>in</strong> diesemsowie im nächsten Kapitel präsentiert.Was die Entstehungsgeschichte der Ausschließungsgesetzgebung betrifft,sowar der Gesetzgeber nach dem "Fall Schily" an den Auftrag desBundesverfassungsgerichtes gebunden, die Möglichkeit des Verteidigerausschlusseszu regeln. Ob es um e<strong>in</strong>e "virulent gewordene Lücke" <strong>in</strong>der bundesdeutschen Strafrechtsgesetzgebung g<strong>in</strong>g, wie etwa Rüter behauptet,ersche<strong>in</strong>t mir nebensächlich; nicht zu bestreiten istjedoch, daßProbleme mit der Verfolgung von Gefangenen aus der RAF eigentlicherAnlaß für diese Regelung waren. Daß dem ganzen Vorgang der Ruche<strong>in</strong>er Sondergesetzgebung anhaften würde, war man sich vorher durchausbewußt; so äußerte sich z. B. auch Bundesjustizm<strong>in</strong>ister Dr. Hans­Jochen Vogel während e<strong>in</strong>er Debatte im Bundestag am 18. 12. 74: "Inder bisherigen öffentlichen Debatte ist da und dort der E<strong>in</strong>druck erwecktworden, bei der heute zur Beratung anstehenden Novelle handele es sichum e<strong>in</strong> ad hoc-Gesetz. Davon kann gar ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>,,25.Auch derSPD-Abgeordnete Fritz-Joachim Gnäd<strong>in</strong>ger, Berichterstatter desRechtsausschusses, betonte nachdrücklich die nach dem Schily-Urteildes Bundesverfassungsgerichts für den Gesetzgeber entstandene Notwendigkeit,auf diesem Gebiet aktiv zu werden: "Mir liegt sehr daran,noch e<strong>in</strong>mal festzustellen, daß das das auslösende Moment war. Eswaren nicht die Aktivitäten der Anwälte der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung. DieBefürchtungen, daß wir Gesetze für E<strong>in</strong>zelfälle machten, s<strong>in</strong>d daherunbegründet"26. Ich kann mich jedoch nicht des E<strong>in</strong>drucks erwehren,daß diese Beteuerungen mehr aus Angst vor eventuellen Anschuldigungen,grundgesetzwidrige ad hoc-Gesetze e<strong>in</strong>führen zu wollen, und vordem damit verbundenen Legitimitätsverlust entstanden s<strong>in</strong>d. Die denGesetzesvorlagen wirklich zugrunde liegenden Motive wurden me<strong>in</strong>esErachtens deutlich von dem im Namen der CDU/CSU-Fraktion sprechendenBundestagsabgeordneten Carl Otto Lenz, Vorsitzender desRechtsausschusses, <strong>in</strong> der Bundestagsdebatte vom 18. 12. 74 genannt:"Die Gesetzesregelung ist erforderlich geworden, weil e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppevon etwa zwei Dutzend Anwälten ganz bewußt die Streichung der frühergegebenen Oberwachungsmöglichkeiten dazu mißbraucht, e<strong>in</strong>e revolutionäreTätigkeit zu unterstützen. Wer so handelt, der ist ke<strong>in</strong> Organ der Rechtspflegemehr. Es ist e<strong>in</strong> absolutes Novum, daß der revolutionäre Kampf aus derHaftzelle heraus geführt wird.Das istjedoch nur möglich geworden durch den Mißbrauch der Rechtsstellung,die Rechtsanwälten zuerkannt worden ist, weil der Gesetzgeber 1964Vertrauen <strong>in</strong> jeden e<strong>in</strong>zelnen von ihnen gesetzt hat. Ich möchte hier h<strong>in</strong>zufü-133


gen, daß wir heute Vertrauen zu der großen Mehrheit unserer Anwälte haben.Denn wirwissen ja, daß es nur ganz wenige gewesen s<strong>in</strong>d, die dieses Vertrauenmißbraucht haben.Nur um die Bekämpfung dieser Anwälte handelt es sich hier. (Hervorhebung:BS) Hier handelt es sich nicht darum, die Möglichkeiten der normalenStrafverteidigung e<strong>in</strong>zuschränken. Denn e<strong>in</strong>e normale Strafverteidigung habendiese Verteidiger, diese sogenannten Verteidiger muß ich ja sagen, überhauptnicht im S<strong>in</strong>n. Sie betreiben ihren revolutionären Kampf im Zusammenspielmit ihren Mandanten,m.Auch der SPD-Abgeordnete Hermann Dürr bestätigte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Replikauf Lenz ohne Zögern den <strong>in</strong>haltlichen ad hoc-Charakter der Gesetzesvorlage.Außerdem betonte er nachdrücklich, was m<strong>in</strong>destens ebensowichtig ist, daß die verschiedenen Teile der Gesetzesvorlage unbed<strong>in</strong>gtim Zusammenhang gesehen werden müssen:"Der zweite Punkt <strong>in</strong> der heutigen Debatte war das Problem der überwachungdes Verteidigers.Die Opposition kritisiert, daß der Bundesjustizm<strong>in</strong>ister e<strong>in</strong> anderes Denkmodellvorgelegt hat, aber jetzt dem Ausschluß des Verteidigers zustimmt. ..Aber ich bitte Sie um e<strong>in</strong>es. In dem Gesetz, das wir heute verabschieden,stehen auch die Beschränkung der Zahl der Verteidiger und die Vorschrift,daße<strong>in</strong> Verteidiger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Verfahren nicht mehr als e<strong>in</strong>en Angeklagtensoll verteidigen dürfen. Das müssen Sie hiermit im Zusammenhang sehen ...Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, wir haben im Jahre 1968 e<strong>in</strong>en neuen Typ vonAngeklagten feststellen können. Wir mußten 1974 e<strong>in</strong>en neuen Typ vonVerteidigern, von sogenannten Rechtsanwälten, feststellen, und wir haben uns<strong>in</strong> der Gesetzgebung darauf e<strong>in</strong>zustellen"28E<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre danach, im Juni 1976, sollte e<strong>in</strong> neu es Paket gesetzlicherBestimmungen über die sogenannten Anti-Terrorismus-Maßnahmendem Bundestag zur Beratung vorliegen. E<strong>in</strong>e der verabschiedetengesetzlichen Bestimmungen betraf die Kontrolle des Schriftverkehrs zwischenVerteidigern und den wegen § 129 (a) StGB verfolgten Gefangenen.Der oben bereits genannte Abgeordnete Gnäd<strong>in</strong>ger verkündetenachdrücklich und - wie sich später herausstellen sollte - voreilig, "daßwir Sozialdemokraten <strong>in</strong> dem heute zu verabschiedenden Gesetzeswerkden Abschluß der justizpolitischen Gesetzgebung auf diesem Gebietsehen". Nur wenig später gab jedoch auch er zu, daß die Ende 1974verabschiedeten gesetzlichen Bestimmungen im H<strong>in</strong>blick auf den bevorstehendenProzeß gegen "Baader u. a." e<strong>in</strong>geführt worden waren: "JedemE<strong>in</strong>geweihten ist klar, daß z. B. ohne die bereits beschlossenenÄnderungen der Strafprozeßordnung der Prozeß <strong>in</strong> Stamm heim gegendie Baader-Me<strong>in</strong>hof-Terroristen <strong>in</strong> noch größere Schwierigkeiten geratenwäre, ja, unter Umständen hätte abgebrochen werden müssen"29.1343.2.1. Ausschließungsbestimmungen (§§ 138a bis d StPO)30Der Ausschluß e<strong>in</strong>es Rechtsanwalts von e<strong>in</strong>em bestimmten Strafverfahrenbe<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong> "partielles Berufsverbot", wie Bundesjustizm<strong>in</strong>isterVogel während der Bundestagsdebatten zu Recht bemerkte31. E<strong>in</strong> solcherE<strong>in</strong>griffbetrifft denn auch bundesdeutsche Grundrechte: Das Rechtauf freie Wahl e<strong>in</strong>es Rechtsanwaltes, damit zusammenhängend dasRecht auf e<strong>in</strong> "fair trial" und schließlich noch das Recht auf freie Ausübungdes Berufes. Sowohl <strong>in</strong> dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichtsvon 1973 als auch <strong>in</strong> den Bundestagsdebatten wurde wiederholtausdrücklich darauf verwiesen, daß e<strong>in</strong>e eventuelle Ausschließungsregelungdiese Grundrechte zu berücksichtigen habe. Rüter stellt die Theseauf, daß, gemessen an diesen Anforderungen, die verabschiedete Regelungvöllig unzureichend sei; er zieht daraus die naive Schlußfolgerung,daß das Bundesverfassungsgericht bei Vorlage e<strong>in</strong>er entsprechendenKlage nicht umh<strong>in</strong> könne, die Regelung als grundgesetzwidrig zurückzuweisen32.Nur wenige Wochen nach Ersche<strong>in</strong>en von Rüters Artikel wurdendie Bestimmungen des § 138a Absatz 1 und 2 (Satz 1) vom Bundesverfassungsgerichtals "verfassungsgemäß" beurteilp3. Anlaß für diesesUrteil war der erste Verteidigerausschluß. Er galt Rechtsanwalt Croissant.Rüters Kritikan den wichtigsten Bestimmungen der Ausschließungsregelungläßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Aufgrund von §138a Absatz 1 ist der zuständige Richter verpflichtet, e<strong>in</strong>en Verteidigerdann auszuschließen, wenn gegen ihn schwerwiegende Verdachtsmomentefür folgende Beschuldigungen vorliegen: (Mit-)Täter, Mitbeteiligteroder Anstifter der Tat zu se<strong>in</strong>, deren se<strong>in</strong> Mandant angeklagt ist;wegen se<strong>in</strong>es Mandanten Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlereibegangen zu haben. Für Rüter wäre nur e<strong>in</strong>e Befugnis statt e<strong>in</strong>er Verpflichtungzur Ausschließung akzeptabel, da der Verdacht der Teilnahmeseitens des Verteidigers sich auf so leichte Formen der Tatbeteiligungbeziehen könne, daß e<strong>in</strong>e wirksame Strafrechtspflege die Ausschließungnicht unbed<strong>in</strong>gt erfordere. Rüters E<strong>in</strong>wand gegen § 138a Absatz 2besteht dar<strong>in</strong>, daß diese Bestimmung auf ke<strong>in</strong>en Fall <strong>in</strong>s Strafprozeßrechtgehöre, da die Ausschließung hier nur als Sanktion des mehr oderm<strong>in</strong>der folgenschweren Mißbrauchs des freien Verkehrs zwischen Anwaltund Beschuldigtem gedacht ist, ohne daß dabei e<strong>in</strong> Bezug zu derStraftat des Mandanten gegeben se<strong>in</strong> muß. Auch sche<strong>in</strong>t für Rüter dieMittel-Zweck-Relation nicht gewahrt zu se<strong>in</strong>, da <strong>in</strong> solchen Fällen e<strong>in</strong>eKontrolle des Verkehrs zwischen Anwalt und Mandant auch durch dasvon ihm als weniger e<strong>in</strong>schneidend betrachtete Mittel der richterlichenÜberwachung ausgeübt werden kann34.Rüters Kritik basiert weitgehendauf den damals noch nicht sehr135


zahlreichen deutschen Veröffentlichungen zur neuen Ausschließungsregelung35.überdie grundsätzlichere Problematik der Ausschließung s<strong>in</strong>dseit der Weimarer Republik viele Veröffentlichungen erschienen, wieschon bei der Behandlung des Ausschlusses von Schily als VerteidigerEnssl<strong>in</strong>s erwähnp6.In Rüters kritischer Ause<strong>in</strong>andersetzung mit diesem Thema werdendie zwei me<strong>in</strong>es Erachtens wesentlichsten Bedenken gegen diese Regelung,das e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipieller, das andere eher praktischer Natur, nichterwähnt.Sowohl <strong>in</strong> § 138a Abs. 1 als auch <strong>in</strong> § 138a Abs. 2 (Satz 1) geht es umdie Ausschließung e<strong>in</strong>es Verteidigers aufrgund des schwerwiegendenVerdachts der Begehung e<strong>in</strong>er Straftat. Für § 138a Abs. 1 gilt dies sogar<strong>in</strong> zweifacher H<strong>in</strong>sicht, nämlich auf Grund der Koppelung des Verdachtsgegen den Verteidiger an die Verdächtigungen, die gegenüber demMandanten bestehen. Dies sche<strong>in</strong>t mir mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung(praesumptio <strong>in</strong>nocentiae), e<strong>in</strong>em der wesentlichenStützpfeiler der Strafrechtspflege aller dem Vertrag von Rom aus demJahr 1950 angeschlossenen Staaten, pr<strong>in</strong>zipiell unvere<strong>in</strong>bar zu se<strong>in</strong>.Demzufolge sollte es nicht möglich se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Rechtsanwalt nur wegene<strong>in</strong>es (schwerwiegenden) Verdachts und unter Umgehung e<strong>in</strong>es strafrechtlichenVerfahrens, <strong>in</strong> dem dieser Verdacht zu begründen und zubeweisen wäre, mit der für se<strong>in</strong>e Berufsausübung e<strong>in</strong>schneidendstenMaßnahme, e<strong>in</strong>em teilweisen Berufsverbot, zu belegen37. Der Grundsatzder praesumptio <strong>in</strong>nocentiae, untrennbar verbunden mit demGrundrecht auf e<strong>in</strong>en fairen Prozeß, wird so weitgehend <strong>in</strong> den Bereichder Illusionen verbannt. Erstens be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong> partielles Berufsverbot fürden Betroffenen e<strong>in</strong>e erhebliche f<strong>in</strong>anzielle E<strong>in</strong>buße. Zweitens wird dieErteilung e<strong>in</strong>er solchen Sanktion auf unzulässige Art und Weise jenesrichterliche Kollegium bee<strong>in</strong>flussen, das zu gegebener Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emstrafrechtlichen Verfahren über das beanstandete Verhalten des Rechtsanwaltszu urteilen hat. In diesem Zusammenhang sche<strong>in</strong>t mir die Behauptung,die Unschuldsvermutung habe ke<strong>in</strong>e über das e<strong>in</strong>zelne Strafverfahrenh<strong>in</strong>ausgehenden Auswirkungen, schwierig aufrecht zu erhalten,ebenso wie die Behauptung, der Ausschließung könne nur re<strong>in</strong>verwaltungsrechtliche Bedeutung beigemessen werden, sei es auch mitKonsequenzen für das Strafverfahren gegen den Mandanten. Außerdemgeht es nicht nur um die Handhabung des Grundsatzes der Unschuldsvermutungh<strong>in</strong>sichtlich des beschuldigten Verteidigers, m<strong>in</strong>destensebenso wichtig ist die Verletzung des Rechts des Mandanten auffreie Wahl des Verteidigers. Dieses Recht istuntrennbar mit der praesumptio<strong>in</strong>nocentiae verbunden; der Grundsatz der freien Verteidigerwahlsoll ja gerade die Verwirklichung des Anspruchs des Angeklagten aufe<strong>in</strong>en fairen Prozeß (wofür der Grundsatz der praesumptio <strong>in</strong>nocentiaevon fundamentaler Bedeutung ist) garantieren38136Diesen prozessualen Grundrechten des E<strong>in</strong>zelnen (bzw. mehrererE<strong>in</strong>zelner) stehen die allgeme<strong>in</strong>en Interessen e<strong>in</strong>er "guten" Strafrechtspflegeim S<strong>in</strong>ne der "Effizienzdes Strafprozesses"39 gegenüber. Folglichmuß zwischen diesen gegensätzlichen Interessen abgewogen werden.Der amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dwork<strong>in</strong> hat zu dieser beiJuristen ausgesprochen beliebten Prozedur des Abwägens zwischen <strong>in</strong>dividuellenRechten und allgeme<strong>in</strong>en Interessen 1970 e<strong>in</strong>e sehr <strong>in</strong>teressanteTheorie entwickelt. In se<strong>in</strong>em Artikel "Tak<strong>in</strong>g Rights Seriously"40zeigt er auf, daß dieser Abwägungsprozeß zwischen "starken" Rechtendes E<strong>in</strong>zelnen (von Dwork<strong>in</strong> "compet<strong>in</strong>g rights" genannt, wozu er vorallem die Grundrechte zählt) und Interessen der Allgeme<strong>in</strong>heit, als Metapherdes Gleichgewichts zwischen Interessen des E<strong>in</strong>zelnen und derAllgeme<strong>in</strong>heit, mit der unrichtigen Unterstellung begründet ist, e<strong>in</strong>e irrtümlicheEntscheidung sei für beide Seiten gleich folgenschwer. DiesesAbwägungsmodell sei deshalb falsch, weil die Verschiebung des Gleichgewichtszu Gunsten des E<strong>in</strong>zelnen, mit anderen Worten: auf "zuvielRecht" für den E<strong>in</strong>zelnen, nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen Schaden für das Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teressezur Folge habe, wobei die Tatsache des Abwägens sowiesoschon impliziere, daß e<strong>in</strong> Opfer gebracht werden müsse. Bei derVerschiebung des Gleichgewichts zu Gunsten der Allgeme<strong>in</strong>heit jedoch,oder anders gesagt: nach "zuwenig Recht" für den E<strong>in</strong>zelnen, habe derfür den E<strong>in</strong>zelnen entstehende Schaden wesentlich weitreichendereKonsequenzen, wo doch gerade die Vermeidung e<strong>in</strong>es größeren Schadensfür den E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>er der wesentlichen Ausgangspunkte desAbwägungsgedankens sei. Bei diesem Modell würden die "Rechte" derAllgeme<strong>in</strong>heit zu Unrecht als mit denen des E<strong>in</strong>zelnen konkurrierende("compet<strong>in</strong>g") gesehen, wodurch die Vorstellung von der fundamentalenBedeutung der Rechte des E<strong>in</strong>zelnen verloren zu gehen drohe,zum<strong>in</strong>dest nach "allgeme<strong>in</strong>em" Belieben ausgehöhlt werden könne. ImStrafrecht würde die Unzulänglichkeit dieses Modells sehr treffend durchdie allgeme<strong>in</strong> anerkannte Ansicht, es sei besser, viele Schuldige ungestraftgehen zu lassen, als e<strong>in</strong>en Unschuldigen zu verurteilen, illustriert.Dwork<strong>in</strong> geht von der Annahme aus, daß weite Teile des Rechts nicht"neutral" se<strong>in</strong> können, sondern vielmehr durch z. B. soziale, wirtschaftlicheund außenpolitische Gegebenheiten bed<strong>in</strong>gt und geprägt seien(womit den Interessen der Allgeme<strong>in</strong>heit h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er Materialisierungim Recht Genüge getan se<strong>in</strong> sollte). über die Vorstellung, dieRechte des E<strong>in</strong>zelnen müßten Angelpunkt aller weiteren überlegungense<strong>in</strong>, da sie das Versprechen gegenüber der M<strong>in</strong>derheit, sie <strong>in</strong> ihrer"human dignity" und "political equality" zu respektieren, darstellenwürde, kommt Dwork<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em anderen Modell. Grundgedanke diesesModells ist die überzeugung, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung der Rechte desE<strong>in</strong>zelnen sei schwerwiegender als ihre Erweiterung. Beschränkungendürften nur dann vorgenommen werden, wenn "some compell<strong>in</strong>g rea-137


son is presented, some reason that is consistent with the suppositions onwhich the orig<strong>in</strong>al rights must be based"41. Dwork<strong>in</strong> unterscheidet dreiverschiedene Arten von Gründen:1. Die Werte, die durch das ursprüngliche Recht geschützt werdensollen, spielen im betreffenden Fall ke<strong>in</strong>e oder nur e<strong>in</strong>e nebensächlicheRolle.2. E<strong>in</strong> anderes, konkurrierendes Recht würde bei Nicht-E<strong>in</strong>schränkungdes ursprünglichen Rechts schwerwiegend verletzt.3. Der für die Allgeme<strong>in</strong>heit bei e<strong>in</strong>er Beschränkung entstehendeNutzen würde die bei der Aufrechterhaltung des ursprünglichen Rechtsentstehenden Kosten wesentlich überschreiten, "a degree great enoughto justifywhatever assault on dignity or equality might be <strong>in</strong>volved"42. Inder wissenschaftlichen und politischen Diskussion über die Ausschließungsproblematiklassen sich ke<strong>in</strong>e Beispiele für die zwei ersten vonDwork<strong>in</strong> genannten Gründe f<strong>in</strong>den, so daß der dritte übrig bleibt. Essollte deutlich se<strong>in</strong>, daß der von verschiedenen deutschen Autoren <strong>in</strong> dieDiskussion gebrachte Begriff der "krim<strong>in</strong>alistischen Opportunität,,43 alsMotor für die Gesetzesänderungen vom 1.1. 75 <strong>in</strong> Dwork<strong>in</strong>s Modell nurunzureichend Berücksichtigung f<strong>in</strong>det. Andere Autoren haben schwergewichtigereBegriffe e<strong>in</strong>geführt. So spricht Dahs jr. von e<strong>in</strong>er verfahrensmäßigen"Notwehrsituation" der Rechtspflege44und Baumann verteidigtdie getroffenen e<strong>in</strong>schneidenden Maßnahmen als Mittel,um e<strong>in</strong>er"augenblicklichen Bedrohung des Rechtsstaats begegnen zu können,,4s.Ganz offensichtlich berufen sich alle Autoren auf Informationen über dasAuftreten von Verteidigern und über die zu erwartende "Prozeßsabotage"im bevorstehenden <strong>Stammheim</strong>er Verfahren, die vom BKA undvom GBA stammen.Dwork<strong>in</strong> läßt ke<strong>in</strong>en Zweifel daran entstehen, daß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Modellfür den Begriff der Notstandssituation als Abwägungskomponente ke<strong>in</strong>Platz ist, zum<strong>in</strong>dest so lange nicht, wie solche Notstandssituationen nurauf Verdächtigungen und Spekulationen über das, was geschehen könnte,basieren und nicht auf konkreten H<strong>in</strong>weisen auf das, was geschiehtoder mit an Sicherheit grenzender Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit geschehen wird.Außer diesen pr<strong>in</strong>zipiellen Bedenken gegen die Ausschließungsregelunggibt es aber noch Bedenken praktischer Natur, die sich <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dungmit § 129 StGB ergeben. Angesichts der Entstehungsgeschichtesche<strong>in</strong>t es mir angebracht zu se<strong>in</strong>, die Ausschließungsregelung aus derPerspektive des § 129 zu betrachten. Bei Rüter wird dieser Gesichtspunktnicht behandelt, was angesichts se<strong>in</strong>er Bemerkung, "der Gesetzgeber(. .. ) wäre sche<strong>in</strong>bar völlig von bestimmten Vorstellungen über die vonihm vermuteten Praktiken der BM-Verteidiger besessen gewesen"46,e<strong>in</strong>igermaßen verwunderlich ist. Verwunderlich ist allerd<strong>in</strong>gs auch dieSelbstverständlichkeit, mit der er auf Grund nur e<strong>in</strong>es Beispiels davonausgeht, daß die Ausschließungsregelung tatsächlich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie für138Verteidiger von Gefangenen, die der Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung beschuldigt s<strong>in</strong>d, gedacht war47.Als Täter im S<strong>in</strong>ne des Organisationsdelikts § 129 StGB werden auchdiejenigen angesehen, die für e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung werben odersie unterstützen.In den §§ 24748 und 258 StGB s<strong>in</strong>d die beiden Rechtsfiguren "Begünstigung"und "Strafvereitelung", die bis 1975 beide noch im ehemaligen§ 257 StGB als Begünstigung enthalten waren49, als zwei getrennteStraftaten aufgeführt. Nach § 258 macht sich strafbar, "wer absichtlichoder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß e<strong>in</strong> anderer demStrafgesetz gemäß wegen e<strong>in</strong>er rechtswidrigen Tat bestraft (. .. ) wird";gemäß Absatz 4 ist auch der Versuch bereits strafbar. Hierzu Dahs jr.:"Strafvereitelung und <strong>Verteidigung</strong> stehen damit dicht nebene<strong>in</strong>ander"so.Die <strong>in</strong> der Ausschlußregelung (§ 138a Abs. 1 StPO) aufgenommeneStrafvereitelung stellt an sich bereits e<strong>in</strong>e Blankovollmacht fürjedeerwünschte Ausschließung dar, weil die Tätigkeit e<strong>in</strong>es Verteidigers ihremCharakter nach immer auch Elemente der Straftat Strafvereitelungenthälts1 Sogar <strong>in</strong> der NS-Zeit warnte zum Beispiel Gallas davor, denVerdacht auf Strafvereitelung (damals noch Begünstigung) als Grund fürden Ausschluß e<strong>in</strong>es Verteidigers zu benutzen:"Das Gericht würde zu e<strong>in</strong>em Aufsichtsorgan, zu e<strong>in</strong>er Kontroll<strong>in</strong>stanz überden Verteidiger, härte es dank der Ausschlußdrohung praktisch <strong>in</strong> der Hand,e<strong>in</strong>e ihm genehme Art der <strong>Verteidigung</strong> durchzusetzen, jeden Widerstand desVerteidigers zu brechen"s2.In e<strong>in</strong>er Entscheidung der Anwaltskammer Berl<strong>in</strong> aus dem Jahr 1929wird die Besorgnis ausgedrückt, "daß, besonders <strong>in</strong> politisch bewegtenZeiten, gegen e<strong>in</strong>en Verteidiger schon aus se<strong>in</strong>en <strong>Verteidigung</strong>sschriftenund <strong>Verteidigung</strong>sreden der Verdacht der Begünstigung und damit derAusschließung von der <strong>Verteidigung</strong> hergeleitet werden könnte"s3.E<strong>in</strong> guter Verteidiger wird im allgeme<strong>in</strong>en fortwährend <strong>in</strong> der Nähe derstrafbaren Strafvereitelung arbeitens4, wobei die übergänge, der deutschenFachliteratur zufolge, fließend s<strong>in</strong>d und damit für den Rechtsanwaltnicht immer im voraus deutlich und zu erkennenss. So ist davonauszugehen, daß e<strong>in</strong> politisch offensiver Verteidiger von Gefangenenaus e<strong>in</strong>er sich selbst als revolutionär begreifenden Organisation, die alskrim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung verfolgt wird, schon bald riskiert, des äußerstschwierig zu objektivierenden Delikts "Unterstützung" e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung, vor allem <strong>in</strong> Form der Werbung, verdächtigt zu werdens6.Dieses Risiko erhöht sich noch, je häufiger der Rechtsanwalt, der sich mitVerletzungen rechtsstaatlicher Grundsätze konfrontiert sieht, auf Grunde<strong>in</strong>er eventuellen politischen Solidarität mit se<strong>in</strong>em Mandanten e<strong>in</strong>erseitsund <strong>in</strong>folge se<strong>in</strong>er Orientierung an rechtsstaatlichen Grundsätzenandererseits beg<strong>in</strong>nt, sich gegen die Verletzungen <strong>in</strong>nerhalb und außerhalbdes Prozesses auch politisch zu wehren.139


Alle<strong>in</strong> schon aufgrund dieser pr<strong>in</strong>zipiellen und praktischen Bedenkensche<strong>in</strong>en mir die Ausschließungsgründe des § 138a ohne Ausnahmeunakzeptabel zu se<strong>in</strong>. Auf die übrigen Bestandteile dieser Regelung wirdhier nicht mehr e<strong>in</strong>gegangen, da sie für die vorliegende Untersuchungnicht von Bedeutung s<strong>in</strong>d.Zu möglichen Alternativen kann ich mich kurz fassen, weil - wie dieBeschreibung der Diskussion über die Behandlung der Verteidiger unddie sie betreffende Gesetzgebung noch zeigen wird - dafür im Rahmenrechtsstaatlicher Grundsätze ke<strong>in</strong> Raum blieb, wenn man die mit dieserRegelung untrennbar verbundene politische Zielrichtung berücksichtigt:die möglichst baldige Ausschaltung e<strong>in</strong>er Reihe von lästigen, weil auchpolitisch engagierten Rechtsanwälten, die den bevorstehenden Prozeßgegen "Baader u. a. " <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit ihren Mandanten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enpolitischen Prozeß gegen die BRD umzufunktionieren drohten.Der Gesetzgeber war nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts<strong>in</strong> der Sache Schily aus dem Jahr 1973 genötigt, e<strong>in</strong>e Ausschließunggesetzlich zu regeln. In der Fachliteratur aus der Zeit zwischen Schily­Urteil und schneller Behandlung im Parlament Ende 1974 wurde durchausunterschiedlich auf diesen verfassungsgerichtlichen Auftrag reagierf7.Die Bandbreite der Reaktionen umfaßt die pr<strong>in</strong>zipielle Ablehnunge<strong>in</strong>er Ausschließungsregelung als nicht notwendig58 ebenso wieVorschläge, e<strong>in</strong>e "Generalklausel" zu entwerfen und den ganzen Vorgangdann der Standesgerichtsbarkeit der Rechtsanwälte zu übertragen59oder äußerst e<strong>in</strong>gegrenzte und genau def<strong>in</strong>ierte Ausschließungsgründezu entwickeln und die Beurteilung e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen Richter zuüberlassen60. Während der parlamentarischen Behandlung der Gesetzesnovelledrängte die CDU/CSU-Fraktion darauf, die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>erKontrollmöglichkeit für den schriftlichen und mündlichen Kontakt zwischenBeschuldigtem und Verteidiger zu beschließen; gedacht war diesaber nicht als Alternative zur Ausschließungsregelung, sondern vielmehrals vorgelagerter, weniger e<strong>in</strong>greifender Verfahrensabschnitt. Auch Rüterbevorzugt e<strong>in</strong>e "vernünftige" Oberwachungsregelung gegenüber derAusschließungsregelung oder zum<strong>in</strong>dest Teilen von ihr (§ 138a Abs.2)61. Der Amsterdamer Rechtsanwalt F. W. Grosheide, der als erster <strong>in</strong>den Niederlanden etwas zu diesem Thema veröffentlichte, weist jeglicheOberwachungsregelung ausdrücklich zurück62.Auch ich b<strong>in</strong> der Me<strong>in</strong>ung, daß richterliche Kontrolle des mündlichenund schriftlichen Verkehrs zwischen Anwalt und Mandant pr<strong>in</strong>zipiellabzulehnen ist, da sie das Vertrauensverhältnis zunichte macht. Grosheide:"E<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong>, der man e<strong>in</strong>en Maulkorb umhängt, ist ke<strong>in</strong>e<strong>Verteidigung</strong>"63.Immerh<strong>in</strong> wäre es möglich gewesen, an die beiden bereits bestehendenRegelungen anzuknüpfen, denen zufolge e<strong>in</strong>em Rechtsanwalt e<strong>in</strong>(vorläufiges) Berufsverbot erteilt werden kann. Auch bei Rüter f<strong>in</strong>det sich140e<strong>in</strong> Verweis auf die entsprechenden Paragraphen (§ 132a StPO, § 70StGB): E<strong>in</strong> Strafrichter kann e<strong>in</strong>em Rechtspnwalt wegen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Ausübungse<strong>in</strong>es Berufes begangenen Straftat dann e<strong>in</strong> vorläufiges Berufsverbotauferlegen, wenn es sehr wahrsche<strong>in</strong>lich se<strong>in</strong> sollte, daß derBeschuldigte im Hauptverfahren zu m<strong>in</strong>destens drei Monaten Freiheitsstrafeund im Nebenverfahren zu m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em Jahr Berufsverbotverurteilt wird. Auf die <strong>in</strong> den §§ 150 bis 152 BHAO festgelegten Bestimmungenhabe ich bereits an anderer Stelle verwiesen64; wenn gegene<strong>in</strong>en Rechtsanwalt e<strong>in</strong> standesrechtliches Verfahren anhängig ist, sokann ihm das zuständige Ehrengericht nach e<strong>in</strong>er mündlichen Anhörungund vorbehaltlich e<strong>in</strong>er mit Zweidrittelmehrheit zustande gekommenenEntscheidung e<strong>in</strong> vorläufiges Berufs- oder Vertretungsverbot auferlegen,wenn letztlichder Ausschluß aus der Anwaltschaft zu erwarten ist. Rüterhält beide Regelungen für unbrauchbar, da e<strong>in</strong>e gute Strafrechtspflegee<strong>in</strong>e Ausschließung erforderlich machen könne, ohne daß die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitbestünde, daß es zu gegebener Zeit zu den oben genanntenSanktionen komme, deren "Auferlegung nun e<strong>in</strong>mal an andereKriterien gekoppelt sei". Letzteres ist durchaus richtigund zeigt gleichzeitigauch die Richtung an, <strong>in</strong> der man eventuell hätte suchen können. Sohätte man die <strong>in</strong> den §§ 150 bis 152 BHAO enthaltenen Bestimmungenvöllig unproblematisch durch den Zusatz ergänzen können, daß dieAuferlegung e<strong>in</strong>es vorläufigen teilweisen Berufsverbots (d.h. die Ausschließungvon e<strong>in</strong>em bestimmten Verfahren) auch dann möglich ist,wenn e<strong>in</strong> teilweises Berufsverbot oder e<strong>in</strong> Berufsverbot von etwa e<strong>in</strong>emJahr zu erwarten ist. Gerade dem <strong>in</strong> § 1 BHAO festgelegten Grundsatz,Rechtsanwalt, Staatsanwalt und Richter seien als drei gleichwertige undvone<strong>in</strong>ander unabhängige Organe der Rechtspflege anzusehen, wäremit e<strong>in</strong>er solchen Ergänzungsregelung eher gedient gewesen, als dies beiden heutigen Bestimmungen der Fall ist, wo e<strong>in</strong>es dieser Organe vone<strong>in</strong>em anderen, und das auch noch relativ willkürlich, ausgeschlossenwerden kann. Falls das berufliche Auftreten e<strong>in</strong>es bestimmten Rechtsanwaltsvon e<strong>in</strong>em der Organe der Rechtspflege - e<strong>in</strong>schließlich der hierfürzuständigen Instanz der eigenen Berufsorganisation - als im Widerspruchzu e<strong>in</strong>er guten Strafrechtspflege stehend beurteilt werden sollte,wäre es nicht mehr als die konsequente Anwendung jenes Grundsatzes,wenn das beanstandete Verhalten diszipl<strong>in</strong>är, das heißt vor der eigenenBerufsgruppe und gemessen an den Kriterien e<strong>in</strong>er angemessenen Berufsausübung,behandelt würde65.Aber auch e<strong>in</strong>e solche Regelung sche<strong>in</strong>t mir noch überzogen zu se<strong>in</strong>und ke<strong>in</strong>eswegs die Verhältnismäßigkeit zu den auf dem Spiel stehendenGrundrechten und strafrechtlichen Pr<strong>in</strong>zipien zu wahren. Man könntemir entgegenhalten, daß e<strong>in</strong>e gute Strafrechtspflege doch zum<strong>in</strong>deste<strong>in</strong>e Bestimmung enthalten müsse, wie sie etwa <strong>in</strong> den Niederlanden <strong>in</strong>Artikel50 Sv. aufgenommen wurde; danach s<strong>in</strong>d der "Rechter-Commis-141


saris" (Ermittlungsrichter) während der gerichtlichen Voruntersuchungund der "Officier van Justitie" (Staatsanwalt) während der vorbereitendenErmittlungen befugt, anzuordnen, daß dem Verteidiger der Zugangzu se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>haftierten Mandanten verweigert wird oder er ihn nicht untervier Augen sprechen darf, oder auch, daß Briefe und andere Unterlagennicht ausgetauscht oder ausgehändigt werden dürfen. E<strong>in</strong>e solche Anordnungkann nur dann ergehen, wenn bestimmte Gegebenheiten denschwerwiegenden Verdacht ergeben, der freie Verkehr zwischen Anwaltund Inhaftiertem hätte entweder zur Folge, daß der Beschuldigte Informationenerhielte, die ihm im Interesse der laufenden Ermittlungenzeitweise unbekannt bleiben sollten, oder daß der Kontakt dazu mißbrauchtwürde, die "Wahrheitsf<strong>in</strong>dung" zu bee<strong>in</strong>trächtigen. Obwohl sichauch gegen diese recht schwammig formulierten Bestimmungen vieledurchaus angebrachte Bedenken anführen lassen, ist e<strong>in</strong>e solche Regelung- vorausgesetzt, sie ist an kurze Zeiträume gebunden, auf die Phaseder Voruntersuchung beschränkt und an angemessene Berufungsmöglichkeitengekoppelt - der Ausschließungsregelung immer noch vorzuziehen.Auf jeden Fall s<strong>in</strong>d so die möglichen Gründe für e<strong>in</strong>e (zeitweise)Beschränkung des Kontakts an der rechtlichen Vorbereitung der gegenden Mandanten laufenden Strafsache orientiert und nicht an Vermutungenüber unerwünschte und häufig außerhalb der Strafsache liegendeAktivitäten des Rechtsanwalts, wenn auch e<strong>in</strong>ige der <strong>in</strong> § 138a Abs. 1StPO umschriebenen Verdachtsmomente e<strong>in</strong>e Anordnung gemäß Artikel50Sv. zur Folge haben können, vorausgesetzt jedoch, die "bestimmtenUmstände", die zu solchen Vermutungen geführt haben, könnengenau def<strong>in</strong>iert werden.3.2.2. Maximal drei Wahlverteidiger (§ 137 Stpot6Zur Änderung von § 137 StPO, überraschend Ende 1974 e<strong>in</strong>gebracht,hat man bei der schriftlichen Begründung nur wenige und bei denBundestagsdebatten überhaupt ke<strong>in</strong>e Worte verloren67. Anlaß war derVerdacht, daß das Recht, sich von e<strong>in</strong>er unbegrenzten Zahl von Anwältenverteidigen zu lassen, zu "Prozeßverschleppung" oder sogar "Prozeßvereitelung"führen könne. Die <strong>in</strong>direkte Initiative g<strong>in</strong>g auch hierwiederum von der BAWaus, die schon längere Zeit behauptet hatte, derbevorstehende Prozeß <strong>in</strong> Stamm heim könne dadurch sabotiert werden,daß die für jeden e<strong>in</strong>zelnen Angeklagten auftretenden 10 bis 14 Rechtsanwälteauch tatsächlich von allen ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichenMöglichkeiten Gebrauch machen würden. Entsprechende Reaktionenblieben auch im Ausland nicht aus. So sprach etwa Grosheide von"der bewährten - so die Zeitungsberichte - ,Filibuster'-Taktik durchpausenlos redende und e<strong>in</strong>ander abwechselnde Rechtsanwälte unddemzufolge von e<strong>in</strong>er Störung der Prozeßordnung ... "68, und Rüter142lzählte langatmig auf: ,,15 Verteidiger müssen Aktene<strong>in</strong>sicht erhalten (§147 StPO), 15 Verteidigern müssen die die Angeklagten betreffendenEntscheidungen bekannt gemacht werden (§ 145 StPO), jeder Zeugeund Sachverständige kann von 15 Rechtsanwälten befragt werden (§240 StPO), 15 Verteidiger haben die Möglichkeit, nach jedem Verhöroder Verlesen e<strong>in</strong>er Prozeßakte Erklärungen abzugeben (§ 257 Abs. 2StPO) und <strong>in</strong>sgesamt könnten 15 Plädoyers der <strong>Verteidigung</strong> gehaltenwerden (§ 258 StPO). Und dies s<strong>in</strong>d dann nur e<strong>in</strong>ige wenige Beispiele"69.Weder die Bundesanwaltschaft noch die genannten Autoren konntendieses Phantombild mit konkreten Erfahrungen aus den verschiedenenbereits abgeschlossenen Prozessen gegen RAF-Mitgliederbegründen. Eshandelt sich folglich auch nur um e<strong>in</strong>e Sche<strong>in</strong> begründung, die, zum<strong>in</strong>destwas die Bundesanwaltschaft betrifft, wissentlich und willentlichaußeracht ließ, daß alle für diese Angeklagten auftretenden Rechtsanwälteauch noch anderen Gefangenen aus der RAF und ähnlichen Organisationenzur Seite standen, so daß 20 bis 30 Anwälte teilweise geme<strong>in</strong>sametwa 50 bis 80 Gefangene betreuten.Die tatsächlichen Gründe für diese Gesetzesänderung müssen deshalbauch andernorts gesucht werden, und zwar genau <strong>in</strong> dem Bestreben,die geme<strong>in</strong>same <strong>Verteidigung</strong>, die sogenannte "Blockverteidigung",durch die Neufassung des § 146 StPO unmöglich zu machen.Auch der konservative Strafverteidiger Schmidt-Leichner (der sichübrigens gegen diese Gesetzesänderung aussprach7o) kam ohne Umschweifezu der Feststellung: "Diese Bestimmung (... ) ist erkennbar aufden Fall Baader-Me<strong>in</strong>hof bezogen" und ,,(. .. ) steht im <strong>in</strong>neren Zusammenhangmit § 146 n.F. (. .. )'m.3.2.3. Verbot der "Mehrfachverteidigung" (§ 146 StPO)72Nach dem alten § 146 StPO, der fast 100 Jahre gültig war, konntenmehrere Angeklagte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Strafsache von e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samenRechtsanwalt verteidigt werden, "sofern dies der Aufgabe der <strong>Verteidigung</strong>nicht widerstreitet". Die E<strong>in</strong>schränkung bezieht sich auf die Möglichkeit,daß die Interessen der Angeklagten kollidieren können, z. B.wenn der e<strong>in</strong>e Angeklagte aussagt, er habe e<strong>in</strong>e Straftat mit se<strong>in</strong>emMitangeklagten begangen, der andere dies aber bestreitet. Durch dieÄnderung des Gesetzes wird das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gegenteil verkehrt, ohne daß im Bundestag bei der Behandlungdieser grundlegenden und weitreichenden Gesetzesänderung auchnur e<strong>in</strong> Wort darüber gefallen wäre 73.Die im Regierungsentwurf genanntespärliche Begründung läuft darauf h<strong>in</strong>aus, "daß bei der <strong>Verteidigung</strong>mehrerer Beschuldigter durch e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>schaftlichen Verteidiger<strong>in</strong> der Regel die Gefahr e<strong>in</strong>er Interessenkollision besteht. .. "74,wel-143


che durch diese Regelung von vornhere<strong>in</strong> ausgeschlossen wird. Daß beigeme<strong>in</strong>schaftlicher <strong>Verteidigung</strong> "<strong>in</strong> der Regel" die Gefahr der Interessenkollisionbesteht, ist e<strong>in</strong>e völlig unbegründete Behauptung; sie decktsich ke<strong>in</strong>eswegs mit den Erfahrungen von Strafverteidigern. Geme<strong>in</strong>schaftliche<strong>Verteidigung</strong> setzt voraus, daß sowohl der Verteidiger alsauch die Mandanten dies wünschen. Die neue Regelung, die vorgeblichdem Schutz der objektiven Interessen der Beschuldigten dienen soll,be<strong>in</strong>haltet somit e<strong>in</strong>e erhebliche Verletzung zweier Grundrechte, nämlichdie des Rechts auf freie Wahl e<strong>in</strong>es Verteidigers und die des Rechts auffreie Ausübung des (Anwalts-)Berufs. Der Gesetzgeber hat es nicht derMühe für wert befunden, die E<strong>in</strong>schränkung dieser Grundrechte gegenüberder angestrebten Verbesserung der "Effizienzdes Strafprozesses"auch nur e<strong>in</strong>em Abwägungsprozeß zu unterwerfen. Dies ist umso erstaunlicher,als e<strong>in</strong>erseits, zum<strong>in</strong>dest verbal, fortwährend auf rechtsstaatlichePr<strong>in</strong>zipien verwiesen wurde und andererseits der alte § 146 überfast 100 Jahre völlig unumstritten war. Bundesjustizm<strong>in</strong>ister Vogel bezeichnetedie Strafprozeßordnung <strong>in</strong> der Bundestagsdebatte am18.12.74 noch als die"Magna Charta des Rechtsstaats. Denn der fundamentale Unterschied zwischene<strong>in</strong>em Rechtsstaat und e<strong>in</strong>em Machtstaat offenbart sich nicht zuletztdar<strong>in</strong>, wie e<strong>in</strong> Staat mit e<strong>in</strong>em Beschuldigten, mit e<strong>in</strong>em angeklagten Bürger,umgeht, wie er die Rechte dessen ausgestaltet, dem gegenüber er von se<strong>in</strong>erStrafbefugnis Gebrauch macht (Beifall)... "75.Weiter bekannte sich der FDP-Abgeordnete Engelhard, der nachVogel zum Bundesjustizm<strong>in</strong>ister avancierte, zum"Recht des Beschuldigten, sich des Verteidigers se<strong>in</strong>es Vertrauens zu bedienen.Die freie Advokatur <strong>in</strong> ihrer historischen Entwicklung war immer e<strong>in</strong>es derwesentlichen Kennzeichen unseres Rechtsstaates. Wer <strong>in</strong> autoritären Systemenbeobachtet, daß die freie Advokatur zunächst immer E<strong>in</strong>schränkungenund Gängelungen und schließlich Unterdrückungen ausgesetzt ist, der wird biszum Äußersten mit GeneralklauseIn oder generalklauselartigen Formulierungen<strong>in</strong> diesem Bereich zurückhaltel}d se<strong>in</strong>"76.Es läßt sich nur konstatieren, daß ausdrückliche Treuebekenntnissezum Rechtsstaat mit der Beseitigung von Grundrechten e<strong>in</strong>herg<strong>in</strong>gen.Der Charakter des alten § 146 StPO beruhte auf der völlig richtigenAnnahme, daß e<strong>in</strong> Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflegebeurteilen kann und muß, ob und <strong>in</strong> welchem Ausmaß kollidierendeInteressen vorliegen, die e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>schaftlichen <strong>Verteidigung</strong> imWege stehen könnten, wenn das nicht schon se<strong>in</strong>e Mandanten selberfeststellen können. Wie <strong>in</strong> allen bürgerlich-liberalen Staaten, so s<strong>in</strong>d auchim deutschen Standesrecht Rechtsanwälte Sanktionen für die Nichtbeachtungvon Interessenkollisionen ausgesetzt77. Zusätzlich enthält dasbundesdeutsche Strafrecht e<strong>in</strong>e gesonderte Bestimmung (§ 356 StGB),<strong>in</strong> der festgelegt ist, daß die Verletzung dieser Berufsregel als "Parteiverrat"mit e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe geahndet werden kann 7S.Die Gesetzesän-144lderung zu § 146 beruht auf der Fiktion, daß e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>schaftlicherVerteidiger mehrerer Beschuldigter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Strafsache das Vertrauense<strong>in</strong>er Mandanten im allgeme<strong>in</strong>en zu Unrecht genießt, da er nicht <strong>in</strong> derLage sei, die "<strong>in</strong> der Regel" gegebenen Interessenkollisionen zu erkennenbzw. entsprechend der Berufsregel zu handeln. Folglich stehen alleRechtsanwälte, die bis zum 1.1. 75 mehrere Beschuldigte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Strafsacheverteidigt haben, unter dem Verdacht, sich wie "Parteiverräter"verhalten zu haben. Aber es geht natürlich nicht um alle Anwälte, sondernnur um die Verteidiger von Gefangenen aus der RAF oder - wieRüter formuliert - um die wichtige unausgesprochene überlegung, "dqßdie Justiz nicht mehr darauf vertraut, daß bestimmte Verteidiger (unddaß dabei an BM-Verteidiger gedacht ist, sche<strong>in</strong>t mir über jeden Zweifelerhaben) die <strong>Verteidigung</strong> mehrerer Beschuldigter im Falle kollidierenderInteressen nicht annehmen bzw. niederlegen. Ja sogar: daß e<strong>in</strong>igeVerteidiger mit dem Ziel, die Geschlossenheit der BM-Gruppe zu erhalten,auf eigene Initiativeh<strong>in</strong> oder als ausführendes Organ derjenigen BM­Beschuldigten, die von der Justiz zum harten Kern der Gruppe gerechnetwerden, ihre Schlüsselposition dazu benutzen (werden), kollidierendeInteressen unter den Tisch zu fegen sowie zu verh<strong>in</strong>dern, daß Beschuldigten,die im wörtlichen oder übertragenen S<strong>in</strong>ne von der GruppeAbstand nehmen wollen, dies auch gel<strong>in</strong>gt"79. Unter anderem bestätigtRüter hier den E<strong>in</strong>zelfallcharakter der Gesetzesänderung. In se<strong>in</strong>emBemühen, die neue Regelung zu rechtfertigen, behauptet Rüter: "Es läßtsich nicht leugnen, daß e<strong>in</strong> solcher Verdacht nicht grundlos se<strong>in</strong> kann",worauf er erneut den bereits erwähnten Rundbrief Groenewolds bemüht.Obwohl Rüter die Richtigkeit dieser Vermutung "dah<strong>in</strong> gestelltse<strong>in</strong> läßt", fährt er doch fort: "Auch anderen fällt es auf, daß die BM­Verteidiger alles nur mögliche tun, um die Kontakte der Beschuldigtenmit der Außenwelt zu monopolisieren", wobei er auf e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Maihofer­Dokumentation enthaltenes, vermutlich von der "Roten Hilfe" stammendesRundschreiben verweist. Dar<strong>in</strong> steht u. a.: "Sie - die Anwälte ­halten ihre Beziehungen zu den Genossen im Knast fest wie Privatbeziehungen,sie sitzen mit ihrem Arsch auf den Genossen und lassen niemandran"so. Abgesehen davon, daß Rüter sich dann, wenn es ihmpaßt, ohne Probleme an e<strong>in</strong>er vom Staat als "l<strong>in</strong>ksextremistisch" bewertetenOrganisation wie der "Roten Hilfe" orientiert - die Essenz se<strong>in</strong>esVorwurfs an die Adresse der Verteidiger wäre, daß sie nicht die gesamteKorrespondenz von und zwischen ihren Mandanten ohne weiteres den<strong>in</strong> der Legalität lebenden Genossen außerhalb der Gefängnisse zurVerfügung stellen würden. Hätten die Verteidiger dies getan, wäre dasfür Rüter zweifelloswieder e<strong>in</strong>e Bestätigung des seit Jahren von offiziellerSeite gepflegten Verdachts gewesen, die Verteidiger würden unter demDeckmantel der <strong>Verteidigung</strong> alle möglichen Nachrichten aus den Gefängnissenherausschmuggeln.145


Der konservative Strafverteidiger Hans Dahs jr. weist darauf h<strong>in</strong>, daßbei Abfassung des westdeutschen Grundgesetzes das Recht auf freieWahl e<strong>in</strong>es Verteidigers bewußt nicht <strong>in</strong>s Grundgesetz aufgenommenwurde, da man davon ausg<strong>in</strong>g, daß dieses Recht selbstverständlicherBestandteil allgeme<strong>in</strong>er rechtsstaatlicher Pr<strong>in</strong>zipien sei81. Ebenso wie e<strong>in</strong>Beschuldigter das Recht hat, e<strong>in</strong>en eigenen Verteidiger zu wählen undsich von se<strong>in</strong>en Mitangeklagten zu distanzieren, ja, ihnen sogar alleSchuld zuzuschieben, so hat er auch das Recht, sich <strong>in</strong> völliger übere<strong>in</strong>stimmungmit anderen Mitangeklagten zu verteidigen, wobei es naheliegt, e<strong>in</strong>e solche übere<strong>in</strong>stimmung dann auch mit Hilfe e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samenVerteidigers zur Wirkung zu br<strong>in</strong>gen. Nimmt man dies zum Ausgangspunkt,so sche<strong>in</strong>t mir der H<strong>in</strong>weis von Grosheide und Rüter, trotzdes Verbots der Mehrfachverteidigung nach § 146 sei es mit Hilfe engerZusammenarbeit zwischen e<strong>in</strong>zelnen Verteidigern immer noch möglich,e<strong>in</strong>e kollektive <strong>Verteidigung</strong> zu führen, die Tragweite des Verbots zubagatellisieren. Dies gilt umso mehr, als diese Gesetzesänderung auf die<strong>Verteidigung</strong> von Angeklagten abzielt, die wegen § 129 StGB verfolgtwerden. § 129-Verfahren betreffen aber naturgemäß immer mehrereBeschuldigte, und zwar gerade wegen der ihnen vorgeworfenen Zusammenarbeit<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe.Es ist zudem fraglich, ob e<strong>in</strong>e solch enge Zusammenarbeit zwischenVerteidigern nach der Gesetzesänderung noch die standesrechtlichenBestimmungen passieren könnte. So weist Peters darauf h<strong>in</strong>, daß § 146auch "Zwischenträgereien unter den Beschuldigten über den geme<strong>in</strong>schaftlichenVerteidiger" verh<strong>in</strong>dern so1l82. Herrmann schließt sich anund behauptet: "Diese Gefahr wird jedoch nur teilweise gebannt, dennBeschuldigte, die sich <strong>in</strong> Untersuchungshaft bef<strong>in</strong>den, können auch übere<strong>in</strong>e Kette von kooperationsbereiten Verteidigern mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dungtreten"83. In drei richterlichen Entscheidungen84, alle Beschuldigtenach § 129 betreffend, wurde § 146 deshalb auch so <strong>in</strong>terpretiert, daßdie <strong>Verteidigung</strong> mehrerer (Mit-)Angeklagter durch verschiedene Anwälteaus e<strong>in</strong>em Anwaltsbüro als unzulässig anzusehen ist. Obwohl dasBundesverfassungsgericht diese Auslegung als im Widerspruch zumGrundgesetz stehend (Artikel 12 Absatz 1 GG: freie Ausübung desBerufs85) verworfen hat, hält Isele <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Standardkommentar zurBundesrechtsanwaltsordnung an ihr fest, "selbst dann (. .. ) wenn diePraxis e<strong>in</strong>zelner Gerichte abweichen würde"86. Wenn man - wie das LGDüsseldorf87 - davon ausgeht, daß § 146 "etwaige Interessenkonfliktegenerell" verh<strong>in</strong>dern soll und nicht nur diejenigen, die sich e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnenVerteidiger stellen können, so liegt es durchaus im Bereich desMöglichen, daß auch Absprachen über e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same <strong>Verteidigung</strong>zwischen verschiedenen Verteidigern standesrechtliche Maßnahmen zurFolge haben88.E<strong>in</strong>e der e<strong>in</strong>schneidendsten Bestimmungen im Zusammenhang mit146I' i1.dieser Gesetzesänderung ist die sogenannte übergangsregelung (Art.17, 1. StVRErgG):"Ist bei Inkrafttreten dieses Gesetzes e<strong>in</strong> Verteidiger <strong>in</strong> demselben Verfahrenfür mehrere Beschuldigte tätig, so hat er auf Aufforderung des Vorsitzendendes Gerichts oder vor Erhebung der öffentlichen Klage der Staatsanwaltschaftb<strong>in</strong>nen zwei Wochen zu erklären, welchen der Beschuldigten er verteidigenwill. Macht er von se<strong>in</strong>em Auswahlrecht ke<strong>in</strong>en Gebrauch, so kann er ke<strong>in</strong>ender Beschuldigten verteidigen"."Es handelt sich um e<strong>in</strong>e unvollkommene übergangsregelung. " ",behauptet Rüter und nennt noch e<strong>in</strong>ige weitere Bedenken gegenüberder Änderung von § 146; er hält es jedoch für falsch, die Änderung ausdiesen Gründen abzulehnen. Folge der übergangsregelung war jedoch,daß Mandatsverhältnisse vom 1.1. 75 an <strong>in</strong>nerhalb von zwei Wochenbeendet werden mußten, oder, anders ausgedrückt, daß Verteidigerpartiell von Verfahren kurzfristig ausgeschlossen wurden. Während dasBundesverfassungsgericht noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Entscheidung vom 14.2.73­auf den sich Regierung und Gesetzgeber immer wieder berufen hatten ­die grundsätzliche Bedeutung der freien Verteidigerwahl und die Effizienzdes Strafprozesses zu den wesentlichen Kriterien für die Ausschließungvon Verteidigern erhoben hatte, war bei den oben genanntenAusschlußverfahren nur die Umgehung dieser Kriterien festzustellen.Die Problematik des ersten Kriteriums ist bereits ausführlich behandeltworden, und zur Anwendung des zweiten Kriteriums zitiere ich RechtsanwaltH. H. Heldmann mit e<strong>in</strong>em Beispiel aus se<strong>in</strong>er Praxis:"Mandatsanzeige89 für drei Angeklagte (ohne Interessenkollision!) am31. 10. 1974; Beiordnungsbeschluß (Pflichtverteidiger90) des Gerichts am11.11.1974; 700 Blätter Akten kopiert und studiert, Mandantenbesprechungen,Schriftsätze; drei Tage Hauptverhandlung bis zu deren Abbruch (nachdemdas Gericht sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Verfahrensfehler so unheilbar verstrickt hatte,daß selbst die sehr reputierliche Lokalpresse hohnlachte - nicht also Abbruchder Hauptverhandlung <strong>in</strong>folge ,Verfahrenssabotage' durch ,sogenannte Verteidiger');Verfügung des Gerichts vom 9.1.1975: mich zu erklären, ,welchenAngeklagten Sie <strong>in</strong> Zukunft vertreten wollen. Sollte von dem Auswahlrechtke<strong>in</strong> Gebrauch gemacht werden, können Sie ke<strong>in</strong>en der Angeklagten vertreten.Me<strong>in</strong>e Verfassungsbeschwerde liegt <strong>in</strong> Karlsruhe. Vorsorglich haben wirzwei weitere Verteidiger gesucht und auch gefunden: den e<strong>in</strong>en 100 kmnördlich, den anderen 200 km südlich vom Gerichtsort, an welchem nämlichfür die <strong>in</strong>sgesamt zehn Angeklagten, die bis Neujahr mit vier Verteidigernausgekommen waren, die nunmehr fehlenden sechs weiteren Verteidiger sichnicht gefunden hatten. Statt früher vier benötigen nun zehn e<strong>in</strong>zelne Verteidiger,die an sechs verschiedenen Orten residieren, Aktene<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong>ihren Büros.Im November schon, vor jener nach drei Tagen zusammengebrochenenHauptverhandlung, umfaßte alle<strong>in</strong> die Hauptakte 700 Blätter.Da unsere Justiz die Erf<strong>in</strong>dung von Kopiergeräten weiterh<strong>in</strong> ignoriert, werdenstets die Orig<strong>in</strong>alakten verschickt. Die Staatsanwaltschaft hat 21 Zeugen147


enannt. Die zehn Angeklagten werden mit der Hälfte auskommen. Nachme<strong>in</strong>en bisherigen Erfahrungen seit Jahresbeg<strong>in</strong>n läßt ke<strong>in</strong> Verteidiger sich dieBefragung auch nur e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen Zeugen entgehen. In e<strong>in</strong>em dieser Tageabgeschlossenen Parallelverfahren am selben Gericht mit nur sechs Angeklagtenwar bei ganztägiger Sitzung die Tageshöchstleistung: vier Zeugen.Kurzum: es ist nicht abzusehen, wie dieses Verfahren mit zehn Verteidigernaus sechs Städten und ca. 30 Zeugen jemals zu Ende kommen soll.Denn für alle zehn Angeklagten ist die <strong>Verteidigung</strong> notwendig, § 140 StPO;soweit aber die <strong>Verteidigung</strong> notwendig ist, f<strong>in</strong>det ohne Mitwirkungdes Verteidigers- also: der zehn Verteidiger - ke<strong>in</strong>e ordentliche Hauptverhandlung statt.Im Dezember 1974 hat der Gesetzgeber sich um die ,Effizienzdes Strafprozesses'verdient gemacht. Und um den Fiskus auch"91Selbstverständlich hatte der Gesetzgeber (lies: GBA und BKA) ke<strong>in</strong>eswegsdie Absicht gehabt, diese Art von Verfahren, wie Heldmann siebeschreibt, aus den Angeln zu heben. Die § 146 betreffende übergangsregelungzielte vielmehr direkt darauf ab, e<strong>in</strong>e kollektive <strong>Verteidigung</strong> imbevorstehenden <strong>Stammheim</strong>er Verfahren gegen "Baader u. a. " zu verh<strong>in</strong>dern.Die zuständigen Behörden hatten den beschlagnahmten Dokumentenohne weiteres entnehmen können, daß die dort auftretendenVerteidiger mit ihren Mandanten vere<strong>in</strong>bart hatten, daß jeder Anwaltjeden Angeklagten verteidigen werde, um die als Gruppe angeklagtenBeschuldigten auch optimal als Gruppe verteidigen, e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle undeffiziente Arbeitsteilung organisieren und die Besuche der <strong>in</strong> verschiedenenBundesländern wohnenden Verteidiger bei den über die gesamteBRD verstreut e<strong>in</strong>sitzenden Beschuldigten so ökonomisch wie möglichabwickeln zu können. Ziel der Gesetzesänderung war, die wesentlichenoch vorhandene Lücke <strong>in</strong> der Isolierung der Gefangenen, nämlich ihrekollektive <strong>Verteidigung</strong>, zu schließen. Der CDU-Abgeordnete Lenz sagtewährend der Bundestagsdebatte am 18. 12. 74: "... e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppevon etwa zwei Dutzend Anwälten ... Nur um die Bekämpfung dieserAnwälte handelt es sich hier".Juristisch bedeutete die übergangsregelung vor allem, daß das Verhältnisvon Regelfall und Ausnahme des § 146 StPO mit rückwirkenderKraft <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gegenteil verkehrt wurde. Hatte die neue Regelung dochnicht nur Geltung für Mandatsverhältnisse, die nach dem 1.1. 75 e<strong>in</strong>gegangenwurden, sondern auch für alle bereits bestehenden Mandatsverhältnisse,die e<strong>in</strong>e Mehrfachverteidigung betrafen. In den meistenRechtsstaaten ist die Möglichkeit e<strong>in</strong>es Verbots mit rückwirkender Kraftnur auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts ausdrücklich geregelt.Dieses Rechtspr<strong>in</strong>zip kann als Ausdruck des <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rechtsstaat hochbewerteten Grundsatzes der Rechtssicherheit betrachtet werden: DerBürger muß im voraus wissen können, was er vom Staat zu erwarten hat.Es ist naheliegend, daß das Pr<strong>in</strong>zip der Rechtssicherheit vor allem dasVerwaltungsrecht beherrscht, das <strong>in</strong>folge des erheblich angestiegenenund sich noch ausbreitenden staatlichen E<strong>in</strong>flusses auf allen Gebieten148I:,Ilij'I.I JtIdes sozialen Lebens immer noch wachsende Bedeutung hat. Auch diehöchste verwaltungsrechtliche Instanz <strong>in</strong> der BRD, das Bundesverwaltungsgericht,bekräftigte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Entscheidung vom 9.5.60 das "Pr<strong>in</strong>zipder Nichtrückwirkung": Rechtsstaatliches Gedankengut fordere, daß dieE<strong>in</strong>griffe staatlicher Behörden für den Bürger "meßbar und <strong>in</strong> gewissemUmfang voraussehbar und berechenbar se<strong>in</strong> sollten"92. Das Bundesverfassungsgerichterachtet im Zusammenhang mit dem Rechtssicherheitspr<strong>in</strong>zipfür den Bürger nachteilige rückwirkende Gesetze ebenfalls alsunvere<strong>in</strong>bar mit dem Rechtsstaatsgedanken. Und zwar auch dann, wennes sich um gesetzliche Maßnahmen handelt, die nur e<strong>in</strong> bestehendes,aber noch nicht beendetes Verhältnis zwischen Bürger und staatlichenBehörden für die Zukunft neu regeln, damit aber gleichzeitig die betreffendeallgeme<strong>in</strong>e Rechtsposition des Bürgers im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> negativbee<strong>in</strong>flussen. Nur dann, wenn der Bürger die netle Regelung zu demZeitpunkt, bis zu dem das Gesetz rückwirkt, hätte voraussehen können,oder dann, wenn zw<strong>in</strong>gende Gründe, die sich aus dem Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teresseergeben und höher zu bewerten s<strong>in</strong>d als das Rechtssicherheitspr<strong>in</strong>zip,die Rückwirkung rechtfertigen, besteht die Möglichkeit, ausnahmsweisevon dem Verbot der Rückwirkung abzusehen93.In e<strong>in</strong>er Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.3.7594werden die neuen §§ 137 und 146 StPO ebenso wie die übergangsregelungfür verfassungsgemäß erklärt, nach Herrmann "mit lakonischerBegründung"95, nach Dahs "z. 1. mit knapper, nahezu apodiktischerBegründung"96. Die im Regierungsentwurf enthaltene Begründung wurdevom Bundesverfassungsgericht so gut wie unverändert übernommen.Den Bedenken gegen die übergangsregelung entgegnet das Gericht:"E<strong>in</strong> etwaiges Vertrauen der Beschuldigten und Verteidiger auf den Fortbestandder alten Regelung muß jedoch h<strong>in</strong>ter dem öffentlichen Interesse zurücktreten,das - um der Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>er funktionstüchtigen Strafjustizwillen e<strong>in</strong>e möglichst weitreichende Geltung der neuen Bestimmung fordert.Gegenteilige Erwartungen der Betroffenen s<strong>in</strong>d unbegründet, weil die Stellungdes Strafverteidigers auf prozeßrechtlichen Normen beruht und das Verteidigermandatdamit zugleich unter dem Vorbehalt möglicher Änderungen desProzeßrechts steht. Prozeßrecht erfaßt aber, soweit nicht anderes bestimmt ist,vom Zeitpunkt se<strong>in</strong>es Inkrafttretens an auch anhängige Verfahren; der Bürgerkann darauf nicht vertrauen, daß es unverändert bleibt (... )".Bei Krämer f<strong>in</strong>den sich u. a. folgende Bemerkungen zu dieser Entscheidung:"Auffallend ist überhaupt, daß vielfach auf Begriffe wie ,funktionstüchtige'bzw. ,wirksame Strafrechtspflege' und ,ordnungsgemäßerVerfahrensablauf' rekurriert wird, die <strong>in</strong>haltlich unpräzise bleiben undmit durchaus unterschiedlicher Wertung verbunden werden können,m.Im Gegensatz zu Rüter lehnen die meisten bundesdeutschen Autorenden neuen § 146 auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungs-149


•gerichts ab. Schmidt-Leichner nennt den § 146 e<strong>in</strong> "Unglück sowohl fürdie Rechtspflege wie für die Anwaltschaft,,98. Herrmann zufolge greiftdiese Bestimmung "weit über das erforderliche Maß h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> die Rechteauf freie Verteidigerwahl und freie Berufsausübung e<strong>in</strong>,,99. Und Dahsstellt anläßlich der vom Bundesverfassungsgericht gehandhabten "unbestimmtenKriterien" die Frage: "Wo s<strong>in</strong>d die Markste<strong>in</strong>e die uns davorschützen, daß zur Wahrung der rechtsstaatlichen effektiv~n StrafverfolgungRegelungen nach dem Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>geführt werden: Je wenigerRechte der Verteidiger, je weniger Justizhemmung, desto mehr ordnungsgemäßer,gesicherter Verfahrensablauf und damit funktionstüchtigeStrafrechtspflege?"lOo. Ulsenheimer ist der Me<strong>in</strong>ung, man hätte es beidem alten § 146 belassen sollenlOl. E<strong>in</strong>ige dieser Autoren betonen, daßes Anwälten und Beschuldigten selbst überlassen bleiben muß, zu beurteilen,ob e<strong>in</strong>e Interessenkollision vorliegt, die nach dem neuen § 146"von vornhere<strong>in</strong>,,102 ausgeschlossen werden muß. Dies wurde von mirbereits erwähnt, ebenso die Schlußfolgerung, daß die Sche<strong>in</strong>heiligkeitder angeführten Begründung (im Interesse des Beschuldigten) wohlkaum zu übersehen ist, wenn man berücksichtigt, daß es sich um gewählteVerteidiger handelt103.Die Änderung des § 146 und die richterliche Anwendung des neuen §146 und der Ausschlußgesetzgebung hatten verheerende Auswirkungenauf die Vorbereitung der <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> den verschiedenen RAF-Prozessen,vor allem aber im <strong>Stammheim</strong>er Verfahren.Wie schon erwähnt, legte die CDU/CSU-Fraktion, anknüpfend anden ursprünglichen Regierungsentwurf, großen Wert auf die Möglichkeitder Kontrolle des Verkehrs zwischen Anwalt und Beschuldigtem mitBlick auf "etwa zwei Dutzend Anwälte" und deren Mandanten104, woraufdie SPD antwortete, die Ausschließungsgesetzgebung sei im Zusammenhangmit den neuen §§ 137 und 146 zu sehen105. Alle Parteieng<strong>in</strong>gen mehr oder weniger explizit davon aus, daß diese 20 bis 30Anwälte unter dem "dr<strong>in</strong>genden" Verdacht standen, den mündlichenund schriftlichen Verkehr mit ihren Mandanten zu mißbrauchen, umBefreiungsaktionen vorzubereiten, neue Guerillaaktionen zu ermöglichen,<strong>in</strong>dem sie als Kuriere zwischen ihren <strong>in</strong>haftierten Mandanten undderen illegalen Genossen außerhalb der Gefängnisse dienten. Geht manvon dieser Annahme aus, so ist die Haltung der CDU/CSU konsequent,denn es war immerh<strong>in</strong> möglich, daß auch nach Ausschließung e<strong>in</strong>igerVerteidiger die übrigen ungeh<strong>in</strong>dert <strong>in</strong> obigem S<strong>in</strong>n weiterarbeiten würden.Das war aber mit Hilfe der §§ 137 und 146 nicht zu verh<strong>in</strong>dern.Diese Bestimmungen sollten jedoch nach Ausschließung der am bestene<strong>in</strong>gearbeiteten, aktivsten und engagiertesten Anwälte (und welche daswaren, wußten GBA und BKA aufgrund ihres öffentlichen Auftretensund der bei Zellenrazzien und Bürodurchsuchungen beschlagnahmten<strong>Verteidigung</strong>sunterlagen), sehr wohl etwas anderes so gut wie unmöglich150machen: Die Vorbereitung e<strong>in</strong>er adäquaten <strong>Verteidigung</strong> für den unmittelbarbevorstehenden Mammutprozeß <strong>in</strong> Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>. Außerdemsollten die Koord<strong>in</strong>ation des kollektiven Hungerstreiks von etwa50 Gefangenen gegen ihre Haftbed<strong>in</strong>gungen sowie die MobilisierungderÖffentlichkeit unterbunden werden.Die Rechtsanwälte Klaus Croissant, Stuttgart, Kurt Groenewold,Hamburg, und Christian Ströbele, Berl<strong>in</strong>, waren am <strong>in</strong>tensivsten <strong>in</strong> die<strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>gearbeitet und hatten den besten überblick über die vonihnen <strong>in</strong> Richtung auf die kollektive <strong>Verteidigung</strong> koord<strong>in</strong>ierte Arbeitsteilung.Ihr Engagement war seit 1972 mit Hilfe der von GBA und BKAmanipulierten Medien als beispielhaft für "Verb<strong>in</strong>dungen, wie sie nichtdurch anwaltschaftliche Berufspflicht abgedeckt s<strong>in</strong>d" (GBA Mart<strong>in</strong> imJuni 1972) diffamiert worden. Sie hatten zudem wegen ihrer vielenBesuche im Lauf der Jahre bei Gefangenen aus der RAFam ehesten e<strong>in</strong>.eVorstellung davon, wie sich die Haftbed<strong>in</strong>gungen auf die Gesundheitihrer Mandanten auswirkten, und schließlich wußten sie mit am besten,wie ihre Mandanten über e<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong>sstrategie e<strong>in</strong>schließlich ihresWiderstands gegen die Haftbed<strong>in</strong>gungen dachten.Mitdem Ausschluß dieser Anwälte sollte <strong>in</strong> der <strong>Verteidigung</strong>sl<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>eLücke entstehen, die nicht so e<strong>in</strong>fach zu schließen se<strong>in</strong> würde. Zudemsollte ihr Ausschluß als e<strong>in</strong>schüchterndes Menetekel auf die übrigenVerteidiger im RAF-Komplex dienen. Immerh<strong>in</strong> drohte auch ihnen jederzeitdie mögliche Ausschließung ("... und damit be<strong>in</strong>ahe zwangsläufigder Ausschluß aus der Anwaltschaft", so der CDU-AbgeordneteLenz). E<strong>in</strong>e kollektive <strong>Verteidigung</strong> sollte auch unterbunden werden,damit die noch zur Verfügung stehenden Verteidiger wegen der teilweiseweiten Reisen zeitlich außerstande se<strong>in</strong> sollten, die <strong>Verteidigung</strong> mit denGefangenen abzustimmen.H<strong>in</strong>zu kommt, daß die Formulierung des neuen § 146 ("Die <strong>Verteidigung</strong>mehrerer Beschuldigter durch e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>schaftlichen Verteidigerist unzulässig") immer wieder zu der Frage führt, wann denn nuntatsächlich "geme<strong>in</strong>schaftliche <strong>Verteidigung</strong>" vorliegt und wann nicht.Dies giltvor allem für die <strong>Verteidigung</strong> von Angeklagten, die wegen § 129StGB verfolgt werden. Da im Gesetzestext von Beschuldigten und nichtvon e<strong>in</strong>em Verfahren die Rede ist, muß § 146 wie folgt gelesen werden:Die <strong>Verteidigung</strong> mehrerer Beschuldigter, die derselben Straftat verdächtigtwerden, ist unzulässig (und nicht: Die <strong>Verteidigung</strong> mehrererBeschuldigter <strong>in</strong> e<strong>in</strong> und demselben Verfahren ist unzulässig, wie es <strong>in</strong>der oben zitierten übergangsregelung heißt)106.Wann aber handelt es sich schon um genau "dieselbe Straftat"? Nachbundesdeutschem Recht s<strong>in</strong>d der prozeßrechtliche Begriff "Straftat"und der materiellrechtliche Begriff"Straftat" ke<strong>in</strong>eswegs identisch; erstererhat e<strong>in</strong>e weit größere Reichweite "und kann daher auch mehreresachlich zusammenhängende Straftaten (. .. ) e<strong>in</strong>heitlich umfassen,,107.151


•Straftatbestand improzeßrechtlichen S<strong>in</strong>n istherrschender Rechtsauffassunggemäß "der gesamte geschichtliche Vorgang, dem das <strong>in</strong> derzugelassenen Anklage aufgeführte Tun des Angeklagten entnommen ist.Dieser geschichtliche Vorgang wird <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit, also soweit ernach der Auffassung des Lebens e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle E<strong>in</strong>heit bietet, der Entscheidungdes Gerichts unterstellt, ohne daß es <strong>in</strong>soweit auf die <strong>in</strong> derAnklage hervorgehobenen E<strong>in</strong>zelvorkommnisse und ihre rechtliche Würdigungankommt"108 Die mit dem prozeßrechtlichen Begriff "Straftat"verbundene Problematik h<strong>in</strong>sichtlich der Anwendung des § 146 StPO imZusammenhang mit § 129 StGB möchte ich anhand e<strong>in</strong>es Beispiels ausme<strong>in</strong>er Praxis verdeutlichen.152Im März 1979 wurde ich gebeten, als e<strong>in</strong>er der Verteidiger <strong>in</strong> derfür April 1979angesetzten Verhandlung gegen den Rechtsanwalt Amdt Müller aufzutreten.Müller war Mitarbeiter von Croissant und seit Oktober 1977 wegen des Verdachtsder Unterstützung der RAF <strong>in</strong>haftiertIm Ihm wurde unter anderemvorgeworfen, an der Herausgabe der im Oktober 1977 bei dem schwedischenVerleger Cavefors erschienenen deutschen Ausgabe des Buchs "RAF Texte" 110mit gearbeitet zu haben. Das Buch enthält politische Analysen, Erklärungen zuAktionen, Prozeßerklärungen, Briefe und Diskussionspapiere von Mitgliedernbzw. Gefangenen aus der RAF. Dieses Buch wurde aufgrund des 1976 <strong>in</strong> Kraftgetretenen neuen § 88a StGB (verfassungsfe<strong>in</strong>dliche Befürwortung von Straftaten111nach § 129 StGB) <strong>in</strong>krim<strong>in</strong>iert. Zum gleichen Zeitpunkt waren aber auchChristoph WackemageI, Knut Folkerts und Gerd Schneider, alle im Herbst1978 von den Niederlanden an die BRD ausgeliefertll2, wegen Verdachts derMitgliedschaft <strong>in</strong> der RAF und <strong>in</strong> diesem Rahmen begangener Straftaten <strong>in</strong> derBRD <strong>in</strong>haftiert. Folkerts, Wackernagel und Schneider hatte ich geme<strong>in</strong>sam mitanderen Anwälten während ihrer mehr als e<strong>in</strong>jährigen Haft <strong>in</strong> den NiederlandenRechtsbeistand geleistet113. Es war verabredet, daß ich zu gegebener Zeit dieZulassung als Verteidiger im Prozeß gegen Wackernagel <strong>in</strong> der BRD beantragensollte. Aus Müllers Strafakte ergab sich jedoch, daß auch Wackernagel - der1976 und 1977 e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> Croissants Büro mitgearbeitet hatte - verdächtigtwerden könnte, an der Herausgabe der RAF-Texte mitgearbeitet zu haben.Angesichts des weiträumigen Begriffs "Straftat" im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es "e<strong>in</strong>heitlichengeschichtlichen Vorgangs" stellte sich die Frage, ob ich, wäre ich als Verteidigervon Müller zugelassen, nicht gleichzeitig aufgrund von § 146 die Möglichkeitverloren hätte, später Wackernagel zu verteidigen. Ke<strong>in</strong>er der mir bekanntendeutschen Rechtsanwälte konnte mir <strong>in</strong> diesem Punkt Sicherheit verschaffen.Auch alternative Möglichkeiten, etwa die Zulassung als Verteidiger von Folkertsoder Schneider, konnten als äußerst fraglich bezeichnet werden. Denn Müllerwurde auch verdächtigt, das Büro Croissant als "Rekrutierungszentrale" fürneue Mitglieder der RAF mitorganisiert zu haben. Wie absurd diese Verdächtigungvielleicht auch kl<strong>in</strong>gen mag (e<strong>in</strong> französischer Richter wies Ende 1977diesen Verdacht als Auslieferungsgrund für den Mitte 1977 nach Frankreichgeflüchteten Croissant als unbegründet zurück114), so bestand doch die Möglichkeit,daß diese Verdächtigung der Justiz e<strong>in</strong>en Ansatzpunkt bieten könnte,die illegalen Aktivitäten von Schneider und/oder Folkerts <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en ebensolchen"e<strong>in</strong>heitlichen geschichtlichen Vorgang" zu stellen.Mit Beschluß vom 26.11.75115 bestätigte das Bundesverfassungsgerichtdie Verfassungsmäßigkeit der Anwendung von § 146, "wenn mehrereBeschuldigte zwar nicht <strong>in</strong> demselben Verfahren verfolgt werden,das ihnen zur Last gelegte Verhalten aber Teil e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Tatkomplexesist". Das hohe Gericht beließ es aber nicht dabei, die zu Tagegetretene Unberechenbarkeit der Anwendung des § 146 für verfassungsgemäßzu erklären. Im selben Beschluß bestätigte es die Befugnis desStaatsanwalts, während der von ihm geleiteten Ermittlungen e<strong>in</strong>emWahlverteidiger den Zugang zu e<strong>in</strong>em Mandanten aufgrund von § 146zu verwehren: "Zur Durchsetzung des Verbots <strong>in</strong> diesem Verfahrensstadiumist bei fehlender richterlicher Zuständigkeit alle<strong>in</strong> die Staatsanwaltschaftals Herr<strong>in</strong> des Verfahrens imstande und, da sie zugleich die Interessender Beschuldigten zu wahren hat, auch geeignet". Die Staatsanwaltschafthat also das Recht, ohne Zwischenschaltung e<strong>in</strong>es Richters e<strong>in</strong>enWahlverteidiger dann, wenn ihrer Me<strong>in</strong>ung nach e<strong>in</strong>e "geme<strong>in</strong>schaftliche<strong>Verteidigung</strong>" vorliegt, de facto auszuschalten bzw. von der <strong>Verteidigung</strong>zurückzuweisen. Das wiederum hängt sowohl von der von derStaatsanwaltschaft im E<strong>in</strong>zelfallbevorzugten Interpretation des Begriffs"geme<strong>in</strong>schaftliche <strong>Verteidigung</strong>" wie auch von der beabsichtigten Zielrichtungder Ermittlungen ab. Weiter war das Bundesverfassungsgericht<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beschluß vom 26.11.75 der Auffassung, daß auch die "sukzessivegeme<strong>in</strong>schaftliche <strong>Verteidigung</strong>" unter das <strong>in</strong> § 146 ausgesprocheneVerbot fällt, das heißt: e<strong>in</strong>em Rechtsanwalt ist es nicht mehrerlaubt, e<strong>in</strong>en Beschuldigten aus e<strong>in</strong>em "e<strong>in</strong>heitlichen Tatkomplex" zuverteidigen, wenn e<strong>in</strong> anderes Mandatsverhältnis aus welchen Gründenauch immer beendet wurde. Das OLG München entschied etwa zumgleichen Zeitpunktl16, daß e<strong>in</strong> solches Verbot auch dann gelte, wenn dervorherige Mandant bereits seit langem und abschließend verurteilt se<strong>in</strong>sollte. Schließlich war das Bundesverfassungsgericht noch der Me<strong>in</strong>ung,daß § 146 mit all se<strong>in</strong>en Konsequenzen auch für denjenigen Rechtsanwaltgelte, der nur vorübergehend, etwa <strong>in</strong> Vertretung e<strong>in</strong>es anderen, e<strong>in</strong>Mandat wahrnimmt (und sollte es sich auch nur um e<strong>in</strong> Gespräch mitdem Mandanten oder e<strong>in</strong>en kurzen Auftrittvor Gericht handeln 117).Dasgilt sogar dann, wenn e<strong>in</strong> Anwalt sich nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten OrientierungsgesprächKlarheit darüber verschaffen will, ob im betreffenden Fall dieBed<strong>in</strong>gungen für e<strong>in</strong> Verbot nach § 146 vorliegen könntenll8. Aufgrunddes Gesagten sche<strong>in</strong>t mir die Behauptung gerechtfertigt, daß - aus derSicht des Beschuldigten - nicht die Ausschließungsbestimmungen wegen"dr<strong>in</strong>genden Verdachts" der Tatbeteiligung, sondern der neue § 146das schwerste gegen die Verteidiger von Gefangenen aus der RAFaufgefahrene Geschütz ist. Oder, um <strong>in</strong> der militärischen Bildersprachezu bleiben, daß die Anwendung der Ausschließungsbestimmungen dieWirkung von e<strong>in</strong>igen vernichtenden Luftbombardements auf Fe<strong>in</strong>dansammlungenha~ während die Anwendung des § 146 als Versuch gese-153


hen werden kann, fe<strong>in</strong>dliche Neugruppierungen mit Hilfe fortwährenderschwerer Artillerieangriffe zu verh<strong>in</strong>dern. In diesem Zusammenhangkommt § 137 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Beschränkung der Wahlverteidigerzahl angesichtsder ger<strong>in</strong>gen Zahl von Anwälten, die bereit und <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, sich fürdie <strong>Verteidigung</strong> von Gefangenen aus der RAF e<strong>in</strong>zusetzen, nur e<strong>in</strong>epräventive, eher polizeimäßige Funktion der Verh<strong>in</strong>derung bzw. desVerbots der Zusammenrottung zu. Dieser Paragraph war vor allem wegense<strong>in</strong>es unmittelbaren Effektsauf die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> vonBedeutung: er machte e<strong>in</strong>e wirkungsvolle Konzentration von Verteidigern<strong>in</strong> diesem zentralen Prozeß unmöglich.3.2.4. Verhandlung auch <strong>in</strong> Abwesenheit des Angeklagten (§231a StPO)Das rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zip, nach dem niemand verurteilt werdendarf, ohne daß ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich mit Hilfe e<strong>in</strong>esVerteidigers gegen die ihm zur Last gelegten Straftaten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er öffentlichenund auf Gegenrede e<strong>in</strong>gestellten Verhandlung zur Wehr zu setzen,f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> der BRD u. a. <strong>in</strong> der Bestimmung se<strong>in</strong>en positiven Niederschlag,daß grundsätzlich nur gegen e<strong>in</strong>en anwesenden Angeklagten prozessiertwerden kann, der bei schwereren Anklagen zudem von e<strong>in</strong>em Anwaltverteidigt se<strong>in</strong> muß (§§ 230 - 236 StPO). Die wichtigsten Ausnahmenvon der Anwesenheitspflicht gelten für Strafverfahren, bei denen nichtmit e<strong>in</strong>er Gefängnisstrafe zu rechnen ist (§232 StPO); <strong>in</strong> leichteren Fällen(z.B. ger<strong>in</strong>gen Vergehen oder Verstößen) kann von der Anwesenheitspflichte<strong>in</strong>es Verteidigers abgesehen werdenl19. Die Anwesenheitspflichtbetrifft die gesamte Dauer der Verhandlung und giltfür den Angeklagten,die Staatsanwaltschaft und die Richter. Sie beruht auf dem Grundsatzder "Gewährung des rechtlichen Gehörs". Dem vorsitzenden Richterstehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die Anwesenheit e<strong>in</strong>esnicht<strong>in</strong>haftierten Angeklagten sicherzustellen. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>haftierter Angeklagtermuß auf jeden Fall vorgeführt werden. Bis zum 1.1.75 war dieVerhandlung gegen e<strong>in</strong>en Angeklagten, der zur Anwesenheit verpflichtetwar, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abwesenheit nur möglich, wenn der Angeklagte auf Anordnungdes Gerichts wegen "ordnungswidrigen Benehmens" "entfernt"worden war (heute §231b StPO! § 177 GVG). übertretungen derAnwesenheitsbestimmungen führen <strong>in</strong> Revisionsverfahren zur Aufhebungdes Urteils,weile<strong>in</strong> "absoluter Revisionsgrund " vorliegt, wenn "dieHauptverhandlung <strong>in</strong> Abwesenheit der Staatsanwaltschaft, oder e<strong>in</strong>erPerson, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt stattgefunden hat" (§338 Satz 5 StP0120) ..Verglichen mit der Situation <strong>in</strong> anderen westeuropäischen Staaten istdiese an den Interessen des Angeklagten orientierte Bestimmung als sehrweitreichend zu bezeichnen. In den Niederlanden etwa ist selbst beischwersten Delikten weder die Anwesenheit des Angeklagten noch die154e<strong>in</strong>es Verteidigers Pflicht. E<strong>in</strong>e der Konsequenzen der bundesdeutschenRegelung ist, daß im Pr<strong>in</strong>zip auch dann nicht gegen e<strong>in</strong>en Angeklagtenverhandelt werden kann, wenn er zwar anwesend, aber außerstande ist,zum Beispiel wegen Krankheit, dem Verhandlungsverlauf zu folgen.Genau auf diesen Punkt zielt der neue § 231a StPO ab, der die Fortführungder Verhandlung dann erlaubt, wenn der Angeklagte sich "vorsätzlichund schuldhaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>e Verhandlungsfähigkeit ausschließendenZustand" br<strong>in</strong>gt, um dadurch "wissentlich die ordnungsgemäßeDurchführung oder Fortsetzung der Hauptverhandlung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gegenwart"zu verh<strong>in</strong>dern. An sich sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e solche Bestimmung als Ausnahmevom Anwesenheitspr<strong>in</strong>zip durchaus angemessen zu se<strong>in</strong>. Jedochauch hier läßt sich der ad hoc-Charakter der gesetzlichen Ausnahmebestimmungnicht leugnen. E<strong>in</strong>er der merkwürdig anmutenden Beiträgewährend der Bundestagsdebatte am 18. 12.74 zu dieser Gesetzesänderungstammt vom Berichterstatter des Rechtsausschusses, dem SPD­Abgeordneten Gnädiger:"Schließlich war <strong>in</strong> jüngster Zeit zu beobachten, daß e<strong>in</strong>zelne Beschuldigteund Angeklagte es unternahmen, sich durch die bewußte Herbeiführung e<strong>in</strong>esZustands der Verhandlungsunfähigkeit der Hauptverhandlung zu entziehen.Das ist auch mit dem Mittel des Hungerstreiks geschehen. Die neue Fassungder §§ 231a und b der Strafprozeßordnung verbessert die Möglichkeiten desgeltenden Rechts, Versuchen e<strong>in</strong>er vorsätzlichen Verfahrensvereitelung durche<strong>in</strong>en Angeklagten wirksam zu begegnen"l21.Folglich läßt sich § 231a StPO ohne weiteres als "Hungerstreikparagraph"bezeichnen. Er wurde unmittelbar nach dem Tod von HolgerMe<strong>in</strong>s (9.11. 74), also noch während des dritten kollektiven Hungerstreiks(13.9.74 bis 4.2.75) entworfen und e<strong>in</strong>geführt. Im Zusammenhangmit diesem Anlaß stellt sich die Frage, ob die Gesetzesänderungüberhaupt beurteilt werden kann, ohne auf die Gründe für die e<strong>in</strong>zelnenHungerstreiks, die Isolationshaftbed<strong>in</strong>gungen, <strong>in</strong>haltlich näher e<strong>in</strong>zugehen.Ist man der überzeugung, daß die auf Gefangene aus der RAFangewandte lange Isolationshaft als menschenunwürdig und zur Verhandlungsunfähigkeitführende Behandlung und der Hungerstreik e<strong>in</strong>esGefangenen als legitimes Mittel des Widerstands dagegen anzusehens<strong>in</strong>d, dann kann § 231a StPO nur als schwerwiegende negative Sanktionierungdes rechtmäßigen Widerstands gegen unrechtmäßiges Auftretenstaatlicher Behörden gesehen werden. Negativ sanktioniert wirddann die Absicht, am Prozeß als verhandlungsfähiger Angeklagter teilzunehmen:e<strong>in</strong>e Verletzung des verfassungsmäßig garantierten "Anspruchsauf rechtliches Gehör" (Artikel 102 GG).155•


•4. Anwendung der Ausschließungsgesetzgebung4.1. Premiere der "Lex Baader-Me<strong>in</strong>hof"122Das erste "Opfer" der neuen Ausschließungsgesetzgebung sollte nichte<strong>in</strong> RAF-Verteidiger,sondern der Kölner Rechtsanwalt Johannes Wilpertwerden. Er war im Januar 1975 als Verteidiger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nicht-politischenProzeß vor dem Landgericht Köln tätig123 Unerwartet wurde er mit derAnkündigung des Landgerichtspräsidenten 124konfrontiert, er werde dasOLG Köln ersuchen, Wilpert aufgrund des noch taufrischen § 138a StPOals Verteidiger von diesem Verfahren auszuschließen, da er unter demVerdacht der Strafvereitelung stehe, weil er Zeugen zugunsten se<strong>in</strong>esMandanten bee<strong>in</strong>flußt habe125. Mit Beschluß vom 5.2.75 126wurdedieses Gesuch vom OLG Köln abgelehnt, u. a. deshalb, weil von diesemMittel zur Ausschließung "behutsamer Gebrauch" zu machen sei, wieder Vorsitzende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Entscheidungsbegründung formuliertel27.4.2. Vorzeichen für die Ausschließung von Croissant, Groenewoldund StröbeleInzwischen war den eigentlichen Adressaten des § 138a StPO nochvor dem 1.1.75 deutlich gemacht worden, auf wen das Ausschließungsgesetzzuerst angewandt würde. Bereits im Beschluß des BGH vom13.8.73128, der für zulässig erklärte, daß die Justizbehörden das <strong>in</strong> denZellen von Baader, Enssl<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>s, Möller und Raspe beschlagnahmte<strong>Verteidigung</strong>smaterial auswerteten, war die Behauptung zu lesen, derInhalt des von Ströbele stammenden Rundbriefes vom 11.6.73 ergebewichtige Anhaltspunkte für die Vermutung, die Tätigkeit der Rechtsanwältediene nicht nur der <strong>Verteidigung</strong> ihrer Mandanten,"sondern dem umfassenden Austausch von Mitteilungen und Instruktionenzur Fortsetzung des gewaltsamen Kampfes gegen die bestehende grundgesetzlichgeschützte Ordnung und zur Aufrechterhaltung des organisatorischenZusammenhalts der Roten Armee Fraktion als e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung".Ähnlich lautende Formulierungen lassen sich <strong>in</strong> der Folgezeit regelmäßigauch <strong>in</strong> anderen gerichtlichen Entscheidungen wiederf<strong>in</strong>den, so etwadie wörtliche übernahme obiger BGH-Formulierung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beschlußdes OLG Stuttgart vom 16.10.74, <strong>in</strong> dem die Beschlagnahme derVerteidigerkorrespondenz von Groenewold angeordnet wurde. Wegendes <strong>in</strong> Groenewolds Büro untergebrachten Informationssystems wurdedort noch folgende Unterscheidung vorgenommen:156"Daß dieses Informationssystem nicht nur e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same <strong>Verteidigung</strong>sstrategiebewirkt, sondern auch dazu dienen soll, den organisatorischen Zusammenhaltder Gruppe zu erhalten und ihre offensiven Zielezu verwirklichen,zeigt se<strong>in</strong> Rundschreiben vom 11.7.73. "129.Bei diesem Rundbrief handelt es sich um den bereits <strong>in</strong> Abschnitt 2erwähnten Brief Groenewolds, der auch Rüter zu den gleichen Schlußfolgerungenveranlaßt hatte.E<strong>in</strong> von GBA Buback e<strong>in</strong>gereichtes identisches Gesuch für die Beschlagnahmungvon Croissants und Ströbeles Korrespondenz wurdedurch Beschluß des OLG Stuttgart vom gleichen Tag noch abgewiesen.In se<strong>in</strong>er Beschwerde vom 13. 12. 74 erklärte Buback, daß e<strong>in</strong> Verteidigerwie Croissant, der sich <strong>in</strong> Wort und Schrift der "Term<strong>in</strong>ologie desL<strong>in</strong>ksextremismus wie Isolationsfolter, Vernichtungshaft, Gehirnwäschetraktund dergleichen" bediene, der Teilnahme an der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igungse<strong>in</strong>er Mandanten dr<strong>in</strong>gend verdächtig sei. Der GBA verwies vorallem auf öffentliche Veranstaltungen <strong>in</strong> Stuttgart und München imNovember 1974, auf denen Croissant über die Motive der Gefangenenfür den damaligen Hungerstreik sowie über die Begleitumstände desTodes von Holger Me<strong>in</strong>s gesprochen hatte. Am 30.12.74 kam derZweite Senat des OLG Stuttgart unter Vorsitzvon Theodor Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g zuder Entscheidung, dem Gesuch des GBA doch noch stattzugeben. DieBegründung:"Im angefochtenen Beschluß war der Senat davon ausgegangen, beiRechtsanwalt Dr. Croissant sei e<strong>in</strong>e gewisse Bereitschaft zur Unterstützung derRAF- aber noch ke<strong>in</strong>e eigentliche Unterstützung - festzustellen; er gebrauchezwar <strong>in</strong> Wort und Schrift die Term<strong>in</strong>ologie des L<strong>in</strong>ksextremismus, lasse sichhierbei aber offenbar so sehr von Emotionen leiten, daß dieser Gebrauch nochke<strong>in</strong>er Unterstützung gleichzuachten sei. So müsse bei der gebotenen Abwägungzwischen Strafverfolgungsbedürfnis und <strong>Verteidigung</strong>s<strong>in</strong>teresse (§ 148StPO)130letzterem noch der Vorrang gegeben werden.Der Senat teilt diese Auffassung nicht mehr. Inzwischen hat sich Dr. Croissantals e<strong>in</strong>er der Hauptträger der gegen die Justiz gerichteten Kampagne - dieeben dem Zusammenhalt und der Förderung e<strong>in</strong>er unter dem Verdacht des §129 StGB stehenden Gruppe dienen soll - herausgestellt. Während desHungerstreiks zahlreicher zu dieser Gruppe zählender Häftl<strong>in</strong>ge und nach demTod des Angeschuldigten Me<strong>in</strong>s hat er sich zum Sprachrohr dieser Gruppegemacht; h<strong>in</strong>gewiesen sei nur auf Veranstaltungen <strong>in</strong> Stuttgart und Münchenim November 1974. Die am 16.10.1974 noch bestehenden Zweifel desSenats, ob es sich nur um term<strong>in</strong>ologische oder - darüber h<strong>in</strong>aus - umtatkräftige übere<strong>in</strong>stimmung und Unterstützung handle, s<strong>in</strong>d (schon) durchdiese Vorkommnisse ausgeräumt; Rechtsanwalt Dr. Croissant zählt zu denVerteidigern, bei denen gewichtige Anhaltspunkte für e<strong>in</strong>e Tatbeteiligungsprechen. Diese Erkenntnis aus Umständen zu gew<strong>in</strong>nen, die erst nach derEntscheidung vom 16.10.1974 vorgefallen s<strong>in</strong>d, ist dem Senat nicht verwehrt"131Die Begründung dieser Entscheidung istvor allem deshalb <strong>in</strong>teressant,weil aus ihr hervorgeht, daß gerade jener Senat, vor dem die Strafsachegegen "Baader u. a." verhandelt werden sollte, der Me<strong>in</strong>ung war, dieGefangenen aus der RAF könnten und müßten auch nach ihrer Verhaftungund <strong>in</strong> Gefangenschaft strafbarer Handlungen nach § 129 StGB(Fortsetzung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung ,auch aus der Haft heraus)157


verdächtigt werden. Schließlich war es nur mit e<strong>in</strong>er solchen Konstruktionmöglich, die für die Ausschließung vorgesehenen Anwälte der Teilnahmean der Straftat, derer ihre Mandanten verdächtigt werden, zu beschuldigen.Zweitens geht aus der Begründung hervor, daß der gegenüberCroissant geäußerte Verdacht der Teilnahme an der Fortsetzungsstraftatse<strong>in</strong>er Mandanten juristisch mit se<strong>in</strong>en öffentlichen Auftritten auf Veranstaltungenwährend des Hungerstreiks untermauert wird: E<strong>in</strong>Anwaltalso,der die Ansichten se<strong>in</strong>er Mandanten über ihre Haftbed<strong>in</strong>gungen und ihrenWiderstand (Hungerstreik) dagegen verdeutlicht ("Sprachrohr"!), wirddeshalb der Unterstützung derjenigen krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung verdächtigt,für die se<strong>in</strong>e Mandanten auch <strong>in</strong> der Haft aktiv se<strong>in</strong> sollen. Dabeiunterstellen die Justizorgane, daß die Hungerstreiks sich<strong>in</strong> Wahrheit nichtgegen die Haftbed<strong>in</strong>gungen richteten, sondern Teil e<strong>in</strong>er Kampagnegegen die Justiz waren, um den Zusammenhalt der Gruppe (und damit dieFortsetzung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung vom Gefängnis aus) zu festigen,und zweitens, daß die Verteidiger (<strong>in</strong> diesem Fall Croissant) dieseIntentionen bei ihrem Auftreten billigten. Die Entscheidungsbegründungmuß vor allem auch deshalb undurchsichtig bleiben, weil die zwei ihrzugrunde liegenden <strong>in</strong>e<strong>in</strong>andergreifenden komplizierten Konstruktionenund Unterstellungen nur implizitgenannt werden.E<strong>in</strong> Beschluß des BGH vom 20.1. 75 begründet die Rechtmäßigkeitder Beschlagnahme von Ströbeles Verteidigerkorrespondenz. Derschwerwiegende Verdacht, Sträbele sei Mitgliedder krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igungse<strong>in</strong>er Mandanten, wird u. a. mit den Tatsachen begründet, Sträbelenenne se<strong>in</strong>e Mandanten öffentlich "Genossen" und bezeichne sich selbstals "sozialistischen Anwalt" und "politischen Verteidiger", denn dies"spricht deutlich für e<strong>in</strong>e Solidarisierung nicht nur im Denken sondernauch im Handeln und dafür, daß der Anwalt sich <strong>in</strong> voller Kenntnis derTätigkeit und der wahren Ziele <strong>in</strong> die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung als Mitgliede<strong>in</strong>gefügt hat".Damit s<strong>in</strong>d dann die Voraussetzungen für den Ausschluß als Verteidiger,nämlich der schwere Verdacht der Beteiligung an den Mandanten zurLast gelegten Straftaten, erfüllt und von der höchsten Gerichts<strong>in</strong>stanz <strong>in</strong><strong>Strafsachen</strong> bereits im voraus bestätigt. Es blieb also nur noch, auf dasAusschließungsgesuch des GBA zu warten.Am 20.1. 75 veröffentlichte das Wochenmagaz<strong>in</strong> "Der Spiegel" e<strong>in</strong>ausführliches Interview mit den <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> e<strong>in</strong>sitzenden GefangenenBaader, Enssl<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>hof und Raspe. Inhaltlich bezog sich das Interviewvor allem auf das politische Selbstverständnis der Gefangenen und ihreHaftbed<strong>in</strong>gungen.Eswar das erstemal, daß diese Gefangenen Gelegenheiterhielten, sichdirekt zu all dem zu äußern, was seit ihrer Festnahme Mitte 1972 vonanderen über sie <strong>in</strong> der Presse geschrieben worden war. Hier der Ausschnitt,der die Verteidiger betrifft:158"Frage: Als Ihre wichtigste Hilfstruppe - so heißt es immer wieder - geltederzeit jenes Dutzend Anwälte, das dr<strong>in</strong>nen wie draußen für Kommunikationsorgt. Welche Rolle spielen Ihre Advokaten? Antwort: Die engagierterVerteidiger. Anwälte, die mit unseren Verfahren zu tun haben, politisierensich zwangsläufig, <strong>in</strong>sofern sie auf Schritt und Tritt, buchstäblich von ihremersten Knastbesuch bei e<strong>in</strong>em Gefangenen aus der RAF an, erleben, daßnichts mehr von dem, was sie als Organe der Rechtspflege e<strong>in</strong>mal für selbstverständlichhielten, noch funktioniert. Leibesvisitationen, Postkontrolle, Zellenrazzien,Hetze, Verdächtigungen, Ehrengerichtsverfahren, Krim<strong>in</strong>alisierung,psychologische Kriegsführung, maßgearbeitete Gesetze zu ihrem Ausschluß,dazu die Erfahrung unserer Sonderbehandlung, ihre völlige Ohnmacht,daran auf normalem Weg, nämlich mit juristischer Argumentationgegenüber den Gerichten, das Ger<strong>in</strong>gste zu ändern; die permanente Erfahrung,daß nicht Richter, sondern die Sicherungsgruppe Bonn und die Bundesanwaltschaftalle uns betreffenden Entscheidungen fällen - hat sie andem Widerspruch zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Rechtsstaatsfassadeund Polizeistaatswirklichkeit, zu Verteidigern des Rechtsstaats,zu Antifaschisten gemacht. Es gehört zur Countertaktik der Bundesanwaltschaft,des Bundeskrim<strong>in</strong>alamts, diese Anwälte mit uns zu identifizieren ­"Hilfstruppe", was sie nicht s<strong>in</strong>d. In dem Maß, wie die Justiz <strong>in</strong> den Verfahrengegen uns vom Staatsschutz vere<strong>in</strong>nahmt, für die Zwecke von Counter<strong>in</strong>surgency,der Vernichtungsstrategie der Bundesanwaltschaft gegen uns<strong>in</strong>strumentalisiert ist, werden Verteidiger, die von der Gewaltenteilung ausgehen,zu Sand im Getriebe der Faschisierung, zwangsläufig - und so bekämpft".Croissant hatte dieses Interview <strong>in</strong> Verhandlungen mit dem "Spiegel"vermittelt. Diese Tatsache sollte vom OLG Stuttgart <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beschlußvom 12.3.75 als Ausschließungsgrund genannt werden132. Schon am3.2.75 hatte der vorsitzende Richter des zuständigen Senats des OLGStuttgart, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, die Rechtsanwälte Croissant, Groenewold und Ströbelevon der "Pflichtverteidigung" entbunden; sie erhielten deshalb fürihre Tätigkeit von der Staatskasse ke<strong>in</strong> Geld mehr. Es stand ihnen abernoch frei, als "Wahlverteidiger" weiterzuarbeiten. Die om<strong>in</strong>öse Begründungdieser Entscheidung: Gegen sie sei "schon mehrfach <strong>in</strong> Beschlüssendes BGH und des Senats der Verdacht der Tatbeteiligung ausgesprochen(worden) ... Deshalb läßt sich nicht ausschließen, daß sie von denBestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern betroffen werdenkönnten"133.4.3. Ausschließung von CroissantAm 27.2.75 wurde der Berl<strong>in</strong>er CDU-Politiker Lorenz von der Bewegung,,2. Juni" entführt. Die Forderung, e<strong>in</strong>ige Gefangene aus dieserGuerillagruppe <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Land ihrer Wahl ausfliegen zu lassen, wurde erfüllt.Am 3.3.75 reichte der GBA das erste auf dem neuen Gesetz basierendeAusschließungsgesuch gegen e<strong>in</strong>en Anwalt aus dem RAF-Komplex159


je<strong>in</strong>. Gefordert wurde der Ausschluß Croissants als Verteidiger von AndreasBaader.Genau neun Tage später beantragte der GBA das gleiche für Groenewold.Am selben Tag beschloß der für "Baader u. a. " zuständige Senatdes OLG Stuttgart unter Leitung von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g (die Behandlung desGesuchs durch e<strong>in</strong>en anderen Senat abwartend), Croissant von der,Ausübung se<strong>in</strong>er Rechte als Verteidiger zu suspendieren. Diese Suspen­111erungwurde mit nur e<strong>in</strong>em "Vorwurf' begründet, nämlich dem, daßCroissant "am Zustandekommen des dem Nachrichtenma az<strong>in</strong> DERSPIEGEL gewa en nte iews be .. elches erkennbar e<strong>in</strong>ei stüc es revolutionären Kampfes ist, den die Angeklagten auch ausder Haft heraus fortführen,,134.Croissant habe "nicht nur die entscheidenden Verhandlungen mitdem SPIEGEL geführt, sondern auch die Fragen und Antworten unterUmgehung der Zensurvorschriften <strong>in</strong> die Zellen und aus diesen herausgebracht. Es handelt sich um e<strong>in</strong>en Beispielsfall für die mit Hilfe vonRechtsanwälten möglich gewordene Nachrichtenverb<strong>in</strong>dung der Häftl<strong>in</strong>gemit der Außenwelt, wie sie Voraussetzung der Weiterführung derkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung aus den Zellen heraus geworden ist".Mit wenigen Worten ist <strong>in</strong> diesem Beschluß die Vermittlungstätigkeitbeim Zustandekommen e<strong>in</strong>es Interviews als Beispiel für die von Anwältengeleistete strafbare Unterstützung des von ihren Mandanten fortgesetztenrevolutionären Kampfes aus der Haft heraus dekretiert.Am__1_3_. 3_._75_--...._erklärte Bundeskanzler Helmlli.Schmidt <strong>in</strong>_derSondersitzungdes Bundestags anläßlich der Lorenz-Entführung:"Die Bundesregierung erwartet, daß das ganze Instrumentarium, das unsdas Recht gibt, von den dazu Berufenen strikt und konsequent angewendetwird. Ich darf hier sagen: Ich bedaure z. B., daß der Ausschluß e<strong>in</strong>es Verteidigers,der sich, statt Organ der Rechtspflege zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> Wirklichkeitan Konspirationbeteiligt, bisher erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Fall tatsächlich angewandt wordenist oder hat angewandt werden können. Sollten sich hier ne\;le Erfahrungenund Erkenntnisse ergeben, so wird die Bundesregierung zur Prüfung bereitse<strong>in</strong>"135Und weiter Schmidt:"Es gibt <strong>in</strong>ternationale Verb<strong>in</strong>dungen der Terroristen und <strong>in</strong>ternationaleVerb<strong>in</strong>dungen ihrer Mitläufer. Die bei uns bevorstehenden Baader-Me<strong>in</strong>hof­Prozesse werden mit Sicherheit große <strong>in</strong>ternationale Kampagnen der Sympathisantenauslösen. So enannte Anwälte de chts werden aus aller Welt <strong>in</strong>die BundesrepubliK eutschlan an ereist kommen und uns ihre Philosophiever ün en. ie werden angereist kommen, um unseren Rechtsstaat vor unsererei enen öffentlichen Me<strong>in</strong>un herab wie chon ehen ist,wie es sich <strong>in</strong> Bückeburg schon abzeichnet. Die Bundesregierung muß erwarten,daß - ahnhch wie jüngst <strong>in</strong> Stuttgart e<strong>in</strong> Gericht die Zulassung e<strong>in</strong>essolchen Anwalts abgelehnt hat - solchen Kampagnen mit aller Klarheit undEntschlossenheit entgegentreten wird"136160Diese Bundestagsdebatte wurde im westdeutschen Fernsehen direktübertragen und von MillionenZuschauern verfolgt, unter denen auch ichmich als e<strong>in</strong>er jener "sogenannten Anwälte des Rechts" befand. Zu demZeitpunkt gehörte ich geme<strong>in</strong>sam mit Groenewold und Croissant der<strong>Verteidigung</strong> des im Gefängnis Bückeburg stattf<strong>in</strong>denden Prozesses gegenden Holländer August<strong>in</strong> an, der u. a. der Mitgliedschaft <strong>in</strong> der RAFangeklagt war. Der zuletzt zitierte Satz von Schmidt läßt se<strong>in</strong>e Unzufriedenheitmit der Tatsache, daß das Landgericht Osnabrück mich alsVerteidiger von August<strong>in</strong> zugelassen hatte, deutlich zum Ausdruck kommen.Croissants Reaktion auf die Äußerungen Schmidts wird mir unvergeßlichbleiben. Se<strong>in</strong>e Empörung über die mir und anderen ausländischenRechtsanwälten geltenden Verleumdungen war unvergleichlichgrößer als über Schmidts öffentlichen Aufruf an die Justiz, doch nicht nurCroissant als Verteidiger auszuschließen.Am selben Tag, dem 13.3.75, schrieb "Die Welt": "Verantwortungslosund un<strong>in</strong>telligent istjede vermenschlichende Darstellung der Terroristen".Am 16. und 17.4.75 verhandelte der 1. Senat des OLG Stuttgart überden Antrag auf Ausschließung von Croissant. Die Sitzungen des OLGfanden zum erstenmal <strong>in</strong> dem gerade fertiggestellten 15 Millionen Markteuren und speziell für die Verhandlung der Strafsache gegen "Baaderu. a." hergerichteten "Mehrzweckgebäude" des Gefängnisses Stuttgart­<strong>Stammheim</strong> statt. Zusammen mit e<strong>in</strong>igen französischen und italienischenRechtsanwälten wartete ich vergeblich vor den Schlagbäumen auf denE<strong>in</strong>laß zur öffentlichen Verhandlung. Aber auch die Verteidiger vonCroissant und Baader wurden nicht e<strong>in</strong>gelassen, weil sie nicht bereitwaren, sich und ihre Unterlagen durchsuchen zu lassen138.Zum erstenmai<strong>in</strong> der Geschichte der BRD hatte man e<strong>in</strong>e solche Anordnung für denZutritt der Verteidiger erlassen. Am 22.4.75 entschied das OLG, Croissantals Verteidiger von Andreas Baader aus drei Gründen (der vollständigeText f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Anmerkung 139) auszuschließen: 1. Croissanthabe se<strong>in</strong>en Mandanten Bernhard Braun im November 1974 für dasAbbrechen des Hungerstreiks bestraft, <strong>in</strong>dem er ihm Informationsmaterialien,die von den Anwälten über das Informationssystem an alle Gefangenenaus der RAF versandt wurden, vorenthielt; 2. Croissant habeauf e<strong>in</strong>em Diskussionsabend der "Kirchlichen Bruderschaft <strong>in</strong> Württemberg"am 8.11.74 zu e<strong>in</strong>em dreitägigen Sympathiehungerstreik zurUnterstützung der Forderungen der hungerstreikenden Gefangenen aufgerufen;3. Croissant sei beim Zustandekommen des "Spiegel"-Interviewsvermittierisch tätig gewesen.Alle drei Handlungen seien als strafbar im S<strong>in</strong>ne der Unterstützungvon Gefangenen aus der RAF als "krim<strong>in</strong>eller Vere<strong>in</strong>igung" anzusehen.Der für politische <strong>Strafsachen</strong> zuständige 3. Senat des BGH verwarfam 20.5.75 140,e<strong>in</strong>en Tag vor Beg<strong>in</strong>n des Prozesses gegen "Baader161


u. a. ", die von Croissant e<strong>in</strong>gereichte Beschwerde gegen die Ausschließungmit e<strong>in</strong>em Satz:"Der Senat tritt den Ausführungen des Oberlandesgerichts bei und fügth<strong>in</strong>zu, daß jeder dieser Sachverhalte für sich gesehen ausreicht, den zumAusschluß des Betroffenen von der Mitwirkung <strong>in</strong> dem Verfahren gegen denAngeklagten Baader führenden, dr<strong>in</strong>genden Verdacht zu begründen",In se<strong>in</strong>er Entscheidung geht das OLG Stuttgart ohne weitere Begründungdavon aus, daß die Gefangenen aus der RAF dr<strong>in</strong>gend verdächtigseien, die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung, deren vermutliche Begründer oderMitglieder sie se<strong>in</strong> sollten, aus der Haft heraus fortzusetzenl41. Weiterhatte das OLG ke<strong>in</strong>e Bedenken, zwei Gegebenheiten als Ausschließungsgründeanzuerkennen, die noch aus der Zeit vor dem Inkrafttretender Ausschließungsgesetzgebung stammten142,E<strong>in</strong>e nähere Betrachtung der drei Gründe für die Ausschließung nachdem neuen Gesetz ist aufschlußreich.ad 1: Als erstes fälltauf, daß die faktische Grundlage dieses Vorwurfsverschwommen bleibt, ganz abgesehen von dem Umstand, daß BernhardBraun verne<strong>in</strong>te, von Croissant unter Druck gesetzt worden zu se<strong>in</strong>,um den Hungerstreik weiterzuführen, und daß auch Croissant jeglicheDruckausübung abstritt. Brauns "Diszipl<strong>in</strong>ierung" me<strong>in</strong>te das OLG e<strong>in</strong>emvom 2. 11. 74 stammenden Brief Croissants an Baader entnehmenzu können. Croissant schreibt, nachdem Braun den Hungerstreik abgebrochenhatte, u. a.: "... habe ihm die 7 seiten <strong>in</strong>fo 30. 10. nicht geschickt(hoffe, daß die entscheidung richtig): schätze, daß bernie e<strong>in</strong>enbrief bekommen muß. sollte so laufen wie bei grashof. habe berniegeschrieben (das nützt natürlich nicht viel)"143,Um welche Informationen es sich handelte, wird nicht gesagt. Ebensowenigwird deutlich, ob es um die Ausführung e<strong>in</strong>er zuvor mit allenGefangenen abgesprochenen Verhaltensweise geht; kurzum, die Herausnahmee<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen Abschnitts e<strong>in</strong>es Briefes aus e<strong>in</strong>er kont<strong>in</strong>uierlichenKorrespondenz erweist sich als unzulängliches, ja unzulässigesUnterfangenl44. Croissant hatte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er vorläufigen Stellungnahmezum schriftlichenAusschließungsgesuch des GBA, <strong>in</strong> dem obige Passageangeführt wird, darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß die vom GBA vorgenommeneInterpretation unrichtig sei. E<strong>in</strong>e Interpretation hatte Croissant selbstjedoch nicht geben können, weil er damit gegen die anwaltschaftlicheSchweigepflicht verstoßen hätte. Gesetzt den Fall, es habe sich tatsächlichum e<strong>in</strong>e Diszipl<strong>in</strong>ierung Brauns gehandelt, so bleibt immer noch zufragen, wie dar<strong>in</strong> juristisch e<strong>in</strong>e Unterstützungshandlung gesehen werdenkann 145,Hierzu verweist das OLG auf die Bedeutung des Informationsmaterialsund des Hungerstreiks für die Gefangenen; der Hungerstreikhabe nicht nur dem "vordergründigen" Zielder Verbesserung derHaftbed<strong>in</strong>gungen gedient, sondern darüber h<strong>in</strong>aus "selbst auf die Gefahrder Aufopferung e<strong>in</strong>zelner Mitgliederden Zusammenhalt der Krimi-162nellen Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> der Haft stärken, evident und so zum öffentlichenWerbefaktor für ihre gewaltpolitischen Zielsetzungen machen" sollen.E<strong>in</strong>igermaßen merkwürdig mutet die Tatsache an, daß das OLG Croissantzum Vorwurf macht, Braun Informationsmaterial vorenthalten zuhaben, während <strong>in</strong> den Ausschließungsverfahren gegen Groenewoldund Ströbele gerade die Mitarbeit am Informationssystem und die Versendungvon Info-Material als Belastungsgrund angeführt wird. Weiterleuchtet nicht e<strong>in</strong>, wie e<strong>in</strong> Gericht über die Bedeutung bestimmter Informationenzwischen Verteidiger und Mandant urteilen kann, und zwarüber Verbreitung bzw. Nichtverbreitung, ohne gleichzeitig nicht auchüber Strategie und Taktik der <strong>Verteidigung</strong> - <strong>in</strong> diesem Fall der 1974noch legalen kollektiven <strong>Verteidigung</strong> - zu bef<strong>in</strong>den, Und schließlichhätte das OLG logischerweise nur dann zu der Schlußfolgerung kommenkönnen, die Diszipl<strong>in</strong>ierung Brauns wegen Abbruch des Hungerstreikssei als Unterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung anzusehen,wenn gleichzeitig davon ausgegangen wurde, daß auch der Hungerstreikselbst e<strong>in</strong>e solche Unterstützungshandlung und damit e<strong>in</strong>e strafbareHandlung darstellt. Die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, wie das OLG diesesProblem "lösen" konnte, bestand dar<strong>in</strong>, diesen Hungerstreik implizitalsStraftat zu bewerten, <strong>in</strong>dem ihm e<strong>in</strong>e andere als von den Gefangenenund ihren Verteidigern angegebene Zielsetzung unterstellt wurde.ad 2: Auch bei diesem Ausschließungsgrund ist nicht unmittelbare<strong>in</strong>sichtig, weshalb er juristisch e<strong>in</strong>e Unterstützungshandlung für e<strong>in</strong>ekrim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung se<strong>in</strong> SOlll46.Anhaltspunkte ergaben sich für dasOLG aus der Tatsache, daß Croissant <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag, <strong>in</strong> dem erauch zu e<strong>in</strong>em Sympathie-Hungerstreik aufgerufen habe, von "Vernichtungsmasch<strong>in</strong>erie","Isolationsfolter", "Vernichtungshaft" usw. gesprochenhabe, wodurch er sich qua Form und Inhalt an die Ausdrucksweisese<strong>in</strong>er Mandanten angepaßt habe, "die er mit ,Du' und demVornamen anzuschreiben pflegt". Schließlich noch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressanteRandbemerkung: Das OLG spricht anläßlich der umstrittenen Veranstaltungvom 8.11.74 von "haltlosen und von ihm übernommenenVorwürfen des Mordes an Holger Me<strong>in</strong>s", während Me<strong>in</strong>s erst am 9.November starb.ad 3: Se<strong>in</strong>e Vermittlungstätigkeit beim Zustandekommen des "Spiegel"-Interviewshat Croissant niemals abgestritten. Rüters Kommentarzu diesem Ausschließungsgrund: die Ausschließung sei nur dann zuUnrecht ausgesprochen worden, wenn Croissant "se<strong>in</strong>en Fehler e<strong>in</strong>gesehenhätte, diesen bedauert hätte und e<strong>in</strong>e Wiederholung nicht zuerwarten gewesen wäre"147. Dem verstorbenen, zu Lebzeiten aberschon legendären holländischen Rechtsanwalt D. J. Veegens (genannt"DJV"/ "De Juiste Visie", etwa "Die Richtige Sichtweise") zufolge "hatman bei dieser Entscheidung die heutige Bedeutung der der Urteilsbildungvorgelagerten Presseberichterstattung verkannt. Ermittlungs- und163


Verfolgungs<strong>in</strong>stanzen wissen die Massenmedien stets geschickter zu bespielen,vor allem die erstgenannten, wodurch der weitere Verfahrensverlaufunbestreitbar bee<strong>in</strong>flußt wird"I48. Diese von Veegens geäußerteAuffassung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Croissants beim Bundesverfassungsgericht e<strong>in</strong>gereichterund später abgewiesener Beschwerde wiederl49: "E<strong>in</strong>e Darstellungihrer Ansichten vor der Hauptverhandlung war angesichts desUmfanges und der Intensität ihrer Vorverurteilung <strong>in</strong> den Massenmedienals "re<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>elle Bande", als "Geme<strong>in</strong>e Mörder", als "Politgangster"etc. unbed<strong>in</strong>gt notwendig, um dem Klima der Vorverurteilung wenigstensansatzweise entgegenzutreten".4.4. Ausschließung von Groenewold und StröbeleDie Entscheidung, die Verteidigerrechte von Groenewold als Baader­Verteidiger zu suspendieren, traf das OLG Stuttgart unter Vorsitz vonPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g am 27.3.75 150.Diese Entscheidung wurde ausschließlich mitder Mitarbeit Groenewolds an der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kanzlei e<strong>in</strong>gerichteten Info­Zentrale begründet: "Diese ,Info-Zentrale' war der Kern des Nachrichtensystemszwischen den Häftl<strong>in</strong>gen untere<strong>in</strong>ander sowie zwischen denGefangenen und ihren Verteidigern. Sie diente aber auch der Verbreitungder auf gewaltsamen Umsturz gerichteten Ideen der Angeklagten <strong>in</strong>der Öffentlichkeit, der Gruppenschulung und der Diszipl<strong>in</strong>ierungder derRAF zugerechneten Häftl<strong>in</strong>ge. Zugleich sollte das Informationssystemden organisatorischen Zusammenhalt der Gruppe erhalten und derenkrim<strong>in</strong>elle Ziele verwirklichen". Drei Rundbriefe werden als "auffallendeBeispiele" für die oben genannten Behauptungen angeführt: 1. e<strong>in</strong>Rundschreiben vom 3.2.73, <strong>in</strong> dem Baader den Verteidigern den Auftraggegeben habe, Material zusammenzustellen und an Groenewold zuschicken, der für die weitere Verteilung an die Gefangenen sorgenwürde; 2. e<strong>in</strong> Rundschreiben vom 11.7.73, <strong>in</strong> dem Groenewold denVorschlag gemacht habe, die Namen der Gefangenen künftig <strong>in</strong> allenRundbriefen durch Zahlen zu ersetzen; 3. e<strong>in</strong> Rundschreiben vom27.8.74, aus dem deutlich hervorgehe, daß Groenewold mit den Aktivitätender Info-Zentrale bestens vertraut war.Nach der mündlichen Verhandlung des Ausschließungsantrags desGBA, die am 29.4.75 im "Mehrzweckgebäude" <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> aus dengleichen Gründen wie bei Croissant ohne Groenewold, se<strong>in</strong>e Verteidigerund Pressevertreter stattfand, beschloß der 1. Strafsenat des OLG Stuttgartam 2.5.75, Groenewold aus folgenden Gründen (vollständiger Textsiehe Anmerkung 151) von der <strong>Verteidigung</strong> auszuschließen:1641. Durch die Unterhaltung e<strong>in</strong>es umfangreichen Kommunikationsnetzes(Info-Zentrale) zwischen den an verschiedenen Orten e<strong>in</strong>sitzenden Gefangenenhabe Groenewold für den "organisatorischen Zusammenhalt" der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung gesorgt, und somit "deren Ziele gefördert", dies vor allemauch durch den mit Hilfe se<strong>in</strong>er Informationsverbreitung koord<strong>in</strong>ierten Hungerstreikvom Juni 1973.2. Ober die Informationszentrale seien auch Artikel über Waffen u.ä., dieStadtguerilla und die Organisation des Bundesgrenzschutzes verbreitet worden.3. Groenewold habe sich die Richtl<strong>in</strong>ien der <strong>Verteidigung</strong> von "Baaderu. a." vorschreiben lassen, was deutlich mache, "wie weit sich RechtsanwaltGroenewold von se<strong>in</strong>er Verteidigerposition entfernt hat und sich <strong>in</strong> das kollektiveUnterordnungsgefüge der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>bauen ließ". WeitereAnhaltspunkte für dieses Verhältnis ergäben die Tatsachen, daß Groenewoldsich, wie die anderen Anwälte auch, von se<strong>in</strong>en Mandanten habe beleidigenlassen, daß er im Februar 1973 an e<strong>in</strong>em Solidaritätshungerstreik vor demBGH teilgenommen habe und daß er nach dem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s dieJustizorgane verunglimpft habe.Mit Beschluß vom 1.8.75152 verwarf der BGH Groenewolds Beschwerdegegen die Ausschließung. Der gegen ihn vorliegende Verdachtwurde wie folgt spezifiziert:"... Diese strafbare Tätigkeit, deren der Beschwerdeführer verdächtig ist,bestand vornehmlich dar<strong>in</strong>, daß er, unter großem persönlichen E<strong>in</strong>satz undmit Energie, zwischen den gefangenen Mitgliedern der Vere<strong>in</strong>igung zur Fortsetzungvon deren Zielen e<strong>in</strong>e umfassende Kommunikation sowie die Verteilungvon Informations- und Schulungsmaterial an diese Mitglieder und zwischenihnen organisiert hat. Die Verteilung des umfangreichen Materials dientenach se<strong>in</strong>em Inhalt <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dazu, Strategie und Taktik der Guerillas - alswelche sich die Angehörigen der Vere<strong>in</strong>igung verstehen - zu entwickeln. Mitihm soll-te den Gruppenmitgliedern auch das notwendige Wissen für denbewaffneten Kampf der Stadtguerilleros vermittelt und es sollte damit dieAusarbeitung von Konzeptionen zur Fortsetzung der strafbaren Ziele undTätigkeit der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung gefördert werden".Am 16.4.75 beantragte der GBA den Ausschluß von Ströbele, demdritten frei gewählten Verteidiger Baaders. Hatte der Ausschlußantraggegen Croissant noch knappe 13Seiten umfaßt und der gegen Groenewoldimmerh<strong>in</strong> 29 Seiten, so waren es bei Ströbele <strong>in</strong>zwischen 43geworden. Wie bei Groenewold bestand die Begründung für die Ausschließungauch hier hauptsächlich aus e<strong>in</strong>er Ane<strong>in</strong>anderreihung vonZitaten, <strong>in</strong>sgesamt 43, e<strong>in</strong>ige mehrere Seiten lang, die zum Teil den 19beschlagnahmten, aus der Zeit vom 5.2.73 bis 25.3.74 stammendenRundbriefen Ströbeles an se<strong>in</strong>e Mandanten entnommen waren, zumanderen Teil aus beschlagnahmten Briefen an andere Anwälte und ausDiskussionspapieren verschiedener Gefangener stammten. Nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erTeil dieser Rundschreiben und Diskussionspapiere betraf die Prozeßvorbereitung,der größere Teilbeschäftigte sich mit den Motiven, derPlanung, dem Ablauf und den Begleitaktivitäten der verschiedenenHungerstreiks gegen die Isolationshaft. Am 6.5.75 suspendierte dasOLG Stuttgart unter Vorsitz von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g Ströbele als Verteidiger vonBaaderl53. Hier die Begründung:165


"Zahlreiche beschlagnahmte Schriftstücke erweisen, daß RechtsanwaltStröbele an e<strong>in</strong>em umfassenden Informationsaustausch zwischen den Angeklagtenuntere<strong>in</strong>ander (wobei auch s<strong>in</strong>nesverwandte Gefangene, die <strong>in</strong> andereVerfahren verstrickt s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>bezogen waren) sowie zwischen den Angeklagtenund ihren Verteidigern maßgeblich mitwirkte. Insbesondere war er an derGründung und dem Betreib e<strong>in</strong>er eigens e<strong>in</strong>gerichteten Informationszentrale("Info") wesentlich beteiligt. Diese Informationszentrale diente nicht - wieRechtsanwalt Ströbele jetzt vorbr<strong>in</strong>gt - alle<strong>in</strong> Zwecken der <strong>Verteidigung</strong>, auchnicht bei weiter (freilichimmer im Rahmen von StPO und BRAO sich haltender)Auslegung dieses Begriffes. Bei Gründung der Informationszentrale bezogsich Rechtsanwalt Ströbele weitgehend auf Pläne, die der Angeklagte Baaderentwickelt hatte (vg!. Rundbrief vom 16.6.1973). Hierdurch und durch dieweitere Mitwirkungam "Info" -System bis <strong>in</strong> die jüngste Zeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> identifizierteer sich mit dem gesamten Inhalt der weitergeleiteten Nachrichten; er kann sichhiervon jetzt nicht distanzieren und von "nicht realisierten Vorstellungen e<strong>in</strong>zelnerGefangener"(Schriftsatz vom 4.4.75, Seite 9) sprechen. Gerade dievom Angeklagten Baader entwickelten Gedanken sprechen aber für sich undbegründen den dr<strong>in</strong>genden Verdacht, vor allem dem Zusammenhalt derVere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> ihrer selbstverstandenen Rolle als revolutionärer Kerntruppe zudienen (vg!. etwa An!. 43 bis 66 zum Antrag des Generalbundesanwalts).Gleiches giltfür die durch die Informationszentrale verbreiteten überlegungenanderer Gefangener (vg!.etwa An!. 73)".Am 13.5.75 erfolgte die Ausschließung durch den 1. Senat des OLGStuttgart, wobei <strong>in</strong>haltlich die gleichen Gründe angeführt wurden wie beiGroenewold (vollständiger Text siehe Anmerkung 154).Sowohl bei Groenewold als auch bei Ströbele hatte man somit derenaktive Mitarbeit am Informationssystem (an dem sich alle Anwälte beteiligten,<strong>in</strong>dem sie z. B. Material sammelten und weiterleiteten) als schwerwiegendenAnhaltspunkt für den Verdacht der Unterstützung e<strong>in</strong>er "krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung" und schließlich als h<strong>in</strong>reichenden Grund für ihreAusschließung als Verteidiger von dem bevorstehenden Prozeß bewertet.Während sich die Anwälte weiter darauf beriefen, die Informationsverbreitungsei Teil der legalen und notwendigen <strong>Verteidigung</strong>, wennman von der damals zulässigen kollektiven <strong>Verteidigung</strong> ausgehe, so sahdas OLG Stuttgart dar<strong>in</strong> - sich dem GBA anschließend - e<strong>in</strong>e strafbareKommunikation zwischen Mitgliedern e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung. Diefür diese Beweisführung vom OLG gehandhabte Konstruktion - diewiederum dem GBA folgte - war identisch mit derjenigen, die an läßlichdes Ausschlusses von Croissant bereits ausführlich erwähnt wurde. Jedochwaren nicht die Briefe oder Diskussionspapiere selbst strafbarenInhalts gewesen, der Verdacht der Unterstützung beruhte vielmehr aufdem Verschicken dieses Materials mit dem Ziel, so die Unterstellung desOLG, den organisatorischen Zusammenhang und die Ziele e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung fördern zu wollen. Daß es sich <strong>in</strong> diesem Zusammenhangum e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung handele, ergebe sich aus derAnnahme, daß die Gefangenen aus der RAF als Gefangene und folglich166aus der Haft heraus die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung RAF fortführen würden.Diese Annahme wurde ke<strong>in</strong>eswegs mit der Vorbereitung, dem Versuchoder der Ausführung von konkreten strafbaren Handlungen im Rahmendes § 129 StGB, etwa <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit den freien Mitgliedern derRAF, begründet, sondern mit der Feststellung, daß die Gefangenen ausder RAF ihrer Ges<strong>in</strong>nung nicht abtrünnig geworden waren, und daß sieauch nach ihrer Festnahme an ihrem politischen Konzept der Stadtguerillafesthielten. Die von GBA und OLG verwendete Argumentationskettezur Ausschließung von Croissant, Groenewold und Ströbele lautetsomit:Weildie Gefangenen aus der RAFsich auch nach ihrer Festnahme weiter als- wenn auch entwaffneten - Teil der RAF betrachten, ist davon auszugehenoder liegt zum<strong>in</strong>dest der schwerwiegende Verdacht nahe, daß sie die ihrerVerhaftung zugrunde liegende Straftat aus der Haft heraus weiterh<strong>in</strong> begehen;vor allem die Hungerstreiks zielen <strong>in</strong>tern auf e<strong>in</strong>e Festigung des Zusammenhaltsdieser krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung ab und extern auf die Werbung für dieZiele dieser krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung; weil die Anwälte die Absichten ihrerMandanten kennen, sie diese aber trotzdem mit dem von ihnen besorgtenAustausch der schriftlichen Kommunikation zwischen ihnen selbst und ihrenMandanten sowie ihren Mandanten untere<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> die Lage versetzen, vorallem bei Hungerstreiks zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Verhalten zu kommen, stehendie Anwälte aufgrund dieser Kommunikation unter dem dr<strong>in</strong>genden Verdacht,die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung ihrer Mandanten zu unterstützen.Mit Hilfe e<strong>in</strong>er dreifachen juristischen Absichts-Konstruktion wurdendie Ausschließungen von Croissant, Groenewold und Ströbele begründet:die den militanten Mandanten unterstellte doppelte Absicht, auch <strong>in</strong>der Haft e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung aufrechtzuerhalten und zur Festigungdieser Vere<strong>in</strong>igung Hungerstreiks durchzuführen sowie die denAnwälten unterstellte Absicht, mit Hilfe der Weiterleitung von Informationsmaterialden Absichten ihrer Mandanten dienlich zu se<strong>in</strong>.Die folgende Passage über "artificial legal devices" und "offenseartifacts" aus Otto Kirchheimers Buch "<strong>Politische</strong> Justiz" trifft die obenerwähnte juristische Ausschließungskonstruktion genau:"Wenn Gerichte immer häufiger dazu angehalten werden, gegen politischesVerhalten e<strong>in</strong>zuschreiten, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e Schädigung der öffentlichen Ordnungerblickt wird, muß erkünstelten juristischen Konstruktionen (artificial legaldevices - BS) erhöhte Bedeutung zukommen. Als strafbare politische Handlungersche<strong>in</strong>en nicht mehr nur die zwei traditionellen Typen von Straftaten,das krim<strong>in</strong>elle Vergehen als politisches Werkzeug und das eigentliche politischeDelikt. Immer mehr bekommen es die Gerichte mit neuen Deliktfabrikaten(offense artifacts - BS) zu tun. Ke<strong>in</strong> Gesetz kann Sanktionen für alle Typendes Hande<strong>in</strong>s vorsehen, von denen vermutet werden kann, daß sie <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>erkünftigen Situation als krim<strong>in</strong>ell schädlich gelten würden. Oft genug ist<strong>in</strong>folgedessen die konkrete Tat, <strong>in</strong> der die Staatsgewalt den sträflichen Niederschlage<strong>in</strong>er staatsgefährdenden politischen Haltung oder e<strong>in</strong>es staatsfe<strong>in</strong>dlichenpolitischen Verhaltensweise sieht, nach dem bestehenden Gesetz über-167


haupt nicht strafbar oder technisch so schwer zu fassen, daß sie sich derStrafverfolgung entzieht. Was dann vor Gericht abgeurteilt werden soll, istnicht das Tun, das die Organe der Staatsgewalt unterb<strong>in</strong>den wollen, sonderns<strong>in</strong>d als stellvertretend herausgesuchte Handlungen. Nichtjedes politisch anrüchigeVerhalten läßt sich unter e<strong>in</strong> gesetzliches Verbot br<strong>in</strong>gen. Den, der sichso verhält, kann man dennoch strafrechtlich belangen, wenn er se<strong>in</strong> Verhalten- aus freien Stücken oder notgedrungen - so bekundet, daß es zum Gegenstande<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>eids- oder Beleidigungsklage gemacht werden kann"155.Für die nähere Betrachtung der Möglichkeiten und Grenzen politischer<strong>Verteidigung</strong> im gegebenen Zusammenhang ist von Bedeutung,die Diskrepanz zwischen den Gründen, mit denen die Ausschließungvon Verteidigern <strong>in</strong> der Öffentlichkeit propagiert und gefordert wurde,und den Gründen, die von der Justiz benutzt wurden, hervorzuhebenund zu analysieren. Seit 1972 waren die Anwälte immer wieder alsHandlanger ihrer Mandanten und aktive Kuriere zwischen den Gefangenenund freien RAF-Mitgliedern dargestellt worden, die zur Vorbereitung,Planung und Ausführung konkreter Guerilla-Aktionen beitrugen.In den Ausschließungsbegründungen ist von dieser öffentlichen Verleumdungnichts mehr zu f<strong>in</strong>den, vielmehr wird mittels Unterstellunge<strong>in</strong>er bestimmten Ges<strong>in</strong>nung und entsprechender Ziele und Absichtene<strong>in</strong> an sich nicht strafbares Verhalten krim<strong>in</strong>alisiert. Als Ergebnis derRufmordkampagnen, mit denen der Öffentlichkeit seit Jahren e<strong>in</strong> bestimmtesBild der Anwälte (Kuriere, Handlanger) e<strong>in</strong>gehämmert wordenwar, war es jedoch möglich, die Diskrepanz zwischen den Straftaten,deren die Anwälte anfänglich <strong>in</strong> der Öffentlichkeit "angeklagt" waren,und den im Pr<strong>in</strong>zip nicht strafbaren Motiven, die den Anwälten unterstelltwurden, zu verschleiern. So kommentierte die FAZ am 24.4.75 dieAusschließung von Croissant:"Der Gerichtsbeschluß traf e<strong>in</strong>en Baader-Me<strong>in</strong>hof-Verteidiger, dessen Nameimmer dann genannt wurde, wenn es um die sich der Gewißheit näherndenVermutungen g<strong>in</strong>g, zwischen den <strong>in</strong>haftierten Mitgliedern der Bande unddenen draußen gebe es Verb<strong>in</strong>dungen, ja BefehlsübermittIung".Die Ausschließungen wurden also nicht mit den richterlichen Begründungenlegitimiert, sondern vielmehr mit der <strong>in</strong> der Öffentlichkeit bereitsseit längerem bestehenden manipulierten Me<strong>in</strong>ung. Kirchheimer behauptet:"Der Richter ist <strong>in</strong> den meisten Fällen mit e<strong>in</strong>er Situation befaßt,die von anderen geschaffen worden ist, und gewährt oder verweigert dieLegitimierung des Geschehenen"156 ("The judge, act<strong>in</strong>g <strong>in</strong> most caseson a situation created by others, garants or withholds legitimacy").Innerhalb e<strong>in</strong>es konstitutionellen Systems ist dies se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nachdie wesentlichste Funktion e<strong>in</strong>es Richters: "Was von Gericht erwartetwird, ist jedenfalls die Legitimierung oder ,Illegitimierung' e<strong>in</strong>er bestimmtenArt des Handelns"157 ("It is as a legitimizer or an ,illegitimizer' ofparticular action patterns that the court will be asked to <strong>in</strong>tervene"). Dieoffensichtliche Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen strafrechtlichen168Vorwurf und der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung löst sich durch die "Legitimität"der Ausschließung selbst auf. Um mit Kirchheimer zu sprechen: "DieLegitimierungsautorität beruht daruaf, daß die Allgeme<strong>in</strong>heit dem Richterdie Fähigkeit zugesteht, jeder beliebigen Tat Rechtmäßigkeit zu verleihenoder abzusprechen"158 ("The ligitimizer's authority rests on thecommunity's preparedness to recognize the judge's capacity to lendlegitimacy to or withdraw it from an <strong>in</strong>dividual's act. ") Die Bedeutung derDiskrepanz spiegelt sich dann auch vor allem <strong>in</strong> dem für den zuständigenRichter bestehenden Dilemma wider, entweder an den gelten Bed<strong>in</strong>gungenstrafrechtlicher Legalität und Verfahren festzuhalten, mit e<strong>in</strong>er Zurückweisungder Anträge auf Ausschließung als Folge und damit Autoritäs-und Machtverlust, oder Sicherung von Autorität und Machte<strong>in</strong>flußmit Hilfe der E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es "offense artifact" und der Beantwortungder "community's preparedness".169


•Kapitel VI: Die "Inszenierung" (21.5.75-30.9.75)1. Das "Mehrzweckgebäude" als Schauplatz der Handlung1.1. Journalistische Impressionen"Der Schoß istfruchtbar noch,aus dem dies kroch" 1.Am ersten Sitzungstag eröffnet die "Süddeutsche Zeitung" ihre Prozeßberichterstattungmit der überschrift "Die Welt blickt nach <strong>Stammheim</strong>".Das Ergebnis dieses <strong>in</strong>ternationalen Blicksauf sogenannte Mehrzweckgebäudeals Ort der Handlung möchte ich anhand von Zitaten kurzillustrieren."Mit e<strong>in</strong>em Gerichtsgebäude hat der Ort, an dem Baader, Me<strong>in</strong>hof u. a. fürihre zahlreichen Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle zur Verantwortunggerufen werden, nichts mehr geme<strong>in</strong>", schreibt die holländische Tageszeitung"Oe Telegraaf" am 22.5. 75. "Die Gerichtsverhandlung vollzieht sich<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ungeheuerlichen Betonbunkerkomplex". Weiter stellt "Oe Telegraaf", diesmal nicht übertreibend, fest: "Die Sicherheitsvorkehrungen s<strong>in</strong>dbesonders umfangreich. Auf den Dächern s<strong>in</strong>d Soldaten zu sehen. Fernsehkamerasregistrieren alles. Helikopter halten die Umgebung im Auge. überallKontrollposten, bestehend aus Militär und Polizei- und Geheimdienstagenten"."Der Spiegel" vom 19.5.75; ". .. MEK-E<strong>in</strong>satzgruppen <strong>in</strong> Zivilwagen;berittene Polizei patroulliert <strong>in</strong> Doppelstreifen; und zu 400 Wächtern vonBund, Land, Kripo und Schutzpolizei kommt mit Prozeßbeg<strong>in</strong>n noche<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Hundertschaft Bundesgrenzschutz h<strong>in</strong>zu - nicht gerechnetdie mehr als 300 Polizisten, die <strong>in</strong> Stuttgart und Umgebung potentiellgefährdete Politiker und Justizangehörige observieren"."Het Parool" (holländische Tageszeitung) schreibt am 21.5.75: "Für12 MillionenDMistdas Gefängnis zu e<strong>in</strong>er Festung umgebaut worden, <strong>in</strong>dessen Nähe nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Vogel unbemerkt gelangen kann, wie e<strong>in</strong>Wächter dies ausdrückte. Masch<strong>in</strong>enpistolen oder Bomben können diesemfuturistisch wirkenden Strafkomplex nichts anhaben, eventuelleAnschläge hätten bei diesem aus Eisenbeton mit w<strong>in</strong>zigen Gucklöchernaus kugelsicherem Glas gebauten Komplex ke<strong>in</strong>e Chance, und als obdies noch nicht genug wäre, ist die gesamte Oberfläche auch noch durche<strong>in</strong> Netz geschützt, das eventuelle Angriffe aus der Luft abfangen soll".Die holländische Tageszeitung "Oe Volkskrant" berichtet am 22.5.75:"Der Luftraum über <strong>Stammheim</strong> ist für die Prozeßdauer geschlossen.Folglich kam es gestern morgen zu großer Aufregung... , als plötzlich e<strong>in</strong>170kle<strong>in</strong>es Sportflugzeug über dem Gefängniskomplex auftauchte. Innerhalbe<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute stiegen drei Helikopter auf, um die Verfolgung desFlugzeugs aufzunehmen. Es wurde zur Landung gezwungen. Kurz daraufwurde deutlich, daß es sich um e<strong>in</strong>en Fotografen des Landesvermessungsamteshandelte, und daß der Luftraum über <strong>Stammheim</strong> erst vomheutigen Tag an für jeglichen Flugverkehr geschlossen ist"."Oe Stern", e<strong>in</strong>e belgische Tageszeitung, schreibt am 22.5.75: "Aufdem Parkplatz hat e<strong>in</strong> ,privater' VW-Bus se<strong>in</strong>en ständigen Beobachterpostene<strong>in</strong>genommen; die dar<strong>in</strong>sitzenden Zivilbeamten kontrollieren dieNummernschilder der an- und abfahrenden Autos, obwohl der Parkplatznur nach zweifacher Kontrolle zu erreichen ist".Das "Alkazar der Rechtsprechung" ("Spiegel" vom 19.5.75) ist vone<strong>in</strong>em 2,50 Meter hohen und 580 Meter langen Zaun und von "SpanischenReitern" umgeben, dah<strong>in</strong>ter erhebt sich e<strong>in</strong>e zwei Meter hoheBetonmauer. Das Gebäude und die Umgebung werden von 54 Sche<strong>in</strong>werfernund 23 doppelten Neonlampen erhellt.Der Berichterstatter der holländischen Wochenzeitschrift "Oe GroeneAmsterdammer" schildert am 8. 10. 75: "E<strong>in</strong>e Kontrolle nach der anderen.Elektronisch bediente Schleusen. Für e<strong>in</strong>e x-beliebige Sitzung e<strong>in</strong>eröffentlichen Verhandlung muß der Paß abgegeben werden. Und als ich<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geschlossenen Kab<strong>in</strong>e mit zwei Sicherheitsbeamten me<strong>in</strong>e Hoseh<strong>in</strong>unterlasse, kommt mir doch der Gedanke: ,Ist öffentlich eigentlichnoch öffentlich?' Me<strong>in</strong>e Hose erzeugt offensichtlich Mißbilligung, da ihreNähte so dick s<strong>in</strong>d. Und da kann man ja offensichtlich alles mögliche dr<strong>in</strong>verstecken, denken die Herren, die auch me<strong>in</strong>e Geschlechtsteile sorgfältig<strong>in</strong>spizieren,obwohl der Detektor doch schon festgestellt hatte, daß ichmetallfrei b<strong>in</strong>".Die französische Tageszeitung "Le Monde" schreibt am 23.5.75: "Lepremier barrage de police se situe environ 400 metres avant l'entree.Premier contröle d'identite pendant que la voiture est soigneusementfilmee par un policier. Avant de penetrer dans la cellule, OU les deuxma<strong>in</strong>s colles au mur, il subira une fouille m<strong>in</strong>itieuse pratiquee par deuxpoliciers en civil,le journaliste accredite ne doit pas passer mo<strong>in</strong>s de troiscontröles d'identite (. .. ) Seul un blocnote et un crayon sont autorises.Tous les autres objets sont confisques pour etre rendu seulement a lasortie" ("Die erste Polizeisperre ist 400 Meter vor dem E<strong>in</strong>gang zumGerichtsgebäude postiert. Erste Ausweiskontrolle, während das Autovon e<strong>in</strong>em Polizisten genau fotografiert wird. Ehe der akkreditierte Journalist<strong>in</strong> die Durchsuchungszelle vordr<strong>in</strong>gen kann, wo er - beide Händegegen die Wand gestemmt - e<strong>in</strong>e sorgfältige Filzerei durch zwei Zivileüber sich ergehen lassen muß, hat er nicht weniger als drei Identitätsüberprüfungenh<strong>in</strong>ter sich zu br<strong>in</strong>gen. Erlaubt s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong> Notizblockund e<strong>in</strong> Bleistift.Alleanderen Sachen werden konfisziertund erst wiederam Ausgang zurückgegeben").171


Die holländische Tageszeitung "Trouw" berichtet am 22.5.75, daße<strong>in</strong> Reporter des britischen Pressebüros se<strong>in</strong>en Be<strong>in</strong>verband entfernenmußte, "um den Wächtern zu zeigen, daß sich darunter tatsächlich e<strong>in</strong>eWunde befand".Vorfälle wie der, daß e<strong>in</strong>e Frau ihre Monatsb<strong>in</strong>de entfernen mußte,veranlassen die Mailänder Zeitung "Corriere della sera" (22.5.75) zu derFrage "Tutto cio era progno necessario? 11 dubbio ci sembra piu chelegittimo" ("War das alles wirklich notwendig? Der Zweifel sche<strong>in</strong>t mehrals gerechtfertigt").Ober die Verhandlung im "Mehrzweckgebäude" berichtet die PariserRechtsanwält<strong>in</strong> Irene TerreI im "Quotidien de Paris" am 10.7.75: ,,(. .. )seule carte d'identite, je me retrouve devant une autre porte tournantequi me propulse dans une sorte de hall. La salle d'audience est impressionnante:c'est un immense theatre blanc, sans fenetres, aux lumieresblafardes. Dans cet espace technique et dos, le spectateur, prive de sesobjets familiers, perd deja un peu de son identite, de sa perceptionhabituelle des mouvements et des choses. A travers cette sensation, ilentrevoit ce que serait ['isolement sensoriel a long terme dans cetteatmosphere aseptisee, oi les mots, les gestes et les signes passent toujoursau crible des techniques. L'audience s'ouvre avec le ballet macabre etbouffon des juges, vetus de noir, qui arrivent a port cadence, sur leurestrade. A gauche, drapes dans une robe mauve pale, se tiennent lesquatre procureurs federaux, derriere une m<strong>in</strong>ce paroi de verre, sorted'hygiaphone agrandi. Devant eux, les avocats d'office semblent fairecorps avec l'accusation. A droite, les accuses: Ulrike Me<strong>in</strong>hof, GudrunEnssl<strong>in</strong>, Andreas Baader et Jean-Carl Raspe; quatre visages blafards,defaits, m<strong>in</strong>es par une longue et particuliere detention. Devant eux lesavocats choisis" (". .. Nachdem man mir alles weggenommen hat, e<strong>in</strong>schließlichdes e<strong>in</strong>zigen Ausweispapiers, komme ich zu e<strong>in</strong>er anderenDrehtüre, die mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art von Halle schiebt. Der Verhandlungssaalist bee<strong>in</strong>druckend: Es ist e<strong>in</strong> riesiger weißer Theatersaal, fensterlos, mitfahler Beleuchtung. In diesem technischen und geschlossenen Raumverliert der Zuschauer, se<strong>in</strong>er vertrauten persönlichen Sachen beraubt,schon e<strong>in</strong> wenig von se<strong>in</strong>er Identität und se<strong>in</strong>er normalen Wahrnehmungvon Bewegungen und D<strong>in</strong>gen. Durch dieses Gefühl beg<strong>in</strong>nt er zu begreifen,was Langzeitisolation <strong>in</strong> dieser künstlichen aseptischen Atmosphärebedeutet, wo Worte, Gesten und Zeichen ständig den Filter der Technikpassieren. Die Verhandlung wird durch das makabre und absurde Ballettder Richter eröffnet, die, ganz <strong>in</strong> Schwarz gekleidet, <strong>in</strong> gemessenerHaltung auf ihrem Podium ankommen. L<strong>in</strong>ks stehen die vier Bundesanwälte,<strong>in</strong> malvenfarbene Roben gekleidet, h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er dünnen Trennwandaus Glas, e<strong>in</strong>er Art vergrößerter Sprechscheibe. Vor ihnen sche<strong>in</strong>endie Pflichtverteidiger Teil der Anklage zu se<strong>in</strong>. Rechts die Angeklagten:Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Gudrun Enssl<strong>in</strong>, Andreas Baader und Jan Carl172Raspe; vier bleiche Gesichter, ausgezehrt, gezeichnet von e<strong>in</strong>er langenund besonderen Haft. Vor ihnen die Wahlverteidiger")."De Stem" vom 22.5.75 ergänzt: "Im Sitzungssaal wird die fast greifbareSpannung noch durch die mit Masch<strong>in</strong>enpistolen ausgerüstetenPolizisten erhöht, die man h<strong>in</strong>ter den Verschanzungen auf den hohenBalkonen weiß, die man aber nicht sieht ... ". Der Berichterstatter derZeitung "Trouw" sieht sie sehr wohl; am 25.6.75 schreibt er: "L<strong>in</strong>ksh<strong>in</strong>ten im Saal, über dem Publikumse<strong>in</strong>gang, e<strong>in</strong>e Balkonbrüstung. Dortsitzen die Scharfschützen. Viervon ihnen s<strong>in</strong>d zu sehen. Ansonsten ke<strong>in</strong>eWaffen bei den Polizeibeamten. Zahlreiche Zivil-und/oder Staatsschutzbeamte... ". In der westdeutschen Presse ist die Berichterstattung überdie äußeren Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen der Prozeß stattf<strong>in</strong>det, im allgeme<strong>in</strong>enwesentlich zurückhaltender als <strong>in</strong> der ausländischen und <strong>in</strong>sgesamtgesehen eher unkritisch, obschon sich im "Spiegel", der "FR" undder "FAZ" gelegentlich kritische Anmerkungen f<strong>in</strong>den lassen. "Die aufwendigstenSicherheitsvorkehrungen, die jemals e<strong>in</strong>em Prozeß <strong>in</strong> derBundesrepublik zuteil wurden, müssen reichlich abschreckend gewirkthaben. Anders läßt es sich kaum erklären, daß am Mittwoch um siebenUhr erst etwa 20 Leute vor dem <strong>Stammheim</strong>er Gefängnis warteten, alse<strong>in</strong> Wachposten vom Dach herunter se<strong>in</strong>em Kollegen an der Besucherpfortedurch das Megaphon zurief: ,Sie können aufmachen!' Bis zumBeg<strong>in</strong>n der Gerichtsverhandlung hatten sich kaum die 120 Besuchere<strong>in</strong>gefunden, die außer 81 Journalisten h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelassen werden sollten"("FAZ" vom 22.5.75). Der "Spiegel" schreibt am 19.5.75: "Ist also dieeigens konstruierte Trutzburg auf dem ehemaligen schwäbischen Rübenackernur mehr e<strong>in</strong> Reflex auf e<strong>in</strong> außerordentliches Sicherheitsrisiko- oder nicht schon Beton gewordenes Vorurteil? Kann e<strong>in</strong>e Justiz, diesich für die Dauer der Verhandlung quasi selber mit e<strong>in</strong>sperren muß,anders bef<strong>in</strong>den als gegen die Angeklagten, die das alles bewirkt haben?"Die mit dieser Art äußerlicher justizieller Repression verbundeneProblematik br<strong>in</strong>gt die "London Times" am 21.5.75 zu der zentralenFrage: "Die e<strong>in</strong>zige Frage, die zu beantworten übrig bleibt, lautet, obunter den Bed<strong>in</strong>gungen des Belagerungszustandes e<strong>in</strong> fairer Prozeßmöglich ist". Für den englischen "The Economist" vom 17.5.75 ist dieAntwort auf diese Frage nicht mehr offen. "Unter den gegebenen Umständenist es schwer zu begreifen, wie die Modalitäten des Verfahrens <strong>in</strong>der <strong>Stammheim</strong>er Festung so beurteilt werden können, daß sie e<strong>in</strong>enProzeß im anerkannten S<strong>in</strong>ne des Wortes begründen. Niemand beklagtsich über die Mißachtung des Gerichts. Was Zeitungen angeht, wirdMördern und nicht mutmaßlichen Mördern der Prozeß gemacht. DerZweck der besonderen Verfahrensweise hat weniger mit der Ermittlungvon Schuld und Unschuld zu tun, als damit, die Länge der zu verhängendenStrafen zu bestimmen".173


1.2. Die juristische ProblematikE<strong>in</strong>ige Presseberichte haben die mit dem "Mehrzweckgebäude" alsSchauplatz der Handlung verbundenen juristischen Probleme bereitsangedeutet. Vom strafprozeßrechtlichen Standpunkt aus gesehen mußdie Verhandlung e<strong>in</strong>es Strafprozesses auf dem Areal e<strong>in</strong>es Gefängnisses,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für ihn gebauten und e<strong>in</strong>gerichteten Gerichtsgebäude, dasparamilitärisch abgesichert ist, die Frage aufwerfen, ob e<strong>in</strong> solcher Prozeßnoch den Anforderungen an e<strong>in</strong> "fair and public hear<strong>in</strong>g"Z, an e<strong>in</strong>efaire und öffentliche Verhandlung, genügen kann. Weiter läßt sich fragen,ob Richter, die sich dort für längere Zeit "quasi selber mit e<strong>in</strong>sperren",nicht selbst den äußeren Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unabhängigen Haltunggegenüber der Exekutive aufgegeben haben, e<strong>in</strong>mal abgesehen vondem E<strong>in</strong>fluß, den e<strong>in</strong>e solche Umgebung auf die dort Anwesendenausüben muß. Und schließlich sche<strong>in</strong>t mir e<strong>in</strong>e solche Prozeßumgebungim Widerspruch zur grundgesetzlich garantierten Unschuldsvermutungzu stehen3.Unter anderem wegen dieser Gesichtspunkte ersuchte die <strong>Verteidigung</strong>zu Beg<strong>in</strong>n des Prozesses um die Verlegung der Verhandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>normales Gerichtsgebäude <strong>in</strong> Stuttgart4. Die Reaktion der BAW daraufwar kurz5: Die Gewalttaten aus jüngster Zeit würden deutlich machen,daß die Sicherheitsvorkehrungen, die sich <strong>in</strong> nichts von denen aufFlughäfen unterschieden, äußerst notwendig seien, und zwar nicht nurzum Schutz der Prozeßtei<strong>in</strong>ehmer, sondern gerade auch zum Schutz derÖffentlichkeit des Prozesses.In der ebenso knappen Zurückweisung des Antrags seitens des Gerichts6hieß es, das normale Gerichtsgebäude sei zu kle<strong>in</strong> und stünde fürdie zu erwartende Prozeßdauer nicht zur Verfügung; das Sicherheitsrisikowurde mit dem Mord an dem Westberl<strong>in</strong>er Richter von Drenckmannim November 1974, der Entführung des CDU-Politikers Lorenz im März1975 und dem Angriff auf die westdeutsche Botschaft <strong>in</strong> Stockholm imApril 1975 begründet. Die strafprozeßrechtlichen Bedenken wurdenohne nähere Begründung als nicht zutreffend zurückgewiesen.Während der mündlichen Verhandlung über den Antrag der <strong>Verteidigung</strong>kam es zwischen <strong>Verteidigung</strong> und BAW zu e<strong>in</strong>er kurzen undheftigen Diskussion über die rechtliche Grundlage für das Abhalten e<strong>in</strong>erGerichtsverhandlung außerhalb der normalen Gerichtsgebäude7.Die BAWkonnte auf e<strong>in</strong>e Entscheidung des BGH verweisen, <strong>in</strong> der esheißt, das Gerichtsverhandlungen "aus Zweckmäßigkeitsgründen nachErmessen des Gerichts auch außerhalb des Gerichtssitzes möglich"s<strong>in</strong>d8. Die <strong>Verteidigung</strong> me<strong>in</strong>te, daß mit der BGH-Entscheidung der Baue<strong>in</strong>es speziellen Gebäudes für e<strong>in</strong>en bestimmten Prozeß niemals zurechtfertigen sei, daß das Gericht sich darüber h<strong>in</strong>aus von der ausführen-174den Gewalt vor vollendete Tatsachen habe stellen lassen, da man mit demBau des kostspieligen Gefängnisflügels bereits vor E<strong>in</strong>reichung der Anklageschriftbeim OLG Stuttgart Ende September 1974 begonnen habe, alsoffiziellnoch nicht feststand, daß das OLG Stuttgart diesen Prozeß zuverhandeln habe. Auch <strong>in</strong> den Niederlanden hat 1978 - me<strong>in</strong>es Wissenszum erstenmal seit der Gründung des Königreiches - e<strong>in</strong>e "öffentliche"Verhandlung nach <strong>Stammheim</strong>er Muster stattgefunden. Es g<strong>in</strong>g um denGefangenen aus der RAF, Knut Folkerts, der im September 1977 <strong>in</strong>Utrecht verhaftet worden war. Folkerts war bei der Rückgabe e<strong>in</strong>esMietwagens von e<strong>in</strong>em großen versteckten Polizeiaufgebot erwartetworden. Die Falle war nach Rücksprache mit dem BKA aufgebaut worden,nachdem bei e<strong>in</strong>em ähnlichen früheren Vorfall <strong>in</strong> Den Haag derFahrer e<strong>in</strong>es Mietautos hatte entkommen können. Daraufh<strong>in</strong> angestellteErmittlungen wiesen auf die RAF-Zugehörigkeit des Geflohenen,und dieMöglichkeit e<strong>in</strong>er ähnlichen Leihwagenanmietung <strong>in</strong> Utrecht h<strong>in</strong>. BeiFolkerts Verhaftung kam während des Schußwechsels e<strong>in</strong> Polizist umsLeben, e<strong>in</strong> anderer wurde schwer verwundet.Die Verhandlung gegen Folkerts fand im Dezember 1977 <strong>in</strong> Utrechtnoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em "normalen" Gerichtsgebäude statt, es war jedoch für denProzeß völliggeräumt und abgesichert worden. Auch die Behandlung desersten Auslieferungsgesuchs der BRD an die Niederlande fand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emgenauso präparierten Gerichtsgebäude <strong>in</strong> Maastricht statt, wo Folkertsdamals e<strong>in</strong>saß. Die Verhandlung über e<strong>in</strong>en weiteren Antrag zurAuslieferungwurde dann vom zuständigen Gericht im Maastrichter Gefängnisterm<strong>in</strong>iert.Am 22.8.78 lag dem Maastrichter Gerichtspräsidenten e<strong>in</strong> AntragFolkerts auf e<strong>in</strong>stweilige Verfügung gegen die Abhaltung der Verhandlungim Gefängnis vor. E<strong>in</strong>en Tag später entschied der Präsident, daß dieAnordnung geltendem Recht ke<strong>in</strong>eswegs widerstreite; im übrigen g<strong>in</strong>g ernur noch auf das Problem der Öffentlichkeit der Verhandlung e<strong>in</strong>. Dazuwurde e<strong>in</strong>e lapidare überlegung vorgetragen: "Nach unserem Ermessenliegen ke<strong>in</strong>erlei Gründe vor, bereits im voraus anzunehmen, daß sichbezüglich der abzuhaltenden Gerichtssitzung im Zusammenhang mit dererforderlichen Öffentlichkeit der Sitzung e<strong>in</strong> unrechtmäßiger Zustandergeben wird. Im übrigen s<strong>in</strong>d wirder Me<strong>in</strong>ung, daß wiruns diesbezügliche<strong>in</strong>es Urteilszu enthalten haben. Die Beurteilung der Frage der Öffentlichkeitist ansonsten Bestandteil des Auslieferungsverfahrens selbst"9.Die Herstellung der Öffentlichkeit hatte man wie folgt geregelt: Am10.8.78 teilte der Gerichtsschreiber durch Anzeigen <strong>in</strong> sieben überregionalenund zwei regionalen Zeitungen mit, daß für die vorhandenen 34Sitzplätze E<strong>in</strong>trittskarten <strong>in</strong> der Reihenfolge der Anmeldungen zugeteiltwürden. Von den 32 Antragstellern erschienen 19, unter ihnen sechsJournalisten. Die freigebliebenen Plätze wurden bis zum Beg<strong>in</strong>n derSitzung für die übrigen Antragstellerreserviert gehalten. Nach Sitzungsbe-175


g<strong>in</strong>n wurden aus "Sicherheitsgründen" ke<strong>in</strong>e Zuschauer mehr zugelassenlO.Infolgedessen mußten etwa 20 vor dem Gefängnis wartendeZuschauer 11 wieder nach Hause gehen. Die sechs Journalisten durften<strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>en Sitzungssaal, die übrigen 13 Zuschauer mußten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enNachbarraum, der e<strong>in</strong>e offene Verb<strong>in</strong>dung zum Sitzungssaal hatte undmit Monitoren ausgestattet war. Im schmalen Verb<strong>in</strong>dungsflur lagertenschwerbewaffnete Angehörige der Mobilen E<strong>in</strong>heit der Rijkspolitie12.Die<strong>Verteidigung</strong> stellte <strong>in</strong> der Verhandlung nochmals den Antrag, die Sitzung<strong>in</strong> e<strong>in</strong> normales Gerichtsgebäude zu verlegen. Nach e<strong>in</strong>er kurzenAusführung, warum das Abhalten der Gerichtsverhandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emGefängnis geltendem Recht nicht widerspreche - genannt wurden diegleichen Gründe wie im Verfahren auf e<strong>in</strong>stweilige Verfügung - wurdedie Ablehnung weiter begründet:"Der Sitzungssaal sowie die oben genannten Räumlichkeiten - Flur, Nebenraumund E<strong>in</strong>gangshalle - bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abgesonderten, dem Gerichtfür das Abhalten von Sitzungen und Verhören zugewiesenen und unter Aufsichtdes Bezirksgerichtsschreibers stehenden Teildes Gefängnisses, der durche<strong>in</strong>en eigenen E<strong>in</strong>gang betreten werden kann. In diesem Sitzungssaal f<strong>in</strong>denhäufiger Verhandlungen und Verhöre statt. Das Gericht hat es für wünschenswerterachtet, Maßnahmen zu treffen, die e<strong>in</strong>en ordnungsgemäßen und sicherenVerlauf der Sitzung garantieren. Diese Maßnahmen s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>sichtlich derÖffentlichkeit tatsächlich <strong>in</strong> gewissem Maße e<strong>in</strong>schränkend, nach Ermessendes Gerichts jedoch nicht <strong>in</strong> grundsätzlicher Art und Weise. Vielleichthätten dieOrdnungsrnaßnahmen solcherart getroffen werden können, daß noch mehrInteressenten kurz vor Beg<strong>in</strong>n der Sitzung Zutritt hätten erhalten können.Doch auch unter den gegebenen Umständen ist die Öffentlichkeit nachMe<strong>in</strong>ung des Gerichts ausreichend garantiert und faktisch auch ausreichendrealisiert.Das Gericht teilt den E<strong>in</strong>druck des Verteidigers nicht, das Verhör f<strong>in</strong>de <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er beklemmenden, unfreien und ungewöhnlichen Atmosphäre statt.Vielleicht ist es möglich, daß die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen e<strong>in</strong>solches Gefühl hervorrufen, davon ist im Sitzungsraum selbst jedoch nichts zuverspüren. Wäre die Verhandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Sitzungsräume des Gerichtsgebäudesabgehalten worden, so wären <strong>in</strong>jenem Gebäude übrigens die gleichenMaßnahmen getroffen worden. Angesichts obiger Erwägungen ist es demGericht nicht e<strong>in</strong>sichtig, welche begründeten Interessen die zur Auslieferungangeforderte Person dabei haben kann, daß die Verhandlung im Gerichtsgebäudestattf<strong>in</strong>det. Demgegenüber hat das Gericht bei der Wahl des Verhandlungsortessehr wohl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e überlegungen mite<strong>in</strong>bezogen, daß bei e<strong>in</strong>emAbhalten der Sitzung im Gerichtsgebäude die übrige dortige Arbeit durch diezu treffenden Maßnahmen erheblich bee<strong>in</strong>trächtigt worden wäre. Weiterh<strong>in</strong>kann durch das Abhalten der Sitzung im Verhandlungsraum des Gefängnissesproblemlos verh<strong>in</strong>dert werden, daß Geschäftsleute <strong>in</strong> der Umgebung desGerichtsgebäudes durch die zu treffenden Maßnahmen benachteiligt werden.Somit ist nach Urteil des Gerichts auch der Forderung nach e<strong>in</strong>em fair andpublic hear<strong>in</strong>g, wie der Vertrag von Rom dies vorschreibt, Genüge getan".Interessant ist, wie die BRD <strong>in</strong> dem Auslieferungsantrag deutlich zu176machen versucht, daß Folkerts und se<strong>in</strong>e holländische <strong>Verteidigung</strong>gerissen und gefährlich s<strong>in</strong>d und deshalb gründliche Sicherheitsvorkehrungennotwendig seien. Folkerts habe u. a. im Juli 1977 (also vor se<strong>in</strong>erFestnahme) unter falschem Namen e<strong>in</strong>en Mietvertrag für e<strong>in</strong>e "konspirative"Wohnung abgeschlossen; mit demselben Falschnamen habe er"e<strong>in</strong>en am 28.11.1977 aufgesetzten Kündigungsbrief unterzeichnet,der offensichtlich aus dem Maastrichter Gefängnis herausgeschmuggeltworden ist". Angesichts der vollständigen Isolation, <strong>in</strong> der sich Folkertsbefand, hätten nur se<strong>in</strong>e Verteidiger, A. W. M. Willems und ich, dieSchmuggler se<strong>in</strong> können. Allerd<strong>in</strong>gs geht das Maastrichter Gericht <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Urteil, das die Auslieferung für zulässig erklärt, mit ke<strong>in</strong>em Wortauf die Behauptung e<strong>in</strong>.Während die Strafsache gegen Folkerts irn Dezember 1977 und dieersten Auslieferungsverfahren gegen Folkerts, Wackernagel und Schneiderim Januar 1978 noch <strong>in</strong> den schwer bewachten Gerichtsgebäud~mder Städte Utrecht, Maastricht und Den Haag abgehandelt wordenwaren, war es nach dem beschriebenen Präzedenzfall <strong>in</strong> Maastrichtoffensichtlich auch für den Raad van State (höchste verwaltungsrechtlicheInstanz <strong>in</strong> den Niederlanden) ke<strong>in</strong> Problem mehr, von Den Haagnach Maastricht <strong>in</strong>s Gefängnis zu fliegen und dort am 17. 10. 78 <strong>in</strong>"öffentlicher" Sitzung den Berufungsantrag der drei Gefangenen aus derRAF gegen die Auslieferungsanordnung des Staatsekretaris van Justitiezu verhandeln. Das Bedürfnis nach Sicherheitsvorkehrungen ist durchausverständlich. Bleibt jedoch die Frage, ob e<strong>in</strong> solches Sicherheitsbedürfnise<strong>in</strong> nach militärischen Maßstäben gebautes, e<strong>in</strong>gerichtetes undbewachtes Sonderverhandlungsgebäude wie das <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> rechtfertigenkann. Sollte diese Frage mit Ja beantwortet werden, so drängtsich unmittelbar die Frage auf, ob e<strong>in</strong>e solche äußerliche Militarisierungder Justiz nicht als Indikator dafür gesehen werden muß, daß der Konflikt,über den Strafrichter aufgerufen s<strong>in</strong>d, zu urteilen, den rechtsstaatlichenjustiziellen Rahmen bereits gesprengt hat. Dieser Rahmen, <strong>in</strong>nerhalbdessen sich der Konfliktabspielt, sche<strong>in</strong>t dann zutreffend mit e<strong>in</strong>emAusspruch Erich Kiesls, Staatssekretär im Bayrischen Innenm<strong>in</strong>isteriumvon 1970 bis 1978, charakterisiert zu se<strong>in</strong>: ,,wir s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, daßder Krieg gerade erst angefangen hat. Der 21. Mai 1975 ist e<strong>in</strong> entscheidendesDatum <strong>in</strong> der deutschen Nachkriegsgeschichte"13.Im nachstehenden Zitat deutet Dr. Horst Woesner, Richter am BGH,an, welche Stellung e<strong>in</strong> Prozeß im Spannungsfeld zwischen liberalerStrafrechtspflege und offenem Krieg e<strong>in</strong>nimmt:"Vom ersten Augenblick an läßt die Polizei ke<strong>in</strong>e Zweifel darüber aufkommen,wer Herr im Lande ist. Ke<strong>in</strong> Unbeteiligter wagt sich <strong>in</strong> die Nähe desstattlichen Trupps, der das Gerichtsgebäude besetzt und abriegelt. UnguteEr<strong>in</strong>nerungen an den Reichstagsbrand-Prozeß, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e andere Polizeirnachtäußere Regie führte, steigen auf. ..177


Ohne ausdrückliche Erlaubnis der Polizei geht niemand durch dieses Nadelöhr.Und das ist Grund genug, sich Gedanken über die Öffentlichkeit e<strong>in</strong>esVerfahrens zu machen, dem soviel sichtbare polizeiliche Fürsorge zuteilwird...Das Verfahren (... ) ist sicher ke<strong>in</strong> Schauprozeß. Es ist der Versuch, e<strong>in</strong>empolitisch motivierten Vorgehen gegen Oppositionelle und echte Widerständlerden Mantel des Rechts umzuhängen. Der Strafrichter wird zum Diener derPolitik emiedrigt"14.Natürlich beschreibt Woesner nicht die Geschehnisse <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>.Das Zitat stammt aus se<strong>in</strong>em Bericht über den sogenannten Prozeß vonMarrakesch, <strong>in</strong> dem 1971 das Regime unter König Hassan von Marokkomit 195 l<strong>in</strong>ken politischen Gegnern abzurechnen versuchte. Woesnerhatte diesen Prozeß im Auftrag von Amnesty International und derInternationalen Juristenkommission, Genf, beobachtet.Sowohl der Bau e<strong>in</strong>es speziellen Verhandlungsbunkers für e<strong>in</strong>en bestimmtenProzeß als auch die paramilitärische Absicherung des Verhandlungsortesund die totale Kontrolle durch Organe der ausführendenGewalt waren neu <strong>in</strong> der Nachkriegsgeschichte der BRD15.Letzteres istnur so zu erklären, daß die Gefangenen aus der RAFund ihre Genossen,die den bewaffneten Kampf <strong>in</strong> Freiheit fortsetzten, von den Verantwortlichenals "Oppositionelle und echte Widerständler" (Woesner) betrachtetwurden; diese E<strong>in</strong>schätzung bzw. Anerkennung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der Anklageschriftder BAWwieder16:"Diese Gruppe setzte sich zum Ziel, die gesellschaftlichen Verhältnisse <strong>in</strong> derBundesrepublik Deutschland nach dem Vorbild der südamerikanischen Stadtguerillasmit allen Mitteln, <strong>in</strong>sbesondere durch Gewaltmaßnahmen, zu bekämpfen".Bleibt die Frage, ob alle<strong>in</strong> schon aufgrund der äußeren Gegebenheitendie Schlußfolgerung zulässig ist, daß die Strafrichter <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>bei dem Versuch der Regierung, mit Hilfe e<strong>in</strong>es unter paramilitärischemSchutz ablaufenden justizförmigen Prozesses Strafrecht für politischeZiele zu mißbrauchen, "zu Dienern der Politik erniedrigt worden" s<strong>in</strong>d.Es sche<strong>in</strong>t mir übereilt, diese Frage schon jetzt mit Ja zu beantworten.Andererseits sche<strong>in</strong>t die Fragestellung selbst auch etwas gekünstelt zuse<strong>in</strong>, so, als ob es möglich wäre, die äußeren Gegebenheiten aus ihremhistorischen Kontext herauszulösen, sie völlig losgelöst zu betrachten,und die der Gerichtsverhandlung vorausgegangene Phase nicht zu beachten.Im vorigen Kapitel wurde schon gesagt, daß die RAF auf Regierungsebeneund bei den verantwortlichen Behörden als "Staatsfe<strong>in</strong>d Nr. 1"17,"die gefährlichsten Gangster, die es gibt"18 bezeichnet wurde, derenBekämpfung "höchste Priorität" hatte19. "E<strong>in</strong>e der wichtigsten Aufgaben"<strong>in</strong> diesem Kampf war, "diese Gruppe völligzu entsolidarisieren, sievon all dem zu isolieren, was es sonst an radikalen Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> diesemLand auch geben mag"20.178Ebenso wurde bereits ausführlich berichtet, wie die Behörden von1971 an versuchten, diese politische Aufgabe auf "rechtlicher" Ebeneh<strong>in</strong>sichtlich der Gefangenen aus der RAF zu erfüllen: Durch die Isolierunguntere<strong>in</strong>ander, von Mitgefangenen, von der Außenwelt und durchdie Krim<strong>in</strong>alisierung und Ausschließung der Anwälte, die diese Isolationspolitikam heftigsten bekämpften. Gleichzeitig wurde versucht, dieserpolitischen Aufgabe auf der Propagandaebene dadurch gerecht zuwerden, daß die politische Dimension des bevorstehenden Prozessesgegen "Baader u. a. ", se<strong>in</strong> politischer Kontext und politische Motive beiden Beschuldigten von Anfang an abgestritten, geleugnet bzw. negiertwurden. Damit nicht genug: Wer es wagte, politische Motive nicht vonvornhere<strong>in</strong> auszuschließen, wurde noch wenige Monate vor Beg<strong>in</strong>n derHauptverhandlung von dem höchsten Vertreter der ausführenden Gewalt,Bundeskanzler Schmidt, öffentlich "versteckter Sympathie" beschuldigtund zum "Mitschuldigen" erklä~l. Welcher Richter istwohl alsso unabhängig zu bezeichnen, daß er e<strong>in</strong>e solche Warnung ohne weit~reszu den Akten legen könnte? Angesichts dieser Vorgeschichte ist derE<strong>in</strong>druck, die <strong>in</strong> den äußeren Gegebenheiten dieses Prozesses zumAusdruck kommende Militarisierung der Justiz sei e<strong>in</strong> weiterer Versuch,Strafrichter für die staatspolitischen Ziele der Entsolidarisierung mit d~nAngeklagten, ihrer Isolierung und Gleichsetzung "mit ganz gewöhnlichenKrim<strong>in</strong>ellen" zu funktionalisieren, doch wohl schwer von der Handzu weisen.1.3. <strong>Politische</strong> JustizDie letzte Feststellung br<strong>in</strong>gt uns unmittelbar auf den schmierigenBoden der politischen Justiz oder, <strong>in</strong> den Worten Kirchheimers, zu "derVerwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwekken"22.Unter anderem an Hand von Kirchheimers Standardwerk "<strong>Politische</strong>Justiz" werde ich nun e<strong>in</strong>ige Hypothesen über den Charakter des Strafverfahrensgegen "Baader u. a." entwickeln, um an ihnen die <strong>in</strong> diesemsowie dem folgenden Kapitel beschriebenen und kommentierten Ereignisseüberprüfen zu können.Kirchheimer beschreibt u. a. die strukturellen Veränderungen desStaatsschutzes, beg<strong>in</strong>nend beim Römischen Reich über den Zeitraumdes "Konstitutionalismus" (Ende 18. bis Anfang 20. Jahrhundert) bis zurGegenwa~3. Nach dem Ersten Weltktieg läßt sich <strong>in</strong> Westeuropa e<strong>in</strong>eentscheidende Veränderung bei der Behandlung politisch oppositionellenVerhaltens feststellen. Im 19. Jahrhundert neigte man dazu, auch alsReaktion auf die französische Revolution, nur e<strong>in</strong>en gewaltsamen Angriffauf die Staatsstruktur und nicht die bloße Verbreitung subversiver Ideenals strafbares Vergehen anzusehen. Dem politischen Straftäter wurde179


häufig sogar noch e<strong>in</strong> privilegierter Haftstatus e<strong>in</strong>geräumt, e<strong>in</strong>e Art "custodiahonesta". Diese relativ tolerante Handhabung geht nach demErsten Weltkrieg, "dem Gipfelpunkt der nationalstaatlichen Entwicklung"24,<strong>in</strong> zunehmendem Maße verloren.Die im 19. Jahrhundert noch vorgenommene Unterscheidung zwischen<strong>in</strong>nerer und äußerer Sicherhei~5 fällt langsam weg, und die Behandlungpolitischer Straftäter wird <strong>in</strong> kürzester Zeit derjenigen "normaler"Straftäter angeglichen (mit Ausnahme der Auslieferung), wie MarcAncel dies bereits 1938 dokumentiert hat 26.Es kommt zu e<strong>in</strong>er Wellevon Gesetzen, vor allem seit den fünfziger Jahren, die "die politischeOrdnung vor jeder <strong>in</strong> der Endwirkung auf e<strong>in</strong>e Revolution gerichtetengeistigen, propagandistischen und namentlich organisatorischen Aktivitätbewahren (wollen)"27. Kirchheimer macht darauf aufmerksam, daße<strong>in</strong>e große Produktion gesetzlicher Waffen nicht notwendigerweise bedeutet,daß sie auch tatsächlich angewandt werden sollen. Jedoch:"Man entwirft e<strong>in</strong>e Konstruktionsskizze, die genaueren Daten wird manje nach Bedarf später e<strong>in</strong>setzen"28; dabei gilt: "Auf ke<strong>in</strong>em anderenGebiet (als dem Schutz des Staates - BS) hängt die Handhabung derPraxis <strong>in</strong> noch höherem Maße ab von den Erfordernissen der Stunde,den Stimmungen der Bürokratie und der Vorausschätzung von Gew<strong>in</strong>nenund Verlusten, die sich <strong>in</strong> der Empf<strong>in</strong>dlichkeit der öffentlichenMe<strong>in</strong>ung und <strong>in</strong> den Reaktionen der von Sanktionen bedrohten Gruppenniederschlagen"29. Soweit e<strong>in</strong>e stark verkürzte Wiedergabe derKirchheimer'schen Sicht auf den heutigen abendländischen Kampf desStaats gegen se<strong>in</strong>e radikalen politischen Gegner.Wann werden nun Richter <strong>in</strong> diesem Kampf e<strong>in</strong>gesetzt oder - bezogenauf den vorliegenden Fall - wann wird e<strong>in</strong> normaler Strafprozeß zue<strong>in</strong>em politischen Prozeß? Die Funktion e<strong>in</strong>es normalen Strafverfahrenskann, Kirchheimer zufolge, nicht mehr se<strong>in</strong> als "die Bejahung und Bekräftigungdes gesellschaftlichen Ordnungssystems vermittels der öffentlichenGerichtsverhandlung"30, wobei für den Staat ke<strong>in</strong>e Bedeutunghat, ob X,Y oder Z vor Gericht steht und der Beschuldigte wiederum nurdie Absicherung se<strong>in</strong>er persönlichen Interessen im Auge hat. WesentlichesCharakteristikum des politischen Prozesses aber ist nach Kirchheimerdie wie auch immer geartete Bee<strong>in</strong>flussung der jeweiligen Machtverhältnisse:"Das Räderwerk der Justiz und ihre Prozeßmechanismen werden um politischerZiele willen <strong>in</strong> Bewegung gesetzt, die über die Neugier des unbeteiligtenBetrachters und das Interesse des Ordnungshüters an der Erhaltung der staatlichenOrdnung h<strong>in</strong>ausgreifen. Hier ist dem Geschehen im Gerichtssaal dieAufgabe zugewiesen, auf die Verteilung der politischen Macht e<strong>in</strong>zuwirken.Das Ziel kann zweierlei se<strong>in</strong>: entweder bestehende Machtpositionen umzustoßen,<strong>in</strong>dem man aus ihnen Stücke herausbricht, sie untergräbt oder <strong>in</strong> Stückeschlägt, oder umgekehrt den Anstrengungen um die Erhaltung dieser Macht-180positionen vermehrte Macht zu verleihen. Ihrerseits können solche Bemühungenum die Wahrung des Status quo vorwiegend symbolisch se<strong>in</strong> oder sichkonkret gegen bestimmte, sei es potentielle, sei es bereits <strong>in</strong> vollem Ausmaßwirksame Gegner richten. Manchmal kann es zweifelhaft se<strong>in</strong>, ob e<strong>in</strong> solchesgerichtliches Vorgehen die bestehende Machtstruktur wirklich festigt; es kannpassieren, daß es sie schwächt"31.Weil die RAF als kle<strong>in</strong>e, aber militante Guerillaorganisation u. a. aufgrundvon Me<strong>in</strong>ungsumfragen32 als ernstzunehmende potentielle Bedrohungder bestehenden Machtverhältnisse gesehen wurde, mußtee<strong>in</strong>es der dr<strong>in</strong>glichsten Ziele der rechtlichen Aburteilung von Gefangenenaus der RAF die Handhabung bzw. Stabilisierung genau dieserMachtverhältnisse se<strong>in</strong>. Um dieses Zielzu erreichen, wurden die Gefangenenund vor allem ihre verme<strong>in</strong>tlichen Anführer stellvertretend für dienicht <strong>in</strong>haftierten illegalen Mitglieder der RAF- womit den Gefangenengleichsam die Funktion von Geiseln zukam - behandelt und abgeurteilt:An ihnen (und, falls notwendig, auch an ihren Verteidigern) sollte \mdmußte der Prozeß der Entsolidarisierung, Isolierung und Entpolitisierungexemplarisch vollzogen werden. Beabsichtigt war jedoch nicht nur die"nach Regeln, die vorher festgelegt worden s<strong>in</strong>d,,33durchgeführte Elim<strong>in</strong>ierunge<strong>in</strong>iger politischer Fe<strong>in</strong>de des bestehenden Regimes zu dessenStabilisierung - für Kirchheimer die wesentlichste Funktion, die Richtern<strong>in</strong> der politischen Arena zukommt. Sondern ebenso wichtig war <strong>in</strong> diesemZusammenhang die Mobilisierung der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung34 alsweiterer politischer Waffe gegen die RAF, die Ausnutzung aller Möglichkeiten,die die Massenmedien im Zusammenhang mit der gerichtlichenAburteilung von "Baader u. a." bieten konnten. Die Mobilisierung deröffentlichen Me<strong>in</strong>ung, um "die Bevölkerung enger an die Sache derKriegführung zu b<strong>in</strong>den und auf sie zu verpflichten"35, impliziert fastautomatisch die Notwendigkeit, die Beschuldigten <strong>in</strong> den Augen derÖffentlichkeit als zweifellos Schuldige ersche<strong>in</strong>en zu lassen, und zwarnoch vor Eröffnung der eigentlichen Gerichtsverhandlung. Die soebenan hand von Kirchheimers Ausführungen entwickelten Hypothesen h<strong>in</strong>sichtlichFunktion und Bedeutung der Verfolgung und justizförmigenVerurteilung von "Baader u. a." im Rahmen e<strong>in</strong>er sowohl politischen,polizeilichen, militärischen als auch rechtlichen Bekämpfung der RAFsche<strong>in</strong>en überraschend e<strong>in</strong>deutig von e<strong>in</strong>em exzellenten Kenner derMethoden und Techniken zur Aufstandsbekämpfung bestätigt zu werden.In dem 1971 erschienenen Buch "Im Vorfeld des Krieges"36schreibt Frank Kitson, Kommandant der 2. Rhe<strong>in</strong>armee <strong>in</strong> der BRD, daß"Subversion und Aufruhr gegenwärtige Formen der Kriegsführung s<strong>in</strong>d,auf die die Streitkräfte sich e<strong>in</strong>stellen müssen,m.Der Brigadegeneral Kitson verfügt h<strong>in</strong>sichtlich der Unterdrückung vonBefreiungskämpfen über praktische Erfahrungen, die er als britischerOffizier<strong>in</strong> Kenia, Malaysia, im Sultanat Muscat und Oman, <strong>in</strong> Zypern und181


Nordirland sammelte. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>jähriger Sonderurlaub zwecks Studienaufenthaltan der Universität Oxford ermöglichte ihm die Produktion jenesBuches, das als militärisches Studienbuch gedacht war, denn: "Bereitsheute sollten Schritte unternommen werden, die es den Streitkräftenermöglichen, <strong>in</strong> der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Maßnahmengegen Subversion und Aufruhr sowie zur Friedenssicherung durchzuführen"38.Obwohl die von ihm angeführten Beispiele noch größtenteils ausantikolonialistischen Befreiungskämpfen im zweiten Drittel dieses Jahrhundertsstammen, entwickelt er aus se<strong>in</strong>en Erfahrungen und aus demdamals noch im vollem Umfang geführten Krieg <strong>in</strong> Vietnam primärStrategien zur Unterdrückung bzw. Bekämpfung von heute möglichenAufständen, Subversion und Guerilla-Aktionen. Kitson kann als anerkannterCounter<strong>in</strong>surgency-Stratege des Westens betrachtet werden.Die Annahme, die mit der Guerillabekämpfung beauftragten westdeutschenBehörden hätten dieses Buch von Kitson e<strong>in</strong>gehend studiert,sche<strong>in</strong>t mir naheliegend zu se<strong>in</strong>.Unter Subversion versteht Kitson "alle Maßnahmen, die von e<strong>in</strong>emTeil der Bevölkerung <strong>in</strong> der Regel ohne Waffengewalt unternommenwerden mit dem Ziel, die zu dieser Zeit Regierenden des Landes zustürzen oder diese gegen ihren Willen zu bestimmten Handlungen zuzw<strong>in</strong>gen. Dabei kann die Anwendung politischen oder wirtschaftlichenDrucks, die Mittel der Streiks, Protestmärsche und der Propaganda zumTragen kommen. Desgleichen ist der begrenzte Gebrauch gewaltsamerMaßnahmen möglich, wenn widerstrebende Bevölkerungsteile zur Unterstützunggezwungen werden sollen"39.Bemerkenswert ist, daß die meisten der <strong>in</strong> dieser weitgefaßten Def<strong>in</strong>itiongenannten "subversiven" Aktivitäten legale Formen des Widerstandsdarstellen. Als "Aufruhr" gilt bei Kitson, wenn "e<strong>in</strong>e Gruppe vonMenschen versucht, mit Waffengewalt für die unter Subversion genanntenZiele gegen die Regierung vorzugehen"40. Normalerweise verstehtman darunter Guerilla-Aktionen.Die von Kitson benutzten Begriffe und Def<strong>in</strong>itionen s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>esErachtens deshalb von so großer Bedeutung, weil sie deutlich machen,daß er sich sowohl <strong>in</strong> der Praxis als auch <strong>in</strong> der Theorie nicht nur mit e<strong>in</strong>erGegen-Guerilla ("counter -<strong>in</strong>surgency" -)Strategie beschäftigt, sondernvielmehr mit e<strong>in</strong>er Strategie, die gegen jede Form grundsätzlicher politischerOpposition, gegen den kle<strong>in</strong>sten Funken politischen Widerstandsgerichtet ist, wobei sich Guerilla und andere Formen fundamentalenWiderstands nicht h<strong>in</strong>sichtlich der Ziele, sondern nur h<strong>in</strong>sichtlich dergewählten Mittel unterscheiden. Ausgehend von der Fisch-im-Wasser­Analogie Mao Tse-tungs (Der Revolutionär bewegt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sympa~thisierenden Bevölkerung wie der Fisch im Wasser) formuliert Kitsonfolgenden Auftrag: E<strong>in</strong>e Regierung muß "alle, die mit der Subversion182verbunden s<strong>in</strong>d, ausschalten. Wenn aber die Regierung die subversivePartei e<strong>in</strong>schließlich ihrer gesamten bewaffneten und unbewaffnetenGefolgschaft ausschalten will, muß sie die Kontrolle über die Bevölkerunggew<strong>in</strong>nen ,,41.Um diesem Auftrag gerecht werden zu können, mußdie betreffende Regierung "ihren Kampf auf der festen Überzeugunggründen, die subversive Bevölkerung völligzu vernichten, und sie mußdiese Tatsache ihrem Volk klarmachen"42.Zur Funktionalisierung der Justiz im Interesse der ausführenden Gewaltzwecks Erfüllung obigen Auftrags <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sogenannten vorbereitendenPhase, das heißt: noch bevor direktes militärisches E<strong>in</strong>greifen erforderlichist, gibt Kitson zwei Alternativen an:"Erstens könnte die Justiz als e<strong>in</strong>e der Waffen im Arsenal der Regierungbenutzt werden. In diesem Fallwird sie nichts weiter als e<strong>in</strong>e propagandistischeVerkleidung für die Beseitigung unerwünschter Personen des öffentlichenLebens se<strong>in</strong>. Damit das wirkungsvoll funktioniert, müssen die Tätigkeiten desJustizdienstes so diskret wie möglich <strong>in</strong> die Kriegsvorbereitungen e<strong>in</strong>bezogenwerden. Dies bedeutet, daß das für die Justiz verantwortliche MitglielllderRegierung entweder <strong>in</strong> dem obersten Gremium sitzt oder es se<strong>in</strong>e Weisungenvom Regierungschef selbst bekommt. Bei der anderen Alternative soll dasRecht unteilbar bleiben und die Justiz die Gesetze des Landes ohne Weisungder Regierung anwenden. Selbstverständlich kann die Regierung neue Gesetzefür den Umgang mit Subversionen e<strong>in</strong>führen, die, fallserforderlich, sehr hartse<strong>in</strong> können. Wenn diese Gesetze erlassen s<strong>in</strong>d, wird die Justiz das auf ihnenberuhende Recht ausüben. Das Ergebnis ist im Vergleichzur ersten Alternativejedoch völlig anders, weil die Richter im zweiten Fall ke<strong>in</strong>e Unterschiedezwischen den Regierungskräften, dem Gegner oder dem unbeteiligten TeilderBevölkerung anerkennen werden. Jeder Gesetzesbrecher wird <strong>in</strong> gleicherWeise behandelt, und das ganze Verfahren der Justiz wird e<strong>in</strong>schließlich derSchutzbestimmungen für die e<strong>in</strong>zelne Person auf Freund und Fe<strong>in</strong>d <strong>in</strong> gleicherWeise angewendet werden. Diese zweite Alternative ist <strong>in</strong> der Regel nicht nurmoralisch Rechtens, sondern auch anzuraten, weil es den Zielen der Regierungmehr entspricht, die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. E<strong>in</strong> Vorgehen <strong>in</strong>dieser Weise kann jedoch zu Verzögerungen führen, die man möglicherweisenicht <strong>in</strong> Kauf nehmen darf. Dies ist der Fall,wenn es zum Beispiel den Ansche<strong>in</strong>hat, daß die Subversion <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er konventionellen Invasionoder der Androhung e<strong>in</strong>er solchen auftreten wird. Dieses Verfahren kann sichauch dann als undurchführbar erweisen, wenn es politisch nicht möglich ist,ausreichend harte gesetzliche Notverordnungen durchzusetzen"43.Die im vorigen Kapitel beschriebene Vorphase des Prozesses gegen"Baader u.a." weist verschiedene Übergangsformen auf, die sich ausdiesen zwei Alternativen zusammensetzen - der Inanspruchnahme derJustiz als propagandistischem Deck-mantel für die Beseitigung unerwünschterPersonen und der Aufrechterhaltung bestehender Grundsätzewie Gleichheit vor dem Gesetz und allen dem E<strong>in</strong>zelnen garantiertenRechten, seien sie auch begleitet von speziellen Notverordnungen. Vorallem die Ausgestaltung der Haftbed<strong>in</strong>gungen der Beschuldigten und die183


Ausschließung yII der Verteidiger zeigen jedoch e<strong>in</strong>e starke Tendenz zur !Ci AGreich möge der Fall rung" aktive sche vollständig erkennen öffentlichen "Elim<strong>in</strong>ierung erstgenannten jDlCIJ läßt Ausschließung Instrumentalisierung für übere<strong>in</strong>zustimmen. Unterstützung, sich diesem läßt. von Me<strong>in</strong>ung" Erfüllung schon politischer Alternative. Militärund jetzt der dem mit sowie dieser gegen Verteidiger) sagen, Fe<strong>in</strong>de Ob zur Polizei Insgesamt nächsten Kitsons Aufgaben "Baader Wehr daß beherrschten wie die Kapitel zu Systems" "totaler sche<strong>in</strong>en weit u. hohem setzen, Ergebenheit, hat a." die deutlich <strong>in</strong>strumentalisieren mehr Vernichtung Justiz die Maße Gefängnisflügel und auch zur oder sich "Mobilisierung werden. wenn mit Bekämpfung Stuttgart weniger Kirchheimersansatzweise nicht Auf subversi- während als lassen, erfolg-jeden e<strong>in</strong>en sogar Ver-IDie ÄEI I"Hauptdarsteller" I I undHder AnklagesatzIJ2.1. g<strong>in</strong>n weilige Die A. "Hauptdarsteller"An der DerHand Hauptverhandlung Funktionen 2. Strafsenat vorgestellt desder Grundrißzeichnung Iteilnehmenden Oberlandesgerichts werden.des Gerichtssaals Stuttgart: sollen deren I IJIGegenwart Eberhard Dr. anwaltschaft § Ersatzrichter: Theodor 226Foth, StPO: und zur Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g Hubert Urteilsf<strong>in</strong>dung Otto "Die e<strong>in</strong>es Maier, (Vorsitzender).Hauptverhandlung Vötsch, Urkundsbeamten Dr. berufenen He<strong>in</strong>z Ulrich Berroth, Nerlich, der Personen erfolgt Geschäftsstelle". Dr. Werner Kurt sowie ununterbrochenerBreucker Me<strong>in</strong>hold der die Eventuel- Ibesetzt grund Verstoß mehr B. Derdie richterliche ausgesetzt, Öffentlichkeit war" gegen der Lage (§ die Urteilsspruch 338 "wenn Quorums-Vorschrift ist, des Abs. Verfahrens, dasVerhandlung 1erkennende ist StPO). u. a. s<strong>in</strong>d dann Sollte bewertet44. Gericht zu e<strong>in</strong>em § folgen, 338 Richter StPO absoluten wird vorschriftsmäßigaufgeführt, auch während Revisions-Staats-dies Richter und je-und deralsJ184die zu Be-~ ~~I185


die Verhandlung erneut (<strong>in</strong> diesem Fall durch e<strong>in</strong>en anderen Senat desOLG - § 354 Abs. 11StPO) abgehalten werden. Um e<strong>in</strong> solches Risikozuvermeiden, ist <strong>in</strong> § 192 Abs. 11GVG festgelegt: "Bei Verhandlungen vonlängerer Dauer kann der Vorsitzende die Zuziehung von Ergänzungsrichternanordnen, die der Verhandlung beiwohnen und im Fall der Verh<strong>in</strong>derunge<strong>in</strong>es Richters für ihn e<strong>in</strong>zutreten haben".Diese Ersatzrichter nehmen neben den normalen Mitgliedern desRichterkollegiums an der Verhandlung teil. Sie können auch Fragen anZeugen und Sachverständige richten, s<strong>in</strong>d jedoch nicht an den Beratungendes Gerichts und dem Zustandekommen der gerichtlichen Entscheidungenbeteiligt. Sollte der Vorsitzende verh<strong>in</strong>dert se<strong>in</strong>, so nimmt dernach Diens~ahren oder Lebensalter älteste beisitzende Richter dessenPlatz e<strong>in</strong>, wonach e<strong>in</strong>er der Ersatzrichter wiederum auf den freigewordenenPlatz nachrückt45.B. Vier Vertreter der Bundesanwaltschaft: BAWDr. He<strong>in</strong>rich Wunder,Oberstaatsanwalt Peter Zeis, Regierungsdirektor Werner Widera undStaatsanwalt Klaus Holland.Auch für die Staatsanwaltschaft gilt der oben genannte § 226 StPO.Die Staatsanwaltschaft hat allerd<strong>in</strong>gs die Möglichkeit, sich gegebenenfallsdurch e<strong>in</strong>ander ablösende Beamte vertreten zu lassen46.C. Die Angeklagten Andreas Baader (32), Gudrun Enssl<strong>in</strong> (34), UlrikeMe<strong>in</strong>hof (40) und Jan Carl Raspe (30).D. Die gewählten Verteidiger Marie-Louise Becker (Heidelberg), OttoSchily (Berl<strong>in</strong>), Helmut Riedel und Ruppert von Plottnitz (beide Frankfurt).Becker und Schily s<strong>in</strong>d beide für Gudrun Enssl<strong>in</strong> zu Pflichtverteidigernbestellt worden, Riedel für Ulrike Me<strong>in</strong>hof und von Plottnitz für JanCarl Raspe. Andreas Baader steht ohne gewählten Verteidiger da, nachdemdie Rechtsanwälte Dr. Klaus Croissant, Kurt Groenewold und ChristianStröbele kurz vor Prozeßbeg<strong>in</strong>n von der <strong>Verteidigung</strong> ausgeschlossenworden waren.Ebenso wie im niederländischen Strafprozeßrecht f<strong>in</strong>det sich auch imbundesdeutschen die Unterscheidung zwischen den von dem Angeklagtengewählten (Wahlverteidiger) und den vom Gericht bestellten Verteidigern(Pflichtverteidiger).Obwohl es sich im vorliegenden Fall um Verteidiger handelt, dieursprünglich von dem Beschuldigten gewählt waren und die se<strong>in</strong> Vertrauenbesaßen, können sie vom Gericht nachträglich, "wenn nichtbesondere Gründe entgegenstehen "47,als Pflichtverteidiger bestellt werden.Das hat zur Folge, daß der Rechtsanwalt vom Staat e<strong>in</strong>e (imVergleich zu niederländischen Gepflogenheiten recht ansehnliche) Unkostenvergütungerhält.Bei Prozeßbeg<strong>in</strong>n hatten drei der vier Angeklagten noch weitereWahlverteidiger, die jedoch nicht aktiv am Prozeß teilnahmen: FranzJosef Degenhart, Hamburg (Enssl<strong>in</strong>), Jürgen Laubscher, Heidelberg186(Raspe), Ra<strong>in</strong>er Köncke, Hamburg, und Dieter Hoffmann, Berl<strong>in</strong> (beideMe<strong>in</strong>hof); Baader dagegen verfolgte wegen des Ausschlusses aller se<strong>in</strong>ergewählten Verteidiger weder über e<strong>in</strong>en Anwalt se<strong>in</strong>es Vertrauens nochüber nachträglich zu Pflichtverteidigern bestellte gewählte Verteidiger.Am 3.2.75 war Baader der Heidelberger Rechtsanwalt Siegfried Haag,Kanzleipartner von Marie-Louise Becker, als Pflichtverteidiger beigeordnetworden, und zwar durch dieselbe Verfügung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs, mit der dieBestellung der Anwälte Croissant, Groenewold und Ströbele aufgehobenwurde, da "sich nicht ausschließen (§ 1), daß sie von den Bestimmungenüber den Ausschluß von Verteidigern betroffen werden könnten"48.Bei Prozeßbeg<strong>in</strong>n war Haag noch als Pflichtverteidiger aufgeführt.Er war jedoch - nach e<strong>in</strong>er Reihe von Ereignissen, auf die <strong>in</strong>Abschnitt 3.2. noch näher e<strong>in</strong>gegangen wird - zehn Tage zuvor verschwunden.In e<strong>in</strong>er Presseerklärung hatte er mitgeteilt, daß es an derZeit se<strong>in</strong>, gegen e<strong>in</strong> System, das politsche Gefangene foltere und ermorde,mit anderen Mitteln zu kämpfen.E. Acht Zwangsverteidiger, jeweils zwei für jeden der Angeklagten, dieden Angeklagten gegen ihren ausdrücklichen Willen von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g alsPflichtverteidiger beigeordnet worden waren.Im Gegensatz zum niederländischen Strafprozeßrecht, das den Beistande<strong>in</strong>es Rechtsanwalts <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall zur Pflicht macht, muß nach§ 140 StPO e<strong>in</strong>em Angeklagten immer dann e<strong>in</strong> Anwalt zur Seite stehen,wenn e<strong>in</strong>e Strafsache <strong>in</strong> erster Instanz vor e<strong>in</strong>em Land- oder Oberlandesgerichtverhandelt wird, wenn e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe von e<strong>in</strong>em Jahr oderlänger zu erwarten ist und wenn sich der Angeklagte zum Zeitpunkt derProzeßeröffnung m<strong>in</strong>destens drei Monate <strong>in</strong> Untersuchungshaft bef<strong>in</strong>det.Das deutsche Strafprozeßrecht spricht <strong>in</strong> diesen Fällen von "notwendiger<strong>Verteidigung</strong>". Wenn bei "notwendiger <strong>Verteidigung</strong>" e<strong>in</strong> Anwaltfür längere oder kürzere Zeit nicht zur Verfügung steht, liegt nach§338 Satz 5 StPO wiederum e<strong>in</strong> "absoluter Revisionsgrund" vor. Es istjedoch nicht erforderlich, daß derselbe Anwalt auch während der gesamtenVerfahrensdauer anwesend ist. Sollte e<strong>in</strong> Verteidiger gänzlich ausfallen,so kann ihn der vorsitzende Richter durch e<strong>in</strong>en anderen Anwaltersetzen (§ 145 Abs. I StPO). Sollte e<strong>in</strong> notwendiger Verteidiger derSitzung ohne triftige Gründe fernbleiben, die Verhandlung folglichvertagtwerden müssen, um e<strong>in</strong>em neuen Rechtsanwalt Gelegenheit zugeben, sich <strong>in</strong> die Materie e<strong>in</strong>zuarbeiten, können dem nicht erschienenenAnwalt die durch die Vertagung entstandenen Kosten berechnet werden(§ 145 Abs IV StPO).An sich bedeutet die Institution der sogenannten notwendigen <strong>Verteidigung</strong>noch nicht, daß auch "Pflichtverteidiger" an der Verhandlungteilnehmen. In § 140 StPO wird davon ausgegangen, daß es nichtnotwendig ist, e<strong>in</strong>en Rechtsanwalt beizuordnen, falls der Beschuldigteüber e<strong>in</strong>en gewählten Verteidiger verfügt. Der Umstand, daß <strong>in</strong> den187~


meisten <strong>Strafsachen</strong> doch Pflichtverteidiger auftreten, erklärt sich ausKostengründen: der von e<strong>in</strong>em mittellosen Angeklagten gewählteRechtsanwalt beantragt se<strong>in</strong>e Beiordnung als Pflichtverteidiger (s. Punkt0.).Der <strong>in</strong> der Jurisprudenz nicht bestrittene Ausgangspunkt für dieseRegelung war die überlegung, daß e<strong>in</strong>e "sachdienliche" <strong>Verteidigung</strong>nur dann möglich ist, wenn e<strong>in</strong>e Vertrauensbeziehung zwischen Anwaltund Mandant gegeben ist49.Vorden Strafprozessen gegen MitgliederderRAF waren Anwälte nur sporadisch gegen den Willen der Angeklagtenbeigeordnet worden; seitdem wirdjedoch von der Institution des "aufoktroyiertenVerteidigers" (Zwangsverteidiger) <strong>in</strong> zunehmendem MaßeGebrauch gemachfo Die Beiordnung e<strong>in</strong>es solchen Verteidigers zusätzlichzu e<strong>in</strong>em Wahlverteidiger ist e<strong>in</strong>em BGH-Beschluß zufolge dannzulässig bzw. notwendig, wenn sich die Gefahr abzeichnen sollte, "daße<strong>in</strong> Verteidiger die zur reibungslosen Durchführung der Hauptverhandlungerforderlichen Maßnahmen nicht treffen kann oder nicht treffenwill... ,,51.Diese Möglichkeit benutzte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>dem er den Angeklagtenam 29.7.74 die Stuttgarter Rechtsanwälte Schwarz, König, Eggler,Schnabel und Schlägel (neben e<strong>in</strong>igen der Wahlverteidiger) und am16.4.75 die Anwälte L<strong>in</strong>ke, Künzel und Grigat als Pflichtverteidigerbeiordnete. Die Angeklagten, die ke<strong>in</strong> Vertrauen zu diesen Anwältenhatten, lehnten von Anfang an jeglichen Kontakt zu ihnen ab. DieAngeklagten und ihre "Vertrauensanwälte" bezeichneten diese Anwältezutreffend als "Zwangsverteidiger"52. Dieser Begriff wird von mir zurbesseren Unterscheidung von den zu Pflichtverteidigern bestellten gewähltenVerteidigern benutzt.F. Drei Urkundsbeamte.Da <strong>in</strong> diesem Prozeß alles auf Band aufgezeichnet und davon e<strong>in</strong>eMasch<strong>in</strong>enabschrift angefertigt wurde, hatten die Protokollführer hauptsächlichdie Sprechanlage und Tonbandgeräte zu bedienen53.G. Zeugenstand.H. 81 Presseplätze.I. 120 Publikumsplätze.J. Wach- und Sicherheitsbeamte <strong>in</strong> Uniform und Zivil, nach me<strong>in</strong>erSchätzung während der ersten Monate des Prozesses etwa 60 Mann.2.2. Der AnklagesatzMit "Anklagesatz" wird der wesentliche Teilder von der Staatsanwaltschaftzu erstellenden "Anklageschrift" bezeichnet. Im Anklagesatz festgehaltens<strong>in</strong>d unter anderem die Personalien der Angeklagten, Zeit, Ort,Hergang und besondere Umstände der angeklagten Straftat, die gesetzlichenTatbestandsmerkmale sowie die anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen.In der Anklageschrift werden darüber h<strong>in</strong>aus die Beweis-188\mittel (e<strong>in</strong>schließlich der vorzuladenden Zeugen und Sachverständigen),die zuständige richterliche Instanz und e<strong>in</strong>e Zusammenfassung derErmittlungsergebnisse, die den "h<strong>in</strong>reichenden Tatverdacht" untermauernsollen (§ 200 LV.m. 203 StPO), aufgeführt. Die Aufnahme derBeweismittel und der Ermittlungsergebnisse <strong>in</strong> die Anklageschrift ist imGegensatz zum niederländischen Strafprozeßrecht durch den andersartigenAufbau des bundesdeutschen Strafprozesses bed<strong>in</strong>gt. Zwischenden von der Staatsanwaltschaft geleiteten und <strong>in</strong> der Regel von derPolizei ausgeführten Ermittlungshandlungen (die gerichtliche Voruntersuchungist seit dem 1.1. 75 abgeschafft54) und der Hauptverhandlungliegt meistens55 noch e<strong>in</strong>e Art Zwischenphase, das sogenannte Eröffnungsverfahren.Während dieser relativ formlosen Prozedur ist es Aufgabedes zuständigen Gerichts, aufgrund der Anklageschrift und der vollständigenAkten sowie e<strong>in</strong>er eventuellen Stellungnahme des Angeschuldigtenoder se<strong>in</strong>es Verteidigers zu überprüfen, ob und <strong>in</strong> welcher Formdie Anklageschrift als Basis für e<strong>in</strong>e Hauptverhandlung zugelassen werdenkann (§§ 199 bis 211 StPO). Das Gericht hat die Möglichkeit,weitereErmittlungen anzuordnen; weiter beurteilt und entscheidet es alle Fragender richterlichen Zuständigkeit. Sollte es se<strong>in</strong>e Zuständigkeit nicht bejahen,bestimmt es, welches Gericht die Strafsache zu verhandeln hat. ImFalle se<strong>in</strong>er Zuständigkeit läßt das Gericht die ursprüngliche oder abgeänderteAnklageschrift zur Hauptverhandlung zu, wenn bei "vorläufigerTatbewertung"56 mit e<strong>in</strong>er späteren Verurteilung zu rechnen ist. Eistdann entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, das die Strafsache verhandelnmuß, wann und wo die Hauptverhandlung stattf<strong>in</strong>det (§ 213StPO); er sorgt auch dafür, daß die benötigten Unterlagen den Angeklagten,Verteidigern, Zeugen und Sachverständigen zugesandt werden.Dem Eröffnungsverfahren kommt gleichsam "negative Kontrollfunktion"zu: Es soll dem Angeschuldigten ersparen, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er öffentlichenHauptverhandlung verantworten zu müssen, wenn nach Sachlage mite<strong>in</strong>er Verurteilung mangels h<strong>in</strong>reichenden Verdachts nicht zu rechnenist; es soll aber auch das erkennende Gericht von der Belastung mit e<strong>in</strong>erüberflüssigen Hauptverhandlung freihalten. Die Kehrseite dieser Vorprüfungist freilich, daß das <strong>in</strong> der Hauptverhandlung erkennende Gericht,obwohl an den Eröffnungsbeschluß nicht gebunden (§§ 261, 264Abs. 2), doch wenigstens <strong>in</strong> den Augen des Angeklagten als <strong>in</strong>nerlichfestgelegt ersche<strong>in</strong>en kann57.Der Anklagesatz gegen "Baader u. a. " umfaßte <strong>in</strong> der Form, <strong>in</strong> der ernachdem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s - im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß vorlag, elfSeiten58. Auf vier Seiten werden <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>en Begriffen e<strong>in</strong>e großeZahl Straftatbestände aufgezählt, die die Angeschuldigten teils geme<strong>in</strong>sam,teils e<strong>in</strong>zeln begangen haben sollen; alle diese Straftaten sollen imRahmen e<strong>in</strong>er "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung" begangen worden se<strong>in</strong>; Baader,Enssl<strong>in</strong> und Me<strong>in</strong>hof seien als deren "Rädelsführer" und Raspe als189


Mitglied zu betrachten. Auf den folgenden sechs Seiten wird kurz derjeweilige Tathergang der e<strong>in</strong>zelnen Straftaten wiedergegeben; h<strong>in</strong>sichtlichder "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung" f<strong>in</strong>den sich folgende Ausführungen:"Diese Gruppe setzte sich zum Ziel, die gesellschaftlichen Verhältnisse <strong>in</strong>der Bundesrepublik Deutschland nach dem Vorbild der südamerikanischenStadtguerillas mit allen Mitteln, <strong>in</strong>sbesondere durch Gewaltmaßnahmen, zubekämpfen. Hierdurch sollten die Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e erfolgversprechenderevolutionäre Arbeit geschaffen werden. Für ihre Tätigkeit stattetesich die bald festgefügte Gruppe durch Raub, Diebstahl und Betrug <strong>in</strong> erheblichemUmfang mit Geld, Autos und Waffen aus. In konspirativen Unterkünften,mit Decknamen, gefälschten Ausweis- und Kraftfahrzeugpapierensowie durch falsche Kraftfahrzeugkennzeichen schirmte sie sich sorgfältiggegenüber ihrer jeweiligen Umgebung ab".Zwischen September 1970 und Januar 1972 sollen von namentlichgenannten "Mitgliedern der Bande" sechs bewaffnete Banküberfälleverübt worden se<strong>in</strong> (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fallwurde e<strong>in</strong> Polizeibeamter erschossen);die Angeschuldigten hätten (auf nicht weiter ausgeführte Art und Weise)immer "an der Planung und Ausführung der überfälle" teilgenommen.Weiter werden zwei nächtliche E<strong>in</strong>brüche <strong>in</strong> E<strong>in</strong>wohnermeldeämter genannt,bei denen Reisepässe, Dienstsiegel und Personalausweise gestohlenworden seien, und zwar von Me<strong>in</strong>hof und zweianderen "Bandenangehörigen"nach vorheriger Rücksprache mit Baader und Enssl<strong>in</strong>. Kernstückder Anklage s<strong>in</strong>d jedoch die (<strong>in</strong> KapitelIgenannten) Sprengstoffanschlägevom Mai 1972 <strong>in</strong> Frankfurt, Augsburg, München, Karlsruhe,Hamburg und Heidelberg, wobei von der Unterstellung ausgegangenwird, daß die Angeschuldigten "<strong>in</strong>sgesamt m<strong>in</strong>destens elf von ihnenhergestellte Sprengkörper entweder selbst oder durch andere Mitgliederzur Explosion (brachten)". Und schließlich wird Baader, Raspe undEnssl<strong>in</strong> noch versuchter Totschlag im Zusammenhang mit versuchtembewaffnetem Widerstand bei ihrer Festnahme zur Last gelegt.3. Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die ProzeßvoraussetzungenDie ersten 40 Prozeßtage vom 21.5.75 bis Ende September 75 könnenals der Abschnitt bezeichnet werden, <strong>in</strong> dem die Angeklagten undihre Verteidiger versuchten, den <strong>in</strong> den vorangegangenen Jahren verlorenenBoden wieder zurückzugew<strong>in</strong>nen. Dieser Versuch sollte sich, prozessualgesehen, als vergeblich herausstellen: Fast alle der von ihnenvorgebrachten Anträge wurden als unbegründet oder unzulässig zurückgewiesen.In dieser Phase des Prozesses g<strong>in</strong>g es nicht um die Behandlungder <strong>in</strong> der Anklageschrift aufgeführten Straftatbestände, denn mit derBeweisaufnahme sollte erst im Oktober 75 begonnen werden. Im Mittelpunktder von den Verteidigern immer wieder zur Sprache gebrachten190Probleme standen der Gesundheitszustand der Angeklagten und die<strong>Verteidigung</strong>sbed<strong>in</strong>gungen.Das erste Problem betraf die Frage nach der Verhandlungsfähigkeit:Waren die Angeklagten überhaupt <strong>in</strong> der Lage, der Verhandlung zufolgen und sich angemessen zu verteidigen? Den Angeklagten und der<strong>Verteidigung</strong> zufolge war dies nicht oder nur <strong>in</strong> beschränktem Maße derFall, da die Gesundheit der Gefangenen <strong>in</strong>folge der jahrelangen Isolationshaftals äußerst angegriffen bezeichnet werden mußte. Da nachwestdeutschem Recht die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten e<strong>in</strong>eder wesentlichen Voraussetzungen ist, um e<strong>in</strong>en Prozeß überhaupt führenzu können, müßte Verhandlungsunfähigkeit konsequenterweise dievorläufige Beendigung des Verfahrens zur Folge haben, oder - solltee<strong>in</strong>geschränkte Verhandlungsfähigkeit vorliegen - e<strong>in</strong>e entsprechendeAnpassung des Verfahrensablaufs, wobei <strong>in</strong> beiden Fällen Maßnahmenzur Besserung des Gesundheitszustandes der Angeklagten hätten ergriffenwerden müssen59.Das zweite Problem betraf die Frage, ob e<strong>in</strong>e angemessene Verteidi- _gung überhaupt noch möglich war. Auch diese Frage wurde von denAngeklagten und ihren Verteidigern verne<strong>in</strong>t. Sie verwiesen u. a. auf dieöffentliche Vorverurteilung sowie die Behandlung der Verteidiger <strong>in</strong> denvorangegangenen Jahren, die von Krim<strong>in</strong>alisierung, auf den Prozeßzugeschnittenen Sondergesetzen und Ausschließung der am besten e<strong>in</strong>gearbeitetenAnwälte kurz vor Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung gekennzeichnetwaren.Das dritte Problem, das seitens der <strong>Verteidigung</strong> immer wieder vorgetragenwurde, betraf die Frage nach der Gesetzlichkeit, Unabhängigkeitund Unparteilichkeit der Richter, und zwar vor allem des GerichtsvorsitzendenPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g.Anhand e<strong>in</strong>er Inhaltsanalyse der circa 3 000 Seiten zählenden Gerichtsprotokollevon den ersten 40 Verhandlungstagen ist es möglich,e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von der Gewichtigkeit zu geben, die jedem der genanntenProbleme während dieser ersten Verhandlungsphase zukam. Etwae<strong>in</strong> Drittel der Protokolle handelt von der Verhandlungsfähigkeit derAngeklagten und damit zusammenhängender D<strong>in</strong>ge, wie etwa der Zulassungunabhängiger mediz<strong>in</strong>ischer Sachverständiger zwecks näherer Untersuchungder Angeklagten. Etwa e<strong>in</strong> Fünftel befaßt sich <strong>in</strong>haltlich mitder Situation der <strong>Verteidigung</strong> und etwa e<strong>in</strong> Viertel mit der (Un-)Parteilichkeitder Rich-ter, letzteres vor allem auf Grund der <strong>in</strong>sgesamt 20unterschiedlichen Anträge der <strong>Verteidigung</strong> auf Ablehnung des vorsitzendenRichters "wegen Besorgnis der Befangenheit"6o.191


3.1. Der Gesundheitszustand der AngeklagtenDie mit dem Gesundheitszustand der Angeklagten direkt zusammenhängendeFrage nach ihrer Verhandlungsfähigkeit wurde von der <strong>Verteidigung</strong>während 18 der ersten 40 Verhandlungstage <strong>in</strong> den Mittelpunktder gerichtlichen Ause<strong>in</strong>andersetzung gestellt. In den nun folgenden fünfAbschnitten wird chronologisch der wesentliche Streit- und Verhandlungsstofferörtert.3.1.1. Antrag auf H<strong>in</strong>zuziehung mediz<strong>in</strong>ischer SachverständigerAm frühen Nachmittag des vierten Verhandlungstages begannRechtsanwält<strong>in</strong> Becker mit der Verlesung e<strong>in</strong>es ausführlich begründetenAntrags auf Anhörung mediz<strong>in</strong>ischer Sachverständiger und - damit zusammenhängend- auf E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens. Drei der acht namentlichgenannten Ärzte waren ausländische Wissenschaftler, die aufgrundvon Untersuchungen, Publikationen und Praxiserfahrung überweitreichende wissenschaftliche Kenntnisse der psychosomatischenAuswirkungen von Isolation und sensorischer Deprivation verfügten. Diefünf deutschen Ärzte, unter ihnen zwei Internisten, waren von der <strong>Verteidigung</strong>bereits im Oktober 1974 als "Vertrauensärzte" zur Untersuchungund Behandlung der Gefangenen benannt worden. Dieser Antrag war,wie schon erwähnt61, am 14.10.74 vom Oberlandesgericht unter VorsitzPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs abgelehnt worden, und zwar mit der e<strong>in</strong>zigen Begründung,der Antrag gebe "ke<strong>in</strong>en begründeten Anhalt dafür, daß die Ärzte <strong>in</strong> denjeweiligen Vollzugsanstalten ihre Pflichten vernachlässigen würden oderihren Aufgaben nicht gewachsen wären". E<strong>in</strong>er der beiden Internistenwar Dr. Jörgen Schmidt-Voigt. Als vom Gericht bestellter mediz<strong>in</strong>ischerSachverständiger hatte er imJanuar 1974 im Prozeß gegen Astrid Pro1l62e<strong>in</strong> Gutachten erstattet, das Astrid Proll wegen der Folgen ihrer damalsbereits zweie<strong>in</strong>halb Jahre dauernden Isolationshaft für nicht mehr verhandlungsfähigerklärte. E<strong>in</strong>e entsprechende mediz<strong>in</strong>ische Untersuchungder Angeklagten im <strong>Stammheim</strong>er Verfahren werde, so die Argumentationder <strong>Verteidigung</strong>, zu der Feststellung führen, daß die Angeklagtenbereits vor ihrem letzten Hungerstreik <strong>in</strong>folge der langen Isolationshaftverhandlungsunfähig gewesen seien, und daß dies immer nochzutreffe. E<strong>in</strong>e Anhörung der Wissenschaftler werde zudem ergeben, daßdie über e<strong>in</strong>en Zeitraum von drei Jahren fast unverändert gebliebenenHaftbed<strong>in</strong>gungen "nach den gesicherten Erkenntnissen der Isolationsforschunge<strong>in</strong>e die menschliche Toleranzgrenze überschreitende sensorischeDeprivation darstellen", welche "e<strong>in</strong>e wissenschaftlich erprobteMethode der Folter ist, die Teil der Counter-Insurgency-Programmeimperialistischer Staaten ist". Diese Feststellungen müßten im Falle ihrer,192Bestätigung durch die beantragte Beweiserhebung konsequenterweisedie E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens und die Entlassung der Angeklagten ausder Untersuchungshaft zur Folge haben63.In der Begründung des Antrags fällt auf, daß die <strong>Verteidigung</strong> sichnicht damit begnügt, die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten feststellenzu lassen, sondern im gleichen Atemzug offensiv auch die ursächlichenpolitischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen benennt: Isolationshaft als wissenschaftlicherprobte Foltermethode, angewandt gegen gefangene Revolutionäreund somit Teil der konterrevolutionären Programme imperialistischerStaaten.Der Antrag iste<strong>in</strong> weiteres Beispiel für die Problematik,mit der engagierte politische <strong>Verteidigung</strong> sich immer konfrontiertsieht. Denn für Gefangene aus e<strong>in</strong>er revolutionären Bewegung ist es nurdann von Interesse, ihre Verhandlungsunfähigkeit feststellen zu lassen,wenn gleichzeitig auch die ihrer Me<strong>in</strong>ung nach dafür verantwortlichenpolitischen Gründe benannt und öffentlich zur Diskussion gestellt werden.Ihnen liegt absolut nichts daran, als "Opfer" e<strong>in</strong>es nicht weiterbegründeten Auftretens staatlicher Behörden präsentiert zu werden, vielaber an der Denunziation von Rolle und Funktion genau jenes staatlichenHande<strong>in</strong>s.In e<strong>in</strong>em "normalen" Strafverfahren bemüht sich der Verteidiger umjUristische Erfolge für se<strong>in</strong>en Mandanten. E<strong>in</strong> solches Bestreben, angewandtauf den Prozeß <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, würde bedeuten, nur die Frageder Verhandlungsunfähigkeit zu thematisieren, e<strong>in</strong>en Erklärungszusammenhang,der staatliche Behörden und das Gericht selbst auf die Anklagebankverweist, jedoch zu unterlassen, um den angestrebten juristischenErfolg nicht erheblich zu gefährden. Schließlich war die Haltungdes Stuttgarter Gerichts zur Zulassung von Vertrauensärzten durch denSchlußsatz se<strong>in</strong>er Verfügung vom 14.10.74 mehr als deutlich geworden:"In diesem Zusammenhang sieht sich der Senat veranlaßt, daraufh<strong>in</strong>zuweisen, daß es ständige übung des Senats ist, E<strong>in</strong>gaben mit diffamierendenFormulierungen nicht zu bescheiden" 64. Der Senat hatte sichdamals an Begriffen wie "Isolationsfolter" und "Gehirnwäschepraktiken"gestoßen65. Am 18.6.75 verlas Baader vor Gericht e<strong>in</strong>e Erklärung,die den Standpunkt der Gefangenen h<strong>in</strong>sichtlich dieser Problematikwiedergibt; hier nur der Schluß teil dieser umfangreichen Erklärung:"naja, ich kann auch nicht über den, der gefoltert wird, reden. an ihmbeweist sich schließlich auch nur<strong>in</strong> der endlich offenen liquidierung der fiktiondes subjektstatus, des objekts staatlicher repression, daß die werte bürgerlicherrechtsideologie für den imperialistischen staat lästige antiquitäten s<strong>in</strong>d, wennsie den verwertungsbed<strong>in</strong>gungen des kapitals nicht mehr entsprechen.zu reden ist über den, der foltert. den staat. und den prozeß, <strong>in</strong> dem diestaatliche counterstrategie auf folter angewiesen ist und sich entsprechend derentwicklung e<strong>in</strong>es neuen faschismus im staatsapparat die technologie, dieapparate und immer etwas h<strong>in</strong>terherh<strong>in</strong>kend die gesetze {und schließlich die193


strukturelle und organisatorische voraussetzung <strong>in</strong> der massenkommunikation,die reflexe neutralisiert) schafft, die folter <strong>in</strong>stitutionell voraussetzt.wir sagen hier nochmal: folter ist ke<strong>in</strong> revolutionärer kampfbegriff.aufklärung darüber hat vielleicht e<strong>in</strong>e schutzfunktion, aber die mobilisierung,die sie braucht, muß sich gegen die politik wenden, auf die der staat mitfolter reagiert (und damit zuletzt gegen die gefangenen selbst), solange dasvehikel ihrer politik der moralische reflex derer ist, die <strong>in</strong> diesem staat noch zuhause s<strong>in</strong>d - und sei es, weil sie ihn als revisionisten übernehmen wollen - dasheißt, die mobilisierung muß gegen uns laufen, wenn sie nicht mit der propagandabewaffneter politik vermittelt ist - ihre moral und strategie propagiert,was immer heißt, selbst zur bewaffneten aktion kommt"66.Im Antrag auf Anhörung von acht Ärzten als Gutachter und aufE<strong>in</strong>stellung des Verfahrens wurden auf 45 Seiten sowie an Hand von 30Anlagen (Dokumenten) die Isolationshaft und ihre Auswirkungen ausführlichthematisiert. An Hand zahlreicher Beispiele und konkreter Beschreibungenwurde versucht, e<strong>in</strong> genaues Bild der Haftbed<strong>in</strong>gungenseit 1972 zu geben, die Unmenschlichkeit dieser Bed<strong>in</strong>gungen zu verdeutlichenund die Schlüsselpositionen von BKA und GBA bei derGestaltung der Haft hervorzuheben.E<strong>in</strong>e Schwäche dieses Antrags ist me<strong>in</strong>es Erachtens, daß vor allemh<strong>in</strong>sichtlich des wohl heikelsten Themas, des Foltervorwurfs, kaum derVersuch gemacht wird, e<strong>in</strong>e mehr juristische Argumentation zu führen.Daß dies möglich gewesen wäre, zeigt die Begründung der 1977 imNamen von Baader, Enssl<strong>in</strong> und Haspe bei der Europäischen Menschenrechtskommissione<strong>in</strong>gereichten Klage wegen Verletzung der EuropäischenMenschenrechtskonvention67.Während der Verlesung des Antrags auf Anhörung der acht mediz<strong>in</strong>ischenSachverständigen kam es zu e<strong>in</strong>em ernsthaften Zwischenfa1l68.Gegen 16 Uhr war etwa die Hälfte des Antrags vorgetragen. Die <strong>Verteidigung</strong>bat um e<strong>in</strong>e Vertagung der Sitzung auf den folgenden Tag undbegründete die Bitte mit der ihrer E<strong>in</strong>schätzung nach zu dieser Zeit nichtmehr gegebenen Verhandlungsfähigkeit ihrer Mandanten und mit demH<strong>in</strong>weis, daß der Vorsitzende zu Beg<strong>in</strong>n des Prozesses die Absichtgeäußert habe, täglich nicht länger als bis 16Uhr zu verhandeln. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gbestand jedoch darauf, die Verlesung des Antrags bis 16.15 Uhr fortzusetzen;schließlich habe man e<strong>in</strong>e halbe Stunde zuvor viel Zeit mit derDiskussion über dasselbe Thema, nämlich Vertagung wegen der "reduziertenVerhandlungsfähigkeit" der Angeklagten, verloren. Die fünfzehnm<strong>in</strong>ütigeVerlängerung wurde von den Verteidigern als prozessuale Strafefür die Wahrnehmung von <strong>Verteidigung</strong>srechten bezeichnet. Gleichzeitigerklärtensie, nicht länger an der heutigen Verhandlung teilnehmenzu wollen. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g warf ihnen daraufh<strong>in</strong> Prozeßsabotage vor.Der Vorwurf der Prozeßsabotage war schon e<strong>in</strong>e halbe Stunde vorhervon BAWWunder geäußert worden; er hatte die <strong>Verteidigung</strong> gleichzeitigder "Prozeßverschleppung" bezichtigt. Auf den zu diesem Zeitpunkt194vorliegenden Antrag auf Sitzungsvertagung wegen "reduzierter Verhandlungsfähigkeit"antwortete er: "Der Antrag (. .. ) dient ganz offensichtlichder Prozeßverschleppung, denn wenn man die vier Angeklagtenhier im Sitzungssaal beobachtet, wie sie sich derart rege unterhalten,dann (. .. ) drängt sich für jeden, der fähig ist, dies zu beobachten, auf,daß nichts von dem Behaupteten der Wahrheit entspricht"69.Die Tatsache, daß Vorwürfe der Prozeßverschleppung und Prozeßsabotageschon an e<strong>in</strong>em der ersten Sitzungstage zu hören waren, istfür die hier untersuchte Problemstellung <strong>in</strong> m<strong>in</strong>destens dreierlei H<strong>in</strong>sichtrelevant. Erstens wurde mit diesen öffentlich geäußerten und vonden Medien gierig aufgegriffenen Beschuldigungen auf die seit Jahrenvon den verschiedensten Seiten immer wieder fallengelassene Behauptung,die <strong>Verteidigung</strong> verfolge ausschließlich das Ziel, das Strafverfahrengegen "Baader u. a." auf jede nur denkbare Art und Weise zusabotieren7o, angespielt. Diese vor Gericht vorgetragenen Anschuldigungen,die später noch unzählige Male wiederholt wurden, dientensozusagen als nachträgliche Legitimation für die Gesetzesänderungenvom 1.1. 75, deren erklärtes Ziel u. a. die Abwehr der zu erwartendenProzeßsabotage durch die Verteidiger gewesen war. Zudem wurden dieVorwürfe zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt ausgesprochen, an dem sowohl im Bundestag,vor allem von der CDU/CSU-Fraktion, als auch durch e<strong>in</strong>everstärkte Hetzpropaganda <strong>in</strong> den Medien die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Verschärfungder Ausschlußmöglichkeiten von Verteidigern u. a. wegen"Prozeßsabotage" hervorgehoben wurde. Die vor Gericht geäußertenBeschuldigungen verstärkten das sowieso schon äußerst repressive Klimagegenüber Verteidigern von Gefangenen aus der Stadtguerilla. Undschließlich bildeten diese - und die vielen noch folgenden - Anschuldigungene<strong>in</strong>e Art Rahmen, <strong>in</strong> dem es möglich se<strong>in</strong> würde, e<strong>in</strong>zelneVerteidiger zu entpflichten, ihnen also die Vergütung für ihre Arbeit ausder Staatskasse zu entziehen oder ihnen standesrechtliche Verfahrenanzuhängen. Bereits <strong>in</strong> den ersten Stunden hatte BAWWunder letzteresgeradezu programmatisch angekündigt. Zu e<strong>in</strong>em Antrag der <strong>Verteidigung</strong>auf Zulassung von Croissant als Verteidiger von Haspe, <strong>in</strong> demausführlich auf die Vorgeschichte der Ausschließungen von Croissant,Ströbele und Groenewold (siehe Abschnitt 3.2.) e<strong>in</strong>gegangen wurde,stellte Wunder fest: "Im übrigen gebe ich zu den polemischen Ausführungenke<strong>in</strong>e Erklärung ab, bitte aber, diese Protokolle den zuständigenAnwaltskammern zuzuleiten,


echtlicher Diszipl<strong>in</strong>ierung politischer <strong>Verteidigung</strong> werde ich <strong>in</strong> KapitelIXzurückkommen.Aus den Vorwürfen der Prozeßsabotage und Prozeßverschleppungentwickelte sich der erste schwere Konflikt zwischen Gericht und BAWe<strong>in</strong>erseits und der <strong>Verteidigung</strong> andererseits <strong>in</strong> diesem Verfahren. Höhepunktdieses Konflikts war das eigenmächtige Verlassen des Gerichtssaalsseitens der vier Vertrauensanwälte. Mitdiesem Auszug riskierten dieVerteidiger immerh<strong>in</strong>, entpflichtet zu werden und ihre E<strong>in</strong>künfte zuverlieren; angesichts der voraussichtlichen Dauer des Prozesses hättensie ohne Honorar die <strong>Verteidigung</strong> nicht fortführen können. Als Begründungfür ihren Auszug gaben die Verteidiger die nicht mehr vorhandeneVerhandlungsfähigkeit ihrer Mandanten an. Westdeutschem Recht zufolgeistVerhandlungsunfähigkeit gleichzusetzen mit Abwesenheit72.Abwesenheitgiltals wichtiger Revisionsgrund (§ 338 Nr. 5 StPO), be<strong>in</strong>haltetalso die Möglichkeit, daß das Urteil im Revisionsverfahren aufgehobenwird. Der Beweis der Verhandlungsunfähigkeit als Revisionsgrund istaber ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Sache.In se<strong>in</strong>em Handbuch für Strafverteidiger73schreibt Dahs dazu: "Sie istnachträglich allerd<strong>in</strong>gs schwer zu beweisen, besonders wenn sie nichtgeltend gemacht worden ist und das Gericht sie nicht selbst festgestellthat". Und dann folgt die Warnung: "Der Verteidiger kann auch hier ander Verwirkung se<strong>in</strong>er Rüge scheitern, wenn er es verpaßt hat, e<strong>in</strong>eUnterbrechung zu beantragen und e<strong>in</strong>en Gerichtsbeschluß herbeizuführen,notfalls den Sitzungsaal zu verlassen". Dahs zielt hier auf die fürVerteidiger <strong>in</strong> Strafverfahren bestehende Möglichkeit ab, durch eigenmächtigesVerlassen des Gerichtssaals e<strong>in</strong>e Unterbrechung der Sitzungzu erzw<strong>in</strong>gen. Diese Waffewar aber im vorliegenden Fallschon durch dieBeiordnung von Zwangsverteidigern entschärft worden; der VorwurfderProzeßsabotage ließ sich also gerade vom Standpunkt des Gerichts aufke<strong>in</strong>en Fall erhärten.3.1.2. Anstaltsarzt Henck als GutachterAm nächsten Tag, dem 12.6.75, ließ das Gericht den Psychiater Dr.Helmut Henck, Arzt <strong>in</strong> der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>,per Hubschrauber aus se<strong>in</strong>em Ferienort e<strong>in</strong>fliegen, um ihn wegen derbehaupteten Verhandlungsunfähigkeit als Sachverständigen anzuhören.Henck eröffnete se<strong>in</strong>e Erklärung mit der Mitteilung, daß er zwar mitder mediz<strong>in</strong>ischen Betreuung der Angeklagten beauftragt sei (seit EndeApril 1974 zuständig für Enssl<strong>in</strong> und Me<strong>in</strong>hof, seit Anfang November1974 für Baader und Raspe), jedoch ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Untersuchung habevornehmen können. Nur zweimal hatte er während des Hungerstreiks imNovember 1974 bei Enssl<strong>in</strong> und Raspe, gegen deren Willen "mit Zwangund unter Anwendung von Gewalt"74, Blutproben entnommen. Auf.lPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs entscheidende Frage nach der Verhandlungsfähigkeit antworteteHenck unter H<strong>in</strong>weis auf se<strong>in</strong>e Beobachtungen im Gerichtssaal vorse<strong>in</strong>er Befragung: "Also, vom äußeren Ersche<strong>in</strong>ungsbild her, von derVerhaltensweise, von der Wesensmäßigkeit kann ich sicher sagen, daße<strong>in</strong>e Verhandlungsfähigkeit vorliegt"75.Die Vernehmung Hencks durch Verteidiger und Baader war permanentvon Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten zwischen GerichUBAWund <strong>Verteidigung</strong>über die Zulässigkeit bestimmter Fragen gekennzeichnet. Der<strong>Verteidigung</strong> g<strong>in</strong>g es darum, Hencks Kompetenzen als mediz<strong>in</strong>ischerSachverständiger zur Diskussion zu stellen, da er für sich <strong>in</strong> Anspruchnahm, ohne konkrete Untersuchungsergebnisse und vermutlich ohneKenntnisse über die Auswirkung langwährender Isolationshaft e<strong>in</strong>e Diagnosestellen zu können. So wurde z. B. auf Antrag der BAW SchilysFrage als unzulässig abgelehnt: "Herr Dr. Henck, haben Sie denn vorBeg<strong>in</strong>n des Hungerstreiks überhaupt e<strong>in</strong>mal überlegungen angestelltdarüber, welche gesundheitsschädigenden Auswirkungen die Isolationhat?"76. Die e<strong>in</strong>zigen "Punkte", die die <strong>Verteidigung</strong> sammeln konnte,waren Hencks Antworten auf die zwei Fragen, ob besonders verschärfteHaftbed<strong>in</strong>gungen sich gesundheitsschädigend auswirken könnten("Das versteht sich von selbst"), und ob er während se<strong>in</strong>er 20jährigenErfahrung als Anstaltsarzt jemals ähnliche Haftbed<strong>in</strong>gungen wie die <strong>in</strong>Stuttgart-<strong>Stammheim</strong> angetroffen habe ("Ist mir nicht bekannt.Ne<strong>in</strong>".)77. Trotzdem blieb er bei der Me<strong>in</strong>ung, daß er für se<strong>in</strong>e Diagnose"Verhandlungsfähig" ke<strong>in</strong>e konkreten Untersuchungsergebnisse benötige:"Die würden bestenfalls (. .. ) me<strong>in</strong>e Annahme bestätigen können,,7S.Nach westdeutschem Strafprozeßrecht kann e<strong>in</strong> Sachverständigeraus den gleichen Gründen wie e<strong>in</strong> Richter abgelehnt werden79. DieAngeklagten beantragten denn auch die Ablehnung Hencks wegen"Besorgnis der Befangenheit"so. Der Verdacht der Befangenheit begründetesich vor allem darauf, daß Henck die Verhandlungsfähigkeitder Angeklagten ohne konkrete Untersuchungsergebnisse und alle<strong>in</strong>aufgrund se<strong>in</strong>er Beobachtungen während der Sitzung sowie e<strong>in</strong>igeretwa 30m<strong>in</strong>ütiger Gespräche, die früher stattgefunden hatten, bejahthatte. Weiter warfen sie Henck vor, "die pathogene Wirkung sensorischerDeprivation durch langdauernde Isolierung unter verschärftenHaftbed<strong>in</strong>gungen" nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Urteilsbildung mit e<strong>in</strong>bezogen zu haben.Außerdem sei deutlich geworden, daß er das Fachgebiet nurunzureichend kenne.Für die BAW bestanden ke<strong>in</strong>e Zweifel daran, daß Henck unbefangensei und wegen se<strong>in</strong>er "unmißverständlichen und überzeugendenAusführungen" von e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>geschränkten Verhandlungsfähigkeitder Angeklagten auszugehen sei. Die Begründung des Antrags auf H<strong>in</strong>zuziehungmediz<strong>in</strong>ischer Sachverständiger und auf Beendigung des196~,"


Prozesses wurde kurzweg als "nur Polemik und auf Publikumswirkungbedachte Agitation (... )mit dem Ziel,den Prozeß unter allen Umständenzu verschleppen" 81bezeichnet.Auch nach Me<strong>in</strong>ung des Gerichts lagen ke<strong>in</strong>erlei Anhaltspunkte füre<strong>in</strong>e eventuelle Befangenheit Hencks82, "e<strong>in</strong>em dem Gericht bekannten,bei der Beurteilung der Haft- und Verhandlungsfähigkeit besonderserfahrenen, gewissenhaften und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteil unabhängigen Facharzt"83,vor. Zum Antrag auf Beendigung des Prozesses wegen Verhandlungsunfaehigkeiterklärte das Gericht, es habe an der Verhandlungsfähigkeitder Angeklagten aufgrund se<strong>in</strong>er eigenen Beobachtungenwährend der ersten fünf Sitzungstage ke<strong>in</strong>e Zweifel: "Diese Auffassunghat der Sachverständige Dr. Henck überzeugend bestätigt"84. Auch derAntrag auf H<strong>in</strong>zuziehung externer Ärzte sei abzulehnen, "da an derVerhandlungsfähigkeit der Angeklagten ke<strong>in</strong>e Zweifel bestehen,,85. Ausdiesem Gerichtsbeschluß g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>deutig hervor, daß weitere Anträgeerfolglos se<strong>in</strong> würden, "so lange jede Untersuchung durch den Anstaltsarztabgelehnt wird".Es war nicht unmittelbar e<strong>in</strong>sichtig, aus welchen Gründen das Gericht<strong>in</strong> diesem Punkt e<strong>in</strong>e so extrem starre Haltung e<strong>in</strong>nahm, zumal Henckwährend se<strong>in</strong>er Vernehmung durch die <strong>Verteidigung</strong> mitgeteilt hatte,daß er dem Gericht noch wenige Tage zuvor empfohlen habe, dieAngeklagten von Vertrauensärzten untersuchen zu lassen86,wenn auch<strong>in</strong> dieser Untersuchung - wie Henck später erklärte87 - lediglich derGesundheitszustand nach dem letzten Hungerstreik kontrolliert werdensollte. Man hätte annehmen können, daß e<strong>in</strong>e solche Empfehlung desdirekt verantwortlichen Anstaltsarztes ernst genommen würde. Me<strong>in</strong>esErachtens gibt es für die Haltung des Gerichts zwei plausible Erklärungen:Entweder war es aus Prestigeerwägungen der Me<strong>in</strong>ung, e<strong>in</strong>emAntrag auf H<strong>in</strong>zuziehung externer Ärzte nicht nachgeben zu können,oder es fürchtete das Resultat solcher Untersuchungen durch unabhängigeMediz<strong>in</strong>er.Obwohl die oben genannten Beschlüsse des Gerichts darauf h<strong>in</strong>zudeutenschienen, daß der Punkt der eventuellen (e<strong>in</strong>geschränkten) Verhandlungsfähigkeitdef<strong>in</strong>itiv abgehandelt war, kam der Angeklagte Baadersechs Verhandlungstage später auf diesen Punkt zurück. Anlaß warder neuerliche Antrag se<strong>in</strong>es neuen Verteidigers, den holländischenPsychiater Prof. Dr. Sjef Teuns als Sachverständigen zu der Frage, obBaader verhandlungsfähig sei, zuzulassen88.Teuns war extra für diese Gelegenheit nach <strong>Stammheim</strong> gereist, umdem Gericht als "präsentes Beweismittel" vorgestellt werden zu können,so daß es für das Gericht weniger e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong> würde, den Antragabzulehnen89. Aus Gesprächen mit den Verteidigern konnte ich entnehmen,daß sie e<strong>in</strong>e Zulassung von Teuns nicht für völligausgeschlossenhielten. Abgesehen von dem verfahrensmäßigen Druck, der von e<strong>in</strong>em198"präsenten Beweismittel" ausgeht, schien ihnen die Tatsache Grund füre<strong>in</strong>en zaghaften Optimismus, daß auch Henck während der Anhörungnicht angezweifelt hatte, daß Teuns (damals am Instituut voor Ontwikkel<strong>in</strong>gspsychologieder Universität Utrecht und Gastprofessor für Erziehungsberatungund Psychoanalyse an der Universität Kassel) als e<strong>in</strong>erder wenigen westeuropäischen Experten auf dem Gebiet der sensorischenDeprivation und Isolation galt.In der Diskussion über den Zulassungsantrag für Teuns erklärte Baader,Henck habe ihm nach der Verlesung se<strong>in</strong>es Gutachtens vor Gerichtangedeutet, er halte beschränkte Verhandlungsfähigkeit möglicherweisefür gegeben. In der ablehnenden Begründung des Antrags auf Zulassungvon Teuns ("Die Zuziehung weiterer Sachverständiger wurde damalsnicht für erforderlich gehalten, das gilt noch"90) teilte das Gericht mit,daß es wegen Baaders Behauptung <strong>in</strong>zwischen mit Henck telefonierthabe, mit dem Ergebnis, "er habe dem Angeklagten lediglichempfohlen,im begründeten E<strong>in</strong>zelfall e<strong>in</strong>e Pause zu beantragen". Das war für die<strong>Verteidigung</strong> der Anlaß, erneut zu beantragen, Henck noch e<strong>in</strong>mal zurFrage der e<strong>in</strong>geschränkten Verhandlungsfähigkeit zu hören. Der Antragwurde mit neuen Fakten untermauert: Henck habe den Angeklagtennach se<strong>in</strong>er Befragung vor Gericht e<strong>in</strong> neues Medikament verschrieben;die Angeklagten hätten nach e<strong>in</strong>igen Verhandlungstagen e<strong>in</strong>en Gewichtsverlustvon etwa e<strong>in</strong>em Kilofestgestellt; nach Verhandlungstagenbenötigten sie 12 bis 15 Stunden Schlaf. Dieser Antrag wurde angenommenund gleichzeitig angekündigt, daß noch e<strong>in</strong> anderer Arzt gehörtwerden sollte. Es handelte sich um Prof. Dr Rauschke iProfessor fürRechtsmediz<strong>in</strong> <strong>in</strong> Stuttgart und Gerichtsmediz<strong>in</strong>er), der, wie sich nunherausstellte, bereits seit Tagen auf Ersuchen des Gerichts als stillerBeobachter am Prozeß teilgenommen hatte.In se<strong>in</strong>er erneuten Anhörung vor Gericht verne<strong>in</strong>te Henck, die vonBaader zitierte Bemerkung gemacht zu haben und bestätigte nochmalsausdrücklich se<strong>in</strong>e zuvor getroffene Diagnose der une<strong>in</strong>geschränktenVerhandlungsfähigkeit91. Auffälligwar, daß Henck diesmal noch weiterg<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>dem er behauptete, e<strong>in</strong>e zeitlichbeschränkte Verhandlungsfähigkeitgebe es nicht. Er berief sich auf e<strong>in</strong> Zitat aus dem "Handbuch derforensischen Psychiatrie", das sich jedoch ausschließlich auf die zeitlichbegrenzte Verhandlungsfähigkeit von Geisteskranken bezog 92.Gleichzeitigverne<strong>in</strong>te er jedoch auch, daß die Angeklagten simulieren würden93.Rauschke h<strong>in</strong>gegen erklärte unumwunden, daß er ohne Untersuchungsergebnisseke<strong>in</strong>e zuverlässige Diagnose stellen könne, und daße<strong>in</strong>geschränkte Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich nicht auszuschließensei. Er schlug vor, die Angeklagten von Internisten (im Zusammenhangmit möglichen Gesundheitsschäden <strong>in</strong>folge des Hungerstreiks) undvon Psychiatern (<strong>in</strong> Zusammenhang mit möglichen Schäden <strong>in</strong>folge der199•


Haftbed<strong>in</strong>gungen) untersuchen zu lassen94. Noch während RauschkesAnhörung gab Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Diskussion mit Baader zu erkennen, daßer auf den Vorschlag e<strong>in</strong>gehen wolle95.Das war für die <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>evöllig neue Situation, denn immerh<strong>in</strong> sah es zum erstenmal seit Jahrendanach aus, als ob externe Ärzte zugelassen würden. Dieser Hoffnungsschimmerwurde durch Rauschkes e<strong>in</strong>deutig bejahende Antwort aufBaaders Frage, ob er die Zuziehung e<strong>in</strong>es Arztes/ Sachverständigen aufdem Gebiet der Isolation für notwendig halte, noch verstärkt96. Die<strong>Verteidigung</strong> stellte daraufh<strong>in</strong> erneut den Antrag, Teuns als Sachverständigenzu hören. Das Gericht lehnte den Antrag mit der Begründung,Teuns sei parteiisch, ab. Es verwies auf e<strong>in</strong>en Solidaritätsaufruf, den der"Bond van Wetenschappelijke Arbeiders" (Verband wissenschaftlicherArbeiter) erlassen hatte und <strong>in</strong> dem von "Isolationsfolter, wie sie beipolitischen Gefangenen <strong>in</strong> der BRD angewandt wird", die Rede war. DasGericht sah ke<strong>in</strong>en Anlaß, se<strong>in</strong>e Entscheidung zu überdenken, obwohl<strong>in</strong>zwischen klar war, daß der umstrittene Aufruf nicht von Teuns stammte,sondern vom Bond van Wetenschappelijke Arbeiders verfaßt wordenwar, dem Teuns e<strong>in</strong>en Vortrag vom Mai 1973 zur Verfügung gestellthatte97.3.1.3. Bundesanwaltschaft und Gericht zur HaftsituationIm Anschluß an die Anhörungen von Henck und Rauschke reichte die<strong>Verteidigung</strong> am 15. Sitzungstag (9.7. 75) den Antrag e<strong>in</strong>, die Isolationder Gefangenen aufzuheben und sie <strong>in</strong> den Normalvollzug zu <strong>in</strong>tegrieren,sie also am normalen Anstaltsleben mit allen Geme<strong>in</strong>schaftsveranstaltungenteilnehmen zu lassen. Noch e<strong>in</strong>mal wurden die gegebenenHaftbed<strong>in</strong>gungen von den Angeklagten und ihren Verteidigern genaubeschrieben.Wie brisant das Thema war, zeigte bereits die sieben Seiten starkeZurückweisungsbegründung der BAW, die sich bis dah<strong>in</strong> meist mit nurwenigen Sätzen begnügt hatte98. Der Gerichtsbeschluß umfaßte sogaracht Seiten99. Die von der BAW im Ablehnungsantrag verfolgte Argumentationunterschied sich <strong>in</strong> nichts von ihren seit 1973 üblichen Antwortenauf wie auch immer geäußerte Vorwürfe unmenschlicher Isolationshaft100.VonIsolation könne ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>: Raspe und Baaderhätten die Möglichkeit, sich durch Zuruf von Zellezu Zelle mite<strong>in</strong>ander zuverständigen, sie hätten geme<strong>in</strong>samen Hofgang, zehn- bis fünfzehnmalpro Tag Kontakt mit Anstaltspersonal und sie würden häufig von ihrenVerteidigern besucht. Im Vergleich zu anderen Gefangenen besäßen siezahlreiche Privilegien, so z. B. größere Zellen als üblich, viele Zeitschriftenund Bücher, Radio und Plattenspieler; bei e<strong>in</strong>er Gleichbehandlungmüßten sie auf diese Privilegien verzichten. E<strong>in</strong>e solche Gleichbehandlungund vor allem die dadurch bed<strong>in</strong>gte Integration <strong>in</strong> das normale200Anstaltsleben sei jedoch wegen der Gefährlichkeit der Angeklagten unmöglich.Als "Beweis" für die unterstellte Gefährlichkeit wurde e<strong>in</strong> dreiseitigerBefreiungsplan verlesen, der Baader zugeschrieben wurde undim Februar 1974 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "konspirativen" Wohnung gefunden wordensei101.Die <strong>Verteidigung</strong> protestierte scharf gegen die Verlesung dieses Beweisstücks,da es Teilder Prozeßakte und noch nicht behandelt wordensei und damit nichts über den eventuellen Verfasser ausgesagt werdenkönne. Baader sagte dazu u. a.: "Mal unterstellt, dieses vor e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbJahren gefundene Papier sei von mir: <strong>in</strong>wiefern rechtfertigt es die Isolationvon 40 Gefangenen, als Beispiel? Inwiefern rechtfertigt es die Institutionder Isolation <strong>in</strong> der Bundesrepublik, die E<strong>in</strong>richtung von (. .. ) Isolationstrakten<strong>in</strong> zahlreichen Gefängnissen, <strong>in</strong> denen soziale und sensorischeDeprivation für politische Gefangene <strong>in</strong>stitutionalisiert wird. Daswürde ich doch wirklichgern e<strong>in</strong>mal wissen. Und <strong>in</strong>wiefern würde es nun<strong>in</strong> diesem Verfahren (... ) die Isolation der anderen drei Gefangenenrechtfertigen? Nur mal die Voraussetzung angenommen, es sei vonmir"102.Am 17. Verhandlungstag (16.7.75) wurde der Antrag auf Aufhebungder Isolation per Gerichtsbeschluß abgelehnt. Die Begründung enthielte<strong>in</strong>en ausführlichen Überblick über die Haftbed<strong>in</strong>gungen vom Zeitpunktder Festnahme an. Das Gericht verwies auf den (schon genannten)Beigeherbeschluß vom 5.3.73 des Ermittlungsrichters am BGH103:"Offenbarhat ke<strong>in</strong>er der Angeklagten von diese~ Möglichkeit Gebrauchgemacht" 104.Me<strong>in</strong>hof und Enssl<strong>in</strong> seien per Beschluß vom 4.2.74 e<strong>in</strong>eStunde geme<strong>in</strong>samer Hofgang pro Tag (während ihres Aufenthalts imToten Trakt von Köln-Ossendorf105)und per Beschluß vom 6.5.74 vierStunden pro Tag (unmittelbar nach ihrer Verlegung nach <strong>Stammheim</strong>106)zugestanden worden. Me<strong>in</strong>hof sei im August 1974 vom Gerichtangeboten worden, am Hofgang e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Gruppe weiblicher Gefangenerteilzunehmen; unerwähnt blieb hier, daß es nie dazu gekommenwar, weil die anderen Gefangenen die damit verbundenen Sicherheitsrnaßnahmen(z. B. Entkleiden vor und nach dem Hofgang) nichtakzeptiert hatten. Diese Kontaktmöglichkeiten seien Anfang März 1975wegen der Lorenz-Entführung völlig aufgehoben worden, danach fürkurze Zeit gestattet und Ende April wegen der Botschaftsbesetzung <strong>in</strong>Stockholm wieder aufgehoben worden.In gleicher Weise wird dann über Kontakte zwischen Baader undRaspe berichtet. Sie waren jedoch erst von Mitte November 1974 annachihrer Verlegung nach <strong>Stammheim</strong> - möglich geworden. Aus derÜbersicht geht weiter hervor, daß die weiblichen Angeklagten währendzehn der <strong>in</strong>sgesamt 36 Monate Haft e<strong>in</strong>ige Stunden pro Tag unbeaufsichtigtKontakt mite<strong>in</strong>ander gehabt hatten und die männlichen Angeklagtenwährend vier Monaten; diese Kontakte waren wegen Aktionen201•


draußen während der zweiMonate vor dem Prozeß unterbrochen gewesen.Seit Prozeßbeg<strong>in</strong>n hatten die Angeklagten wieder, nach Geschlechtgetrennt, geme<strong>in</strong>samen Hofgang an Tagen, an denen ke<strong>in</strong>e Verhandlungstattfand. An den Verhandlungstagen konnten die Angeklagtenregelmäßig vor Beg<strong>in</strong>n der Mittagssitzung 45 M<strong>in</strong>uten mite<strong>in</strong>ander überihre <strong>Verteidigung</strong> reden ("Das stellt e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>maliges Entgegenkommendar, dessen sich die Angeklagten freilich nicht bewußt zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en"107).In dem Beschluß wurde als e<strong>in</strong>zige Veränderung die Möglichkeitangekündigt, daß alle vier Gefangenen an zwei Wochentagen fürvier Stunden zusammenkommen könnten. Weitergehende Veränderungenlehnte das Gericht wegen des Sicherheitsrisikos, das die Angeklagtendarstellten, ab; es verwies dazu auf die Baader-Befreiung 1970, die vonder BAWgenannten Befreiungspläne, die Stockholm-Aktion und auf zuerwartende "Agitation und Aufruhr <strong>in</strong> der Haftanstalt".Baader bezeichnete diesen Beschluß als e<strong>in</strong> Todesurteil, "das denVorteil hat, daß Sie es nicht aussprechen müssen"108. Er verwies aufwissenschaftliche Untersuchungen, aus denen hervorgehe, "daß (. .. )die Wirkungen der Isolation (. .. ) unter Umständen kulm<strong>in</strong>ieren könnenbeim Zusammenschluß von nur zwei Gefangenen. Daß die m<strong>in</strong>deste,kle<strong>in</strong>ste soziale Gruppe, bei der ke<strong>in</strong> Persönlichkeitsverfall auf die Dauererfolgt, m<strong>in</strong>destens zehn Mann s<strong>in</strong>d"109.3.1. 4. Die Beauftragung mediz<strong>in</strong>ischer SachverständigerIn übere<strong>in</strong>stimmung mit der von Rauschke ausgesprochenen Empfehlunghatte das Geritht die Vorstände der Deutschen Gesellschaft fürInnere Mediz<strong>in</strong> und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie um dieZusendung von Listen mit Namen mediz<strong>in</strong>ischer Sachverständiger gebeten.Gegen zwei vom Gericht ausgewählte Internisten hatten wederAngeklagte noch Verteidiger etwas e<strong>in</strong>zuwenden. Die vom Gericht ausgewähltenzwei Psychiater Erhardt und Mende gehörten aber, wie die<strong>Verteidigung</strong> recherchiert hatte, der konservativen Schule der forensischenPsychiatrie an, was fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet derPsychologie und Psychoanalyse und vor allem psychosomatischerKrankheitsbilder <strong>in</strong>folge sozialer Gegebenheiten nicht erwarten ließ.Die <strong>Verteidigung</strong> beanstandete, daß die vom Gericht benannten Psychiaternicht <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> würden, Phänomene wie soziale Isolationund sensorische Deprivation als pathogene soziale Bed<strong>in</strong>gungen zu erkennenund diese <strong>in</strong> ihre Diagnose mit e<strong>in</strong>zubeziehen, weil sie <strong>in</strong> ersterL<strong>in</strong>ie an krim<strong>in</strong>alpolitischen statt an wissenschaftlichen Erkenntnissen<strong>in</strong>teressiert seien. Diese Psychiater könnten folglich als unqualifiziertbetrachtet werden. Ihre Argumentation konnten die Verteidiger auch aufÄußerungen von HencklIO und Rauschkell1 stützen.Die <strong>Verteidigung</strong> belegte ihre Bedenken gegen Erhardt mit Äußerun-202gen von ihm, die <strong>in</strong> Tillmann Mosers Buch "Repressive Krim<strong>in</strong>alpsychiatrie"zitiert und kommentiert s<strong>in</strong>d. Auch Henck hatte sich bei se<strong>in</strong>erBefragung auf Mosers Sachkenntnis berufenl12. Der Psychiater Mendesolle, so wurde festgestellt, der gleichen Schule angehören wie Erhardt.Nachdem feststand, daß das Gericht nicht bereit se<strong>in</strong> würde, dieBenennung Erhardts und Mendes zu Gutachtern rückgängig zu machen,reichte die <strong>Verteidigung</strong> formale Anträge auf Ablehnung e<strong>in</strong>. An Handvon Zitaten der Betroffenen1I3 versuchte die <strong>Verteidigung</strong> zu belegen,daß sie der Me<strong>in</strong>ung seien, ihre Aufgabe als Mediz<strong>in</strong>er seijustiziellenundkrim<strong>in</strong>alpolitischen Interessen untergeordnet bzw. von diesen Gesichtspunktenbestimmt. Zum Beispiel stelltErhardt <strong>in</strong> diesem Zusammenhangdie ärztliche Schweigepflicht <strong>in</strong> Frage1I4 und rechtfertigt e<strong>in</strong>e Narkose­Analyse im Rahmen gerichtsmediz<strong>in</strong>ischer Untersuchungen von Beschuldigtenll5.Mende arbeitete <strong>in</strong> der Psychiatrie u. a. mit folgendemKrankheitsbild: "Seelische Abnormalitäten s<strong>in</strong>d nur dann als krankhaftzu bezeichnen, wenn sie auf krankhaften Organprozessen beruhen"1I6.Als Gerichtspsychiater hatte er e<strong>in</strong>em Richter empfohlen, Patienten, diean e<strong>in</strong>em Konzentrationslagersyndrom litten, ke<strong>in</strong>e Rente zuzusprechen,"da durch Schaffung solcher Rechtsposition der Weg für e<strong>in</strong>e psychotherapeutischeBee<strong>in</strong>flussung erschwert oder sogar endgültig verbaut würde.Durch e<strong>in</strong>e laufende Rentenzahlung würde die Fixierung der Fehlhaltungnur noch gefördert werden"1I7. In e<strong>in</strong>em Gespräch mit den Angeklagtenließ Mende verlauten, daß er sich gegenüber dem Gericht nichtan se<strong>in</strong>e Schweigepflicht gebunden fühle, und daß er nicht die Absichthabe, die jahrelange Isolationshaft <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Beurteilung mit e<strong>in</strong>zubeziehen1I8.E<strong>in</strong>em Brief Erhardts an das Gericht vom 21.8.75 war zu entnehmen,daß auch er nicht beabsichtigte, die Haftbed<strong>in</strong>gungen mit e<strong>in</strong>zubeziehen,da die auf gerichtlichen Entscheidungen beruhenden Bed<strong>in</strong>gungensich "natürlich" <strong>in</strong>nerhalb des gesetzlichen Rahmens befänden und"demnach generell als nicht geeignet angesehen (werden können), dieVerhandlungsfähigkeit e<strong>in</strong>es Häftl<strong>in</strong>gs zu bee<strong>in</strong>trächtigen" 119.Die Ablehnungsanträge wurden abgelehnt. Das Gericht hatte dieBenennung der beiden Psychiater zwar nicht zurückgenommen, zusätzlichaber e<strong>in</strong>en dritten Psychiater benannt, "um dem Mißtrauen derAngeklagten entgegenzuwirken"120. Es handelte sich um Prof. Dr. WilfrledRasch, Leiter des Instituts für forensische Psychiatrie an der FreienUniversität Berl<strong>in</strong>. Die Angeklagten erklärten sich unter Protest bereit,sich von den beiden Internisten Müller und Schröder sowie von demPsychiater Rasch untersuchen zu lassen. Den Psychiatern Erhardt undMende wurde jedoch ke<strong>in</strong>e Möglichkeit für Untersuchungen gegeben.Seit der Benennung der Sachverständigen (Rasch wurde als letzter am29.7.75 bestellt) hatte die <strong>Verteidigung</strong> viermal um Unterbrechung derVerhandlung bis zur Vorlage der mediz<strong>in</strong>ischen Gutachten gebeten.203•


Jedesmal waren die Anträge von der BAW als Prozeßverschleppungbezeichnet und vom Gericht abgelehnt worden, ebenso wie die Anträgeder <strong>Verteidigung</strong>, die Zahl der Verhandlungstage pro Woche zu verr<strong>in</strong>gernoder an nur zwei halben Tagen pro Woche zu verhandeln. In allenFällen waren die Angeklagten vom Gericht als" voll verhandlungsfähig"erklärt worden.Der unten wiedergegebene Dialog zwischen Baader und Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g ist<strong>in</strong>zweierlei H<strong>in</strong>sicht als charakteristisch anzusehen, und zwar e<strong>in</strong>erseits fürdie Art, wie Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g den Prozeß leitete, und andererseits für den Konflikt,dem die Angeklagten sich immer dann ausgesetzt sahen, wenn siesich nicht mehr verhandlungsfähig fühlten. Der Dialog fand am 19.8.75gegen 15 Uhr statt, nachdem die Verteidiger (siehe Abschnitt 3.1.1.) denGerichtssaal verlassen hatten und die Angeklagten - weil das Gerichtnicht bereit war, die Verhandlung zu vertagen - ihre Ausschließung mitHilfe von Ordnungsstärungen erzwangen:Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Herr Baader, bitte nehmen Sie Platz und bedienen Sie sich vorallen D<strong>in</strong>gen des Mikrophons. Ich habe Sie darüber zu belehren, was <strong>in</strong> IhrerAbwesenheit geschehen ist. Gleichzeitigist es e<strong>in</strong>e Unterrichtung darüber, wasjetzt vor sich geht, für Sie persönlich.Frau Me<strong>in</strong>hof und Herr Raspe wurden auch e<strong>in</strong>zeln vorgeführt. Es ist ihnengesagt worden, wie das jetzt auch für Sie gilt, daß zwar die Ordnungsstärung,die Sie begangen haben, nach Auffassung des Senats an sich fortdauert, daßwir aber diesen Ausschluß rückgängig machen mit Rücksicht darauf, daß wirjetzt <strong>in</strong> die Phase der Vemehmung zur Person e<strong>in</strong>tretenl21. Und es ersche<strong>in</strong>tuns im H<strong>in</strong>blick auf das Gewicht des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs vonüberragendem Interesse, daß Sie die Möglichkeit haben, sich jetzt zur Personzu äußern.'Baader: Das entdecken Sie auch erst seit. .. nach drei Monaten.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ich darf Sie noch darauf h<strong>in</strong>weisen, daß Herr Raspe und FrauMe<strong>in</strong>hof, nachdem sie hier sich wieder der Ungebühr schuldig gemacht haben,wieder ausgeschlossen worden s<strong>in</strong>d.Baader: Naja, ich sage Ihnen kurz, ich b<strong>in</strong> der Ansicht, daß Sie <strong>in</strong> diesemVerfahren den Begriff der Person überhaupt nicht mehr legitim e<strong>in</strong>setzenkönnen, denn was ihn kennzeichnet, den Begriff der Rechtsperson, e<strong>in</strong>eVermittlung zwischen Staat und Gesellschaft oder zwischen Gesellschaft undStaat, das s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Rechte. Und die elementaren Grundrechte der Personverletzen Sie <strong>in</strong> diesem Verfahren permanent. Ich würde mich zur Personäußern, wahrsche<strong>in</strong>lich jeder von uns, aber unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen ist esunmöglich. Ich kann mich hier nicht verteidigen im Moment, und ich b<strong>in</strong> auchnicht verteidigt. Also schließen Sie mich aus.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Das heißt, Sie weigern sich, sich zur Person zu äußern?Baader: Das haben Sie doch wohl verstanden?Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ja, so haben es auch Herr Raspe und Frau Me<strong>in</strong>hof gemacht.Trotzdem haben Sie jetzt, nachdem dieser Ausschluß rückgängig gemachtworden ist, die Pflicht, als Angeklagter wieder anwesend zu se<strong>in</strong>, und dasGericht die Pflicht, für Ihre Anwesenheit zu sorgen. Ich bitte...Baader: Ja, schließen Sie mich aus.204Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ich bitte nunmehr, Frau Enssl<strong>in</strong>vorzuführen. Was ist, Herr Baader,wollen Sie nicht teilnehmen?Baader: Ne<strong>in</strong>, ich willnicht hierbleiben, natürlich nieht.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ja, das ist aber ke<strong>in</strong>e Frage Ihres Willens.Baader: Ja, was erwarten Sie jetzt von mir?Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ich erwarte, daß Sie hier. ..Baader: Ich sage Ihnen, daß ich ausgeschlossen werden will...Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: daß Sie hier ordentlich ...Baader: und daß ich diese Verhandlung, so lästig das ist, stören werde,bis Sie mich ausschließen. Genügt Ihnen das?Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Das heißt also, Sie wollen an dieser Verhandlung nicht geordnetteilnehmen?Baader: Ne<strong>in</strong>.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Herr Baader, ich bitte Sie nochmals, nehmen Sie Platz und bleibenSie im Sitzungssaal.Baader: Ich nehme nicht Platz, schließen Sie mich...Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Dann müssen Sie eben der Verhandlung im Stehen folgen.Baader: Ne<strong>in</strong>, aber jetzt schließen Sie mich doch gefälligst aus.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Herr Baader, das ist ke<strong>in</strong>e Frage Ihres Wunsches.Baader: Dann legen Sie doch bitte mal e<strong>in</strong>en Katalog von Störungen fest,oder muß ich Sie erst mal beschimpfen. Das fällt mir sehr schwer.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ich bitte jetzt, soweit Sie frei s<strong>in</strong>d, die Herren, Frau Enssl<strong>in</strong> vorzuführen.Baader: Das heißt, Sie wollen mich zw<strong>in</strong>gen, hierzubleiben?Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ich muß Sie zw<strong>in</strong>gen, nichtich ,will'Sie zw<strong>in</strong>gen, sondem Sie s<strong>in</strong>dverpflichtet, hierzubleiben.Baader: Na, was erwarten Sie, wollen Sie Beschimpfungen provozieren,oder was?Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ich will gar nichts provozieren. Mir ist sympathischer, wenn Sieke<strong>in</strong>e Beschimpfungen aussprechen.Baader: Naja, dann schließen Sie mich doch aus. Ich sage Ihnen, ichwerde ...Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Das ist ke<strong>in</strong>e Frage Ihres Wunsches und ke<strong>in</strong>e Frage unseresWollens.Baader: Ich werde die Verhandlung stören. Das ist doch e<strong>in</strong> ganz dreckigesManöver, was Sie hier machen.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Das ist ke<strong>in</strong> dreckiges Manöver. Es legt mir die Prozeßordnung diePflicht auf, mich so zu verhalten, wie ich es tue122.Baader: Ja, was wollen Sie? Wollen Sie unbed<strong>in</strong>gt, daß es hier zu physischerGewalt kommt, oder was?Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Sie sollen sich setzen und geordnet teilnehmen.Baader: Das, was Sie provozieren ... Ich werde mich nicht setzen, ich werdenicht geordnet an der Verhandlung teilnehmen.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Gut, dann müssen Sie eben im Stehen an der Verhandlungteilnehmen.Baader: Naja, das ist doch e<strong>in</strong> ganz dreckiger Versuch hier. Sie haben dieanderen beiden auch ausgeschlossen und Sie werden mich auch ausschließenmüssen.205•


206Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Herr Baader, wenn Sie <strong>in</strong> dieser Weise fortfahren, von ,dreckigenVersuchen' zu sprechen, außerdem durch Ihr Stehen und so weiter die Verhandlungzu stören ...Baader: Es ist e<strong>in</strong>e dreckige Manipulation, daß Sie mich hier zw<strong>in</strong>gen,verdammt nochmal, fünf M<strong>in</strong>uten lang darauf zu beharren, daß Sie michendlich ausschließen. Ich will hier raus, sehr e<strong>in</strong>fach.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Es ist. .. es ist ke<strong>in</strong>e Frage Ihres persönlichen Wunsches. Sie habendie Pflicht, als Angeklagter hierzubleiben.Baader: Naja, schön ... Naja, dann machen Sie eben diese lächerlicheProzedur. Ich werde stören, solange ich hier dr<strong>in</strong> b<strong>in</strong>.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Bis jetzt stören Sie noch nicht.Baader: Na schön ...Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Sie können auch im Stehen mit solchen Erklärungen an derVerhandlung teilnehmen. Wenn's dann störend wird, dann werden wir schonweitersehen, aber jedenfalls weise ich Sie darauf h<strong>in</strong>, das wissen Sie ja, im Fallevon Störungen müßten Sie erneut ausgeschlossen werden.Baader: Naja, ich weise Sie darauf h<strong>in</strong>, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, daß Sie mich jetzt ausschließenwerden, sonst sehe ich mich gezwungen, Sie zu beschimpfen, sowirklich lapidar das ist. ..Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Herr Baader. ..Baader: Ja, wollen Sie es unbed<strong>in</strong>gt hören? Also Sie können das hören, Siekönnen das <strong>in</strong> verschiedener Form haben.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Ich willes nicht hören.Baader: Naja, Sie können auch von mir hören, daß Sie e<strong>in</strong> faschistischesArschloch s<strong>in</strong>d.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Aha, e<strong>in</strong> faschistisches Arschloch.Baader: Schließen Sie mich jetzt aus, ja?Enssl<strong>in</strong> (<strong>in</strong>zwischen here<strong>in</strong>geführt): Und mich gleich mit, altes Schwe<strong>in</strong>.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Frau Enssl<strong>in</strong>, ich darf Sie auf folgendes h<strong>in</strong>weisen, Moment, daßsowohl Herr Raspe wie Frau Me<strong>in</strong>hof wie Herr Baader darüber unterrichtetworden s<strong>in</strong>d, daß sie jetzt unter Aufhebung des vorherigen Ausschlusses dieMöglichkeit haben ...Baader: Ich stelle nochmals ausdrücklich fest, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> faschistischesaltes Arschloch.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Herrn Baader bitte das Wort abzustellen. (Zu Frau Enssl<strong>in</strong>:) DaßSie die Gelegenheit haben, sich zur Person zu äußern.Enssl<strong>in</strong>: Wirs<strong>in</strong>d verteidigungs unfähig, <strong>in</strong>folgedessen werden wirauch nichtteilnehmen, alte Sau.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Es haben sich die anderen Angeklagten - ja -, Frau Enssl<strong>in</strong>, eshaben sich die anderen Angeklagten geäußert dah<strong>in</strong>, daß sie sich nicht zurPerson e<strong>in</strong>lassen wollen...Enssl<strong>in</strong>: Ich habe das eben gesagt ...Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: Sie haben gestört. Ich habe vernommen, Sie haben, glaube ich,e<strong>in</strong>e "alte Sau", habe ich es richtiggehört? Oder täusche ich mich? Ich möchtedas festgestellt haben, trifft es zu? Und, Herr Baader, Sie haben mich e<strong>in</strong>"faschistisches Arschloch" geheißen. Frau Enssl<strong>in</strong>, an Sie noch das letzte Wort.Wollen Sie sich zur Person äußern?Enssl<strong>in</strong>: Altes Schwe<strong>in</strong>.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g (nach geheimer Beratung): Gut. Der Senat hat aufgrund der Äußerungengegenüber dem Vorsitzenden "faschistisches Arschloch" ...Baader: Kriegen Sie das Wort noch richtig raus?Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: ... "alte Sau" und "altes Schwe<strong>in</strong>" die Angeklagten wieder von derheutigen Verhandlung ausgeschlossen123. Sie s<strong>in</strong>d abzuführen1243.1.5. Die SachverständigengutachtenAm 20.8.75, e<strong>in</strong>en Tag nach dem Auszug der Verteidiger (sieheAbschnitt 3.1.1.), dem sich der obige Dialog anschloß, wurde das Resultatdes vorläufigen Gutachtens der beiden Internisten bekanntgegeben:Die Angeklagten seien nicht mehr als drei Stunden pro Tag verhandlungsfähiq.~ähereE<strong>in</strong>zelheiten wurden nicht mitgeteilt; die Internistenbetonten ausdrücklich, daß die noch zu erstellenden psychiatrischenGutachten für die Bildung e<strong>in</strong>es Gesamturteils von "wesentlicher" Bedeutungseien125.Die knapp gehaltenen vorläufigen Gutachten waren im folgenden Monatnoch Anlaß für viele <strong>Verteidigung</strong>santräge auf mündliche Anhörung der Internisten.Streitpunkt der Ause<strong>in</strong>andersetzungen war die Frage, wie die <strong>in</strong> denGutachten empfohlenen drei Stunden zu <strong>in</strong>terpretieren seien. G<strong>in</strong>g es um dreiStunden "re<strong>in</strong>e" Verhandlungszeit oder um drei Stunden "brutto", also e<strong>in</strong>schließlichaller Unterbrechungen und Pausen? Die <strong>Verteidigung</strong> me<strong>in</strong>te, daßdie Empfehlung der Internisten nur <strong>in</strong> letzterem S<strong>in</strong>ne verstanden werdenkönnte, da z. B. die Unterbr<strong>in</strong>gung der Angeklagten während der Verhandlungspausen<strong>in</strong> den Kellerzellen des Mehrzweckgebäudes als zusätzlicherStressfaktor betrachtet werden müsse, der die Verhandlungsfähigkeit nur nochweiter m<strong>in</strong>dere. Das Gericht berief sich bezüglich se<strong>in</strong>es "Netto-Standpunkts"auf e<strong>in</strong> Telefongespräch mit e<strong>in</strong>em der beiden Internisten und zeigte ke<strong>in</strong>eBereitschaft, die Internisten noch vor Vorlage der endgültigen Gutachten vonder <strong>Verteidigung</strong> zu diesem Punkt befragen zu lassen.In e<strong>in</strong>er dreim<strong>in</strong>ütigen Sitzung am 23.9.75 teilte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g mit, daß dieabschließenden Gutachten nun vorlägen und festgestellt werden müsse,daß "die Angeklagten nur zeitlich beschränkt verhandlungsfähig undbehandlungsbedürftig s<strong>in</strong>d".Nur aus Raschs Gutachten wurde e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Satz zitiert: "Die Durchführunge<strong>in</strong>er Behandlung dürfte während der Dauer der Hauptverhandlungund bei Beibehaltung der jetzt gegebenen Haftbed<strong>in</strong>gungennicht möglich se<strong>in</strong>". Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g teilte mit, daß das Gericht angesichts dieserSituation zwischen drei Möglichkeiten zu wählen habe: unbefristete Vertagungder weiteren Verhandlung, Fortführung des Prozesses <strong>in</strong> Anwesenheitder Angeklagten, jedoch mit beschränkter Sitzungsdauer, oderFortführung der Verhandlung <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagten gemäߧ 231a StP0126. Die Entscheidung des Gerichts sollte am 30.9.75 mitgeteiltwerden (siehe Abschnitt 4), nachdem der <strong>Verteidigung</strong> und derBAW Gelegenheit gegeben worden war, die Gutachten schriftlich zukommentieren.207•


JDie Internisten Müller und Schröder hatten u. a. festgestellt, bei allenAngeklagten seien "deutliche Störungen der Funktion und der Arbeitsweisezentralnervöser, über das vegetative Nervensystem die e<strong>in</strong>zelnenOrgane steuernden Zentren vorhanden, die E<strong>in</strong>fluß auf die Verhandlungsfähigkeithaben". Feststellbare Symptome waren z. B. erheblichesUntergewicht, übermüdung, ernsthafte Kreislaufstörungen und erheblicheKonzentrationsschwierigkeiten; über die Ursachen dafür enthieltensich die Internisten weitgehend e<strong>in</strong>er eigenen Me<strong>in</strong>ung; dazu müßten diepsychiatrischen Gutachten herangezogen werden. Der letzte Hungerstreikhabe die "vegetative Labilität" höchstwahrsche<strong>in</strong>lich noch erhöht,sei "jetzt mehr als e<strong>in</strong> halbes Jahr nach Beendigung des Hungerstreiksaber nur noch mit ger<strong>in</strong>ger Gewichtigkeit nachwirkend". Ausdrücklichwird festgestellt: "Klar ist, daß die Angeklagten sich seit Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ersozialen Isolation bef<strong>in</strong>den", und daß der Internen Mediz<strong>in</strong> die Auswirkungenbesonderer Lebensbed<strong>in</strong>gungen, so etwa bei e<strong>in</strong>samen altenMenschen, durchaus bekannt seien. Ihre Schlußfolgerung lautete dennauch, daß die Angeklagten nicht mehr als drei Stunden pro Tagverhandlungsfähigseien, kürzere Pausen mit e<strong>in</strong>geschlossen; e<strong>in</strong>e wirksameGenesung sei jedoch nicht alle<strong>in</strong> mit Medikamenten zu erreichen, sondernvielmehr mit e<strong>in</strong>er Veränderung - "vor allem auch <strong>in</strong> psychologischerH<strong>in</strong>sicht" der Gesamtsituation der Angeklagten127.Der Psychiater Erhardt verzichtete aufgrund der Haltung, die dieAngeklagten ihm gegenüber e<strong>in</strong>genommen hatten, auf die Erstellunge<strong>in</strong>es Gutachtens. Der Psychiater Mende h<strong>in</strong>gegen, der ebenfalls ke<strong>in</strong>eMöglichkeit gehabt hatte, die Angeklagten zu untersuchen, legte dennoche<strong>in</strong> kurzes Gutachten vor (<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>iejedoch unter Berufung aufdie <strong>in</strong>ternistischen Gutachten), <strong>in</strong> dem er zu der gleichen Schlußfolgerungkam wie Müller und Schröder: drei Stunden pro Tag verhandlungsfähig.Weiter war Mende der Me<strong>in</strong>ung, daß "mehr noch als die Haftbed<strong>in</strong>gungenim E<strong>in</strong>zelnen die psychischen Belastungen durch die Längeder Untersuchungshaft als solcher und vor allem durch das Strafverfahrenselbst" für den "offensichtlichen psycho-physischen Erschöpfungszustand"verantwortlich seien. Zu den Hungerstreiks als möglicher Ursachefür die e<strong>in</strong>geschränkte Verhandlungsfähigkeit äußerte Mende sichnicht. Abschließend empfahl er, neben der Beschränkung der täglichenSitzungsdauer auf drei Stunden und dem E<strong>in</strong>schieben von Verhandlungspausenauch "die Haftbed<strong>in</strong>gungen soweit zu lockern, daß e<strong>in</strong>Abbau der sozialen Isolierung bis auf jenes unumgängliche Ausmaßresultiert, welches durch die Besonderheiten dieses Strafverfahrens bestimmtwird"128.Rasch, der als e<strong>in</strong>ziger der drei Psychiater Gelegenheit gehabt hatte,die Angeklagten zu untersuchen, war zu der Schlußfolgerung gekommen,daß alle Angeklagten für drei Verhandlungstage pro Woche undnur an den Vormittagen ("also 3-4 Stunden", e<strong>in</strong>schließlich Verhand-208lungspausen) verhandlungsfähig seien. Bei den Angeklagten hatte eru. a. festgestellt: rasche Erschöpfung, Konzentrations-, Wahrnehmungs-,Koord<strong>in</strong>ations- und Orientierungsschwierigkeiten, verm<strong>in</strong>dertes Leistungsvermögen,Kopfschmerzen. "Bei jedem der Untersuchten bestehte<strong>in</strong> ausgeprägter Zustand psychophysischer Reduktion mit vegetativerDisregulation und Verm<strong>in</strong>derung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit".Sowohl die Hungerstreiks als auch die Haftbed<strong>in</strong>gungenseien hierfür als Ursachen <strong>in</strong> Betracht zu ziehen; der jeweilige Anteilsei jedoch nicht mehr festzustellen. Im Anschluß daran schreibt Rasch:"Nach der umfangreichen <strong>in</strong>ternationalen pönologischen und ps~schen Literatur, die zu diesem Thema vorliegt, ist die Isolierun!4e<strong>in</strong>es Menschenalle<strong>in</strong> geeignet, tiefgreifende Bee<strong>in</strong>trächtigungen se<strong>in</strong>er psychischenund physischen Verfassung zu erzeugen; beschrieben wurden u. a. chronischeApathie, Initiatiwerlust, Gedächtnisstörungen, Müdigkeit, emotionale Verflachung,Konzentrationsstörungen, Herabsetzung der <strong>in</strong>tellektuellen Leistungsfähigkeit,neurovegetative Beschwerden. Die Untersuchungen zu dieser Problematikkommen, wie anzumerken ist, zu unterschiedlichen Resultaten unddifferieren auch stark <strong>in</strong> ihrem wissenschaftlichen Niveau. E<strong>in</strong>e Untersuchung,die vergleichbare Bed<strong>in</strong>gungen betrifft, unter denen die Angeklagten - nachme<strong>in</strong>er Kenntnis - <strong>in</strong> den letzten Jahren untergebracht waren, ist mir nochnicht bekannt geworden".über die von der BAW sejt Jahren hervorgehobenen "Privilegien"und außergewöhnlichen Kontaktmöglichkeiten dieser Gefangenen urteiltRasch:"Durch die den Angeklagten e<strong>in</strong>geräumten "Privilegien" (Zellenausstattungetc.) und Kontaktmöglichkeiten wurden die bislang existierenden und für denmodernen Vollzug völlig ungewöhnlichen Haftbed<strong>in</strong>gungen jedoch nicht <strong>in</strong>ihrem Kern verändert. Es besteht jetzt die besondere Situation, die vergleichbarist mit der kle<strong>in</strong>er Gruppen unter Extrembed<strong>in</strong>gungen. Die Beziehungender Angeklagten s<strong>in</strong>d jedoch weiterh<strong>in</strong> streng kanalisiert, die Angeklagtenbleiben abgeschirmt von normalen oder quas<strong>in</strong>ormalen Interaktionen, sieleben außerhalb der <strong>in</strong>formellen Infrastruktur der Anstalt, durch die der Häftl<strong>in</strong>gim allgeme<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e gewisse psychische Abstützung erfährt".Raschs Schlußfolgerung kommt nicht überraschend:"Entscheidende Behandlungsmaßnahmen auf psychiatrischem Gebiet liegen<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Änderung der Haftbed<strong>in</strong>gungen mit Ermöglichung größerersozialer Interaktionen". Aufgrund des erheblich angegriffenen Gesundheitszustandsder Angeklagten müsse, so Rasch, mit e<strong>in</strong>er mehrmonatigen Behandlungszeitgerechnet werden, während der der Prozeß nicht fortgesetzt werdenkönne129.Es liegt auf der Hand, daß die Verteidiger ihre seit Jahren gegen dieIsolationshaft vorgebrachten Bedenken und Vorwürfe durch diese Gutachtenbestätigt sahen. Fast gleichzeitig wurde im Prozeß gegen dasRAF-MitgliedIrmgard Möller <strong>in</strong> Hamburg vom dortigen Gerichtsmediz<strong>in</strong>erebenfalls e<strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>isches Gutachten über ihre gesundheitlicheVerfassung vorgelegt. Ihren verheerenden Gesundheitszustand führte209


•der Gutachter unmittelbar auf die Isolationshaft zurück. Um weitereirreparable Schäden zu verh<strong>in</strong>dern, müsse Irmgard Möller vollständig <strong>in</strong>das normale Anstaltsleben <strong>in</strong>tegriert werden, lautete die Folgerung desmediz<strong>in</strong>ischen Gutachters130. In e<strong>in</strong>em Gutachten über den Gesundheitszustandder RAF-Mitglieder Grashof, Grundmann und Jünschkekam e<strong>in</strong> vom Gericht <strong>in</strong> Kaiserslautern bestellter Arztkurze Zeit später zugleichlautenden Schlußfolgerungen; dieser Arzt g<strong>in</strong>g sogar so weit, zusagen, daß er nach e<strong>in</strong>gehender Betrachtung des Sachverhalts zu derFeststellung kommen müsse, "daß Isolationshaft e<strong>in</strong>e Form der Folterist,,131.E<strong>in</strong>e der drei von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g genannten Verfahrensmöglichkeiten, dieFortsetzung des Prozesses <strong>in</strong> Anwesenheit der Angeklagten bei e<strong>in</strong>geschränkterSitzungszeit, würde bedeuten, daß die gesundheitliche Verfassungder Angeklagten im günstigsten Fall so bleiben würde, wie siewar; wahrsche<strong>in</strong>licher aber schien e<strong>in</strong>e weitere Verschlechterung(Rasch). Die Verfahrensweise hätte überdies zur Folge, daß der Prozeßwesentlich länger als die veranschlagten zwei bis drei Jahre dauernwürde (die Verteidiger schätzten angesichts der rund 1 000 Zeugen undgut 100 Sachverständigen der BAWetwa acht Jahre).Die Vertagung des Prozesses bis zur Genesung der Angeklagten würdebe<strong>in</strong>halten, daß der Prozeß neu eröffnet werden müßte; dies folgtaus§ 229 StPO und giltfürjede länger als 30 Tage dauernde Unterbrechunge<strong>in</strong>er Verhandlung.Die dritte Möglichkeit, Fortsetzung des Prozesses <strong>in</strong> Abwesenheit derAngeklagten, schien aus m<strong>in</strong>destens vier Gründen auszuschließen zuse<strong>in</strong>. Erster und wichtigster Grund: Die Angeklagten hätten ihre Verhandlungsunfähigkeitselbst absichtlich herbeigeführt haben müssen (etwadurch Hungerstreiks); dafür ließen sich <strong>in</strong> den Gutachten jedochke<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>weise f<strong>in</strong>den. Wohl aber für das Gegenteil: Die Gutachtenhatten die Legitimität der gegen die Haftbed<strong>in</strong>gungen gerichteten Hungerstreiksdeutlich gemacht. Aber auch formaljuristisch schien die Anwendungvon §231a StPO nicht vertretbar zu se<strong>in</strong>, da diese Bestimmungerst während des letzten Hungerstreiks e<strong>in</strong>geführt worden war, so daßfür die Angeklagten zu Beg<strong>in</strong>n des Hungerstreiks eventuelle negativestrafrechtliche Konsequenzen, de facto mit rückwirkender Kraft, nichtvorhersehbar waren. Weiter erfordert die Anwendung von § 231a dieabsichtliche Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit im vollen Bewußtse<strong>in</strong>der Tatsache, daß e<strong>in</strong>e Gerichtsverhandlung dadurch unmöglichgemacht wird; der letzte Hungerstreik war jedoch schon beendet,ehe bekannt wurde, wann der Prozeß beg<strong>in</strong>nen würde. Und schließlichist <strong>in</strong> § 231a von e<strong>in</strong>em die "Verhandlungsfähigkeit ausschließendenZustand" die Rede, während es sich im vorliegenden Fall um zeitlichbegrenzte Verhandlungsunfähigkeit handelte.In Abschnitt 4 wird e<strong>in</strong>gehend untersucht, wie es dem Gericht den-210noch möglich se<strong>in</strong> sollte, diese durch die Haftbed<strong>in</strong>gungen produzierteund von den Gutachten entsicherte "Zeitbombe" unschädlich zu machen.3.2. Zur Situation der <strong>Verteidigung</strong>Die Frage, ob e<strong>in</strong>e angemessene <strong>Verteidigung</strong> der Angeklagten überhauptnoch möglich war, stellte sich am dr<strong>in</strong>glichsten für Baader. Immerh<strong>in</strong>hatte er zu Beg<strong>in</strong>n des Prozesses ke<strong>in</strong>en Anwalt se<strong>in</strong>es Vertrauens.Die Frage lautete also, wie das ihm verbürgte Recht auf e<strong>in</strong>en Wahlverteidiger,der auf diesen Mammutprozeß vorbereitet war, noch verwirklichtwerden konnte. E<strong>in</strong>e Frage, die <strong>in</strong> direktem Zusammenhang standmit der Antwort auf die Frage, ob die ihm gegen se<strong>in</strong>en Willen beigeordnetenPflichtverteidiger (Zwangsverteidiger) e<strong>in</strong>e angemessene <strong>Verteidigung</strong>garantieren könnten.Die äußerst problematische Situation war e<strong>in</strong>e direkte Folge der Ausschließungsgesetzgebungund ihrer Anwendung auf die RechtsanwälteCroissant, Groenewold und Ströbele. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der Gesetzgebung entdeckteLücke schien der empf<strong>in</strong>dlich getroffenen <strong>Verteidigung</strong> jedoche<strong>in</strong>e Möglichkeit zu bieten, der Justiz die Rechnung für die Verteidigerausschlüssezu präsentieren. Die Verhaftung der Rechtsanwälte Croissantund Ströbele sollte noch zu e<strong>in</strong>er weiteren Verschärfung der Situationder <strong>Verteidigung</strong> führen.Abgesehen von der Dezimierung der <strong>Verteidigung</strong> waren die Anwälteder Me<strong>in</strong>ung, daß von e<strong>in</strong>em "fair trial" für die Angeklagten ohneh<strong>in</strong>nicht mehr die Rede se<strong>in</strong> konnte, da die Vorgeschichte des Prozesses, dieBehandlung der Gefangenen und ihrer Verteidiger, die Sondergesetzeund die öffentliche Vorverurteilung zu e<strong>in</strong>er Situation geführt hatten, diedas Gerichtsverfahren zu e<strong>in</strong>em Propaganda<strong>in</strong>strument werden ließ, dasder Verwirklichung von vornhere<strong>in</strong> feststehender politisch-militärischerZielsetzungen dienen sollte.In den nun folgenden Abschnitten sollen die genannten Problembereichee<strong>in</strong>gehender behandelt werden.3.2.1. Baaders <strong>Verteidigung</strong>Am 3.2.75 hatte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die Zuweisung der Rechtsanwälte Croissantund Groenewold als Pflichtverteidiger von Baader rückgängig gemacht,da "sich nicht ausschließen (läßt), daß sie von den Bestimmungen überden Ausschluß von Verteidigern betroffen werden könnten"132. Gleichzeitighatte er Rechtsanwalt Siegfried Haag zum "Pflichtverteidiger desder Verteidigerrechte von Croissant und Groenewold am 12. bzw.Vertrauens" 27.3.75 meldete (Wahlpflichtverteidiger) Ströbele sich am 4.4.74 ernannt. als neuer NachWahlverteidiger der Suspendierung von )211


Samstag, 10.5. 75, wurde Haag, der e<strong>in</strong>zige noch verbleibende Vertrauensanwalt,vorläufig festgenommen.j Baader. Am 6.5.75 wurde auch se<strong>in</strong> Verteidigerrecht suspendiert. AmAnläßlich der Festnahme Haags wurde noch am selben Tag e<strong>in</strong>e von neunRechtsanwälten (unter ihnen auch Haag) unterzeichnete Presseerklärung herausgegeben133. Dar<strong>in</strong> wurde u. a. mitgeteilt, daß der zuständige Richter desBGH den Antrag auf Erlaß e<strong>in</strong>es Haftbefehls gegen Haag nach vierstündigerBeratung zurückgewiesen hatte. Haag war vorgeworfen worden, etwa zweiMonate früher an der deutsch-schweizerischen Grenze e<strong>in</strong>e Tasche mit e<strong>in</strong>erMasch<strong>in</strong>enpistole und drei Handgranaten von "Personen, die den anarchistischenKreisen rund um die RAF angehören sollten", empfangen zu haben. AlsBeweismittel war das Gerichtsprotokoll e<strong>in</strong>es vor Gericht anonym gebliebenenZeugen vorgelegt worden. Offensichtlich hatte auch der betreffende BGH­Richter dieses Beweismittel als unzureichend bewertet.Nach Me<strong>in</strong>ung der Rechtsanwälte war dieser "fehlgeschlagene Versuchvon GBA Buback und der Staatsschutzabteilung des BKA" nichtsanderes als e<strong>in</strong> Trick, Baader auch se<strong>in</strong>es letzten Verteidigers noch zuberauben. Die mit der Verhaftung e<strong>in</strong>hergehende Durchsuchung derWohnung und Kanzleiräume Haags wurde von BAW Zeis geleitet (e<strong>in</strong>erder Vertreter der BAW im <strong>Stammheim</strong>-Prozeß). Er beschlagnahmte u. a.den gesamten Schriftwechsel mit dem Angeklagten sowie alle AufzeichnungenHaags über die <strong>Verteidigung</strong> im Prozeß. Seit Sonntag, 11.5.75,war Siegfried Haag nicht mehr aufzuf<strong>in</strong>den. Am 13. Mai traf per Post e<strong>in</strong>ePressemitteilung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kanzlei e<strong>in</strong>:212"Generalbundesanwalt Buback und die Staatsschutzpolizei haben den Versuchunternommen, mich mit Hilfe manipulierter Verdachtskonstruktionen zuverhaften. Bei der Durchsuchung me<strong>in</strong>er Privat- und Büroräume hat dieStaatsschutzpolizei unter Mitwirkungdes bewaffneten Bundesanwalts Zeissichzahlreicher Verteidigerakten, der dar<strong>in</strong> enthaltenen Aufzeichnungen über Verteidigergesprächesowie des Verteidigerschriftwechsels bemächtigt, so auchme<strong>in</strong>er Handakte <strong>in</strong> dem unmittelbar bevorstehenden Prozeß gegen AndreasBaader, Gudrun Enssl<strong>in</strong>, Ulrike Me<strong>in</strong>hof und Jan earl Raspe.Diese gezielte Zerstörung auch des letzten Vertrauensbereichs e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>haftiertenAngeklagten - dem zu se<strong>in</strong>em Verteidiger -, hat die Qualität offenfaschistischer Gewaltakte erreicht.In e<strong>in</strong>em Staat, der die Vernichtung von Revolutionären durch Gleichschaltungvon Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz zu se<strong>in</strong>em Programm erhobenhat, der politische Gefangene durch systematische Langzeitisolation foltert undder Gehirnwäsche <strong>in</strong> toten Gefängnistrakten unterzieht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Staat, dessenFunktionsträger Holger Me<strong>in</strong>s und Siegfried Hausner h<strong>in</strong>gerichtet haben, <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Staat, der Verteidiger mit dem ganzen Arsenal der psychologischenKriegsführung durch die Massenmedien <strong>in</strong> Hetzkampagnen diffamiert, ausschließt,krim<strong>in</strong>alisiert und schließlich zu verhaften sucht, werde ich me<strong>in</strong>eFreiheit nicht bedrohen lassen, me<strong>in</strong>en Beruf als Rechtsanwalt nicht längerausüben.Es ist an der Zeit, im Kampf gegen den Imperialismus wichtigere Aufgaben <strong>in</strong>Angriffzu nehmen. Haag"Auch hier wird man wieder mit der gleichen Problematik konfrontiert,wie sie im Zusammenhang mit Rechtsanwalt Lang schon dargelegt wurde134.Angenommen, Haags Behauptung, es handele sich um e<strong>in</strong>emanipulierte Verdachtskonstruktion, sei richtig, dann kann se<strong>in</strong> Untertauchennur als qualitativer Sprung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Radikalisierungsprozeß (fürden die Manipulationen sozusagen die Tropfen waren, die das Faß zumüberlaufen brachten), als abrupter Schritt von der Legalität <strong>in</strong> die Illegalitätgesehen und erklärt werden. Falls es sich jedoch nicht um manipulierteVerdachtsmomente gehandelt hat, so wird das Verhalten der unterschiedlichenstaatlichen Behörden, alle Verteidiger von Gefangenen ausder Stadtguerilla <strong>in</strong>formell als Verdächtige zu betrachten und dementsprechendzu behandeln, verständlicher, wenn auch ke<strong>in</strong>eswegs gerechtfertigt.Aber auch im letzten Fall kommt man nicht umh<strong>in</strong>, sich vorAugen zu halten, daß das Schneeballsystem der Verdächtigungen bereitsMitte 1972 durch die massiven Offentlichkeitskampagnen der staatlichenBehörden und der Presse gegen die Rechtsanwälte <strong>in</strong> Bewegunggesetzt worden war. Haags Schritt <strong>in</strong> die Illegalität traf mich völlig unerwartet;ich kannte ihn seit dem Herbst 1974. Noch wenige Wochen zuvorhatte ich mit ihm abgesprochen, daß me<strong>in</strong>e damalige studentische Hilfskraftihm <strong>in</strong> dem bevorstehenden Prozeß als Assistent zur Seite stehenwürde, um dann später aufgrund teilnehmender Beobachtung e<strong>in</strong>en ­Untersuchungsbericht schreiben zu können. Unmittelbarer Anlaß fürHaags Untertauchen war - so e<strong>in</strong>ige andere Verteidiger - daß amSamstag unmittelbar nach der Zurückweisung des Haftantrages durchdrang,die BAW wolle noch am selben Tag gegen die EntscheidungBeschwerde e<strong>in</strong>legen. Es sei zu erwarten gewesen, daß die Beschwerde<strong>in</strong>stanz,der 3. (politische) Senat des BGH dem Haftantrag - möglicherweiseschon folgenden Sonntag - ohne weiteres stattgeben würde. Wiegesagt: Baader war zu Prozeßbeg<strong>in</strong>n ohne e<strong>in</strong>en Vertrauensanwalt. Amzweiten Verhandlungstag äußerte er sich dazu:"das kann ihnen ja nicht entgangen se<strong>in</strong>, daß ich ke<strong>in</strong>en verteidiger habe,bisher. und ich wollte dazu kurz was erklären und e<strong>in</strong>en antrag stellen.wir hatten gar nicht vor, auf die juristische verpackung dieser veranstaltunghier e<strong>in</strong>zugehen, sie ist sekundär, und <strong>in</strong> der entwicklung dieses verfahrensvermittelt sie sich selbst als willkürlich, besser, als jede <strong>in</strong>terpretation daskönnte. es ist auch - was sich gezeigt hat - unmöglich, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em verfahrenauf verteidigung e<strong>in</strong>zulassen, für das kont<strong>in</strong>uierlich gesetze geändert werden,und wo der legislative ablauf nicht nachkommt, gebeugt bzw. von der bundesanwaltschaftoffen lächerlich gemacht. so hat zeis, der da drüben sitzt, angeblich<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen verfahren, obwohl er hier die anklage vertritt, <strong>in</strong> denhandakten von haag e<strong>in</strong>e woche vor beg<strong>in</strong>n der hauptverhandlung sich dasganze projekt unserer verteidigung verschafft - wir haben die manuskriptenicht mehr, die anklage hat sie. zu dem ganzen gibt es bisher, wie zur letztenrazzia <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er zelle- die widera geleitet hat, der auch da drüben sitzt- ke<strong>in</strong>engerichtsbeschluß.213


\wenn wir das jetzt anders e<strong>in</strong>schätzen, dann, weil <strong>in</strong> dem lehrstück, dasdieser prozeß schon durch das totale arrangement des verfahrens durchstaatsschutz und regierung se<strong>in</strong> wird, auch auf dieser widerspruchsebene - dienicht unsere sache se<strong>in</strong> kann: der juristischen counterstrategie - die evidenzunserer analyse und strategie zu erklären se<strong>in</strong> wird.dazu brauche ich e<strong>in</strong>en verteidiger. da aber drei wahlverteidiger, die sichdrei jahre lang auf e<strong>in</strong>e als traditionell faßbare politische verteidigung vorbereitethaben, unmittelbar vor der hauptverhandlung ausgeschlossen worden s<strong>in</strong>d- nach buback zum ,taktisch richtigen zeitpunkt' (süddeutsche zeitung) - undder p!lichtverteidiger mit e<strong>in</strong>er konstruktion der bundesanwaltschaft krim<strong>in</strong>alisiertworden ist, und mit krim<strong>in</strong>alisierung jeder verteidiger zu rechnen hat - malabgesehen von der hetze, die er auf sich zieht -, ist es schwierig geworden,e<strong>in</strong>en zu l<strong>in</strong>den. es war <strong>in</strong> der woche, die sie mir zeit gelassen haben, nichtmöglich, rauszul<strong>in</strong>den, ob es e<strong>in</strong>en verteidiger gibt, der die verfolgungen aufsich nimmt, die das bundeskrim<strong>in</strong>alamt und die bundesanwaltschaft mit me<strong>in</strong>emmandat verb<strong>in</strong>den ... ich habe deswegen jetzt zu beantragen, daß sie 1.die verhandlung unterbrechen, bis ich e<strong>in</strong>en verteidiger gefunden habe, aberm<strong>in</strong>destens fünf tage, 2. mit den verteidigern, bevor es zu e<strong>in</strong>em mandatgekommen ist, unüberwachte gespräche zulassen, <strong>in</strong> denen ich ihnen wenigstenskurz unsere vorstellungen zu verteidigung entwickeln kann.das ist das e<strong>in</strong>e. das andere ist: sie wissen, daß wir auf die kollektive anklagenur kollektiv e<strong>in</strong>gehen werden. das heißt bei unserem des<strong>in</strong>teresse an diesemdurchgeplanten polizeifest: wir werden für die verhandlung nur verfügbarbleiben, wenn sie <strong>in</strong> den verhandlungspausen und zwischen den verhandlungstagenberatungen zwischen uns zulassen. das ist e<strong>in</strong>e bed<strong>in</strong>gung, nachdemdie anklage seit drei jahren jedes wort zur verteidigung <strong>in</strong> diesem prozeßkontrolliert hat: <strong>in</strong> zellendurchsuchungen, bei durchsuchungen der anwaltskanzleien,durch beschlagnahme der post und durch abhörgeräte <strong>in</strong> denbesuchszellen, von denen wir seit sommer 73 wissen. der staatsschutz hatunseren kontakt mit den verteidigern immer überwacht und das gesetz jetztlegalisiert das nur.wenn sie die kollektive arbeit an dem, was von uns <strong>in</strong> diesem prozeß zusagen ist, nicht zulassen - wovon wir ausgehen - werden wir, nachdem dieanträge der verteidiger abgelehnt s<strong>in</strong>d, was sicher ist, wahrsche<strong>in</strong>lich als erklärungzur sache entwicklung und bed<strong>in</strong>gung der politik, die sie hier verurteilensollen, erklären, kaum länger als e<strong>in</strong>en tag, und sie werden uns dann ausschließen,bevor die bundesanwaltschaft ihre mühsame produktion hier vorträgt,um dann zwischen 1 000 polizisten, dem militärischen apparat, der sich umdieses verfahren aufbläht - ungestört zu se<strong>in</strong>.wir s<strong>in</strong>d an der aktion, die hier möglich ist, wenig <strong>in</strong>teressiert, sie ist unwichtig.der materielle zweck hat den propagandistischen <strong>in</strong> sich. er könnte hierüber die dauer des verfahrens für uns nur se<strong>in</strong>: aufklärung - die transparenzdes verfahrens und darüber die transparenz der reaktion und strategie, die hierverfährt. wir können das kaum besser auf den begriff br<strong>in</strong>gen, als es sich <strong>in</strong> derrnilitarisierung des verfahrens darstellt. der apparat kann die dialektik se<strong>in</strong>erselbstdarstellung nicht begreifen. er unterliegt ihr und demontiert im versuchihrer behauptung mehr rechtsstaatsideologie als jede mögliche <strong>in</strong>terpretation.die absurde überdeterm<strong>in</strong>ierung se<strong>in</strong>er reaktion wird e<strong>in</strong> propagandistischesmittel der <strong>in</strong>surrektion. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er reaktion vermittelt er transformation undverfall des bürgerlichen staates und dar<strong>in</strong> auch die evidenz unserer strategie.wir müssen - wenn es nicht anders möglich ist- dazu schon nichts mehr sagen.die sprache der guerilla ist die aktion - ihr werden sie zuhören,,135.Ich er<strong>in</strong>nere mich, daß dieser monoton vorgetragene und weitgehendvom Blatt abgelesene Text nur schwer zu verstehen war, da Baaderoffensichtlich Artikulation und Atmung nur schwer kontrollieren konnte.Obwohl Baaders verheerende gesundheitliche Verfassung von e<strong>in</strong>igenTageszeitungen erwähnt wurde, so war dies doch nur e<strong>in</strong>e Mitteilungunter anderen, während überschriften wie "Baader droht mit Aktionen"das Bild der Presseberichterstattung beherrschten136. Die der Öffentlichkeite<strong>in</strong>getrichterte Vorstellung e<strong>in</strong>er vom Gefängnis aus mit Hilfe derVerteidiger organisierten Stadtguerilla wurde so erneut und nachdrücklichverstärkt.Baaders Antrag auf fünftägige Prozeßunterbrechung stieß bei derBAWauf Widerstand: Baader habe zweiVerteidiger (die Zwangsverteidiger- BS) "und ist damit, den gesetzlichen Bestimmungen genügend,verteidigt"137.Der Antrag wurde vom Gericht abgelehnt; es argumentiertezusätzlich, daß Baaders letzter Verteidiger Haag schon seit e<strong>in</strong>igenWochen verschwunden sei; deshalb "bestand ausreichend Gelegenheit,mit gewünschten Verteidigern schriftlichoder sonstwie <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zutreten"138.Sechs Tage danach schien Baader doch wieder e<strong>in</strong>en Verteidigergefunden zu haben: Dr. Hans-He<strong>in</strong>z Heldmann aus Darmstadt. Alserstes stellte Heldmann den Antrag, den Prozeß für zehn Tage zu unterbrechen,um Gelegenheit zu haben, sich <strong>in</strong> die mehr als 150 Ordnerumfassende Prozeßakte (ca. 50 000 Seiten Text) e<strong>in</strong>arbeiten und diedr<strong>in</strong>gendsten Gespräche mit se<strong>in</strong>em Mandanten führen zu können. DemGesetz, <strong>in</strong>ternationalen Verträgen sowie herrschender Jurisprudenz zufolgehabe e<strong>in</strong> Angeklagter das Recht auf e<strong>in</strong>en Verteidiger se<strong>in</strong>er Wahl,e<strong>in</strong>en Verteidiger se<strong>in</strong>es Vertrauens139,weiterh<strong>in</strong> entspreche es allgeme<strong>in</strong>erRechtsauffassung, daß e<strong>in</strong> Verteidiger nur dann se<strong>in</strong>er Aufgabegerecht werden könne, wenn er "den Sachverhalt ausreichend kennt,wenn er darüber unterrichtet ist, wie sich der Angeklagte zur Anklageverhält und wenn er e<strong>in</strong> klares Bild über die Möglichkeiten gewonnenhat, die für e<strong>in</strong>e sachgemäße <strong>Verteidigung</strong> bestehen"l40. Außerdementspreche es allgeme<strong>in</strong>er Rechtsauffassung, daß dem Verteidiger hierzu- vor allem auch durch Verfügung e<strong>in</strong>er Verhandlungsunterbrechung ­Gelegenheit gegeben werde141.Auch dieser Antrag wurde vom Gericht zurückgewiesen: "Der Senatverkennt nicht, daß die vorgetragene Argumentation e<strong>in</strong>drucksvollkl<strong>in</strong>gt. Sie geht aber an der Sache vorbei,,142. Dem Gericht zufolgekonnte das Recht auf e<strong>in</strong>en Verteidiger eigener Wahl nicht zum Themagemacht werden. "Sache" sei vielmehr, daß Baader sich schon seit dem'2142151Ii


•3.2.75 nach e<strong>in</strong>em neuen Verteidiger hätte umsehen müssen. An jenemTag sei immerh<strong>in</strong> entschieden worden, daß Croissant, Groenewold undSträbele nicht mehr als Pflichtverteidiger würden auftreten können. Beijeder folgenden Ausschließung e<strong>in</strong>es Wahlverteidigers (22. April, 2. Maiund 13. Mai 1975) hätte Baader, so das Gericht, die Notwendigkeit e<strong>in</strong>esErsatzes stets deutlicher werden müssen. Das von Baader und se<strong>in</strong>emVerteidiger Heldmann vorgetragene Gegenargument, Baader habe wegender faktisch und juristisch äußerst anfechtbaren Ausschließungsbegründungennicht damit rechnen müssen, daß der BGH die Ausschließungenaufrecht erhalten würde, dies sei auch erst endgültig deutlichgeworden, nachdem der BGH die Ausschließung Croissants am 20. Mai1975 bestätigt und für rechtens erklärt hatte, machte auf das Gerichtnicht den ger<strong>in</strong>gsten E<strong>in</strong>druck. Es sei Baaders eigenes Verschulden,wenn er am 21.5.75 ohne e<strong>in</strong>en Verteidiger se<strong>in</strong>er Wahl dastand, zumaler vom Untertauchen se<strong>in</strong>es "Pflichtverteidigers von Vertrauen" Haagseit dem 13.5.75 über das Radio <strong>in</strong>formiert se<strong>in</strong> und andere Rechtsanwältehätte anschreiben können. Schließlich sei Baader ausreichenddurch die zwei Pflichtverteidiger vertreten, auch wenn er diesen ke<strong>in</strong>Vertrauen entgegenbr<strong>in</strong>ge. E<strong>in</strong> Angeklagter habe zwar, so die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts, "<strong>in</strong> der Regel" e<strong>in</strong> Recht aufe<strong>in</strong>en Verteidiger se<strong>in</strong>er Wahl, "nicht aber unter allen Umständen,,143.Nicht nur die <strong>Verteidigung</strong> war über diesen harten Kurs des Gerichtserstaunt. Auch <strong>in</strong> der westdeutschen Presse ließ sich hier und da e<strong>in</strong>vorsichtig-kritischer Kommentar über die Ablehnung dieser "maßvollenBitte nach zehntägiger Prozeßunterbrechung"l44 f<strong>in</strong>den. In verschiedenenholländischen Tageszeitungen145 wurde auf e<strong>in</strong> kurz zuvor <strong>in</strong> derIllustrierten "Stern" erschienenes Interview mit GeneralbundesanwaltBuback verwiesen. Buback hatte auf die Frage, ob das Recht e<strong>in</strong>esAngeklagten auf e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>gearbeiteten Verteidiger se<strong>in</strong>er Wahl im FalleBaader noch gewährleistet sei, geantwortet: "Die Frage ist doch: GiltderGrundsatz des fairen Prozesses, den Sie angesprochen haben, auchdann, wenn der Verteidiger se<strong>in</strong>e Vorrechte mißbraucht und wenn derMandant davon gewußt oder sogar dazu angestiftet hat? Ich b<strong>in</strong> derMe<strong>in</strong>ung: Ne<strong>in</strong>"l46. Heldmann zufolge war das Gericht mit se<strong>in</strong>er Entscheidungimplizit dieser Buback-Doktr<strong>in</strong> gefolgt: Baader hatte se<strong>in</strong>Recht auf e<strong>in</strong>en fairen Prozeß verspielt.Heldmann strengte unmittelbar nach Bekanntgabe der Gerichtsentscheidungbeim Bundesverfassungsgericht e<strong>in</strong> Verfahren wegen Verletzungdes Grundrechtes auf freie Ausübung des Berufs an147,verbundenmit e<strong>in</strong>em Antrag auf Erlaß e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stweiligen Verfügung gegen den<strong>Stammheim</strong>er Gerichtsbeschluß, der die zehntägige Prozeßunterbrechungverweigerte. E<strong>in</strong>ige Wochen später entschied das Bundesverfassungsgericht,die Verfassungsbeschwerde nicht zu verhandeln, "weil sieke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Aussicht auf Erfolg hat"l48. Für das Bundesverfas-216sungsgericht war offensichtlich ausschlaggebend gewesen, daß die "ordnungsgemäße<strong>Verteidigung</strong> des Angeklagten" durch die Bestellung vonPflichtverteidigern sichergestellt sei. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g maß dieser Entscheidung"große Bedeutung" für den Prozeß bei, da sie die Auffassung desGerichts unterstütze, "daß es zur Sicherung des Verfahrens zulässigwar,Pflichtverteidiger auch gegen den Willen des Angeklagten zu bestellenund zugleich, daß mit dieser Bestellung die gesetzlich vorgeschriebene<strong>Verteidigung</strong> gewährleistet ist,,149.Heldmann war der Ansicht, daß dasBundesverfassungsgericht "hier e<strong>in</strong>mal mehr bestätigt (hat), daß es vonse<strong>in</strong>en früheren Entscheidungen nichts mehr wissen Will,,150.Heldmannme<strong>in</strong>te Entscheidungen, <strong>in</strong> denen die Freiheit der <strong>Verteidigung</strong> nicht"dem gerichtlichen Term<strong>in</strong>plan untergeordnet und damit das Grundrechtder Freiheit der <strong>Verteidigung</strong> für Verteidiger und <strong>in</strong>sbesondere fürden Angeklagten untergebuttert (wird) unter gerichtliche Term<strong>in</strong>ierung,das heißt, stillschweigend suspendiert (wird)".3.2.2. Die Position der "Zwangsverteidiger"Anläßlich der Intervention e<strong>in</strong>es der Zwangsverteidiger während derersten Sitzungsstunde am ersten Verhandlungstag äußerte sich UlrikeMe<strong>in</strong>hof zu diesen Verteidigern:Instrumente der Bundesanwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängigeStaatsschutzverteidiger s<strong>in</strong>d, das heißt, ihrer Funktion <strong>in</strong> diesem Prozeß nachVertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung. Ke<strong>in</strong>er vonihnen ist legitimiert, auch nur e<strong>in</strong> Wort <strong>in</strong> unserem Namen und <strong>in</strong> unseremAuftrag "Es handelt zu sagen. sich Siebei haben diesen dazuVerteidigern ke<strong>in</strong>e Legitimation"151 um Zwangsverteidiger, die alsDie Angeklagten beließen es nicht bei dieser Erklärung; sie kündigtenvielmehr an, daß sie, sobald e<strong>in</strong>er der Zwangsverteidiger das Wort erhaltenwürde, den Saal verließen. Sie schlugen vor, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g solle sie jeweils für dieZeit, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> Zwangsverteidiger das Wort habe, von der Sitzung ausschließen,"damit nicht diese albernen Szenen hier zustande kommen, also dieseRangeleien und Quälereien ... "152.Da Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g der Me<strong>in</strong>ung war, strafprozeßrechtlichnicht dazu befugt zu se<strong>in</strong>, kam es doch immer wieder zu solchunerfreulichen Szenen, wie sie schon beschrieben wurden, und die dann dochletztlich zur Ausschließung der Angeklagten führtenI53.Bereits am zweiten Verhandlungstag war es anläßlich des Antrags derVertrauensanwälte, die Bestellung der Zwangsverteidiger zu Pflichtverteidigernrückgängig zu machen, zwischen beiden Gruppen zum offenenKonfliktgekommen. E<strong>in</strong>er der Zwangsverteidiger ließ sich zu der Aussageh<strong>in</strong>reißen, der Begriff "Zwangsverteidiger" würde die Sachlage treffendwiedergeben, wenn die Vertrauensanwälte dem von ihnen gewähltenWeg weiter folgten: Sie seien nämlich gezwungen, schweigend mitansehenzu müssen, wie die Vertrauensanwälte den Interessen ihrerMandanten fortwährend durch endlose Verfahrensanträge schade-217I


•ten154. Acht Verhandlungstage später unterbrach e<strong>in</strong>er der Zwangsverteidigerdas Schweigen, bestätigte jedoch nur die Auffassung der Angeklagten,daß diese Verteidiger ihrer Funktion nach <strong>in</strong> diesem Prozeß zuden "Vertretern der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung"gehörten.Anlaß war e<strong>in</strong> von Schily im Namen Gudrun Enssl<strong>in</strong>s vorgetragener Antragauf Ablehnung des Vorsitzenden Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g wegen "Besorgnis der Befangenheit".Begründet wurde dieser Antrag u. a. mit den (<strong>in</strong> Kapitel IV, 6.1.,beschriebenen) Vorfällen vor dem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s am 9.11. 74, fürden Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g mitverantwortlich se<strong>in</strong> sollte. Der Enssl<strong>in</strong> als Pflichtverteidigerzugeteilte Rechtsanwalt Künzel, der e<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>er Ausbildung bei Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gerhalten hatte bflschuldigte Schily daraufh<strong>in</strong> öffentlich des Rechtsmiß- --brauchs und teilte weiter mit, daß er beabsichtige, deswegen bei der Berl<strong>in</strong>erRechtsanwaltskammer e<strong>in</strong> Ehrengerichtsverfahren gegen Schily zu erwirkenIss.Künzels Bedenken liefen im wesentlichen darauf h<strong>in</strong>aus, daß Schilyse<strong>in</strong>e Mandant<strong>in</strong> nicht daran geh<strong>in</strong>dert habe, den Ablehnungsantrag e<strong>in</strong>zureichenund somit ihre geme<strong>in</strong>same Mandant<strong>in</strong> ("für die ich zu denken habe")e<strong>in</strong>er Strafverfolgung wegen Verleumdung preisgegeben habel56. Künzelverwies auf die von Rechtsanwalt von Plottnitz im November 1974 gestellteAnzeige wegen verschiedener strafbarer Handlungen im Zusammenhang mitdem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s, die schon zu ähnlichen Gegenanzeigen geführthatte.Dieses E<strong>in</strong>greifen Künzels <strong>in</strong> den Prozeßveriauf ist e<strong>in</strong> anschaulichesBeispiel für die unmögliche Position, <strong>in</strong> der sich e<strong>in</strong> Verteidiger wiederf<strong>in</strong>det,der e<strong>in</strong>en Mandanten gegen dessen ausdrücklichen Willen vorGericht vertritt und der neben sich e<strong>in</strong>en anderen Verteidiger weiß, derdas Vertrauen dieses Mandanten besitzt. Se<strong>in</strong>em Auftrag nach hat er dieInteressen se<strong>in</strong>es Mandanten zu wahren, ohne jedoch Gelegenheit zuhaben, sich mit dem Betreffenden selbst über Form und Inhalt dieserInteressenwahrnehmung zu verständigen. E<strong>in</strong>e adäquate Aufgabenerfüllung<strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n ist nur dann möglich, wenn es sich um e<strong>in</strong>deutigfeststellbare, re<strong>in</strong> objektive Interessen handelt. Selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em normalenStrafprozeß werden sich solch e<strong>in</strong>deutige Interessen nur schwer f<strong>in</strong>denbzw. def<strong>in</strong>ieren lassen, geht man davon aus, daß die Geschehnisse <strong>in</strong> derPraxis vom Verteidiger und vom Angeklagten durchaus unterschiedlicherfahren und <strong>in</strong>terpretiert werden. Wenn jedoch der Angeklagte und se<strong>in</strong>Vertrauensanwalt e<strong>in</strong> <strong>Verteidigung</strong>skonzept entwickelt haben und versuchen,dieses durchzuführen, muß das aktive E<strong>in</strong>greifen des nicht e<strong>in</strong>geweihtenVerteidigers fast unvermeidlich von diesem Konzept abweichenund damit den Interessen des Angeklagten zuwiderlaufen. Selbstverständlichließe sich behaupten, daß es hier nicht so sehr um e<strong>in</strong>enInteressenskonflikt, sondern vielmehr um widerstreitende <strong>Verteidigung</strong>smodellegehe. Dennoch ist natürlich das Modell zu bevorzugen, das derMandant mitentwickelt hat und das er durchgeführt wissen will. Imvorliegenden Fall hatte Rechtsanwalt Künzel se<strong>in</strong>e Mandant<strong>in</strong> öffentlich218des Begehens e<strong>in</strong>er strafbaren Handlung (Verleumdung) und se<strong>in</strong>enMitverteidiger e<strong>in</strong>es berufsrechtlichen Vergehens beschuldigt. Er fordertePr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g aber auch noch auf, Schily als Verteidiger von Enssl<strong>in</strong> zuentpflichten157. Gudrun Enssl<strong>in</strong>s Reaktion:"Paragraf 356 StGB Parteiverrae58, kommt mir so vor, als träfe das genauzu. Ich les das mal vor: ,E<strong>in</strong> Anwalt oder e<strong>in</strong> anderer Rechtsbeistand, welcherbei den ihm <strong>in</strong> dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten' - anvertrautnicht von mir allerd<strong>in</strong>gs, sondern vom Gericht <strong>in</strong> diesem Fall - ,<strong>in</strong> derselbenRechtssache159 pflichtwidrig dient' - wobei die Partei, der Künzel dient <strong>in</strong>dieser Rechtssache, die Bundesanwaltschaft ist - ,wird mit Freiheitsstrafe vondrei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft'. Und dann 2.: ,Handelt derselbe imE<strong>in</strong>verständnis mit der Gegenpartei' - das ist die Bundesanwaltschaft - ,zumNachteil se<strong>in</strong>er Partei, so tritt Freiheitsstrafe von e<strong>in</strong>em Jahr bis zu fünf Jahrene<strong>in</strong>'."E<strong>in</strong> wegen Künzels Verhalten von Enssl<strong>in</strong> erneut vorgebrachter Antragauf Entpflichtung wurde von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g abgelehnt. Begründung: "HerrnKünzels Schritt richtete sich ausschließlich gegen das Verhalten desRechtsanwalts Schily, das von ihm für standeswidrig gehalten wird. Erhat danach das Recht, davon die Standesorganisation zu verständigen"160.Diese Begründung wiederum nahm die <strong>Verteidigung</strong> zum Anlaß,im Namen Enssl<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>en Antrag auf Ablehnung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs wegenBesorgnis der Befangenheit e<strong>in</strong>zureichen. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sei <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ablehnungmit ke<strong>in</strong>em Wort auf die <strong>in</strong> Enssl<strong>in</strong>s Antrag angeführte Verletzungder Treuepflicht Künzels gegenüber Enssl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gegangen; Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g habedadurch zu erkennen gegeben, daß er e<strong>in</strong> der Treuepflicht widerstreitendesHandeln ("jedenfalls vom subjektiven Standpunkt der AngeklagtenEnssl<strong>in</strong> aus gesehen") gutheiße, sich diesem zum<strong>in</strong>dest nicht widersetze161.Hierzu Dahsl62: "Das Mandat des Verteidigers untersteht dem Gebot derabsoluten Treuepflicht. Die Treue gegenüber dem Mandanten bildet dieGrundlage des Anwaltsberufes. Die Treuepflicht ist das Spiegelbild des Vertrauens,das der Mandant dem Verteidiger entgegenbr<strong>in</strong>gt"163Der Senat wies den Antrag auf Ablehnung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs zurück; <strong>in</strong> derBegründung überg<strong>in</strong>g er die Frage, ob und wie schwer Künzel se<strong>in</strong>eTreuepflicht gegenüber der Mandant<strong>in</strong> verletzt habe. Der Senat sah <strong>in</strong>Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Verhalten "nichts, was <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em verständigen AngeklagtenZweifel an der Unparteilichkeit des Richters aufkommen lassen könnte".Und weiter:"Hat e<strong>in</strong> Angeklagter mehrere Verteidiger, so kann es vorkommen, daß dere<strong>in</strong>e von ihnen das Prozeßverhalten des anderen als für den Angeklagtenschädlich bewertet, ja, daß er es für standeswidrig hält, die <strong>Verteidigung</strong> so, wiesie geschieht, zu führen. In solcher Lage kann es dem Verteidiger - der demWohl des Angeklagten verpflichtet ist - nicht verwehrt werden, se<strong>in</strong>e Bedenkengegen das Verhalten des anderen Verteidigers <strong>in</strong> der ihm geeignet sche<strong>in</strong>endenForm vorzubr<strong>in</strong>gen. Das giltauch für den Fall, daß der e<strong>in</strong>e Verteidiger219


der Me<strong>in</strong>ung ist, der Angeklagte setze sich durch se<strong>in</strong> prozessuales Verhaltender Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aus, und der andere Verteidiger unterlassees pflichtwidrig, ihn davon abzuhalten"I64.3.2.3. E<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> der Ausschließungsgesetzgebung?Der erste unmittelbar nach Eröffnung des Prozesses am 21.5.75 vonder <strong>Verteidigung</strong> gestellte Antrag betraf die Zulassung der RechtsanwälteCroissant, Ströbele und Groenewold, die von der <strong>Verteidigung</strong> Baadersausgeschlossen waren, als Verteidiger von Raspe, Enssl<strong>in</strong> und Me<strong>in</strong>hof.Die BAWbeantragte daraufh<strong>in</strong>, gegen diese Rechtsanwälte erneut Ausschließungsverfahrengemäß § 138c Abs. 3 StP0165 für die <strong>Verteidigung</strong>ihrer neuen Mandanten e<strong>in</strong>zuleiten. Beide Anträge wurden vom Gerichtzurückgewiesen; die Ausschließung der drei Rechtsanwälte von der<strong>Verteidigung</strong> Baaders beziehe sich "nach Zweck und Wortlaut der Vorschriftdes § 138a StPO" auf den gesamten Prozeß, gelte somit auch fürdie <strong>Verteidigung</strong> von Mitangeklagten. Nachdem die BAW"gegen dieseRechtsauffassung des Senats große Bedenken" angemeldet hatte, widerriefdas Gericht den zuvor getroffenen Beschluß, gab dem Antrag derBAWnachträglich statt und vertagte die Sitzung bis zur Entscheidung des1. Strafsenats des Stuttgarter Oberlandesgerichts. Dieser Senat entschiedam 3.6.75, die Ausschließungsanträge nicht zu behandeln; dieBegründung dafür stimmte mit der Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs für die zuerst getroffeneEntscheidung übere<strong>in</strong>. Auf den ersten Blick schien das Dilemma juristischnicht auflösbar zu se<strong>in</strong>.Diese Probleme entstanden aus der Interpretation des taufrischen§ 138a StPO. <strong>Verteidigung</strong> und BAWme<strong>in</strong>ten, daß der Ausschluß e<strong>in</strong>esVerteidigers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Strafverfahren nur personenbezogen auf e<strong>in</strong>enMandanten gelte. Das Prozeßgericht und der 1. Senat des OLG legtenden neuen Paragrafen jedoch wesentlich weiter aus; beide me<strong>in</strong>ten, dieAusschließung e<strong>in</strong>es Anwalts von der <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>es Mandantengelte für alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozeß Mitangeklagten. BAW und <strong>Verteidigung</strong>argumentierten dagegen, daß e<strong>in</strong>e solche Interpretation nachweislichunrichtig sei. Nicht nur müßten strafprozeßrechtliche Bestimmungenrestriktiv ausgelegt werden, sondern darüber h<strong>in</strong>aus hätten sowohl verschiedeneStrafrechtsgelehrte als auch die Länderjustizm<strong>in</strong>ister noch vorkurzem ausdrücklich erklärt, daß e<strong>in</strong>e auf dieser Bestimmung beruhendeAusschließung nur auf e<strong>in</strong>en Angeklagten beschränkt sei166.Ironischerweisefiel der Vorschlag des Bundesjustizm<strong>in</strong>isters, e<strong>in</strong>e Ergänzungsbestimmung<strong>in</strong> § 138 StPO aufzunehmen, <strong>in</strong> die gleiche Woche, <strong>in</strong> der der1. Senat mit se<strong>in</strong>em Beschluß implizitzu erkennen gegeben hatte, daße<strong>in</strong>e solche Ergänzung völlig überflüssig war167.So entstand die merkwürdigeSituation, daß Gerichte mittels e<strong>in</strong>er jUristischunhaltbaren Interpretationversuchten, e<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> der Gesetzgebung zu schließen,220während e<strong>in</strong>es der gesetzgebenden Organe zum seiben Zeitpunkt ausdrücklichhervorhob, daß dies ausschließlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Zuständigkeit faUe.Man befand sich ganz offensichtlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er juristischen Sackgasse,zumal die Verteidiger auch noch mit der oben erwähnten Begründungbehaupteten, der Beschluß des 1. Senats des OLG Stuttgart, die neuenAusschließungsanträge nicht zu behandeln, widerstreite bereits derStPO und müsse deshalb als nuU und nichtig betrachtet werden. DasProzeßgericht (2. Senat) unter Vorsitz von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g stellte noch e<strong>in</strong>malausdrücklich fest, daß es h<strong>in</strong>ter dem Beschluß des 1. Senats (der mitdem eigenen, aber widerrufenen ersten Beschluß übere<strong>in</strong>stimmte) steheund begründete dies damit, daß Gesetzesauslegung als "die ureigensteAufgabe e<strong>in</strong>es Gerichtes" anzusehen sei, denn "hier zeigt der Rechtsstaat,ob er dafür e<strong>in</strong>tritt, daß die Gerichte <strong>in</strong> der Tat <strong>in</strong> der von ihnenvorgeschriebenen Unabhängigkeit über den Inhalt von Gesetzen entscheidenkönnen"l68. Der 1. Senat hätte gegen den fundamentalenrechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen, me<strong>in</strong>te derPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g-Senat, wenn er sich durch Äußerungen zum Gesetzes<strong>in</strong>halt"aus den Kreisen der Exekutive" hätte e<strong>in</strong>schüchtern lassen169.Die Vorgänge s<strong>in</strong>d hier <strong>in</strong> dreifacher H<strong>in</strong>sicht von Interesse. Erstenszeigt die Intervention der BAW, daß sie mehr noch als der vorsitzendeRichter befürchtete, es könne <strong>in</strong> diesem Prozeß zu e<strong>in</strong>em offenen Bruchmit der Legalität kommen; die wesentliche Rolle, die die BAW beimZustandekommen der Ausschließungsgesetzgebung gespielt hat, ist sicherliche<strong>in</strong>er der Gründe für dieses Verhalten. Das Gericht hatte durchse<strong>in</strong>e Entscheidungen zu erkennen gegeben, daß es e<strong>in</strong>er schnellenAbwicklung des Prozesses absolute Priorität beimaß, strafprozeßrechtlicheund rechtsstaatliche Grundsätze waren diesem Bestreben unterzuordnen.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Kunstgriffbestand dar<strong>in</strong>, diesen Bruch mit dem Gesetzdurch Berufung auf e<strong>in</strong>e andere Säule des Rechtsstaates, nämlich derLehre von der Gewaltenteilung und der daraus folgenden absolutenrichterlichen Unabhängigkeit <strong>in</strong> Fragen der Gesetzes<strong>in</strong>terpretation, zulegitimieren17o. Auch das Verhalten der <strong>Verteidigung</strong> möchte ich hier mite<strong>in</strong>igen Randbemerkungen kommentieren. Der <strong>Verteidigung</strong> war vonAnfang an klar gewesen, daß Croissant, Groenewold und Ströbele aufke<strong>in</strong>en Fallzugelassen würden. So gesehen waren ihre Zulassungsanträgenicht mehr als der <strong>in</strong> prozeßgemäße Form verpackte Ausdruck desWiderstands gegen die neue Ausschließungsgesetzgebung und derenAnwendung; verfahrensmäßige Erfolge waren ausgeschlossen, politischeErfolge jedoch so gut wie sicher, wie das Gericht auch immer mitdiesen Anträgen umgehen würde. Schließlich würde es entweder zuneuen Ausschließungsverfahren kommen, für deren Dauer der Prozeßunterbrochen werden müßte (§ 138c Abs. 4 StPO; e<strong>in</strong>e Prozedur, diesich noch zweimal mit den anderen Angeklagten hätte wiederholenlassen), oder die <strong>Verteidigung</strong> würde <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> - wie es nun221••


tatsächlich der Fall war - das Gericht mit guten Gründen zu beschuldigen,völligwillkürlichmit geltendem Recht zu verfahren, nach dem Motto"<strong>Stammheim</strong>er Landrecht bricht Bundesrecht" .In beiden Fällen würde der übereilte ad hoc-Charakter der Ausschließungsgesetzgebungder kritischen Öffentlichkeit noch e<strong>in</strong>mal deutlichvor Augen geführt werden können.3.2.4. Die Verhaftung der Rechtsanwälte Croissant und StröbeleAm 23.6.75 wurden bei e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftsaktion des GBA und derStaatsanwaltschaften Berl<strong>in</strong>, Stuttgart und Heidelberg die Privat- undKanzleiräume der Rechtsanwälte Groenewold, Ströbele, Croissant undMarie-Louise Becker durchsucht. Ströbele und Croissant wurden verhaftet,Becker nach e<strong>in</strong>er vorläufigen Festnahme wieder freigelassen. Beiden Kanzleidurchsuchungen wurden wie üblich <strong>Verteidigung</strong>sunterlagen,auch aus dem Prozeß <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, beschlagnahmt. Am nächstenTag beantragte die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, den Prozeß so lange zuunterbrechen, bis alle <strong>Verteidigung</strong>sunterlagen zurückgegeben wordenseien. Bundesanwalt Wunder erwiderte, e<strong>in</strong>e Unterbrechung sei unnötig,weil die beschlagnahmten Ordner und Unterlagen entweder nichtsmit der <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> zu tun hätten oder schon wiederzurückgegeben worden seien. Nachdrücklich wies er darauf h<strong>in</strong>, daß"die hier anwesenden Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft" nichtsmit den Vorfällen des Vortages zu tun gehabt hätten, damit auch ke<strong>in</strong>eweiteren E<strong>in</strong>zelheiten mitteilen könnten und daß die Durchsuchungenund Festnahmen überhaupt nicht mit dem <strong>Stammheim</strong>er Prozeß <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung stünden 171.Gleichzeitig teilte Wunder jedoch mit, daß dieErmittlungsbehörden für ihre Aktion bewußt e<strong>in</strong>en sitzungsfreien Taggewählt hätten, "gerade um diese Hauptverhandlung nicht zu tangieren".Die Widersprüche <strong>in</strong> den Erklärungen der BAW häuften sichzusehends, während die <strong>Verteidigung</strong> anhand von Listen der beschlagnahmtenOrdner nachweisen konnte, daß sehr wohl Prozeßunterlagenfestgehalten worden waren. Das Gericht sah sich gezwungen, den Prozeßerst für zwei und dann noch e<strong>in</strong>mal für vier Tage zu unterbrechen.Die Kanzlei-und Hausdurchsuchungen, die umfangreichen Beschlagnahmen(aus Croissants Büro z. B. wurden Akten und andere Unterlagenkistenweise per Lastwagen abtransportiert), die Verhaftung der beidenAnwälte machen e<strong>in</strong>e nähere Betrachtung dieser Aktion erforderlich.Als erstes muß festgestellt werden, daß für ke<strong>in</strong>e Maßnahme neuesBeweismaterial präsentiert wurde; man begnügte sich mit e<strong>in</strong>em Rückgriffaufdie bereits <strong>in</strong> den Ausschlußverfahren gehandhabten Beschuldigungen.Nur die vorläufige Festnahme Marie-Louise Beckers wurde mite<strong>in</strong>em neuen Anhaltspunkt begründet: Bei der Durchsuchung ihres Bürossei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lippenstift e<strong>in</strong>e Patrone gefunden worden.222Im allgeme<strong>in</strong>en kann Untersuchungshaft nach westdeutschem Rechtnur angeordnet werden, wenn zum<strong>in</strong>dest der schwerwiegende Verdachtauf e<strong>in</strong>e strafbare Handlung besteht und wenn e<strong>in</strong> Haftgrund vorliegt172.Haftgründe s<strong>in</strong>d Fluchtgefahr173,Verdunklungsgefahr (Beseitigung vonBeweismaterial)174 und Wiederholungsgefahr175. Der schwerwiegendeVerdacht e<strong>in</strong>er strafbaren Handlung, <strong>in</strong> diesem Fall der Unterstützunge<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, war bei den Ausschlußverfahren gegenCroissant und Ströbele sowohl vom OLG Stuttgart als auch vom BGHbereits als gegeben angenommen worden. Die <strong>in</strong> den jetzigen Haftbefeh­1en genannten Beschuldigungen waren dieselben. Die <strong>in</strong> Kapitel V Abschnitt4.4. analysierte Konstruktion des "schwerwiegenden Verdachts"wurde <strong>in</strong> beiden Haftverfahren wiederholt und bestätigt.Im Verfahren gegen Ströbele wurde die Untersuchungshaft aber am18.7.75 vom Amtsgericht Tiergarten aufgehoben, da e<strong>in</strong> schwerwiegenderVerdacht nicht gegeben sei176.In der Beschwerde vom 21.7.75177gegen diesen Beschluß stellt die Staatsanwaltschaft Berl<strong>in</strong> fest, daß alleStröbele zur Last gelegten Handlungen für sich genommen durchauslegalen Zwecken dienen könnten, jedoch: "Nicht zu übersehen ist (. .. ),daß alle diese Aktivitäten neben diesem legalen Anstrich auch den obengeschilderten weiteren Zweck krim<strong>in</strong>eller Art verfolgten ... ".In dem Verfahren gegen Croissant wurde der Untersuchungshaftbefehlmit Beschluß vom 8.8.75178 des Landgerichts Stuttgart zwar nichtaufgehoben, aber außer Vollzug gesetzt. Am 22.8.75 wurde dieserBeschluß vom OLG Stuttgart im Beschwerdeverfahren bestätigt179.Auch das OLG Stuttgart war zu der Feststellung gekommen, daß alle dieCroissant zur Last gelegten Handlungen "für sich alle<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e strafbarenHandlungen (s<strong>in</strong>d)", jedoch: "Sie s<strong>in</strong>d hier aber e<strong>in</strong>bezogen <strong>in</strong> denGesamtplan der Vere<strong>in</strong>igung, durch strafbare Gewalthandlungen diefreiheitliche demokratische Grundordnung <strong>in</strong> der Bundesrepublik zuzerstören". Das Schlußstück der Begründung für die Annahme e<strong>in</strong>es"schwerwiegenden Verdachts", die tatsächliche Schuldzuweisung, f<strong>in</strong>detsich dann <strong>in</strong> dem Satz "Art und Umfang der genannten Unterstützungshandlungendes Beschuldigten lassen den Schluß zu, daß er subjektiv<strong>in</strong> Kenntnis aller Tatbestandsmerkmale des § 129 StGB tätiggeworden ist und die Bedeutung se<strong>in</strong>es Tuns erkannt hat".Nun zu den <strong>in</strong> dem jeweiligen Verfahren angeführten Haftgründen. ImHaftbefehl gegen Croissane8o wurde als Haftgrund Fluchtgefahr genannt;der zuständige Haftrichter me<strong>in</strong>te, erstens sei zu befürchten, daßCroissant versuchen würde, sich e<strong>in</strong>em Strafverfahren zu entziehen,sobald er vom Umfang der "jetzt vorliegenden Verdachtsgründe" Kenntniserhalten habe, und zweitens bestehe die Gefahr, dem unmittelbarbevorstehenden Ehrengerichtsverfahren, <strong>in</strong> dem ihm Berufsverbot drohe,zu entgehen. Beide Argumente s<strong>in</strong>d angesichts der völligen übere<strong>in</strong>stimmungder Verdachtsgründe mit denjenigen des Ausschlußverfah-223


ens nur als willkürlichzu bezeichnen, zumal von e<strong>in</strong>em bevorstehendenDiszipl<strong>in</strong>arverfahren noch gar nichts bekannt war (und es auch noch zweiJahre dauern sollte, bis es stattfand). Nach dem Haftprüfungsterm<strong>in</strong> am2.7.75181 wurde die verme<strong>in</strong>tliche Fluchtgefahr dann auch anders begründet:Weil Croissant - "der sich seit Jahren erklärtermaßen politischmotiviert <strong>in</strong>tensiv für die Belange dieser Gruppe e<strong>in</strong>setzt" - nach se<strong>in</strong>erAusschließung ke<strong>in</strong>e "direkten Kontaktmöglichkeiten zu führendenRAF-Mitgliedern" mehr habe, könne er sich vorher dazu entschließen,"<strong>in</strong> den Untergrund zu gehen"182. Verwiesen wurde auf die RechtsanwälteLang und Haag. Was die Verteidiger von Croissant zu der Frageveranlaßte, warum dann nicht auch Groenewold, gegen den <strong>in</strong>zwischensogar e<strong>in</strong> vorläufiges Berufsverbot ausgesprochen worden war, verhaftetworden war. Im Beschluß des LG Stuttgart vom 8.8.75183, <strong>in</strong> dem dieVerschonung Croissants von der Untersuchungshaft verfügt wurde, wurdedie Annahme von Fluchtgefahr schließlich damit zu rechtfertigenversucht, daß Croissant bei e<strong>in</strong>er Verurteilung mit e<strong>in</strong>er "empf<strong>in</strong>dlichenFreiheitsstrafe" zu rechnen habe, daß ihm Berufsverbot drohe, was den"Verlust se<strong>in</strong>er bisherigen Existenzgrundlage" zur Folge hätte, und daß"familiäre oder andere persönliche B<strong>in</strong>dungen" nur unzureichend gegebenseien (am 2.7.75 hatte der Haftrichter noch von "zweifellosvorhandenenvielfachen privaten und beruflichen B<strong>in</strong>dungen" gesprochen).Trotz allem war dieses Gericht der Me<strong>in</strong>ung, e<strong>in</strong>er Fluchtgefahr könne <strong>in</strong>ausreichendem Maße begegnet werden, wenn Croissant die folgendenAuflagen erfülle: H<strong>in</strong>terlegung e<strong>in</strong>er Kaution <strong>in</strong> Höhe von 80 000 Mark,zweimaliges Melden <strong>in</strong> der Woche bei der zuständigen Polizeiwache undH<strong>in</strong>terlegung se<strong>in</strong>es Reisepasses und Personalausweises.Ströbele war am 18.7.75 aus der Untersuchungshaft entlassen worden,da e<strong>in</strong> schwerwiegender Verdacht nicht gegeben sei; nach derschon genannten Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berl<strong>in</strong> vom21.7.75 traf das LG Berl<strong>in</strong> am 22.7.75 erneut e<strong>in</strong>e Entscheidungl84, <strong>in</strong>der wieder der "schwerwiegende Verdacht" und zusätzlich auch nochFluchtgefahr auftauchen. Dennoch blieb auch für Ströbele die Untersuchungshaftaußer Vollzug. Begründung: Seit se<strong>in</strong>er Freilassung vor vierTagen habe er se<strong>in</strong>en Beruf wieder ausgeübt, wodurch "die Fluchtgefahrim Moment verr<strong>in</strong>gert (zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t)". Für Ströbele galt die Auflage,sich e<strong>in</strong>mal wöchentlich bei der Polizeiwache zu melden.Ströbeles Entlassung aus der Untersuchungshaft aufgrund unzureichenderVerdachtsgründe muß <strong>in</strong> Kreisen der Justiz für beträchtlicheAufregung gesorgt haben. Immerh<strong>in</strong> hatte das Amtsgericht Tiergartentrotz derselben "Fakten" e<strong>in</strong>en Beschluß gefaßt, der genau im Gegensatzzu den Beschlüssen des OLG Stuttgart und des BGH stand, die denfür Ströbeles Ausschluß notwendigen schwerwiegenden Verdacht alsgegeben betrachtet hatten. Der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergartenkam zudem mehr Bedeutung zu, weil Ströbele vom Gericht selbst224gehört worden war (die Behandlung der Anträge auf Ausschließung vonder <strong>Verteidigung</strong> hatte <strong>in</strong> Abwesenheit der Rechtsanwälte stattgefunden)185undStröbele, weil nun selbst Beschuldigter, nicht mehr an se<strong>in</strong>eberufliche Schweigepflicht gebunden warl86. Von der Möglichkeit, erstmals<strong>in</strong>haltlich auf die Vorwürfe e<strong>in</strong>gehen zu können, hatte Ströbeleausgiebig Gebrauch gemacht. Vor allem auf die 19 Rundbriefe, mitdenen se<strong>in</strong>e Ausschließung hauptsächlich begründet wurde (vgl.KapitelV, 4.4.) war er ausführlich e<strong>in</strong>gegangen.Die aufgrund dieser Erklärung zustande gekommene Entscheidung,Ströbele mangels Tatverdachts aus der Untersuchungshaft zu entlassen,war für die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> Anlaß, am nächsten Verhandlungstag(22.7.75) zu beantragen, den Prozeß zu unterbrechen und dem2. Senat des OLG, der die Ausschließung Ströbeles verfügt hatte, dieAkte Ströbele zwecks Rücknahme der Ausschließung vorzulegenl87. MitBlickauf das 41 Seiten umfassende Gerichtsprotokoll aus Berl<strong>in</strong>-Tiergartenunterbrach das Gericht die Verhandlung vorläufig bis zum 24.7.75,um dann mitzuteilen, daß der Antrag der <strong>Verteidigung</strong> abgelehnt sei. AlsBegründung wurde angeführt, es habe sich seit den Ausschließungsbeschlüssennichts an der Ströbele betreffenden Beweislage geändert, unddas Landgericht Berl<strong>in</strong> habe den Beschluß des Amtsgerichts Tiergartenam 22.7.75 aufgehoben und sehr wohl e<strong>in</strong>en schwerwiegenden Verdachtals gegeben angesehen.Den Antrag, die Verhandlung zu unterbrechen, um die Entscheidungdes Amtsgerichts Tiergarten beizuziehen, hatte die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> am 22.7.75 um 9 Uhr gestellt. Nur sechs Stunden später tratdas Landgericht Berl<strong>in</strong> zur Entscheidung über die Beschwerde derStaatsanwaltschaft gegen Ströbeles Freilassung zusammen. Mit e<strong>in</strong>erEntscheidung war also nicht vor dem späten Nachmittag zu rechnenl88.Weder Ströbele noch se<strong>in</strong>e Verteidiger hatten Gelegenheit erhalten, aufdie Beschwerde zu reagieren; den Antrag Ströbeles und se<strong>in</strong>er Verteidigerauf mündliche Anhörung189 lehnte das Gericht ab: "Die mit e<strong>in</strong>ersolchen Anhörung verbundene Verzögerung der Entscheidung würdeden Zweck der angeordneten Maßnahme, nämlich der Fluchtgefahrentgegenzuwirken, gefährden". Das Landgericht beließ Ströbele <strong>in</strong> Freiheit.Nach alledem kann man sich nur schwerlich des E<strong>in</strong>drucks erwehren,daß das Landgericht Berl<strong>in</strong> unter erheblichem Druck gestanden habenmuß, um dem OLG Stuttgart aus der Klemme zu helfen, <strong>in</strong> die es durchden Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 18.7.75 geraten war.Fassen wir der Übersichtlichkeit halber kurz zusammen: Die aufsehenerregendenFestnahmen Croissants und Ströbeles beruhen auf Beschuldigungen,die bereits seit langem bekannt und zudem widersprüchlichs<strong>in</strong>d. Beide werden noch während der großen Ferien gegen Auflagenaus der Untersuchungshaft entlassen.225


Gleichzeitig mit den Festnahmen werden auch die Kanzleien derAnwälte Laubscher und Becker (Heidelberg) sowie Groenewold, Könkkeund Rogge (Hamburg) nebst Privatwohnungen durchsucht. Beschlagnahmtwird <strong>Verteidigung</strong>smaterial zum <strong>Stammheim</strong>er Verfahren.Die Aktion läuft auf Bundesebene, sie f<strong>in</strong>det absichtlich an e<strong>in</strong>em <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> prozeßfreien Tag statt.Der Haftbefehl gegen Ströbele datiert vom 20. Juni; trotz der behauptetenFluchtgefahr wird er erst drei Tage später vollstreckt.Alse<strong>in</strong>ziger der drei ausgeschlossenen Anwälte wird Kurt Groenewoldnicht verhaftet.Angesichts dieser Tatsachen kann man sich des E<strong>in</strong>drucks nicht erwehren,daß bei dieser Aktion eher politische als krim<strong>in</strong>alistische Motive(Ermittlungen <strong>in</strong> den <strong>Strafsachen</strong> gegen die Rechtsanwälte) ausschlaggebendwaren. Für diese E<strong>in</strong>schätzung sprechen noch folgende Punkte:Die Durchsuchungen und Festnahmen fanden fünf Tage nach demersten Ablehnungsantrag gegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g statt. Der Antrag (siehe Abschnitt3.3.) gründete sich im e<strong>in</strong>zelnen auf die dargelegte MitverantwortlichkeitPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs für den Tod von Holger Me<strong>in</strong>s sowie se<strong>in</strong>e als ungesetzlichbezeichnete Auswahl zum Vorsitzenden des für den Prozeß gegen"Baader u. a." zuständigen Strafsenats des OLG Stuttgart. Der Antragund die ihm zugrunde liegenden Tatbestände hatten <strong>in</strong> den Medien e<strong>in</strong>lebhaftes Echo gefunden.Zudem hatte Croissant fünf Tage vor der Verhaftungsaktion die Presseüber e<strong>in</strong>e Strafanzeige <strong>in</strong>formiert, die er gegen die Verantwortlichen derBundesanwaltschaft und des BKA wegen des Verdachts der vorsätzlichenTötung se<strong>in</strong>es Mandanten Siegfried Hausner erstattet hatte. AlsMitglieddes "Kommando Holger Me<strong>in</strong>s" war Hausner bei der Besetzungder deutschen Botschaft <strong>in</strong> Stockholm lebensgefährlich verletzt worden.Trotz ärztlich attestierter Transportunfähigkeit war Hausner <strong>in</strong> die BRDausgeflogen worden. Se<strong>in</strong> Leben hätte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spezialkrankenhaus fürVerbrennungsschäden gerettet werden können. Stattdessen ließen ihnBundesanwaltschaft und BKA<strong>in</strong> das <strong>Stammheim</strong>er Gefängnis e<strong>in</strong>liefern,<strong>in</strong> dessen völligunzureichend ausgerüsteter Krankenstation Hausner am4.5.75 starb. Der Anzeige zufolge hatten sie Hausner bewußt mediz<strong>in</strong>ischunzureichend versorgen lassen, um zu verh<strong>in</strong>dern, daß er (Sprengstoffexpertedes Kommandos) jemals bezeugen könnte, nicht das Kommando,sondern e<strong>in</strong> Sonderkommando des BKA habe die Botschaftgesprengt.Die politischen Motive für die Aktion gegen die Rechtsanwälte könntenfolgende se<strong>in</strong>: Mit den Verhaftungen und den entsprechenden Begleitaktionenwurde <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie beabsichtigt, die Aufmerksamkeit vonder Verantwortlichkeit der BAW und des BKA für den Tod von Me<strong>in</strong>sund Hausner abzulenken und gleichzeitigdie Verteidiger erneut zu krim<strong>in</strong>alisieren.Der merkwürdige Umstand, daß Groenewold nicht verhaftet226worden war, bef<strong>in</strong>det sich dazu ke<strong>in</strong>eswegs im Widerspruch; Groenewoldistschließlich schon durch e<strong>in</strong> vorläufiges Berufsverbot ausgeschaltetworden und damit auch nicht mehr wie Croissant und Ströbele <strong>in</strong> derLage, als Verteidiger der vier überlebenden Gefangenen aus dem "KommandoHolger Me<strong>in</strong>s" aufzutreten.Zudem können die Verhaftungen als vorläufiger Schlußakt e<strong>in</strong>er erfolgreichenÖffentlichkeitsarbeit der Staatsschutzbehörden gegen dieVerteidiger betrachtet werden; ihre Ausschließung von der <strong>Verteidigung</strong>ist - angesichts mangelnder strafrechtlicher Verurteilungen - durch dieVerhaftungen faktisch bestätigt worden, wobei die anschließenden Verurteilungenvorprogrammiert waren. Die Verhaftungen, Durchsuchungenund Beschlagnahmungen legitimierten auf diese Weise nicht nurnachträglich die Ausschließungsgesetze vom 1.1. 75, sondern gleichzeitigauch im voraus die gerade zur Diskussion stehenden verschärftenGesetzesvorlagen.Die Beschlagnahmeaktionen dürften schließlich noch zwei weitereGründe gehabt haben. Erstens war damit zu rechnen, daß <strong>in</strong> den AnwaltskanzleienUnterlagen gefunden würden, aus denen die weitereEntwicklung im <strong>Stammheim</strong>er Verfahren hervorg<strong>in</strong>ge. Zweitens bestanddie Hoffnung, neues Beweismaterial für die laufenden Ermittlungsverfahrengegen die Rechtsanwälte zu f<strong>in</strong>den. Zum<strong>in</strong>dest lautete so dieoffizielle Rechtfertigung für die Aktionen. Daß sich diese Hoffnungennicht erfüllten, folgt aus der Freilassung der Rechtsanwälte Croissant undStröbele.3.2.5. E<strong>in</strong> "fairer Prozeß" für die Angeklagten?Ende August 1975 beantragte die <strong>Verteidigung</strong> die E<strong>in</strong>stellung desVerfahrens, da ihrer Me<strong>in</strong>ung nach e<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis im S<strong>in</strong>nevon § 260 StPO vorlag 190. Begründet wurde der Antrag mit der Feststellung,die Behandlung der Angeklagten seit 1972 stelle e<strong>in</strong>e systematischeVerletzung von Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutzder Menschenrechte (MRK)und Grundfreiheiten vom 4. 11. 50 dar:Artikel 6:I. Jedermann hat Anspruch darauf, daß se<strong>in</strong>e Sache <strong>in</strong> billigerWeise öffentlichund <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er angemessenen Fristgehört wird, und zwar von e<strong>in</strong>emunabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das überzivilrechtlicheAnsprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit dergegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteilmuß öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und Öffentlichkeitwährend der gesamten Verhandlung oder e<strong>in</strong>es Teiles derselben im Interesseder Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessenvon Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien esverlangen oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche227


Verhandlung die Interessen der Gerechtigkeit bee<strong>in</strong>trächtigen würde, <strong>in</strong> diesemFalle jedoch nur <strong>in</strong> dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichenUmfang.11.Bis zum gesetzlichen Nachweis se<strong>in</strong>er Schuld wird vermutet, daß derwegen e<strong>in</strong>er strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.III.Jeder Angeklagte hat m<strong>in</strong>destens (englischer Text) - <strong>in</strong>sbesondere (französischerText) - die folgenden Rechte:a) unverzüglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für ihn verständlichen Sprache <strong>in</strong> allen E<strong>in</strong>zelheitenüber die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen <strong>in</strong>Kenntnis gesetzt zu werden;b) über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung se<strong>in</strong>er <strong>Verteidigung</strong>zu verfügen;c) sich selbst zu verteidigen oder den Beistand e<strong>in</strong>es Verteidigers se<strong>in</strong>er Wahlzu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung des Verteidigersverfügt, unentgeltlich den Beistand e<strong>in</strong>es Pflichtverteidigers zu erhalten, wenndies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;d) Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und dieLadung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bed<strong>in</strong>gungenwie die der Belastungszeugen zu erwirken;e) die unentgeltliche Beiziehung e<strong>in</strong>es Dolmetschers zu verlangen, wenn er(der Angeklagte) die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht odersich nicht dar<strong>in</strong> ausdrücken kann.Kernstück des Antrags, dessen Verlesung sich über drei Verhandlungstageerstreckte, war die angeblich völlige Beseitigung des Pr<strong>in</strong>zipsder Unschuldsvermutung ("unter E<strong>in</strong>satz aller verfügbaren propagandistischenMittel systematisch seitens der Staatsschutzbehörden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emüber mehr als drei Jahre geführten Feldzug der psychologischen Kriegsführung")und des <strong>in</strong> Artikel6 der Europäischen Konvention festgelegtenGrundsatzes der "equality of arms" (Waffengleichheit) zwischen Strafverfolgungsbehördenund <strong>Verteidigung</strong>.Daß das Pr<strong>in</strong>zip der Unschuldsvermutung von den Massenmedienseit 1972 systematisch <strong>in</strong> Form öffentlicher Vorverurteilungen verletztworden war, ließ sich angesichts der gegen die Beschuldigten geführtenHetzkampagne an hand zahlloser Beispiele mühelos beweisen. Zur Ermordungder Gefangenen rief die überall <strong>in</strong> der BRD frei käuflichefaschistische "Deutsche National Zeitung" mit ihrer <strong>in</strong> der ersten Prozeßwocheerschienenen Ausgabe auf, deren fette Schlagzeile lautete: "Anden Galgen mit den roten Mordbanditen, ke<strong>in</strong>e Gnade für Baader­Me<strong>in</strong>hof". Der "Bayernkurier" äußerte sich etwas subtiler; <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emKommentar vom 21.5.75 ist von den mit nichts zu vergleichenden"Taten, die zur Aburteilung stehen", die Rede. Der Kommentator gibtzwar zu, daß niemand besser als das deutsche Volk wisse, wie ausideologischen Motiven Millionen Menschen ermordet wurden, fährtdann aber fort: "Doch damals ahnten die Massen der Ehrlichen undAnständigen nicht, was <strong>in</strong> ihrem Namen geschah. In Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>dagegen werden Menschen zur Rechenschaft gezogen, deren Trei-228ben den Massen nicht unbekannt ist, sie im Gegenteil <strong>in</strong> Furcht undSchrecken versetzt, sie mit dem Phänomen e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>nlosen Todes undH<strong>in</strong>gemordetwerdens nahezu täglich und im wachsenden Maße <strong>in</strong> denletzten Jahren konfrontiert".In den USA ist die Rechtsfigur der "pretrial publicity" entwickelt worden,derzufolge e<strong>in</strong> Angeklagter das Recht hat, die Behandlung se<strong>in</strong>er Strafsachevor e<strong>in</strong>em anderen als dem <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zuständigen Gericht zu fordern,wenn e<strong>in</strong> "fair trial" vor der zuständigen Instanz nicht mehr zu erwarten ist. Diesgilt vor allem dann, wenn die öffentliche Me<strong>in</strong>ung bereits vor Beg<strong>in</strong>n derVerhandlung zum Nachteil des Beschuldigten bee<strong>in</strong> flußt worden ist. E<strong>in</strong> konsequentesFesthalten an dieser Rechtsfigur hätte das Abhalten e<strong>in</strong>es Prozessesgegen "Baader u. a. " <strong>in</strong> der gesamten BRD unmöglich gemacht, berücksichtigtman alle<strong>in</strong> die Berichterstattung <strong>in</strong> den westdeutschen Medien seit Mitte 1972.Selbstverständlich kann nicht außer Acht gelassen werden, daß dieser Rechtsfigurvor allem <strong>in</strong>nerhalb des amerikanischen Systems der Geschworenen­Rechtsprechung besondere Bedeutung zukommt, während im Strafverfahrengegen "Baader u. a." ausschließlich Berufsrichter mit der Urteilsf<strong>in</strong>dung befaßtwaren. Dennoch muß davon ausgegangen werden, daß - selbst wennman Berufsrichter für unbee<strong>in</strong>flußbar hält - e<strong>in</strong>e solche "pretrial publicity"nicht ohne Auswirkungen und E<strong>in</strong>fluß auf andere Prozeßteilnehmer, etwaZeugen und Sachverständige, bleiben wird.Juristisch gesehen war die Behauptung, Bundesbehörden unterstütztendie auf Vorverurteilung und Schaffung e<strong>in</strong>es Fe<strong>in</strong>dbildes abzielendeKampagne <strong>in</strong> den Massenmedien nicht nur, sondern steuerten sie sogardirekt und <strong>in</strong>direkt, wesentlich brisanter. E<strong>in</strong>e Unterstützung ließ sichmühelos mit etwa 30 Äußerungen von Spitzen-Politikern, allesamt Variationenzum Thema "Mörder müssen Mörder genannt werden"191,belegen. Noch am 25.4.75 hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt dieAngeklagten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Regierungserklärung nach der Aktion des "KommandoHolger Me<strong>in</strong>s" <strong>in</strong> Stockholm als ,:Verbrecher", "Gewaltverbrecher","skrupellose Gewalttäter" und "Banditen" bezeichnet und gesagt:"E<strong>in</strong>e Freilassung dieser Verbrecher, die zum Teil ihren Prozeßnoch erwarten, hätte e<strong>in</strong>e unvorstellbare Zerreißprobe für unser allerSicherheit und für den Staat beqeutet". Implizithatte er damit zu erkennengegeben, daß e<strong>in</strong> möglicher Freispruch, der natürlich ebenfallsFreilassung bedeuten müßte, auf ke<strong>in</strong>en Fall zu akzeptieren sei.Die planmäßige Steuerung e<strong>in</strong>er auf Vorverurteilung zielenden Offentlichkeitskampagnewar jedoch weniger e<strong>in</strong>fach nachzuweisen. Alswesentlicher Anhaltspunkt für e<strong>in</strong>e solche Steuerung konnte das vonGBA Buback verfolgte Konzept der "offensiven Information" der Mediengelten: "Es kommt darauf an, wie, wann und welche Informationenweitergeleitet werden" 192.Zu diesem Thema legte die <strong>Verteidigung</strong> Pressemeldungen 'vor, <strong>in</strong>denen die RAF seit 1972 immer wieder mit bestimmten Aktionen <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung gebracht worden warl93. Anfang Juni 1972 wurde <strong>in</strong> Stutt-229


gart e<strong>in</strong>e Art Notstand ausgerufen, weil "die RAF" am 28.5. angekündigthabe, sie wolle am 1.6. mehrere Bomben im Stadtgebiet hochgehenlassen; diese "Aktion" wurde weiterh<strong>in</strong> der RAF zugeschrieben, obwohldie Verantwortlichen beim BKAwußten, daß das unmittelbar nach derAnkündigung e<strong>in</strong>gegangene Dementi der RAF echt warl94.Ähnlich lautendeDrohungen tauchten <strong>in</strong> regelmäßigen Abständen auch nach derVerhaftung der RAF-Kader <strong>in</strong> der Öffentlichkeit auf und wurden <strong>in</strong> derRegel wider besseres Wissen der RAF angehängt: Vergiftung des Tr<strong>in</strong>kwasserse<strong>in</strong>er Stadt, Raketenangriff auf e<strong>in</strong> Stadion während der Fußballweltmeisterschaft,Angriffmit russischen SAM-Raketen auf Stuttgart,Giftgasangriff auf den Bundestag usw. All diese Meldungen erschienen,garniert mit den fast obligatorischen Vorwürfen, die Aktionen würdenvom Gefängnis aus geplant und organisiert, auf den Titelseiten derZeitungen, und zwar nicht nur der Boulevardpresse. Dementis der RAF,deren Authentizität feststand, wurden entweder unterschlagen oder irgendwannirgendwo im Innern der Zeitungen abgedruckt.Die <strong>Verteidigung</strong> betrachtete diese Falschmeldungen als e<strong>in</strong>deutigeBestandteile der psychologischen Kriegsführung gegen die Angeklagten.Angesichts der Behandlung dieser Meldungen durch GBA und BKApaßten sie auch durchaus <strong>in</strong> Bubacks Konzept der offensiven Information.Das Konzept ließ sich auch <strong>in</strong> der "Maihofer-Dokumentation"(Kapitel V, 2.) erkennen. Der damalige Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Maihofersagte zu dieser Dokumentation <strong>in</strong> der Fernsehsendung "Baader-Me<strong>in</strong>hof- wie groß ist die Gefahr"195:"Jede Zeile des publizierten Materials wirdzwischen Generalbundesanwalt und dem Bundeskrim<strong>in</strong>alamt abgestimmtse<strong>in</strong>, so daß wir ke<strong>in</strong>en Schaden, sondern nur Nutzen stiften mite<strong>in</strong>er solchen Aufklärung der Öffentlichkeit".Im Namen der Beschuldigten war von der <strong>Verteidigung</strong> gegen die fürdiese Dokumentation Verantwortlichen, <strong>in</strong>sbesondere gegen Maihofer,Strafanzeige wegen e<strong>in</strong>es Vergehens gegen den § 353 d Abs. 3 StGBerstattet worden. Die Veröffentlichung von Akten und Unterlagen e<strong>in</strong>erStrafsache vor der Gerichtsverhandlung kann nach diesem Paragrafenmit e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe von maximal e<strong>in</strong>em Jahr oder mit Geldstrafegeahndet werden196. Die Staatsanwaltschaft Bonn stellte das Ermittlungsverfahrenalsbald mit der Begründung e<strong>in</strong>, die Veröffentlichung derUnterlagen und der dar<strong>in</strong> liegende objektive Verstoß gegen strafrechtlicheBestimmungen sei wegen des übergesetzlichen Notstands, <strong>in</strong> demdie staatlichen Behörden sich befunden hätten, als gerechtfertigt anzusehen.Von der <strong>Verteidigung</strong> wurde diese Notstandsargumentation alsoffener Ausdruck der Manipulation des Ausnahmezustandes bezeichnet.Die <strong>Verteidigung</strong> zitierte Adolf Arndt, e<strong>in</strong>en der "Väter" des Grundgesetzesder BRD: "Der angeblich überverfassungsgesetzliche Staatsnotstandals Sche<strong>in</strong> der Rechtfertigung ist nur e<strong>in</strong> Tarnwort für Verfassungsbruch,,197.230Zur zweiten Thematik des E<strong>in</strong>stellungsantrags, der Beseitigung desPr<strong>in</strong>zips der Waffengleichheit, trug die <strong>Verteidigung</strong> zwei Fakten vor:Erstens die mit Blickauf diesen Prozeß erlassene "Lex RAF" vom 1.1.75e<strong>in</strong>schließlich ihrer Vorgeschichte (Kapitel V) und den sich daraus ergebendenKonsequenzen für die <strong>Verteidigung</strong>, zweitens die Behandlungder verschiedenen für die Angeklagten auftretenden Rechtsanwältedurch staatliche Behörden, die zahlreichen Schikanen bei Gefangenenbesuchenwie etwa Rektaluntersuchungen, die zum Teiloffene polizeilicheBespitzelung, die regelmäßige Beschlagnahmung von <strong>Verteidigung</strong>smaterial,die Krim<strong>in</strong>alisierung der Anwälte (M<strong>in</strong>ister Maihofer:"Handlanger und Werkzeuge von Terroristen"198) und schließlich dieihnen angehängten Ausschluß- und Ehrengerichtsverfahrenl99.Nach Ansicht der <strong>Verteidigung</strong> stand nicht nur das UrteilLebenslänglichbereits fest, sondern es waren auch schon alle Vorkehrungen für diekonkrete Ausführung bzw. Umsetzung dieses Strafmaßes getroffen: InBruchsal war vor kurzem e<strong>in</strong>e vom übrigen Gefängniskomplex abgeschirmteAbteilung gebaut worden, die acht besonders ausgestattete,akustisch isolierte Zellen umfaßte. Gefangene, die beim Umbau helfenmußten, hatten Bauzeichnungen der Zellen und der E<strong>in</strong>richtung an die<strong>Verteidigung</strong> weitergeleitet, mit der Mitteilung, daß die Bauunterlagendie Aufschrift "Baader-Me<strong>in</strong>hof" tr~gen. Bereits Ende Juli 1975 hattendie Verteidiger der Presse H<strong>in</strong>weise darauf zukommen lassen. Auf Nachfragenh<strong>in</strong> bestätigte das Justizm<strong>in</strong>isterium von Baden-Württemberg denBau e<strong>in</strong>es mit "schallgedämpften " Zellen ausgestatteten Gefängnistrakts<strong>in</strong> Bruchsal für zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte "aufrührerische"Gefangene, die politische Agitation verfolgten. Es sei nicht auszuschließen,daß "Baader-Me<strong>in</strong>hof-Häftl<strong>in</strong>ge" nach ihrer Verurteilungnach Bruchsal verlegt würden2oo. Da zu dieser Zeit <strong>in</strong> Baden-Württembergke<strong>in</strong>e zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenene<strong>in</strong>saßen, die politischer Agitation bezichtigt wurden, bestätigte die alsDementi gedachte Erklärung des M<strong>in</strong>isteriums die von der <strong>Verteidigung</strong>aufgestellten Behauptungen, sowohl das Urteil "lebenslänglich." als auchHaftort und Isolationszellen seien faktisch schon beschlossen.Die Antwort der BAW auf den E<strong>in</strong>stellungsantrag war kurz: Selbstwenn sich Verstöße gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonventionnachweisen ließen, so könnte dies strafverfahrensmäßignicht zur E<strong>in</strong>stellung des Prozesses führen, da die Nichterfüllung des "fairtrial"-Grundsatzes ke<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis im S<strong>in</strong>ne von § 260 Abs 3StPO darstelle201.E<strong>in</strong>er Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1974202zufolge stellten zu langwierige Vorbereitungen e<strong>in</strong>es Strafverfahrensnoch ke<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis dar. Inhaltlich g<strong>in</strong>g die BAWauf die vonder <strong>Verteidigung</strong> präsentierten Rechtsverletzungen nicht weiter e<strong>in</strong>. Ausden Politikeraussagen ließe sich nur dann e<strong>in</strong>e Vorverurteilung derAngeklagten ableiten, "wenn man, wie es seitens der <strong>Verteidigung</strong> ge-231


schieht, bewußt außer Acht läßt, daß diese Äußerungen jeweils <strong>in</strong>direktem Zusammenhang mit schwersten Gewalttaten gemacht wordens<strong>in</strong>d,,203.Es sei grotesk, so die BAW, von mangelnder Waffengleichheitzu sprechen, "wenn der Staat aUeihm zur Verfügung stehenden Mittelzum Schutz der Bevölkerung e<strong>in</strong>setzt,,204,Entsprechende Abänderungendes Strafprozeßrechts seien notwendig gewesen, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "wehrhaftenDemokratie" auch seitens der Justiz effektiv gegen den Terrorismusauftreten zu können. Die Behauptung, der <strong>in</strong> Bruchsal kürzlichumgebaute Gefängnistrakt sei für die Angeklagten bestimmt, wurdeohne Umschweife als "blanke Sp<strong>in</strong>nerei" bezeichnet 205.Da sich die<strong>Verteidigung</strong> darüber im Klaren se<strong>in</strong> müsse, daß dieser Antrag ausformellen Gründen sowie <strong>in</strong> Ermangelung jeglicher fundierten Begründungder vorgetragenen Behauptungen nicht zu dem angestrebten Ergebnisführen könne, sei der gesamte Antrag nur als Versuch der Prozeßverschleppungzu bezeichnen206,In der zehn Zeilen kurzen Begründung des ablehnenden Gerichtsbeschlusseswurde <strong>in</strong>haltlich überhaupt nicht auf den E<strong>in</strong>stellungsantrage<strong>in</strong>gegangen. Das Gericht hatte sich e<strong>in</strong>fach der re<strong>in</strong> formellen Beurteilungder BAWangeschlossen, wonach eventuelle Verletzungen des "fairtrial"-Grundsatzes ke<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis darstellten207.Nach westdeutschem Strafprozeßrecht muß e<strong>in</strong> Strafverfahren pr<strong>in</strong>zipielldann per Gerichtsbeschluß e<strong>in</strong>gestellt werden, wenn e<strong>in</strong> nicht zeitweiligesVerfahrensh<strong>in</strong>dernis im S<strong>in</strong>ne von § 260 StPO als gegeben betrachtet wird208In der Strafprozeßordnung s<strong>in</strong>d mögliche Verfahrensh<strong>in</strong>dernisse nicht enumerativaufgeführt, ihre Bandbreite reicht von mangelnden Voraussetzungen fürdie Strafverfolgung und fehlender richterlicher Zuständigkeit bis h<strong>in</strong> zur Verhandlungsunfähigkeitdes Angeklagten, Wenn auch mit der Anerkennunge<strong>in</strong>es Verfahrensh<strong>in</strong>dernisses wegen Verstoßes gegen Artikel 6 der EuropäischenMenschenrechtskonvention nach westdeutschem Strafprozeßrecht juristischesNeuland betreten worden wäre, so wäre e<strong>in</strong>e solche' Entscheidungaufgrund der richterlichen Interpretationsfreiheit gleichwohl möglich gewesen.Der Umstand, daß sowohl die BAWals auch das Gericht sich <strong>in</strong> diesem Fallaufe<strong>in</strong>e neuere Entscheidung des BGH beriefen, mit der die Anerkennung e<strong>in</strong>esVerfah rensh<strong>in</strong>dernisses aus e<strong>in</strong>er Verletzung e<strong>in</strong>es bestimmten Abschnitts vonArtikel 6 MRK verne<strong>in</strong>t worden war, konnte von der <strong>Verteidigung</strong> nur alsUnwille, <strong>in</strong>haltlich auf die Begründung des Antrages e<strong>in</strong>zugehen, ausgelegtwerden.3.3. Die Unparteilichkeit des RichtersDas Gebot der richterlichen Unvore<strong>in</strong>genommenheit, Unparteilichkeitund Objektivität reicht über die Forderung h<strong>in</strong>aus, der Richter habewährend des Verfahrens die Unschuldsvermutung gegenüber dem Angeklagtenzu respektieren. Entscheidend sollte se<strong>in</strong>, ob e<strong>in</strong> Prozeßteilnehmernach e<strong>in</strong>gehender Betrachtung aller Gegebenheiten sich veran-232laßt sieht, an der Unvore<strong>in</strong>genommenheit und objektiven Haltung desRichters Zweifel anzumelden209. Nach niederländischem Strafprozeßrechtkann e<strong>in</strong> Richter sich selbst von jeder weiteren Mitwirkung<strong>in</strong> e<strong>in</strong>emStrafverfahren suspendieren, "wenn h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er Person bestimmteTatbestände und Gegebenheiten vorliegen, die dem Ansehen derrichterlichen Unparteilichkeit im allgeme<strong>in</strong>en Schaden zufügen könnten,,21O.Dieseweitgefaßte Formulierung ermöglicht auch dann e<strong>in</strong>efreiwilligeSuspendierung, wenn es darum geht, den Ansche<strong>in</strong> von Parteilichkeitzu vermeiden211. Die Ablehnung e<strong>in</strong>es Richters durch denAngeklagten oder die Staatsanwaltschaft erfordert jedoch das Vorhandense<strong>in</strong>bzw. die Möglichkeitdes E<strong>in</strong>trittse<strong>in</strong>es "schweren Schadens"212.Angesichts der Tatsache, daß Ablehnungen wegen Befangenheit <strong>in</strong>der niederländischen Strafrechtspraxis kaum e<strong>in</strong>e Rolle spielen, läßt sichfragen, ob dies nicht als Ausdruck der Vernachlässigung des subjektivenElements (Standpunkt der die Ablehnung beantragenden Partei) gesehenwerden kann, was me<strong>in</strong>es Erachtens wiederum als Argument für dieThese, der niederländische Strafprozeß sei überwiegend paternalistischorganisiert, gelten kann213.Innerhalb der westdeutschen Strafrechtspraxis kommt der Rechts<strong>in</strong>stitutionder Ablehnung wesentlich größere Bedeutung zu214.Ableh,nung e<strong>in</strong>es Richters wegen "Besorgnis der Befangenheit" istdann vorgesehen,"wenn e<strong>in</strong> Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen dieUnparteilichkeit e<strong>in</strong>es Richters zu rechtfertigen ,,215.Der subjektiven Sichtdes Angeklagten wird dabei große Bedeutung beigemessen; es ist nichtrelevant, ob der betreffende Richter auch tatsächlich befangen is~16.Inder umfangreichen Rechtsprechung f<strong>in</strong>den sich z. B. Ablehnungen vonRichtern, die gegenüber der Presse etwa geäußert hatten, daß dieAnklage bereits erwiesene Tatsachen be<strong>in</strong>halte217;die mit e<strong>in</strong>er unmißverständlichenrichterlichen Bemerkung kundgetan hatten, der Angeklagtesei als schuldig anzusehen218; die vorab kommentiert hatten, dieErmittlungsunterlagen würden deutlich machen, daß es sich bei demAngeklagten um e<strong>in</strong>en Gewohnheitsverbrecher handele219. Auch entsprechendeGebärden oder e<strong>in</strong> bestimmter Gesichtsausdruck e<strong>in</strong>esRichters können als Ausdruck mangelnder Objektivität bewertet werdenund e<strong>in</strong>e Ablehnung rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn sie, etwaals ger<strong>in</strong>gschätzige Gebärden, während der Rede e<strong>in</strong>es Verteidigersvorgenommen werden22o.In se<strong>in</strong>em Handbuch des Strafverteidigers geht Dahs sogar so weit, zuempfehlen, Ablehnungsanträge auch dann zu stellen, wenn die Zurückweisunge<strong>in</strong>es solchen Antrags aufgrund herrschender Rechtsauffassungenzwar von vornhere<strong>in</strong> feststeht, sie ihrer Funktion nach aber dieMöglichkeit bieten, der richterlichen Gewalt gewisse strukturelle Mängeldes Strafprozesses zu Bewußtse<strong>in</strong> zu br<strong>in</strong>gen221.Bei ihm f<strong>in</strong>det sich auchder H<strong>in</strong>weis, daß e<strong>in</strong> Verteidiger bei der Formulierung von Ablehnungs-233


anträgen besonders häufig Gefahr läuft, sich e<strong>in</strong> diszipl<strong>in</strong>arrechtlichesVerfahren e<strong>in</strong>zuhandeln, etwa <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den sich manchmal alsunumgänglich erweisenden persönlichen Angriffen gegen e<strong>in</strong>en Richte~22.E<strong>in</strong> Ablehnungsantrag ist dann als unzulässig zurückzuweisen, wennder Antrag zu spät e<strong>in</strong>gereicht wurde223,wenn ke<strong>in</strong>e Begründung gegebenwird224oder wenn "durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahrenverschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werdensollen,,225.Das Gericht unter Mitwirkungdes abgelehnten Richters hat zuentscheiden, ob der Antrag zulässig oder unzulässig isf26. Wird er alszulässig beurteilt, so entscheidet das Kollegialgerichtohne den abgelehntenRichter unter H<strong>in</strong>zuziehung e<strong>in</strong>es Vertreters über die Begründetheitdes Ablehnungsantrags227, bei E<strong>in</strong>zelrichtern an Amtsgerichten entscheidete<strong>in</strong> anderer Richter desselben Gerichts. Diese e<strong>in</strong>leitenden Erklärungensollen verständlich machen, warum das Gericht <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> beimStreit um das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen mit zahlreichenAblehnungsanträgen der Angeklagten und der <strong>Verteidigung</strong> konfrontiertwurde, die sich hauptsächlich gegen den Vorsitzenden Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g richteten.Da die Zurückweisung von Ablehnungsanträgen das spätere Urteil <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em folgenden Revisionsverfahren "erheblich gefährden" kann228,kommt solchen Anträgen erhebliche Bedeutung zu. Ich werde exemplarische<strong>in</strong>ige der 20 Ablehnungsanträge aus den ersten 40 Verhandlungstagenund ihre Behandlung e<strong>in</strong>gehender untersuchen.3.3.1. Holger Me<strong>in</strong>s; Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g als der gesetzliche RichterDer erste Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>i29,von Schily im Namen Enssl<strong>in</strong>s am siebten und achten Verhandlungstag(18./19. Juni 1975) gestellt, stützte sich auf zwei unterschiedlicheTatsachenkomplexe. Der erste Komplex bezog sich auf Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gskonkret dargelegte Mitverantwortlichkeit für den Tod von Holger Me<strong>in</strong>s,der zweite betraf Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Bestellung zum Vorsitzenden e<strong>in</strong>es Strafsenatsdes OLG, die nach dem Ablehnungsantrag speziellfür den bevorstehendenProzeß gegen "Baader u. a. " vorgenommen worden war.Zum ersten Tatsachenkomplex gab die <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>en detailliertenüberblick über die (<strong>in</strong> Kapitel IV,Abschnitt 6.1. verkürzt wiedergegebenen)Ereignisse im Zusammenhang mit dem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s.Anhand vieler Prozeßakten aus den Monaten Oktober und November1974 wurde nachgewiesen, daß der seit dem 2.10.74 für die Haftsituationvon Me<strong>in</strong>s verantwortliche Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g nicht bereit gewesen war, ausse<strong>in</strong>er Kenntnis von der unzureichenden mediz<strong>in</strong>ischen VersorgungMe<strong>in</strong>s, während des Hungerstreiks <strong>in</strong> der Haftanstalt WittlichirgendwelcheKonsequenzen zu ziehen, oder aber daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g nicht die Machthatte, derartige Konsequenzen gegen die Staatsschutzbehörden durch-234zusetzen. Weiter habe er, obwohl von Croissant am 9. 11. 74 über dieakute Lebensgefahr für Me<strong>in</strong>s <strong>in</strong>formiert, nichts unternommen, um dasLeben des Gefangenen zu retten. In se<strong>in</strong>er dienstlichen Erkläruni30versuchte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, diesem Vorwurf u. a. mit der Bemerkung zu begegnen,die mediz<strong>in</strong>ische Versorgung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Haftanstalt müsse dem zuständigenAnstaltsarzt überlassen bleiben und sei nicht an richterliche Kontrollegebunden. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g g<strong>in</strong>g jedoch nicht auf die von der <strong>Verteidigung</strong>angeführte Tatsache e<strong>in</strong>, daß der betreffende Anstaltsarzt selbst schonam 18.10.74 dem Gericht schriftlich mitgeteilt hatte: "E<strong>in</strong>e Verlegungvon Holger Me<strong>in</strong>s auf e<strong>in</strong>e entsprechende Fachstation e<strong>in</strong>es justizeigenenKrankenhauses halte ich aus diesen Gründen (geme<strong>in</strong>t war e<strong>in</strong>emediz<strong>in</strong>isch "qualifiziertere" Zwangsernährung - BS) für notwendig"231.Weiter verteidigte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die entgegen e<strong>in</strong>em richterlichen Beschlußvon den Staatsschutzbehörden h<strong>in</strong>ausgezögerte Verlegung von Me<strong>in</strong>snach <strong>Stammheim</strong>im mit der Behauptung, die Verlegung sei, "so weit ich<strong>in</strong>formiert b<strong>in</strong>", nicht aus mediz<strong>in</strong>ischen überlegungen erfolgt. E<strong>in</strong> vonPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g stammender Brief vom 8. 11. 74 an Croissant zeigte die Unrichtigkeitdieser Behauptuni32. Zu den Ereignissen vom 9.11. 74 erklärtePr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, er habe an jenem Tag zum erstenmal von Croissant gehört, daßMe<strong>in</strong>s' gesundheitliche Verfassung Anlaß zu höchster Besorgnis biete.Croissants Mitteilung sei für ihn völlig überraschend gekommen; "nachden teilweise grotesken Behauptungen, die Dr. Croissant zuvor im Zusammenhangmit den Hungerstreiks <strong>in</strong> Schreiben an die Gerichte undÖffentlichkeit aufgestellt hatte", habe er sich diese Nachricht mit entspre- _chender Skepsis angehört. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g weiter: ,,(Darüber h<strong>in</strong>aus) sah ich dieVerantwortlichkeit für diese mich völlig überraschende, von mir immernoch skeptisch beurteilte Entwicklung weitgehend bei denen, die denHungerstreik <strong>in</strong>szenierten". Dennoch habe er mit der Haftanstalt Wittlichtelefoniert; von dort sei ihm mitgeteilt worden, daß ke<strong>in</strong> akuter Anlaß zurBesorgnis bestehe. übrigens bestritt Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, daß Croissant bei se<strong>in</strong>emTelefonanruf um unverzüglichen mediz<strong>in</strong>ischen Beistand gebeten habe,g<strong>in</strong>g aber ansonsten nicht weiter auf Croissants detaillierte, das Gegenteilbekundende Wiedergabe dieses Telefongesprächs e<strong>in</strong>233.Ebenso bestrittPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, daß zu e<strong>in</strong>em früheren Zeitpunkt bereits Gründe dafürvorgelegen hätten, wegen der bei Me<strong>in</strong>s praktizierten künstlichen Ernährungetwas zu unternehmen, obwohl Rechtsanwalt von Plottnitz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emSchriftsatz vom 15. 10.74 an das Gericht ausdrücklich (aber vergeblich)deshalb vorstellig geworden wa~34 und auch der zuständige Anstaltsarzt<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schreiben vom 18.10.74 dem Gericht mitgeteilt hatte, "dieverabreichte Nahrungsmenge reiche zur Lebenserhaltung ,geradeaus ...235.Nach Me<strong>in</strong>ung der BAW hatte der Ablehnungsantrag, "mit dem diephysische und psychische Vernichtung von Richtern propagiert wird",ganz offensichtlich die Aufgabe, "durch böswillige Diffamierung die ab-235


gelehnten Richter fertig zu machen"236. Inhaltlich g<strong>in</strong>g die BAW nichtweiter auf den Antrag e<strong>in</strong>; Schuld am Tod von Holger Me<strong>in</strong>s hättenjedoch "diejenigen Verteidiger, die noch nicht e<strong>in</strong>mal den Versuch unternommenhaben, die Bandenangehörigen zum Abbruch des Hungerstreikszu veranlassen sondern im Gegenteil zur Diszipl<strong>in</strong>ierung der Gefangenenbeigetragen haben". Schließlich wurde Schily direkt undscharf angegriffen: er habe sich gegenüber den Angeklagten profilierenmüssen und deshalb den Antrag gestellt.In se<strong>in</strong>em Beschluß übernahm das Gericht die Erklärungen der BAWund Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs weitgehend; Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Erklärung zeige, daß er nicht dieger<strong>in</strong>gste Schuld am Tod von Holger Me<strong>in</strong>s habe, woraus folge, daß sichke<strong>in</strong> begründeter Anlaß für e<strong>in</strong>e Ablehnung ergebe237.Der Ablehnungsantrag gegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g erregte <strong>in</strong> der Presse großeAufmerksamkeit. In noch stärkerem Maße traf das auch für den zweitenTatsachenkomplex der <strong>Verteidigung</strong> zu; se<strong>in</strong>e Behandlung sollte <strong>in</strong> derPresse "noch lange großes Aufsehen erregen ,,238.Es g<strong>in</strong>g um die Behauptung,Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sei von den Staatsschutzbehörden speziell als Vorsitzenderdes zuständigen Strafsenats ausgewählt worden. Tatsache war,daß 1973 noch e<strong>in</strong> anderer Richter (Dr.Josef Hänle) Vorsitzender des 2.Strafsenats des OLG Stuttgart war. Tatsache war auch, daß sich derVorsitzende des 1. Strafsenats (e<strong>in</strong>em gleichwertigen Strafsenat desOLG Stuttgart) 1973 erfolgreich um die Stelle e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>isterialdirigentenim Justizm<strong>in</strong>isterium Baden-Württemberg und der damalige Vorsitzendedes 2. Senats ebenfalls erfolgreich um die freigewordene Stelle desVorsitzenden des 1. Senats beworben hatten. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs anschließendeBewerbung um die nunmehr offene Stelle des Vorsitzenden des 2.Senats wurde am 4.2.74 positiv beschieden.Diese unbestreitbaren Fakten verknüpfte die <strong>Verteidigung</strong> nun mitdem Prozeß. Nachdem Bundesregierung und GBA <strong>in</strong> Rücksprache mitder baden-württembergischen Landesregierung 1973 zu der Entscheidunggekommen seien, den Prozeß gegen "Baader u. a. " <strong>in</strong> Stuttgart zuführen, habe man sich auf die Suche nach e<strong>in</strong>em passenden Ersatzmannfür den Vorsitzenden Hänle begeben, der als für diesen Prozeß nichtgeeignet beurteilt worden sei. In Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, Vorsitzender e<strong>in</strong>er Strafkammeram LG Stuttgart, habe man geglaubt, den geeigneten Mann gefundenzu haben. "Die Welt" schrieb am 7.5.75 über Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: "DieseErfahrungen (<strong>in</strong> Mammutprozessen - BS), se<strong>in</strong> Durchblick, se<strong>in</strong> Durchsetzungswillenund der erkennbare Ehrgeiz waren es, die auf ihn deuteten,als man 1973 <strong>in</strong> Stuttgart nach dem geeigneten Mann für denBaader-Me<strong>in</strong>hof-Prozeß suchte". Das sich daran anschließende Bäumchen-wechsle-dich-Spielsei durch Absprachen zwischen GBA, Bundes-,Landes- und Justizbehörden sowie den Betroffenen zustande gekommen.Das allerd<strong>in</strong>gs konnte die <strong>Verteidigung</strong> nicht beweisen, so daß siesich damit begnügen mußte, zu beantragen, daß die e<strong>in</strong>schließlich236Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g elf Beteiligten bzw. Betroffenen zur Abgabe entsprechenderErklärungen veranlaßt würden.Hätte sich die Ernennung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs zum Vorsitzenden tatsächlich soabgespielt, wie die <strong>Verteidigung</strong> dies behauptete, so wäre Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g <strong>in</strong> derTat als manipulierter und damit als "ungesetzlicher Richter" zu betrachtengewesen239,was für die Angeklagten wiederum e<strong>in</strong> Grund gewesenwäre, ihn als befangen anzusehen.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g erklärte dazu, er habe "re<strong>in</strong> zufällig" von der Ausschreibungder Stelle gehört und anfänglich nicht die Absicht gehabt, sich zu bewerben,da e<strong>in</strong> anderer Bewerber wesentlich bessere Chancen gehabt hätte;ihm sei aber von Kollegen geraten worden, sich doch ("angesichts dergroßen Zahl der sonstigen Bewerber") zu bewerben; se<strong>in</strong>es Wissensnach sei damals noch nicht bekannt gewesen, daß der Prozeß gegen"Baader u. a." <strong>in</strong> Stuttgart stattf<strong>in</strong>den solle; außerdem habe er mitniemandem der zehn von der <strong>Verteidigung</strong> namentlich genannten Personendarüber gesprochen240. Nachdem die BAW noch e<strong>in</strong>mal ausdrücklicherklärt hatte, der von der <strong>Verteidigung</strong> unterstellte Zusammenhangzwischen den e<strong>in</strong>zelnen Fakten sei völlig "aus der Luft gegriffen",wurde auch dieser Ablehnungsgrund vom Gericht mit der Begründung,es sehe ke<strong>in</strong>en Anlaß, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Erklärung zu mißtrauen, abgewiesen.Angenommen, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Erklärung entspreche den tatsächlichen Gegebenheiten,so bleibt um so nachdrücklicher zu fragen, warum demAntrag der <strong>Verteidigung</strong>, die zehn anderen genannten Personen zurAbgabe e<strong>in</strong>er schriftlichen Erklärung aufzufordern, nicht stattgegebenwurde. Gängiger Rechtsprechung zufolge hatte das Gericht zwar durch-~aus die Möglichkeit, den Antrag abzulehnen241, dennoch hätte manerwarten können, daß angesichts der Schwere der erhobenen Beschuldigungalles nur Mögliche versucht würde, die bestehenden Zweifel zubeseitigen. Der Umstand, daß das Gericht nicht verpflichtet war, weitereNachforschungen vorzunehmen, ergab sich lediglichaus dem Unvermögender <strong>Verteidigung</strong>, die behaupteten Zusammenhänge mit Beweismaterialuntermauern zu können. Das Zitat aus der "Welt" reichte dafürnicht aus. E<strong>in</strong>e Äußerung des damaligen M<strong>in</strong>isterpräsidenten Hans Filb<strong>in</strong>gerkann jedoch als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der von der<strong>Verteidigung</strong> aufgestellten Behauptung gewertet werden; kurz nachPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Ernennung zum Vorsitzenden hatte Filb<strong>in</strong>ger im Parlamentgesagt: "Selbst den Verzicht auf e<strong>in</strong> Beförderungsamt hat es schongegeben, als absehbar war, daß mit diesem Amt die Führung e<strong>in</strong>esspannungsbeladenen politischen Prozesses verbunden se<strong>in</strong> würde"242.237


3.3.2. Das Gericht und die MedienDer elfte Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit(5.8.75), der sich gegen alle fünf Richter richtete, betraf die Beziehungenzwischen dem Gericht und den Medien243. Viele Äußerungen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gswährend der Verhandlung ließen erkennen, daß er und se<strong>in</strong>e Richterkollegensich bei der Entscheidungsbildung <strong>in</strong> erheblichem Ausmaß vonden Medien bee<strong>in</strong>flussen ließen. So habe Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g vor Gericht und auch<strong>in</strong> Entscheidungsbegründungen wiederholt überlegungen darüber angestellt,ob bestimmte Verfahrensvorgänge <strong>in</strong> der Presse auf Unverständnisgestoßen seien, ob <strong>in</strong> der Öffentlichkeit e<strong>in</strong> bestimmter E<strong>in</strong>druckerweckt worden sei, ob e<strong>in</strong>e bestimmte Wiedergabe des Prozeßgeschehens<strong>in</strong> der Presse richtig oder falsch gelegen habe. Anhand derGerichtsprotokolle konnte die <strong>Verteidigung</strong> sechs Beispiele dafür zitieren244.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g habe sich jedoch nicht nur im Gerichtssaal mit solchenFragen beschäftigt. Er und se<strong>in</strong>e Kollegen hätten auch direkt mit Schreibenund Telefonaten auf Presseveröffentlichungen sowie Radio- undFernsehberichte über den Prozeß reagiert. Es habe sich ausschließlichum Veröffentlichungen und Sendungen gehandelt, <strong>in</strong> denen Kritikander E<strong>in</strong>schränkung der Rechte der Angeklagten geäußert wurde. Dagegenstünde das absolute Schweigen der betreffenden Richter zu all denVeröffentlichungen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e Schuld der Angeklagten als feststehendeTatsache präsentiert bzw. vorausgesetzt wurde. Da die Richtersich e<strong>in</strong>erseits von Presse, Funk und Fernsehen bei ihrer Urteilsbildungbee<strong>in</strong>flussen ließen und andererseits <strong>in</strong> umgekehrter Richtung versuchten,E<strong>in</strong>fluß auf die Prozeßberichterstattung zu nehmen, seien entsprechendeZweifel an ihrer Unvore<strong>in</strong>genommenheit durchaus gerechtfertigt.Bereits <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em früheren Ablehnungsantrag gegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g (30.7.75)war als e<strong>in</strong>er der zahlreichen Ablehnungsgründe die Teilnahme Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gsan e<strong>in</strong>er Fernsehsendung zum bevorstehenden Prozeß gegen "Baaderu. a. " genannt worden 245. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g erklärte <strong>in</strong> dieser Sendung, daß deram nächsten Tag beg<strong>in</strong>nende Prozeß ke<strong>in</strong> politisches Verfahren sei,sondern vielmehr e<strong>in</strong> ganz "normaler Straffall". Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g habe damitse<strong>in</strong>e formelle richterliche Unabhängigkeit e<strong>in</strong>deutig aufgegeben undsich <strong>in</strong> die Reihen derjenigen e<strong>in</strong>geordnet, die <strong>in</strong> jahrelangen Hetzkampagnen- und die Staatsschutzbehörden seien hier <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zunennen - versucht hätten, die Vorverurteilung der Angeklagten zu verfestigenund die unrechtmäßigen, auf Vernichtung der Gefangenen zielendenMaßnahmen zu rechtfertigen.In dem hier zur Diskussion stehenden Ablehnungsantrag vom 5.8.gegen alle Mitgliederdes 2. Strafsenats wurde als Beispiel für Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gsimbesten Fallgleichgültige Haltung zur Hetze gegen die Angeklagten ange-238führt, daß <strong>in</strong> jener Fernsehsendung über die Angeklagten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emKommentar gesagt worden war: "Sie haben gemordet und geraubt". DieRichter, die über den Ablehnungsantrag zu entscheiden hatten, akzeptiertenPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Erklärung, dieser Satz sei ihm nicht bekannt. Sie me<strong>in</strong>tenferner, es sei nicht Aufgabe e<strong>in</strong>es Richters, gegen Vorverurteilungen<strong>in</strong> den Medien anzugehen, da Angeklagte und Verteidiger dies selbst <strong>in</strong>der Hand hätten246. Von e<strong>in</strong>er solchen richterlichen Aufgabe war aber <strong>in</strong>dem Ablehnungsantrag nicht die Rede; es g<strong>in</strong>g lediglich um die schlichteFeststellung, <strong>in</strong> welchen Fällen und weshalb die Richter an die Medienherantraten und <strong>in</strong> welchen Fällen und weshalb nicht. So hatte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gz. B. die Redaktion e<strong>in</strong>es Senders noch während der laufenden Sendungüber e<strong>in</strong>en bestimmten Verhandlungstag angerufen, um mitzuteilen,daß er e<strong>in</strong>e Untersuchung der Angeklagten durch externe Ärzte nichtablehne. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g erklärte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stellungnahme zu dem Vorgang, erhabe sich zu dem Telefonat veranlaßt gesehen, weil <strong>in</strong> der Sendunggesagt worden sei, daß man es sich <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> mit der Beurteilungder Frage nach der Verhandlungsfähigkeit offensichtlich zu e<strong>in</strong>fach mache247.Diese "re<strong>in</strong> tatsächliche Unterrichtung" sei gegen se<strong>in</strong>en Willen<strong>in</strong>die Sendung mit aufgenommen worden. In der vor Gericht verlesenenBegründung der Zurückweisung des Antrags wurde Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Erklärungübernommen; auf die schriftliche (und damit der Presse unbekannte)Stellungnahme der Verteidiger zu Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Erklärung g<strong>in</strong>g das Gerichtjedoch nicht e<strong>in</strong>. Dar<strong>in</strong> wurde der Moderator der Sendung zitiert: fürPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Anruf habe es ke<strong>in</strong>en Anlaß gegeben, da die von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gbeanstandete Äußerung gar nicht gefallen sei248; zudem sei unverständlich,wie Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g behaupten könne, se<strong>in</strong>e telefonische Mitteilung seigegen se<strong>in</strong>en Willen <strong>in</strong> der Sendung erwähnt worden, denn wenn Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gdie Redaktion nur re<strong>in</strong> privat hätte <strong>in</strong>formieren wollen (mit welcherAbsicht?), hätte er nicht während der laufenden Sendung anrufen müssen.Die diversen Schreiben des Gerichts an die Redaktionen von Zeitungen,Wochenzeitschriften und e<strong>in</strong>e Fernsehanstalt seien, so die Begründungdes ablehnenden Bescheids, auch nicht geeignet, die Besorgnis derBefangenheit zu rechtfertigen, weil die <strong>Verteidigung</strong> die Briefe nichtvorgelegt habe; e<strong>in</strong>e Besorgnis könne aber e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> dem Inhalte<strong>in</strong>es Schreibens entnommen werden. Nach der Stellung des Ablehnungsantragsdurch die <strong>Verteidigung</strong> beabsichtigten die Angeklagten,e<strong>in</strong>e ergänzende Erklärung abzugeben. Die angeführten spezifischenAblehnungsgründe sollten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en breiteren politischen Rahmen e<strong>in</strong>geordnetw~rden, um e<strong>in</strong>e Analyse des Zusammenhangs zwischen Staats~schutzjustiz, psychologischer Kriegsführung und imperialistischer Medienpolitikzu entwickeln. Wie immer, wenn die Angeklagten versuchten,zu Wort zu kommen, wurden sie von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g fortwährend mit derAufforderung, "nicht von der Sache abzuschweifen", unterbrochen,239


sobald ihre Erläuterungen explizitpolitischen Charakter annahmen. Damitwar es den Angeklagten nicht möglich, zusammenhängende Erklärungenabzugeben. Im hier beschriebenen Fall kam es zu mehr als 40Unterbrechungen; den Angeklagten wurden schließlich noch wegenWiederholens, Abschweifens und Beleidigung (z.B. durch die Formulierung"Vernichtungsstrategie der Bundesanwaltschaft") die Mikrofoneabgestellt. E<strong>in</strong> von den Verteidigern mit diesem Verhalten Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gsbegründeter erneuter Ablehnungsantrag wurde ebenfalls zurückgewiesen;die Begründung: "Die Richter haben darauf zu achten, daß nursachbezogene Erklärungen abgegeben werden. Es ist ihre Pflicht, Wiederholungenund Abschweifungen zu verh<strong>in</strong>dern"z49.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs fortwährende Unterbrechungen, wie sie bei jeder politischen Erklärungder Angeklagten üblich waren, hatten ihre gesetzliche Grundlage <strong>in</strong>der Neufassung des § 257 StPO vom 1.1. 75. Die Herausgeber des Buchs"Texte der RAF" geben dazu folgende Erläuterung: "Erklärungen s<strong>in</strong>d vonAnfang an - nach e<strong>in</strong>em gezieltfür diesen Prozeß im Schnellverfahren erlassenenSondergesetz - verh<strong>in</strong>dert worden"250 Geme<strong>in</strong>t ist hier die Streichungvon § 257a StPO durch die neue Gesetzgebung vom 1.1.75251, demzufolgeStaatsanwaltschaft und <strong>Verteidigung</strong> auf Antrag Gelegenheit gegeben werdenmußte, <strong>in</strong> jeder Lage des Verfahrens Erklärungen abzugeben. An Stelle diesesan ke<strong>in</strong>e bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen gebundenen Rechts des Verteidigers tratennun zwei neue Regelungen des § 257: Eventuelle Erklärungen müssen quaZeitpunkt und Thematik mit spezifischen Ereignissen im Prozeß verbundense<strong>in</strong> und dürfen "den Schlußvortrag nicht vorwegnehmen". Zweifellosist mitdieser Gesetzesänderung - <strong>in</strong> den Worten Rudolphis - "e<strong>in</strong> weiteres Stück dererst 1964 erfolgten Erweiterung der <strong>Verteidigung</strong>srechte beseitigt worden "252;e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung, die auch m. E. hauptsächlich mit Blickauf den bevorstehendenProzeß gegen "Baader u. a. " gesehen werden muß.Bereits gemäß dem alten § 257 StPO (jetzt§ 257 Abs. 1) hatte fürAngeklagtegegolten, daß sie nicht jederzeit Erklärungen abgeben konnten253 Bedeutungsvollist somit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie an der neuen Bestimmung, daß Angeklagteund Verteidiger <strong>in</strong> ihren Erklärungen "den Schlußvortrag nicht vorwegnehmen"dürfen. Zu Recht stellt sich Schmidt-Leichner die rethorische Frage:"Welcher Verteidiger und Vorsitzende weiß im ersten Drittel oder Achtel derHauptverhandlung, was im Schluß vortrag ausgeführt werden soll?"254Fragloswird e<strong>in</strong>em Richter mit dieser e<strong>in</strong>schränkenden Bestimmung e<strong>in</strong>e extremgroße Entscheidungsfreiheit verliehen, was sich vor allem für Angeklagte e<strong>in</strong>eslangwierigen politischen Prozesses nachteilig auswirken kann.Hier e<strong>in</strong>ige Passagen aus der Erklärung der Angeklagten als Ergänzungdes Ablehnungsantrags. Sie beziehen sich auf ihre von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g<strong>in</strong>itiierte "Knebelung". Der Text ist der für das Buch "RAF: Texte"redigierten Erklärung entnommen, da der vom Protokoll erfaßte Text<strong>in</strong>folge der vielen Unterbrechungen durch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, die UiskusslOnenarüber und des zeitweise abgestellten Mikrofons unverständlich un- unvollständig ist:- "die kehrseite der konditionierung und beherrschung der öffentlich-240keit durch den staatsschutz ist, daß er wirklich <strong>in</strong> jeder beziehung lichtscheuse<strong>in</strong> muß. pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g muß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er funktion als staatsschutzrichterimmer offener nach den direktiven der bundesanwaltschaft se<strong>in</strong>en unterdrückungsjobhier exekutieren, se<strong>in</strong>e immer deutlicher werdendepraxis, das haben wir schon e<strong>in</strong> paar mal gesagt, ist die praxis derknebelung. <strong>in</strong>dem man uns h<strong>in</strong>dert, zu sprechen, und <strong>in</strong>dem mandurch diese praXIs slcnersTellt,aa~ tuer von uns (he 1lI den TaTSacnenbegrunaeten zusammenhänqe nicht entwickelt werden konnen, so Sl-'Se , a auc n und zerstückelte argumentationenreZipiert werden können. verh<strong>in</strong>dert er öffentlichkeit. er egrun eleser von ihm offen durchgesetzten funktion se<strong>in</strong>e befangenheit, unddas gilt für das ganze gericht, das diese beschlüsse trägt. er muss <strong>in</strong> derfrage der öffentlichkeit befangen se<strong>in</strong>, weil er weiß, daß das geschlossenesystem, die staatsschutzgesteuerte öffentli eit bed<strong>in</strong>gung für diestrategische planung ieses ver ahrens durch die bundesanwaltschaftund den staatsschutz war. so zum beispiel die presseberichte zu bückeburg- das will ich hier mal kurz re<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen - denn bereits damalswurcfe'offen gesagt: bückeburg sei die eneral robe für diesen rozeßhier, und für bubacK zei e üc e ur offen die notwendi keit iesedrei anwälte cr . öbele und roenewold, auszuschließen a se <strong>in</strong>gung der realisierung der staatsschutzplanung. enn ie öffentlichkeit,die sie für die vernichtun sstrate ie der bundesanwaltschanoc <strong>in</strong> diesem kaff - bückeburg liegt im weserbergland - ergeste tnatten zeime mit sicherheit, daJ6 bel den dimenSionen, die der prozeß'"hier durch diekampagne der bundesanwaltschaft schon hatte, die krim<strong>in</strong>alisierungder e<strong>in</strong>zige weg für den staatsschutz war, die öffentlich~keit hier zu verhmdern bzw. sie durch gegenpropaganda zersetzen- oder neutralisieren zu können. solange die medien die ihnen zukommendefunktion erfüllen, die staatliche counterstrategie und hier spezielldie lüge des rechtsstaatlichen verfahrens öffentlich zu propagieren,konnte pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g uns reden lassen. die isolation, das geschlossene systemder staatsschutzöffentlichkeit war perfekt. es war so garantiert,daß ke<strong>in</strong> wort, nichts, geschweige denn <strong>in</strong>halte dessen, was wir hierentwickeln, öffentlich werden. öffentlichkeit unter der herrschaft desmonopolkapitals, des transnationalen us-kapitals ist die kontrolle dergesellschaft durch den staat als funktion des kapitals. und nicht mehr:öffentlichkeit kontrolliert tendenziell den staat, sondern umgekehrt: derstaat die öffentlichkeit direkt.es gibt ke<strong>in</strong>e absolute kontrollierbarkeit. um sie herzustellen, führtder staat krieg, <strong>in</strong>nere sicherheit ist se<strong>in</strong> kriegsziel. se<strong>in</strong> ziel ist, jede<strong>in</strong>itiative zu lähmen, jede subjektive, <strong>in</strong>dividuelle lebensäußerung zubrechen, ihre vergeblichkeit zu demonstrieren.kontrolle und erfassung - das strategische ziel von <strong>in</strong>nerer sicherheit- zielt auf die vernichtung von kritischem bewußtse<strong>in</strong>; wo es relevant241


geworden ist, d.h. sich bewaffnet hat, auf die physische liquidation derkämpfer.die militärische seite der folter ist, daß sie uns physisch vernichtet. dasmacht die brisanz der frage unserer verhandlungsunfähigkeit aus. wennes pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g nicht gel<strong>in</strong>gt, zu verh<strong>in</strong>dern, daß sie festgestellt wird, wäree<strong>in</strong>mal mehr erwiesen, wie an holger, kathar<strong>in</strong>a und siegfried (HolgerMe<strong>in</strong>s, Kathar<strong>in</strong>a Hammerschmidt und Siegfried Hausner - BS) erwiesenist, daß es natürlich auch um unsere physische liquidation geht.jhre propagandistische seite ist, uns verteidigungsunfähi zu machen,uns der glaubwürdi~keit zu berauben. <strong>in</strong> em wir unserer artikulationsfäigkeitberaubt wp;rlonwo das nicht geklappt hat - und es kann nicht klappen, weil es diewahrheit <strong>in</strong> den tatsachen ist, von der wir reden und das kann mannatürlich auch noch halbtot machen, wenn man es will - muß dieöffentliche rezeption manipuliert werden.pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g manipuliert sie, <strong>in</strong>dem er uns dauernd unterbricht oder unsdas wort abschneidet oder uns nicht zu wort kommen läßt - sodaß diemechanische zerstücKelun von dem, was wir sa en den zusammenan~zers 0 ,seme rezeption unmöglich macht das ist as e<strong>in</strong>e wodas nicht restlos gel<strong>in</strong>gt, beg<strong>in</strong>nt der job des imperialistischen journalismus,der uns die worte im mund verdreht, das gegenteil aus dem macht,was gesagt worden ist, sie so gegen uns <strong>in</strong>strumentalisiert, den klischeesder psychologischen kriegsführung gegen uns e<strong>in</strong>paßt.es ist ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziaer satz von andreas von dem, was er hier <strong>in</strong> den dreimonaten an politischen <strong>in</strong>halten <strong>in</strong> das verfahren gezogen hat und durchunsere politische analyse an diesem verfahren transparent geworden ist- neben der täglichen notwendigen auflösung der lügen und tatsachenverfälschungenvon pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g - <strong>in</strong> auch nur e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen zeitung erschienen,ohne den worten und iFirems<strong>in</strong>n nach m se<strong>in</strong> e enteil verdrehtwor e em un zwar <strong>in</strong> das bestimmte dreckige gegenteil, und dasdann als hetzkommentar, der die klischees der psychologischen kriegsführungder bundesanwaltschaft seit fünf jahren auf uns projeziert - aufke<strong>in</strong>en so total, so verbissen wie auf andreas. -- <strong>in</strong> der staatlichen counterpropaganda - die funktion der psychologischenkriegsführung, der us-counterstrategie ist - ist andreas das amkont<strong>in</strong>uierlichsten und konsequentesten ausgestoßene objekt.das ist so, weil er mit illegalitätgleichgesetzt ist und das, was durch siezum ausdruck gebracht ist: die radikale negation, ablehnung jeder anderennorm, jedes anderen gesetzes, jeder anderen macht als der unbeschränkten,außergesetzlichen, auf revolutionäre gewalt gestütztenmenschlichen macht - ist er z.b. im haß bubacks - weil er sich mitillegalität gleichsetzt. die reaktion, die bourgeoisie stößt <strong>in</strong> ihm dauerndauf die tatsache, daß das ,legale land nicht das wirkliche land ist'.~so wird bei hill im ,vorwärts' aus dem satz von andreas ,was die242politischen gefangenen objektiv als objekte staatlicher repression vere<strong>in</strong>igt,ist die politische justiz': ,was die gefangenen vere<strong>in</strong>igt, s<strong>in</strong>d ihretränen'. hill erf<strong>in</strong>det tränen, um den <strong>in</strong>halt von andreas' erklärung, denpolitischen begriff zu denunzieren. hillstelltsich damit direkt und bewußtauf die seite der folter, weil se<strong>in</strong>e gehässigkeit als rechtfertigung für siewirkt, und er macht das, nachdem vogel, der justizm<strong>in</strong>ister, hill wegense<strong>in</strong>er bisherigen prozeßberichterstattung, <strong>in</strong> der er aber auch nur malfestgestellt hat, daß das gericht sich gegenüber den anträgen der verteidigungsystematisch taub stellt, e<strong>in</strong>s re<strong>in</strong>gewürgt hat, <strong>in</strong> derselben nummerdes ,vorwärts'.weiter: andreas hatte gesagt, daß wir von m<strong>in</strong>destens 20 gefangenenaus der raf wissen, daß ihre gesundheit durch die isolation so zerstört ist,,daß sie sich nicht mehr erholen werden'. <strong>in</strong> der frankfurter rundschaulesen wir dann - als zitat - ,daß sie nicht mehr davonkommen werden'.das heißt, die e<strong>in</strong>fache feststellung/mitteilung e<strong>in</strong>er tatsache wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ebrutale formulierung umgestanzt. die brutalität, die es ist, gefangenejahrelang zu isolieren, wird <strong>in</strong> der berichterstattung auf uns projeziert. die<strong>in</strong>formation, ihre message wird umgedreht, was gegen den staat spricht,. wird gegen uns gedreht und gedruckt.<strong>in</strong> der frankfurter rundschau, die von der spd als bestimmte fraktiondes verfassungsschutzes <strong>in</strong> der berichterstattung gezielt e<strong>in</strong>gesetzt wird,macht krumm aus genau dieser feststellung ,das geschlossene system ausstaatsschutz, bundesanwaltschaft, staatstragender presse' den idiotisierendensatz ,die amseln s<strong>in</strong>d permanent h<strong>in</strong>ter der schlagzeile ,baadersamseln'. daß holger tot ist, die trakts, die isolation, die krim<strong>in</strong>alisierungder anwälte, die gezielten lügen der bundesanwaltschaft bildeten wir uns- suggeriert der satz - nur e<strong>in</strong>.ebenso verfährt busche <strong>in</strong> der frankfurter allgeme<strong>in</strong>en zeitung, demsprachrohr der großbourgeoisie, nachdem deutlich geworden war, daßpr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>er differenzierten argumentation nicht folgen kann, wohl aberals aktivbürger ebenso seismografisch wie hysterisch auf jede spur vonkritik reagiert, nachdem pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g andreas 17mal unterbrochen hatte,damit der zweck der isolation aus der geschichte dieser drei Jahre alsvernichtungszweck nicht deutlich wird - projeziert busche pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs wüstenumgang mit dem rechtlichen, <strong>in</strong>dem er ,wüste tonart' behauptet,pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs pauschale wortentziehungen auf uns, <strong>in</strong>d~m er 'pauschaleerklärungen, behauptet. das <strong>in</strong>sistieren auf rechten wird grundsätzlichund immer als störung vermittelt, sodaß e<strong>in</strong>zelne journalisten, wenn sieaus dem konformismus der berichterstattung mal punktuell aussteigenwollen, sich erstmal dafür, daß sie mal die wahrheit sagen wollen, mit derbemerkung entschuldigen, es sei eben <strong>in</strong> der berichterstattung das, wastatsächlich <strong>in</strong> dieser militärfestung abläuft, nirgendwo wiederzuerkennen.noch e<strong>in</strong> beispiel: wir hatten hier gesagt, daß gerhard müller militär- - -243


-.!.echnischp_c;material als provokation <strong>in</strong> elas<strong>in</strong>fosvsteml.das wirzur verteidigungsvorbereitunglegal hatten, gegeben hat; daß er der e<strong>in</strong>zige politischegefangene war, der e<strong>in</strong>e richterliche genehmigung für den bezugmilitärtechnischer publikationsmittel hatte; daß der staatsschutz müllerseit sommer 74 <strong>in</strong> der hand hat; daß es sich also bei dem material, mitdem der staatsschutz jetzt die anwälte krim<strong>in</strong>alisiert, um staatsschutzmaterial,material, das der staatsschutz selbst produziert hat, handelt. von alldem bleibt <strong>in</strong> der rundschau nichts. die frankfurter rundschau machtdaraus dreck gegen uns. ulrike hätte gesagt, müller sei der e<strong>in</strong>zige gewesen,der sich für diesen ,militärischen kram' <strong>in</strong>teressiert hat, e<strong>in</strong>e formulierung,die genau <strong>in</strong> die legende und das klischee paßt, das der staatsschutzauf uns projeziert. die trennung von revolutionärer politik undrevolutionärer militanzwar immer - das ist dazu zu sagen - unmöglich. <strong>in</strong>dieser letzten phase des imperialismus wird das nur evident.e<strong>in</strong> letztes beispiel: aus der tatsache, daß pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g <strong>in</strong> unseren augenbefangen ist, u. a., weiler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fernsehpropagandasendung gegen unsgesagt hat, dies sei ke<strong>in</strong> politisches, es sei e<strong>in</strong> normales strafverfahren,womit er auch die dimensionen von repression abstreitet, die diesesverfahren von jedem anderen abhebt - es iste<strong>in</strong> projekt der <strong>in</strong>ternationalencounter<strong>in</strong>surgency - macht e<strong>in</strong> kommentar (süddeutscher rundfunk),wir machten pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g den vorwurf, er setze uns mit ,geme<strong>in</strong>enverbrechern' gleich. da setzt uns der journalist, e<strong>in</strong> bourgeoiser affe, mitsich gleich, willdie gefangenen, die von uns nur die isolation, die abriegelungwahrnehmen, gegen uns aufhetzen, e<strong>in</strong>en keilzwischen sie und unstreiben.wenn wir von politischen gefangenen sprechen, me<strong>in</strong>en wir damitnicht den begriff der bourgeoisie, die damit ihre klassenangehörigen <strong>in</strong>den gefängnissen von militärdiktaturen betreut.jeder gefangene arbeiter ist e<strong>in</strong> politischer gefangener, weil er e<strong>in</strong>gefangener imperialistischer politik ist, also des imperialistischen staates.jeder gefangene, egal aus welchem anlaß er krim<strong>in</strong>alisiertwurde, derdie gewalt, der er unterworfen ist, politisch begreift, jeder gefangene, derden widerstand im gefängnis organisiert, jeder gefangene, der kämpft, iste<strong>in</strong>er von uns.die geme<strong>in</strong>en verbrecher sitzen sowieso nicht im gefängnis - siestehen ihnen vor und füllensie; sie sitzen auf stühlen wie pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g,widera,wunder und zeis. geme<strong>in</strong>e, also besitzlose, proletarische gefangene s<strong>in</strong>dalle gefangenen, wenn man von den paar naziverbrechern absieht.sich im gefängnis zu wehren, zu kämpfen, bedeutet äußerste verelendungund trifft alle, die sich im gefängnis ihrer entmenschlichung ausgründen gesellschaftssanitärer staatsraison widersetzen. sie werden isoliert- der vollzug, die justiz setzt alle mittel der repression gegen sie e<strong>in</strong>,<strong>in</strong>zwischen bis zum verteidigerausschluß und demnächst der überwachungdes verteidigergesprächs, also der beseitigung des e<strong>in</strong>zigen kon-244takts, der <strong>in</strong> dem ohneh<strong>in</strong> geschlossenen gefängnissystem noch möglichwar.e<strong>in</strong> politischer gefangener hat - wie wir gesagt haben - das privileg,gefoltert zu werden, <strong>in</strong> schalltoten trakten, <strong>in</strong> besonderen gefängnisflügelnuntergebracht zu se<strong>in</strong>, das privileg, daß der staatsschutz se<strong>in</strong>eermordung plant.die anerkennung als politischer gefangener im vollzug bedeutet, zumbeispiel von abschreckungsvollzug gemacht zu werden; es gibt ke<strong>in</strong>engefangenen, der das für e<strong>in</strong> privileg hält,,255.4. Die Ausschließung der AngeklagtenIn Abschnitt 3.1.5. war angedeutet worden, mit welchen Schwierigkeitensich das Gericht angesichts der Resultate der mediz<strong>in</strong>ischen Sachverständigenkonfrontiert sah. Juristisch gesehen lag es nahe, den Prozeß <strong>in</strong>Erwartung der Genesung der Angeklagten vorläufig e<strong>in</strong>zustellen (§ 205StP0256). Professor Rasch zufolge würde e<strong>in</strong> solcher Genesungsprozeßjedoch mehrere Monate dauern, folglichmüßte der Prozeß danach neubegonnen werden. Die andere von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g genannte Möglichkeit, dieAngeklagten aufgrund von § 231a StPO von der Verhandlung auszuschließen,schien rechtlich gesehen überhaupt nicht <strong>in</strong> Betracht zu kommen,und wenn doch, dann käme dies e<strong>in</strong>er offiziellenAnerkennung derBehauptung gleich, von Anfang an, also seit dem 21.5.75, sei gegenverhandlungsunfähige Angeklagte prozessiert worden, also trotz e<strong>in</strong>esVerfahrensh<strong>in</strong>dernisses im S<strong>in</strong>ne des § 260 Abs. 3 StP0257. Im folgendensoll versucht werden, zu analysieren, wie die bereits konstatierteDom<strong>in</strong>anz des politisch Wünschenswerten gegenüber dem rechtlichMöglichen <strong>in</strong> diesem Prozeß stets deutlichere Formen annehmen undsich letzIichauch durchsetzen sollte.4.1. Beschluß des OLG Stuttgart vom 30.9.75 (Ausschließung derAngeklagten)Die Begründung des Senatsbeschlusses vom 30.9.75, der die Fortsetzungder Verhandlung <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagten verfügte, beg<strong>in</strong>ntmit der Feststellung, die Angeklagten seien "verhandlungsunfähigim S<strong>in</strong>ne von § 231a StPO". Obwohl <strong>in</strong> den Sachverständrgengutachtenausdrücklich von zeitlich begrenzter Verhandlungsfähigkeit die Redewar, ließ das Gericht wissen, der Begriff Verhandlungsunfähigkeit imS<strong>in</strong>ne von § 231a könne "nicht ohne Bezug auf das konkrete Verfahren,dessen Durchführung und Durchführbarkeit gesehen werden". Verhandlungsunfähigim S<strong>in</strong>ne von § 231a sei derjenige, so das Gericht,"dessen Verhandlungsfähigkeit so weit herabgesetzt ist, daß e<strong>in</strong>e ordnungsgemäßeDurchführung der Hauptverhandlung ausgeschlossen245


ist". Genau dies sei hier der Fall, da es angesichts des enormen Umfangsdes zu verhandelnden Stoffs, der vielen Zeugen und Sachverständigensowie der begrenzten Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten nichtmöglich se<strong>in</strong> würde, den Prozeß "<strong>in</strong> auch nur e<strong>in</strong>igermaßen angemessenerZeit" abzuwickeln. Das Gericht berief sich auf das "<strong>in</strong> der Menschenrechtskonventionfestgelegte Beschleunigungsgebot" .Anschließend begründete das Gericht se<strong>in</strong>e Ansicht, die Angeklagtenhätten "ihren heutigen Gesundheitszustand" absichtlich herbeigeführt,und zwar im vollen Bewußtse<strong>in</strong> des Umstandes, daß e<strong>in</strong>e "ordnungsgemäßeDurchführung" der Verhandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Zustand nichtmöglich se<strong>in</strong> würde. Den Sachverständigen zufolge seien, so das Gericht,mehrere Ursachen für den heutigen Gesundheitszustand verantwortlich(Das entsprach nicht den Tatsachen; die Sachverständigen hatten von"möglichen" Ursachen gesprochen und sowohl die Hungerstreiks angeführt,was der Auffassung der BAW entsprach, als auch die Haftbed<strong>in</strong>gungen,was den Auffassungen der Angeklagten und ihrer Verteidigerentsprach). Aus den Gutachten der beiden Internisten gehe lediglichhervor, sie könnten sich zu den Ursachen nicht weiter äußern undwürden deshalb auf das forensisch-psychiatrische Gutachten verweisen.Mende habe (vgl.Abschnitt 3.1.5.) geschrieben, daß der jetzige Gesundheitszustandder Angeklagten primär durch "die psychischen Belastungen,durch die Länge der Untersuchungshaft und vor allem durch dasStrafverfahren" verursacht worden seien. Rasch sei zu der Feststellunggekommen, e<strong>in</strong>e "anteilsmäßige Trennung oder Gewichtung dieser beidenKomplexe" (Hungerstreik und Haftbed<strong>in</strong>gungen - BS) sei nichtmehr möglich. Die Zurückhaltung der Sachverständigen sei auch nichtweiter verwunderlich, da Untersuchungen, die sich mit der Isolierunge<strong>in</strong>er Person beschäftigten, "wie sie <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne hier gar nichtvorliegt", laut Rasch zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen gekommenund auch von sehr unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualitätgewesen seien.Ohne weitere Oberleitung folgte dann die Mitteilung des Gerichts, eshege ke<strong>in</strong>en Zweifel daran, daß die Hungerstreiks "wenigstens mitursächlich"für die jetzige Verfassung der Angeklagten seien. AlsoffizielleBegründung für die Hungerstreiks sei zwar die Veränderung der Haftbed<strong>in</strong>gungenpropagiert worden, jedoch: "In Wahrheit war die Änderungder Haftbed<strong>in</strong>gungen nur Mittelzum Zweck, um die politische Agitation<strong>in</strong> den Haftanstalten, die ,Politisierung der Gefängnisse', den ,Kampfgegen das krim<strong>in</strong>elle imperiale System', die Herbeiführung von ,Revoltenim Knast' zu ermöglichen". Zwecks Untermauerung dieser Behauptungpräsentierte das Gericht etwa 20 Passagen aus ZeIlenrundschreiben,Hungerstreikerklärungen u.ä. aus den Jahren 1973/74, die überwiegendvon den Angeklagten (Raspe ausgenommen) verfaßt wordense<strong>in</strong> sollten. Damit sei der eventuelle negative E<strong>in</strong>fluß der Haftbed<strong>in</strong>gun-246gen auf die Gesundheit den Angeklagten selbst zuzuschreiben. Die Haftbed<strong>in</strong>gungenseien ihnen schließlich bekannt gewesen. Ebenso hättensie gewußt, daß es den verantwortlichen Behörden (seit Oktober 1974das Gericht selbst - BS) nicht möglich gewesen sei, diese Bed<strong>in</strong>gungenanders zu gestalten, weil es galt, "politische Agitation" zu verh<strong>in</strong>dern.Damit sei ihnen gleichzeitig auch bekannt gewesen, daß Gesundheitsschäden,die den Hungerstreiks zuzuschreiben se<strong>in</strong> würden, unter dengegebenen Bed<strong>in</strong>gungen nicht reparabel se<strong>in</strong> könnten. Es ist schonerstaunlich, wie es dem Gericht gelang, alle Passagen der Sachverständigengutachtenüber den E<strong>in</strong>fluß der Haftbed<strong>in</strong>gungen auf die gesundheitlicheVerfassung der Angeklagten ( siehe Punkt 3.1.5.) systematischzu negieren. Obwohl die mediz<strong>in</strong>ischen Gutachten ke<strong>in</strong>en Zweifeldaranließen, daß die Haftbed<strong>in</strong>gungen, vor allem wegen der jahrelangensozialen Isolierung, wenn auch nicht als ausschließliche, so doch alswichtigste Ursache für die schlechte Gesundheit der Angeklagten zubetrachten waren, tat das Gericht so, als ob nach Me<strong>in</strong>ung der Sachverständigendie Hungerstreiks ebensogut Hauptursache seien könnten.Weiter fälltauf, daß die Empfehlung der Sachverständigen, die Isolationaufzuheben, <strong>in</strong> dem Beschluß mit ke<strong>in</strong>em Wort erwähnt wurde.Es muß betont werden, daß die Sachverständigengutachten außerhalbder Hauptverhandlung erstattet wurden und nur den direkten Prozeßteilnehmernzur Verfügung standen, sie also von den Anwälten auchnicht veröffentlicht werden konnten, während gleichzeitig alle Anträgeder <strong>Verteidigung</strong>, die Sachverständigen vor Gericht zu hören und siedazu zu befragen, vom Gericht abgelehnt worden waren259.Die Begründungdes Gerichtsbeschlusses war dagegen <strong>in</strong> ihrer gesamten Längee<strong>in</strong>schließlich der Zitate aus den Zellenrundbriefen vor Gericht verlesenworden26o. Zum Teil stammten die Zitate direkt aus dem Antrag derBAW, die Angeklagten aufgrund von § 231 a StPO auszuschließen.Dieser Antrag war nicht, wie üblich, von e<strong>in</strong>em der an der Verhandlungteilnehmenden Bundesanwälte unterzeichnet, sondern - wie auch dieAnträge auf Ausschließung der Rechtsanwälte Croissant, Groenewoldund Ströbele - von Generalbundesanwalt Siegfried Buback.Die Rundbriefe, denen die Zitate entnommen wurden, gehörten zuden Gerichtsakten und zum Beweismaterial der Bundesanwaltschaft,über das noch nicht verhandelt worden war, da die eigentliche Beweisaufnahme261noch bevorstand262.4.2. Beschluß des BGH vom 22. 10. 75 (Bestätigung der Ausschließungen)263E<strong>in</strong>e beim dritten Senat des BGH von der <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>gereichteBeschwerde gegen den Beschluß des OLG Stuttgart vom 30.9.75brachte ke<strong>in</strong> anderes Ergebnis; der BGH begründete se<strong>in</strong>en Beschluß247


jedoch völlig anders als das OLG Stuttgart. "E<strong>in</strong>e bemerkenswerte Abweichung",kommentiert der Hochschullehrer Dr. Gerald Grünwald <strong>in</strong>der "Juristenzeitung"264. Während das OLG Stuttgart noch behauptethatte, die Hungerstreiks seien als Hauptursache für die Verhandlungsunfähigkeitanzusehen (Grünwald: "Diese Behauptung war angesichtsder Gutachten der Sachverständigen kaum zu halten,,265),waren nachder Auffassung des BGH nun doch zweifellos primär die Haftbed<strong>in</strong>gungenfür den angegriffenen Gesundheitszustand der Angeklagtenverantwortlich. Sogar von "isolierenden Haftbed<strong>in</strong>gungen" ist <strong>in</strong> demBGH-Beschluß die Rede, e<strong>in</strong>e Behauptung, die das OLG <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emBeschluß ausdrücklich als unzutreffend bezeichnet hatte und die <strong>in</strong>den vorangegangenen Jahren immer wieder als Teil der gegen dieJustiz gerichteten und auf Unterstützung der Stadtguerilla abzielendenVerleumdungskampagne abgetan worden war. Die Angeklagten seienjedoch, so der BGH, selbst für die "isolierenden Haftbed<strong>in</strong>gungen"und damit auch für ihre schlechte gesundheitliche Verfassung verantwortlich,denn: "Die Gefährlichkeit der Beschwerdeführer ließ den fürdie Gestaltung der Untersuchungshaft verantwortlichen Stellen ke<strong>in</strong>eandere Wahl als die, dem durch e<strong>in</strong>e entsprechende Verschärfung derHaftbed<strong>in</strong>gungen Rechnung zu tragen". Die unterstellte Gefährlichkeitlasse sich folgenden "Umständen" entnehmen:"Die Bf. (Beschwerdeführer - BS) gehören e<strong>in</strong>er zahlenmäßig verschw<strong>in</strong>dendger<strong>in</strong>gen Gruppe der Bevölkerung an, die es im Gegensatz zu dieserfür unerläßlich hält, den gewiß <strong>in</strong> mancherlei H<strong>in</strong>sicht verbesserungsbedürftigenZustand der Gesellschaft <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland - wieübrigens jeder Gesellschaft - nicht mit dem demokratischen Mittel der Überzeugungder Wähler, sondern gegen deren Willen unter Anwendung rücksichtsloserWaffengewalt zu verändern. Ihr augensche<strong>in</strong>lich durch nichts zubee<strong>in</strong>flussendes realitätsfernes Bild von den gesellschaftlichen Verhältnissenund von den tatsächlichen Möglichkeiten, auf sie e<strong>in</strong>zuwirken, verführt siezu e<strong>in</strong>er fanatischen Verfolgung ihrer Ziele auch aus der Untersuchungshaftheraus. Sie verstehen sich als gefangene Mitglieder e<strong>in</strong>er bewaffneten Gruppe("Rote Armee Fraktion"), die den bestehenden Staat mit allen Mittelnbekämpft, se<strong>in</strong>e Gesetze nicht als für sich verb<strong>in</strong>dlich anerkennt und se<strong>in</strong>eOrgane, <strong>in</strong>sbesondere die Organe der Justiz, mißachtet. Aus dieser Haltungheraus haben sie <strong>in</strong> der Haft nicht nur mit Hilfe durch Rechtsanwälte verbreiteterZellenzirkulare zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Zusammenhaltsihrer Vere<strong>in</strong>igung den Kontakt zu <strong>in</strong>haftierten Ges<strong>in</strong>nungsgenossenaufrechterhalten, sondern es auch verstanden, Kampfanweisungen an <strong>in</strong>Freiheit bef<strong>in</strong>dliche Terroristen gelangen zu lassen. Sie beschränken sichnicht darauf, von ihrem Recht zum Schweigen gegenüber der Anklage undzur Vorbereitung ihrer <strong>Verteidigung</strong> Gebrauch zu machen, sondern sie betreibendarüber h<strong>in</strong>aus ihre gewaltsame Befreiung. E<strong>in</strong>er von ihnen, derAngekl. B., ist schon e<strong>in</strong>mal aus der Haft befreit worden, wobei e<strong>in</strong> Unbeteiligtere<strong>in</strong>e schwere Schußverletzung davontrug. Der Anschlag auf die deutscheBotschaft <strong>in</strong> Stockholm, der mehrere Menschenleben forderte, diente248auch ihrer Befreiung durch Nötigung der Organe unseres und des schwedischenStaates. Durch die Entführung des Berl<strong>in</strong>er Politikers Lorenz ist esGes<strong>in</strong>nungsgenossen der Angekl. gelungen, die Freilassung mehrerer denAngekI. nahestehender Terroristen zu erzw<strong>in</strong>gen. Zudem unternehmen es dieAngekI., die Ordng. <strong>in</strong> der Haftanstalt empf<strong>in</strong>dlich zu stören. Wie die <strong>in</strong> demangefochtenen Beschluß zitierten Belege zeigen, ist es ihr Ziel, unter densonstigen Insassen politisch agitieren zu können, um ,Revolten im Knast'anzuzetteln ".Die meisten der hier aufgeführten "Umstände" gehörten zur Anklageund waren folglich erst noch zu beweisen (ausgenommen die BefreiungBaaders), während die übrigen "Gegebenheiten" Handlungen andererPersonen betrafen und zudem aus jüngster Zeit stammten, so daß siewohl kaum für die seit Jahren üblichen Haftbed<strong>in</strong>gungen verantwortlichse<strong>in</strong> konnten.Weiter fälltauf, daß bei ke<strong>in</strong>er der aufgeführten "gefährlichen" Aktivitätenaus der Haft heraus e<strong>in</strong>er der Angeklagten namentlich genanntwird. Während das OLG Stuttgart noch den halbherzigen Versuch unternommenhatte, verschiedene Zellenzirkulare drei der vier Angeklagtenzuzuordnen, behauptet der BGH schlichtweg, daß es auf e<strong>in</strong>e solcheZuordnung nicht ankomme, es reiche vielmehr aus, zu erkennen, daß <strong>in</strong>diesen Rundbriefen die Strategie der RAF wiedergegeben werde, und"daß sich jeder von ihnen zu dieser krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, deren Zieleweitgehend von ihnen selbst bestimmt werden, rückhaltlos bekennt".Juristisch gesehen kommt dieser vom BGH entwickelten Argumentationdie Bedeutung zu, daß die wichtigste an die Anwendung von §231 aStPO geknüpfte objektive Bed<strong>in</strong>gung, das "sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>e Verhandlungsfähigkeitausschließenden Zustand Versetzen" des Angeklagten,nicht mehr von se<strong>in</strong>em eigenen Verhalten abhängt, sondern von derE<strong>in</strong>schätzung se<strong>in</strong>er "Gefährlichkeit" durch die Justizbehörden. Somitbedarf es zur Herbeiführung ihrer Verhandlungsunfähigkeit ke<strong>in</strong>er konkretenHandlungen mehr seitens der Angeklagten; ihre "rückhaltlose"Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er bestimmten Gruppe - ihre politische Identität ­reicht aus, um sie Haftbed<strong>in</strong>gungen zu unterwerfen, die ihre Gesundheit(und damit ihre Verhandlungsfähigkeit) untergraben266. Mit dieser Um<strong>in</strong>terpretationder objektiven, an die Anwendung von § 231 a StPOgeknüpften Voraussetzungen werden die subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen("vorsätzlich und schuldhaft") vollständig ihres S<strong>in</strong>ns entleert, da dieBegriffe "Vorsatz" und ,,schuld" notwendigerweise an Handeln bzw.Nichthandeln gebunden s<strong>in</strong>d. Die vom BGH gehandhabte Konstruktion- Kollektivhaftung aufgrund von Nichtdistanzierung von der RAF-liestsich dann wie folgt: Der Verdacht der (auch <strong>in</strong> der Haft weiter bestehenden)Mitgliedschaft <strong>in</strong> der "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung" RAF rechtfertigtspezielle Haftbed<strong>in</strong>gungen, die die Gesundheit der Angeklagten bis zuihrer Verhandlungunsfähigkeit angreifen, so daß es gerechtfertigt ist, die249


auf diesem Verdacht beruhende Anklage <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagtenzu verhandeln267.Diese Auslegung gipfelt <strong>in</strong> der folgenden Argumentation des BGH­Beschlusses:"Die Angekl. und ihre Anwälte bezeichnen die dadurch bewirkte Haftformschon seit langem als menschen vernichtende Isolationsfolter. Das kann zwarnur als agitatorische Verleumdung verstanden werden, zumal die Haftbed<strong>in</strong>gungen<strong>in</strong> ihrem Ausmaß und ihrer Dauer den Behörden erst durch dasVerhalten der Angekl. aufgezwungen worden s<strong>in</strong>d. Es zeigt aber, daß diesesich der nachteiligen Wirkung der Haftbed<strong>in</strong>gungen bewußt s<strong>in</strong>d. Es kannnicht ernstlich bezweifelt werden, daß sie angesichts ihrer überdurchschnittlichenIntelligenz auch die Auswirkungen der isolierenden Haftbed<strong>in</strong>gungen aufihre Verhandlungsfähigkeit, die durch das äußere Bild ihrer außergewöhnlichenAktivität für die mit dem Vollzug und dem Strafverfahren befaßtenStellen zunächst verdeckt blieben, seit langem erkannt haben. Wenn siegleichwohl seit Jahren das Verhalten fortsetzen, das die staatlichen Organe zurAnwendung dieser Haftbed<strong>in</strong>gungen zw<strong>in</strong>gt, so haben sie somit die Herbeiführungihrer Verhandlungsunfähigkeit <strong>in</strong> Kauf genommen. Das genügt zurAnnahme vorsätzlichen Verhaltens i.S. des § 231a Abs. 1 StPO (Kle<strong>in</strong>knechta.a.O., Anm. 2)".Dazu e<strong>in</strong>ige Anmerkungen. Als erstes ist der erstaunliche Versuch desBGH zu nennen, die für die Haftbed<strong>in</strong>gungen verantwortlichen Instanzen(de facto BKA und GBA, juristisch <strong>in</strong> letzter Instanz der BGH selbst)von jeglicher Verantwortung für die Auswirkungen dieser Haftbed<strong>in</strong>gungenfreizusprechen. E<strong>in</strong>erseits wird behauptet, die verantwortlichen Stellenseien sich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Haftbed<strong>in</strong>gungenund dem schlechten Gesundheitszustand der Angeklagten anfänglichnicht bewußt gewesen (was nach der gesamten Vorgeschichte,man denke nur an Astrid Pro1l268,unglaubwürdig ist), andererseits bleibtder BGH bei der Auffassung, es sei notwendig, diese offensichtlichgesundheitsschädlichen Haftbed<strong>in</strong>gungen aufrecht zu erhalten.Bedeutungsvoller ist jedoch die Behauptung, "erst durch das Verhaltender Angeklagten" hätten sich diese vernichtenden Haftbed<strong>in</strong>gungenals notwendig erwiesen. Diese Behauptung suggeriert, die Angeklagtenseien anfangs normalen Haftbed<strong>in</strong>gungen unterworfen gewesen, underst nachträglich, wegen ihres außergewöhnlichen Verhaltens, hättendiese Bed<strong>in</strong>gungen verschärft werden müssen. Für alle Angeklagten giltjedoch, daß sie vom ersten Tag ihrer Haft an dem spezifischen Systemder Isolationshaft unterworfen waren, das jede Möglichkeitzu politischerAgitation ausschloß. Mit "Verhalten" der Angeklagten ist nichts anderesals ihre "Gefährlichkeit" geme<strong>in</strong>t, die selbst wiederum aus der Zugehörigkeitzur RAF und e<strong>in</strong>em rückhaltlosen Bekenntnis zu dieser Gruppeabgeleitet wird. Letztlich entscheidend ist jedoch die Schlußfolgerung,die sich aus alldem ziehen läßt: Der BGH nimmt mit diesem Beschlußbilligend <strong>in</strong> Kauf, daß <strong>in</strong>haftierten Personen, wenn sie ihre revolutionäre250Identität nicht aufgeben und ihre Ges<strong>in</strong>nung nicht verraten, ernsthaftegesundheitliche Schäden zugefügt werden. Oder mit anderen Worten:Die offiziellvehement abgeleugnete Isolationsfolter wird vom BGH fürRechtens erklärt, die Benutzung des Begriffsselbst jedoch als "agitatorischeVerleumdung" abgetan.Die angestellte Analyse des BGH-Beschlusses (von mir an andererStelle "Folterbeschluß" genann~69), läßt sich wie folgt zusammenfassen:- Das Vorliegen von Isolationshaft wird konstatiert ("entsprechendeVerschärfung der Haftbed<strong>in</strong>gungen", "isolierende Haftbed<strong>in</strong>gungen","besondere Verhältnisse").- Zugegeben wird, daß diese Isolationshaft zu ernsthaften Gesundheitsschädenführt ("diese ihre Verhandlungsfähigkeit mitbed<strong>in</strong>gendenUmstände", "nachteilige Wirkung").- Gerechtfertigt wird diese Zerstörung der Gesundheit mit den Feststellungen,die Angeklagten seien nicht bereit, ihre revolutionäre Ges<strong>in</strong>nungaufzugeben ("daß sichjeder von ihnen zu dieser krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung... rückhaltlos bekennt"), sie seien durch nichts zu bee<strong>in</strong>flussenund somit gefährlich, sie müßten sich "angesichts ihrer überdurchschnittlichenIntelligenz" darüber im klaren se<strong>in</strong>, welch schädliche Auswirkungenjene "isolierenden Haftbed<strong>in</strong>gungen" haben.Die BRD dürfte der erste Staat der Welt se<strong>in</strong>, der die gesundheitlicheZerstörung politischer Gefangener durch Haftbed<strong>in</strong>gungen, die unterdas Folterverbot des Artikel 3 MRK270fallen, per höchstrichterlichemBeschluß für Recht erklären ließ. An diesem Punkt wird e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehendereBehandlung des BegriffsFolter notwendig. Von Folter durch staatlicheInstanzen ist dann die Rede, wenn271:akute und ernsthafte physischeoder psychische Leiden absichtlich und 'systematisch e<strong>in</strong>er Personzugefügt werden, durch oder auf Initiative e<strong>in</strong>es Obrigkeitsdieners, mitder Absicht, den (Willendes) Gefolterten oder e<strong>in</strong>e(r) dritte(n) Person zubrechen (meist um e<strong>in</strong> Geständnis oder Informationen zu bekommenoder zur Bestrafung bzw. E<strong>in</strong>schüchterung).Zum<strong>in</strong>dest seit Vorlage verschiedener mediz<strong>in</strong>ischer Gutachten zurgesundheitlichen Verfassung der Gefangenen (Herbst 1975), erstattetvon gerichtlich bestellten unabhängigen Sachverständigen, kann nichtmehr ernsthaft abgestritten werden, daß diese Gefangenen unter akutenund schwerwiegenden Gesundheitsschäden litten, deren Ursache <strong>in</strong> densystematisch angewandten, von BKAund GBA entwickelten, den jeweilshöchsten richterlichen Instanzen für rechtens erklärten und den Gefängnisbehördenvollzogenen Haftbed<strong>in</strong>gungen zu suchen ist. Bleibt dieFrage, ob die Behauptung zutrifft,daß die Justizbehörden auch tatsächlichbeabsichtigt hatten oder "billigend <strong>in</strong> Kauf nahmen", die Gefangenenphysisch oder psychisch zu schädigen, und wenn ja, ob das mit demZiel geschehen war, ihren Willen zu brechen. Für die erste Phase des251


Untersuchungshaftzeitraums könnte an e<strong>in</strong>er solchen subjektiven E<strong>in</strong>stellungbzw. e<strong>in</strong>er Kenntnis von den schädlichen Auswirkungen bei denVerantwortlichen vielleicht noch gezweifelt werden; hier sollte jedochnicht vergessen werden, daß die Verteidiger spätestens seit Ende 1973die verantwortlichen Behörden immer wieder mit stichhaltigen Argumentenauf eben diese schädlichen Auswirkungen h<strong>in</strong>gewiesen hatten.Nach der spektakulären Haftentlassung von Astrid Proll <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>erlebensgefährlichen Kreislauferkrankung durch Isolationshaft (Anfang1974) und nach Vorlage der Sachverständigengutachten (Herbst 1975)werden Zweifelim obigen S<strong>in</strong>ne jedoch h<strong>in</strong>fällig;ke<strong>in</strong>e der verantwortlichenInstanzen konnte danach mehr <strong>in</strong> Unkenntnis oder mit Nichtwissenvom Zusammenhang zwischen Haftbed<strong>in</strong>gungen und Gesundheitsschädenargumentieren. Mit der "willentlichen und wissentlichen" Aufrechterhaltungmenschenzerstörender Haftbed<strong>in</strong>gungen ist e<strong>in</strong>e wesentlicheBed<strong>in</strong>gung für das Vorliegen von Folter erfüllt; selbst dann, wenn mandas "willentliche" Element bestreiten wollte, kann man nach der Lehredes bed<strong>in</strong>gten Vorsatzes272 zu ke<strong>in</strong>er anderen Schlußfolgerung kommen.Alsschwieriger erweist sich die überprüfung der Absicht, die Gefangenenzu brechen. Grund für die besonderen Haftbed<strong>in</strong>gungen warschließlich, wie von Anfang an immer wieder offiziellbekundet wurde,die Anpassung an e<strong>in</strong> erhöhtes Sicherheitsrisiko. Mit welchem Rechtkönnte man zu der begründeten Annahme kommen, die angeführtenSicherheitsargumente seien nur Sche<strong>in</strong>argumente? Warum sollten dieverantwortlichen Justizbehörden nicht von den <strong>in</strong> diesen Haftbed<strong>in</strong>gungenzum Ausdruck kommenden Sicherheitsbedürfnissen "überzeugt"se<strong>in</strong>, zumal dann, wenn man sich die <strong>in</strong> der Hetzkampagne gegen dieGefangenen und ihre Verteidiger aufgestellten Behauptungen vor Augenhält? Es sche<strong>in</strong>t von der Beantwortung dieser Fragen abzuhängen,ob es sich bei der systematisch praktizierten Isolationshaft um Folter oder"nur" um unmenschliche Behandlung handelt.Dennoch b<strong>in</strong> ich der Ansicht, daß die Frage, wenn sie so gestellt wird,e<strong>in</strong>e derartige Unterscheidung letztlich nicht zuläßt. Erstens wird e<strong>in</strong>noch e<strong>in</strong>igermaßen objektivierbares Kriterium wie "Absicht" auf dieseWeise aufgeweicht und durch völlig subjektive Kriterien wie "Glauben"oder "überzeugung" ersetzt, die sich jeder rationalen überprüfung entziehen.Die tatsächlichen Grundlagen der angeführten Sicherheitsargumentekönnen dann nicht mehr Gegenstand näherer Untersuchungense<strong>in</strong>. Darüber h<strong>in</strong>aus kann sich dann jede der verantwortlichen Stellendarauf berufen, sie sei auch nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Rädchen <strong>in</strong>nerhalb desgroßen Justizapparats und ihrerseits nicht verantwortlich für Entscheidungen,die auf falschen Informationen seitens vorgelagerter Instanzenberuhen; wahrlich e<strong>in</strong> bequemer, h<strong>in</strong>sichtlich der hier behandelten Thematikaber äußerst gefährlicher Standpunkt e<strong>in</strong>zelner "Rädchen" des252~!t!"I1Itauf extensiver Arbeitsteilung beruhenden komplizierten Justiz- und Gefängnissystems.E<strong>in</strong>e vergleichbare Argumentation f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der von AmnestyInternational vorgebrachten Kritik an der wichtigen Entscheidung derEuropäischen Menschenrechtskommission <strong>in</strong> der Sache Griechenland273.Die <strong>in</strong> dieser Entscheidung getroffene Def<strong>in</strong>ition von Folter wirdum das Kriterium "<strong>in</strong> der besonderen Situation unberechtigt" erweitert.Zu Recht stelltAmnesty International fest, daß alle gängigen Def<strong>in</strong>itionenzwar notwendigerweise subjektive Begriffe wie Absicht, Schmerz, Vorsatzusw. enthalten, sich aber doch weitgehend objektivieren lassen,während "berechtigt" oder "unberechtigt" Werturteile seien. Werturteile<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition mit aufzunehmen, heißt aber, sie so gut wie unbrauchbarzu machen. Außerdem werde, so Amnesty, mit e<strong>in</strong>er solchen Def<strong>in</strong>itionpolitischem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet, da das Folterverbotdann e<strong>in</strong>fach zu umgehen sei, <strong>in</strong>dem auch grausame Handlungen für "<strong>in</strong>der gegebenen Situation berechtigt" erklärt werden könnten.Me<strong>in</strong>es Erachtens ist es notwendig, das Kriterium "Absicht" stärker <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Bedeutung und Funktion zu begreifen. So gesehenist die Sprache des BGH unmißverständlich: Es muß weiterh<strong>in</strong> Leidzugefügt werden, die psychische und physische Integrität der Gefangenenmuß, so lange sie ihre revolutionäre Identität nicht aufgeben, weiterangetastet werden. Kurzum, wenn der Gefangene nicht abschwört undendlich redet, wird weiter "abgedichtet (. .. ), bis man erstickt"(Rasch274).Aber auch bei e<strong>in</strong>er mehr subjektiven Annäherung an das Kriteriumder "Absicht" kommt man nicht umh<strong>in</strong>, die zahlreichen Anhaltspunktefür berechtigte Zweifelan dem "aufrichtigen Glauben" der verantwortlichenBehörden zur Kenntnis zu nehmen. So erklärte BKA-Chef Heroldschon im Juni 1972, kurz nach der Festnahme von "Baader u. a. ", vorJournalisten zu der absoluten Aussageverweigerung der Gefangenen:"E<strong>in</strong>er redet immer, das war schon bei den Jüngern Jesu SO"275. Nochdeutlicher formulierte der damalige hessische Justizm<strong>in</strong>ister KarlHemflerdies <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit dem niederländischen Fernsehen Mitte 1973;auf die Frage, ob er Isolationshaft von sechs Monaten bis e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbJahren für angemessen halte, antwortete Hemfler: "Das ist nicht angemessen,aber das liegt zum Teilja selbst <strong>in</strong> der Person der Betroffenen,die durch ihr hartnäckiges Weigern oder durch die Tendenz, alles zuverschleiern und auf ke<strong>in</strong>en Fall die Wahrheit zu sagen oder die Wahrheitsf<strong>in</strong>dungzu erleichtern, sich das selbst zuzuschreiben haben ,,276. E<strong>in</strong>ekle<strong>in</strong>e Auswahl von Äußerungen namhafter Politiker soll die Schaffunge<strong>in</strong>es Klimas dokumentieren, <strong>in</strong> dem sich e<strong>in</strong> feststellbares Rechtsvakuumh<strong>in</strong>sichtlich der Gefangenen aus der Guerilla als selbstverständlichpräsentieren ließ. Der damalige Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Genseher erklärteam 7.6.75 im Bundestag: "Die Anarchisten haben sich mit ihren Taten253•


·~'-.,r-_., ~ .... ......,._Aaußerhalb jeder denkbaren Form von Gesellschaft gestellt". Der spätereBundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Maihofer übertrumpfte Genscher 1975 noch mitder Äußerung: "Sie haben sich mit ihren Taten nicht nur <strong>in</strong>s Abseitsunserer Gesellschaft, sondern der Weltgesellschaft gestellt"277. Wenneben dieser M<strong>in</strong>ister dann auch noch erklärt, gegen die RAF müsse "dasÄußerste" unternommen werden278, dann braucht man sich ke<strong>in</strong>e Illusionenmehr über die Ausführung dieses Programms durch Polizei,Staatsschutz und Gefängnisbehörden zu machen. In se<strong>in</strong>er Regierungserklärungvom 13.3.75 sagte Bundeskanzler Schmidt, was Revolutionäre,die sich "als Gewaltkrim<strong>in</strong>elle selbst außerhalb der Spielregeln (steIlen),die unser demokratischer Rechtsstaat setzt", zu erwarten haben:,,(. .. ) härtestes Durchgreifen e<strong>in</strong>es Staates, der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Verteidigung</strong>spositionnicht scheuen kann, selbst zu töten (. .. )". Die Tatsache,daß sich die obigen Äußerungen auf noch freie Mitglieder der Guerillabezogen, tut der Konstatierung e<strong>in</strong>es Rechtsvakuums für Gefangene ausder Guerilla ke<strong>in</strong>en Abbruch; immerh<strong>in</strong> betrachteten die Justizbehördenfreie und gefangene Guerilleros als E<strong>in</strong>heit, schließlich g<strong>in</strong>gen sieja sogardavon aus, daß die freie Guerilla durch ihren <strong>in</strong>haftierten "harten Kern"und unterstützt von den Verteidigern geleitet werde. Was dies für den"harten Kern" zu bedeuten hatte, formulierte BKA-Chef Herold im Mai1975: "Die Nervenknoten des Gegners herausisolieren, und sie danngezielt mit Maßnahmen angehen, paralysieren, neutralisieren"279. Esg<strong>in</strong>gjedoch nicht nur darum, die Gefangenen zu "paralysieren", sonderngleichzeitig wurde noch e<strong>in</strong> zweites Ziel anvisiert, wie Herold schon imJanuar 1972 mitgeteilt hatte: "Aktionen gegen die RAFmüssen immer soabgewickelt werden, daß Sympathisantenpositionen abgedrückt werden"280.Der zermürbte Gefangene als abschreckendes Beispiel fürSympathisanten entspricht direkt e<strong>in</strong>em weiteren Folterkriterium: derE<strong>in</strong>schüchterung Dritter. Wie schon <strong>in</strong> Abschnitt 4.1. erwähnt, hatte dasGericht unter Vorsitz von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die <strong>Verteidigung</strong> nicht nur darangeh<strong>in</strong>dert, die Sachverständigen <strong>in</strong> der Verhandlung zu hören, sondernihnen auch die Möglichkeitgenommen, die schriftlichen Gutachten nochvor der Beschlußfassung des Gerichts zu veröffentlichen und öffentlichzu erörtern. Nach Bekanntgabe des § 231a-Beschlusses vom 30.9.75wurde die Verhandlung wieder unterbrochen, ohne daß weitere Diskussionengestattet worden waren, und bis zur Bekanntgabe des BGH­Beschlusses vom 22.10.75 vertagt. Der erste Sitzungstag nach Vorlagedes BGH-Beschlusses bot Angeklagten und Verteidigern auch erstmalswieder die Möglichkeit, <strong>in</strong> das Verfahren e<strong>in</strong>greifen zu können. Das wardurch die für zulässig erklärte Fortsetzung des Prozesses <strong>in</strong> Abwesenheitder Angeklagten wiederum nur <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Ablehnungsantrags gegenalle fünf am Verfahren teilnehmenden Richter möglich. Der Antragstützte sich hauptsächlich auf die Weigerung des Gerichts, trotz allerEmpfehlungen der Sachverständigen auch nur e<strong>in</strong>igermaßen substan-254tielle Veränderungen der Haftbed<strong>in</strong>gungen zu beschließen. Währendder Verlesung des Antrags wurde sowohl den Angeklagten als auch denVerteidigern nache<strong>in</strong>ander wegen "Weitschweifigkeit, fehlendem Zusammenhangund außerdem Beleidigung durch die Behauptung, eswerde hier gefoltert", das Wort entzogen281.Die Absurdität des Wortentzugsliegt dar<strong>in</strong>, daß die Richter abgelehnt worden waren, weil sieFolter(-haftbed<strong>in</strong>gungen) anordneten und aufrechterhielten, während<strong>Verteidigung</strong> und Angeklagten das Wort entzogen wurde, weil sie genaudies auch vor Gericht aussprachen. Die Begründung des Ablehnungsantragswurde vom Gericht also benutzt, um der <strong>Verteidigung</strong> zu verbieten,das Thema Haftbed<strong>in</strong>gungen und Folter weiter e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.4.3. Beschluß des BVerfG vom 21.1. 76 (Verfassungskonforme Ausschlüsse)282Mit diesem Beschluß wird sowohl § 231a StPO selbst, als auch se<strong>in</strong>eInterpretation durch den BGH vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsgemäßerklärt. Die Verfassungsrichter stellten <strong>in</strong> der Begründungihres Beschlusses fest, daß weder gegen den grundgesetzlich garantiertenAnspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 103, I GG) nochgegen das Recht auf e<strong>in</strong> faires Verfahren (Artikel2, Ii.V mit Artikel20, IIIGG) verstoßen worden sei.Prof. Dr. Grünwald kommt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Analyse des BGH-Beschlusseszur genau entgegengesetzten Schlußfolgerung: sowohl der §231 a StPOals auch se<strong>in</strong>e Auslegung und Anwendung durch den BGH könntene<strong>in</strong>er grundsätzlichen überprüfung nicht standhalten283. E<strong>in</strong>e ausführlicheBetrachtung von Grünwaids Analyse würde hier zu weit führen; ichbeschränke mich deshalb auf nur e<strong>in</strong>en markanten Punkt.Auch der BGH ist- <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmung mit dem OLG Stuttgart - derAuffassung, daß Angeklagte, die nur zeitlichbegrenzt verhandlungsfähigs<strong>in</strong>d, unter Umständen als verhandlungsunfähig im S<strong>in</strong>n von § 231aStPO zu betrachten s<strong>in</strong>d, und zwar dann, wenn <strong>in</strong> Bezug auf das konkreteVerfahren nicht mehr von e<strong>in</strong>er "ordnungsmäßigen Durchführungoder Fortsetzung der Hauptverhandlung" ausgegangen werden kann.Diese Interpretation des § 231a wird nun vom BVerfG für übere<strong>in</strong>stimmendmit dem "Gebot des Rechtsstaatspr<strong>in</strong>zips, das die Aufrechterhaltunge<strong>in</strong>er funktionstüchtigen Strafrechtspflege verlangt", erklärt.Die Idee des bürgerlichen Rechtsstaats be<strong>in</strong>haltet jedoch absoluteGrenzen für e<strong>in</strong>e Verfolgung staatlicher Interessen gegenüber dem E<strong>in</strong>zelnen.Grünwald: "Das Rechtsstaatspr<strong>in</strong>zip ist e<strong>in</strong> Schutzwall, an demsich die Strafverfolgungs<strong>in</strong>teressen brechen". Mitse<strong>in</strong>em Beschluß habedas BVerfG nun die Interessen der Strafverfolgungsbehörden "<strong>in</strong> dieMauern des Rechtsstaatspr<strong>in</strong>zips" aufgenommen. In dem Augenblickjedoch, <strong>in</strong> dem traditionell rechtsstaatliche Strafverfahrenspr<strong>in</strong>zipien255•


schlichtweg gegen Strafverfolgungs<strong>in</strong>teressen abgewogen werden, s<strong>in</strong>ddie bestimmbaren Grenzen gegenüber den E<strong>in</strong>griffen der Strafverfolgungsbehörden<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Auflösungsprozeß begriffen, rational kontrollierbareKriterien bestehen dann nicht mehr. Es stellt sich dann nur nochdie Frage, welche Gewichtung Gesetzgeber oder BVerfG Strafverfolgungs<strong>in</strong>teressenzukommen lassen. Dadurch wird der Rechtsstaatsgedankejedoch <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gegenteil verkehrt. Noch e<strong>in</strong>mal Grünwald: "DerRechtsstaatsbegriff wird pervertiert, wenn er gegen den Beschuldigtengelenkt und als Legitimation für Entfaltung der Staatsgewalt im Interesseder Strafverfolgung verwendet wird,,284.256Kapitel VII: Kontradiktorisches Verfahren oderSche<strong>in</strong>veranstaltung? (28. 10. 75 bis 11.1. 77)1. Die BeweisaufnahmeIn den § 244 ff.StPO ist die Beweisaufnahme geregelt. Unterschiedenwird im Strafprozeßrecht zwischen e<strong>in</strong>em "Strengbeweisverfahren " unde<strong>in</strong>em "Freibeweisverfahren ,,1. Ersteres betrifftdie Beweisaufnahme vorGericht über den Sachverhalt, der <strong>in</strong> der Anklageschrift aufgeführt ist,etwa der Bereich der Täterschaft oder der Schuldzuweisuni. DieseForm der Beweisaufnahme ist durch die beiden <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dungstehenden Pr<strong>in</strong>zipien der Unmittelbarkeit und der mündlichen Verhandlunggekennzeichnet. Aus dem Pr<strong>in</strong>zip der Unmittelbarkeit folgt z. B.,daß grundsätzlich nicht gegen e<strong>in</strong>en abwesenden Angeklagten verhandeltwerden darf, und daß der Angeklagte se<strong>in</strong>erseits verpflichtet ist, ander gesamten Verhandlung teilzunehmen.Für den Richter ergeben sich aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatzfolgende Verpflichtungen: Erstens s<strong>in</strong>d alle angeführten Beweise selbstdurch direkte eigene s<strong>in</strong>nliche Wahrnehmung zur Kenntnis zu nehmenund festzustellen, zweitens hat er se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ungs- und Urteilsbildung soweitgehend wie möglich auf die Beweismittel zu stützen, die am unmittelbarstender Wahrheitsf<strong>in</strong>dung dienen können. So ist es grundsätzlichnicht gestattet, die Anhörung e<strong>in</strong>es Polizeibeamten <strong>in</strong> der mündlichenVerhandlung durch das Verlesen e<strong>in</strong>es von ihm zu e<strong>in</strong>em früherenZeitpunkt angefertigten Vernehmungsprotokolls zu ersetzen3. Andererseitswiderspricht es dem Pr<strong>in</strong>zip der Unmittelbarkeit nicht, e<strong>in</strong>en mittelbarenZeugen, den "Zeugen vom Hörensagen", als Beweismittel anzuerkennen,obwohl er nicht unmittelbarer Tatzeuge ist (etwa e<strong>in</strong> Polizeibeamter,der e<strong>in</strong>en nicht erreichbaren Tatzeugen irgendwann e<strong>in</strong>mal vernommenhat)4. Ebensowenig gilt, daß die Aussage e<strong>in</strong>es unmittelbarenZeugen unter allen Umständen Vorrang vor e<strong>in</strong>er mittelbaren Aussage(vom Hörensagen) genießt; so wird auch die Zeugenaussage jenesPolizeibeamten vom Gericht akzeptiert, der über e<strong>in</strong>e von ihm geführteVernehmung e<strong>in</strong>es Zeugen Bericht erstattet, dessen Personalien dieBehörden nicht bekanntgeben wollen, und der folglich vom Gerichtnicht gehört werden kann (Das giltvor allem für die verdeckt arbeitendenVertrauens-Leute der Polizei)5.Das Pr<strong>in</strong>zip der mündlichen Verhandlung be<strong>in</strong>haltet, daß ausschließlichder mündlich vor Gericht behandelte Prozeßstoff Grundlage desUrteils se<strong>in</strong> darf.Der Grundsatz der Unmittelbarkeit und das Pr<strong>in</strong>zip der mündlichen257•


..Verhandlung korrelieren mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung,wie er <strong>in</strong> § 261 StPO festgelegt ist. Demzufolge ist e<strong>in</strong> Richter nichtan bestimmte Beweisregeln gebunden, d.h. an gesetzliche Vorschriften,die festlegen, unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong> Tatbestand als bewiesengilt oder niche.Das sogenannte Freibeweisverfahren ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie für Verfahrensfragenvon Bedeutung. Die im vorigen Kapitel erörterten Probleme derVerfahrensvoraussetzungen, <strong>in</strong>sbesondere die Verhandlungsfähigkeitund das Recht auf <strong>Verteidigung</strong>, waren demzufolge auch im Freibeweisverfahrenabgehandelt worden. "Frei" ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhangjedoch nicht mit "beliebig" zu <strong>in</strong>terpretieren8. Auch hier hat das Gerichtse<strong>in</strong>e Aufklärungspflicht zu erfüllen; gemäß § 244 Abs. IIStPO ist es vonAmts wegen verpflichtet, im Interesse der Wahrheitsf<strong>in</strong>dung alle Tatsachenund Beweismittel, die für se<strong>in</strong>e Entscheidungen von Bedeutungs<strong>in</strong>d, genau zu untersuchen. Die permanenten Angriffeder <strong>Verteidigung</strong>während der im vorigen Kapitel behandelten Prozeßphase richteten sichprimär gegen die von ihr dargelegten Verstöße gegen diese richterlicheAufklärungspflicht und prozessuale Fürsorgepflicht ("Die Pflicht,Verfahrensmängelzu heilen, gehört ebenfalls zur Fürsorgepflicht. .. ,,9).E<strong>in</strong>er der wesentlichen Unterschiede zwischen dem niederländischenund dem westdeutschen Beweisrecht besteht <strong>in</strong> der Konkretisierung desPr<strong>in</strong>zips der Unmittelbarkeit gemäß § 250 StPO:"Beruht der Beweis e<strong>in</strong>er Tatsache auf der Wahrnehmung e<strong>in</strong>er Person, soist diese <strong>in</strong> der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nichtdurch Verlesung des über e<strong>in</strong>e frühere Vernehmung aufgenommenen Protokollsoder e<strong>in</strong>er schriftlichen Erklärung ersetzt werden".Nach niederländischem Strafprozeßrecht istdem Pr<strong>in</strong>zip der Unmittelbarkeitim allgeme<strong>in</strong>en dann Genüge getan, wenn alles, was zur Beweisführungdient, während der Hauptverhandlung <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreteniseo. Das bedeutet z. B., daß als ausreichend betrachtet wird, wennVernehmungsprotokolle von ErmittJungsbeamten vor Gericht verlesenwerden oder deren Inhalt mitgeteilt wird (e<strong>in</strong> solches Vernehmungsprotokollkann sogar als ausschließliches Beweismittel dienen)l1. Nachwestdeutschem Strafrecht (§ 250 StPO) ist dies jedoch ausdrücklichuntersagt (e<strong>in</strong>ige Ausnahmeregelungen enthält § 251 StPO). Zeugenund Sachverständige, die bereits vor der Hauptverhandlung Aussagenoder Erklärungen zu Protokoll gegeben haben, oder ErmittJungsbeamte,die ihre für e<strong>in</strong>e Beweisführung relevanten Ergebnisse (etwa beschlagnahmteGegenstände oder andere "stille Zeugen") <strong>in</strong> entsprechendenErmittJungsprotokollen aufgenommen haben, müssen dazu grundsätzlichvor Gericht gehört werden. Hier liegt e<strong>in</strong>er der Gründe, warum<strong>Strafsachen</strong>, die <strong>in</strong> den Niederlanden <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Stunde vom Gerichtabgehandelt werden (was für die überwiegende Zahl aller <strong>Strafsachen</strong>gilt),<strong>in</strong> der BRD mehrere Stunden, Tage oder Wochen <strong>in</strong> Anspruch258nehmen können. E<strong>in</strong> weiterer Grund für die unterschiedliche Länge vonStrafverfahren ist auf das niederländische "Opportunitätspr<strong>in</strong>zip" zurückzuführen,während die Strafverfolgungs<strong>in</strong>stanzen <strong>in</strong> der BRD dem"Legalitätspr<strong>in</strong>zip" verpflichtet s<strong>in</strong>d. Die Befugtheit der niederländischenStaatsanwaltschaft, nach dem Opportunitätspr<strong>in</strong>zip "aus Gründen desAllgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teresses"12 von e<strong>in</strong>er Strafverfolgung abzusehen, hat häufigzur Folge, daß Angeklagte nur wegen e<strong>in</strong>er oder e<strong>in</strong>iger weniger Straftatenverfolgt werden, obwohl es der Staatsanwaltschaft möglich wäre,e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Straftatbeständen <strong>in</strong> die Anklage aufzunehmen.Demgegenüber ist die westdeutsche Staatsanwaltschaft gemäß demLegalitätspr<strong>in</strong>zip grundsätzlich verpflichtet, die Strafverfolgung wegenaller verfolgbaren strafbaren Handlungen (mit Ausnahme von sogenanntenOrdnungswidrigkeiten, also leichten Gesetzesübertretungen)aufzunehmen, wenn begründete Anhaltspunkte vorliegen13.Obwohl im Lauf der Jahre zahlreiche Ausnahmeregelungen gesetzlichfixiert wurden (teilweise gebunden an e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>verständnis der gerichtlichenInstanz, die den betreffenden Straftatbestand gegebenenfalls zubeurteilen hat14),ist das Legalitätspr<strong>in</strong>zip für Verbrechen noch so gut wieune<strong>in</strong>geschränkt gültig. "Verbrechen" s<strong>in</strong>d strafbare Handlungen, diemit e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>deststrafe von m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em Jahr geahndet werden15,wie z. B. Mord, Totschlag, Sprengstoffdelikte, Erpressung, Me<strong>in</strong>eid.Dennoch lassen sich auch h<strong>in</strong>sichtlich dieser Delikte Ausnahmeregelungenfür die Anwendung des Legalitätspr<strong>in</strong>zips nennen. Die wichtigstenRegelungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den §§ 154 und 154a StPO zu f<strong>in</strong>den. Danach istdie Staatsanwaltschaft berechtigt, von weiterer Strafverfolgung abzusehenund sogar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en laufenden Prozeß mit dem Antrag e<strong>in</strong>zugreifen,das Verfahren e<strong>in</strong>zustellen oder nur noch e<strong>in</strong>en Teil der Anklage zuverfolgen, wenn der Angeklagte für e<strong>in</strong>e andere Straftat oder für denverbleibenden Teil der Anklage e<strong>in</strong>e so hohe Strafe erhalten oder zuerwarte hat, daß das zu erwartende Strafmaß für das nicht mehr weiterzu verfolgende Delikt "nicht <strong>in</strong>s Gewicht fällt". Nach dieser positivrechtlichenBetrachtung wird es nicht mehr weiter verwundern, daß der<strong>Stammheim</strong>er Prozeß <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagten im wesentlichender Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen gewidmet war.Die BAW hatte <strong>in</strong> der Anklageschrift rund 1.000 Zeugen und 100Sachverständige als Beweismittel aufgeführt; der größte Teilder Zeugenwaren Polizeibeamte. Im Prozeß wurden gut 300 Polizisten auch tatsächlichgehört. Alle<strong>in</strong>zum Vorgang der Verhaftung der Angeklagten mußten60 Zeugen und Sachverständige befragt werden; hauptsächlich g<strong>in</strong>g esum Baader, Raspe und Enssl<strong>in</strong>, denen versuchter Totschlag bei derFestnahme zur Last gelegt wurde. Zu den Sprengstoffanschlägen auf dieamerikanischen Hauptquartiere <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg wurden 70Zeugen gehört, zu den Anschlägen auf Polizeigebäude <strong>in</strong> Augsburg undMünchen 50 Zeugen und zum Anschlag auf das Hochhaus des Spr<strong>in</strong>ger-259


..Verlags <strong>in</strong> Hamburg 40 Zeugen. Im Juli 1976 war die Anhörung der vonder BAWaufgeführten Zeugen und Sachverständigen so gut wie abgeschlossen.Zu den im vorigen Kapitel (Abschnitt 2.2.) aufgezählten Straftaten: Banküberfälleund E<strong>in</strong>brüche <strong>in</strong> E<strong>in</strong>wohnermeldeämter wurden ke<strong>in</strong>e Zeugen vernommen.Die BAW hatte Mitte Mai 1976 von der ihr nach §§ 154 und 154aStPO zustehenden Befugnis Gebrauch gemacht und das Gericht ersucht, vone<strong>in</strong>er weiteren Strafverfolgung dieser Delikte abzusehen16. Daß das Gerichtdiesem Antrag stattgeben würde, ließ sich Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs unmittelbarer Reaktionauf die AntragsteIlung entnehmen: "Es ist e<strong>in</strong> sehr bedeutsamer Antrag, der fürdie Gestaltung des weiteren Verfahrens entscheidend an Bedeutung gew<strong>in</strong>nenkann"17. Das Gericht konnte damit e<strong>in</strong>en umfangreichen Teil lästiger Beweisaufnahmeersparen. Noch am selben Tag entschied das Gericht denn auch, dieBeweisaufnahme vorläufig auf die schon verhandelten Teile der Anklage:Widerstand bei der Festnahme, Sprengstoffanschläge und krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igungzu beschränken18 Def<strong>in</strong>itiven Charakter erhielt dieser Beschluß jedocherst mit dem Urteil, das den <strong>Stammheim</strong>er Prozeß abschloß.Ende Juli 1976 begann die Vernehmung der von der <strong>Verteidigung</strong>benannten Zeugen, soweit das Gericht den Anträgen, diese Zeugen zuladen, entsprochen hatte. Angehört wurden u. a. 15 Gefangene aus derRAFund der Bewegung 2. Juni, 15 Polizeibeamte (die zum Teilschon alsZeugen gehört worden waren), acht Journalisten, e<strong>in</strong>ige hohe Justizbeamteund mehrere Rechtsanwälte.Formell war die Beweisaufnahme am 28.9.76 abgeschlossen; anschließendplädierte die BAW.Unmittelbar danach mußte die Beweisaufnahmeaufgrund neuer Beweisanträge der <strong>Verteidigung</strong> wieder eröffnetwerden19. Sie sollte noch bis zum Frühjahr 1977 dauern. Angesichtsbestimmter Entwicklungen und Ereignisse <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb desProzesses, auf die <strong>in</strong> diesem und im nächsten Kapitel noch e<strong>in</strong>gegangenwird, sah sich die <strong>Verteidigung</strong> außerstande, ihrerseits Plädoyers zuhalten.Die Urteilsverkündung fand am 28.4.77 statt.In diesem Kapitel soll der Prozeßveriauf bis MitteJanuar 1977 verfolgtwerden. Wegen der übersichtlichkeit habe ich den Prozeßstoff <strong>in</strong> Abschnitteunterteilt, die die Beiträge der Prozeßbeteiligten - Bundesanwaltschaft,<strong>Verteidigung</strong>, Angeklagte - näher beleuchten. Den jeweiligenEntscheidungen des Gerichts ist ke<strong>in</strong> gesonderter Abschnitt zugeteilt, sief<strong>in</strong>den sich im laufenden Text. Der vorgenommene E<strong>in</strong>schnitt MitteJanuar 1977 war notwendig, weil danach Tatsachen ans Licht kamen,die von unmittelbarer Bedeutung für den Prozeß waren, wie etwa dasAbhören von Gesprächen zwischen Verteidigern und Angeklagten im<strong>Stammheim</strong>er Gefängnis.In den beiden nun folgenden Abschnitten wird noch e<strong>in</strong>mal kurz aufdie Auswirkungen der im vorangegangenen Kapitel behandelten Phasedes Prozesses e<strong>in</strong>gegangen.2601.2. Antrag auf HaftverschonungDie Stellung dieses Antrags läßt sich als" vorläufig letztes Zucken" der<strong>Verteidigung</strong> zum Thema Haftbed<strong>in</strong>gungen bezeichnen. Zwei Monatenach Vorlage der mediz<strong>in</strong>ischen Gutachten Mitte September 1975 warendie Haftbed<strong>in</strong>gungen durch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Verfügung vom 28.11.75"abschließend geregelt" worden. Diese Regelung bedeutete <strong>in</strong> der Praxise<strong>in</strong>e Verschlechterung gegenüber den früheren Bed<strong>in</strong>gungen. Deshalbwurde am 10. 12. 75 im Namen von Baader und Enssl<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Antragauf Haftverschonung, also Freilassung, gestellfo. Die rechtliche Basis fürdiesen Antrag enthält § 116 StPO (LV.m.§ 126 Abs. 11), demzufolge e<strong>in</strong>Richter befugt ist, die Vollstreckung der Untersuchungshaft auszusetzen,fallsdie Haftziele wie Verh<strong>in</strong>derung von Flucht oder Verdunklungsgefahrauch mit weniger e<strong>in</strong>schneidenden Mitteln, z. B. durch regelmäßigesMelden bei der örtlichen Polizeidienststelle, zu erreichen s<strong>in</strong>d. In derjuristischen Fachliteratur wird § 116 StPO als auf die Haftsituation bezogeneAusprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeitbetrachtef1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist alsausschlaggebendes Kriterium für die Anordnung und Dauer der Untersuchungshaftanzusehen, welches das - so das Bundesverfassungsgericht- Spannungsverhältnis zwischen den Artikeln2 und 104 GG (Rechtauf Leben und Freiheit, Verbot der physischen und psychischen Mißhandlung<strong>in</strong>haftierter Menschen) e<strong>in</strong>erseits und der Notwendigkeit bzw.den Erfordernissen e<strong>in</strong>er effektiven Strafverfolgung andererseits deutlichausdrückfz.Im vorliegenden Fall argumentierte die <strong>Verteidigung</strong> wie folgt: E<strong>in</strong>eFortsetzung der Inhaftierung unter den gegebenen Bed<strong>in</strong>gungen könnenur zu e<strong>in</strong>er weiteren Verschlechterung der gesundheitlichen Verfassungder Angeklagten führen und - <strong>in</strong> absehbarer Zeit - sogar zu e<strong>in</strong>erabsoluten Zerstörung der Vitalsubstanz. Dies verstoße gegen denGrundsatz der Verhältnismäßigkeit.Zur Untermauerung der Behauptung berief sich die <strong>Verteidigung</strong> nichtnur erneut auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Erforschung von sozialerund sensorischer Deprivation, sondern auch auf die mediz<strong>in</strong>ischenSachverständigen, die sich dazu e<strong>in</strong>deutig geäußert hatten. Zusätzlichhatte Prof. Rasch noch am 7.11.75 Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g schriftlich mitgeteilt:"Schwer vorstellbar dürfte allerd<strong>in</strong>gs se<strong>in</strong>, die bei den Angeklagten bestehendenIsolationsfolgen therapeutisch anzugehen, ohne die jetzigenHaftbed<strong>in</strong>gungen grundlegend zu ändern"z3. Weiter hatte Rasch angedeutet,daß - sollte e<strong>in</strong>e Integration <strong>in</strong> den Normalvollzug aus Sicherheitsüberlegungennicht <strong>in</strong> Betracht kommen - an die Bildung e<strong>in</strong>erGruppe aus zehn bis 14 Personen gedacht werden müßte, um denm<strong>in</strong>imalsten Anforderungen sozialer Interaktion gerecht werden zu kön-261


nen und damit die notwendigsten Voraussetzungen zu erfüllen, um e<strong>in</strong>eweitere Verschlechterung der gesundheitlichen Verfassung zu verh<strong>in</strong>dern.Am 16. 12. 75 lehnte das Gericht den Antrag ohne Umschweife ab24.Fluchtgefahr sei <strong>in</strong> erheblichem Maße gegeben, und die Gefährlichkeitder Angeklagten erfordere darauf abgestimmte Haftbed<strong>in</strong>gungen. NurHaftunfähigkeif5 könne zu e<strong>in</strong>er Entlassung aus der Untersuchungshaftführen; sie sei von den Sachverständigen jedoch nicht festgestellt worden.Obwohl für die Entscheidung nicht relevant, g<strong>in</strong>g das Gerichtanschließend nochmals auf die Haftbed<strong>in</strong>gungen selbst e<strong>in</strong>. Es hob die"besonderen Privilegien" der Angeklagten erneut ausdrücklich hervor:ihnen sei unter Aufsicht täglich e<strong>in</strong>ige Stunden Umschluß im Gefängnisflurgestattet worden, obwohl <strong>in</strong> der Regel sowohl der Mittäterschaftverdächtigte als auch weibliche und männliche Häftl<strong>in</strong>ge streng getrenntgehalten würden. Außerdem sei man Raschs Empfehlung entgegengekommen,da man den Angeklagten geme<strong>in</strong>samen Hofgang mit e<strong>in</strong>erbegrenzten Zahl von Mitgefangenen gestattet habe. Die Angeklagtenwürden sich jedoch weigern, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.Das Gericht beendete se<strong>in</strong>e Ausführungen mit der Feststellung:"Er (der Senat - BS) kann den Angeklagten ärztliche und sonstige besserndeBehandlung nicht aufnötigen, er kann die Angeklagten nicht e<strong>in</strong>mal h<strong>in</strong>dern,bewußt gesundheitsschädigende Schritte zu unternehmen. Der Senatkann nur hoffen, daß die Angeklagten und ihre Verteidiger aus der selbstschädigenden,ja selbstzerstörerischen Wirkung von vergangenen Hungerstreiksdie richtigen Folgerungen gezogen haben und davon absehen, aus der ,Krankheite<strong>in</strong>e Waffe machen' zu wollen".Die <strong>in</strong> diesem Beschluß enthaltene Botschaft war mehr als e<strong>in</strong>deutigund wurde von der Presse dementsprechend weitergetragen26: DasGericht tat, was es konnte, um e<strong>in</strong>e Besserung der gesundheitlichenVerfassung der Angeklagten zu ermöglichen, es konnte nur hoffen, daßdie Angeklagten und ihre Verteidiger (!) e<strong>in</strong>er solchen Besserung nichtlänger mutwillig entgegenwirken würden.Die Reaktion der <strong>Verteidigung</strong> bestand im E<strong>in</strong>reichen des 29. Ablehnungsantragswegen Besorgnis der Befangenheit des Gerichts27. DieVore<strong>in</strong>genommenheit des Gerichts gehe aus den <strong>in</strong> diesem Beschlußangeführten Begründungen unmißverständlich hervor. Auf die weitereArgumentation der <strong>Verteidigung</strong> soll hier nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Punkt e<strong>in</strong>gegangenwerden: der angeblichen Weigerung der Angeklagten, am geme<strong>in</strong>samenHofgang mit anderen Gefangenen teilzunehmen. Dieses Angebotsei, so die <strong>Verteidigung</strong>, zum<strong>in</strong>dest für die weiblichen Angeklagten alsvölligutopisch zu bezeichnen, weil die Mitgefangenen sich weigerten, diemit dem Hofgang verbundenen Begleitmaßnahmen, z. B. völliges Entkleidenund pe<strong>in</strong>liche körperliche Durchsuchungen vor und nach demHofgang, zu akzeptieren. Was die männlichen Gefangenen betreffe, so262habe die Anstaltsleitung vorgehabt, den Hofgang auf drei bis vier ausgewählteMitgefangene zu beschränken.Hauptanlaß für den Ablehnungsantrag war jedoch die Formulierungder oben zitierten Schlußpassage des Gerichtsentscheids: Sie enthaltedie Unterstellung, die Angeklagten hätten die Verschlechterung ihrergesundheitlichen Verfassung bewußt herbeigeführt, und die Hungerstreiksseien für den schlechten Gesundheitszustand der Angeklagtenverantwortlich. In den mediz<strong>in</strong>ischen Gutachten ließen sich dafür ke<strong>in</strong>eAnhaltspunkte f<strong>in</strong>den, das Gegenteil sei der Fall.Der Ablehnungsantrag wurde e<strong>in</strong>stimmig als unzulässig zurückgewiesen,mit der sattsam bekannten Begründung, er diene lediglich derProzeßverschleppun~8. Auf die von der <strong>Verteidigung</strong> vorgebrachtenArgumente g<strong>in</strong>g das Gericht <strong>in</strong>haltlich nicht weiter e<strong>in</strong>; zu der beanstandetenSchlußpassage teilte es nur mit, sie sei im Zusammenhang mit den"sachlich völlig unbegründeten Ausführungen der Verteidiger, die Haftbed<strong>in</strong>gungenführten zum Tod der Gefangenen", zustandegekommen.Anläßlich dieses Gerichtsbeschlusses g<strong>in</strong>g Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g noch e<strong>in</strong>mal kurzauf die Haftbed<strong>in</strong>gungen der Angeklagten e<strong>in</strong>. Die Anstaltsleitung habeihm mitgeteilt, daß von e<strong>in</strong>er Beschränkung auf drei bis vier Mitgefangenenicht die Rede se<strong>in</strong> könne, sie habe den Angeklagten lediglich mitgeteilt,daß sie sich auf e<strong>in</strong>e bestimmte Zahl von Mitgefangenen nichtfestlegen könne, und daß es eben manchmal dann auch drei bis vier se<strong>in</strong>könnten. Auf den Hofgang der weiblichen Angeklagten g<strong>in</strong>g Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gnicht e<strong>in</strong>; im übrigen könnten sich die Angeklagten im Rahmen derUntersuchungshaftvollzugsordnung beschweren.1.3. Die weitere Beh<strong>in</strong>derung und Zerschlagung der <strong>Verteidigung</strong>Ebenfalls im Herbst 1975 fielen e<strong>in</strong>ige gerichtliche Entscheidungen,die die ohneh<strong>in</strong> kaum noch funktionsfähige <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> Stamm heimweiter e<strong>in</strong>schränkten und den restlichen Verteidigern Heldmann undSchily deutlich machten, daß auch ihrer Teilnahme jederzeit vom Gerichte<strong>in</strong> Ende gesetzt werden könnte. Die Rechtsanwält<strong>in</strong> Marie LouiseBecker blieb <strong>in</strong>zwischen wegen Krankheit weitgehend verh<strong>in</strong>dert, undauch Rechtsanwalt Helmut Riedel schien dem <strong>in</strong> Stamm heim herrschendenProzeßklima nicht mehr gewachsen zu se<strong>in</strong>. Beide ließen sichregelmäßig von anderen Rechtsanwälten oder Referendaren vertreten29.Wie schon im vorigen Kapitel (Abschnitt 4.2.) ausgeführt, hatte dasGericht noch vor dem Beschluß vom 30.9.75 über die Ausschließungder Angeklagten mittels Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Prozeßführung verh<strong>in</strong>dert, daß diemediz<strong>in</strong>ischen Sachverständigen vor Gericht gehört und ihre Gutachtenerörtert werden konnten. Auch nach der Bekanntgabe des Beschlusses263


über die Ausschließung der Angeklagten war das nicht möglich gewesen,da die Sitzung unmittelbar danach, <strong>in</strong> Erwartung e<strong>in</strong>er Entscheidung desBGH über die vom Gericht zu Recht erwartete Beschwerde der <strong>Verteidigung</strong>gegen die Ausschlüsse, vertagt worden war. Nach der bestätigendenEntscheidung des BGH vom 22. 10. 75 wurde die Sitzung am28. 10. 75 wieder eröffnet. Die <strong>Verteidigung</strong> beabsichtigte, an diesemTag die Prozeßleitung, die Ausschließungsbeschlüsse und das Ausbleibenjeglicher Veränderungen der Haftbed<strong>in</strong>gungen ungeachtet derSachverständigenempfehlungen mittels e<strong>in</strong>es Ablehnungsantrags gegenalle am Prozeß teilnehmenden Richter ausführlich zu thematisieren. Zurpersonellen Verstärkung war beschlossen worden, weitere Rechtsanwälteh<strong>in</strong>zuzuziehen. Die Anwälte Henn<strong>in</strong>g Spangen berg und Arm<strong>in</strong> Golzem,die bis dah<strong>in</strong> <strong>in</strong> Prozessen gegen andere Gefangene aus der RAFverteidigten, hatten <strong>in</strong> Absprache mit ihren Mandanten ihre Verteidigeraufträgebeendet und sich als Wahlverteidiger von Raspe und Me<strong>in</strong>hofgemeldet, ebenso Ra<strong>in</strong>er Köncke, der zugleich Wahlverteidiger vonUlrike Me<strong>in</strong>hof war, aber bisher <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> noch nicht aufgetretenwar. Wie bereits erwähnt (Kapitel VI, Abschnitt 4.2.), verlief die wiedereröffneteSitzung ausgesprochen tumultartig, da Verteidigern und Angeklagtenwährend der Verlesung des Ablehnungsantrags e<strong>in</strong>em nach demanderen das Wort entzogen wurde. Tags darauf, am 4. 11. 75, erhielt die<strong>Verteidigung</strong> die Rechnung dafür: aufgrund von § 146 StPO wurde denRechtsanwälten Golzem, Spangen berg und Köncke verboten, weiter amProzeß als Verteidiger teilzunehmen. Die faktische Ausschließung derdrei Anwälte basierte auf folgender Auslegung des § 146 StPO: Aus demVerbot der Mehrfachverteidigung bzw. der ihm zugrunde liegendenAbsicht der Vermeidung von Interessenkollisionen folge, daß das Verbotnicht nur für die <strong>Verteidigung</strong> von mehreren Angeklagten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emProzeß gelte, sondern auch für die <strong>Verteidigung</strong> von mehreren Angeklagten,die <strong>in</strong> verschiedenen Prozessen wegen desselben Tatsachenkomplexesvor Gericht stehen. Die mit diesem Verbot verfolgte Absichtwerde unterlaufen, würde man e<strong>in</strong>e durch Mandatwechsel entstehendeSukzessiwerteidigung zugestehen. Aus mehreren Gründen wurde dieseAuslegung von den Verteidigern für unrichtig erachtet. Erstens sei <strong>in</strong> derfür § 146 StPO geltenden übergangsregelung ausdrücklich von e<strong>in</strong>emVerteidiger mehrerer Angeklagter "<strong>in</strong> dem selben Verfahren" die Rede;halte man sich also streng an den Gesetzestext, so könne man unmöglichzu der vom Gericht gehandhabten Auslegung kommen3o. Zweitens müsse§ 146 als verfahrensmäßige Bestimmung, die sowohl den Angeklagtenals auch den Verteidiger erheblich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Grundrechten beschneide,auf jeden Fall restriktiv ausgelegt werden; die vom OLG gefundeneInterpretation jedoch sei ganz e<strong>in</strong>deutig (zweckbestimmt-)extensiv.Wie schon erwähnfI, ließ das BVerfG auch diese Entscheidung desOLG unangetastet, so daß § 146 StPO bzw. dessen gerichtliche Anwen-264dung und Auslegung zu e<strong>in</strong>em der Haupth<strong>in</strong>dernisse e<strong>in</strong>er adäquaten<strong>Verteidigung</strong> von Angeklagten wurde, die wegen § 129 StGB vor Gerichtstehen.Vielleicht ist die nachweislich zweckgerichtete Weise, mit der dieseWaffe gegen die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> e<strong>in</strong>gesetzt wurde, noch<strong>in</strong>teressanter als die juristische Begründung. So war Rechtsanwalt Könkkeimmerh<strong>in</strong> bereits vor Prozeßbeg<strong>in</strong>n im Mai 1975 als Wahlverteidigervon Me<strong>in</strong>hof zugelassen worden; von der Anwendung des § 146 StPOwurde er jedoch erst dann betroffen, als er am 28. 10. 75 zum erstenmalals Verteidiger im Prozeß auftrat. Zudem hatten BAW und Gericht erstnach Ablauf e<strong>in</strong>es ganzen Verhandlungstages, an dem sich vor allemSpangen berg und Golzem zu Wort gemeldet hatten, zu dieser Waffegegriffen, obwohl alle Prozeßbeteiligten über die Mandatsverhältnisseder Rechtsanwälte genau unterrichtet gewesen waren. Schließlich wärees dem Gericht e<strong>in</strong> leichtes gewesen, auch Schily aus den gleichenGründen h<strong>in</strong>auszuweisen. Immerh<strong>in</strong> hatte er jahrelang Ingrid Schubertverteidigt, e<strong>in</strong>e Gefangene aus der RAF, die teilweise der gleichen Straftatbeständewie Schilys Mandant<strong>in</strong> Enssl<strong>in</strong> angeklagt war. Als Schily dasGericht darauf aufmerksam machte und gleichzeitigwissen wollte, woraner nun sei, wurde ihm mitgeteilt, daß dies noch näherer Betrachtungbedürfe. Zu erwarten war jedoch, daß das Gericht nichts gegen Schilyunternehmen werde; nicht nur <strong>in</strong> l<strong>in</strong>ksliberalen Kreisen haftete ihm dasImage des <strong>in</strong>tegren Anwalts an; e<strong>in</strong>e Ausschließung aufgrund von § 146StPO würde allgeme<strong>in</strong> Aufsehen erregen und Zweifelan der Legitimitätder Prozeßführung nur noch steigern. Schließlich kannte das Gerichtu. a. aus beschlagnahmten Zellenrundbriefen die kritische Haltung derAngeklagten gegenüber Schily. E<strong>in</strong>e Beendigung von Schilys Teilnahmean der <strong>Verteidigung</strong> wegen Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten zwischen ihmund den Angeklagten war dem Gericht zweifelloslieber als e<strong>in</strong>e öffentlichnur schlecht zu verkaufende Ausschließung. DieAusschaltung Schilyszudiesem Zeitpunkt wäre auch deshalb äußerst problematisch gewesen,weil das Gericht durch Beschluß vom 4. 11. 75 nicht nur den RechtsanwältenKöncke, Golzem und Spangenberg die weitere Teilnahme amProzeß untersagt hatte, sondern es hatte auch den von Anfang an amVerfahren teilnehmenden Verteidiger Raspes, Rupert von Plottnitz,durch die Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung faktisch ausgeschaltet.Die <strong>Verteidigung</strong> war damit auf Schily und Heldmann reduziert!Me<strong>in</strong>hof und Raspe standen ohne e<strong>in</strong>en auch nur e<strong>in</strong>igermaßen e<strong>in</strong>gearbeitetenVerteidiger da. Am 14. 11.75 verkündete das Gericht die Entscheidung,Schily könne bleiben; e<strong>in</strong>e (nicht veröffentlichte) Entscheidung,die damit begründet wurde, daß der Prozeß gegen Ingrid Schubertbereits <strong>in</strong> der Revisionsphase sei. E<strong>in</strong>e "Kollisionsgefahr", der durch§ 146 StPO begegnet werden solle, sei damit weniger schwer zu bewertenals das Interesse Enssl<strong>in</strong>s an e<strong>in</strong>er weiteren <strong>Verteidigung</strong> durch265


Schily. Der unmittelbare Anlaß für die faktische Ausschließung vonPlottnitz, lag ebenfalls im tumultartigen Ablauf der Sitzung am 28. 10. 75.Von Plottnitz hatte den Ablehnungsantrag gegen das komplette Gerichtwegen Befangenheit e<strong>in</strong>gebracht. Diese Befangenheit wurde mit drei <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung stehenden Sachverhalten begründet: 1. der seit der Vorlageder Sachverständigengutachten konsequent verfolgten Strategie, jeglicheDiskussion über diese Gutachten <strong>in</strong> der Verhandlung zu verh<strong>in</strong>dern;2. der Begründung des Ausschließungsbeschlusses vom 30.9.75; 3. dentrotz gegenteiliger Empfehlungen der Sachverständigen unverändert gebliebenenHaftbed<strong>in</strong>gungen.Schon nach wenigen M<strong>in</strong>uten unterbrach Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g von Plottnitz undbat ihn, deutlich zu machen, wor<strong>in</strong> die Unverzüglichkeit des Ablehnungsantragsbestehe32. § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO zufolge muß e<strong>in</strong>e eventuelleAblehnung "unverzüglich geltend gemacht werden", d.h. e<strong>in</strong> entsprechenderAntrag muß unmittelbar nach Bekanntwerden bestimmter Tatsachenund/oder Umstände, auf denen der Antrag basiert, e<strong>in</strong>gereichtwerden. Streng genommen traf dies nur auf den dritten Themenkomplex,die aktuellen Haftbed<strong>in</strong>gungen, zu. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g bestritt zwar nicht, daßim Rahmen e<strong>in</strong>es unverzüglichen Ablehnungsantrags auch weiter zurückliegendeGeschehnisse, die mit aktuellen Gegebenheiten im Zusammenhangstehen, angeführt werden können, war jedoch mit der Antwortvon Plottnitz', die Unverzüglichkeit werde aus dem Zusammenhangnoch deutlich, nicht zufrieden und bestand darauf, daß der Anwalt dendritten Themenkomplex zuerst behandele. Diese Forderung bezeichnetendie Verteidiger als unzulässige <strong>in</strong>haltliche E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> die Angelegenheitender <strong>Verteidigung</strong>, als Zensur. Auch konnten sie auf die entsprechendestrafprozeßrechtliche Regelung der Ablehnung wegen Besorgnisder Befangenheit verweisen, die dem Richter alle<strong>in</strong> die Möglichkeitbietet, e<strong>in</strong>en verspäteten Ablehnungsantrag als unzulässig zurückzuweisen(§ 26a Abs. 1 StPO); e<strong>in</strong>e Beurteilung, die jedoch erst dannmöglich ist, wenn der Antrag als Ganzes vorgetragen ist. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g beriefsich jedoch auf verme<strong>in</strong>tlich andersartige Befugnisse, die sich aus se<strong>in</strong>emAuftrag der Verhandlungsleitung ergäben.Der hier relevante § 238 Abs. 1 StPO, der die Verhandlungsleitungregelt, lautet:266"Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und dieAufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden".Bei Löwe-Rosenberg ist folgender Kommentar dazu zu lesen: "Er (derVorsitzende - BS) erteilt das Wort, und er ist befugt, die Sprechenden zuunterbrechen, um unzulässige Äußerungen, Weitschweifigkeitenund nutzloseWiederholungen abzumahnen. Er soll die Beteiligten - <strong>in</strong>sbesondere denAngeklagten - nach Möglichkeit ausreden lassen und se<strong>in</strong>e Befugnisse, ihreAusführungen e<strong>in</strong>zuschränken, nur mit Zurückhaltung ausüben. Bei Mißbrauchkann er e<strong>in</strong>stweilen das Wort entziehen (BGHSt 3.368). Dies giltauchgegenüber dem Staatsanwalt, dem das Gesetz <strong>in</strong>soweit ke<strong>in</strong>e Sonderstellunge<strong>in</strong>räumt (... ). Auf die Dauer darf er das Wort allerd<strong>in</strong>gs nicht verweigern, daer nicht das Recht der Beteiligten, Beweisanträge zu stellen, beh<strong>in</strong>dern und<strong>in</strong>sbesondere auch nicht die <strong>Verteidigung</strong>smöglichkeiten des Angeklagtenverkürzen darf"33.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g war nun der Me<strong>in</strong>ung, daß von Plottnitz e<strong>in</strong> Mißbrauch desRederechts vorzuwerfen sei, so lange die Unverzüglichkeit des Ablehnungsantragsnicht an hand des dritten Tatsachenkomplexes aufgezeigtwerde. Die sich ergebende Diskussion wurde immer hitziger, wozu dieBAW noch mit der Bitte, von Plottnitz das Wort zu entziehen, beitrug34.Nachdem die Verteidiger trotz entsprechender Verwarnungen und Abschaltenihrer Mikrofone nicht zum Schweigen zu bewegen waren, sondernnachdrücklich weiter lautstark dagegen protestierten, daß die <strong>Verteidigung</strong>auf unzulässige Art und Weise <strong>in</strong> ihren Rechten e<strong>in</strong>geschränktwerde, konnte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g es nicht unterlassen, noch e<strong>in</strong>en extra Schuß 01<strong>in</strong>s Feuer zu gießen, <strong>in</strong>dem er drohte, die Verteidiger wegen ihresVerhaltens mit e<strong>in</strong>er Anzeige wegen versuchter Nötigung (§ 240 StGB IHöchststrafe drei Jahre) <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Strafvereitelung (§ 258 StGBI Höchststrafe fünf Jahre) zu überziehen35.Nachdem von Plottnitz unbeirrt und ungeachtet der Tatsache, daßPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g ihm formell das Wort entzogen hatte, mit der Verlesung se<strong>in</strong>esAblehnungsantrags fortfuhr, beendete und vertagte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die Sitzung.Diesem plötzlichen Abbruch der Verhandlung hatte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g noch dieBitte an die BAW vorangehen lassen, doch dazu Stellung zu nehmen,"ob Herrn Rechtsanwalt von Plottnitz weiterh<strong>in</strong> das Pflichtmandat erhaltenwerden kann"36. Es ist nicht e<strong>in</strong>fach, e<strong>in</strong>en eskalierenden Prozeß soause<strong>in</strong>anderzunehmen und zu analysieren, daß verständlich wird, wann,warum und durch wen die Verhandlung außer Kontrolle geriet. Me<strong>in</strong>esErachtens lassen sich drei Ebenen unterscheiden: e<strong>in</strong>e politische, e<strong>in</strong>ejuristische und e<strong>in</strong>e psychologische. Auf der psychologischen Ebenebietet sich vordergründig e<strong>in</strong>e Interpretation der Konfrontation von Gerichtund BAW e<strong>in</strong>erseits und <strong>Verteidigung</strong> andererseits als e<strong>in</strong>e ArtPrestigekampf an, weil die auf der psychologischen "Mikroebene" stattf<strong>in</strong>dendeKonfrontation von den Bed<strong>in</strong>gungen der politischen "Makroebene"nicht zu lösen ist. übertragen auf den <strong>Stammheim</strong>er Prozeß heißtdas: Wie weit lassen die politischen Verhältnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Staat Raum füre<strong>in</strong>e Thematisierung von Folter an politischen Gefangenen? Das durchdiese beiden Ebenen psychologisch und politisch gekennzeichneteSpannungsfeld entlädt sich im Rahmen des gerichtlichen Geschehensnotwendigerweise auf der juristischen, strafprozeßlichen Ebene. Welchejuristischen Argumente s<strong>in</strong>d entscheidend, und ist verfahrensmäßig h<strong>in</strong>reichendSpielraum gegeben, um diese Argumente <strong>in</strong>haltlich abwägenzu können? Auf dieser Verfahrensebene ist der als befangen abgelehnteRichter jedoch gleichzeitig Teil der Justiz, die für die Folter mitverantwort-267


lich gemacht wird, die aber als "unparteiisches Rechtsprechungsorgan"die von den Prozeßbeteiligten vorgebrachten unterschiedlichen Argumenteabwägen muß.Diese an sich schon äußerst problematische Situation läßt sichjedochnicht losgelöst von dem bisherigen Prozeßveriauf betrachten. So gut wiealle Anträge der <strong>Verteidigung</strong> waren bisjetzt abgelehnt worden; die BAWhatte immer wieder betont, daß die Anträge nicht wirklich der <strong>Verteidigung</strong>,sondern "bloßer Agitation", der "Prozeßverschleppung" und der"Prozeßsabotage" dienten. Diese Abqualifizierungen tauchten regelmäßig<strong>in</strong> den Beschlüssen des Gerichts wieder auf, und zwar vor allem dann,wenn es um Ablehnungsanträge wegen Besorgnis der Befangenheit g<strong>in</strong>g.Nach diesen Erfahrungen konnte die <strong>Verteidigung</strong> fast sicher se<strong>in</strong>, daßweiteren Anträgen, wie begründet sie auch immer se<strong>in</strong> würden, dasgleiche Schicksal beschieden se<strong>in</strong> würde, was allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong> Grund se<strong>in</strong>konnte, darauf zu verzichten. Die Funktion der Anträge lag nicht <strong>in</strong> ersterL<strong>in</strong>ie dar<strong>in</strong>, tatsächlich den Prozeßverlauf zubee<strong>in</strong>flussen (obwohl das diemeisten der Verteidiger, im Gegensatz zu ihren Mandanten, noch bis <strong>in</strong>sJahr 1977 h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> mehr oder weniger zu glauben schienen), sondern <strong>in</strong> derE<strong>in</strong>wirkung auf die Öffentlichkeit, wenigstens deren kritischen Teil.Angesichtsder Tatsache, daß es nach dem Gesetz auch zulässig ist, Ablehnungsanträgeaußerhalb der öffentlichen Verhandlung schriftlichbei derGeschäftsstelle des betreffenden Gerichts e<strong>in</strong>zureichen (§ 26Abs. 1Satz 2StPO), war Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Verhandlung am 28. 10. 75 zum<strong>in</strong>dest formalmit se<strong>in</strong>er Behauptung im Recht, der erst jetzt gestellte Ablehnungsantragwegen der Begründung des Ausschließungsbeschlusses vom 31. 9.75 se<strong>in</strong>icht unverzüglich e<strong>in</strong>gereicht worden und se<strong>in</strong> nunmehriges Vorbr<strong>in</strong>geneventuell als Rechtsrnißbrauch zu bewerten37. Der Kreis war damitgeschlossen: Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g hatte verh<strong>in</strong>dert, daß sowohl die mediz<strong>in</strong>ischenGutachten als auch der Ausschließungsbeschluß <strong>in</strong> der öffentlichenVerhandlung zur Sprache gebracht werden konnten, und er hatte dieVerteidiger damit auf den nichtöffentlichen Beschwerdeweg verwiesen,obwohl es der <strong>Verteidigung</strong> darauf ankam, den <strong>in</strong>haltlichen Angriffgegenden Ausschließungsbeschluß <strong>in</strong> der Verhandlung zu führen. Etwa e<strong>in</strong>eWoche nach der tumultartigen Sitzung, am 7. 11. 75, wurde von PlottnitzalsVerteidigervon Raspe entpflichtet. De facto konnte diese Entpflichtungals Ausschließung betrachtet werden, da von Plottnitz ke<strong>in</strong>e staatlicheVergütung für se<strong>in</strong>e Verteidigertätigkeit mehr erhalten würde; nur sehrwenige Rechtsanwälte können siche<strong>in</strong>e Gratistätigkeitan m<strong>in</strong>destens dreiWochentagen über e<strong>in</strong>e lange Prozeßdauer leisten.Bei der Analyse dieser die <strong>Verteidigung</strong> immer weiter e<strong>in</strong>schränkendenEntscheidung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gsistes s<strong>in</strong>nvoll, zwischen der rechtlichen Grundlagedes Entscheidungsbeschlusses als se<strong>in</strong>em äußeren Rahmen und denTatsachen, sozusagen der Füllung, zu unterscheiden ..Der äußere Rahmen ist vor allem deshalb von Interesse, weil das268westdeutsche Recht nur wenige Gründe für die Entpflichtung e<strong>in</strong>esVerteidigers nennt. Die Materie ist <strong>in</strong> den §§ 140 Abs. 3, 143 und 145Abs. 1 StPO, die alle Bezug nehmen auf die sogenannte notwendigeVerteidigunt8, geregelt, im vorliegenden Fallistjedoch nur § 145 Abs. 1relevant:"Wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Falle, <strong>in</strong> dem die <strong>Verteidigung</strong> notwendig ist, der Verteidiger<strong>in</strong> der Hauptverhandlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder sich weigert,die <strong>Verteidigung</strong> zu führen, so hat der Vorsitzende dem Angeklagten sogleiche<strong>in</strong>en anderen Verteidiger zu bestellen (. .. )".Diese Bestimmung ist e<strong>in</strong>deutig als Vorsorgemaßnahme zur Sicherungder <strong>Verteidigung</strong> für Fälle gedacht, <strong>in</strong> denen bei notwendiger<strong>Verteidigung</strong> der zum Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt dem Gerichtssaalfernbleibt; Löwe-Rosenberg betont nachdrücklich, daßschlechtes Benehmen seitens e<strong>in</strong>es Verteidigers nur mit Vertagung derSitzung beantwortet werden kann (<strong>in</strong> Erwartung diszipl<strong>in</strong>arischer Maßnahmen,vor allem e<strong>in</strong>es möglichen Berufsverbots) sowie mit der Möglichkeit,dem betreffenden Rechtsanwalt die dadurch entstehenden Kostenzu berechnen39.Von Plottnitz' Entpflichtung konnte von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g also rechtlich kaumuntermauert werden. Dennoch war die Situation nicht hoffnungslos:Immerh<strong>in</strong> ließ sich <strong>in</strong> der Rechtsprechung bereits e<strong>in</strong> von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g <strong>in</strong>itiierterPräzedenzfall f<strong>in</strong>den. Am 3.2.75 hatte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die Bestellung dergewählten Rechtsanwälte Croissant, Groenewold und Ströbele zuPflichtverteidigern widerrufen, da "nicht auszuschließen ist, daß sie vonden Bestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern betroffenwerden können"40. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Entpflichtungenals zulässig abgesegnet, da <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situation der ordnungsgemäßeVerfahrensablauf nicht mehr gewährleistet sei, was dochals e<strong>in</strong>e der Hauptaufgaben des Pflichtverteidigers anzusehen sei41.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gnahm den selbstgesponnenen Faden wieder auf, er spann ihn sogarweiter, <strong>in</strong>dem er im Falle von Rechtsanwalt von Plottnitz behauptete,jeder Umstand, der e<strong>in</strong>em ordnungsgemäßen Verfahrensablauf ernsthaftentgegenstehe, könne für die Entpflichtung e<strong>in</strong>es Verteidigers <strong>in</strong>Betracht kommen42.Die Liste der für die Entpflichtung von Plottnitz, maßgeblichen Umständeim obigen S<strong>in</strong>ne umfaßte <strong>in</strong>sgesamt zehn Seiten. Die erstenbeiden Punkte enthielten den Vorwurf, von Plottnitz habe die Verhandlungzweimal eigenmächtig verlassen. Es handelte sich um den geschildertenAuszug aller Anwälte, weil sie der Me<strong>in</strong>ung waren, ihre Mandantenseien nicht mehr <strong>in</strong> der Lage, der Verhandlung zu folgen. Der nächstePunkt betraf von Plottnitz' Auftreten auf der tumultartigen Sitzung vom28.10.75. Als gesonderter Punkt wurde der Zwischenruf "Heil Dr.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g" aufgeführt, den von Plottnitz nach Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Verlesung derBegründung für den Beschluß zur Ausschließung der Angeklagten ge-269


macht hatte. Des weiteren wurden noch drei Verhandlungstage genannt,an denen von Plottnitz den Verfahrensablauf gestört habe, <strong>in</strong> dem erohne vorige Zustimmung das Wort ergriffen bzw. andere Redner unterbrochenhabe. Abschließend folgten elf Zitate, denen zu entnehmen sei,daß es von Plottnitz "nicht auf e<strong>in</strong>e sachgerechte und sachliche <strong>Verteidigung</strong>,sondern auf Beh<strong>in</strong>derung der Verhandlung, dazuh<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>e mitVerunglimpfungen, Verdächtigungen und haltlosen Unterstellungen betriebenepropagandistisch-agitatorische Rolle im Verfahren ankommt.Vieles spricht dafür, daß er hiermit der Forderung der Angeklagten nach,politischer <strong>Verteidigung</strong>' folgt".Die meisten der vom Gericht aufgeführten Zitate waren Begründungenund Erläuterungen entnommen, die sich auf <strong>Verteidigung</strong>santrägebezogen, die von Plottnitz vorgetragen hatte. Bei den meisten Zitatenließ sich der direkte Zusammenhang, <strong>in</strong> dem sie abgegeben wordenwaren, nicht erkennen. Nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fallwurde die gesamte Antragsbegründungzitiert; es handelte sich um den Antrag auf Verlegung derVerhandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> normales Gerichtsgebäude. Hier e<strong>in</strong> repräsentativerAusschnitt:"S<strong>in</strong>nfälliger Ausdruck des Rechtsstaatspr<strong>in</strong>zips und der Unabhängigkeit derrechtsprechenden Gewalt sollte se<strong>in</strong>, daß Strafprozesse nicht <strong>in</strong> Gefängnissen,Kasernen oder Polizeihauptquartieren stattf<strong>in</strong>den. Ist wie <strong>in</strong> diesem Verfahrendas Gegenteil der Fall, so kann von e<strong>in</strong>em Strafprozeß nicht gesprochenwerden (. .. ). Die Antwort auf die Frage, warum dieses Novum gerade <strong>in</strong>diesem Verfahren zutage tritt, ist weniger <strong>in</strong> den Gesetzen der BRD zu suchenals <strong>in</strong> dem politischen Widerspruch, der diesem Verfahren zugrunde liegt. DieAntwort verbirgt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Satz aus der Anklageschrift vom 26.9.1974,nämlich dort, wo es im Anklagesatz auf Seite 15 heißt: ,Diese Gruppe setztesich zum Ziel, die gesellschaftlichen Verhältnisse <strong>in</strong> der BundesrepublikDeutschland nach dem Vorbild der südamerikanischen Stadtguerillas mit allenMitteln, <strong>in</strong>sbesondere durch Gewaltmaßnahmen zu bekämpfen'.Dieser Satz macht deutlich, was se<strong>in</strong>e Unsche<strong>in</strong>barkeit eigentlich verschleiernsoll: daß nämlich der gesamte Charakter dieses Verfahrens zentral bestimmtwird von dem Vorwurf, daß sich die Angeklagten im Zusammenhangmit den ihnen zur Last gelegten Aktionen von e<strong>in</strong>er bestimmten politischenüberzeugung leiten ließen, der überzeugung nämlich, daß "die gesellschaftlichenVerhältnisse <strong>in</strong> der BRD" nicht - wie es offizieller Lesart entspricht ­gerecht, rechtsstaatlich und demokratisch s<strong>in</strong>d, sondern daß diese Verhältnisseals von Kapitalismus und Imperialismus beherrschte und bestimmte pr<strong>in</strong>zipiellungerecht und deshalb zu bekämpfen s<strong>in</strong>d. Es ist alle<strong>in</strong> dieser Aspekt, derdiesem Verfahren den Ausdruck e<strong>in</strong>er exekutiven Staatsaktion statt e<strong>in</strong>esrealen Strafprozesses gibt. Es ist dieser Aspekt, der dazu führt, daß diesesVerfahren <strong>in</strong> Wahrheit nicht juristisch, sondern politisch und militärisch entschiedenwird".Sogar der Versuch, e<strong>in</strong>en Satz aus der Anklageschrift politisch e<strong>in</strong>zuordnenund zu <strong>in</strong>terpretieren, wurde herangezogen, um von Plottnitzbegründet entpflichten zu können.270Im folgenden noch drei TextsteIlen zur Veranschaulichung der vomGericht gegen von Plottnitz angeführten Zitate:"Die abgelehnten Richter wußten, daß sie ihr Ziel, die Gefangenen aus derHauptverhandlung zu elim<strong>in</strong>ieren, sie als verteidigungsfähige Objekte auszuschalten,mit dem Inhalt der schriftlichen Sachverständigengutachten ebensowenigbegründen konnten, wie mit dem Wortlaut des § 231a StPO. Gleich zuBeg<strong>in</strong>n der Begründung dieses Beschlusses vom 30.9.1975 lösen Sie diesesProblem mit e<strong>in</strong>er Verdrehung der Tatsachen - man könnte auch sagen: mite<strong>in</strong>er Lüge" (TN-S. 3186)."Und weil dem so ist, proklamieren die abgelehnten Richter mit diesenbeiden Sätzen für sich und damit für die gesamten Staatsorgane der BRD dasRecht auf Körperverletzung, man kann auch sagen, das Recht auf Foltergegenüber Gefangenen, die als Folge des Verdachts, e<strong>in</strong>e revolutionäre Veränderungder bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse für notwendig zuhalten und der gegenwärtigen Legalität der BRD die Anerkennung zu versagen,als besonderes Sicherheitsrisiko e<strong>in</strong>gestuft werden. Folter ist jede Behandlung,die bewußt <strong>in</strong> die physische oder psychische Gesundheit vonGefangenen e<strong>in</strong>greift" (TN-S. 3188)."In diesem Zusammenhang muß von e<strong>in</strong>er Kriegserklärung der abgelehntenRichter den Gefangenen gegenüber gesprochen werden. Jedoch gäbe esfür den Fall des Krieges immerh<strong>in</strong> die Genfer Konvention, deren Vorschriftendie Gefangenen vor dem zu schützen hätte, was dem Beschluß der abgelehntenRichter zufolge rechtens se<strong>in</strong> soll:die vorsätzliche Zerstörung ihrer Gesundheit.Die abgelehnten Richter haben die Gefangenen für rechtlos erklärt. Daß dieRichter des BGH diese Rechtloserklärung nicht nur bestätigt, sondern sogarnoch <strong>in</strong>s Zentrum der Beschwerdeentscheidung vom 22.10.1975 gestellthaben, entlastet nicht die abgelehnten Richter, sondern belastet vielmehr diepolitische Justiz der BRD <strong>in</strong>sgesamt" (TN-S. 3189).Die Art, wie und mit welchen Argumenten von Plottnitz vom Gerichtausgeschaltet wurde, istvor allem deshalb von Bedeutung, weil auch dierestlichen Vertrauensanwälte jederzeit genau so auszuschalten waren.So gut wie alle beanstandeten Verhaltensweisen galten auch für dieübrigen Verteidiger, die sich <strong>in</strong>sgesamt der Antragsbegründung angeschlossenhatten, und auch aus ihren Anträgen waren m<strong>in</strong>destensebensoviele vergleichbare Zitate herauszufiltern. Die Entpflichtung unddamit faktische Ausschließung von Plottnitz, war e<strong>in</strong>e so offensichtlicheWillkürhandlung, daß sie von den übrigen Verteidigern nur als unverblümterH<strong>in</strong>weis des Gerichts, auch sie säßen auf e<strong>in</strong>em "Schleudersitz"und könnten jederzeit abgeschossen werden (wie Schily dies formulierte),begriffen werden konnte. Die Tatsache, daß die Anwesenheit dieserVerteidiger weiterh<strong>in</strong> toleriert wurde, läßt sich nur aus politischen Opportunitätserwägungenheraus begreifen und erklären. Es sollte jedoch <strong>in</strong>dieser ersten Novemberwoche 1975 nicht alle<strong>in</strong> bei der Ausschaltungder Rechtsanwälte Golzem, Spangen berg, Köncke und von Plottnitzbleiben. Auch der Referendar Dr. Gerd Temm<strong>in</strong>g, der die erkrankte271


••Rechtsanwält<strong>in</strong> Becker, Vertrauensanwält<strong>in</strong> von Enssl<strong>in</strong>, vertrat, wurdevom Gericht des Platzes verwiesen. Die Art, <strong>in</strong> der das geschah, istvielleicht das beste Beispiel für die permanenten Versuche des Gerichts,den Verteidigern e<strong>in</strong>en Maulkorb umzuhängen.Gemäß der Verfügung des Präsidenten des Landgerichts Stuttgartvom 4. 11. 75, mit der die Vertreterbestellung Temm<strong>in</strong>gs für Rechtsanwält<strong>in</strong>Becker aufgehoben wurde43, hatte Temm<strong>in</strong>g sich auf der zumEklat führenden Sitzung vom 28. 10. 75 e<strong>in</strong>es für e<strong>in</strong>en Rechtsanwaltunwürdigen Verhaltens schuldig gemacht. Dieses Verhalten bestandausschließlich <strong>in</strong> Temm<strong>in</strong>gs Wortwahl und wurde <strong>in</strong> der Verfügungzusammengefaßt:"Wie sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll dieses Tages ergibt, hatReferendar Dr. Temm<strong>in</strong>g bei der Begründung e<strong>in</strong>es gegen sämtliche Richterdes erkennenden Senats gerichteten Ablehnungsgesuchs u. a. folgendes ausgeführt:Die Gefangenen könnten von diesem Senat und diesen Richternnichts mehr erwarten, außer langfristigihren Tod; der äußerste und extremsteNotfall (der <strong>in</strong> jedem Fall e<strong>in</strong>en Ablehnungsantrag rechtfertige) sei dann gegeben,wenn die Gefangenen zu Tode gebracht würden; man müsse versuchen,die Richter, die sich bisher daran beteiligt hätten, wegzukriegen, das sei dieFunktion des Ablehnungsantrags (vgl. Hauptverhandlungsprotokoll S. 3250,3258,3259)".Gemäß der Bundesrechtsanwaltsordnung ist die Zulassung zur Anwaltschaftu. a. demjenigen zu untersagen, der "sich e<strong>in</strong>es Verhaltensschuldig gemacht hat, das ihn unwürdig ersche<strong>in</strong>en läßt, den Beruf e<strong>in</strong>esRechtsanwalts auszuüben"(§ 7 Abs. 5 BRAO).Die Zurücknahme der Bestellung Temm<strong>in</strong>gs war mit dieser Bestimmungbegründet worden, angepaßt jedoch an se<strong>in</strong>en Status als Referendar(Jurist <strong>in</strong> der nachuniversitären Ausbildung). Trotzdem wurde Temm<strong>in</strong>gwenig später als selbständiger Rechtsanwalt zugelassen. Als er sichdaraufh<strong>in</strong> im März 1976 als Verteidiger von Ulrike Me<strong>in</strong>hof legitimierte,wurde ihm die Ausübung des Mandats aufgrund von § 146 StPO wegense<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>maligen Auftretens als gerichtlich bestellter Vertreter der Anwält<strong>in</strong>Becker (Enssl<strong>in</strong>-Verteidiger<strong>in</strong>) verwehrt44. Schon <strong>in</strong> der Sitzungvom 28. 10. 75 hatte die BAW § 146 StPO gegen Temm<strong>in</strong>gs Auftretenals Verteidiger von Enssl<strong>in</strong> angeführt, weil er schon früher als Vertretervon Rechtsanwalt Riedel für Me<strong>in</strong>hof aufgetreten war. Damals hatte dasGericht den Antrag der Bundesanwaltschaft als unbegründet zurückgewiesen:§ 146 StPO könne <strong>in</strong> diesem Fall "nachfolgender (sukzessiver)<strong>Verteidigung</strong>" nicht angewandt werden, da e<strong>in</strong> Vertreter nicht als selbständigerRechtsanwalt auftrete. Folgt man dieser Argumentation, sohätte Temm<strong>in</strong>g, nunmehr zugelassen, als selbständiger Verteidiger fürMe<strong>in</strong>hof zugelassen werden müssen, da er für Enssl<strong>in</strong> schließlich nur alsVertreter e<strong>in</strong>es anderen Verteidigers (Rechtsanwält<strong>in</strong> Becker) aufgetretenwar. Die vom Gericht bestätigte Kehrtwendung erfolgte unter Beru-272fung auf neue Entscheidungen des BGH und des BVerfG über dieAuslegung des § 146 StPO. Abgesehen davon, daß diese Entscheidungendie Zurückweisung Temm<strong>in</strong>gs nicht rechtfertigen konnten, kommentiertedie <strong>Verteidigung</strong> diesen "Trick mit Langzeitwirkung"45 <strong>in</strong> ihrem43. Ablehnungsantrag gegen sämtliche Richter u. a. wie folgt:"Entweder: Die abgelehnten Richter ließen Temm<strong>in</strong>g als Vertreter von RA<strong>in</strong>Becker damals zur <strong>Verteidigung</strong> von Gudrun Enssl<strong>in</strong> zu, damit sie ihn jetzt alsRechtsanwalt gänzlich aus dem Verfahren katapultieren können; oder: Dieabgelehnten Richter widersetzten sich damals den Interessen der Bundesanwaltschaft,Temm<strong>in</strong>g von der <strong>Verteidigung</strong> femzuhalten, solange er Referendarwar, geben jetzt aber der Bundesanwaltschaft nach, nachdem Temm<strong>in</strong>gRechtsanwalt geworden ist und die zusätzlichen Repressionsmittel, die gegenüberTemm<strong>in</strong>g als Referendar ausgeübt wurden, nicht mehr zur Verfügungstehen.Entweder waren also die abgelehnten Richter schon damals weitsichtiger alsdie Bundesanwaltschaft, oder aber ihre Vorstellung, Temm<strong>in</strong>g werde <strong>in</strong> diesemVerfahren, wenn er als Referendar sich exponiere, also sich Bundesanwaltschaftund Gericht nicht unterwerfe, gar nicht erst Rechtsanwalt werden,hat sich als falsch erwiesen, so daß die abgelehnten Richter jetzt die Interessender Bundesanwaltschaft direkt und offensichtlich sich zu eigen machen"46.Es war deutlich zu merken, daß Verteidiger und Angeklagte diesmalvon dem negativen Beschluß des Gerichts überrascht wurden, da sieangesichts der Entscheidung vom 28. 10. 75 ke<strong>in</strong>en Grund sahen, an derZulassung Temm<strong>in</strong>gs zum Verteidiger von Me<strong>in</strong>hof zu zweifeln. In se<strong>in</strong>erBeschlußbegründung war das Gericht bereits antizipierend auf diesenOberraschungseffekt e<strong>in</strong>gegangen, <strong>in</strong>dem es mitteilte, daß aufgrund dervorherigen positiven Entscheidung ke<strong>in</strong>eswegs davon auszugehen gewesensei, daß bei e<strong>in</strong>em späteren Auftreten Temm<strong>in</strong>gs als Verteidigerdie früheren e<strong>in</strong>ander folgenden Vertretungen als nicht geschehen betrachtetwerden könnten, "dies umso mehr, als die Bundesanwaltschaftzuvor e<strong>in</strong>e der damaligen Entscheidung des Senats entgegengesetzteRechtsauffassung äußerte"47.Im Grunde genommen kam <strong>in</strong> dieser Formulierung des Gerichtsgenau das zum Ausdruck, wogegen sich die meisten Ablehnungsanträgerichteten: die Beflissenheit des Gerichts, sich letztlich immer an denWünschen und Anweisungen der BAWauszurichten, mochten die Argumenteder <strong>Verteidigung</strong> noch so richtig und zw<strong>in</strong>gend se<strong>in</strong>.2. Die Arbeitsweise der BundesanwaltschaftWie <strong>in</strong> Kapitel II1Abschnitt 3.1 bereits geschildert, betrachtete dieBAW den Prozeß gegen "Baader u. a." als exemplarischen Prozeß, <strong>in</strong>dem sich "Baader u. a." - der "harte Kern" der RAF - als Gründer und"Rädelsführer e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung" auch für die wichtigsten273


Aktionen der RAF, die Bombenanschläge vom Mai 1972 auf die amerikanischenKommandozentralen <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg zu verantwortenhatten. E<strong>in</strong>e Äußerung des damaligen GeneralbundesanwaltsSiegfried Buback umreißt die Vorgehensweise der BAW:"Wirmußten <strong>in</strong> diesemVerfahrene<strong>in</strong>en größeren SachverhaltzurAnklagestellen,weiles sichja um dieführendenLeutedieserBaader-Me<strong>in</strong>hof-Bandehandelte.Manmußte alsovorGerichte<strong>in</strong>enrepräsentativenQuerschnittihresTunsund Hande<strong>in</strong>sausbreiten"48.Die Offenherzigkeit, die der höchste Ankläger der BRD hier an denTag legt, ist aufschlußreich. Aufgrund des <strong>in</strong> der BRD geltenden Legalitätspr<strong>in</strong>zips49hätte Buback eigentlich nur sagen dürfen, daß sich e<strong>in</strong>eStrafverfolgung gegen "Baader u. a. " wegen der angeklagten Straftatenals notwendig erwiesen habe, da die vorangegangenen polizeilichenErmittlungen h<strong>in</strong>reichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdachtergeben hätten, die Angeklagten seien der Täterschaft oder Teilnahmean den Bombenanschlägen vom Mai 1972 schuldig. Das konnte Bubackaber nicht sagen, weil es für e<strong>in</strong>e konkrete persönliche Beteiligung derAngeklagten, was <strong>in</strong>zwischen allgeme<strong>in</strong> bekannt war, ke<strong>in</strong>e beweisbarenkrim<strong>in</strong>alistischen Anhaltspunkte gab. Die Angeklagten hatten, wie andereGefangene aus der RAF, bis dah<strong>in</strong> jede Aussage verweigert. Aussagenvon Tatzeugen gab es, der Anklage zufolge, ebensowenig wie "stummeZeugen" (etwa Urkunden und zum Tatnachweis geeignete Tatspuren).Nach dem Legalitätspr<strong>in</strong>zip hätte der GBA eigentlich nur sagen können,daß er nicht weniger anklagen konnte, als er dies getan hatte. Er erklärtejedoch, daß er "e<strong>in</strong>en größeren Sachverhalt" habe anklagen müssen, daes sich "um die führenden Leute dieser Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande handelt".Somit beruhte die Notwendigkeit ("wir mußten"), e<strong>in</strong>en größerenSachverhalt anzuklagen, nicht auf vorhandenen konkreten Ermittlungsergebnissenzu Lasten der Angeklagten, sondern alle<strong>in</strong> auf der Vermutung,es handele sich bei den Angeklagten um RAF-Kader. Obwohl dieseVorgehensweise der BAW, re<strong>in</strong> formal gesehen, noch ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>deutigenBruch mit dem Legalitätspr<strong>in</strong>zip darstellt, so bleibt doch festzustellen,daß die Entscheidung, e<strong>in</strong>en "größeren Sachverhalt" aus den der RAFals Gruppe zugerechneten strafbaren Handlungen anzuklagen, im politischenSpannungsfeld zwischen Legalität und politischer Opportunitätaufgrund außerrechtlicher Erwägungen getroffen wurde.Es ist anzunehmen, daß die oben zitierte Äußerung des höchstenAnklägers der BRD <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit se<strong>in</strong>er Hauptaufgabe, der Verfolgungpolitischer <strong>Strafsachen</strong>, gesehen werden mußso.Nur wenn man sich diese politische Funktion des GBA vor Augen hält,wird verständlich, warum Buback sich hier offensichtlich vom Legalitätspr<strong>in</strong>zipentfernte und zwischen die sen Gefangenen und den angeklagtenStraftaten nicht e<strong>in</strong>e rechtliche, sondern vielmehr e<strong>in</strong>e unmittelbarpolitische Verb<strong>in</strong>dung herstellte: "Die führenden Leute dieser Baader-274Me<strong>in</strong>hof-Bande" mußten "vor Gericht e<strong>in</strong>es repräsentativen Querschnitts"des "Tuns und Hande<strong>in</strong>s" der illegalen Organisation RAFangeklagt werden, ohne daß es möglich wäre, die e<strong>in</strong>zelnen Tatvorwürfebestimmten Angeklagten zuzuordnen.Den Strafverfolgungsbehörden der BRD standen drei Alternativen fürdie Anklageerhebung zur Verfügung: Strafverfolgung wegen Hochverrats,alle<strong>in</strong> oder <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den zur Last gelegten Bombenanschlägen;Strafverfolgung wegen Bildung e<strong>in</strong>er "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung"und der <strong>in</strong> diesem Rahmen begangenen e<strong>in</strong>zelnen Straftaten oderStrafverfolgung ausschließlich wegen e<strong>in</strong>zelner Delikte.Wie schon erläutertSI, ist anzunehmen, daß folgende überlegungendie Entscheidung für die zweite Alternative der Anklage herbeigeführthaben: E<strong>in</strong>erseits das Bestreben, den mit der ersten Möglichkeitnotwendigerweiseverbundenen politischen Prozeß - Hochverrat ist das klassischepolitische Delikt - zu vermeiden, andererseits der Versuch, die mitder dritten Möglichkeit verbundenen beweistechnischen Probleme mitHilfe e<strong>in</strong>er Verfolgung wegen des Organisationsdelikts "krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung"zu überspielen, wobei man e<strong>in</strong>e außerprozessuale Vorverurteilung<strong>in</strong> der Öffentlichkeit nutzen könnte. Diese Interpretation wird vone<strong>in</strong>er weiteren auffallenden Gegebenheit bekräftigt: Die <strong>in</strong> der Anklageschriftvom Herbst 1974 aufgeführten Beweismittel beziehen sich <strong>in</strong>erster L<strong>in</strong>ie auf Sachverständigengutachten und Zeugenvernehmungsprotokolle,die aus dem ersten Jahr nach der Verhaftung der Angeklagtenstammen. Auch wenn man die vielen bürokratischen Formalitätenberücksichtigt, die mit der Vorbereitung e<strong>in</strong>es solchen Mammutprozessesverbunden s<strong>in</strong>d, so hätte die Hauptverhandlung dennoch spätestense<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre nach der Inhaftierung der Angeklagten beg<strong>in</strong>nen können.Die Frage, warum bis zur Eröffnung des Prozesses doppelt sovielZeit verg<strong>in</strong>g, sche<strong>in</strong>t mir mit dem H<strong>in</strong>weis auf die behauptete Notwendigkeitdes Baus e<strong>in</strong>es speziellen Sicherheitsbunkers nur unzureichend beantwortetzu se<strong>in</strong>. Andere überlegungen sche<strong>in</strong>en mir e<strong>in</strong>en höherenErklärungswert zu haben. Erstens: Die vorhandene Beweisnot nährte dieHoffnung, daß bei entsprechender Dauer e<strong>in</strong>er oder mehrere Gefangene"abspr<strong>in</strong>gen" und reden könnten. So antwortete GBA Buback <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em "Spiegel"-Interview noch im Februar 1976 auf die Frage nachden Gründen für die extrem lange Vorbereitungszeit: "Wir haben ebenmit den Ermittlungen Neuland betreten. Außerdem hatten wir mit Angeklagtenzu tun, die ke<strong>in</strong>erlei Erklärung zur Sache abgegeben haben"s2.Zweitens läßt sich vermuten, daß die verantwortlichen Behörden hofften,e<strong>in</strong>er der Beschuldigten werde unter den Bed<strong>in</strong>gungen der langjährigenUntersuchungshaft zusammenbrechen, was es erleichtern würde,die revolutionäre Praxis der RAF vor Gericht als aussichtslosen Wahns<strong>in</strong>nzu präsentieren. Und drittens kann vermutet werden, daß man Zeitgew<strong>in</strong>nen wollte, um <strong>in</strong> der Öffentlichkeit e<strong>in</strong>e Vorverurteilung der Ange-275


klagten zu erreichen. Da e<strong>in</strong>e überzeugende Antwort auf die Frage"Warum beg<strong>in</strong>nt der Prozeß erst drei Jahre nach der Inhaftierung?"ausblieb, sah sich die <strong>Verteidigung</strong> berechtigt, den <strong>in</strong> der Hauptverhandlungimmer wieder vorgebrachten Vorwurf der Prozeßverschleppungebenso regelmäßig mit der rhetorischen Frage nach den eigentlichenProzeßverschleppern zu beantworten.Tatsache ist, daß während des dritten Hungerstreiks Ende 1974 e<strong>in</strong>eHoffnung von BKA und BAW<strong>in</strong> Erfüllung gehen sollte: Der geme<strong>in</strong>sammit Ulrike Me<strong>in</strong>hof festgenommene Gerhard Müller beendete se<strong>in</strong>enHungerstreik, brach gleichzeitig mit der RAF und begann zu "s<strong>in</strong>gen".Obgleich Müllers Kronzeugen-Gesang nicht nur <strong>in</strong> den Ohren der Angeklagtenund Verteidiger ausgesprochen unmelodisch klang, mußtenMüllers Aussagen dazu herhalten, die Lücke <strong>in</strong> der Beweisführung derBAWauszufüllen. Ansonsten war der Anklageschrift deutlich zu entnehmen,daß die Beweisführung nahezu ausschließlich auf fragwürdigenIndizien beruhte: Ke<strong>in</strong>e unmittelbare Tatzeugen, die aussagen könnten,die Angeklagten bei der Ausführung der ihnen vorgeworfenen Straftatenbeobachtet zu haben (mit Ausnahme des bei der Festnahme geleistetenWiderstands), sondern nur <strong>in</strong>direkte Beweismittel. Dazu Kle<strong>in</strong>knecht:"Der Indizien- oder Anzeichenbeweis ist e<strong>in</strong> Beweis, bei dem von e<strong>in</strong>ermittelbar bedeutsamen Tatsache auf e<strong>in</strong>e unmittelbar entscheidungserheblicheTatsache geschlossen wird,,53.Nun ist es ke<strong>in</strong>eswegs so, daßder Indizienbeweis an sich weniger überzeugend ist als der direkte Beweis.So kann etwa der F<strong>in</strong>gerabdruck auf e<strong>in</strong>em am Ort des Verbrechenszurückgelassenen Auto <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Beweiskette durchaush<strong>in</strong>reichend se<strong>in</strong> für die Annahme der (Mit-)Täterschaft des Besitzers desbetreffenden Papillarmusters. Es giltjedoch, daß bei e<strong>in</strong>er solchen Beweisketteder Wert e<strong>in</strong>es Indizes für den Beweis vom schwächsten Gliedabhängig isf4. Daß auch GBA Buback sich noch im Februar 1976Sorgen über die Tauglichkeit dieser Beweisführung macht, läßt sich demerwähnten "Spiegel"-Interview entnehmen, <strong>in</strong> dem Buback sagt: "Ine<strong>in</strong>em so schwierigen Verfahren, wo wir fast nur auf Indizien angewiesens<strong>in</strong>d, kann es durchaus se<strong>in</strong>, daß sich das Bild,jedenfalls im Randgeschehen,tatsächlich mal verschiebt,,55.In diesem Kapitel wird der tatsächlichen Stärke oder Schwäche dere<strong>in</strong>zelnen Glieder - e<strong>in</strong>schließlich der direkten Beweismittel- <strong>in</strong> der vonder BAWvorgetragenen Kette der Beweismittel nicht weiter nachgegangen.Ebensowenig ist beabsichtigt, die Beweisführung der BAWsowiedie entsprechenden Gegenstrategien der <strong>Verteidigung</strong> erneut vorzutragen;ganz abgesehen davon, daß e<strong>in</strong> solches Unterfangen alle<strong>in</strong> wegendes Umfangs des Prozeßmaterials zum Scheitern verurteilt wäre. Demmit diesem Kapitel verfolgten Interesse ist Genüge getan, wenn es gel<strong>in</strong>gt,die Interaktionsprozesse zwischen den verschiedenen Verfahrensbeteiligtenan Hand der Beweisaufnahme zu verdeutlichen. Daß bei276e<strong>in</strong>er solchen Vorgehensweise auch die Frage nach der Stichhaltigkeite<strong>in</strong>iger Punkte der Beweisführung angeschnitten wird, ist nur naheliegend.Dem wird jedoch nur dann gründlicher nachgegangen, wenn diesfür die Frage, ob man bei diesem Prozeß von politischer Justiz sprechenkann, von Bedeutung ersche<strong>in</strong>t. All diese Fragen s<strong>in</strong>d grundsätzlichlosgelöst von der Frage, ob die Angeklagten die ihnen zur Last gelegtenStraftaten auch wirklich begangen haben.Zunächst werde ich mich auf die allgeme<strong>in</strong> als am wichtigsten geltendenTeile der Anklageschrift beschränken: die RAF als "krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung",die Rolle der Angeklagten <strong>in</strong> dieser "Vere<strong>in</strong>igung" und die vonihr verübten Bombenanschläge. Die Anschläge <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelbergbrachten den Angeklagten lebenslange Freiheitsstrafen e<strong>in</strong>. Womitnicht gesagt se<strong>in</strong> soll, daß etwa der den Angeklagten Baader, Raspe undEnssl<strong>in</strong> zur Last gelegte Mordversuch an Polizeibeamten durch be\\!affnetenWiderstand gegen ihre Festnahme ohne Bedeutung wäre. DiePraxis der BAWg<strong>in</strong>g jedenfalls seit 1977 oft dah<strong>in</strong>, sich bei der Strafverfolgungvon Mitgliedern der RAF mit e<strong>in</strong>er Anklage wegen bewaffnetenWiderstands bei der Festnahme zu begnügen. In der Regel bedeutete dase<strong>in</strong>e Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe; damit ersparte sich dieBAW die beweistechnisch schwierigen und politisch unliebsamen Prozesse,die sie wegen der 1977 durchgeführten Aktionen der RAF gegenBuback, Ponto und Schleyer zu gewärtigen hatte. Außerdem läßt sichdie Bedeutung des Anklagepunkts "Mordversuch an Polizeibeamten " anden für dieses E<strong>in</strong>zeldelikt <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> ausgesprochenen Strafenablesen: 20 Jahre für Baader, zehn Jahre für Raspe und sechs Jahre fürEnssl<strong>in</strong>56.Schließlich s<strong>in</strong>d auch Anmerkungen darüber, wie dieser Anklagepunkt<strong>in</strong> der Hauptverhandlung behandelt wurde, angebracht.So stellte sich schon nach wenigen Verhandlungstagen heraus, daßdie e<strong>in</strong>zelnen Polizeibeamten vor ihrem Zeugenauftritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em demBKA zur Verfügung gestellten Raum des Mehrzweckgebäudes empfangenwurden, um mittels E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> die Jahre zuvor von ihrenZeugenvernehmungen erstellten Protokolle ihr Gedächtnis aufzufrischen57.Sowohl das Gericht als auch die BAW erklärten, daß sie vondiesem "unglücklichen" (Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g) Verlauf der D<strong>in</strong>ge ke<strong>in</strong>e Kenntnisgehabt hätten.Trotz dieser "Auffrischungen" der Gedächtnisse stellte sich heraus,daß e<strong>in</strong>ige Polizeibeamte ganz neue, die Angeklagten <strong>in</strong> erheblichemMaße belastende Aussagen machten. So bezeugte etwa der bei BaadersFestnahme e<strong>in</strong>gesetzte Polizeibeamte Ste<strong>in</strong>, Baader habe damals auf ihngeschossen; dreie<strong>in</strong>halb Jahre zuvor hatte er, so das Vernehmungsprotokoll,nur gesagt: "Es sah so aus, als ob er schießen wolle". Den sowesentlichen Unterschied erklärte Ste<strong>in</strong> mit dem Versäumnis des ihnvernehmenden Ermittlungsbeamten, ihn damals danach zu fragen58.Auch die fünfstündige Zeugenbefragung des Frankfurter Polizeipräsi-277


denten Knut Müller über die Festnahme von Baader, Me<strong>in</strong>s und Raspewar aufschlußreich59. Bereits vor se<strong>in</strong>er Vernehmung war bekannt, daßdie Garage <strong>in</strong> Frankfurt, vor der die Festnahmen stattfanden, schon seitetwa e<strong>in</strong>er Woche unter Beobachtung gestanden und das BKA e<strong>in</strong>enpräzisen Schlachtplan für die beabsichtigte Festnahme unter Beteiligungvon mehreren Hundertschaften Polizei entwickelt hatte. Baader selbsthatte erklärt, daß er während der Belagerung der Garage <strong>in</strong> der Umgebungetwa 150 Polizisten habe <strong>in</strong> Deckung liegen sehen6o.Der Polizeipräsident bekundete nun als Zeuge, er sei nur als "Beobachter"am Schauplatz der Handlung gewesen und habe von e<strong>in</strong>emE<strong>in</strong>satzplan des BKA"nichts gewußt". Nur "zufällig" habe er neben demE<strong>in</strong>satzleiter gestanden, als der während des Belagerungszustands vone<strong>in</strong>em Scharfschützen um e<strong>in</strong> Gewehr mit Zielfernrohr gebeten wordensei. Der Schütze habe e<strong>in</strong>e Wohnung nur 75 bis 80 Meter von der Garageentfernt mit guter Sicht gefunden. Er, Knut Müller, habe dieses Gewehrbesorgen lassen und sei - noch immer als "Beobachter" - auf E<strong>in</strong>ladungdes Scharfschützen mit ihm <strong>in</strong> diese Wohnung gegangen. Zu diesemZeitpunkt sei schon bekannt gewesen, daß e<strong>in</strong>e der beiden Personen <strong>in</strong>der Garage Baader war. Baader wurde von jenem Scharfschützen mite<strong>in</strong>em Schuß <strong>in</strong> die Hüfte niedergestreckt.Wegen des gezielten Schusses, der tödlich hätte se<strong>in</strong> können, wennetwa die Schlagader <strong>in</strong> der Hüfte getroffen worden wäre, berief sich derSchütze später auf § 5 des <strong>in</strong> Hessen geltenden Gesetzes über dieAnwendung unmittelbaren Zwangs61:"Der Schußwaffengebrauch ist nur zulässig: 1. gegen Personen, die... b)sich der erfolgten oder der bevorstehenden Festnahme durch die Flucht zuentziehen versuchen oder e<strong>in</strong>er Aufforderung, Waffen oder andere gefährlicheWerkzeuge abzulegen, nicht Folge leisten, oder sich anschicken, sie ohneErlaubnis wiederaufzunehmen".Angesichts der Tatsache, daß es für Baader und Me<strong>in</strong>s objektiv absolutunmöglich gewesen wäre, aus der völlig umz<strong>in</strong>gelten Garage zuentfliehen, und daß den Aussagen des Schützen zufolge gleichzeitigfeststand, daß er auf Baader <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation geschossen hatte, <strong>in</strong> derdieser für niemanden e<strong>in</strong>e direkte Gefahr darstellte, meldete die <strong>Verteidigung</strong>erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses potentiell tödlichenSchusses an62.Vor Gericht sagte der Polizeipräsident als Zeuge dazu aus, er sei sicher,daß der Schütze mit se<strong>in</strong>er Waffeauf Baaders Hand gezielthabe, er habenämlich über die Schulter des Schützen h<strong>in</strong>weg den Vorgang beobachtet.Abgesehen davon, daß e<strong>in</strong>e solche Beobachtung bei e<strong>in</strong>em vone<strong>in</strong>er anderen Person angelegten Gewehr mit Zielfernrohr e<strong>in</strong>e ganzaußergewöhnliche Leistung wäre, hatte der Schütze ausgesagt, daß derPolizeipräsident zum Zeitpunkt des Schusses etwa e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb bis zweiMeter l<strong>in</strong>ks h<strong>in</strong>ter ihm gestanden habe63.2782.1. IndizienbeweisIn den folgenden Abschnitten sollen die wichtigsten der <strong>in</strong> der Hauptverhandlungbehandelten Indizien zu sechs Sprengstoffanschlägen wiedergegebenwerden. Daß es sich um die wichtigsten Indizien handelt,geht aus dem späteren Urteil hervor, <strong>in</strong> dessen Begründung sie aufgenommenund verarbeitet s<strong>in</strong>d64.2.1.1. "RAF-Zentrale" <strong>in</strong> FrankfurtMitte Juni 1972 wurde <strong>in</strong> der Inheidener Straße <strong>in</strong> Frankfurt e<strong>in</strong>esogenannte RAF-Wohnung entdeckt, die offensichtlich bis Mitte Maibenutzt worden war. In der Drei-Zimmer-Wohnung im vierten Stockfand die Polizei u. a. Material für die Herstellung von Bomben. VerschiedeneGegenstände trugen F<strong>in</strong>gerabdrücke von Me<strong>in</strong>hof, Enssl<strong>in</strong>, Raspe,Baader, Me<strong>in</strong>s und anderen RAF-Mitgliedern,unter ihnen auch GerhardMüller. Weiter wurden schriftliche Notizen gefunden, die, BKA-Graphologenzufolge, Me<strong>in</strong>hof, Enssl<strong>in</strong> und Müllerzuzuschreiben waren. Schlüsselfür die Wohnung trugen Me<strong>in</strong>hof und Enssl<strong>in</strong> bei ihren Festnahmenbei sich. Die Wohnung war mit Hilfe e<strong>in</strong>es Mittelsmannes, der <strong>in</strong> derHauptverhandlung aussagte, im Auftrag des RAF-Mitglieds ThomasWeißbecker im Januar 1972 gemietet worden. Weißbeckers F<strong>in</strong>gerabdruckentdeckte die Polizei auf dem Nummernschild des Volkswagens,der für den Anschlag auf das amerikanische Hauptquartier <strong>in</strong> Frankfurtbenutzt wurde. Die Schlußfolgerung aus diesen Tatsachen sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>deutigzu se<strong>in</strong>: Weißbecker war (Mit-)Täter des von der InheidenerStraße aus organisierten Anschlags auf das US-Headquarter. Wie ungeme<strong>in</strong>vorsichtig man aber mit solchen auf Indizien beruhenden Schlußfolgerungense<strong>in</strong> sollte, wird klar, wenn man weiß, daß Weißbeckerschon am 2. März <strong>in</strong> Augsburg von der Polizei erschossen worden war.Nachweisen ließ sich jedoch, daß die am 14.5.72 bei der DeutschenPresse Agentur (dpa) <strong>in</strong> München e<strong>in</strong>gegangene Erklärung des RAF­Kommandos "Petra Schelm" zum Anschlag <strong>in</strong> Frankfurt auf der Schreibmasch<strong>in</strong>evom Typ "Erika" geschrieben wurde, die <strong>in</strong> der WohnungInheidener Straße stand. Auch e<strong>in</strong> Entwurf der Erklärung des RAF­Kommandos "Thomas Weißbecker" zu den Anschlägen <strong>in</strong> Augsburgund München sowie die Abschrift e<strong>in</strong>er Erklärung des RAF-Kommandos"Manfred Grashof" zum Anschlag auf BGH-Richter Buddenberg <strong>in</strong>Karlsruhe trugen die <strong>in</strong>dividuellen Merkmale dieser Schreibmasch<strong>in</strong>e.Die beiden letzten Schreiben hatte man <strong>in</strong> zwei mit diversen Bombenund Granaten gefüllten Tasche unter e<strong>in</strong>er Brücke bei Bad Homburg,nicht weit von Frankfurt entfernt, gefunden. In der Tasche befanden sichauch zwei ebenfalls auf der "Erika" getippte Abschriften e<strong>in</strong>es Papiers279


zum Anschlag auf das Spr<strong>in</strong>gerhochhaus <strong>in</strong> Hamburg. Der an die Presseverschickte Text stammte jedoch von e<strong>in</strong>er nicht zu ermittelndenSchreibmasch<strong>in</strong>e. Unter den <strong>in</strong> Bad Homburg entdeckten Beweisstükkenwar noch e<strong>in</strong> von Me<strong>in</strong>hof mit Hand korrigierter Entwurf der Kommandoerklärungzum Augsburger Anschlag.Dem BKA war schon seit Ende Januar 1972 bekannt, daß die RAFe<strong>in</strong>e Schreibmasch<strong>in</strong>e vom Typ "Erika" benutzte. Am 24.1.72 war e<strong>in</strong>auf dieser Masch<strong>in</strong>e getippter, von Baader unterschriebener und mitse<strong>in</strong>em Daumenabdruck versehener Brief an die dpa <strong>in</strong> München geschicktworden. Baader hatte dar<strong>in</strong> Gerüchte, die von den Medienverbreitet wurden, dementiert: Weder er noch irgend e<strong>in</strong> anderer aus derRAF gedenke, sich der Polizei zu stellen; der Kampf habe gerade erstbegonnen.In der Wohnung Inheidener Straße stellte die Polizei noch zwei Teilevon Autokennzeichen sicher, das e<strong>in</strong>e ohne und das andere mit e<strong>in</strong>erPlakette der Geme<strong>in</strong>de Fürstenfeldbruck bei München. Das Stück ohnePlakette war ansche<strong>in</strong>end am 15.4.72 aus dem Kennzeichen e<strong>in</strong>es Autosdieser Geme<strong>in</strong>de herausgeschnitten worden, von dem daneben geparktenAuto waren ebenfalls Teile des Kennzeichens, jedoch mit Plakette,gestohlen worden. Der für den Bombenanschlag am 12.5.72 auf diePolizeihauptwache München benutzte Personenwagen trug zwei Wochenalte Kennzeichen des Landkreises Fürstenfeldbruck. Es handeltesich offensichtlich um sogenannte Doubletten, das heißt um Kennzeichen,die e<strong>in</strong>e bereits für e<strong>in</strong> anderes Kraftfahrzeug vergebene Buchstaben-Zahlen-Komb<strong>in</strong>ationtrugen. Obwohl nicht nachgewiesen werdenkonnte, daß die auf diesen Doubletten klebenden Plaketten von denherausgeschnittenen Kennzeichenteilen stammten, lag e<strong>in</strong>e solche Vermutungjedoch nahe. In e<strong>in</strong>er "RAF-Wohnung" <strong>in</strong> Stuttgart wurde imJuni 1972 e<strong>in</strong>e Blechschere gefunden, die nach Ansicht der BKA-Expertenzum Herausschneiden der <strong>in</strong> Frankfurt gefundenen Kennzeichenteilebenutzt worden war.In der Wohnung Inheidener Straße hatte die Polizei des weiteren e<strong>in</strong>eMagnetbombe gefunden, die genau so konstruiert zu se<strong>in</strong> schien, wie dieam 15.5.72 unter dem Auto des BGH-Richters Buddenberg explodierteBombe. An der <strong>in</strong> Frankfurt gefundenen Bombe hafteten drei Magnetfüßeund drei Magneteisen (Magnetfüße und -eisen werden im Handel alsTürfeststeller verkauft). Drei weitere gefundene Magneteisen ohne zugehörigeMagnetfüße führten zu dem Schluß, daß sie ursprünglich zu denMagneteisen an der Bombe gehörten, die unter dem Buddenberg-Autoexplodierte. Dort wären sie überflüssig gewesen, weil die Magnetfüßeder Bombe direkt an der metallenen Bodenplatte des Autos gehaftethätten. Dieser Schluß schien durch den Fund verschiedener Magnetsplitteram Ort der Explosion <strong>in</strong> Karlsruhe bekräftigt zu werden.Auch wurden Beweisstücke gefunden, die e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zum An-280schlag auf das Spr<strong>in</strong>gergebäude <strong>in</strong> Hamburg vom 19.5.72 nachzuweisenschienen. Es handelte sich u.a. um e<strong>in</strong> abgesägtes, zyl<strong>in</strong>derförmigesStück Plastik, das von Material und Form her e<strong>in</strong>em Stück Plastik entsprach,das für die Konstruktion e<strong>in</strong>er nicht explodierten Bombe <strong>in</strong>Hamburg benutzt worden war. Zwei leere Schachteln für elektrischeSchalter stimmten mit der Sorte e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> Hamburg benutzten und e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>Bad Homburg gefundenen Schalters übere<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> aus Spachtelmassemit e<strong>in</strong>gegossenen Zünddrähten bestehendes Formstück war baugleichmit der Abdeckung an e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Hamburg nicht detonierten Bombe.Die Verb<strong>in</strong>dung zwischen der Wohnung Inheidener Straße und demAnschlag vom 24.5.72 auf das US-Hauptquartier <strong>in</strong> Heidelberg schiene<strong>in</strong>deutiger zu se<strong>in</strong>. In der Wohnung befanden sich zwei Nummernschilder,die zu e<strong>in</strong>em Anfang Mai 1972 gestohlenen Auto gehörten, <strong>in</strong> demvor dem E<strong>in</strong>gang des Heidelberger Computerzentrums der US-Armye<strong>in</strong>e Bombe explodierte.In Frankfurt und Umgebung spürte die Polizei noch weitere "RAF­Wohnungen" sowie zwei "RAF-Garagen" auf. In e<strong>in</strong>er dieser Wohnungenfanden sich F<strong>in</strong>gerabdrücke von Enssl<strong>in</strong> und Müller; e<strong>in</strong>en zu dieserWohnung passenden Schlüssel trug Ulrike Me<strong>in</strong>hof bei der Festnahmebei sich.Bei und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dieser Garagen waren Raspe, Baader und Me<strong>in</strong>sfestgenommen worden. Dort lagerte Material zur Herstellung von Bomben.E<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser Garage gefundenes kle<strong>in</strong>es Serien nummernschild ausMetall war BKA-Technikern zufolge mit e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> der Inheidener Straßegefundenen Schraubenzieher von e<strong>in</strong>er der Gasflaschen entfernt worden,die - mit Sprengstoff gefüllt - bei dem Heidelberger Anschlagbenutzt worden waren. Der Porsche, mit dem Baader, Raspe und Me<strong>in</strong>svor die Garage fuhren, wies e<strong>in</strong>e gefälschte Karosserienummer auf. Diezur Fälschung benutzten Stanzeisen lagen wiederum <strong>in</strong> der WohnungInheidener Straße.In der zweiten "RAF-Garage" fand die Polizeiaußer zwei gestohlenenAutos und Sprengstoff auch F<strong>in</strong>gerabdrücke von Raspe und anderenRAF-Mitgliedern.Der Sprengstoff <strong>in</strong> den ganz oder fast gebrauchsfertigen Bomben, die<strong>in</strong> Frankfurt gefunden wurden, bestand zum Teil aus e<strong>in</strong>er bis dah<strong>in</strong> <strong>in</strong>Westeuropa unbekannten roten Mischung. Auch die nicht explodiertenBomben <strong>in</strong> Hamburg und Augsburg hatten teilweise diesen rotenSprengstoff enthalten. Rückstände von Alum<strong>in</strong>iumpulver, e<strong>in</strong>em Bestandteildes Sprengstoffs, hatten Baader und Raspe bei ihrer Festnahmeunter den F<strong>in</strong>gernägeln und <strong>in</strong> ihrer Kleidung. Rezepte für die Mischungdes roten Sprengstoffs lagen sowohl <strong>in</strong> der Inheidener Straße als auch <strong>in</strong>dem "Depot" bei Bad Homburg. Zudem stellten Sachverständige desBKAfest, daß die nicht detonierten Bomben <strong>in</strong> Hamburg und Augsburg,die Magnetbombe <strong>in</strong> der Inheidener Straße, die <strong>in</strong> Karlsruhe explodierte281••


Bombe und die <strong>in</strong> Karlsruhe, Frankfurt und Bad Homburg gefundenenHandgranaten vom selben Hersteller mit den gleichen Halbfabrikatengebaut worden waren. Diese Erkenntnis sollte schon relativ früh zuBeg<strong>in</strong>n der Beweisaufnahme vom zweiten "Kronzeugen" Dirk Hoff(Abschnitt 2.2.2.) bestätigt werden. Hoff schien der "Bombenbauer" derRAFzu se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>er Werkstatt passender Schlüssel fand sich <strong>in</strong> BadHomburg.Alle <strong>in</strong> Frankfurt und Umgebung entdeckten "RAF-Wohnungen" warenunter Decknamen <strong>in</strong> dem sogenannten "Enssl<strong>in</strong>-Kassiber" verzeichnet,den Me<strong>in</strong>hof bei ihrer Festnahme bei sich trug und der kurze Zeitdanach zur Ausschließung Schilys als Verteidiger von Enssl<strong>in</strong> führte (vgl.KapitellI, 3.2.). Da der Enssl<strong>in</strong>-Brief auf e<strong>in</strong>er unbekannten Schreibmasch<strong>in</strong>egetippt worden war, konnte er <strong>in</strong> dieser Form nicht direkt aus demGefängnis geschmuggelt worden se<strong>in</strong>. Die präzise Schilderung von derFestnahme und dem Transport Gudrun Enssl<strong>in</strong>s stimmte jedoch geradezufrappierend mit den Tatsachen übere<strong>in</strong>, so daß die Vermutung naheliegt,daß der Text tatsächlich von Enssl<strong>in</strong> verfaßt wurde.2.1.2. Weitere "RAF-Wohnungen"Außer der Wohnung <strong>in</strong> Stuttgart, deren Schlüssel Enssl<strong>in</strong> bei ihrerFestnahme besaß, wurde im Juni 1972 noch e<strong>in</strong>e weitere "RAF-Wohnung"<strong>in</strong> Stuttge.rt entdeckt, <strong>in</strong> der jedoch ke<strong>in</strong>e nennenswerten Spurengesichert werden konnten. Auch <strong>in</strong> Hamburg war ebenfalls imJuni 1972e<strong>in</strong>e Wohnung entdeckt worden (Ohlsdorfer Straße), <strong>in</strong> der verschiedeneMitglieder der RAF (nicht jedoch die Angeklagten) Spuren h<strong>in</strong>terlassenhatten und von der Me<strong>in</strong>hof bei ihrer Festnahme ebenfalls e<strong>in</strong>enSchlüssel dabei hatte. In dieser Wohnung fand die Polizei e<strong>in</strong>en Zündschlüssel,der zu dem ausgetauschten Zündschloß des für den Anschlagauf das US-Hauptquartier <strong>in</strong> Frankfurt benutzten Volkswagens paßte.Außer e<strong>in</strong>em von Me<strong>in</strong>hof mit der Hand korrigierten Schreibmasch<strong>in</strong>entextder RAF-Schrift "Das Konzept Stadtguerilla" und von ihr stammendeNotizen über Autokennzeichen wurde dort auch e<strong>in</strong> roter Damenhandschuhgefunden, dessen Gegenstück Enssl<strong>in</strong> bei ihrer Festnahmebei sich hatte.Im Oktober 1972 wurde <strong>in</strong> Hamburg e<strong>in</strong>e zweite "RAF-Wohnung"entdeckt (Paul<strong>in</strong>enallee), zu der e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Ohlsdorfer Straße gefundenerSchlüssel paßte. Auch Enssl<strong>in</strong> hatte bei ihrer Festnahme e<strong>in</strong> passendesExemplar <strong>in</strong> ihrer Handtasche. In der Wohnung wurden F<strong>in</strong>gerabdrückevon Enssl<strong>in</strong> und anderen RAF-Mitgliedernfestgestellt. Offensichtlich warauf der dort stehenden Olympia-Schreibmasch<strong>in</strong>e u. a. auch die Kommandoerklärungzum Heidelberger Anschlag geschrieben worden,ebenso wie zwei von Ende Mai datierte Erklärungen, <strong>in</strong> denen die RAFsich von den ihr <strong>in</strong> den Medien zugeschriebenen Bombendrohungen282gegen die Stadt Stuttgart distanzierte, sowie Entwürfe für e<strong>in</strong>e Erklärung,die - von Me<strong>in</strong>hof auf Tonband gesprochen - am 31.5.72 auf e<strong>in</strong>erVeranstaltung der "Roten Hilfe" Frankfurt <strong>in</strong> der Universität abgespieltworden war. Auch <strong>in</strong> dieser Wohnung fand man auf Notizblöcken, <strong>in</strong>Büchern, auf Zeitungen vom Märzund Mai 1972 und wiederum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emExemplar der Schrift "Das Konzept Stadtguerilla" schriftliche Vermerkevon Ulrike Me<strong>in</strong>hof.2.1.3. ErgänzungszeugenAufgrund der Menge an Indizien ließ sich ohne weiteres feststellen undnachweisen, daß die fünf Angeklagten <strong>in</strong>nerhalb der RAF als Organisationaktiv gewesen waren; ebenso lag die Vermutung nahe, daß jedervon ihnen an e<strong>in</strong>em oder mehreren der Sprengstoffanschläge persönlichbeteiligt gewesen war. Die erste Feststellung gleicht jedoch dem E<strong>in</strong>rennenoffener Türen, da sich die Angeklagten von Anfang an zu ihreraktiven Mitgliedschaft<strong>in</strong> der RAFbekannt hatten. Die zweite Feststellungstellt rechtlich jedoch nicht mehr als den Verdacht auf e<strong>in</strong>e Beteiligungder Angeklagten an konkreten Straftaten dar; aufgrund der vorhandenenIndizien konnte für ke<strong>in</strong>en der Angeklagten die Täterschaft oderauch nur die Beteiligung an e<strong>in</strong>em oder mehreren Anschlägen als rechtlicherwiesen gelten. Selbst wenn man unterstellen würde, daß UlrikeMe<strong>in</strong>hof die diversen Kommandoerklärungen verfaßt hatte, so wäre dasnicht ausreichend, um sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Strafprozeß konkret der Teilnahmean den Anschlägen zu überführen. Die BAWhoffte deshalb auch <strong>in</strong> ihreroffensichtlichen Beweisnot auf Zeugen, die aussagen sollten, daß sie dieAngeklagten <strong>in</strong> den entscheidenden Monaten April und Mai 1972 <strong>in</strong> derNähe der "RAF-Zentrale" <strong>in</strong> Frankfurt oder kurz vor bzw. nach e<strong>in</strong>emAnschlag am Tatort gesehen hätten.Raspes Anwesenheit <strong>in</strong> Frankfurt ließ sich zum<strong>in</strong>dest für e<strong>in</strong>ige Tageim April und Mai 1972 relativ e<strong>in</strong>fach nachweisen. Der Zeuge Pracht(Student) hatte ausgesagt, Raspe <strong>in</strong> dieser Zeit mehrmals getroffen zuhaben, um die Miete zu kassieren65. Die Zeug<strong>in</strong> Sauer (Hausfrau) erklärte,Raspe als den Mann wiederzuerkennen, den sie e<strong>in</strong>mal- wahrsche<strong>in</strong>lichim Mai 1972 - <strong>in</strong> der Nähe der Wohnung Inheidener Straße ause<strong>in</strong>em Porsche hatte aussteigen sehen66, der dort während e<strong>in</strong>iger Wochenimmer wieder gestanden habe. Und auch der Zeuge Hoff war mitRaspe <strong>in</strong> den Monaten April und Mai mehrmals <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Werkstattzusammengetroffen. Die Zeugenaussage Hoffs erleichterte es dem Gericht,Raspe wegen Beteiligung an den Bombenanschlägen zu verurteilen;darüber später mehr.Von Enssl<strong>in</strong>s Anwesenheit <strong>in</strong> der Inheidener Straße während derMonate April/Mai 1972 konnte aufgrund der Zeugenaussagen zweierVerkäufer<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe gelegenen Lebensmittelge-283


schäfts ausgegangen werden67. E<strong>in</strong>e dieser Verkäufer<strong>in</strong>nen hatte diePolizei angerufen, nachdem sie am Tag der Festnahme Enssl<strong>in</strong>s imFernsehen Fotos von ihr gesehen hatte. Der Besitzer e<strong>in</strong>er Autoreparaturwerkstatt<strong>in</strong> Heidelberg bekundete, daß Enssl<strong>in</strong> am Tag nach demHeidelberger Anschlag <strong>in</strong> der Werkstatt erschienen sei, um sich nache<strong>in</strong>em <strong>in</strong> Reparatur gegebenen Personenwagen zu erkundigen. DerZeuge war sich dessen vor Gericht vollkommen sicher; er habe sie auchspäter bei e<strong>in</strong>er Gegenüberstellung im Gefängnis wiedererkannt. Bei derVernehmung der Autobesitzer<strong>in</strong> vor Gericht stellte sich heraus, daß sieund ihre Freund<strong>in</strong> sich nach dem Wagen erkundigt hatten und daß derWerkstattbesitzer die Freund<strong>in</strong> mit Enssl<strong>in</strong> verwechselt haben mußte68.E<strong>in</strong> gutes Beispiel für die Zuverlässigkeit von Augenzeugen, zumal dann,wenn die Medien Fotos der Beschuldigten immer wieder veröffentlichen.Ähnlich erg<strong>in</strong>g es der BAW mit e<strong>in</strong>em Eierverkäufer, der sich <strong>in</strong> derpolizeilichen Vernehmung hundertprozentig sicher gewesen war, Enssl<strong>in</strong>knapp e<strong>in</strong>e Stunde nach dem Anschlag auf das Landeskrim<strong>in</strong>alamt <strong>in</strong>München <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vorbeifahrenden Auto erkannt zu haben, vor Gerichtjedoch völlige Unsicherheit zugeben mußte69Etwas mehr Erfolg hatte die BAWmit e<strong>in</strong>er Zeug<strong>in</strong> aus Frankfurt, dieBaader anhand e<strong>in</strong>es Fotos <strong>in</strong> der Illustrierten "Stern" "mit Sicherheit"als den Mann erkannt hatte, der etwa 20 M<strong>in</strong>uten nach dem Anschlag aufdas IG Farben-Haus vom Gelände lief und sie fast umgerannt habe.Zuvor hatte sie Baader als Ärzt<strong>in</strong>verkleidet am Krankenbett besucht, ihnjedoch genau so wenig zu identifizieren vermocht wie bei der Vorlagevon Polizeifotos. Monate danach erkannte die Zeug<strong>in</strong> Baader bei e<strong>in</strong>erGegenüberstellung "mit ziemlicher Sicherheit" wieder. Ihre Aussage floß<strong>in</strong> die Begründung des späteren Urteils e<strong>in</strong>. Die Tochter der Zeug<strong>in</strong>reduzierte ihre anfängliche hundertprozentige Sicherheit, Baader als denlaufenden Mann erkannt zu haben, <strong>in</strong> der Befragung vor Gericht aufNull. Auf entsprechende Fragen gab sie offen zu, es sei gut möglich, daßsie von all den Photos, die man ihr vorgelegt hatte, so stark bee<strong>in</strong>flußtworden sei, daß sie Baader als den Mann identifiziert habe, den siedamals <strong>in</strong> Frankfurt sah 70.Nebenbei erzählte die Mutter vor Gericht, daß bei der ersten "Gegenüberstellung"im Krankenhaus nicht nur sie selbst, sondern auch mehrere Polizeibeamteals Krankenhauspersonal verkleidet waren. E<strong>in</strong> anderer Zeuge wußtedie gleiche Geschichte zu erzählen 71. Nach diesen Aussagen stellte die <strong>Verteidigung</strong>nochmals den Antrag, Vertrauensärzte als behandelnde Arzte (undnicht als Sachverständige des Gerichts) zuzulassen; der Antrag wurde jedochohne Begrt<strong>in</strong>dung zurückgewiesen 72. Zudem sah die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> dieser Artvon Gegenüberstellung e<strong>in</strong>e übertretung von § 136a StP073, der auf Täuschungberuhende ErmittIungs- und Verhärmethoden rur unzulässig und sogewonnene ErmittIungsergebnisse ttir unverwertbar erklärt.284Schließlich hatte die BAW noch den Zeugen Kühn geladen, derBaader <strong>in</strong> Heidelberg am Tag des Anschlags gesehen haben wollte, undzwar <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe des amerikanischen Hauptquartiers. VorGericht sagte Kühn, er könne mit "fast absoluter" Sicherheit sagen,Baader damals gesehen zu haben. Auf Antrag der <strong>Verteidigung</strong> wurdendaraufh<strong>in</strong> auch die Polizisten geladen, die Kühn damals vernommen,ihm Fotos von Baader vorgelegt und ihn bei der Gegenüberstellung imKrankenhaus - ebenfalls als Ärzte verkleidet - begleitet hatten. DieAussagen der Beamten machten aber deutlich, daß auch Kühn höchstwahrsche<strong>in</strong>lichder <strong>in</strong> jener Zeit erzeugten Angstpsychose 74,der psychologischenKriegsführung <strong>in</strong> den Medien und zweifelhaften Ermittlungsmethodenerlegen war75. Se<strong>in</strong>e für die BAW auf den ersten Blick sogünstige Aussage tauchte im Urteil nicht mehr auf. Angesichts dieserErfahrungen mit Zeugenaussagen verwundert es nicht weiter, wenn derdamalige BKA-Chef Herold <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview Ende 1980 sagte, ihmschwebe e<strong>in</strong>e Weiterentwicklung der Krim<strong>in</strong>alistik vor, die Zeugen fürden eigentlichen Strafprozeß überflüssig mache, da "der Zeuge e<strong>in</strong>absolut untaugliches Beweismittel ist". Herold g<strong>in</strong>g noch weiter: "Nachme<strong>in</strong>er Theorie wäre, so schrecklich das kl<strong>in</strong>gt,auch der Richter entbehrlich"76.2.1.4. UrkundenbeweisAus dem bisher Gesagten wird deutlich, daß der für die BAWgegebeneErmittlungsnotstand trotz der versuchten Verb<strong>in</strong>dung zwischen Indizienbeweisund Ergänzungszeugen unverändert fortbestand. Es ist anzunehmen,daß die BAWangesichts der Ergebnisse aus den Vorermittlungengehofft hatte, das lückenhafte Puzzle e<strong>in</strong>er tatsächlichen persönlichenBeteiligung der Angeklagten an den verschiedenen Anschlägen mit denAussagen der Ergänzungszeugen irgendwie auffüllen zu können. Solltensolche Erwartungen bestanden haben, so wurden sie <strong>in</strong> der Hauptverhandlungfast völlig zunichte gemacht. Sicher ist sich die BAWbewußtgewesen, daß auch mit "standhaften" Zeugen vor Gericht die persönlicheBeteiligung immer noch äußerst schwierig zu beweisen wäre.Offensichtlich beabsichtigte die BAW, dieses Problem gemäß der <strong>in</strong>der Anklageschrift verfolgten "Rädelsführertheorie " (dieAngeklagten alsBegründer und Anführer der "Rote Armee Fraktion") aufzulösen. DieseTheorie, seit 1970 <strong>in</strong> den Medien immer wieder unter dem Schlagwort"Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande" aufgefrischt und verstärkt, versuchte dieBAW mit dem E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen beschlagnahmter Zellenrundbriefe, e<strong>in</strong>igerKassiber und verschiedener RAF-Schriften zu untermauern.Die Gefangenen aus der RAFhatten sowohl mündlich als auch schriftlichimmer wieder betont, daß Voraussetzung für die Zugehörigkeit zurGuerilla die freiwillige Entscheidung jedes E<strong>in</strong>zelnen sei; weiter seienkollektive Entscheidungs- und Lernprozesse als notwendige Bed<strong>in</strong>gung285


für den Bestand und die Aktionsfähigkeit der Guerilla anzusehen. Diee<strong>in</strong>zelnen Kommandos (sechs bis acht Leute) verfolgten politisch zwardas Konzept der RAF, kämpften jedoch weitgehend autonom. IhrenErklärungen war zu entnehmen, daß die RAF an das von dem brasilianischenGuerillero Carlos Marighuela im "M<strong>in</strong>ihandbuch"n beschriebeneOrganisationsmodell anknüpfte, aufgrund der anderen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong>Westeuropa seien jedoch Abänderungen notwendig gewesen. Sollte dieRAF tatsächlich seit 1970 so organisiert gewesen se<strong>in</strong>, so würde diesbedeuten, daß e<strong>in</strong>zelne Mitgliederweder aktiv an den Anschlägen beteiligtgewesen se<strong>in</strong> noch von ihnen vorher gewußt haben müs sen.Die BAWentwarf jedoch das Bild e<strong>in</strong>er streng hierarchisch aufgebautenOrganisation mit klassischer militärischer Befehlsstruktur, an derenSpitze selbstverständlich die Angeklagten gestanden hätten und immernoch stünden. Nach dieser Version war es fast unerheblich, ob dieAngeklagten selbst direkt an den Anschlägen beteiligt waren oder nicht;als "Befehlshaber" der RAF hätten sie jeden Anschlag ausgedacht, vorbereitet,organisiert und befohlen. Sollte sich e<strong>in</strong>e solche OrganisationsundBefehlsstruktur nachweisen lassen, so könnten die Angeklagtenauch ohne den Nachweis persönlicher Tatausführung vor Ort für dieAnschläge und ihre Folgen strafrechtlich voll verantwortlich gemachtwerden, zum<strong>in</strong>dest als Anstifter.Nun soll der Versuch der BAW, e<strong>in</strong>e solche Organisations- und Befehlsstrukturvor Gericht durch die Verlesung von Schriftstücken (sogenannterUrkundenbeweis78) zu beweisen, näher betrachtet werden. Eswerden ausschließlich die Beweisstücke behandelt, denen das Gerichtso große Bedeutung beimaß, daß sie zu Prozeßende <strong>in</strong> der Urteilsbegründungberücksichtigt wurden.2.1.4.1. Zellenrundbriefe, RAF-Schriften und KassiberDie Zellenrundbriefe, die herangezogen wurden, um die "Rädelsführerschaft"der Angeklagten <strong>in</strong> der RAF zu dokumentieren, entstammtenganz überwiegend dem sogenannten Infosystem. Dieses Infosystem, vonden Gefangenen kurz "Info" genannt, wurde schon im Zusammenhangmit der Beschreibung der ersten Zellendurchsuchungen und der Ausschlußgesetzgebungbehandelt. Aus dem Kontext gerissene Passagenwichtiger Rundbriefe f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den Beschlüssen des OLG Stuttgartzum Ausschluß der Rechtsanwälte Croissant, Groenewold und Ströbele.Wie aber gedachte die BAW mit der schriftlichen Kommunikation vonGefangenen deren "Rädelsführerposition" zu beweisen? Auch hier griffdie BAWauf die Konstruktion zurück, die sie mit Erfolg für ihre Anträgeauf Durchsuchung der Zellen, die Beschlagnahme von <strong>Verteidigung</strong>sunterlagenund die Ausschließung von Verteidigem angewandt hatte: DieGefangenen würden die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> der Haft und aus der286Haft heraus fortsetzen. Dabei stützte sich die BAW auf Rundbriefe,denen zu entnehmen war, daß die Ansichten der Angeklagten über diediskutierten Themen (Haftbed<strong>in</strong>gungen, Hungerstreiks, Prozeßvorbereitung)für die anderen Gefangenen aus der RAF von großer oderausschlaggebender Bedeutung waren. Also argumentierte die BAWweiter:Man müsse sich nur vor Augen halten, welch großen E<strong>in</strong>fluß dieseAngeklagten auf die anderen Gefangenen aus der RAF hätten; ihreAnführerposition sei damit ganz e<strong>in</strong>deutig dokumentiert, folglichmüßtensie al,lch schon vor ihrer Verhaftung die Anführer gewesen se<strong>in</strong>.Zu Baaders "Rädelsführerschaft" griff die BAWzum Beispiel daraufzurück, daß die Idee, e<strong>in</strong> "<strong>in</strong>fo" zu schaffen, von ihm stamme. Auch derBesuch Jean-Paul Sartres bei Baader im Herbst 1974 während desHungerstreiks wurde als Bestätigung dieser These gewertet (über dasGespräch mit Sartre hatte Baader e<strong>in</strong>en kurzen Bericht für das Infogeschrieben). Auch der nicht verwirklichte Vorschlag, im Info nur nochDecknamen zu verwenden, wurde von der BAW<strong>in</strong> obigem S<strong>in</strong>n <strong>in</strong>terpretiert;immerh<strong>in</strong> sollte Baaders Deckname "Ahab" se<strong>in</strong> (Ahab ist derKapitän <strong>in</strong> MelvillesRoman "Moby Dick" - BS).Gleichzeitig mußte dieser - wahrsche<strong>in</strong>lich von Enssl<strong>in</strong> stammende ­Vorschlag auch als Beleg für Enssl<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>flußreiche Position <strong>in</strong> der RAFherhalten. Weitere Beweisstücke waren Zellenrundbriefe, <strong>in</strong> denen Enssl<strong>in</strong><strong>in</strong>haltlich ausgearbeitete Vorschläge für e<strong>in</strong> neues RAF-Papier über"stadtguerilla und metropole brd" unterbreitet hatte, e<strong>in</strong> Konzept, dasvor allem von Baader, Me<strong>in</strong>hof und ihr selbst geschrieben werden solle.Auch Rundbriefe, <strong>in</strong> denen Enssl<strong>in</strong> mit entschiedenem Ton ihre Me<strong>in</strong>ungüber die Planung des dritten großen Hungerstreiks ausdrückte unde<strong>in</strong>ige Gefangene auf ihr Verhalten <strong>in</strong> Hungerstreiks und gegenüberAnwälten kritisierte, wurden als "Beweise" für ihre Schlüsselposition <strong>in</strong>der RAF genannt.Weiter wurden vor Gericht lange Auszüge aus den seit 1970 veröffentlichtenRAF-Schriften verlesen, darunter die Texte "Das Konzept Stadtguerilla","Den anti-imperialistischen Kampf führen" und "Dem Volkedienen". Die BAWhatte ke<strong>in</strong>e Zweifeldaran, daß Me<strong>in</strong>hof die Verfasser<strong>in</strong>dieser Schriften war; sie verwies nachdrücklich auf ihre Vorgeschichteals bekannte l<strong>in</strong>ke Joumalist<strong>in</strong>. Ihre <strong>in</strong> der Monatszeitschrift "Konkret"erschienenen Artikel waren von Freund und Fe<strong>in</strong>d als Meisterwerkepolitischer Analyse und journalistischen Könnens anerkannt worden.Aber auch ihre handschriftlichen Korrekturen auf verschiedenen Entwürfenvon Kommandoerklärungen und anderen Papieren mußtendazu herhalten, ihre "Rädelsführerschaft" <strong>in</strong>nerhalb der RAFzu belegen.gefundenen Briefan Me<strong>in</strong>hof geschrieben hatte: "jeder weiß, daß du die .stimme H<strong>in</strong>zu kam warst, noch, bist, daß se<strong>in</strong> wirst. Enssl<strong>in</strong> .. ", <strong>in</strong>wonach e<strong>in</strong>em bei die Aufforderung e<strong>in</strong>er Zellendurchsuchung folgte, Me<strong>in</strong>hofsolle e<strong>in</strong> Konzept für ihre Prozeßerklärung im Baader-Befreiungs-287I


Prozeß vor dem Landgericht Berl<strong>in</strong> schreiben. Diese Prozeßerklärung,die zu Prozeßbeg<strong>in</strong>n am 13. September 1974 von Me<strong>in</strong>hof vorgelesenwurde, sei der Auftakt zum dritten großen Hungerstreik gewesen, kommentiertedie BAW. Zu Baaders Befreiung wird <strong>in</strong> dieser Erklärung u. a.gesagt:"unsere aktion am 14. mai 1970 ist und bleibt die exemplarische aktion dermetropolenguerilla. <strong>in</strong> ihr s<strong>in</strong>d/waren schon alle elemente der strategie desbewaffneten antiimperialistischen kampfes enthalten: es war die befreiunge<strong>in</strong>es gefangenen aus dem griffdes staatsapparats. es war e<strong>in</strong>e guerilla-aktion,war die aktion e<strong>in</strong>er gruppe, die zum militärpolitischen kern wurde durch denentschluß, die aktion zu machen. es war die befreiung e<strong>in</strong>es revolutionärs,e<strong>in</strong>es kaders, der für den aufbau der metropolen guerilla unentbehrlich warund ist, nicht nur wie jeder revolutionär <strong>in</strong> den reihen der revolution unentbehrlichist, sondern weil er schon damals alles das, was die guerilla, diemilitärpolitische offensive gegen den imperialistischen staat erst ermöglicht,schon verkörperte: die entschlossenheit, den willen zu handeln, die fähigkeit,sich selbst nur und ausschließlich über die ziele zu bestimmen, dabei denkollektiven lemprozeß der gruppe offenzuhalten, von anfang an führung alskollektive führung zu praktizieren, die lernprozesse jedes e<strong>in</strong>zelnen kollektivzuvermitteln" 79.Das Bild, das sich aufgrund der vor Gericht verlesenen Dokumente(RAF-Schriften, -Briefe und -Prozeßerklärungen) von den Angeklagtenabzeichnen sollte, war e<strong>in</strong>deutig: Die Angeklagten stellten die "militärischeLeitung" der RAF dar; Baader war der unumstrittene Führer,Enssl<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Cheforganisator<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>hof se<strong>in</strong>e Chefideolog<strong>in</strong> und Propagandam<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>.Daß dieses "Führungsgremium" nicht erst währendder Gefangenschaft gebildet worden sei, sondern schon vOr der Inhaftierungbestanden habe und weiter die noch <strong>in</strong> Freiheit operierenden RAF­Mitglieder kommandiere, versuchte die BAW durch die Vorlage dreierKassiber glaubhaft zu machen, die Enssl<strong>in</strong> und Baader zugeschriebenwurden.Der sogenannte Enssl<strong>in</strong>-Kassiber, den Me<strong>in</strong>hof bei ihrer Festnahme <strong>in</strong>Hannover am 15.6.72, also acht Tage nach der Festnahme Enssl<strong>in</strong>s, beisich trug, enthielt neben E<strong>in</strong>zelheiten ihrer Festnahme auch Anweisungen,was die Illegalen nun zu tun hätten, und zwar vor allem h<strong>in</strong>sichtlichder überprüfung oder Auflösung bestimmter Wohnungen. Sowohl dienoch freien Genossen als auch die betreffenden Wohnungen waren nurmit ihren Decknamen bezeichnet, e<strong>in</strong>ige dieser Decknamen konntenjedoch entschlüsselt werden. Weiter enthielt das Papier noch e<strong>in</strong>igekurze Vorschläge für Aktionen zur Befreiung von "Valent<strong>in</strong>". Die Möglichkeite<strong>in</strong>er Geiselnahme wurde erwähnt, unter H<strong>in</strong>weis auf den damaligenBeschluß der Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterkonferenz, daß das Leben vonGeiseln als vorrangig gegenüber dem Ergreifen der Entführer zu betrachtensei. Und schließlich f<strong>in</strong>det sich noch e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis für e<strong>in</strong>en "Ha":"noch 2 x * davon 1 mal Amerika (möglichst) und 1 mal wie bespro-288chen( ... )". Geht man davon aus, daß das Papier tatsächlich von Enssl<strong>in</strong>stammt und mit dem Sternchen e<strong>in</strong> Bombenanschlag geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> sollte,so ließe sich aus den Worten ,,1 mal wie besprochen" schließen, daßEnssl<strong>in</strong> zum<strong>in</strong>dest an der Planung von Bombenanschlägen beteiligt gewesenwar.Immer vorausgesetzt, daß Enssl<strong>in</strong> tatsächlich die Verfasser<strong>in</strong> war, soläßt sich diesem Schriftstück entnehmen, daß sie nicht nur über viele<strong>in</strong>terne Informationen aus der Guerilla verfügte, sondern auch <strong>in</strong> derLage war, Anordnungen zu erteilen. Angesichts der Schilderungen derOrganisationsstruktur durch die Angeklagten und andere Gefangenebleibt aber die Frage offen, ob aus diesem Umstand mehr abgeleitetwerden kann als die Eigenschaft, e<strong>in</strong>e von mehreren Kaderangehörigenzu se<strong>in</strong>, der e<strong>in</strong>e besondere organisatorische Verantwortung zukam.Zwei weitere "Kassiber", deren Verfasser Baader se<strong>in</strong> sollte, waren imFebruar 1974 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der sogenannten konspirativen Wohnungen <strong>in</strong>Frankfurt gefunden und zum größten Teil <strong>in</strong> der "Maihofer-Dokumentation"veröffentlicht worden. Diese aus dem Gefängnis herausgeschmuggeltenBriefe enthielten u. a. e<strong>in</strong>e genaue Beschreibung der Situation, <strong>in</strong>der der Verfasser sich zu jenem Zeitpunkt befand (e<strong>in</strong>schließlich Lageskizzen)und daran anknüpfend ziemlich detaillierte Vorschläge für möglicheBefreiungsaktionen. Daß es sich bei dem Verfasser um e<strong>in</strong>en derKader der RAF gehandelt haben muß, war aus den umfassenden Kenntnissenauf operativem Gebiet und Sätzen wie "und darunter läuft nichts,was raf heißt(. .. )" (bezogen auf das Niveau zuküntiger Aktionen) und"ihr müßtet nur sagen ne offensive auf der l<strong>in</strong>ie so und so viele kommandos+ wir können euch e<strong>in</strong> konzept entwickeln" mit ziemlicher Sicherheitzu schließen. Die auf e<strong>in</strong>em der "Kassiber" handschriftlich angebrachtenSkizzen ordnete e<strong>in</strong>er der BKA-Graphologen "mit an Sicherheit grenzenderWahrsche<strong>in</strong>lichkeit" Baader zu80. Geschrieben waren sie "wahrsche<strong>in</strong>lich"(BKA) auf der Baader im Gefängnis zur Verfügung stehendenSchreibmasch<strong>in</strong>e81. Gesetzt den Fall, Baader sei der Verfasser dieser"Kassiber" gewesen, so mußte die von der BAW damit begründete"Rädelsführertheorie" - Baader als der auch <strong>in</strong> der Haft noch mit Befehlsgewaltausgestattete Anführer der RAF - trotzdem e<strong>in</strong>e äußerstfragwürdige Konstruktion bleiben. Jeder Gefangene, gleich ob RAF­Kader oder nicht, konnte ebenfalls Ideen für bestimmte Aktionen, <strong>in</strong>sbesonderezu se<strong>in</strong>er eigenen Befreiung, entwickeln. Zuverlässige Rückschlüsseauf se<strong>in</strong>e "Rädelsführerschaft" <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Freiheit operierendenRAF konnte die BAW daraus nicht ziehen.289


2.2. Zeugen der Anklage2.2.1. Die Rechtsfigur des KronzeugenTrotz aller Bemühungen der BAW hatte sich der Indizienbeweis, aufdem ihre Beweisführung hauptsächlich beruhte, selbst bei höchster SITapazierungder "freien Beweiswürdigung" als unzureichend für die vorprogrammierteVerurteilung der Angeklagten wegen der Bombenan--schlage erwiesen. Es kam~deshalb nicht überraschen, wenn im Frühjahr1975 drei verschiedene Gesetzesentwürfe zur E<strong>in</strong>führunq der Rechtsfi­J r des sogenannten Kronzeuoen im Bundestag e<strong>in</strong>gebracht wurden/lG•Der Zeitpunkt für die E<strong>in</strong>führung dieser neuen Rechtsfigur war ausgesprochengünstig; kurz zuvor war der Westberl<strong>in</strong>er CDU-Politiker PeterLorenz von e<strong>in</strong>em Kommando der "Bewegung 2. Juni" entführt und diewestdeutsche Botschaft <strong>in</strong> Stockholm von dem RAF-Kommando "HolgerMe<strong>in</strong>s" besetzt worden.Bei der aus dem anglo-amerikanischen Rechtssystem stammendenRechtsfigur des Kronzeugen geht es im wesentlichen darum, daß derKronzeuge selbst ke<strong>in</strong>e oder nur e<strong>in</strong>e symbolische Strafe für die von ihmbegangenen Straftaten erhält, wenn er e<strong>in</strong>en entsprechenden Beitrag zurErgreifung und/oder Verurteilung der Mittäter leistet. An e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führungdes Kronzeugen war <strong>in</strong> den Gesetzesentwürfen nur <strong>in</strong> Zusammenhangmit e<strong>in</strong>em verschärften § 129 StGB gedacht, dem heutigen § 129a StGB,der die "terroristische Vere<strong>in</strong>igung" betrifft. Obergangsregelungen solltenermöglichen, daß Kronzeugen auch <strong>in</strong> den schon laufenden Prozessennach § 129 StGB auftreten könnten. Die E<strong>in</strong>führung dieser demwestdeutschen Strafprozeßrecht völlig wesensfremden tsfi ur desdie ronze~en Au ärung wurstrafbarer e ml em, Handlungen rml un e<strong>in</strong>er snotstand" "e oristischen begründet, Vere<strong>in</strong>igung"typisch sei. Ganz offen war <strong>in</strong> verschiedenen westdeutschender fürwissenschaftlichen Publikationen davon die Rede, daß diese Gesetzesentwürfe"nicht zuletzt e<strong>in</strong>e Reaktion auf die sog. Baader-Me<strong>in</strong>hof­Verfahren" seien83. Nach Me<strong>in</strong>ung der Bundesregierung konnte dasAbsehen von e<strong>in</strong>em Strafverfahren bzw. die Aussicht auf Strafm<strong>in</strong>derungdie Bereitschaft zu H<strong>in</strong>weisen aus Kreisen der "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung"enorm anregen. Die beabsichtigte Regelung sollte gleichzeitigdasgegenseitige Vertrauen der Mitglieder und damit den organisatorischenZusammenhalt krim<strong>in</strong>eller Vere<strong>in</strong>igungen untergraben.Schon <strong>in</strong> den Jahren 197384und 197485erschienen <strong>in</strong> der BRD juristischePublikationen zur Rechtsfigur des Kronzeugen, die sich jedoch auf die Bekämpfungder Drogenkrim<strong>in</strong>alität bezogen. Als größtes Problem für e<strong>in</strong>eeventuelle Aufnahme <strong>in</strong> das westdeutsche Rechtssystem wird <strong>in</strong> diesen Publikationedie Gefährdung des geltenden Legalitätspr<strong>in</strong>zips genannt; schließlichwürde der Kronzeuge, vielleichtsogar bei schwersten Delikten, straffreidavonkommen.Als weiterer wichtiger E<strong>in</strong>wand wird die höchst zweifelhafte Beweis-290kraft e<strong>in</strong>er Zeugenaussage angeführt, die aufgrund der Zusage bzw. <strong>in</strong> Erwartungweitgehender Straffreiheit bzw. Strafm<strong>in</strong>derung zustande kommt. Renommiertekrim<strong>in</strong>ologische Untersuchungen hätten übere<strong>in</strong>stimmend ergeben,daß man auf "gekaufte" Zeugenaussagen "nicht bauen" könne86. Andersgesagt: "Wer von se<strong>in</strong>er Aussage Vorteileerhofft, sagt gern, was gefällt"87Selbst der höchste Ankläger der BRD, der damalige GBA SiegfriedBuback, schien e<strong>in</strong> "entschiedener Gegner der Kronzeugenlösung" zuse<strong>in</strong>, "weil ich sie für e<strong>in</strong>e ganz unnötige Kapitulation des Rechtsstaateshalte. Dafür gibt es überhaupt ke<strong>in</strong>en Anlaß". So jedenfalls drückte sichBuback <strong>in</strong> dem "Spiegel"-Interview vom Februar 1976 aus. Er hatteauch Bedenken praktischer Art; Kronzeugen benötigten e<strong>in</strong>e neue Identitätund lebenslangen persönlichen Schutz. Vielleicht hatte Buback dierund 800 bodyguards vor Augen, die - so der "Spiegel" - im Dienst deramerikanischen Behörden Tag und Nacht die etwa 300 Kronzeugen <strong>in</strong>den USA zu bewachen haben88. Se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung, es gebe ke<strong>in</strong>en Anlaßfür die mit der E<strong>in</strong>führung des Kronzeugen verbundene "ganz unnötigeKapitulation des Rechtsstaates" gründet wahrsche<strong>in</strong>lich auf Erfahrungen,die Buback mit zwei ehemaligen RAF-Helfern, Karlhe<strong>in</strong>z Ruhlandund Peter Konieczny, gemacht hatte. Sie waren auch ohne die praktischlästige und rechtlich zweifelhafte Kronzeugenregelung zu wertvollen Helfernder Polizei und Justiz geworden.Schenkt man den Erzählungen der beiden über die Art und Weiseihrer Kehrtwendung Glauben, dann kommen jedoch Zweifelan BubacksÄußerungen auf. In ausführlichen "Spiegel"-Interviews89 hatten..Ruhlandund Konieczny 1976 zu Versprechungen von Polizei- und JustizbeamtenStellung genommen. Ruhland war noch <strong>in</strong> der Aufbauphase derRAF, im Dezember 1970, festgenommen worden; er soll Autos gestohlen,e<strong>in</strong>en Banküberfall verübt haben und <strong>in</strong> Rathäuser e<strong>in</strong>gebrochense<strong>in</strong>. Nach zweie<strong>in</strong>halb Jahren Haft befand er sich wieder auf freiem Fuß.Trotz dieser für westdeutsche Begriffe relativ ger<strong>in</strong>gen Haftdauer warRuhland - u. a. Kronzeuge praeter legern im Baader-Befreiungs-Prozeß90- ke<strong>in</strong>eswegs gut auf die Behörden zu sprechen. Er klagte überunzureichende f<strong>in</strong>anzielle Vergütungen, mangelnden Schutz sowie überden Zwang, als Zeuge auftreten zu müssen, was bis dah<strong>in</strong> schon <strong>in</strong> 30 bis40 Prozessen der Fall gewesen war und <strong>in</strong> den kommenden fünf Jahrenwohl auch so weitergehen werde. Erst dann erhalte er e<strong>in</strong>e neue Identität.Zukünftigen Kronzeugen gab er den Rat: ,,(. .. )auf ke<strong>in</strong>en Fall darfman mündlichen Zusagen trauen".Konieczny wurde vorgeworfen, falsche Papiere für die RAF hergestelltzu haben; er war Mitte 1972 festgenommen worden. Bereits e<strong>in</strong>en Tagnach se<strong>in</strong>er Verhaftung lieferte er die RAF-MitgliederIrmgard Möller undKlaus Jünschke der Polizei aus. Auch er behauptete nach vier Jahren,daß er von Polizei und Justiz <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht getäuscht worden sei. Siehätten ihm "das Blaue vom Himmel versprochen": Sofortige Freilassung291


nach entsprechenden belastenden Aussagen, e<strong>in</strong>e ganz ger<strong>in</strong>ge Strafe,e<strong>in</strong>e Belohnung von zigtausend Mark sowie effektive Schutzmaßnahmen.Konieczny war zwar nach nur sieben Wochen Untersuchungshaftmit e<strong>in</strong>em Vorschuß vom 3.000 Mark freigelassen worden, doch damitsei das Entgegenkommen der Behörden auch schon zu Ende gewesen.Er hatte mit f<strong>in</strong>anziellen Problemen zu kämpfen und g<strong>in</strong>g davon aus,noch bis 1981 als Freigänger von Polizei und Justiz leben zu müssen,denn se<strong>in</strong> Strafverfahren war 1976 noch nicht abgeschlossen; trotzdemmußte er wie Ruhland am laufenden Band <strong>in</strong> RAF-Prozessen als Zeugeauftreten.Sollte sich tatsächlich alles so abgespielt haben, wie es von den beidengeschildert wurde, dann wären <strong>in</strong> beiden Fällen Ermittlungsmethoden,die laut § 136a StPO unzulässig s<strong>in</strong>d (u. a. "das Versprechen e<strong>in</strong>esgesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils"), angewandt worden91.Wie <strong>in</strong> Abschnitt 2.1.3. schon erwähnt, werden unzulässige Ermittlungsmethodenstrafprozessual dadurch sanktioniert, daß ihre Ergebnissenicht für die Beweisaufnahme verwandt werden dürfen, auch wennnicht auszuschließen ist, daß sie tatsächlich der Wahrheit entsprechen.Vor allem h<strong>in</strong>sichtlich des Wahrheitsgehalts von Ermittlungsergebnissen,die durch das "Versprechen e<strong>in</strong>es Vorteils" zustande gekommen s<strong>in</strong>d,lassen sich dieselben Fragen stellen wie zur Rechtsfigur des Kronzeugen.Von daher war die Entstehung der Aussagen von Ruhland und Koniecznyfür die <strong>Verteidigung</strong> von besonderem Interesse. Fallssich nachweisenließe, daß diese Zeugen damals "gekauft" wurden, müßte es möglichse<strong>in</strong>, daß auch die Vorgeschichte der für den <strong>Stammheim</strong>er Prozeßschwerwiegenden Aussagen der Zeugen Dierk Hoff und Gerhard Müllere<strong>in</strong>er genauen überprüfung unterzogen würden92.Ruhland, von der <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> als Zeuge aufgerufen,berief sich auf das Recht der Aussageverweigerung gemäß § 55 StPO, dawegen verschiedener Aussagen <strong>in</strong> anderen Prozessen mehrere Anzeigenwegen Me<strong>in</strong>eids gegen ihn liefen. Das Gericht akzeptierte se<strong>in</strong>e Berufungauf diesen Paragraphen, was zur Folge hatte, daß er ke<strong>in</strong>e Frage beantwortete93.Die ebenfalls <strong>in</strong> den Zeugenstand gerufene Freund<strong>in</strong> Ruhlands, e<strong>in</strong>eJournalist<strong>in</strong>, bestätigte vor Gericht, daß Ruhland seit se<strong>in</strong>er Entlassungmonatlich 700 bis 1.000 Mark "von dritter Seite" erhalten habe94. Siehabe ke<strong>in</strong>e Ahnung, von wem das Geld stamme; seit der Veröffentlichungdes "Spiegel"-Interviews werde das Geld von e<strong>in</strong>em gewissenWemer Freund aus Bad Godesberg überwiesen, und nach dem, was siegehört habe, handele es sich um e<strong>in</strong>en Beamten des BKA, das <strong>in</strong> BadGodesberg - neben Wiesbaden - se<strong>in</strong>en zweiten Sitz hat. Ruhlandwohne seit e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahren mietfrei imJagdhaus se<strong>in</strong>es Rechtsanwalts.Die ganz offensichtlich auf Vor<strong>in</strong>formationen beruhende Frage der <strong>Verteidigung</strong>,ob sie jemals für e<strong>in</strong>en Geheimdienst, <strong>in</strong>sbesondere für die292CIA gearbeitet habe, wollte sie erst nach e<strong>in</strong>em Telefonat mit ihremAnwalt beantworten. Danach teilte sie mit, sie sei nicht verpflichtet, dieseFrage zu beantworten, da "ke<strong>in</strong> Sachzusammenhang" gegeben sei. DasGericht, das vor der Telefon-Pause noch anderer Me<strong>in</strong>ung gewesen war,ließ diese Aussageverweigerung nunmehr gelten.Drei ehemalige Mitgefangene bestätigten als Zeugen, daß Ruhlandihnen erzählt habe, wie er unter Druck gesetzt worden sei: bei belastendenAussagen sollte se<strong>in</strong>e Strafe sehr ger<strong>in</strong>g bleiben, für den umgekehrtenFallsei ihm mit e<strong>in</strong>er extrem langen Freiheitsstrafe gedroht worden95.ZweiMitgefangenen hatte er erzählt, so ihre Aussage <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, daßer Horst Mahler deswegen zu Unrecht belastet habe. Tatsächlich warMahler vor allem aufgrund von Ruhlands Aussagen wegen Teilnahme ane<strong>in</strong>em Banküberfall verurteilt worden. Von weiteren drei ehemaligenMithäftl<strong>in</strong>gen Ruhlands lagen <strong>in</strong>haltlich gleichlautende schriftliche Erklärungenvor. Das Gericht verzichtete auf die Anhörung dieser Zeugen,<strong>in</strong>dem es die behaupteten Tatsachen "als wahr unterstellte" (§ 244 Abs.3 StPO)96.Aufgrund me<strong>in</strong>er eigenen Tätigkeit als Verteidiger e<strong>in</strong>es Gefangenen aus derRAF b<strong>in</strong> ich davon überzeugt, daß BKA-Beamte sich verbotener Ermittlungsmethodenbedienen. Am 22.9.77 wurde <strong>in</strong> Utrecht das RAF-Mitglied KnutFolkerts verhaftet. Während me<strong>in</strong>es ersten Gesprächs mit ihm schilderte er mirausführlich se<strong>in</strong>e nach der Festnahme gemachten Erfahrungen. So erzählte er,wie er von BKA-Beamten unter Druck gesetzt worden war, um ihn zu veranlassen,an der Ermittlung des Aufenthaltsortes des am 5.9.77 von e<strong>in</strong>em RAF­Kommando entführten westdeutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Mart<strong>in</strong>Schleyer mitzuarbeiten. E<strong>in</strong> BKA-Beamter habe ihm "unter vier Augen" angeboten,bei entsprechender Mitarbeitwerde er mit neuen Personalpapieren unde<strong>in</strong>er MillionMark aus der Haft enlassen, andernfalls werde man ihn "aufhaengen".Se<strong>in</strong>e Schilderung erschien mir absolut glaubwürdig. Spaeter wurdeauch klar, dass im Krisenstabe erwogen wurde, israelische und britische "Verhoerspezialisten"h<strong>in</strong>zuziehen und Psychopharmaka gegen Folkerts anzuwenden.Mitwelchen Schwierigkeiten Anwälte zu rechnen hatten, wenn sie versuchten,unrechtmäßige Ermittlungsmethoden anzuprangern, wird an der Reaktiondes BKA deutlich, nachdem ich Folkerts Schilderung <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>erPressemitteilung veröffentlichte. In e<strong>in</strong>er dpa-Meldung vom 24.9.77 teilte dasBKAmit, Folkerts Geschichte sei frei erfunden, aulderdem seI dem BKAschonlänger tekannt aß kke chut seit Jahren kons irative Kontakte mitwestdeutschen Terroristen unterhält'~ Diese Beschuldigung wiederholte er-Pressesprecher des BKA, Fuchs, wenige Tage danach noch e<strong>in</strong>mal gegenüberder Presse; Fuchs sagte aber auch, daß er "ke<strong>in</strong>e Begründung geben könneund wolle, warum diese Anschuldigung gegen Bakker Schut vorgebrachtworden sei" - so die holländische Tageszeitung "Oe Volkskrant" vom4.10.77. Falls ich mich beschweren wolle, müsse ich mich an die westdeutschenBehörden wenden, als Anwalt kennte ich ja wohl me<strong>in</strong>e Rechte, "besserals se<strong>in</strong>e Pflichten, würde ich mal sagen", legte Fuchs noch zu.293


Die Saat dieser psychologischen Kriegsführung g<strong>in</strong>g schnell auf, bereits kurzdanach wurde ich <strong>in</strong> verschiedenen westdeutschen und niederländischenZeitschriften (darunter "Elseviers Magaz<strong>in</strong>e" und "Accent") unverblümt als"Terrorist <strong>in</strong> Anwaltsrobe" bezeichnet. Ende Oktober 1977 folgte die zweiteHetzkampagne. In allen großen westdeutsdien Zeitungen erschienen aufWunsch der BKA-Pressestelle ganzseitige Fahndungsaufrufe mit Fotos undnäherer Beschreibung von 16 gesuchten RAF-Mitgliedern; von den RAF­Mitgliedern Susanne Albrecht, Sigrid Sternebeck und Angelika Speitel wurdebehauptet, sie hätten "engen Kontakt zum Büro des Rechtsanwalts Bakker­Schut <strong>in</strong> Holland". Me<strong>in</strong>e schriftliche Bitte um Aufklärung von Ende Oktoberbeantwortete der Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister am 20.2.78. In dem Brief wirdschlichtweg geleugnet, daß e<strong>in</strong>e "Fahndungsbroschüre" existiere "<strong>in</strong> der Sie(... ) mit gesuchten terroristischen Gewalttätern <strong>in</strong> Zusammenhang gebrachtwerden". Me<strong>in</strong>e "langjährigen konspirativen Kontakte mit westdeutschen Terroristen"wies mir der M<strong>in</strong>ister kurz und bündig nach: "Diese Feststellung wirddurch Ihre Kontakte zu dem mit Haftbefehl gesuchten RalfFriedrichs und Ihrenöffentlichen Sympathie-Kundgebungen für die Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande undandere terroristische Gruppierungen <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland belegt".Als "Beweise" für me<strong>in</strong>e "langjährigen konspirativen Kontakte" zur RAFgenügten also die unbestrittenen Tatsachen, daß ich mit Friedrichs, e<strong>in</strong>em derfrüheren Mitarbeiter der Kanzlei Croissant, Verb<strong>in</strong>dung gehabt hatte, als ernoch legal und unbeschuldigt lebte, und daß ich mich als Verteidiger vonGefangenen aus der RAF öffentlich für e<strong>in</strong>e menschenwürdigere Behandlungme<strong>in</strong>er Mandanten e<strong>in</strong>gesetzt hatte.Die Reaktion des Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums bzw. des ihm unterstellten BKAhabe ich deshalb so ausführlich geschildert, weil an ihr der Mechanismusdeutlich wird, der seit 1971 die Konfrontation zwischen Gefangenen aus derStadtguerilla und ihren Verteidigern e<strong>in</strong>erseits und den westdeutschen Staatsschutzbehördenandererseits kennzeichnet. Die Verteidiger bezeichnen bestimmteTatsachen des Verfahrens gegen ihre Mandanten, <strong>in</strong>sbesondere dieHaftbed<strong>in</strong>gungen, öffentlich als unzulässig und unrechtmäßig; daraufh<strong>in</strong> leugnendie Staatssschutzbehörden die Existenz der beanstandeten Tatsachen; umihrem Leugnen Nachdruck zu verschaffen, diffamieren sie gleichzeitig dieVerteidiger öffentlich als willige Handlanger ihrer Mandanten. Die auf dieseWeise angegriffenen Anwälte können das Vorgehen der Behörden nur <strong>in</strong>politischen Begriffen <strong>in</strong>terpretieren und br<strong>in</strong>gen dies dann <strong>in</strong> mehr oder wenigerscharf formulierten Erklärungen auch zum Ausdruck. Die erste Anschuldigungdes BKAgegen mich def<strong>in</strong>ierte ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pressemitteilung vom 27.9.77als "neuerlichen Beweis für die psychologische Kriegsführung, wie sie von denwestdeutschen Behörden seit Jahren gegen jeden, der die faschistischen Entwicklungen<strong>in</strong> der BRD öffentlich kritisiert, angewandt wird". Nicht zuletztaufgrund der benutzten Sprache werden solche Erklärungen von den Staatsschutzbehördendann wieder als "öffentliche Sympathiekundgebungen für dieBaader-Me<strong>in</strong>hof-Bande" bezeichnet, womit der Kreis geschlossen wäre unddie Konfrontation weiter eskalieren kann.Berücksichtigt man die erwähnten Erfahrungsberichte von Ruhlandund Konieczny, so läßt sich Bubacks verbaler Widerstand gegen e<strong>in</strong>egesetzliche Kronzeugenregelung auch dadurch erklären, daß er der294Auffassung war, das Auff<strong>in</strong>den bzw. Produzieren von Kronzeugen seiauch ohne gesetzliche Regelung durchaus möglich. Die mit e<strong>in</strong>er gesetzlichenRegelung verbundenen Nachteile könnten so vermieden werden.Verstöße gegen 136a StPO (unzulässige Ermittlungsmethoden) würdenaber immer schwer nachzuweisen se<strong>in</strong>, da unzulässige Versprechungenvon Vorteilen selbstverständlich nur mündlich gegeben werden. ließensich solche Verstöße dennoch nachweisen, so kann die Justiz ihre Händee<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> Unschuld waschen und, falls notwendig, den Ermittlungsbeamten,der "eigenmächtig" se<strong>in</strong>e Kompetenzen überschritten hat, fallenlassen.Es hat eher den Ansche<strong>in</strong>, daß Buback sich nicht so sehr um e<strong>in</strong>eeventuelle "Kapitulation des Rechtsstaates" sorgte, als vielmehr um dieEffektivität polizeilichen und gerichtlichen Hande<strong>in</strong>s <strong>in</strong> dieser Art vonStaatsschutzsachen, wobei mögliche Verstöße gegen § 136a schlichtwegmit <strong>in</strong> Kauf genommen werden. Für diese These spricht Bubacks Äußerungim "Spiegel" zu Gesetzesänderungen im Bereich des Staatsschutzes:"Der Staatsschutz lebt davon, daß er von Leuten wahrgenommen wird, diesich dafür engagieren. Und Leute, die sich dafür engagieren, wie Herold (Chefdes BKA- BS) und ich, die f<strong>in</strong>den immer e<strong>in</strong>en Weg. Wenn Sie e<strong>in</strong>e gesetzlicheRegelung haben und sie mal strapazieren müssen, funktioniert sie jameistens doch nicht".Die vorgelegten Gesetzesentwürfe zur Kronzeugen-Regelung wurdenallesamt verworfen. Sie waren aber vor allem wegen des Zeitpunktesihrer E<strong>in</strong>reichung von Bedeutung; für die <strong>Verteidigung</strong> bestanden ke<strong>in</strong>eZweifel daran, daß die seit Anfang 1975 <strong>in</strong> den Medien angekündigtenund diskutierten Vorschläge ganz wesentlich zur Produktion der - wiesich später herausstellte - gleichzeitig <strong>in</strong> Gang kommenden" Geständnisse"Hoffs und Müllers beigetragen hatten. Höchstwahrsche<strong>in</strong>lich wecktedie Diskussion über e<strong>in</strong>e gesetzliche Kronzeugenregelung bei diesenZeugen die Hoffnung, von e<strong>in</strong>er solchen Regelung profitieren bzw.gemachten Versprechungen auch tatsächlich vertrauen zu können.2.2.2. Der Zeuge HoffGut zwei Monate nach Beg<strong>in</strong>n des Prozesses gegen "Baader u. a."wurde am 3.7.75 Dierk Hoff festgenommen; wie sich später herausstellte,führten Aussagen des bereits seit geraumer Zeit mit der Polizei zusammenarbeitendenGerhard Müller zu Hoffs Festnahme. Hoff, der<strong>in</strong> Frankfurte<strong>in</strong>e Werkstatt für Metallverarbeitung betrieb ("Für besondere Wünsche",wie er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Anzeigen warb), habe - so die Presse - für dieRAF Bomben gebastelt. "Baader gab ihm Aufträge" schrieb die "Welt"am 24.7.75. Hoff jedoch stritt alles ab, und monatelang war von ihmnichts mehr zu hören. Am 2. 12. 75 veröffentlichte die "Welt" e<strong>in</strong>en295


zweiseitigen Artikel über den Prozeß <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, der auf der Titelseitemit den Schlagzeilen "Wende im Prozeß Baader-Me<strong>in</strong>hof / Bombenbauer gesteht" angekündigt wurde. In dem Artikel stand u. a., daßdie Aussagen des Kronzeugen Hoff die schwierige Beweislage derBAW mit e<strong>in</strong>em Schlag verändern würde. Die laut "Welt" für dieBAW bislang noch offene Frage, wer die Bombenanschläge ausgeführthabe, sei endlich beantwortet. Das "noch geheim gehaltene Geständnis"Hoffs beweise überzeugend die direkte Beteiligung von Baaderund Me<strong>in</strong>hof an den Anschlägen vom Mai 1972.Nach dem Ersche<strong>in</strong>en des Artikels versuchte die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> derHauptverhandlung am 3.12.75 zweimal, e<strong>in</strong>en Antrag auf E<strong>in</strong>sichtnahme<strong>in</strong> die Akte Hoff und auf gleichzeitige Vertagung der Verhandlungzu stellen. Beide Male wurde der <strong>Verteidigung</strong> noch vor Verlesungder Antragsbegründung das Wort entzogen; die Behandlung desAntrags wurde abgelehnt. Begründet wurde dies mit der Notwendigkeit,erst das vollständige Programm der Zeugenvernehmungen abwickelnzu müssen97. Auch die Versuche, an den folgenden Prozeßtagenzwei weitere gleichlautende Anträge zu stellen, waren zum Scheiternverurteilt98. Jedesmal wurde Antragsteller Schily von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g daraufverwiesen, daß er Anträge erst nach Beendigung der vorrangigdurchzuführenden Zeugenvernehmungen stellen könne.Aus vier Gründen weigerte Schily sich jedoch konsequent, se<strong>in</strong>enAntrag erst nach Beendigung der Zeugenbefragung e<strong>in</strong>zureichen. Erstenswar er der Auffassung, daß e<strong>in</strong> Antrag auf Vertagung der Verhandlungauch direkt behandelt werden müsse; er berief sich auf diegängige Rechtsprechung. Zweitens seien die Mandanten aufgrund ihrerangegriffenen Gesundheit nach den zeitraubenden Zeugenvernehmungennicht mehr <strong>in</strong> der Lage, dem Vertagungsantrag zu folgen undihn eventuell durch eigene Beiträge zu ergänzen. Drittens sei die Öffentlichkeitnach der Zeugenvernehmung nicht mehr gewährleistet, dadie Journalisten zu diesem späten Zeitpunkt normalerweise <strong>in</strong> den Redaktionensaßen; angesichts der presseöffentlich mit Schlagzeilen angekündigten"entscheidenden Wende" im Prozeß habe die <strong>Verteidigung</strong>e<strong>in</strong> Recht darauf, daß die Begründung ihres Antrags ebenfallsvon der Presse wahrgenommen werde. Und viertens weigerte Schilysich, e<strong>in</strong>en vom Gericht verordneten "Nachtdienst" abzuleisten. Nachdemaber auch der vierte Antrag scheiterte, griff die <strong>Verteidigung</strong> zuihrer letzten Waffe, der Ablehnung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs wegen Besorgnis der Befangenheit99.Auch dieser 28. Ablehnungsantrag wurde nur als Prozeßverschleppungbewertet und demzufolge verworfen; schließlichhabe die Abwicklung der Zeugenvernehmungen e<strong>in</strong>deutig Vorrang,und Schily habe zudem dreimal abends die Möglichkeit gehabt, se<strong>in</strong>enAntrag vorzutragen.Erst am 10. 12. 75 um 16.30 Uhr erhielt Schily Gelegenheit, die296Begründung se<strong>in</strong>es Antrags auf Vertagung vorzutragen 100. Rechtlichberuhte der Antrag auf § 265 Abs. 4 LV.m. § 246 Abs. 2 StPO.Gemäß § 265 Abs. 4 StPO ist e<strong>in</strong> Richter verpflichtet, die Verhandlung zuvertagen, "falls dies <strong>in</strong>folge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitungder Anklage oder der <strong>Verteidigung</strong> angemessen ersche<strong>in</strong>t". Die veränderteSachlage, die auch auf prozessualem Gebiet liegen kann101, sei imvorliegenden Fall aufgrund des "angekündigten" Ersche<strong>in</strong>ens e<strong>in</strong>es unerwartetenKronzeugen gegeben. Gemäß § 246 Abs. 2 StPO ist es dann möglich, e<strong>in</strong>enAntrag auf Vertagung zu stellen, wenn e<strong>in</strong> Zeuge erst so spät bekannt wird, daßes e<strong>in</strong>er der Prozeßparteien "an der zur E<strong>in</strong>ziehung von Erkundigungenerforderlichen Zeit gefehlt hat". Zweck und Absicht der Bestimmung ist vorallem, e<strong>in</strong>e mögliche überrumpelung e<strong>in</strong>er der Parteien zu verh<strong>in</strong>dernlOz sowiedurch Vertagung Gelegenheit zu bieten, die persönliche Glaubwürdigkeit e<strong>in</strong>eskurzfristig geladenen Zeugen noch vor dessen Auftreten vor Gericht überprüfenzu können103. Der e<strong>in</strong>schlägigen Fachliteratur zufolge ist e<strong>in</strong>e Vertagung gemäߧ 246 StPO <strong>in</strong> den meisten Fällen weitgehend identisch mit e<strong>in</strong>er Vertagunggemäß § 265 Abs. 4StPO, sodaß beim Zusammentreffen mit §246Abs. 2 StPOder Richter im Pr<strong>in</strong>zip verpflichtet ist, die Verhandlung zu vertagen104.Die BAW bestätigte den Abschluß der polizeilichen VernehmungHoffs und fügte h<strong>in</strong>zu, er werde zur Zeit gerade wegen des Verdachts derUnterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung richterlich vernommen. Erstnach Abschluß der richterlichen Vernehmung sei es möglich, zu beurteilen,wie weit Hoffs Aussagen für den laufenden Prozeß relevant seien. ImAugenblick sei e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> die Akte Hoff wegen der nochandauernden Vernehmung nicht möglich. Die BAW rechne damit, dieAkte Anfang 1976 vorlegen zu können. Es sei ke<strong>in</strong>eswegs beabsichtigt,den Beschuldigten Hoff zu irgende<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt als "Oberraschungszeugen"zu präsentieren, stellte die BAW nachdrücklich festlO5•Das Gericht schloß sich diesen Ausführungen an und lehnte den Antragder <strong>Verteidigung</strong> ablO6.Am ersten Verhandlungstag des Jahres 1976, dem 12. Januar, konfrontiertePr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die <strong>Verteidigung</strong> mit der Verfügung, am 22. Januarbeg<strong>in</strong>ne die gerichtliche Vernehmung Hoffs. Um diese auf drei Tageangesetzte Vernehmung zu ermöglichen, verschob Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g das bis MitteMärz festgelegte Programm für die Zeugenvernehmungen um e<strong>in</strong>e Woche.E<strong>in</strong> Antrag auf Anhörung des Zeugen Hoff war von der BAWschriftlich am 5.1. 76 e<strong>in</strong>gereicht worden; gleichzeitighatte sie e<strong>in</strong>en Teilder Akte Hoff an die Verteidiger geschickt. Die hatten aber das gut 300Seiten starke Vernehmungsprotokoll zum Teil noch gar nicht erhaltenoder durcharbeiten können, da sie gerade erst aus dem Weihnachtsurlaubzurückgekehrt waren. Jedenfalls war es ke<strong>in</strong>em von ihnen bis dah<strong>in</strong>möglich gewesen, die umfangreiche Akte mit se<strong>in</strong>em Mandanten zubesprechen. Das sollte nun <strong>in</strong> den wenigen Tagen, die nach Abzug derbis zum 22. Januar noch angesetzten fünf Verhandlungstage übrig blieben,geschehen.297


Die Empörung der Verteidiger ist leicht vorstellbar; sie bezeichnetenden Vorgang als "Blitzkriegmanöver", als überrumpelung der <strong>Verteidigung</strong>.Unmittelbar darauf beantragten sie die Vertagung der Verhandlungfür die Dauer von zwei Monaten zur entsprechenden Bearbeitungdes umfangreichen Materials; rechtliche Grundlage dieses Antrags warwiederum § 265 Abs. 4 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit § 246 StPO.Löwe-Rosenberg kommentiert § 246 Abs 2 StPO so: Die aufgrund derAnwendung dieser Bestimmung bewirkte Sitzungsvertagung müsse garantieren,daß ke<strong>in</strong>er der Prozeßteilnehmer "bei der Beweisaufnahme durch Vernehmunge<strong>in</strong>es vorher nicht namhaft gemachten Zeugen oder durch E<strong>in</strong>beziehunge<strong>in</strong>er neuen Tatsache <strong>in</strong> die Beweisaufnahme überrumpelt werde. Siesollen Gelegenheit haben, sich mit den neuen Beweisen kritisch ause<strong>in</strong>anderzusetzenund über Wert oder Unwert der Beweismittel Erkundigungen e<strong>in</strong>zuziehen"J07Weiter griff die Antragsbegründung auf die sich aus dem Grundsatzdes "fair trial" ergebende Forderung nach Waffengleichheit zurück: Immerh<strong>in</strong>habe die BAW sechs Monate Zeit gehabt, sich auf die VernehmungHoffs vorzubereiten (später stellte sich heraus, daß die polizeilichenVernehmungen schon seit Anfang August 1975 "erfolgreich" gelaufenwaren), während der <strong>Verteidigung</strong> nur wenige Tage zur Verfügungstünden. Die Tatsache, daß das Gericht dem Antrag der BAW,Hoffnoch im Januar anzuhören, stattgegeben hatte, weil der BeschuldigteHoff - so jedenfalls die BAW- wegen andernorts term<strong>in</strong>ierter Zeugenaussagensonst vorläufig wahrsche<strong>in</strong>lich nicht mehr als Zeuge <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> zur Verfügung stehe, war der <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong> besondererDorn im Auge. Die BAWsei selbst für diese Planung verantwortlich, unddie übernahme dieser Argumentation durch das Gericht bedeute nichtsanderes, als daß die BAW die Prozeßführung bzw. den Prozeßveriaufbestimme.Die BAWbeantwortete den Antrag der <strong>Verteidigung</strong> mit der Behauptung,gut e<strong>in</strong>e Woche Zeit sei ausreichend, um e<strong>in</strong>e 300 Seiten umfassendeAkte durchzuarbeiten 108. Außerdem hätten auch die vor Gerichtauftretenden Vertreter der BAWdie Akte nur wenige Tage früher erhalten;e<strong>in</strong>e Aussage, die von der <strong>Verteidigung</strong> stark angezweifelt wurde.Das Gericht lehnte die Anträge der <strong>Verteidigung</strong> ab: die Vorbereitungszeitsei ausreichend, und für die Anforderung weiterer Ermittlungsunterlagen(zusätzlich zu den Vernehmungsprotokollen) bestehe "ke<strong>in</strong>Anlaß" 109. Wegen der Verzögerung bei der Versendung der Akte wollees der <strong>Verteidigung</strong> jedoch entgegenkommen und mit der VernehmungHoffs erst am 27. Januar beg<strong>in</strong>nen. Dierk Hoff sagte vor Gericht aus:1968 habe er <strong>in</strong> Frankfurt bei se<strong>in</strong>em Nachbarn Tratter zufälligund nurfür wenige Sekunden e<strong>in</strong>en jungen Besucher getroffen, von dem erheute wisse, daß es Holger Me<strong>in</strong>s war. Tratter habe ihm später erzählt,se<strong>in</strong> Gast studiere an der Berl<strong>in</strong>er Filmakademie. Ende 1971 habe Me<strong>in</strong>s298'~ihn <strong>in</strong> der Werkstatt besucht und sich als "Erw<strong>in</strong>" vorgestellt. Erw<strong>in</strong> botihm an, für e<strong>in</strong> Filmprojekt e<strong>in</strong>ige technische Aufträge auszuführen.E<strong>in</strong>ige Wochen später habe ihn Erw<strong>in</strong> wieder besucht, diesmal <strong>in</strong> Begleitunge<strong>in</strong>es "Lester" ,von dem er heute wisse, daß es Raspe war. Geme<strong>in</strong>samhabe man über die von Hoff auszuführenden Aufträge gesprochen,Wiederum e<strong>in</strong>ige Wochen später habe Erw<strong>in</strong> dann die erste konkreteBestellung <strong>in</strong> Auftrag gegeben: e<strong>in</strong> Werkzeug zur Entfernung von Hohlspl<strong>in</strong>ten<strong>in</strong> sechsfacher Ausführung. Dann seien die ersten Aufträge für"Film-Requisiten" here<strong>in</strong>gekommen. Man habe ihm erzählt, es handelesich um e<strong>in</strong>en Film über e<strong>in</strong>e fiktive Revolution. Er solle nach e<strong>in</strong>emMuster Teile von Granaten herstellen; wichtigsei, daß alles "funktionsfähig"se<strong>in</strong> müsse. Auch diesen Auftrag habe er ausgeführt. Der nächsteAuftrag habe ebenfalls mit dem Filmzu tun gehabt: die Herstellung e<strong>in</strong>esBombenhalters, mit dem e<strong>in</strong>e Frau e<strong>in</strong>e Bombe an e<strong>in</strong>em Gürtel sotragen könne, als ob sie schwanger sei, und der e<strong>in</strong>en aufblasbarenBallon für den Rückweg nach dem Deponieren der Bombe enthalte.Danach habe er e<strong>in</strong> Jagdgewehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Masch<strong>in</strong>engewehr umbauenmüssen. Bei diesem technisch komplizierten Vorhaben sei ihm aufgefallen,daß Erw<strong>in</strong> über e<strong>in</strong>drucksvolle technische Kenntnisse verfügte. Erstdadurch sei se<strong>in</strong> Interesse an dem Film und an se<strong>in</strong>en Auftraggeberngeweckt worden. Als Erw<strong>in</strong> das umgebaute Gewehr abholte und er,Hoff, gerade nach näheren E<strong>in</strong>zelheiten fragen wollte, hätten Freundegekl<strong>in</strong>gelt; Erw<strong>in</strong> sei daraufh<strong>in</strong> schnell mit der Waffe durch e<strong>in</strong>en Seitenausgangverschwunden, ganz offensichtlich habe er niemandem begegnenwollen. In diesem Augenblick sei ihm klar geworden, daß da etwasnicht stimme, er habe nun befürchtet, "daß ich es also mit Krim<strong>in</strong>ellenirgende<strong>in</strong>er Art zu tun hatte". Beim nächsten Besuch habe er Erw<strong>in</strong> undLester um Aufklärung gebeten und erklärt, sie sollten ihm entweder alleszurückgeben, oder er werde zur Polizei gehen. Erw<strong>in</strong> habe ihn daraufh<strong>in</strong>mit e<strong>in</strong>er Pistole bedroht, ihm wütend mitgeteilt, er, Hoff, würde nachden schon ausgeführten Aufträgen selbst bis zum Hals <strong>in</strong> der Sachestecken, und zur Polizei könne er deshalb sicher nicht gehen. Nache<strong>in</strong>igen beschwichtigenden Worten von Lester seien beide verschwunden.Aus Angst vor Rache sei er nicht zur Polizei gegangen. Nach e<strong>in</strong>igenTagen sei Lester wiedergekommen und habe ihm sehr freundlich erklärt,daß er über den letzten Besuch nicht so recht glücklich sei. Lester habeihm dann e<strong>in</strong>e ziemlich abgegriffene und schmuddelige RAF-Broschüremit der Bemerkung "das ist von uns", er solle sie sich mal <strong>in</strong> Ruhedurchlesen, dagelassen. Er habe die Broschüre durchgeblättert, e<strong>in</strong>igeMao-Zitate entdeckt und sie daraufh<strong>in</strong> weggelegt, weil er sich nicht fürpolitische oder l<strong>in</strong>ke Literatur <strong>in</strong>teressiere; ihm sei wohl bekannt gewesen,daß die RAF etwas mit Baader-Me<strong>in</strong>hof zu tun hatte, er habe sichjedoch gefragt, ob sich se<strong>in</strong>e Auftraggeber nicht vielleicht mit fremdenFedern schmückten. Beim nächsten geme<strong>in</strong>samen Besuch von Erw<strong>in</strong>299


und Lester hätten die beiden ihm gesagt, daß mit den anderen über dieAngelegenheit geredet worden sei; er würde die von ihm hergestelltenTeile nicht zurückbekommen, er stecke selbst so tief mit <strong>in</strong> der Sache,daß er se<strong>in</strong>en Mund halten müsse, und se<strong>in</strong>en Hausschlüssel werde ererst dann zurückbekommen, wenn er noch weitere Aufträge erledigthabe. Aus Angst habe er <strong>in</strong> den folgenden Monaten noch Bestellungenausgeführt: Handgranatenhülsen und -verschlüsse, lederne Gerätegürtel,Apparate zum Knacken von Autoschlössern, metallene Bombenhüllenmit Zubehör, Magnetbomben usw, alles zusammen für etwa 3.500Mark.Während dieser Monate sei ab und zu noch e<strong>in</strong>e dritte Person, e<strong>in</strong>"Harry" mitgekommen. Nur e<strong>in</strong>mal sei, zusammen mit Erw<strong>in</strong> und Lester,noch e<strong>in</strong> Vierter dabeigewesen, von dem er heute wisse, das esBaader war. Es sei e<strong>in</strong>e merkwürdige Situation gewesen: Baader, derihm nicht vorgestellt worden sei, habe schweigend se<strong>in</strong>e Werkstatt <strong>in</strong>spiziert,um nach e<strong>in</strong>er guten Viertelstunde mit dem anderen wieder zuverschw<strong>in</strong>den.In dieser Zeit, <strong>in</strong> der er fast täglich aufgesucht wurde, habe er die ihmerzählte Geschichte geglaubt, alle die von ihm hergestellten Gegenständedienten nur zum Test neuer Gruppenmitglieder, die die Geräte <strong>in</strong> ihrerWohnung zu verbergen hätten und deren Reaktion man so überprüfenwolle.Am 11.5.72 habe Harry am späten Nachmittag schließlich die letztenSachen - e<strong>in</strong>ige große Bombenzubehörteile - abgeholt. Er selbst, Hoff,habe vorgehabt, an diesem Tag <strong>in</strong> Urlaub zu fahren. Während er - etwazwei Stunden nach Harrys Weggang - noch damit beschäftigt gewesensei, se<strong>in</strong> Auto zu packen, habe er aus Richtung des "IG-Farben-Hauses"(US-Hauptquartier) drei Explosionen gehört. Zuerst habe er zwar e<strong>in</strong>enZusammenhang vermutet, dann jedoch den Gedanken fallengelassen,da es ihm unmöglich erschien, aus dem gerade abgeholten Bombenzubehör<strong>in</strong> so kurzer Zeit fertige Bomben herzustellen. Am nächsten Tag seier mit se<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong>, die von all dem nichts gewußt habe, <strong>in</strong> Urlaubgefahren. E<strong>in</strong>ige Tage später habe er sich <strong>in</strong> der Nähe von Sa<strong>in</strong>t Tropeze<strong>in</strong>en "Spiegel" gekauft und dar<strong>in</strong> Fotos von Bombenteilen gesehen, dieer hergestellt habe. Da erst sei ihm bewußt geworden, "was die Uhrgeschlagen hatte", und er sei <strong>in</strong> Panik geraten. Während der folgendenWochen habe er abwechselnd daran gedacht, unterzutauchen oder sichder Polizei zu stellen. In dieser Zeit völliger Verwirrung seien Me<strong>in</strong>s,Baader und Raspe verhaftet worden. Aufgrund der Zeitungsfotos habeer nun gewußt, mit wem er es zu tun gehabt hatte. Weiter habe erArtikeln entnehmen können, daß das von ihm angefertigte Waffenarsenalfast komplett von der Polizeientdeckt worden war; daraufh<strong>in</strong> habe erden Gedanken, sich der Polizei zu stellen, fallengelassen. Diese Erklärunggab Hoff <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweie<strong>in</strong>halb Stunden langen Monolog ab. Als300\Hoff e<strong>in</strong>mal kurz zögerte, rief Me<strong>in</strong>hof ihm die Seite des polizeilichenVernehmungsprotokolls zu, an der er angehalten hatte. Nach Beendigungder Zeugenaussage wollte Me<strong>in</strong>hof, die das Vernehmungsprotokollvorliegen hatte, von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g wissen, wann die Angeklagten Fragen zudem "auswendig gelernten Polizeiprotokoll" stellen könntenllO SelbstPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g gab zu, es sei "sehr auffällig", wie Hoffs'Aussage von Aufbauund Inhalt her "bis zu e<strong>in</strong>zelnen Formulierungen mit dem Vernehmungsprotokoll(. .. ) übere<strong>in</strong>gestimmt hat"lll, woraufh<strong>in</strong> er von Hoff wissenwollte, ob er dazu etwas zu sagen habe. Hoff me<strong>in</strong>te, er habe e<strong>in</strong> sehrgutes Gedächtnis, und außerdem habe er se<strong>in</strong>e Geschichte schon dreimalerzählt (se<strong>in</strong>em Anwalt, der Polizei und dem Richter) und die Vernehmungsprotokollekürzlich noch e<strong>in</strong>mal durchgelesen.Das Interesse der Angeklagten und Verteidiger betraf weniger denInhalt von Hoffs Aussage als ihr Zustandekommen. Inhaltlich äußertensich die Angeklagten nur zu zwei Punkten: Erstens habe Hoff von Anfangan freiwilligund engagiert an den Aufträgen gearbeitet; er sei sich ebenfallsvon Anfang an über den Verwendungszweck se<strong>in</strong>er Produktion imKlaren gewesen und deshalb auch niemals e<strong>in</strong>geschüchtert oder bedrohtworden. Zweitens habe der von Hoff geschilderte Besuch Baaders nichtstattgefunden. Interessant an dieser knappen <strong>in</strong>haltlichen E<strong>in</strong>lassung derAngeklagten ist vor allem, daß Hoffs Rolle als Bombenbauer der RAFdar<strong>in</strong> implizitzugegeben wird, ebenso wie die damit zusammenhängenden- wie auch immer gearteten - Kontakte zu Me<strong>in</strong>s und Raspe. Soerklärte Raspe vor Gericht:"Hoff war also mal mit Holger befreundet, und er kannte ihn seit 1968. Erwußte, daß er für die RAF gearbeitet hat, und er hat die Sachen, die ergemacht, also se<strong>in</strong>e Arbeit, natürlich im Bewußtse<strong>in</strong> dessen gemacht, daß esWaffen s<strong>in</strong>d, und zwar freiwilligmit Initiative und engagiert. Das ist die Grundlageder Connection, und zwar so wie Interesse, Initiative, Freiwilligkeit,alsodie Möglichkeit des Lernprozesses - das heißt die Negation von Zwang, denHoff wahnhaft immer noch behauptet, obwohl es längst vollkommen absurdgeworden ist, <strong>in</strong> den Widersprüchen, die er produziert hat. Interesse, Initiative,Freiwilligkeit, also die Möglichkeit des Lernprozesses, bilden die Basis jederBeziehung zwischen Guerilla und ihren Sympathisanten"112.Zuvor hatte Raspe Hoff gefragt, wer eigentlich auf die Idee gekommensei, die sogenannte "Babybombe" zu bauen; e<strong>in</strong>e Idee, die ihnen allendamals "ziemlich skurril" erschien1l3. Die Frage zielte <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aufHoffs aktive Beteiligung an der Waffenherstellung (was Hoff aber abstritt),konnte aber auch als Bestätigung der Kenntnis Raspes von derHerstellung des Bombenhalters begriffen werden.Hoff hatte sich als naiv, weltfremd und politisch des<strong>in</strong>teressiert geschildert;erst hatte man ihm etwas vorgelogen, um ihn dann später unterDruck setzen zu können. Den Angeklagten lag offensichtlich viel daran,dieses zweckbestimmte Selbstbildnis Hoffs zu demaskieren und deutlich301


zu machen, daß se<strong>in</strong>e Aussage das Ergebnis monatelanger Bemühungender Staatsschutzbehörden sei, auch wenn sie sich selbst und vorallem Raspe mit ihren E<strong>in</strong>lassungen belasteten. Baaders om<strong>in</strong>ösen Besuch<strong>in</strong> Hoffs Werkstatt habe man sich ausgedach~ um das Bild e<strong>in</strong>erstreng hierarchisch organisierten Vere<strong>in</strong>igung mit Baader an der Spitzenoch e<strong>in</strong>mal akzentuieren zu können. So sei der seit Hoffs Festnahme <strong>in</strong>den Medien regelmäßig wiederholten Behauptung, "Baader erteilteHoff Aufträge" wenigstens noch den Ansche<strong>in</strong> von Glaubwürdigkeitgegeben (Hoff bezeichnete die Behauptung vor Gericht selbst als falsch).Auch die Behauptung, Hoff sei von der RAFunter Druck gesetzt worden,diene nur dazu, das Schreckensbild von e<strong>in</strong>er skrupellosen Bande an dieWand zu malen, die nicht davor zurückschrecke, Sympathisanten oderahnungslose Personen als "nützliche Idioten" zu mißbrauchen. Weiterwerde versucht, Me<strong>in</strong>s als die Personifizierung dieses Schreckensbildesdarzustellen, um se<strong>in</strong>e Ermordung im Hungerstreik nachträglich zu legitimieren.Nach den Aussagen der Angeklagten hätte Hoff ohne weiteres alsMittäter verfolgt werden können, wobei die Aussicht auf e<strong>in</strong>e entsprechendeVerurteilung, rechtlich gesehen, groß gewesen wäre. Sollte jedochHoffs Version Glauben geschenkt werden, so müßte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emspäteren Verfahren wahrsche<strong>in</strong>lich als <strong>in</strong> die Irre geführter unwissenderUnterstützer relativ gut wegkommen. Der Zeuge Hoff, dessen Aussagengegen die Angeklagten im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß sowie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er eigenenStrafsache von größter Bedeutung waren, bewegte sich de facto <strong>in</strong> derspezifischen Situation des Kronzeugen.Während der Befragung Hoffs durch die <strong>Verteidigung</strong> wurde schnellklar, daß Hoff und die ihn vernehmenden Staasschützer sich schonunmittelbar nach der Festnahme darüber unterhalten hatten, wie Hoffvon der geplanten Kronzeugenregelung am besten profitieren könne1l4.Diese Gesprächen fanden schon statt, als Hoff sich nach Rücksprachemit se<strong>in</strong>em Verteidiger noch weigerte, auszusagen.Hoff sagte vor Gericht weiter aus115, daß er noch am Tag se<strong>in</strong>er Festnahmevon e<strong>in</strong>em Staatsanwalt auf die Möglichkeith<strong>in</strong>gewiesen worden sei, durch e<strong>in</strong>Geständnis Strafnachlaß zu erhalten; die juristische Grundlage dafür sei die (<strong>in</strong>den Niederlanden unbekannte) Rechtsfigur der "tätigen Reue". Danach kanne<strong>in</strong>em Täter (bei e<strong>in</strong>er beschränkten Anzahl von Straftaten116) die Strafeteilweise oder ganz erlassen werden, wenn er freiwillig und aktiv an derVerh<strong>in</strong>derung geplanter Straftaten mitarbeitet. Da Hoff e<strong>in</strong>e derartige "tätigeReue" nicht mehr entwickeln konnte, was ihm auch wenige Tage später vonse<strong>in</strong>em Anwalt gesagt wurde, stellte der Versuch, ihm mit Versprechungendieser Art e<strong>in</strong> Geständnis zu entlocken, e<strong>in</strong>e unzulässige Verhörmethode dar (§136a StPO).Soweit Hoff sich er<strong>in</strong>nern konnte, hatten die Gespräche über dieKronzeugenregelung wahrsche<strong>in</strong>lich anläßlich der Veröffentlichungen <strong>in</strong>den Medien stattgefunden. E<strong>in</strong>e Zeit lang habe er geglaubt, vielleichtvon302~e<strong>in</strong>er solchen Regelung profitieren zu können. Alsjedoch später deutlichwurde, daß aus der Regelung wahrsche<strong>in</strong>lich nichts würde, habe er sichnicht mehr weiter darum gekümmert: Schließlich habe er sich zu jenemZeitpunkt schon entschieden gehabt, e<strong>in</strong>e Aussage zu machen, "undzurück gibt es für mich sowieso nicht mehr" 117. Durchaus erwähnenswertersche<strong>in</strong>t mir noch die Aussage Hoffs, er habe gehört, daß mit derAnklageschrift <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er eigenen Sache erst im Mai 1976 zu rechnen sei,also erst geraume Zeit nach Abschluß se<strong>in</strong>er Zeugenauftritte <strong>in</strong> mehrerenProzessen1l8. Zwar mag e<strong>in</strong> Zusammenhang zwischen dem möglichenInhalt der noch zu erstellenden Anklageschrift gegen Hoff und se<strong>in</strong>erEffektivität als "Kronzeuge" nicht nachweisbar se<strong>in</strong>. Es läßt sich jedochkaum bezweifeln, daß Hoff selbst e<strong>in</strong>en solchen Zusammenhang sah,und zwar mit allen Konsequenzen, die sich daraus für die Glaubwürdigkeitse<strong>in</strong>er Zeugenaussagen ergeben.Hoffs helles Selbstbildnis e<strong>in</strong>es naiven, apolitischen Menschen, deraber auch gar nichts von Waffen versteht, wurde von der Aussage e<strong>in</strong>esZeugen der <strong>Verteidigung</strong> erheblich verdüstert. Es handelte sich um HoffsNachbar Alois Tratter. Er hatte Holger Me<strong>in</strong>s zusammen mit anderenStudenten der Berl<strong>in</strong>er Filmakademie während e<strong>in</strong>es Streiks an dieserAkademie kennengelernt. Tratter sagte vor Gericht aus119, Hoff sei <strong>in</strong> derZeit, <strong>in</strong> der sie sich regelmäßig gesehen hätten (1968), ausgesprochenselbstbewußt gewesen und hätte großes Interesse an dem "aktionistischen"Teil der damaligen außerparlamentarischen Opposition gezeigt.Die damals recht zahlreichen Zusammenstöße mit der Polizei habe Hoffals "Kissenschlachten" bezeichnet; es komme aber darauf an, "Nägel mitKöpfen" zu machen. In diesem Zusammenhang habe Hoff auf se<strong>in</strong>eErfahrungen aus der Zusammenarbeit mit der algerischen Befreiungsbewegungangespielt. Auch habe Hoff <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Frankfurter Kneipe, dieausschließlich von l<strong>in</strong>kem Publikum besucht wurde, e<strong>in</strong>em Studentensprecher,der damals bedroht worden war, angeboten, für ihn als Leibwacheaufzutreten.Tratter sagte weiter aus, Hoff habe e<strong>in</strong>e selbstgebaute Gas-Masch<strong>in</strong>enpistolebesessen, die er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em genialen Versteck aufbewahrte.Alles zusammengenommen, habe Hoff ihm als "anerkannter Revolutionärvon früher" imponiert. Und schließlich teilte Tratter auch noch mit,daß Baader und Enssl<strong>in</strong> schon 1969 auf e<strong>in</strong>er Fete bei Hoff gewesenseien. Tratter kannte Enssl<strong>in</strong> von der geme<strong>in</strong>samen Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emalternativen K<strong>in</strong>derschutzprojekt her. Baader, Enssl<strong>in</strong> und ThorwaldProll hatten damals mit ihrem Brandanschlag auf e<strong>in</strong> Frankfurter Kaufhause<strong>in</strong>iges Aufsehen erregt. Nach ihrer Entlassung Mitte 1969 bat Hoffse<strong>in</strong>en Nachbarn Tratter, Baader und Enssl<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em Fest e<strong>in</strong>zuladen,da er die beiden gern kennenlernen wollte. Baader und Enssl<strong>in</strong> seientatsächlich gekommen, er<strong>in</strong>nerte sich Tratter, und Baader habe geme<strong>in</strong>sammit Hoff die Werkstatt besichtigt. Tratter teilte dies auf entsprechen-303


de Fragen Enssl<strong>in</strong>s <strong>in</strong> der Verhandlung mit. Er er<strong>in</strong>nerte sich auch nochdaran, daß Hoff damals Baader sogar die schon erwähnte Gas-Masch<strong>in</strong>enpistolegezeigt habe, was <strong>in</strong>sofern erstaunlich gewesen sei, als Hoffsonst immer sehr geheimnisvoll damit umgegangen sei. E<strong>in</strong>e genaueBefragung Tratters durch Heldmann brachte noch weitere E<strong>in</strong>zelheitenzutage: Hoff hatte e<strong>in</strong>e zweite Schußwaffe und e<strong>in</strong>en Katalog mit Abbildungenund Beschreibungen fast aller jemals gebauten Masch<strong>in</strong>enpistolenbesessen.Weiter er<strong>in</strong>nerte Tratter sich, daß er Hoffs Freund<strong>in</strong> schon 1969/1970an Hoffs Nähmasch<strong>in</strong>e hatte arbeiten sehen. Hoff aber hatte zuvorausgesagt, er habe se<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> erst lange nach 1972 die Bedienungder Masch<strong>in</strong>e erklärt. Aus Fragen der Angeklagten g<strong>in</strong>g ebenfalls hervor,daß sie wußten, daß Hoffs Freund<strong>in</strong> mit der Nähmasch<strong>in</strong>e 1972 amGürtel der sogenannten Babybombe gearbeitet hatte. Auch sie, e<strong>in</strong>eAmerikaner<strong>in</strong>, war 1975 gleichzeitig mit Hoff festgenommen, jedochnach wenigen Tagen wieder freigelassen und ungewöhnlich schnell alsBesucher<strong>in</strong> von Hoff zugelassen worden. Als Hoff mit se<strong>in</strong>en Aussagenbegann, verlobten sich die beiden; damit brauchten sie nicht mehr überden anderen auszusagen. Hoff selbst hatte erklärt, er habe anfangs nurdeshalb geleugnet, um gewiß zu se<strong>in</strong>, daß se<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> "<strong>in</strong> Sicherheit"sei. Inzwischen war sie denn auch <strong>in</strong> die USA zurückgekehrt.Die <strong>Verteidigung</strong> dachte darüber ganz anders: Staatsschutzbeamtehätten Hoff auf zweierlei Art unter Druck gesetzt, um von ihm Aussagenzu erhalten, e<strong>in</strong>mal mit H<strong>in</strong>weisen auf die Vorteilee<strong>in</strong>es Kronzeugen unde<strong>in</strong>mal mit der Drohung, bei mangelnder Kooperation die Freund<strong>in</strong> alsMittäter<strong>in</strong> zu verfolgen und/oder ihr die Aufenthaltsgenehmigung zuentziehen. Letzteres wurde ganz unerwartet von dem Zeugen Jacobs,e<strong>in</strong>em ehemaligen Mithäftl<strong>in</strong>g Hoffs, bestätigt, der sich unaufgefordertbei Gericht für e<strong>in</strong>e Aussage gemeldet hatte 120. Jacobs sagte aus, er seimehrere Monate lang <strong>in</strong> der Zelle neben Hoff untergebracht gewesenund habe mit ihm viele Gespräche durch das Fenster führen können.Hoff habe ihm dabei erzählt, daß das BKA ihn gedrängt habe, alsKronzeuge aufzutreten, und daß vor allem die Aufenthaltsgenehmigungder Freund<strong>in</strong> dabei e<strong>in</strong>e große Rolle gespielt habe. Die aggressive Haltungdes Zeugen Jacobs gegenüber dem Gericht machte es der BAWjedoch leicht, se<strong>in</strong>e Aussage als unbrauchbar abzuqualifizieren. So nannteJacobs, der sich als politischer Gefangener betrachtete, das Gerichtmehrmals "Sondergericht" und die Richter "Arschlöcher", was ihm dreiTage bzw. e<strong>in</strong>e Woche Haft e<strong>in</strong>brachte. Außerdem weigerte er sich "ausPr<strong>in</strong>zip", sich vereidigen zu lassen: "Wenn ich e<strong>in</strong>e Aussage mache, setztdas voraus, daß ich die Wahrheit sage".Hoff, der nach Tratter noch e<strong>in</strong>mal befragt wurdel2l, hielt an se<strong>in</strong>eranfänglich gemachten Aussage fest. Bei der Gas-Masch<strong>in</strong>enpistole habees sich lediglich um e<strong>in</strong>e Spielerei gehandelt Auf e<strong>in</strong>e direkte Frage304,Baaders nach e<strong>in</strong>er dritten Waffe im Versteck zog sich Hoff auf se<strong>in</strong>Aussageverweigerungsrecht zurück. Von Heldmann nach e<strong>in</strong>er Pistolenlieferungan Me<strong>in</strong>s im Frühjahr 1971 gefragt, antwortete Hoff, davon seiihm nichts bekannt. Zu Tratters Aussagen erklärte Hoff, daß Tratter sichzwar "nichts aus den F<strong>in</strong>gern saugt" 122, offensichtlichaber e<strong>in</strong>en falschenE<strong>in</strong>druck von ihm habe, vielleicht, weil er, Hoff, sich damals ganz gerne<strong>in</strong> bißchen wichtig getan habe. Mit der algerischen Befreiungsbewegunghabe er nie etwas zu tun gehabt, und das Angebot an den bedrohtenStudentensprecher sei sicherlich <strong>in</strong> angeheitertem Zustand als Witzgemacht worden. Anfangs blieb Hoff dabei, Baader zum erstenmal beiden von ihm beschriebenen Besuch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Werkstatt 1972 gesehen zuhaben, e<strong>in</strong> Besuch, der den Angeklagten zufolge nie stattgefunden hatte.Später me<strong>in</strong>te Hoff jedoch, es sei nicht auszuschließen, daß Baader undEnssl<strong>in</strong> schon 1969 e<strong>in</strong>mal bei ihm zu Besuch gewesen seien, er habedamals häufiger ausschweifende Feste mit vielen ihm völligunbekannten. Gästen gegeben, auf jeden Fall habe er Baader und Enssl<strong>in</strong> dabei nichtbewußt wahrgenommen.Auf alle Fragen, die mit se<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> zu tun hatten, verweigerteHoff kategorisch die Antwort. Die Gespräche mit se<strong>in</strong>em ehemaligenMithäftl<strong>in</strong>gJacobs bestätigte er, nicht aber den Inhalt, wie er von Jacobswiedergegeben worden war.Der öfter wiederholte Antrag der <strong>Verteidigung</strong>, Hoffs Freund<strong>in</strong> alsZeug<strong>in</strong> zu laden, wurde mit der Begründung, sie sei "unerreichbar",abgelehnt (§ 244 Abs. 3 StPO); dem Gericht zufolge kannte das BKAzwar ihren Aufenthaltsort, verweigerte jedoch genauere Auskünfte darüber123.2.2.3. Der Zeuge MüllerZwei Monate nach der zweiten Vernehmung Hoffs beantragte dieBAW im Juni 1976, das ehemalige RAF-Mitglied Gerhard Müller alsZeugen zu hören124. Aus dem mehr als 150 Seiten umfassenden Protokollneuerer polizeilicher Vernehmungen Müllers gehe hervor, daß dieAngeklagten alle ihnen zur Last gelegten Bombenanschläge geme<strong>in</strong>schaftlichgeplant und angeordnet hätten sowie an deren Ausführungbeteiligt gewesen seien.Diesem "überraschenden" Beweisantrag der BAW(so die "FrankfurterRundschau" vom 10.6.76) stimmte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sofort zu, ohne die<strong>Verteidigung</strong> anzuhören: Müller solle schon <strong>in</strong> drei Wochen vernommenwerden. Die <strong>Verteidigung</strong> reagierte auf diese ihrer Me<strong>in</strong>ung nach völligübereilte Vorgehensweise mit dem 50. Ablehnungsantrag gegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g125;er wurde als "unbegründet" zurückgewiesen126. Müller, der Mitte1972 zusammen mit Ulrike Me<strong>in</strong>hof festgenommen wurde, war im März1976 von e<strong>in</strong>em Hamburger Schwurgericht wegen Mitgliedschaft <strong>in</strong>305


e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Tate<strong>in</strong>heit mit Beihilfezum Mord, wegenBombenanschlägen, Urkundenfälschung und illegalem Waffenbesitz zuzehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Von dem schwersten Vorwurfder Anklage, dem Mord an dem Hamburger Polizeibeamten NorbertSchmidt im Oktober 1971, war Müller jedoch, <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmung mitdem Plädoyer der Staatsanwaltschaft, freigesprochen worden. Hoff hatteim Prozeß gegen Müller als Zeuge erklärt, Müller nicht als jenen "Harry"wiederzuerkennen, der ihn mehrmals aufgesucht hatte und der nochunmittelbar vor dem Frankfurter Bombenanschlag die letzten Bombenteileabgeholt hatte; Müller selbst bekundete, Hoff nur vom Hörensagen zukennen. Damit war Müllerdas Risikolos, als Mittäter und nicht nur wegenBeihilfe an den Bombenanschlägen verurteilt zu werden.Die <strong>Verteidigung</strong> zweifelte deshalb MüllersGlaubwürdigkeit sofort an.Sie vermutete, die BAW habe nach entsprechender Vorarbeit des BKAmit dem <strong>in</strong> dreie<strong>in</strong>halb Jahren Isolationshaft völlig zermürbten Müllere<strong>in</strong>en "deal" abgeschlossen: Müller würde <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Prozeß glimpflichdavonkommen, wenn er als Gegenleistung im Prozeß gegen "Baaderu. a." als Kronzeuge auftrete. Müllers Interesse an e<strong>in</strong>er Zusammenarbeitmit den Behörden gehe schon aus e<strong>in</strong>em von ihm verfaßten und am23.9.75 <strong>in</strong> der (heute nicht mehr existierenden) Berl<strong>in</strong>erZeitschrift"Extra­Dienst" erschienenen Brief hervor. Dar<strong>in</strong> hatte Müller erklärt, es reichenicht aus, "sich nur von diesen Gruppen (RAFund Bewegung 2. Juni ­BS) zu distanzieren", man müsse sie "mit dem Messer bis auf die Knochen"bekämpfen.Am 8.7.76, kurz vor der ersten Vernehmung Müllers <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>,g<strong>in</strong>g die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> die Offensive. Sie präsentierte dem Gericht e<strong>in</strong>eschriftlicheErklärung der Inhaftierten MargitSchiller, <strong>in</strong> der sie alsAugenzeug<strong>in</strong>berichtete, wie Gerhard Müller am 22. 10. 71 <strong>in</strong> Hamburg denPolizeibeamten Schmidt erschossen hatte127. Sie selbst war kurz nachdem Schußwechsel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nahegelegenen Telefonzelle verhaftet worden.Die ausführliche Beschreibung stimmte völligmit der Aussage e<strong>in</strong>esKollegen von Schmidt übere<strong>in</strong>, der sich ebenfalls am Tatort aufgehaltenhatte. Im Prozeß gegen Müller als Zeuge befragt, war sich dieser Beamtese<strong>in</strong>er Sache jedoch nicht mehr so sicher gewesen. Mit der polizeilichenVernehmung Müllers <strong>in</strong> der Strafsache gegen "Baader u. a." hatte dasBKA- den der <strong>Verteidigung</strong> zur Verfügung gestellten Vernehmungsprotokollenzufolge - ansche<strong>in</strong>end erst am 31.3.76 begonnen, zweiWochennach der Urteilsverkündung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Strafverfahren. Vordieser Vernehmungsperiodewäre es der BAW noch möglich gewesen, gegen denFreispruch Müllers von der Anklage wegen Mordes Revision e<strong>in</strong>zulegen;diese Möglichkeit blieb jedoch ungenutztJ28. Müller hatte dagegen Revisione<strong>in</strong>gelegt; als Zeuge <strong>in</strong> anderen Verfahren hatte er damit die Möglichkeit,Aussagen zu verweigern, wenn er befürchten mußte, sich durch e<strong>in</strong>ewahrheitsgemäße Beantwortung selbst zu belasten (§ 55 StPO).3061Deshalb sprach die <strong>Verteidigung</strong> von e<strong>in</strong>em "illegalem E<strong>in</strong>kaufen desKronzeugen Müller" durch die BAW129 und forderte sofortige E<strong>in</strong>sichtnahme<strong>in</strong> alle Vernehmungsprotokolle, e<strong>in</strong>schließlich solcher aus derZeit vor dem 31.3.76. Die <strong>Verteidigung</strong> verlangte weiter, MargitSchillerals Zeug<strong>in</strong> zu hören 130. Bundesanwalt Wunder reagierte darauf mit derDrohung, die Vorwürfe des Verteidigers Heldmann könnten "nicht ohneKonsequenzen bleiben" 131. Es stellte sich jedoch heraus, daß tatsächlichaus der Zeit vor dem 31.3.76 Protokolle über die Vernehmung Müllersals "Kronzeuge" <strong>in</strong> der Strafsache "Baader u. a." existierten, daß siejedoch schon am 23.1. 76 auf Antrag von GBA Buback vom Bundesjustizm<strong>in</strong>ister"im Interesse der Bundesrepublik" zu Geheimdokumentenerklärt worden waren. Auch die Hamburger Richter, die Müller verurteilthatten, kannten diese Akten nicht132. Obwohl BAWWunder angeblichden Inhalt der zum Staatsgeheimnis erklärten Vernehmungsprotokolleselbst nicht kannte, gab er die Versicherung ab, sie enthielten ke<strong>in</strong>Material, aus dem auf e<strong>in</strong>e Täterschaft Müllers am Mord des PolizeibeamtenSchmidt geschlossen werden könne133. Das Gericht wies daraufh<strong>in</strong>die Anträge der <strong>Verteidigung</strong> zurück. Die Vernehmung des ZeugenMüller konnte beg<strong>in</strong>nen134. Müller begann se<strong>in</strong>e Aussage mit e<strong>in</strong>er ausführlichenSchilderung se<strong>in</strong>er Tätigkeit und Funktion <strong>in</strong> der RAFseit demFrühjahr 1971. Die Gruppe habe damals aus etwa 20 Personen bestandenund über viele Wohnungen <strong>in</strong> Frankfurt, Stuttgart, Berl<strong>in</strong>, Heidelberg,Mannheim, Karlsruhe und Freiburg verfügt. Von Anfang an seiBaader der Anführer der Gruppe gewesen; Me<strong>in</strong>hof, Raspe, Enssl<strong>in</strong> undMe<strong>in</strong>s bildeten den "<strong>in</strong>neren Kern". Erste Pläne über eventuelle Bombenanschlägeseien nach dem Tod von Petra Schelm im Juli 1971aufgetaucht. Von Ende 1971 an sei er am E<strong>in</strong>kauf und Transport vonMaterial für die Herstellung von Bomben beteiligt gewesen. Frankfurt,vor allem die Wohnung Inheidener Straße, sei die Bombenzentralegewesen. Das Rezept für den roten Sprengstoff habe man über denRechtsanwalt Hans-Christian Ströbele aus Jordanien bekommen. HoffsFunktion sei ihm bekannt gewesen, er sei Hoff aber nie begegnet. In derGruppe habe es niemand mit dem Decknamen "Harry" gegeben, erselbst habe den Namen "Hardy" geführt. Müller betonte ausdrücklich,die RAF habe als "offene Gruppe" gearbeitet, jedes Mitglied habe aufNachfrage alle Informationen über Vorbereitung und Ausführung bestimmterPläne erhalten können. Deshalb könne er auch diejenigenbenennen, die die e<strong>in</strong>zelnen Bombenanschläge der "Mai-Offensive"1972 ausgeführt hätten. Der erste Bombenanschlag gegen das 5. US­Armeekorps <strong>in</strong> Frankfurt sei als Vergeltung für die am selben Tag bekanntgewordeneVerm<strong>in</strong>ung der nordvietnamesischen Häfen gedachtgewesen. Der Vorschlag stamme von Enssl<strong>in</strong>; sie, Raspe, Me<strong>in</strong>s undBaader hätten den Anschlag ausgeführt. Er habe selbst gesehen, wie siesich mit zwei Autos auf den Weg gemacht hätten. Am nächsten Morgen307


seien Baader, Me<strong>in</strong>s und Enssl<strong>in</strong> mit der Absicht nach München gefahren,als Vergeltung für die Erschießung von Thomas Weißbecker e<strong>in</strong>enBombenanschlag gegen die Polizeileitstelle zu verüben. Am selben Tagsei aus demselben Grund auf Anweisung Baaders e<strong>in</strong> Bombenanschlagauf die Polizeileitstelle Augsburg verübt worden. Ausführende <strong>in</strong> Augsburgseien Irmgard Möller und Angela Luther gewesen. Den Anschlagauf Richter Buddenberg <strong>in</strong> Karlsruhe hätten Baader, Raspe und Me<strong>in</strong>sgemacht, zum<strong>in</strong>dest sei ihm das am nächsten Morgen erzählt worden.Der Anschlag auf das Spr<strong>in</strong>gerhochhaus <strong>in</strong> Hamburg sei Me<strong>in</strong>hofs Ideegewesen. Nach Rücksprache mit Baader, Enssl<strong>in</strong> und Raspe habe Me<strong>in</strong>hofden Anschlag mit Hausner und Jünschke durchgeführt. Am Bombenanschlagauf das Heidelberger US-Hauptquartier seien Baader, Me<strong>in</strong>s,Luther und Möller beteiligt gewesen; er habe sie abfahren gesehen undbei ihrer Rückkehr vom Ergebnis der Unternehmung gehört.Müller schilderte am nächsten Tag ausführlich die über Rechtsanwältelaufenden Kommunikationswege zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Gefangenenaus der RAF. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g war der Me<strong>in</strong>ung, daß e<strong>in</strong>e Aussage zu diesemThema für die Aufklärung des Anklagepunktes "Fortsetzung der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung aus der Haft heraus" notwendig sei. Müller erklärte,Kern der Kommunikationsstränge sei die Rechtsanwaltskanzlei Groenewoldgewesen. Das "Info" habe hauptsächlich dazu gedient, Baader e<strong>in</strong>eKontrolle der anderen Gefangenen zu ermöglichen, vor allem bei Hungerstreiks.Er, Müller,sei Ende November 1974 vom Info ausgeschlossenworden, nachdem er für sich den Hungerstreik beendet und mit se<strong>in</strong>enGenossen "Schluß gemacht" habe. Aufgabe des Hungerstreiks sei dieGew<strong>in</strong>nung neuer Mitgliedergewesen. Ohne Info hätte es e<strong>in</strong>en Zusammenhaltder Gruppe <strong>in</strong> der Gefangenschaft nicht geben können. ZehnRechtsanwälte seien für das Info besonders aktiv gewesen. Vor allemStröbele habe der RAF sehr positiv gegenübergestanden; weiter sei vonPlottnitz zu nennen, der quasi als Psychologe versuchte, die Gefangenen"bei der Stange zu halten". Im Herbst 1974 habe Groenewold ihm,Müller, erzählt, daß Befreiungsaktionen vorbereitet würden; weiter sei erdavon überzeugt, daß der dritte Hungerstreik auch der Vorbereitung derBotschaftsbesetzung <strong>in</strong> Stockholm im April 1975 gedient habe.Am dritten Tag kam Müller noch e<strong>in</strong>mal - nach Rücksprache mite<strong>in</strong>em ihn ständig betreuenden Rechtsanwalt - auf se<strong>in</strong>e Aussagen überden Zeugen Hoff zurück, da se<strong>in</strong>e Glaubwürdigkeit <strong>in</strong> diesem Punkt sooffentlichtlich zu wünschen übrig ließ, daß selbst <strong>in</strong> der bürgerlichenPresse bereits kritische Kommentare erschienen waren. Müller gab nunzu, "Harry" gewesen zu se<strong>in</strong> und auch mehrfach mit HoffKontakt gehabtzu haben135. Er verne<strong>in</strong>te aber ausdrücklich, durch irgendwelche Versprechungenzu se<strong>in</strong>en "Geständnissen" bewegt worden zu se<strong>in</strong>. Erhabe zuvor nur deshalb falsch ausgesagt, weil er Konsequenzen für se<strong>in</strong>Strafverfahren befürchtete. Die <strong>Verteidigung</strong> hatte mit ihrer Befragung308JMüllerswenig Erfolg. VieleAntworten verweigerte Müllerunter Berufungauf se<strong>in</strong> Aussageverweigerungsrecht, das ihm vom Gericht auch fastimmer zugestanden wurde136. Der "Spiegel" bemerkt dazu:"Solche Aussage-Abst<strong>in</strong>enz macht es der <strong>Verteidigung</strong> nahezu unmöglich,Angaben, die auf Befragen der anderen Prozeßbeteiligten gemacht werden, zuh<strong>in</strong>terfragen. Und der Kronzeuge, der gar ke<strong>in</strong> Kronzeuge ist, wird so zurgespaltenen Persönlichkeit: freundlich, hilfsbereit, höflich gegenüber dem Gerichtund der Bundesanwaltschaft, aggressiv, abweisend und verschlossengegenüber den Verteidigem"137Wohl bestätigte Mül1er,dem BKAschon <strong>in</strong> den ersten Monaten 1976gesagt zu haben, daß er Hoff kenne. Diese Aussage gehörte damit zu denvom Bundesjustizm<strong>in</strong>ister als "Staatsgeheimnis" deklarierten Vernehmungsprotokol1en.Auch stritt Müller nicht ab, daß er damals von Hoffselbst gehört habe, dieser habe für die RAF Waffen nach Frankreichgeschmuggelt.Noch e<strong>in</strong>mal wehrte Müller sich gegen den Vorwurf, ihm seien vonden Behörden Versprechungen gemacht worden, wenn er als Belastungszeugeim Prozeß gegen "Baader u. a." auftrete; er habe nur e<strong>in</strong>eErlaubnis für se<strong>in</strong>e Kontakte zur Presse erhalten, die ihn für die vielenInterviews nach se<strong>in</strong>em Bruch mit der RAF honoriert habe. Müllerbestätigte,daß das BKA ihm den Rechtsanwalt, der ihn ständig begleitete,empfohlen hatte. Schilys Frage, ob dieser Anwalt ebenfalls aus derStaatskasse bezahlt werde, ließ Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g nicht zu, weil e<strong>in</strong>e eventuelleAntwort das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant bee<strong>in</strong>trächtigenkönnte138. Aus diesem Grund wurden auch alle anderenFragen Schilys nach e<strong>in</strong>er eventuell mit Hilfe dieses Anwalts zustandegekommenen übere<strong>in</strong>kunft zwischen Müller und Behörden immer wiederzurückgewiesen. Noch e<strong>in</strong>mal der "Spiegel":"Müllers Dilemma wurde dadurch deutlich: Obgleich es <strong>in</strong> der Bundesrepublikdie Institution des Kronzeugen nicht gibt, ist der gesprächsbereite Abweichler<strong>in</strong> diese Rolle gedrängt worden - ohne jedoch der Vorteile sicher zuse<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong> Kronzeuge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em amerikanischen Verfahren automatischgenießt"139.Nach dem Tod von UlrikeMe<strong>in</strong>hof am 9.5.76 (siehe 4.2.) nahmen dieAngeklagten nicht mehr am Prozeß teil;auch bei MüllersAuftritterschienensie nicht. Die <strong>Verteidigung</strong> wollte sich dennoch nicht mit der für sieäußerst unbefriedigend verlaufenden Konfrontation mit dem ZeugenMüller zufriedengeben.3. Die Arbeitsweise der <strong>Verteidigung</strong>In Kapitel IIIAbschnitt 3 wurden schon die wichtigsten Ausgangspunktefür die Arbeit der Verteidiger aufgezählt: Das Recht auf <strong>Verteidigung</strong>impliziert das Recht, als Beschuldigter selbst bestimmen zu können, wie309


die <strong>Verteidigung</strong> - im Rahmen der rechtlich gegebenen Möglichkeiten ­auszusehen hat; der Verteidiger hat die Aufgabe, darauf zu achten, daßdie konkreten Haftbed<strong>in</strong>gungen die Gesundheit se<strong>in</strong>er Mandanten und(damit) ihre Möglichkeiten, sich auf den Prozeß vorzubereiten, nichtnegativ bee<strong>in</strong>flussen; der Verteidiger hat darüber zu wachen, daß dasrechtsstaatliche Gebot e<strong>in</strong>es fairen Verfahrens nicht von vornhere<strong>in</strong>durch öffentliche Vorverurteilung zur l11usionwird.Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß die <strong>Verteidigung</strong> zu Beg<strong>in</strong>nder Hauptverhandlung nur noch feststellen konnte, daß es ihr<strong>in</strong>folge des aufe<strong>in</strong>ander "abgestimmten" Verhaltens von BKA, BAW,Gerichten, Politikern, Gesetzgeber und Medien unmöglich gemacht wordenwar, entsprechend dieser Ausgangspunkte zu handeln. Die gewählteArt der <strong>Verteidigung</strong>, das "wie", vor allem jedoch die Blockverteidigungder sich als Mitglieder e<strong>in</strong>es politischen Kollektivs verstehenden Angeklagtendurch Verteidiger ihrer Wahl waren <strong>in</strong>folge der Krim<strong>in</strong>alisierungund der Ausschließung der unbequemsten Verteidiger völlig zunichtegemacht worden. Jedoch nicht nur die von den Angeklagten bevorzugteArt und Weise der <strong>Verteidigung</strong> war als rechtliche Möglichkeit ausgeschaltetworden. Es war zum<strong>in</strong>dest fraglich, ob e<strong>in</strong>e grundlegende Prozeßvoraussetzung,nämlich die <strong>Verteidigung</strong>sfähigkeit der Angeklagten,nicht schon zu Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung fehlte. Die e<strong>in</strong>ige Monatespäter vorgelegten mediz<strong>in</strong>isch-psychiatrischen Sachverständigengutachtenbestätigten die Befürchtungen, daß die Angeklagten wegen jahrelangsystematisch betriebener Isolationshaft nicht mehr <strong>in</strong> der Lagewaren, der zumeist ganztägigen Hauptverhandlung zu folgen. Die dritteAufgabe der <strong>Verteidigung</strong>, für e<strong>in</strong>en "fair trial" zu sorgen, sche<strong>in</strong>t angesichtsdieser Sachlage e<strong>in</strong>e so gut wie unmöglich zu erfüllende Aufgabezu se<strong>in</strong>; im vorigen Kapitel wurde dargelegt, wie die <strong>Verteidigung</strong> trotzdemalles versucht hat, sich dieser Sisyphusarbeit zu stellen.MitRecht läßt sich fragen, welche Perspektiven h<strong>in</strong>sichtlichder <strong>Verteidigung</strong>den Angeklagten und den wenigen, zum Teilkaum e<strong>in</strong>gearbeitetenAnwälten angesichts dieser kläglichen Ausgangsposition zu Beg<strong>in</strong>nder Hauptverhandlung überhaupt noch vor Augen standen. E<strong>in</strong>ige Anhaltspunktegab Baaders schon zitierte Erklärung am zweiten Prozeßtagl40,<strong>in</strong> der er u. a. sagte:310"wir s<strong>in</strong>d an der aktion, die hier möglich ist, wenig <strong>in</strong>teressiert, sie istunwichtig. der materielle zweck hat den propagandistischen <strong>in</strong> sich. er könntehier über die dauer des verfahrens nur se<strong>in</strong>: aufklärung - die transparenz desverfahrens und darüber die transparenz der reaktion und strategie, die hierverfährt. wir können das kaum besser auf den begriff br<strong>in</strong>gen, als es sich <strong>in</strong> dermilitarisierung des verfahrens darstellt. der apparat kann die dialektik se<strong>in</strong>erselbstdarstellung nicht begreifen. er unterliegt ihr und demontiert im versuchihrer behauptung mehr rechtsstaatsideologie, als jede mögliche <strong>in</strong>terpretation.die absurde überdeterm<strong>in</strong>ierung se<strong>in</strong>er reaktion wird e<strong>in</strong> propagandistisches--mittel der <strong>in</strong>surrektion. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er reaktion vermittelt er transformation undverfall des bürgerlichen staates und dar<strong>in</strong> auch die evidenz unserer strategie".Obwohl e<strong>in</strong>e kollektive <strong>Verteidigung</strong> wegen der Neufassung des § 146StPO formal nicht mehr möglich war, setzten die Verteidiger doch allesdaran, um sie gleichwohl <strong>in</strong>haltlich aufrechtzuerhalten, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong>tensivzusammenarbeiteten und auch die ausgeschlossenen Verteidiger <strong>in</strong> diegeme<strong>in</strong>samen Beratungen mit e<strong>in</strong>bezogen.Im nächsten Abschnitt sollen anhand <strong>in</strong>terner Diskussionspapiere dieAuffassungen der Angeklagten über die von ihnen gewünschte undangestrebte Art der <strong>Verteidigung</strong> betrachtet werden. Weiter wird e<strong>in</strong> vonRechtsanwalt Temm<strong>in</strong>g vorgelegtes <strong>Verteidigung</strong>skonzept behandelt.Dieses unveröffentlichte Konzept für e<strong>in</strong>en "dramaturgischen <strong>Verteidigung</strong>srahmen",von Temm<strong>in</strong>g ausdrücklich als Diskussionsvorlage gedacht,wurde im Juni 1975 bei e<strong>in</strong>er Durchsuchung der AnwaltskanzleiGroenewold beschlagnahmt und sollte später noch <strong>in</strong> mehreren Ehrengerichtsverfahrengegen Verteidiger, unter ihnen Heldmann und vonPlottnitz, e<strong>in</strong>e Rolle spielen. E<strong>in</strong>em Brief des GBA vom 25.3.76 an dieStaatsanwaltschaft Frankfurt zufolge, hatten vor allem die beiden letztgenanntenVerteidiger sich bis dah<strong>in</strong> im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß strikt andieses Konzept gehalten, das vom GBA als "Richtl<strong>in</strong>ien zur Verschleppungder Hauptverhandlung" bezeichnet wurde.3.1. Aus der <strong>in</strong>ternen Diskussion über die <strong>Verteidigung</strong>In e<strong>in</strong>em vom 22.2.73 datierten Rundbrief bat Ströbele die von ihmverteidigten Gefangenen, sich Gedanken über die Funktion der Verteidiger<strong>in</strong> den bevorstehenden Prozessen sowie über die von ihnen gewünschte<strong>Verteidigung</strong> zu machen. Dazu bemerkte Ströbele: "Aber bitterealistische! Die Anwälte als Speerspitze der Revolution oder der RAFoder der verlängerte Arm der RAF-Genossen, die <strong>in</strong>haftiert s<strong>in</strong>d? Wohlkaum! Oder dann eben ke<strong>in</strong>e juristische Hilfe mehr!"141In e<strong>in</strong>em Briefvom 23. 12. 73 skizzierte<strong>in</strong>er der <strong>in</strong> Starnmheim e<strong>in</strong>sitzenden Angeklagten"unsere L<strong>in</strong>ie zur politischen <strong>Verteidigung</strong>":"im prozess: skandal, lehrstück, propaganda. was uns angeht erklärungbewaffneter politik. was euch angeht die darstellung und analyse des faschismusan der vernichtungsstrategie gegen gefangene revolutionäre <strong>in</strong> der brd ­durch den prozeß, die urteile, den vollzug, die fahndungsmobilisierung und diepsychologische kampfführung (bis h<strong>in</strong> zu den mordversuchen beim hungerstreik,durch sz<strong>in</strong>tigraphie, durch äthernarkose, den trakt, isolation etc.) unddas als mittel der darstellung des <strong>in</strong>ternationalen zusammenhangs der unterdrückung,ihrer ursachen, bed<strong>in</strong>gungen + strategie - ihre <strong>in</strong>ternationale organisationim imperialismus und der waffe dagegen: der <strong>in</strong>ternationale zusammenhangder guerillabewegung - der revolution so schlicht + wenn wir auchjeden satz vorschreiben außerhalb der prozesse:a) mobilisierung, kampagne, öffentlichkeit für die prozesse also das, was an311


ihnen zu vermitteln ist und gegen folter. der schutz der gefangenen. die l<strong>in</strong>iemuß werden: (freiheit für die gefangenen revolutionäre der raf) - freiheit füralle gefangenen revolutionäre, + nicht für alle politischen gefangenen (oderwar das nicht e<strong>in</strong> deutlicher witz, als <strong>in</strong> ner stuttgarter veranstaltung typen dieschnauze aufgerissen haben, die freiheit für rudolf hess wollten. warte, hab ichgelacht)b) das überlebensprogramm der politischen gefangenen <strong>in</strong> der isolation:kollektive schulung, diskussion, <strong>in</strong>formation - e<strong>in</strong> wort: kommunikation. ,,142Zwischen Dezember 1973 und dem Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung imMai 1975 verschlechterte sich die Situation für Angeklagte und Verteidigererheblich. In <strong>Stammheim</strong> war e<strong>in</strong> Bunker speziell für den Prozeßgebaut worden, e<strong>in</strong>er der Angeklagten, Holger Me<strong>in</strong>s, war gestorben, die<strong>Verteidigung</strong> lag nach der neuen Ausschlußgesetzgebung weitgehendlahm und e<strong>in</strong>e Neuformierung war wegen der anderen Änderungen desStrafprozeßrechts, aus Zeitmangel, aber auch aus Angst vor Repressalienbei potentiellen neuen Verteidigern fast nicht möglich. Zudem verschlechtertesich auch das politische Klima kurz vor Prozeßbeg<strong>in</strong>n nachder Aktion e<strong>in</strong>es RAF-Kommandos gegen die westdeutsche Botschaft <strong>in</strong>Stockholm noch mehr.Das oben genannte Diskussionspapier von Temm<strong>in</strong>g enthielt dennauch nicht viel mehr als e<strong>in</strong>ige Thesen zur Entwicklung e<strong>in</strong>es dieserSituation angepaßten <strong>Verteidigung</strong>skonzepts. Hauptaufgabe der <strong>Verteidigung</strong>müsse se<strong>in</strong>, den Prozeß selbst "transparent" zu machen, also dieStrafverfolgung als Bestandteil des unter der Regie der Staatsschutzbehördengeführten politischen Kampfes gegen die RAF deutlich zu machen.Zur Strategie der Staatsschutzbehörden gehöre die Ausblendungder politischen Dimension der Straftaten, als Taktik diene die Zergliederung<strong>in</strong> politische Beweggründe, H<strong>in</strong>tergründe, Ziele und strafrechtlicheTatbestände, "also Reproduktion der Gewaltenteilung formal-rechtsstaatlicherDef<strong>in</strong>ition". Angestrebt werden die Verschleierung der gesamtgesellschaftlichenZusammenhänge, das heißt der kapitalistischimperialistischenStruktur, die Verschleierung der Gleichschaltung undunumschränkten Zusammenarbeit aller staatlichen Organe sowie dieVerschleierung der "überdeterm<strong>in</strong>ierung" (Althusser) durch die Staatsschutzbehörden.Gegenstrategie müsse se<strong>in</strong>, genau diese Zusammenhängeaufzuzeigen, ebenso wie die ihnen eigenen, quer zur Gewaltenteilungverlaufenden Mechanismen der Um- und Durchsetzung und diedaraus folgenden <strong>in</strong>haltlich und personell angepaßten konkreten Maßnahmen.Nach dieser theoretischen Skizzierung der Situation kommtTemm<strong>in</strong>g zu e<strong>in</strong>igen Vorschlägen, wie e<strong>in</strong>e Gegenstrategie im Prozeßkonkret aussehen könnte, wobei er davon ausgeht, daß die <strong>Verteidigung</strong>auf die e<strong>in</strong>zelnen Anklagepunkte <strong>in</strong> der Sache nicht weiter e<strong>in</strong>gehenwird. Aufjeden Fall gelte es, e<strong>in</strong>e Reihe von Anträgen e<strong>in</strong>zureichen, undzwar Anträge auf sofortige E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens wegen zahlreicher312Verfahrensh<strong>in</strong>dernisse, Verlegung der Verhandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> normales Gerichtsgebäude,Aussetzung der Verhandlung bis zur Wiederherstellunge<strong>in</strong>er sowohl <strong>in</strong> sachlicher (Vorlage aller zurückgehaltenen Ermittlungsakten)als auch personeller H<strong>in</strong>sicht (Zulassung der ausgeschlossenenVerteidiger) funktionsfähigen <strong>Verteidigung</strong>, Ablehnung des VorsitzendenPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g (ungesetzlicher Richter, mitverantwortlich für den Mord anHolger Me<strong>in</strong>s), Ablehnung der übrigen Richter (die alle die bisher getroffenenMaßnahmen mitzuverantworten haben), Entlassung der Zwangsverteidiger,Zulassung ausländischer Verteidiger.AlleAnträge betrafen Fragen, die <strong>in</strong> der der Beweisaufnahme vorgelagertenPhase des Prozesses anzuschneiden se<strong>in</strong> würden. Zu der Frage,was danach passieren sollte, sagte Temm<strong>in</strong>gs Skizze nichts. Im vorigenKapitel ist beschrieben, wie die <strong>Verteidigung</strong> versuchte, ihre Offensivezum Thema Prozeßvoraussetzungen <strong>in</strong> die Tat umzusetzen und welcheResultate sie erzielen konnte. Inzwischen waren die Angeklagten, so weitihnen dies möglich war, damit beschäftigt, die weiteren Schritte zu diskutieren.Die Notwendigkeit, darüber mite<strong>in</strong>ander zu kommunizieren, wurdeumso dr<strong>in</strong>gender, je weniger die Angeklagten wegen ihrer sich weiterverschlechternden Gesundheit selbst am Prozeß teilnehmen konnten,der nach dem "Folterbeschluß" des BGH vom 22. 10. 75 auch <strong>in</strong> ihrerAbwesenheit fortgesetzt werden durfte. Die Angeklagten, so war zubefürchten, würden die Kontrolle über den weiteren Prozeßverlauf verlieren,wenn es nicht gelänge, mit den noch verbliebenen Verteidigernkonkrete Absprachen über die zukünftige L<strong>in</strong>ie der <strong>Verteidigung</strong> zutreffen. Aber gerade die zunehmende Konfrontation zwischen AngeklagtenNerteidigernund dem gesamten Staats- und Justizapparat, die damite<strong>in</strong>hergehenden E<strong>in</strong>schüchterungsversuche bis h<strong>in</strong> zur Androhung vonEhrengerichtsverfahren, Ausschließung von der <strong>Verteidigung</strong> und Berufsverboten,sollten zur Folge haben, daß die Verteidiger immer mehrgeneigt waren, von konkreten Absprachen abzusehen und e<strong>in</strong>e Festlegungauf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige <strong>Verteidigung</strong>sstrategie zu vermeiden. E<strong>in</strong>igezogen sich unter dem zunehmenden Druck ganz aus der <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong>RAF-Prozessen zurück. In der Phase allgeme<strong>in</strong>er Perspektivlosigkeit seitensder <strong>Verteidigung</strong> warfen e<strong>in</strong>ige Anwälte den Angeklagten vor, siewürden versuchen, sie wie Marionetten zu behandeln, während andereVerteidiger sich vorwarfen, für bzw. gegen die RAF zu se<strong>in</strong>. Zu diesenAuse<strong>in</strong>andersetzungen äußerten sich die Angeklagten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternenDiskussionspapier:"man muß damit anfangen, daß es solche ause<strong>in</strong>andersetzungen, <strong>in</strong> denendie frage zwischen den anwälten und zwar falsch stand - ob man für odergegen die raf ist - schon mal gab. sie taucht immer dann auf, wenn die anwältebegreifen, daß anträge nichts nützen, daß die raf nicht justiziabel ist, daß sie <strong>in</strong>den verfahren gegen die gefangenen aus der raf als organe der rechtspflege,also als funktion des justizapparats machtlos s<strong>in</strong>d.313


für uns existiert diese frage nicht. sie verklausuliert, egal wie ideologischrationalisiert, die identifikation mit dem staat und zwar dem imperialistischenstaat des mult<strong>in</strong>ationalen us-kapitals.die raf ist ke<strong>in</strong>e partei. man kann nicht für oder gegen sie se<strong>in</strong>e stimmeabgeben. sie ist nicht wählbar, sie ist illegal. sie ist e<strong>in</strong> verhältnis wie sie praxisist, das verhältnis e<strong>in</strong>er gruppe antiimperialistischer kämpfer zum staat, dasse<strong>in</strong>en ausdruck, d.h. se<strong>in</strong>e realität und wirklichkeitim kampf gegen den staathat. ihre realität ist ihre politik, d.h. ihre praxis, und sie ist der strategische kernproletarischer politik <strong>in</strong> der metropole bundesrepublik.die raf steht aber gar nicht zur diskussion. zur diskussion steht die verteidigungder gefangenen aus der raf und zwar ihre verteidigung gegen das projektder bundesanwaltschaft, die gefangenen zu vernichten.das heißt, es geht nicht um die verteidigung der gefangenen vor e<strong>in</strong>er<strong>in</strong>stanz dieses staates, die dann schließlich entscheidet, urteilt, es geht um dieverteidigung gegen - weil das ziel der bundesanwaltschaft nicht ist, zu e<strong>in</strong>emrechtsstaatlichen urteil zu kommen. die prozedur ist nur die hülse, sie isttarnung. das ziel ist die ausrottung der guerilla vermittels der ausrottung derpersonen, der e<strong>in</strong>zelnen kämpfer, die der staatsschutz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er gewalt hat.die anwälte, auf dem terra<strong>in</strong> der justiz stehend, haben <strong>in</strong> der form derverteidigung vor, also <strong>in</strong> der form ihrer eigenschaft als organe der rechtspflegedie funktion der verteidigung gegen - das ist der punkt, die funktion, diegefangenen gegen das vernichtungsprojekt der baw und das heißt des gerichts,der regierung, des staats zu ,verteidigen' - was hier heißt: den staat, diebaw, das gericht angreifen, entlarven, mit den tatsachen, die sie geschaffenhaben konfrontieren, mit dem ziel, ihnen das leben, die möglichkeit dergefangenen, gegen ihre vernichtung zu kämpfen, zu entreißen. sie ist ihrem<strong>in</strong>halt nach: schutz des lebens und der gesundheit der gefangenen, oder sie istbeteiligung an der vernichtung der gefangenen"143.Die Angeklagten waren ferner der Auffassung, das Gericht habe e<strong>in</strong>deutigbewiesen, daß es se<strong>in</strong>e Unabhängigkeit und damit se<strong>in</strong>e Hauptfunktion- Wahrung und Schutz der Grundrechte, der körperlichenUnversehrtheit, usw. - aufgegeben habe. Die letztgenannte Funktion se<strong>in</strong>un nur noch von der <strong>Verteidigung</strong> wahrzunehmen, womit "also improzeß der faschisierung e<strong>in</strong>e aufwertung der funktion der verteidigerstattf<strong>in</strong>det". Angesichts der Tatsache, daß das Gericht den Boden desStrafprozeßrechts bereits verlassen habe, könne und dürfe es der BAWnicht gestattet werden, den Prozeß als Counter-Insurgency-Projekt weiterzuführen,während die Verteidiger weiterh<strong>in</strong> versuchten, "normalenstrafprozeß zu spielen".314"<strong>in</strong> diesem widerspruch: neuer begriff der verteidigung oder überhauptke<strong>in</strong>e verteidigung, entweder verteidigung gegen - oder die anwälte spielendas spiel der bundesanwaltschaft, weil es ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stanz mehr gibt, vor derverteidigt werden könnte - bewegt sich die clique der anwälte, und diediskussion für oder gegen die raf hat zum <strong>in</strong>halt: für oder gegen die vernichtungder gefangenen aus der raf.anders gesagt: verteidigung wird politische opposition, widerstand gegendie politik der bundesanwaltschaft, die <strong>in</strong>nerstaatliche strategie des neuent ,,tI'I~,~~faschismus: counter<strong>in</strong>surgency, oder sie ist teil des projekts der bundesanwaltschaft,<strong>in</strong>dem sie an deren verschleierung mitwirkt- ihrer verschleierung <strong>in</strong> derform des vorgetäuschten ,normalen strafverfahrens',,144Paradox an diesem Versuch, die Rolle der <strong>Verteidigung</strong> zu bestimmen,sche<strong>in</strong>t auf den ersten Blick zu se<strong>in</strong>, daß die Verteidiger vor der Wahlstünden, entweder gegen die Vernichtungsstrategie des Staatsschutzapparatszu se<strong>in</strong> und folglich auch dagegen zu kämpfen, oder Teil diesesSystems und folglich für die Vernichtung der RAF zu se<strong>in</strong>; aber: währenddie erste Möglichkeit be<strong>in</strong>haltet, gegen den Staat offensiv aufzutreten,was unmittelbar zur Folge haben würde, daß die Konfrontation und mitihr die Intensität der Isolationshaft zunimmt, kann die zweite Möglichkeitnicht diskutiert werden, da, wie die Angeklagten betonten, die RAF selbstnicht zur Diskussion stehen kann. Der Widerspruch sche<strong>in</strong>t lösbar zuse<strong>in</strong>, wenn man sich vor Augen hält, daß die Angeklagten, ausgehendvon ihrem Selbstverständnis als revolutionäre Guerilla, nicht <strong>in</strong> ersterL<strong>in</strong>ie von sich selbst sprechen, sondern von allen heutigen und zukünftigenGefangenen aus dem Kollektiv RAF. So heißt es denn auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emanderen Diskussionspapier der Angeklagten:"wir bestimmen unser verhältnis zu den anwälten nach den kriterien proletarischerbündnispolitik. nach den kriterien - weil es bündnispolitik natürlichnicht mit den teilen des staatsapparates gibt und weilh<strong>in</strong>ter den anwälten sozialoder politisch oder ideologisch nichts steht.wir bestimmen es aus unserem <strong>in</strong>teresse, durch das moment der öffentlichkeit,das die anwälte <strong>in</strong> dem verfahren gegen uns s<strong>in</strong>d - gegen die vernichtungsstrategieder bundesanwaltschaft geschützt zu werden, aus unserem<strong>in</strong>teresse und so auch verantwortung gegenüber der legalen und so auch<strong>in</strong>ternationalen öffentlichkeit, an stammheim die struktur der reaktion, derkonterrevolutionären mobilisierung als counter<strong>in</strong>surgency, wie sie <strong>in</strong> der bundesrepublikder sozialdemokratie aus ihrer funktion für das us-kapital nurmöglich ist: als demobilisierung sichtbar zu machen und aus dem <strong>in</strong>teresse deranwälte, politische verteidiger zu bleiben bzw. auch nach stammheim nochse<strong>in</strong> zu können.stammheim hat richtl<strong>in</strong>ienfunktion für alle politischen prozesse <strong>in</strong> der brdLITRI westberl<strong>in</strong>': das heißt: für die politische justiz.wie sich die staatsschutzmasch<strong>in</strong>e,ihr machtzentrum: bundesanwaltschaft und politische polizei an und <strong>in</strong>stammheim durchsetzt, konditioniert das vorgehen der gerichte, staatsanwaltschaften,des vollzugsund der politischen polizei gegen die gefangenen aus derstadtguerilla überhaupt. das ziel ist: politische verteidigung auszuschalten unddie gefangenen zu vernichten. die methoden s<strong>in</strong>d: verteidigerausschluß, sukzessiwerbot,berufsverbote, beseitigung des <strong>in</strong>stituts des amtlich bestelltenvertreters, die ökonomische vernichtung der kanzleien - schließlich die vernichtungdes <strong>in</strong>stituts der wahlverteidiger überhaupt.und was die imperialistischen medien längst propagieren, daß die brd nachstamm heim e<strong>in</strong> anderer staat se<strong>in</strong> wird, als sie es vor stammheim war, kannauch den l<strong>in</strong>ken anwälten nicht entgangen se<strong>in</strong>"145.Angesichts ihrer zum Teil jahrelangen Erfahrungen mit der Behand-315


lung von Gefangenen aus der RAF kamen die Verteidiger nicht umh<strong>in</strong>,die Tatsachen der auf Vernichtung angelegten Haftbed<strong>in</strong>gungen und derZerstörung der <strong>Verteidigung</strong> zu bestätigen; problematisch war jedoch dievon den Gefangenen vorgenommene politische Analyse dieser Tatsachen.Zur Frage, wer die Öffentlichkeit des Prozesses für sich nutzenmüsse, erklärten die Angeklagten:"sie oder wir, die baw für die durchsetzung ihrer vemichtungsstrategie gegendie stadtguerilla auf dem terra<strong>in</strong> der justiz, oder wir für die durchsetzungpolitischer verteidigung, wie sie nur möglich ist: aus dem <strong>in</strong>temationalenzusammenhang, <strong>in</strong> dem die stadtguerilla kämpft. was auch heißt: daß politischeverteidigung e<strong>in</strong> moment von antiimperialistischem kampf ist - aus ihrerschutzfunktion für das leben und die ,körperliche unversehrtheit' der kämpferund aus ihrer aufklärungsfunktion, die wahrheit über den neuen faschismus,wie sie an stammheim sichtbar gemacht werden kann, sichtbar zu machen"I46.Die meisten der Verteidiger reagierten auf den Begriff "neuer Faschismus"allergisch. Den Angeklagten g<strong>in</strong>g es darum,"daß die staatsschutzmasch<strong>in</strong>e sichtbar gemacht wird, die dimension der<strong>in</strong>nerstaatlichen repression, faschismus als <strong>in</strong>stitutionelle strategie - an denoperationen der bundesanwaltschaft im rechtlichen vakuum zwischen dembürgerlich verfaßten rechtsstaat und dem offenen faschismus der notstandsverfassungalso: der transformationsprozeß, <strong>in</strong> dem sich die staatsschutzmasch<strong>in</strong>ezum zentrum der politischen macht <strong>in</strong> der brd entwickelt - als militärapparat"147.Daß politische <strong>Verteidigung</strong> Bestandteil des antiimperialistischenKampfes war, wurde von den Anwälten nicht bestritten. Problematischwar jedoch die von den Angeklagten vorausgesetzte "proletarischeBündnispolitik", die nach Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>iger Anwälte bedeutete, daß sie,wenn sie zu dem für die <strong>Verteidigung</strong> notwendigen engen Vertrauensverhältnismit ihren Mandanten gelangen wollten, mit der These vondem sich entwickelnden "Faschismus als <strong>in</strong>stitutionelle Strategie" übere<strong>in</strong>stimmenmüßten. E<strong>in</strong>e solche These zu bejahen, würde jedoch fürmarxistisch geschulte Anwälte heißen, daß sie legal nicht mehr arbeitenkönnten. Schließlich kann man Faschismus nicht legal bekämpfen. Dievon den Mandanten formulierte Notwendigkeit ihrer <strong>Verteidigung</strong> durchpolitisch engagierte Anwälte schien damit nicht mehr gewährleistet zuse<strong>in</strong>: Verteidiger drohten abzuspr<strong>in</strong>gen, oder sie versuchten, was nochschlimmer war, ihre eigenen Vorstellungen von politischer <strong>Verteidigung</strong>sstrategieunabhängig von oder konträr zu den Konzeptionen ihrerMandanten durchzusetzen, wobei jeweils das <strong>in</strong>dividuelle "politischeEngagement" des Verteidigers ausschlaggebend war. Das grundsätzlicheDilemma, <strong>in</strong> dem sich politische Verteidiger bef<strong>in</strong>den, die die <strong>Verteidigung</strong>gefangener Sozialrevolutionäre im bürgerlichen Rechtsstaat übernommenhaben, formulierte Baader im Juli 1975:"die sozialistischen anwälte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der grotesken situation, die letzten verteidigerdes bürgerlichen rechtsstaats zu se<strong>in</strong>. wir nehmen ihre argumentation h<strong>in</strong>316- obwohl die konservierung des bürgerlichen staates, rechtsstaates, um dieseneuphemismus zu benutzen, sicher nicht unser problem ist, solange die aktionder anwälte öffentlich und im gerichtssaal auf die revolutionäre seite deswiderspruchs verweist - sie propagiert <strong>in</strong>dem sie aufzeigt daß die verfassungmit ihrem grundsätzlichen widerspruch der sich im kapitalistischen restaurationsprozeßverschärfen mußte jetzt zum antagonismus wird gegen die machtpolitikdes kapitals die ihre verwirklichung von anfang an verh<strong>in</strong>dert hat, nichtzu verteidigen ist. nicht verteidigt werden kann wo sie der veränderten funktiondes staates im reproduktionsprozeß des kapitals nicht mehr entspricht.das heißt auch - wo die aktion der anwälte auf die revolutionäre lösungverweist, <strong>in</strong> der brüchigkeit jenes versuchs die <strong>in</strong>tentionen der verfassunggegen den faschisierungsprozeß zu schützen - der aussichtslosigkeit, vermitteltsich für uns die notwendigkeit zu ihrer radikalen negation zu kommen: revolutionärepolitik"148Ausgehend von der Idee des bürgerlichen Rechtsstaats, waren dieVerteidiger nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, sich für dieWahrung der strafverfahrensmäßigen und der grundgesetzlich verbrieftenRechte ihrer Mandanten e<strong>in</strong>zusetzen. Sie hatten es jedoch mit Mandantenzu tun, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Justiz und ihrervon eben diesen Erfahrungen weiter untermauerten politischen Analysedavon ausg<strong>in</strong>gen, daß der bürgerliche Staat den rechtsstaatlichen Rahmenim Umgang mit Gefangenen aus sozialrevolutionären Bewegungenzwangsläufig verlassen mußte. Diese Mißachtung der geltenden Gesetzeund Rechtsgrundsätze durch den Staat selbst, die mit Hilfe der Verteidigerimmer wieder aufgedeckt wurde, war für die Angeklagten Teil derBestätigung ihrer These vom Faschisierungsprozeß <strong>in</strong> der BRD als notwendigemBestandteil der kapitalistischen Restauration. Die Faschisierungdes Staatsapparats als Reaktion auf antiimperialistischen Widerstandbestätigte gleichzeitig die Notwendigkeit "revolutionärer Politik".E<strong>in</strong> zentraler Punkt <strong>in</strong> dieser Analyse war der Begriff "Counter<strong>in</strong>surgency",mit dem die vom westlichen Imperialismus entwickelte Strategie zurUnterdrückung oder Bekämpfung von Aufruhr (Insurgency) bzw. Befreiungskämpfenbezeichnet wird. Auch <strong>in</strong> der BRD sei Counter<strong>in</strong>surgency<strong>in</strong>zwischen Teilstaatlicher Politik geworden, was vor allem an der Legitimierungvon Folter an politischen Gefangenen sichtbar werde. Damit seies nicht mehr ausreichend, die tatsächlichen Verhältnisse bloßzulegen,sondern es komme darauf an, den Staat anzugreifen, <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> alsoaus der Defensive zu e<strong>in</strong>er offensiven <strong>Verteidigung</strong> zu kommen, die denStaat explizit wegen se<strong>in</strong>er Vernichtungsstrategie gegen politische Gefangeneattackiert. Der Analyse zufolge mußte e<strong>in</strong>e solche Offensivemöglich se<strong>in</strong>, ausgehend von dem <strong>in</strong>ternationalen Rahmen, <strong>in</strong> dem dieStadtguerilla <strong>in</strong> der BRD ihren Kampf führe, da der Staat damit auf derEbene des Völkerrechts angreifbar werde. Für die Gefangenen aus derRAF gab es folglich zwei Hauptverteidigungsl<strong>in</strong>ien. Erstens: Ausgehendvon der Anklageschrift und vor allem von den Angriffen gegen die US-317J


.JArmee <strong>in</strong> Heidelberg und Frankfurt, gelte es, e<strong>in</strong> völkerrechtlich begründetesWiderstandsrecht zu entwickeln - worunter die Angeklagten denauf proletarischen Internationalismus gegründeten Widerstand verstanden.Zweitens: Ausgehend von der Vernichtungshaft und dem Ausnahmecharakterdes <strong>Stammheim</strong>er Prozesses sei die Forderung zu entwikkeIn,die Gefangenen aus sozialrevolutionären Bewegungen zukünftigentsprechend den <strong>in</strong> der Genfer Konvention über die Behandlung vonKriegsgefangenen festgelegten M<strong>in</strong>imalrechten <strong>in</strong>haftiert zu halten.Soweit <strong>in</strong> groben Zügen die Wiedergabe der <strong>in</strong>ternen Me<strong>in</strong>ungsbildungbei den Gefangenen aus der RAF über die politische Stoßrichtungihrer <strong>Verteidigung</strong>, wie sie <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> <strong>in</strong> dem vom Staat selbst alsRichti<strong>in</strong>ienprozeß bezeichneten Verfahren gegen "Baader u. a. " konkretisiertwerden sollte.3.2. Die wichtigsten Initiativen während der BeweisaufnahmeMitte Januar 1976 verlasen die Angeklagten ihre Prozeßerklärung.Diese Erklärung, die noch gesondert betrachtet wird (vgl. 4.1.), enthielte<strong>in</strong>e umfassende Analyse der Entwicklung des weltpolitischen Geschehensdes letzten Jahrzehnts, der Rolle des westlichen Imperialismus unterFührung der USA im Kampf gegen die Befreiungsbewegungen derDritten Welt und des damit e<strong>in</strong>hergehenden Faschisierungsprozesses,e<strong>in</strong>e Analyse des bewaffneten Kampfs <strong>in</strong> den "Metropolen" und der sichdaraus ergebenden Theorie und Praxis der RAF als Stadtguerilla.Die Angeklagten hatten zwei Tage lang das Wort, um diese Prozeßerklärungvortragen zu können. Danach stellte die <strong>Verteidigung</strong> den Antrag,das Verfahren e<strong>in</strong>zustellen und die Angeklagten unmittelbar <strong>in</strong>Kriegsgefangenschaft zu überführen. Dieser Antrag, Teil der "zweiten<strong>Verteidigung</strong>sl<strong>in</strong>ie", wird <strong>in</strong> Abschnitt 3.2.2. behandelt.Die erste und offensivere L<strong>in</strong>ie des <strong>Verteidigung</strong>skonzepts der Angeklagtenfand ihre Umsetzung <strong>in</strong> den am 4.5.76 e<strong>in</strong>gereichten Anträgenauf Anhörung von Richard Nixon, Melv<strong>in</strong> Laird, WilliBrandt, HelmutSchmidt, Ludwig Erhard, KurtGeorg Kies<strong>in</strong>ger und Gustav He<strong>in</strong>emannals Zeugen zum Vietnam-Krieg und zur aktiven Unterstützung der USAdurch die BRD. Die westdeutsche Unterstützung der völkerrechtswidrigenIntervention der USA <strong>in</strong> Vietnam wurde mit e<strong>in</strong>em weiteren Beweisantragüber die Praktiken der CIA ergänzt. Diesem Antrag folgte späterder Antrag auf Vernehmung von vier ehemaligen CIA-Agenten als "präsenteZeugen" im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß. Im nächsten Abschnitt werdendiese sogenannten Vietnam-Anträge behandelt. In Abschnitt 3.2.3. werdendie Initiativen der <strong>Verteidigung</strong> näher betrachtet, die dazu führten,daß von der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Müller nichts mehr übrigbleiben sollte. Im selben Abschnitt wird auch über die Anhörung der vonder <strong>Verteidigung</strong> als Zeugen benannten RAF-Mitgliederberichtet. Diese318-Gefangenen gaben vor allem nähere Auskunft über Organisationsformund <strong>in</strong>nere Struktur der RAF.3.2.1. Vietnam-Anträge-Der kurzgefaßte Inhalt dieser Anträge: Von 1954 bis m<strong>in</strong>destens 1974hatten die Regierungen der USA durch ihr militärisches E<strong>in</strong>greifen undihre Kriegsführung <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a Verbrechen im S<strong>in</strong>ne des Völkerrechtsbegangen: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen sowie Verbrechengegen die Menschlichkeit. Diese Kriegsverbrechen seien zue<strong>in</strong>em großen Teilvon der BRD aus organisiert und unterstützt worden.Die damaligen Regierungen der BRD hätten vor allem im Jahr 1972sowohl aktiv als auch passiv an diesen Kriegshandlungen mitgewirkt,wohl wissend, daß sie als völkerrechtliche Verbrechen anzusehen waren.Wegen dieser von den genannten Zeugen und Sachverständigen zubestätigenden Tatsachen müsse das Gericht zu dem Schluß kommen,daß die Anschläge <strong>in</strong> Heidelberg und Frankfurt aufgrund e<strong>in</strong>es völkerrechtlichbegründeten Widerstandsrechtes als ultima ratio gerechtfertigtwaren. Ausgehend von der Anerkennung des Individuums als Subjektdes Völkerrechts müsse das dem Individuum (oder e<strong>in</strong>er Gruppe) zustehendeRecht auf Notwehr gegen die völkerrechtliche Verletzung se<strong>in</strong>eroder anderer Menschen Rechte notwendig zu e<strong>in</strong>er Interpretation führen,die <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmung stehe mit dem <strong>in</strong> Artikel51 der UN-Chartafestgelegten "naturgegebenen Recht zur <strong>in</strong>dividuellen oder kollektivenSelbstverteidigung" .Die e<strong>in</strong>zelnen Beweisanträge:1. Beantragt wurde die Vorladung des Oberbefehlshabers der US­Armee <strong>in</strong> Europa, General Michael S. Davison. Davison könne bestätigen,daß die amerikanischen Militäroperationen <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a, vor allemjedoch die Luftangriffe, der Nachschub und die Auswechslung der Truppenverbände,im Mai 1972 mit Hilfe des im Heidelberger US-Hauptquartier<strong>in</strong>stallierten Computers koord<strong>in</strong>iert wurden. Weiter könne erbestätigen, daß die Zerstörung dieses Computers durch den Bombenanschlagzu e<strong>in</strong>er erheblichen Bee<strong>in</strong>trächtigung der militärischen Operationen<strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a geführt hattel49.Während der Beweisaufnahme zum Heidelberger Anschlag hatte der amerikanischeArmeeangehörige Kosalko, zuständig für Computerwartung, vorGericht ausgesagt, ihm sei bekannt, daß der Logistikcomputer damals tatsächlichbeschädigt worden war150.2. Auch der ehemalige US-Präsident Nixon, der ehemalige US-<strong>Verteidigung</strong>sm<strong>in</strong>isterLaird, der ehemalige stellvertretende <strong>Verteidigung</strong>sm<strong>in</strong>isterDaniel James und der ehemalige Oberbefehlshaber der amerikanischenStreitkräfte <strong>in</strong> Vietnam, General Creighton Abrams, sollten als319


...,....,. .",...,.,...~~,~. .". ~"".~'., ~.,.,.-..Zeugen gehört werden 151.Sie könnten bestätigen, daß 1972, zusätzlichzu den Bombenanschlägen der RAF, noch weitere Bombenanschlägeauf amerikanische E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb derUSA verübt worden waren, und daß diese Anschläge <strong>in</strong> nicht unerheblichemMaße mitverantwortlich für den Rückzug der amerikanischenTruppen aus Indoch<strong>in</strong>a gewesen seien. Auch müßten dieseZeugen bestätigen können, daß sie, geme<strong>in</strong>sam mit anderen, Vietnamesengetötet oder verwundet hatten, mit der Absicht das vietnamesischeVolk gänzlich oder teilweise zu vernichten; dies ~lIes <strong>in</strong> den Jahren1968 bis 1974, und zwar als Fortführung der von den früherenUS-Präsidenten Eisenhower, Kennedy und Johnson begonnenen Politik.Anschließend präsentierte die <strong>Verteidigung</strong> die diesen Zeugen vorzulegendenTatbestände über den Vietnamkrieg, die zum Teil offiziellenamerikanischen Quellen, zum Teil den Unterlagen des Russell-Tribunalsüber Vietnam entnommen warenI52. Hier nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Auswahl:Alle<strong>in</strong> von April 1972 bis Januar 1973 flog die US Air Force mehr als54.000 Bombenangriffe auf Nordvietnam und warf Bomben mit e<strong>in</strong>er Gesamtsprengkraftvon 20 Atombomben des Typs Hiroshima ab. Ziele dieserAngriffe waren überwiegend Städte und Dörfer, die zum größten Teil demErdboden gleichgemacht wurden. Auch alle Industriezentren waren systematischbombardiert worden, ebenso wie das ausgedehnte und lebensnotwendigeWasserversorgungssystem von Deichen und Kanälen.Zwischen 1969 und 1971 wurden über Indoch<strong>in</strong>a (vor allem über Vietnam)mehr Bomben abgeworfen als während des gesamten Zweiten Weltkriegs.In derselben Zeit verseuchte die US-Armee mehr als zwei MillionenHektar fruchtbares Agrarland mit Gift. Zwischen 1965 und 1973 verbrauchtendie USA <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a 14 Millionen Tonnen Munition (gleich 720 Hiroshima-Atombomben),sieben Millionen Tonnen Bomben und Raketen sowie200 Millionen Tonnen Napalm.Von 1961 bis Januar 1973 gab es unter der Zivilbevölkerung mehr alszwei Millionen Tote, elf Millionen mußten flüchten.In enger Zusammenarbeit mit der Marionettenregierung Thieu verwandeltendie Nordamerikaner Süd-Vietnam <strong>in</strong> e<strong>in</strong> riesiges Niemandsland mitmehr als 1.000 Gefängnissen und Konzentrationslagern. Mit ihrem sogenanntenPazifizierungsprogramm töteten, verwundeten oder vertrieben siee<strong>in</strong> Drittel (5,8 Millionen) Vietnamesen.3. Paul Ignatius, hoher Beamter im US-<strong>Verteidigung</strong>sm<strong>in</strong>isterium,sollte bezeugen können153, daß 1972 <strong>in</strong> den USA 6.000 Fabriken mitetwa vier bis sechs Millionen Arbeitnehmern ausschließlich mit der Produktionvon Waffen für den Krieg <strong>in</strong> Vietnam und gleichzeitige<strong>in</strong> Drittelaller amerikanischen Wissenschaftler (darunter 40 Prozent Naturwissenschaftler)ausschließlich mit der Entwicklung neuer Vernichtungswaffenbeschäftigt wurden, und daß die Kriegsführung alle<strong>in</strong> zwischen 1963und 1969 mehr als 410 Milliarden Dollar gekostet habe. Weiter könne320Ignatius exakte Angaben über die gigantische Menge an Munition undBomben machen, die im Lauf der Jahre für den Vietnamkrieg produziertund benutzt worden waren.4. Der deutsche Psychiater Erich Wulff, der Vietnam während desKrieges mehrmals besuchte (u. a. auch <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit demMedisch Comite, NederlandVietnam), könne als Zeuge über die Foltermethodenberichten, die unter amerikanischer Aufsicht systematisch anKriegsgefangenen und Zivilistenangewandt wurden154.5. ZweiMitgliederdes amerikanischen Kongresses, Augustus Hawk<strong>in</strong>sund William Anderson, könnten detaillierte Aussagen machen über die1972 vorhandenen 1.000 vietnamesischen Gefängnisse, <strong>in</strong> denen permanent115.000 bis 200.00 Gefangene unter grausamen Bed<strong>in</strong>gungenfestgehalten wurdenISS.Die amerikanische Regierung hätte für diese Gefängnisse, zu denenauch die berüchtigten "Tigerkäfige" <strong>in</strong> Puolo Condor gehörten, m<strong>in</strong>destense<strong>in</strong>e halbe MillionDollar ausgegeben. M<strong>in</strong>destens 2.000 Gefangenekamen bei Massenexekutionen ums Leben.6. Der amerikanische Arzt Dr. Casselmann und der Journalist WilliamPepper könnten bezeugen, daß zwischen 1961 und 1966 mehr als e<strong>in</strong>eMillion K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Vietnam getötet oder verwundet wurden.7. Der amerikanische Soldat Ronald Ridenhour solle als Zeuge überdas Massaker von My Lay (567 Tote) berichten und der frühere Kommandantder 11. Brigade der amerikanischen Division <strong>in</strong> Vietnam,Oberst Henderson, solle als Zeuge se<strong>in</strong>e Erklärung bestätigen: "JedeE<strong>in</strong>heit von Brigadegröße hat ihr My Lay irgendwo versteckt,,156.8. Rechtsanwalt Joe Nordmann, Generalsekretär der InternationalenVere<strong>in</strong>igung Demokratischer Juristen (AIJD) <strong>in</strong> Paris und Professor RichardFalk von der Pr<strong>in</strong>ceton University sollten als Sachverständige fürden völkerrechtlichen Aspekt des Krieges <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a gehört werdenI57.Außerdem wurden noch vier weitere westdeutsche Völkerrechtsexpertenals Sachverständige genannt: Prof. Dr. Walter Rudolf (Bochum), Dr.Maier-Tasch (München), Dr. Karl-Josef Partsch (Bonn) und Dr. WolfgangAbendroth (Marburg). Auch sie sollten über die permanentenschweren Verstöße der USA gegen das Völkerrecht, gegen nationaleund <strong>in</strong>ternationale Verträge aussagen und folgende Punkte bestätigen:Von 1945 bis 1956 unterstützten die USA den französischen Kolonialkrieg<strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a mit 2,6 Millionen Dollar. Nach der Niederlage Frankreichs brachendie USA den auch sie b<strong>in</strong>denden "Genfer Vertrag über die Beendigungder Fe<strong>in</strong>dseligkeiten <strong>in</strong>lndoch<strong>in</strong>a vom 20. Juli 1954" vom ersten Tag an,<strong>in</strong>dem sie z. B. durch die E<strong>in</strong>setzung des Marionetten-Regimes Ngo Diem dievertraglich vorgesehenen freien Wahlen verh<strong>in</strong>derten, oder <strong>in</strong>dem sie militärischeStützpunkte errichteten. Bis 1968 schafften die USA e<strong>in</strong>e halbe MillionSoldaten <strong>in</strong> das Land. Die von ihnen durchgeführten "Pazifizierungsprogramme"("Speedy Expreß", "Phoenix-Program") waren <strong>in</strong> WirklichkeitTötungs-321


'I Il,programme. In den von den USAe<strong>in</strong>gerichteten Konzentrationslagern wurdengefangene Sodaten und Zivilistengefoltert. Die landwirtschaftliche Produktionwurde mit Chemikalien zerstört. Luftangriffe mit Nervengas und Napalm auchgegen zivileSiedlungen waren von den USA präzise e<strong>in</strong>geplant.9. Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt und se<strong>in</strong> <strong>Verteidigung</strong>sm<strong>in</strong>isterHelmut Schmidt sollten bezeugen, daß die BRD aktiv und passiv amVietnam krieg beteiligt war158. Sie habe den Nordamerikanem ihr Territoriumfür logistische Zwecke zur Verfügung gestellt und sowohl fürf<strong>in</strong>anzielle als auch für materielle Militärhilfe gesorgt, und zwar vor allem<strong>in</strong> den Jahren 1970 bis 1973, als andere westliche Regierungen den vonden USA betriebenen Völkermord an Vietnam immer heftiger anpran-. gerten. Amerikanische Soldaten seien <strong>in</strong> Westdeutschland für ihren E<strong>in</strong>satz<strong>in</strong> Vietnam ausgebildet worden, e<strong>in</strong> Spezialtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>in</strong> Guerilla­Bekämpfung habe dazugehört. Logistische überlegungen und Maßnahmen,militärische Operationen sowie der H<strong>in</strong>- und Rücktransport amerikanischerTruppen seien von der BRD aus geplant und organisiertworden, und zwar mit aktiver Unterstützung oder passiver Duldung derBundesregierung. Angesichts der geschichtlichen Tatsachen zum Vietnamktriegstellte die <strong>Verteidigung</strong> folgende überlegungen an:"Obwohl also klar war, daß RAF e<strong>in</strong>e Antwort auf Vietnam ist oder geradeweil das klar war, wurde bis zum heutigen Tage von allen mit der Strafverfolgungund dem Strafverfahren befaßten Organen alles unternommen, um demVerfahren diesen se<strong>in</strong>en Mittel unkt zu rauben. Um das Verfahren durch dienor nung von e en riegsschauplätzen zu em gewünschten Ziele gelangenzu lassen. Die Beweisanträge s<strong>in</strong>d also geeignet, nicht nur etwas beiläufigUnterlassenes nachzuholen, sondern dieses Verfahren auf se<strong>in</strong>en zentralenGegenstand zu br<strong>in</strong>gen, nämlich auf die Frage, ob derjenige, der sich demKampf gegen die Mörder von Vietnam gestellt hat und der diesem Kampf mitvergleichsweise bescheidenen Mittelnaufzunehmen bereit war, vor geltendemRecht als mordendes Mitglied e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Bande anzusehen ist. Mitdengestellten Anträgen werden die historischen Dimensionen markiert, um die es<strong>in</strong> diesem Verfahren geht und mit denen dieses Verfahren <strong>in</strong> die Geschichtee<strong>in</strong>gehen wird. Während die Geschichte schon heute über diejenigen h<strong>in</strong>weggegangenist, die die Aggression <strong>in</strong> Vietnam verübt haben"159.10. Im nächsten Beweisantrag benannte die <strong>Verteidigung</strong> die dreiehemaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kies<strong>in</strong>ger undWilly Brandt, den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav He<strong>in</strong>emannund den ehemaligen Außenm<strong>in</strong>ister Walter Scheel als Zeugenl60. Siekönnten bezeugen, daß ihre Regierungen von 1964 bis 1972 wußten,daß die USA e<strong>in</strong>en Agressionskrieg gegen das vietnamesische Volkführten, der im absoluten Widerspruch zum Völkerrecht und zum GenferVertrag über Indoch<strong>in</strong>a aus dem Jahr 1954 stand, und <strong>in</strong> dessen Verlaufdie USA <strong>in</strong> großem Umfang Kriegsverbrechen und Verbrechen gegendie Menschlichkeit begangen hatten. Dennoch hätten die verschiedenenBundesregierungen die amerikanische Kriegspolitik unterstützt und ge_322fördert. Es folgten e<strong>in</strong>ige Zitate von Erhard, Kies<strong>in</strong>ger, Brandt undScheel, die die Unterstützung der amerikanischen Kriegspolitik <strong>in</strong> Vietnambelegten. Weiter verwies die <strong>Verteidigung</strong> auf die Rolle WillyBrandts beim Kongreß der Sozialistischen Internationale im Mai 1971,auf dem er sich mit Erfolg gegen die Verabschiedung e<strong>in</strong>er Resolutione<strong>in</strong>gesetzt hatte, die gegen e<strong>in</strong>e "e<strong>in</strong>seitige Verurteilung" des Vorgehensder USA <strong>in</strong> Südostasien gerichtet war. Die <strong>Verteidigung</strong> er<strong>in</strong>nerte weiteran die Tatsache, daß die BRD mit der Regierung <strong>in</strong> Saigon stets engeKontakte gepflegt, den USA e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzhilfe von 50 Milliarden Mark imH<strong>in</strong>blick auf ihre <strong>in</strong>folge des Vietnamkriegs entstandenen Wirtschaftsproblemegewährt hatte und den amerikanischen Bündnispartnern imVietnam-Krieg, Thailand und Süd-Korea sowie der Regierung <strong>in</strong> Saigongroßzügige f<strong>in</strong>anzielle und wirtschaftliche Hilfen hatte zukommen lassen.Die Bedeutung dieser und weiterer Tatbestände für das <strong>Stammheim</strong>erVerfahren faßte die <strong>Verteidigung</strong> zusammen:"Dadurch, daß die BRD es nicht nur unterlassen hat, der verbrecherischenAggression der USA entgegenzuwirken, sondern diese im Gegenteil durchaktives Tun tatkräftig unterstützte, somit ke<strong>in</strong>erlei Aussicht bestand, daß die,wie bereits dargestellt, völkerrechtlich gebotene Nothilfe von dem VölkerrechtssubjektBundesrepublik Deutschland ausgeübt wurde, war gewaltsamesVorgehen gegen die Aggressionsmacht USA aus dem Gesichtspunkt desvölkerrechtlich begründeten Nothilferechts auch für Gruppen von Individuengerechtfertigt"161.11. Zwei ehemalige Chefs der amerikanischen Central IntelligenceAgency 1CIA), William E. Colby und Richard Helms, sowie vierehemaligeCIA-Agenten und e<strong>in</strong> ehemaliger Agent der National Security Agency(NSA), Barton Osborne, Philip Agee, Victor Marchetti, Gary Thomas-mrcrw<strong>in</strong>slow Peck, sollten ebenfalls als Zeugen bzw. Sachverständigegehört werden162. Ihre Aussagen würden bestätigen, daß die BRD imVerhältnis zu den USA über ke<strong>in</strong>e nationale Souveränität verfüge, e<strong>in</strong>eFolge ihrer Entstehung nach dem Zweiten Weltkrieg unter völliger wirtschaftlicher,militärischer und politischer Abhängigkeit von den USA.Staat und Gesellschaft <strong>in</strong> der BRD würden auf allen Ebenen von der CIAkontrolliert. Aufgabe der CIA sei nicht so sehr die Gew<strong>in</strong>nung geheimerInformationen, als direkte und <strong>in</strong>direkte E<strong>in</strong>flußnahme auf die Angelegenheitenanderer Staaten zur Absicherung der amerikanischen Weltmachtpolitik.Die größte Niederlassung der CIA außerhalb den USAbef<strong>in</strong>de sich <strong>in</strong> der BRD. Im Gegensatz zu anderen Staaten, <strong>in</strong> denen dieCIA tätig sei, könne sie sich <strong>in</strong> der BRD ersparen, die bestehendenselbständigen politischen Organisationen (z. B. politische Parteien undGewerkschaften) zu <strong>in</strong>filtrieren, da die politische, wirtschaftliche undgesellschaftliche Struktur der BRD nach 1945 von den USA selbst gestaltetwurde. So habe die CIA direkt und <strong>in</strong>direkt politische Parteien,Gewerkschaften, Politiker und Funktionäre aller relevanten politischen,323


..Iwirtschaftlichen und kulturellen E<strong>in</strong>richtungen f<strong>in</strong>anziert und geschult.Aufgabe der CIA sei, die vorhandene US-konforme politische Strukturder BRD aufrechtzuerhalten, um e<strong>in</strong>er eventuellen amerikanischen Interessenwiderstreitenden politischen Kursveränderung sofort entgegenwirkenzu können. Für die USA sei wesentlich, das Territorium der BRDals strategische Basis für offene und geheime Operationen gegen andereStaaten benutzen zu können. Die genannten Zeugen würden bestätigen,daß alle relevanten Militär und Geheimdienst-Operationen der USAgegen Staaten des Warschauer Pakts, gegen parlamentarisch legitimierteRegierungswechsel <strong>in</strong> westeuropäischen Staaten, gegen antiimperialistischeBefreiungsbewegungen im Nahen und Mittleren Osten, <strong>in</strong> Afrikaund Südostasien vom Staatsgebiet der BRD aus geplant, organisiert,begleitet, unterstützt und kontrolliert worden seien.Insbesondere habe das IG-Farben-Haus (US-Hauptquartier) <strong>in</strong> Frankfurtwährend der gesamten Dauer des Vietnamkrieges als Zentrale mehrerer amerikanischerGeheimdienste gedient. Die <strong>in</strong> diesem Gebäude untergebrachtenGeheimdienste hätten den E<strong>in</strong>satz amerikanischer Truppen <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a aufoperativer und logistischer Ebene sowie die Operationen der Geheimdienstegeplant, koord<strong>in</strong>iert und geleitet. E<strong>in</strong>e Beschreibung der e<strong>in</strong>zelnen Aufgabendes im IG-Farben-Haus stationierten Hauptquartiers der NSA ist <strong>in</strong> der vonW<strong>in</strong>slow Peck außerhalb des Prozesses abgegebenen Erklärung (Kapitell)enthalten.Schließlich beantragte die <strong>Verteidigung</strong>, zu dem gleichen Beweiskomplexnoch drei weitere Wissenschaftler als Sachverständige zu hören:David Horowitz aus Wash<strong>in</strong>gton, Johan Galtung vom Stockholm InternationalPeace t{esearch Institute (SIPRI) und Dieter S.enQhan~\10mInstitut für Friedensforschung <strong>in</strong> Frankfurt. Nach Ansicht der <strong>Verteidigung</strong>sollte dieser Beweisantrag ergeben,"daß die BRD während des Indoch<strong>in</strong>akriegs aufgrund ihrer historischdurchgängigen Verwobenheit mit dem Aggressor USA zu ke<strong>in</strong>em Zeitpunkt <strong>in</strong>der Lage oder willens war, gegen die Benutzung ihres Territoriums für permanentelogistische Aktivitäten/Operationen durch den Aggressor e<strong>in</strong>zuschreiten;daß alle Versuche von Bürgern der BRD, die den völkerrechtswidrigen, verbrecherischenCharakter der US-Intervention <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a erkannt hatten, diepolitischen Instanzen der BRD bis h<strong>in</strong> zur Bundesregierung unter E<strong>in</strong>flußnahmeauf den sogenannten politischen WilIensbildungsprozeß dazu zu bewegen,gegen den auf dem Territorium der BRD tätigen Aggressor e<strong>in</strong>zuschreiten, vonvornhere<strong>in</strong> zum Scheitern verurteilt waren; daß daher Gewalt gegen den auchvom Territorium der BRD aus operierenden Aggressor als ultima ratio nachden Normen des Völkerrechts zulässig war"l63.Im Vorgriffauf die Gutachten der Sachverständigen, deren Ladung alsVölkerrechtsexperten das Gericht später ablehnte, trug Heldmannschließlich noch e<strong>in</strong>e acht Seiten starke Antragsbegründungl64 vor. Dar<strong>in</strong>war die Schlußfolgerung begründet, daß (sollten die genannten Zeugenund Sachverständigen die <strong>in</strong> den Beweisanträgen aufgeführten324Tatbestände vor Gericht bestätigen) gewaltsamer Widerstand gegenbestimmte militärische E<strong>in</strong>richtungen der USA, die auch von der BRDaus operierten, aus völkerrechtlichen Gründen als "ultima ratio" undsomit als gerechtfertigt betrachtet werden müsse. Diese Argumentationder <strong>Verteidigung</strong> war sicherlich nicht nur "politisch" geme<strong>in</strong>t. Falls bewaffneterWiderstand aus völkerrechtlichen Gründen für gerechtfertigtangesehen werden konnte, bedeutete dies für den Strafprozeß, daß denAngeklagten für die ihnen zur Last gelegten Handlungen, also denKonkretisierungen e<strong>in</strong>es rechtmäßigen Widerstandes, die Berufung aufden Rechtfertigungsgrund Notwehr <strong>in</strong> Form der Nothilfe (Abwehr desAngriffs auf e<strong>in</strong>en Dritten) zugestanden werden müßte.Die UN-Charta enthält <strong>in</strong> Artikel 2 Absatz 4 den für alle Mitgliedsstaatenverpflichtenden völkerrechtlichen Grundsatz, <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen Beziehungenke<strong>in</strong>e Gewalt anzuwenden. Die e<strong>in</strong>zige Ausnahme steht <strong>in</strong> Artikel 51: Beie<strong>in</strong>em bewaffneten Angriff wird ausdrücklich "das naturgegebene Recht zur<strong>in</strong>dividuellen oder kollektiven Selbstverteidigung" zugestanden.In dem von den USA am 8.8.45 unterzeichneten Londoner Abkommenwerden folgende Verbrechen im S<strong>in</strong>ne des Völkerrechts genannt (Art. 6 derStatuten des Internationalen Militärtribunalsl65):a) Verbrechen gegen denFrieden: nämlich Planung, Vorbereitung, Auslösung oder Führung e<strong>in</strong>es Angriffkriegesoder e<strong>in</strong>es Krieges, der <strong>in</strong>ternationale Verträge verletzt; fernerZustimmung oder Teilnahme an e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Plan oder e<strong>in</strong>er Verschwörung,die irgende<strong>in</strong>e der oben genannten Handlungen ermöglichen sol!.b) Kriegsverbrechen: nämlich Verletzungen des Kriegsrechts oder Kriegsbrauchs.Solche Verletzungen schließen e<strong>in</strong>: Mord, Mißhandlung oder Verschleppungder Zivilbevölkerung besetzter Gebiete <strong>in</strong> Arbeitslager oder zuirgend e<strong>in</strong>em anderen Zweck; Mord oder Mißhandlung von Kriegsgefangenenoder Schiffbrüchigen, Plünderung öffentlichen Eigentums, willkürlicheZerstörungvon Stadtzentren, Städten oder Dörfern oder nicht durch militärischeErfordernisse gerechtfertigte Verwüstungen ...c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nämlich Mord, Völkermord, Versklavung,Verschleppung und andere unmenschliche Handlungen, die an derZivilbevölkerung vor dem Krieg oder während des Krieges begangen wurden...Am 11. 12. 46 wurden die UN-Charta und die <strong>in</strong> den Urteilen des NürnbergerGerichtshofes angewandten völkerrechtlichen Normen von den Vere<strong>in</strong>tenNationen e<strong>in</strong>stimmig angenommen und bestätigt. Am 12.1.51 (für die BRDam 22.2.55) trat die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung vonVölkermord <strong>in</strong> Kraft. In dieser Konvention wird ausdrücklich auf die obengenannte UN-Resolution vom 11. 12.46 Bezug genommen, wobei auch"Teilnahme an Völkermord" (Artikell1le) zu den völkerrechtlichen Verbrechengezählt wird. Strafrechtlich ist es auch möglich, die Nichterfüllung e<strong>in</strong>erRechtspflicht als Teilnahmehandlung zu bewerten. Obigen Konventionen liegtdie Rechtsauffassung zugrunde, daß völkerrechtliche Verpflichtungen als vorrangiggegenüber nationalen Verpflichtungen (z.B. Gehorsam gegenüber e<strong>in</strong>emmilitärischen Befehl) zu betrachten s<strong>in</strong>d. Ausgehend von den Menschenrechtenbeabsichtigen diese Konventionen zudem, das Individuum zu schüt-325


zen, und zwar auch dort, wo dieser Schutz an die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>erbestimmten Gruppe gekoppelt ist, wie etwa <strong>in</strong> der Völkermord-Konvention.Das Recht auf kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN­Charta und das Recht anderer Staaten, e<strong>in</strong>em angegriffenen Staat gegen e<strong>in</strong>enAggressor zu Hilfe zu kommen, entspricht auf der Ebene des Individuums dasRecht auf Notwehr oder Nothilfe gegen e<strong>in</strong>en gegenwärtigen rechtswidrigenAngriff auf sich oder dritte Personen.Schon 1967 erschienen <strong>in</strong> der ganzen Welt Dokumentationen überdie amerikanische Kriegsführung <strong>in</strong> Indoch<strong>in</strong>a, <strong>in</strong> denen dieser Kriegvonse<strong>in</strong>en Zielen, Mitteln und Auswirkungen her als Völkermord bezeichnetwurde. Auch die Abschlußberichte der Vietnam-Tribunale <strong>in</strong> Schwedenund Dänemark sowie völkerrechtliche Studien, etwa die des AmerikanersQu<strong>in</strong>cy Wright, sprachen e<strong>in</strong>deutig von Völkermordl66. Trotzdembeschloß US-Präsident Johnson noch im März 1968, die Bombenangriffeauf Indoch<strong>in</strong>a auszuweiten, und trotzdem blieb die BRD bei ihrerUnterstützung für die amerikanische Kriegsführung.Völkerrechtlich ergeben sich aus dieser Situation zwei Möglichkeiten.Wenn die BRD sich gegenüber den kriegführenden Parteien als neutralerStaat betrachtet, ihr Territorium aber für Militäroperationen nutzen läßt,dann stellt dies e<strong>in</strong>e Verletzung des Völkerrechts dar, gegen die völkerrechtlicheMaßnahmen der Selbstverteidigung (e<strong>in</strong>schließlich des <strong>in</strong>dividuellenRechts auf Nothilfe oder Notwehr) zum Zuge kommen können.Wenn die BRD als dritter Staat jedoch nicht <strong>in</strong> der Lage ist, e<strong>in</strong>e solcheBenutzung ihres Territoriums zu verh<strong>in</strong>dern, ist sie als Außenposten desangreifenden Staates zu betrachten167, was dieselben Konsequenzenhätte. Die <strong>Verteidigung</strong> argumentierte nun weiter: Weilsowohl das nationaleRechtswesen, als auch die demokratischen Institutionen <strong>in</strong> der BRDsich durchgängig als unfähig erwiesen hätten, e<strong>in</strong>e Fortsetzung der mitUnterstützung der BRD begangenen Völkerrechtsverbrechen zu verh<strong>in</strong>dern,könne die RAF sich für ihre Aktionen <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelbergauf das Widerstandsrecht als "ultima ratio" berufen. Bei Fritz Bauerf<strong>in</strong>det sich dieser Gedankengang wieder:326"Das Widerstandsrecht erschöpft sich nicht im <strong>in</strong>nerstaatlichen Bereich, esüberschreitet die nationalstaatlichen Grenzen. Es steht nicht nur jedermann zu,sondern kann auch zu Gunsten von jedermann ausgeübt werden"I68.Nach Stellung der Vietnam-Beweisanträge erklärte Gudrun Enssl<strong>in</strong>:"Hier nochmal e<strong>in</strong>fach: Wirs<strong>in</strong>d auch verantwortlich für die Angriffeauf dasCIA-Hauptquartier und das Hauptquartier des 5. US-Corps <strong>in</strong> Frankfurt undauf das US-Hauptquartier <strong>in</strong> Heidelberg <strong>in</strong>sofern, wie wir <strong>in</strong> der RAF seit 70organisiert waren, <strong>in</strong> ihr gekämpft haben und am Prozeß der Konzeption ihrerPolitik und Struktur beteiligt waren. Insofern s<strong>in</strong>d wir sicher auch verantwortlichfür Aktionen von Kommandos, z. B. gegen das Spr<strong>in</strong>ger-Hochhaus, derenKonzeption wir nicht zustimmen und die wir <strong>in</strong> ihrem Ablauf abgelehnt haben.Zu erwägen ist nicht e<strong>in</strong> Widerstandsrecht <strong>in</strong> der Bundesrepublik, wie es hiernicht um Rechte geht, sondern was die Politik der RAF ausdrückt, ist dasBewußtse<strong>in</strong> der Pflichtzum Widerstand <strong>in</strong> der Bundesrepublik. Und das exaktwar zwei Tage lang Inhalt unserer Erklärung zur Sache, wie das heißt, alsonicht nur die Erklärung von Verantwortung, sondern was Verantwortlichkeitgegenüber imperialistischer Politik nur se<strong>in</strong> kann - Widerstand, Kampf"I69.Nach zwei Wochen gab das Gericht se<strong>in</strong>e Entscheidung bekannt, dieBeweisanträge <strong>in</strong> Sachen Vietnam <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit zurückzuweisen,da sie "ohne Bedeutung für die Entscheidung" (vgl. § 244 Abs. 3 StPO)seien. Die Ablehnung dieser für Angeklagte und Verteidiger so zentralenBeweisanträge begründete das Gericht kurz:"E<strong>in</strong> Nothilfe- oder Widerstandsrecht, daß solche Anschläge gerechtfertigthätte, bestand nicht(. .. ). Mit der Frage, ob die Angeklagten subjektiv derMe<strong>in</strong>ung waren, es verhalte sich 50, wie <strong>in</strong> den Beweisanträgen dargestellt, hatdas nichts zu tun; diese Frage bleibt offen. Zu ihrer Beantwortung können diebenannten Zeugen und Sachverständigen nichts beitragen,,170Drei Wochen später kam die <strong>Verteidigung</strong> auf die Vietnam-Anträgezurück, <strong>in</strong>dem sie die ehemaligen NSNCIA-Agenten Peck, Osborne,Thomas und Agee selbst laden und als "präsente Beweismittel" gemäߧ§ 220 LV.m.245 StPO vor Gericht ersche<strong>in</strong>en ließ.Löwe-Rosenberg weist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kommentar zu § 245 StPO ausdrücklichdarauf h<strong>in</strong>, daß die <strong>in</strong> § 244 StPO genannten Gründe für e<strong>in</strong>e eventuelleAblehnung von Beweisanträgen nicht für "präsente Beweismittel" gelten!71.Auch Kle<strong>in</strong>knecht schreibt: "Die unmittelbar geladene Person muß nach § 245ohne weiteres vernommen werden"172.Nach allgeme<strong>in</strong>er Rechtsauffassung soll § 245 Angeklagten und Verteidigerndie Möglichkeit bieten, im Interesse e<strong>in</strong>er "umfassenden Wahrheitsforschung"173selbständig an der Beweisaufnahme mitzuwirken. Für die Anhörung"präsenter Zeugen" läßt § 245 nur zwei Ausnahmen zu; von e<strong>in</strong>erAnhörung kann abgesehen werden, wenn "die Beweiserhebung unzulässigoder zum Zweck der Prozeßverschleppung beantragt ist". E<strong>in</strong> Beweisantrag istdann unzulässig, wenn er ungesetzlich, unrechtmäßig, unmöglich oder absurdist bzw. ausschließlich "verfahrensfremden Zwecken" dient!74.Da das Gerichtden ersten Antrag, die ehemaligen CIA-Agenten zu laden, nicht als unzulässigzurückgewiesen hatte, sondern ihn als "ohne Bedeutung für die Entscheidung"abgelehnt hatte, schienen ihm nun nur noch zwei Möglichkeiten offenzustehen:entweder die anwesenden Zeugen anzuhören, oder den Antragwegen willentlicher Prozeßverschleppung abzulehnen.Die BAW unterlag e<strong>in</strong>em Irrtum, als sie <strong>in</strong> ihrer Reaktion auf dieLadung und Präsentierung der Zeugen durch die <strong>Verteidigung</strong> argumentierte:wenn das Gericht den vorherigen Beweisantrag abgelehnt habe,sei folglichauch die Anhörung der nunmehr anwesenden Zeugen unzulässig175.Weiter war die BAWder Me<strong>in</strong>ung, die Präsentierung der Zeugensei nur als Rechtsmißbrauch der <strong>Verteidigung</strong> und als weitererVersuch der Angeklagten zu werten, den gegen sie geführten Prozeß "<strong>in</strong>e<strong>in</strong>e Bühne agitatorischer Selbstdarstellung umzuwandeln".Das Gericht argumentierte demgegenüber um e<strong>in</strong>e Nuance differenzierter:E<strong>in</strong>e Vernehmung der Zeugen durch die <strong>Verteidigung</strong> sei als327•


••Isolchenicht unzulässig, wohl aber sei e<strong>in</strong>e Befragung "zu den genanntenBeweisthemen" als unzulässig abzulehnen. Es berief sich nicht direktauf den § 244 oder § 245 StPO, sondern auf §241 Abs. 2, demzufolge"nicht zur Sache gehörende Fragen" zurückgewiesen werdenkönnen176. Schließlich seien die Beweisthemen "unter ke<strong>in</strong>em rechtlichenGesichtspunkt, auch nicht zur Begründung e<strong>in</strong>es Rechtfertigungsgrundes,von Belang. Der Vietnamkrieg ist nicht Gegenstanddieses Verfahrens"m. E<strong>in</strong>ziges Ziel der Antragsteller sei, daß "unterdem Ansche<strong>in</strong> der Beweiserhebung aus Gründen der Agitation dieUS-Politik <strong>in</strong> der Welt und die Beteiligung der Bundesrepublik hieranangegriffen werden"178. Die Angeklagten hätten selbst <strong>in</strong> den verschiedenstenTonarten deutlich gemacht, daß die RAF nicht justiziabel sei,daß sie e<strong>in</strong>e Beweisaufnahme über die ihnen zur Last gelegten Tatennicht <strong>in</strong>teressiere und daß sie die Rechtsordnung der BRD grundsätzlichablehnten usw. Dies beweise h<strong>in</strong>reichend, daß es den Angeklagtennicht "um die Beweiserhebung und Wahrheitsf<strong>in</strong>dung im Strafverfahren(geht), sondern um politische Agitation mit durchaus pauschalerRichtung. Daß hier gerade der Vietnamkrieg <strong>in</strong> den Vordergrundgerückt wird, ist mehr zufällig"179.Der Tenor dieser Argumentationwar nach Interpretation der <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>deutig: Da die Angeklagtensich als Revolutionäre betrachten, haben sie sich selbst außerhalbder Rechtsordnung gestellt, somit brauchen wir - Richter - uns auchke<strong>in</strong> Kopfzerbrechen mehr über Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründezu machen.Weiter stellte die <strong>Verteidigung</strong> fest, daß mit diesem Beschluß noche<strong>in</strong>mal unmißverständlich deutlich geworden sei, daß die Angeklagtenvogelfrei seien, daß sie nicht verteidigt werden könnten, weil sie nichtverteidigt werden dürften.Den nächsten Verhandlungstag eröffnete Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g mit der Zitierungund Kommentierung e<strong>in</strong>es Zeitungsberichts über den vorangegangenenSitzungstag:"Es hat <strong>in</strong> der Zeitung geheißen, über die Gründe, warum wir diese amerikanischenZeugen nicht gehört haben: ,Der Senatsvorsitzende zitierte zahlreicheÄußerungen der Angeklagten, die belegen sollten, daß diese ohneh<strong>in</strong>jede Rechtsordnung ablehnten. Deshalb könnten sie sich auch nicht aufe<strong>in</strong> Widerstandsrecht berufen', das für diese Angeklagten geltend gemachtworden sei,,180.Diesen Bericht, der fast vollständig mit der oben wiedergegebenenInterpretation der Entscheidung übere<strong>in</strong>stimmte, nannte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>Mißverständnis. Er bat die Presse, Korrekturen vorzunehmen. Mit demZitieren von Äußerungen der Angeklagten habe er ke<strong>in</strong>eswegs beabsichtigt,den Angeklagten die Berufung auf e<strong>in</strong> Widerstandsrecht als Rechtfertigungsgrundstreitig zu machen, er habe nur darlegen wollen, "daß esden Angeklagten nicht darum gegangen ist, mit diesem Beweisantrag328e<strong>in</strong>en solchen Rechtfertigungsgrund zu belegen, sondern daß es ihnenum die angedeutete politische Agitation gegangen ist".3.2.2. Die Angeklagten als Kriegsgefangene?"if <strong>in</strong>temationallaw iso.. the vanish<strong>in</strong>gpo<strong>in</strong>t of law, the law of war is even moreconspiciously the vanish<strong>in</strong>g po<strong>in</strong>t of<strong>in</strong>temationallaw"l8l. Sir Hersch LauterpachtWährend die zuvor behandelten Vietnambeweisanträge e<strong>in</strong>schließlichder daraus abgeleiteten rechtlichen Konsequenzen - dem Bestehene<strong>in</strong>es Rechtfertigungsgrundes für die Anschläge <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg- auf der Grundlage des positiven Rechts zu verteidigen waren(völkerrechtlich: Widerstandsrecht; strafrechtlich: Recht auf Notwehroder Nothilfe), so war der Ausgangspunkt für den Antrag, das Verfahrene<strong>in</strong>zustellen und die Angeklagten <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft zu überführen,e<strong>in</strong> völliganderer: Positivrechtlich ließ sich dieser Antrag im Januar 1976schwerlich begründen. Dies sche<strong>in</strong>t mir auch der Grund dafür gewesenzu se<strong>in</strong>, daß sich die Verteidiger Schily und Heldmann nicht dem vonProfessor Axel Azzola im Namen Ulrike Me<strong>in</strong>hofs e<strong>in</strong>gereichten Antraganschlossen; sie teilten lediglich mit, daß sie zu gegebener Zeit "e<strong>in</strong>enähnlichen Antrag" stellen würden. Me<strong>in</strong>hofs Antrag markierte e<strong>in</strong>egrundsätzlich veränderte Haltung der Angeklagten gegenüber ihrenHaftbed<strong>in</strong>gungen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie stets gefordert, wiealle anderen Gefangenen behandelt zu werden. Aufgrund ihrer trotzallen juristischen und persönlichen E<strong>in</strong>satzes gemachten negativen Erfahrungenoptierten sie nun für e<strong>in</strong>e Behandlung als Kriegsgefangene.Sie müssen <strong>in</strong> speziellen Lagern untergebracht werden, ihre Internierungunterliegt <strong>in</strong>ternationaler Kontrolle.Der Antrag ist für den dialektischen Verlauf der Konfrontation zwischen(den Gefangenen aus) der RAF und dem westdeutschen Staatcharakteristisch. Die RAF als kle<strong>in</strong>e antiimperialistische Stadtguerillagruppehat dem BRD- und US-Imperialismus den Kriegerklärt und dieseKriegserklärung mit ihren Aktionen <strong>in</strong> die Tat umgesetzt. Dieser politischmilitärischeAngriff wird von den westdeutschen Behörden offiziellgeleugnet,<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>e strafrechtliche Begriffe übersetzt und mit polizeilich-justitiellenMitteln bekämpft. Die Gefangenen aus der RAF werdenvon den Politikern, Strafverfolgern und Polizeifunktionären e<strong>in</strong>erseits als"Terroristen" bezeichnet, andererseits als zwar besonders gefährliche,aber dennoch "gewöhnliche Krim<strong>in</strong>elle". Als "Terroristen" werden sieim Vergleich zu "gewöhnlichen Krim<strong>in</strong>ellen" <strong>in</strong> der Haft e<strong>in</strong>er Sonderbehandlungunterworfen, die auf die Zerstörung ihrer politischen Identitätangelegt ist. Diese Sonderbehandlung besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bis zur Perfektionbetriebenen System der Isolationshaft, dem die Gefangenen nur da-329


durch entgehen können, <strong>in</strong>dem sie ihren politischen Ideen und Zielenabschwören und ihre Identität als Kämpfer aufgeben.Wenn also der westdeutsche Staat gegen die RAF nach den Regelne<strong>in</strong>er politisch-militärisch konzipierten Aufstandsbekämpfung vorgeht,sei es auch unter dem Deckmantel polizeilicher und straf(prozeß)rechtlicherMaßnahmen, so be<strong>in</strong>haltet die verdeckte militärische Komponentedieser Vorgehensweise die Vernichtung der Gefangenen, die an ihrerpolitischen Identität festhalten. Dies ist aber genau die Situation, die dashumanitäre Völkerrecht verh<strong>in</strong>dern will: Die menschenunwürdige Behandlungdes bei e<strong>in</strong>em bewaffneten Konflikt gefangengenommenenGegners, dessen Vernichtung <strong>in</strong> Freiheit militärisches Ziel ist. Nach fünfJahren vergeblichen Kampfs um e<strong>in</strong>e Aufhebung der Isolationshaft ist esdeshalb nicht mehr verwunderlich, wenn die Gefangenen aus der RAFschließlich e<strong>in</strong>e Behandlung wie Kriegsgefangene nach den humanitärvölkerrechtlichen Bestimmungen fordern. De facto s<strong>in</strong>d sie als Gefangenevon Anfang an wie politisch-militärische Gegner behandelt worden,jedoch ohne den Schutz der Genfer Konvention über die Behandlungvon Kriegsgefangenen zu erhalten.Abgesehen von e<strong>in</strong>er 1976 noch fehlenden positivrechtlichen Grundlageim S<strong>in</strong>n des Völkerrechts, die e<strong>in</strong>e Anwendung der Genfer Konventionauf Guerilla-Kämpfer gestattet hätte, sche<strong>in</strong>t es mir unzweifelhaft zuse<strong>in</strong>, daß der westdeutsche Staat kaum auf e<strong>in</strong>e solche Forderunge<strong>in</strong>gehen konnte und kann. Denn das würde mit der de-facto-Anerkennungder RAF als politisch-militärischem Gegner die Aufgabe der bisdah<strong>in</strong> praktizierten straf(prozeß)rechtlichen Verschleierungstaktik für dietatsächlich betriebene Verfolgung der RAF nach den Regeln der Aufstandsbekämpfung(counter<strong>in</strong>surgency!) bedeuten. Die Überführung <strong>in</strong>Kriegsgefangenschaft würde schließlich die Errichtung von Lagern oderSonderhaftanstalten für Gefangene aus der Stadtguerilla zur Folge haben.Lager und/oder Spezialgefängnisse aber setzen zwangsläufig Assoziationenmit den Konzentrationslagern des Dritten Reichs frei.Die Forderung, wie Kriegsgefangene behandelt zu werden (nicht: alsKriegsgefangene anerkannt zu werden) könnte, so die damalige E<strong>in</strong>schätzunge<strong>in</strong>iger Verteidiger, zu e<strong>in</strong>er noch härteren Haltung der westdeutschenBehörden gegenüber den Gefangenen führen.Von 1977 an bis heute ist diese Forderung immer wieder <strong>in</strong> verschiedenenHungerstreiks die zentrale Forderung gewesen. Stets wurde vonden Gefangenen deutlich gemacht, daß sie diese Forderung dann alserfüllt betrachten würden, wenn sie <strong>in</strong> Gruppen von m<strong>in</strong>destens 15Gefangenen aus der Stadtguerilla <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em oder mehreren Gefängnissenzusammengeführt seien. Wie <strong>in</strong> Abschnitt 1.2 ausgeführt, hatte Prof.Rasch diese Zusammenlegung schon Ende 1975 als mediz<strong>in</strong>isch unbed<strong>in</strong>gtnotwendigen Schritt dr<strong>in</strong>gend angeraten, wenn die Integration <strong>in</strong>den Normalvollzug von den Behörden weiterh<strong>in</strong> abgelehnt würde. Die330Tatsache, daß <strong>in</strong> der Folgezeit ke<strong>in</strong>e Verbesserungen der Haftbed<strong>in</strong>gungenerfolgten, bestätigte die Gefangenen <strong>in</strong> ihrer Gewißheit, daß derStaat se<strong>in</strong> Vernichtungsprogramm unter allen Umständen durchführenwürde. Diese Entwicklung war für den Schritt e<strong>in</strong>iger Sympathisantender RAF <strong>in</strong> die Illegalitätsicherlich ausschlaggebend: Wer überzeugt ist,daß die RAF mit ihren Aktionen gegen den Vietnamkrieg e<strong>in</strong>en legitimenBeitrag zum antiimperialistischen Kampf, dem er sich selbst auch verpflichtetfühlt, geliefert hat, wer dann im Lauf der Jahre stets deutlichererkennt, daß die gefangenen illegalen Kämpfer langsam aber sicher undvor allem bewußt vernichtet werden, für den ist es nur konsequent, demSystem, <strong>in</strong> dem Vernichtung offensichtlich legal ist, endgültig den Rükkenzu kehren und den antiimperialistischen Kampf zukünftig auf illegaleArt und Weise zu führen. Daß unter diesen Umständen Aktionen, die aufdie Befreiung ihrer gefangenen Genossen abzielen, für die Stadtguerillavon höchster Priorität s<strong>in</strong>d, sche<strong>in</strong>t verständlich.E<strong>in</strong> weiterer Grund für die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Antrag, dieAngeklagten wie Kriegsgefangene zu behandeln, ergibt sich aus demUmstand, daß die Begründung dieses Antrags ausdrücklich auf e<strong>in</strong>eschon damals abzusehende Entwicklung <strong>in</strong>nerhalb des Völkerrechts Bezugnimmt. Dazu Rechtsanwalt Azzola (gleichzeitigProfessor für öffentlichesRecht an der Universität Darmstadt)182: "Aus der Erklärung derAngeklagten zur Sache ergibt sich, daß, selbst wenn man die Anklageschriftals bewiesen unterstellte, die Angeklagten freigesprochen werdenmüßten, weil die <strong>in</strong> der Anklageschrift bezeichneten Taten im Kriegenicht strafbare Handlungen s<strong>in</strong>d.I. Die Angeklagten befanden sich im Kriegszustand.1. Bezeichnung der Gegner:a) Der Imperialismus des <strong>in</strong>ternationalen Kapitals und se<strong>in</strong>e Agenten.b) Die den proletarischen Internationalismus praktizierenden Befreiungsbewegungen.Diese Befreiungsbewegungen s<strong>in</strong>d sozialrevolutionär,antiimperialistisch und, da sie antikolonialistisch bzw. antihegemonistischs<strong>in</strong>d, national.2. Der Konflikt ist <strong>in</strong>ternational, denn das Kapital ist <strong>in</strong>ternationalorganisiert und das Proletariat organisiert sich zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen,d.h. <strong>in</strong>ternationalen Widerstand.3. Unbeschadet se<strong>in</strong>er Internationalität wird dieser kriegerische Konfliktanverschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten mit den unterschiedlichstenMitteln ausgekämpft, nämlich sowohl mit klassischen Mittelnkriegerischer Ause<strong>in</strong>andersetzung als auch mit modernen Mitteln,die neuerd<strong>in</strong>gs rechtliche Anerkennung erfahren haben, wie z. B. derPartisanen krieg, als auch mit so neuen Mitteln wie die Stadtguerilla(letztere regelmäßig <strong>in</strong> den Metropolen kämpfend, d.h. <strong>in</strong> den Basis­Machtzentren des <strong>in</strong>ternationalen Kapitals), so daß deren rechtlicheAnerkennung331-


a) wegen der grundsätzlichen zeitlichen Abfolge zwischen Faktizitätund Verrechtlichungb) wegen der fortbestehenden Stärke des Kapitals <strong>in</strong> den Metropolen(das sich selbstverständlich e<strong>in</strong>er Verrechtlichung dieses Widerstandesmit allen Mitteln entgegenstellt) noch nicht durchgesetzt werden konnte.11. "Krieg" als rechtliche KategorieDer Krieg ist ke<strong>in</strong>e absolute, von gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängige,geschichtslose Kategorie. Dies giltselbstverständlich auch fürdie Kategorie des Krieges als der das Kriegsrecht des bürgerlichen Zeitalterskonstituierenden Kategorie.Die bürgerliche Kategorie des Krieges war selbst von der feudalstaatlichender Söldnerheere grundlegend verschieden, nämlich als bürgerlicherVolkskrieg, wie ihn beispielhaft und erfolgreich die FranzösischeRevolution als "Ievee en masse" hervorgebracht hat <strong>in</strong> ihrer Ause<strong>in</strong>andersetzungmit den Truppen der reaktionären europäischen Interventionsmächte.Rechtliche Konsequenzen aus dieser veränderten Lagewurden erst Jahrzehnte später, ja zum Teil erst über e<strong>in</strong> Jahrhundertspäter, gezogen, nämlich <strong>in</strong> der Ersten Genfer Konvention bzw. <strong>in</strong> derErsten Haager Landkriegsordnung. Dabei entsprach die Verknüpfungder Kategorie des Krieges mit der Kategorie der Nation zum Zwecke derBestimmung der legitimerweise kriegführenden Partei der Tatsache, daßsich das Bürgertum <strong>in</strong> der Nation politisch konstituierte, wie sich <strong>in</strong> derFranzösischen Revolution das "parliament" zur "assemblee nationale"erklärte. Daneben hat es im bürgerlichen Zeitalter zwar auch die Kategoriedes Bürgerkrieges gegeben, diese war aber gerade nicht sozial bestimmtund so mit historischem Inhalt gefüllt, sie war dementsprechendnicht verrechtIicht und mit bürgerlichen Kategorien auch noch nichtverrechtlichungsfähig, so daß ihre Bestimmtheit noch erst gewonnenwerden muß, bzw. als anti-bürgerliche Kategorie <strong>in</strong> der Kategorie desKlassenkrieges tendenziell bereits gewonnen ist.IJI. Die Veränderung der rechtlichen Kategorie des KriegesDamit s<strong>in</strong>d die kriegführenden Parteien nicht mehr im Horizont derKriegführung durch Nationen bestimmt, sondern tendenziell weltweit,nämlich, wo immer sich diese Klassen ause<strong>in</strong>andersetzen. Inhaltlichbedeutet diese Neubestimmung die E<strong>in</strong>beziehung aller Formen, diediese Ause<strong>in</strong>andersetzung annehmen könnten. Dies entspricht der nicht<strong>in</strong> nationalen Grenzen beschränkten Konstitution der am Kampf beteiligtenKlassen, ihrer weltweiten Existenz. Demgegenüber haben die verändertengesellschaftlichen Machtverhältnisse schon jetzt für die nationalenBefreiungsbewegungen, d.h. für die antiimperialistischen und antihegemonialenKämpfe an der Peripherie jedenfalls zu e<strong>in</strong>er tendenziellenVerrechtlichung geführt und auch zu politischer Anerkennung, was bewiesenwird sowohl durch die Neubestimmung des Kombattanten <strong>in</strong> denGenfer Konventionen als auch (<strong>in</strong>direkt) durch die Terrorismus-Diskus-332sion <strong>in</strong> der UN-Vollversammlung 1972 bis h<strong>in</strong> zu der Verleihung des UN­Mitgliederstatus an die PLO (mitAusnahme des Stimmrechts) aus Anlaßder Nahost-Debatten des UN-Sicherheitsrats. Diese rechtliche Anerkennunggeschah freilich mit allen Brüchen, ja <strong>in</strong>neren Widersprüchen, diee<strong>in</strong>e solche Inkorporation revolutionärer Postulate <strong>in</strong> herrschendesRecht nach sich ziehen muß, etwa h<strong>in</strong>sichtlich der Frage der Neubestimmungdes Völkerrechtssubjekts und der hieran zu knüpfenden Rechtsfolgen.In den vergangenen Jahrzehnten ist es den Völkern der Dritten Weltdurch ihren weltweit gestiegenen E<strong>in</strong>fluß gelungen, die Anwendung desKriegs- und Völkerrechts <strong>in</strong> Konflikten zwischen der Kolonialmacht undder sich gewaltsam befreienden Kolonie schrittweise durchzusetzen, d.h.der sich befreienden Kolonie, der Befreiungsbewegung und ihremKampf e<strong>in</strong>en rechtlichen Status zuzuerkennen, vergleichbar demjenigender <strong>in</strong>ternationalen Konflikte, mit allen Privilegien, die hieran für dieFreiheitskämpfer, <strong>in</strong>sbesondere bei ihrer Gefangennahme, geknüpfts<strong>in</strong>d. Vor allem s<strong>in</strong>d sie als Kriegsgefangene zu behandeln und nicht alskrim<strong>in</strong>elle Häftl<strong>in</strong>ge.Bestimmend für kriegerische Konflikte dieses neuen Typs ist, daßInhalt der kriegerischen Ause<strong>in</strong>andersetzung heute e<strong>in</strong>mal das Strebender unterdrückten Völker ist, sich zu befreien und unabhängige nationaleStaaten zu gründen.Damit s<strong>in</strong>d diese Kämpfe aber gleichzeitig <strong>in</strong>ternationalistisch, da siedas imperialistische Weltsystem schwächen, das gerade das Streben derStaaten der 3. Welt nach Unabhängigkeit zu negieren versucht (vgl. dieStellungnahme Schles<strong>in</strong>gers zur Interventionsmöglichkeit <strong>in</strong> den arabischenStaaten anläßlich der Ölkrise).Zum anderen haben kriegerische Ause<strong>in</strong>andersetzungen heute zumInhalt den vom Klassenkampf zum Klassenkrieg gesteigerten <strong>in</strong>nerenWiderspruch <strong>in</strong> den imperialistischen Zentren.Dieser Krieg hat ebenfalls, obwohl auch er <strong>in</strong> national begrenztenFormen geführt wird, e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternationalistischen Inhalt, da die Zieledieses Klassenkrieges direkt die weltweite imperialistische Herrschafttreffen". Anschließend zitierte Azzola Mao Tse-tung, Ho Tschi M<strong>in</strong>h,Khieu Sampan und Amilcar Cabral, die alle Anführer nationaler Befreiungsbewegungenund später Regierungschefs gewesen waren und dieobige These ausgearbeitet hatten. Azzolafuhr fort: "Diesem neuen Inhaltkriegerischer Konflikte muß auch e<strong>in</strong>e brauchbare Def<strong>in</strong>ition dessen,was völkerrechtlich als Krieg zu betrachten ist, Rechnung tragen.Auf das hergebrachte formale Kriterium, daß Nationalstaaten dieKonfliktpartner se<strong>in</strong> müssen, kann es nicht mehr ankommen.Vielmehr ist entscheidend, daß jede kriegerische Ause<strong>in</strong>andersetzungauch völkerrechtlich als Kriegzu bezeichnen ist, die sich <strong>in</strong> das Koord<strong>in</strong>atensystemder weltweit sich antagonistisch entgegenstehenden Kräftevon imperialistischer Unterdrückung auf der e<strong>in</strong>en Seite, dem Streben333


nach nationaler Befreiung, staatlicher Unabhängigkeit und revolutionärerEmanzipation der Völker auf der anderen Seite e<strong>in</strong>fügt.In der Terrorismusdebatte der UN wurde deutlich daß auch dienegative Abgrenzung des kriegerischen Konfliktsdurch ~lieBestimmungdessen, was Terror ist, ohne genau diese <strong>in</strong>haltlichen Kriterien nichtmöglich ist.E<strong>in</strong> alle<strong>in</strong> formale Kriterien verwendender Versuch der Def<strong>in</strong>itiondiente offensichtlich den Interessen der selbst Terror ausübenden Staaten:so vertraten vor allem die Vertreter Brasiliens, Südafrikas und Israelsdie These, Terror sei Terror, jede darüber h<strong>in</strong>aus gehende Bestimmungsei von übel.Im Gegensatz dazu stand die ganz überwiegende Zahl der <strong>in</strong> den UNvertretenen Staaten, die auch die Ursachen und Gründe gewaltsamausgetragener Konflikte unter H<strong>in</strong>tanstellung formaler Kriterien <strong>in</strong> dieDef<strong>in</strong>ition des Terrors aufnehmen wollten".Zur Verdeutlichung der letzten Position zitierte Azzola e<strong>in</strong>ige langePassagen aus dem Beitrag des ch<strong>in</strong>esischen Delegierten; hier nur dererste Abschnitt:"Was ist <strong>in</strong>ternationaler Terrorismus? Die Unterdrückung der Völkeraller Länder durch den Imperialismus, die gnadenlose Bombardierungdurch die amerikanischen Imperialisten <strong>in</strong> Vietnam, die Ermordung undVerfolgung der Paläst<strong>in</strong>enser durch die israelischen Zionisten, die brutalekolonialistische Beherrschung der afrikanischen Völker durch die KolonialbehördenPortugals, Südafrikas und Rhodesiens und ihre Verbrechendes Rassismus und der Rassentrennung - das alles istgroßangelegterTerrorismus im eigentlichen S<strong>in</strong>n".Dann g<strong>in</strong>g Azzola auf die Stadtguerilla e<strong>in</strong>:"IV. Der Krieg der StadtguerillaMerkmale des Krieges bzw. der kriegführenden Parteien s<strong>in</strong>d danachheute neben den und anders als die klassischen Merkmale - <strong>in</strong>sbesonderedie vom Klassenkampf zum Klassenkrieg gesteigerte Ause<strong>in</strong>andersetzung,.sowohlder unterdrückten Völker und ihrer Protagonisten, aberauch deren Verbündeter <strong>in</strong> den Metropolen als Protagonisten des Weltproletariats,als die Protagonisten der nur im Weltmaßstab als politischerKlasse konstituierbaren Klasse der Ausgebeuteten, Elenden und Entrechteten.Dies gerade dort und <strong>in</strong>soweit, wo dieser Kampf nicht ause<strong>in</strong>er Position von Arbeiter-Aristokratie zugunsten der Erzielung partiellerErfolge <strong>in</strong>sbesondere auf der Konsumebene im Rahmen nationalerGrenzen geführt wird, sondern wo Inhalt und Zieldes Kampfes <strong>in</strong> totalerNegation der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Integrationsstrategienbewußt und ausschließlich zugunsten des Citoyen-Proletaire und damitzugunsten des ersten Weltbürgers geführt wird, selbst wenn dies zeitweiligim Widerspruch zu stehen sche<strong>in</strong>t mit den Bedürfnissen und Interessene<strong>in</strong>es nationalen Proletariats, dieser Kampf also auch nur bed<strong>in</strong>gt334von diesem akzeptiert und <strong>in</strong> dieses <strong>in</strong>tegriert wird: Dann liegt die Massenbasisdieses Kampfes und dann liegen se<strong>in</strong>e befreiten Gebiete ebennicht <strong>in</strong> den Grenzen e<strong>in</strong>es bestimmten Nationalstaates, sondern dort,wo die Gewalt der Völker der Gewalt der imperialistischen Staaten schonentscheidende Niederlagen zufügen konnte, neuestens <strong>in</strong> Vietnam,Kambodscha und Laos, auch <strong>in</strong> Gu<strong>in</strong>ea-Bissau, <strong>in</strong> Mozambique, SaoTome, und Pr<strong>in</strong>cipe.Diejenigen, die <strong>in</strong> den Metropolen den Klassenkrieg führen, fallen alsounter den Schutz der Genfer Konvention, weil sie Verbündete vonnationalen Befreiungsbewegungen s<strong>in</strong>d, für die wiederum die Regelnder <strong>in</strong>ternationalen bewaffneten Konflikte angewendet werden sollen.Die Vorschläge des <strong>in</strong>ternationalen Roten Kreuzes sehen e<strong>in</strong>e Regelungvor, wonach solche bewaffnete Ause<strong>in</strong>andersetzungen wie <strong>in</strong>ternationaleKonflikte behandelt werden sollen, ,<strong>in</strong> denen Völker gegen Kolonialherrschaftund fremde Besetzung und gegen rassistische Regimes kämpfen'.Die RAF als Subjekt der KriegsführungDie Gefangenen befanden sich nach ihrer eigenen Erklärung imKriegszustand mit den imperialistischen Kräften des Kapitals auf demBoden der BRD als Verbündete solcher Befreiungsbewegungen, <strong>in</strong>sbesondereder FNL (nationalen Befreiungsbewegung) Vietnams, der NeoLao Haksat (nationalen Befreiungsbewegung) <strong>in</strong> Laos, der FUNK (nationalenE<strong>in</strong>heitsfront) Kambodschas, der Frelimo (der Bewegung zur BefreiungMozambique), der PAIGC (Befreiungsbewegung) <strong>in</strong> Gu<strong>in</strong>ea­Bissau, der PLO und der lRA.Darum wurden sie auch von der Regierung der BRD und dem reaktionärenTeil der Öffentlichkeit dieser Gesellschaft zum Staatsfe<strong>in</strong>d Nr. 1erklärt und mit allen zur Verfügung stehenden militärischen und quasimilitärischenMitteln bekämpft.Dies nicht nur <strong>in</strong> Erklärungen, sondern auch im Verhalten e<strong>in</strong>er riesigenKonterguerillaaufrüstung, e<strong>in</strong>er quasi-kriegsrechtlichen Neufassungder Strafprozeßordnung bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> das militärische Gepränge diesesVerfahrens <strong>in</strong> und um dieses Mehrzweckgebäude, das bestenfalls geeignetist, mehrfach demselben Zweck zu dienen.Die Totalität dieses Konflikts ergibt sich aus se<strong>in</strong>em Inhalt: Als ersteund bisher e<strong>in</strong>zige Gruppe hat die RAF diejenige Verfassungsfrage vonGrund auf wieder aufgerollt, von deren endgültiger Entscheidung jedeVerfassung ausgeht, obwohl ersichtlich ist und ersichtlich se<strong>in</strong> muß, daßdies nichts anderes se<strong>in</strong> kann als e<strong>in</strong>e Fiktion: die Machtfrage. Diesfreilich nicht im Gewande der Staatsgewalt, sondern an ihrer Wurzel,nämlich der Frage der Träger der sozialen Gewalt, die so lange gestelltwerden wird, wie Menschen über Menschen soziale Gewalt ausüben, solange also Menschen der Rechtfertigungsideologien bedürfen zumZwecke der Legitimation der Ausübung solcher Herrschaft, während335


~andere Menschen den Kampf aufnehmen gegen diese Legitimität undihre Rechtfertigungsideologie auf der Ebene des Rechts: die Legalität.Militärisch gesprochen handelt es sich um e<strong>in</strong>en Krieg, juristisch umden fundamentalen Verfassungskonflikt schlechth<strong>in</strong>, der auf dem Bodene<strong>in</strong>er bestehenden Verfassung sich der Integration versagt und darumtotal ist, unter dem Gesichtspunkt des Fortbestands dieser Verfassungnicht lösbar, aber auch: militärisch nur sche<strong>in</strong>bar entscheidbar, wobeiselbstverständlich der Versuch, diesen Konflikt mit Hilfe von Krim<strong>in</strong>alisierungzugunsten der bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu entscheiden,nichts als die Zerstörung e<strong>in</strong>zelner bewirken kann, weil auch dieserVersuch an den Ursachen des Konflikts nichts zu ändern vermag.In diesem Kontext, der jedenfalls primär e<strong>in</strong> verfassungsrechtlicher ist,haben sich die Gefangenen <strong>in</strong> ihrer Erklärung zur Sache nicht nur aufWiderstandsrecht berufen, sondern Widerstandsrecht selbst bestimmt.Danach ist Widerstandsrecht so lange leere Hülse, als Widerstandsrechtnicht mit sozialem Inhalt gefüllt wird, d.h. auf soziale Bed<strong>in</strong>gungenzurückgeführt wird. Widerstandsrecht ist also als herrschendes Rechtnotwendigerweise Phrase, deren Funktion es ist, Legitimationsdefiziteder Ausübung von sozialer Herrschaft zu beheben. Herrschendes Widerstandsrechtist immer Widerstandsrecht der Herrschenden, also auch:zugunsten bestehender Herrschaft. Widerstandsrecht ist aber hier geme<strong>in</strong>tals die legitime Gegenstrategie der Unterdrückten gegen denFaschismus als <strong>in</strong>stitutionelle Strategie.Das gleiche giltgrundsätzlich für die rechtliche Kategorie der Notwehr:Auch auf sie haben sich die Gefangenen berufen, nicht im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>erNotwehr zugunsten der <strong>Verteidigung</strong> bestehender Verhältnisse, sonderngerade zum Zwecke ihrer Beseitigung".Aus se<strong>in</strong>er Argumentation zog Azzola den Schluß:"Es wäre Sache der Bundesanwaltschaft, darzulegen, daß die Gefangenenmit den ihnen zur Last gelegten Taten strafbare Handlungen imS<strong>in</strong>ne des Kriegsrechts begangen haben, denn nur diesem Kriegsrechtunterliegen die Handlungen der Angeklagten, und nur nach diesemKriegsrecht können sie beurteilt werden. Da sich weder aus der Anklageschriftnoch aus dem bisherigen Verhalten der Bundesanwaltschaft ähnlichesergibt, istzunächst davon auszugehen, daß auch die Bundesanwaltschafterkannt hat, daß es an solchen strafbaren Handlungen im S<strong>in</strong>nedes Kriegsrechts mangelt. Da die angeklagten Kriegsgefangenen selbstdann freigesprochen werden müßten, wenn die ihnen zur Last gelegtenTaten als bewiesen anzusehen wären, bedarf es ke<strong>in</strong>er weiteren Beweisaufnahme,die <strong>in</strong>soweit nur e<strong>in</strong>er Prozeßverschleppung dienen könnte.Es wird daher beantragt, die ergangenen Beweisbeschlüsse, soweitdie Beweisaufnahme noch nicht durchgeführt worden ist, als rechtlichirrelevant aufzuheben, die Beweisaufnahme abzuschließen, und dieGefangenen unverzüglich <strong>in</strong> Kriegsgefangenenschaft zu überführen".336Bundesanwalt Wunders Reaktion auf diesen Beweisantrag bestand ausder Bemerkung, das geltende Recht lasse ke<strong>in</strong>en Raum für solche"Denkgebilde und Wunschträume"l83; <strong>in</strong> diesem Zusammenhang vone<strong>in</strong>em legitimen Widerstandsrecht zu sprechen, sei "fast beleidigend fürall diejenigen, die im Dritten Reich zulässigen Widerstand geleistet haben,leisten mußten und dankenswerterweise geleistet haben". DasGericht begründete die Ablehnung des Antrags mit e<strong>in</strong>em Satz: "Für e<strong>in</strong>eüberführung der Angeklagten <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft fehlt es an jederrechtlichen Grundlage"l84.Es sche<strong>in</strong>t mir notwendig, diese lapidare Behauptung des Gerichts imRahmen e<strong>in</strong>er historischen Perspektive der Entwicklung des humanitärenKriegsrechts näher zu betrachten. Die Geschichte des Kriegsrechts istumfangreich und kompliziert. Für diese Untersuchung <strong>in</strong>teressiert jedochnur die Frage, welche Stellung dem Guerillakämpfer und Partisan imhumanitären Kriegsrecht zukommt und ob ihm e<strong>in</strong>e Behandlung alsKriegsgefangener zusteht. Aus Bierzaneksl85 Studie von 1968 geht hervor,daß der Partisan bis <strong>in</strong> die Mitte des 19. Jahrhunderts h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>völkerrechtlich den gleichen Status <strong>in</strong>nehatte wie der gewöhnliche Soldat.Erst <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lasse sich e<strong>in</strong>ezunehmende Neigung, dem Partisanenkampf den Charakter legitimerKriegsführung abzuerkennen, feststellen: "Infolge der Entwicklung regulärerArmeen und unter dem ideologischen E<strong>in</strong>fluß der Heiligen AI­Iianz"186.Diese Entwicklung spiegelt sich wider <strong>in</strong> der ersten bedeutendenKodifizierung des Kriegsrechts, der Haager Konvention Nr. IV von1907 und der dazugehörigen Landkriegsordnung. Die (europäischen)Großmächte wünschten, den Kombattanten-Status, der für e<strong>in</strong>e eventuelleBehandlung als Kriegsgefangener ausschlaggebend war187,auf dieMitglieder der regulären Armeen zu beschränken. Ihrer Me<strong>in</strong>ung nachwar es bereits sehr weitreichend, daß dieser Status gemäß Artikel 1derLandkriegsordnungauch Angehörigen von Milizen und FreiwilIigenkorpssowie - gemäß Artikel 2 - der sich beim Näherrücken von Invasionstruppenspontan bewaffnenden Zivilistenzugestanden wurde. Dievier Bed<strong>in</strong>gungen für Milizen und FreiwilIigenkorps waren: 1. E<strong>in</strong> fürse<strong>in</strong>e Untergebenen verantwortlicher Kommandant; 2. Tragen e<strong>in</strong>es ausEntfernung zu erkennenden Kennzeichens; 3. öffentliches und sichtbaresTragen von Waffen; 4. Verhalten entsprechend den Kriegsgesetzenund -bräuchen.Diese Bed<strong>in</strong>gungen waren vor allem mit dem Zielformuliert worden,Vorfällebestrafen zu können, wie sie sich während des Krieges von 1870zwischen Frankreich und Preußen ereignet hatten. Nach der militärischenNiederlage Frankreichs führten die sogenannten franctireurs e<strong>in</strong>enGuerillakrieg gegen die Preußen, die gefangene Partisanen wie Verbrecherbestraftenl88.Das "Recht auf Besetzung" wird von der Landkriegsordnung (Ab-337


••schnitt III, Art. 42) anerkannt: "Un territoire est considere, commeoccupe lorsqu'il se trouve place de fait sous l'autorite de l'armeeennemie" ("E<strong>in</strong> Territorium gilt als besetzt, wenn es sich unter tatsächlicherHerrschaft der fe<strong>in</strong>dlichen Armee bef<strong>in</strong>det" - BS).Die kle<strong>in</strong>en an dieser vorwiegend europäischen Versammlung189teilnehmendenStaaten wünschten ausdrücklich, auch dem vere<strong>in</strong>zeltenoder organisierten Widerstandskämpfer gegen e<strong>in</strong>e fremde Besatzungsmachtden Kombattantenstatus zuzuererkennen; sie begnügten sichnicht mit dem H<strong>in</strong>weis auf "das Gebiet des ungeschriebenen Völkerrechts,,190.Ergebnisdieser Ause<strong>in</strong>andersetzung war die Aufnahme derausgesprochen verschwommen formulierten "Martensclausule" (benanntnach dem russischen Delegierten Martens, der diese Klausel alsKompromißvorschlag e<strong>in</strong>gebracht hatte) <strong>in</strong> die Präambel der HaagerKonvention; dar<strong>in</strong> wurde <strong>in</strong> den Fällen, die von den verabschiedetenRegelungen nicht erfaßt werden ("dans les cas non compris dans lesdispositions reglementaires adoptees"), auf völkerrechtliche Grundsätzeverwiesen, so wie sie sich aus den Bräuchen und Erfordernissen imöffentlichen Bewußtse<strong>in</strong> ergeben ("tels qu'ils resultent des usages et desexigences de la conscience publique"191).Diese Klausel und ihre Entstehungsgeschichte führt Bierzanek zu demSchluß, daß es ke<strong>in</strong>en berechtigten Grund gibt, Partisanen und Guerillakämpfervom Schutz des humanitären Völkerrechts auszuschließen192.Die völkerrechtlichen Bräuche (usages) hatten schließlich jahrhundertelangke<strong>in</strong>en diskrim<strong>in</strong>ierenden Unterschied zwischen Partisanen undanderen Kriegführenden gekannt. Die seit der Jahrhundertwende herrschendeVölkerrechtslehre negierte jedoch diese Bräuche und Traditionenund verkündete ihre für Guerillakämpfer nachteilige Lehre: Wer die<strong>in</strong> den Artikeln 1und 2 der Landkriegsordnung aufgeführten Bed<strong>in</strong>gungennicht erfüllt, kann ke<strong>in</strong>e Ansprüche auf den Kombattantenstatusgeltend machen. Trotz der grauenhaften Erfahrungen mit der Exekutionvon Partisanen ("Terroristen") <strong>in</strong> den beiden Weltkriegen blieb dieseVölkerrechtslehre weitgehend unverändert. Was den Schutz der Zivilbevölkerung<strong>in</strong> Kriegszeiten betrifft, so hatte sich das humanitäre Kriegsrechtzweifellos als absolut unzureichend erwiesen. Während im erstenWeltkrieg noch fast achtmal mehr Soldaten als Zivilistenstarben, verlorenim zweiten Weltkrieg fast 17 Millionen Soldaten und mehr als 34Millionen Zivilistenihr Leben193.Vor allem der zweite Weltkrieg war Anlaß für e<strong>in</strong>e Reformierung deshumanitären Völkerrechts. Die vier Genfer Konventionen des Jahres1949 - Regeln für den Schutz von Kranken, Verwundeten, Kriegsgefangenenund Zivilbevölkerung brachten erhebliche Verbesserungen. Zumerstenmal wurden auch die organisierten Widerstandsbewegungen("mouvements de resistance organises") ausdrücklich genannt und Milizenund Freiwilligenkorps gleichgestellt, jedoch auch diesmal galt,338daß sie die oben genannten und <strong>in</strong> der Praxis kaum zu erfüllenden vierBed<strong>in</strong>gungen erfüllten.In den allen vier Genfer Konventionen geme<strong>in</strong>samen Artikeln 2 und 3wurde weiter zwischen <strong>in</strong>ternationalen Konflikten (Artikel 2) und nicht<strong>in</strong>ternationalenKonflikten (Artikel 3) unterschieden. Als <strong>in</strong>ternationaleKonfliktewurden im Pr<strong>in</strong>zip nur die Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen denHohen Vertragsschließenden Parteien ("Ies Hautes Parties Contractantes"),also den der Konvention beigetretenen Staaten, bezeichnet.Die nicht-<strong>in</strong>ternationalen Konfliktewurden - trotz endloser Diskussionen- nicht genauer def<strong>in</strong>iert. Vorschläge, etwa Bürger- oder Kolonialkriegeals Beispiele aufzunehmen, stießen bei vielen Delegationen aufentschiedenen Widerstand. Der Haupte<strong>in</strong>wand lautete, daß "die volleAnwendung der Konventionen auf Konflikteim eigenen Land die Fähigkeitdes Staates, die <strong>in</strong>ländische Ordnung aufrecht zu erhalten, erheblichuntergraben könnte" (übers. BS)194.Ferner fand man den Gedanken,vorgetragen von der französischen Delegation, beängstigend, daß es beie<strong>in</strong>er ausdehnenden Anwendung der Konvention möglich se<strong>in</strong> würde,"für Formen von Unruhe, Anarchie oder Räuberei den Schutz derKonventionen unter e<strong>in</strong>em politischen oder irgend e<strong>in</strong>em anderen Vorwandanzufordern,,195.Ebenso fehlte jegliches Kriterium für die Frage, wann jemand als"Konfliktpartei" zu betrachten sei. Innere Unruhen ("troubles <strong>in</strong>terieurs")oder <strong>in</strong>terne Konflikte ("conflits <strong>in</strong>ternes") waren bereits ausdrücklichvom Anwendungsbereich der Konvention ausgeschlossenworden. Den Staaten sollte es selbst überlassen bleiben, zu def<strong>in</strong>ieren,wann <strong>in</strong>nerhalb ihres eigenen Territoriums e<strong>in</strong> nicht-<strong>in</strong>ternationaler KonfliktimS<strong>in</strong>ne des Artikels3vorliege, wer als Konfliktpartei zu betrachtensei und welche Personen eventuell als Kriegsgefangene zu behandelnse<strong>in</strong> würden.Viele Völkerrechtsgelehrte lobten die Genfer Konvention <strong>in</strong> den höchstenTönen. Es zeigte sich jedoch, daß die kritischen Stimmen rechtbehalten sollten. So kam etwa Francois zu der Schlußfolgerung: "DieKonvention von 1949 ... enthält ke<strong>in</strong>e Läsung"196.Auch Baxter folgerte,sich vor allem auf Spione, GuerillaKämpfer und Saboteure beziehend,die Konventionen "hätten jedoch, anstatt den Status dieser Individuenzu klären, das wenige an bestehendem Recht zerstört... Die Konventionens<strong>in</strong>d dort am schwächsten, wo sie die verschiedenen Kategorien vonPersonen bestimmen, die ihren Schutz genießen"197.Während der Befreiungskriege nach dem zweiten Weltkrieg, die überwiegendals Kriege gegen die alten Kolonialmächte geführt wurden,zeigte sich, was die Genfer Konventionen wert bzw. nicht wert waren.Den großen Kolonialmächten wie Großbritannien, Frankreich und Portugalgalten diese Konfliktenicht als "<strong>in</strong>ternationale", da die Gegenparteischließlich weder e<strong>in</strong> bestehender, anerkannter Staat, e<strong>in</strong>e "Haute Par-339


tie Contractante", war, noch als e<strong>in</strong>e Konfliktpartei ("Puissance en Conflit")im S<strong>in</strong>ne von Artikel 2 Abs. 3 anerkannt wurde. Ebensowenigwurden diese Konflikte von den Kolonialmächten als "nicht-<strong>in</strong>ternationale"betrachtet; für sie handelte es sich um "<strong>in</strong>nere Unruhen" bzw."<strong>in</strong>terne Konflikte". Dies hatte u. a. zur Folge, daß Angehörige vonBefreiungsbewegungen, meistens <strong>in</strong> Guerilla-E<strong>in</strong>heiten organisiert, "alsKrim<strong>in</strong>elle aufgrund ihrer Handlungen gegen die öffentliche Ordnung"198behandeltwurden.Aber nicht nur die 3. Genfer Konvention über Status und Behandlungvon Kriegsgefangenen sollte ke<strong>in</strong>e Schutzwirkung für die Aufständischenentfalten, auch gegen die 4. Konvention über den Schutz der Zivilbevölkerung<strong>in</strong> Kriegszeiten wurde systematisch verstoßen. So wurden etwaganze Dorfgeme<strong>in</strong>schaften, die verdächtig waren, mit der Guerilla zusympathisieren, bedroht, angegriffen und ausgerottet. In den verschiedenenBefreiungskriegen ließen sich kaum Unterschiede feststellen; alsBeispiele seien nur Kenia (1952-1955), Cypern (1955-1959), Algerien(1954-1959) und das Vorgehen Portugals <strong>in</strong> Angola, Mozambique undGu<strong>in</strong>ea-Bissau bis zum Sturz der Salazar-Diktatur am 25.4.74 genannt.Genau wie bei den niederländischen "Polizeiaktionen" <strong>in</strong> Niederländisch-Indienunmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg stellten sich dieKolonialmächte im allgeme<strong>in</strong>en auf den Standpunkt, daß es sich um diepolizeiliche Bekämpfung von "Terroristen", bestenfalls "Rebellen", handele.Die von Hitlers Propagandam<strong>in</strong>ister Dr. Joseph Goebbels zu Beg<strong>in</strong>ndes zweiten Weltkriegs erlassene offizielleAnordnung für die Medien,Widerstandskämpfer seien <strong>in</strong> der Öffentlichkeit konsequent als"Terroristen" zu bezeichnen, fand überall NachahmeT. Das VorgehenEnglands <strong>in</strong> Kenia, Malaysia und Cypern und das von Frankreich <strong>in</strong>Algerien "veranlaßte die hervorragende Autorität <strong>in</strong> Kriegsrecht, denOberst G. I. A. D. Draper, mit charakteristisch englischer Zurückhaltungzu bemerken, daß ,die Weigerung Frankreichs und des Vere<strong>in</strong>igtenKönigreichs, anzuerkennen, daß diese Konflikte unter Artikel 3 fallen,durch politische Erwägungen und nicht durch irgend e<strong>in</strong>e objektiveRechtsvorschrift bestimmt wurde'" 199.Die Auffassung, solche Konflikteseien als <strong>in</strong>ternationale Konflikte im S<strong>in</strong>ne von Artikel 2 der GenferKonvention anzusehen, wurde damals fast ausschließlich von kommunistischenKriegsrechtssachverständigen vertreten2OO.Das Verhalten der USA im Vietnamkrieg kann als bekannt vorausgesetztwerden. Im Juni 1965 ersuchte das Internationale Komitee vomRoten Kreuz (IKRK)die Regierungen der USA, Süd- und Nordvietnamssowie die vietnamesische Befreiungsfront FNL um Anwendung der GenferKonventionen201. Die Antworten der USA und Südvietnams warenpositiv. Die Antwort Nordvietnams enthielt u. a. die gegen die amerikanischeRegierung und "ihre Agenten <strong>in</strong> Saigon" gerichtete Beschuldigungder Piraterie; implizitanerkannte die nordvietnamesische Regierung die340Genfer Konventionen, <strong>in</strong>dem sie Vorbehalte gegen Artikel 85 der 3.Genfer Konvention vorbrachte und sich weigerte, amerikanische Piloten,die nach Bombenangriffen auf Nordvietnam gefangen worden waren,wie Kriegsgefangene zu behandeln (Artikel85 zufolgestehen Kriegsgefangeneauch nach ihrer Verurteilung entsprechend den Gesetzen dersie gefangen haltenden Macht unter dem Schutz der 3. Genfer Konvention).Die vietnamesische Befreiungsfront antwortete, die Genfer Konventionen,an deren Entstehung sie nicht mitgewirkt habe, enthieltenBestimmungen, die weder mit ihren Aktionen noch mit der Organisationsformihrer Streitkräfte <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmung stünden; dennoch erklärtesie, Gefangene "human und barmherzig" zu behandeln.Die von Nordvietnam geäußerten Vorbehalte waren für amerikanischeVölkerrechtler Anlaß, sich lautstark über "die schlechte Behandlungvon Kriegsgefangenen <strong>in</strong> Vietnam" aufzuregen202.Folgender Ausschnittaus e<strong>in</strong>em ArtikelCasellas <strong>in</strong> "Le Monde" (9.7.70) charakterisiertden desolaten humanitär-völkerrechtlichen Aspekt der Vietnam-Fragegenau: "Was den Vietnamkrieg angeht. .. so lassen die Genfer Konventionen,die ihren Schutz den gesamten kämpfenden amerikanischen undsüdvietnamesischen Kräften gewähren, praktisch neun Zehntel derKämpfer der Befreiungsfront ohne Schutz. Unter diesen Umständenkönnen sich Saigon und Wash<strong>in</strong>gton nichts vergeben, wenn sie dieGenfer Konventionen für anwendbar erklären,,203.Die nationalen Befreiungskriege nach 1945 sollten jedoch auch aufdem Gebiet des geschriebenen Kriegsvölkerrechts ihre Spuren h<strong>in</strong>terlassen.Friedrich Engels hatte bereits e<strong>in</strong> Jahrhundert zuvor die theoretischenGrundlagen für die 1977 erfolgten Abänderungen des Kriegsvölkerrechtsentwickelt: "In e<strong>in</strong>em Volkskrieg können die Mittel, die von denAufständischen benützt werden, nicht an den geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> anerkanntenRegeln regulärer Kriegsführung gemessen werden, ebenso wie an irgende<strong>in</strong>em anderen abstrakten Kriterium, sondern an dem Grad der Zivilisation,den die aufständische Nation erreicht hat,,204.Aufgrund historischerund soziologischer überlegungen entwickelte Engels folgende Argumentation:Die sogenannten primitiven Völker könnten und dürften nicht anKriegsgesetze gebunden werden, die e<strong>in</strong>seitig von den "zivilisierten"Mächten aufgestellt wurden, und die deren Wertvorstellungen und derenNiveau technischer Entwicklung widerspiegelten. Die gegenteilige Betrachtungsweisesei unlogisch, unpraktisch und unehrlich. Gleichzeitigmüßten die entwickelteren Länder aber die von ihnen selbst festgelegtenVorschriften anwenden, die schließlich ihre eigenen Ansichten von e<strong>in</strong>emangemessenen Verhalten <strong>in</strong> Zeiten bewaffneter Konflikte enthielten.Die objektive Realität fordere, daß jede der beiden Parteien bei ihrenmilitärischen Operationen den Regeln folge, die am ehesten ihrem eigenenWertsystem entsprächen.341


Für die an e<strong>in</strong>em bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien ist derBegriff der aufständischen Nation ("<strong>in</strong>surgent nation") von Bedeutung.Während nach traditioneller Lehrme<strong>in</strong>ung das Völkerrecht die Beziehungenzwischen Staaten untere<strong>in</strong>ander regelt, wird hier e<strong>in</strong> Nicht-Staat,die "<strong>in</strong>surgent nation", als Subjekt des Völkerrechts e<strong>in</strong>geführt. DerMarxismus-Len<strong>in</strong>ismus hat daraus später das Konzept des legitimen<strong>Verteidigung</strong>skrieges gegen Sklaverei, Unterdrückung und Abhängigkeitentwickel~o5. Selbstverständlich war der antikoloniale Befreiungskriegals e<strong>in</strong> solcher gerechter Krieg ("iustum bellum") zu betrachten: "Dasunterdrückte Volk,das auf dem durch den imperialistischen Staat annektiertenTerritorium lebt, hat jederzeit das Recht, e<strong>in</strong>en nationalen Befreiungskrieggegen diesen imperialistischen Staat zu beg<strong>in</strong>nen,,206.Nach der Gründung der Vere<strong>in</strong>ten Nationen im Jahr 1945 beriefenkommunistische Autoren sich immer wieder auf verschiedene Bestimmungender UN-Charta, die bestätigen würden, daß auch <strong>in</strong>ternationalgeltendem Recht zufolge e<strong>in</strong> nationaler Befreiungskrieg gerechtfertigt seiund demzufolge auch das humanitäre Kriegsvölkerrecht auf bewaffneteKonflikte angewendet werden müsse. Sie verwiesen u. a. auf den aufVorschlag der UdSSR aufgenommenen Grundsatz der "equal rights andself-determ<strong>in</strong>ation of peoples" sowie auf die den Kolonialmächten zukommendeVerpflichtung, <strong>in</strong> ihren Kolonien "self-government" zu ermöglichen.Obwohl <strong>in</strong> der UN-Charta noch zwischen "self-government"und "<strong>in</strong>dependance" unterschieden wird, waren die kommunistischenAutoren der Me<strong>in</strong>ung, daß "self-government" und "self-determ<strong>in</strong>ation"logischerweise auf der gleichen Ebene wie völligepolitische Unabhängigkeit<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es eigenständigen Staates anzusiedeln seien. Da das allenVölkern zukommende Recht auf Selbstbestimmung von diesen Autorenals e<strong>in</strong>er der wichtigsten Grundsätze heutigen <strong>in</strong>temationalen Rechtsbewertet wurde, ist die Schlußfolgerung nur konsequent, daß "bewaffneteIntervention, die darauf abzielt, e<strong>in</strong> Volk von der Verwirklichungse<strong>in</strong>es Selbstbestimmungsrechts abzuhalten,Aggression ist, dasschlimmste <strong>in</strong>temationale Verbrechen"207.Bis<strong>in</strong> die sechziger Jahre wurde der nationale Befreiungskrieg von derMehrzahl der westlichen Völkerrechtsgelehrten bestensfalls als nicht<strong>in</strong>ternationalerKonflikt im S<strong>in</strong>ne von Artikel 3 der Genfer Konventionbetrachtet. Die 1960 von der Generalversammlung der Vere<strong>in</strong>ten Nationenmit überwältigender Mehrheit angenommene "Declaration on thegrant<strong>in</strong>g of <strong>in</strong>dependance to colonial countries and peoples" (Erklärungüber die Gewährung der Unabhängigkeit für koloniale Länder undVölker)208war jedoch e<strong>in</strong> entscheidender Wendepunkt. Diese Resolution(Nr. 1514) verurteilte den Kolonialismus <strong>in</strong> jeder Form. Der Textenthielt die oben wiedergegebene Argumentation marxistisch-len<strong>in</strong>istischerAutoren209. Während die kolonialen Eroberungskriege noch alsvöllig irrelevant für <strong>in</strong>ternationales Recht betrachtet worden waren21O,342mußten die meisten Völkerrechtsgelehrten, die seit 1971 vom IKRKimRahmen neuerlicher Diskussionen über das humanitäre Kriegsvölkerrechtum ihre Me<strong>in</strong>ung gebeten wurden, anerkennen, daß (koloniale)Befreiungskriege als <strong>in</strong>ternationale Konflikte und demzufolge Befreiungsbewegungenals Subjekte im S<strong>in</strong>ne des Völkerrechts zu betrachtenwaren211.Die UN-Resolution Nr. 1514 von 1960 veränderte die Praxis derKriegsführung kaum, und auch die seitdem von der UN-Vollversammlungmehrfach ausgesprochene Me<strong>in</strong>ung, die Resolution habe zur Konsequenz,daß gefangene Freiheitskämpfer als Kriegsgefangene zu behandelnseien, konnte daran wenig ändern212. Die betroffenen Staatenignorierten diese Aussprachen schlich~13.Da UN-Resolutionen im allgeme<strong>in</strong>enals gewichtige Empfehlungen betrachtet werden, die jedochke<strong>in</strong>e formalgesetzlichen Verpflichtungen darstellen, wurde es notwendig,die Genfer Konventionen entsprechend abzuändern und anzupassen.Auf e<strong>in</strong>er Konferenz von Regierungsexperten 1971 zum Kriegsvölkerrechtstanden die auftretenden Rechtsprobleme, u. a. zur Frage desBefreiungskrieges, zur Diskussion. 1972 faßte die Konferenz den Beschluß,den Genfer Konventionen zwei Ergänzungsprotokolle h<strong>in</strong>zuzufügen,die vom IKRKauszuarbeiten waren und <strong>in</strong>ternationale bzw. nicht<strong>in</strong>ternationaleKonflikte zum Thema hatten. Die Mitte 1973 e<strong>in</strong>gereichtenIKRK-Vorschlägewichen allerd<strong>in</strong>gs nur wenig von den 1949 formuliertenAuffassungen ab. E<strong>in</strong> halbes Jahr später nahm die UN-Vollversammlungdie Resolution 3103/XXVIIIan, die als die bis dah<strong>in</strong> deutlichstebezeichnet werden kann: Der Kampf der Völker gegen "kolonialeund Fremdherrschaft und rassistische Regimes" ("dom<strong>in</strong>ation colonialeet e,trange're et les re'gimes raeistes") ist legitim, entspricht dem Völkerrechtund istals <strong>in</strong>ternationaler Konfliktim S<strong>in</strong>ne der Genfer Konventionzu betrachten; gefangenen Kämpfern kommt <strong>in</strong> solchen Konflikten derStatus von Kriegsgefangenen ZU214.Diese Resolution wurde mit 83 Ja­Stimmen, 13 Ne<strong>in</strong>-Stimmen und 19 Enthaltungen angenommen; mitNe<strong>in</strong> stimmten Österreich, Belgien, Frankreich, Brasilien, BRD, Israel,Italien, Luxemburg, Portugal, Süd-Afrika, England, USA und Uruguay.1974 begann <strong>in</strong> Genf auf diplomatischer Ebene die Konferenz über dievom IKRK entworfenen ErgänZUngs&rotokolle.Sie dauerte drei Jahre.Die gegensätzlichen Auffassungen ü er Befreiungskriege zwischen denwestlichen Staaten e<strong>in</strong>erseits (Norwegen ausgenommen) und dem Sowjet-Blockund zahlreichen Staaten der Dritten Welt andererseits warenkaum <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen.Die westlichen Staaten benutzten vier Argumente, um die von denanderen Staaten beabsichtigte Erweiterung des Begriffs "<strong>in</strong>ternationalerKonflikt" zu torpedieren.Das erste Argument entsprach der klassischen Auffassung, nationaleBefreiungskriege seien e<strong>in</strong>deutig und ausschließlich <strong>in</strong>terne Konflikte215.343


Der Delegierte der USA bemerkte dazu: "Wenn man den <strong>in</strong>ländischenTerrorismus als <strong>in</strong>ternationalen Konflikt qualifiziert, so kann das denTerrorismus gleichwohl nicht legitimieren. Begriffe wie ,Fremdherrschaft'und ,rassistische Regime' bedürfen immer noch der Def<strong>in</strong>ition"216.Das zweite Argument schien gewichtiger: die Genfer Konvention seike<strong>in</strong> geeignetes Mittel,um solche Konfliktezu humanisieren. Die sich ausder Genfer Konvention ergebenden Verpflichtungen seien schließlichnur von Staaten zu erfüllen; so würden nach Me<strong>in</strong>ung des amerikanischenDelegierten Befreiungsbewegungen z. B. niemals Artikel23 der 3.Konvention genügen können und wollen. Dieser Artikel bestimmt, daßKriegsgefangene <strong>in</strong> Lagern untergebracht werden, die äußerlich deutlichzu erkennen s<strong>in</strong>d, die weitab von der umkämpften Zone liegen, gegenLuftangriffe Schutz bieten und deren Lage dem Gegner bekanntgegebenwird 217.Diese Feststellung ist zwar nicht falsch, dennoch gilt, wie der "nache<strong>in</strong>em längeren und erbitterten Streit,,218zu dieser Konferenz zugelasseneVertreter der Frelimo (Befreiungsbewegung von Mozambique) konstatierte:"Wenn man die Regeln anpassen muß, so wegen der besonderenBed<strong>in</strong>gungen des Guerilla-Krieges, und nicht, weildie KonfliktparteienStaaten s<strong>in</strong>d oder nicht,,219.Das Argument des US-Delegierten hatsomit nichts mit der Art e<strong>in</strong>es Konflikts(<strong>in</strong>ternational oder nicht-<strong>in</strong>ternational)zu tun, sondern mit der Methode (klassische Kriegsführung oderGuerillakrieg) und der de facto gegebenen Ungleichheit der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emGuerillakrieg e<strong>in</strong>ander gegenüberstehenden Parteien22o.Zudem ist es durchaus fraglich (siehe auch Salmon221),ob 1974, zumZeitpunkt der Diskussion, nicht etwa die Frelimo, die PAIGC (Befreiungsbewegung<strong>in</strong> Gu<strong>in</strong>ea-Bissau) und die vorläufige Regierung vonSüdvietnam wesentlich eher <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> würden, die Genfer Konventionene<strong>in</strong>zuhalten, als etwa Zwergstaaten wie der Vatikan, SanMar<strong>in</strong>o, Liechtenste<strong>in</strong> und Monaco, die alle als Partei den Konventionenbeigetreten waren, ohne daß andere westliche Staaten dagegen Bedenkengeäußert hätten.Das dritte Argument war im Grunde genommen e<strong>in</strong>e Variante deszweiten und wurde arn e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichsten von dem niederländischen Delegierten,dem Völkerrechtsexperten F. Kalshoven, vorgetragen222. DieErweiterung des Begriffs "<strong>in</strong>ternationaler Konflikt" auf Befreiungskriegesei diskrim<strong>in</strong>ierend, da sich für die unterschiedlichen Parteien "nichtwechselseitige Verpflichtungen" ("obligations non synallagmatiques")ergäben. Da man davon ausgehen müsse, daß Befreiungsbewegungenhäufig nicht <strong>in</strong> der Lage seien, den Verpflichtungen der Genfer Konventionennachzukommen, würde der fundamentalen Vorstellung vonRechtsgleichheit zwischen Parteien Gewalt angetan, sollte der Begriff"<strong>in</strong>ternationaler Konflikt" zukünftig auch für die Befreiungskriege gelten.344Ganz e<strong>in</strong>deutig wurde bei dieser Argumentation e<strong>in</strong>e Entwicklung mite<strong>in</strong>bezogen, die Engels schon angekündigt hatte. Das entsprechendeGegenargument liegt nahe: Das geltende Recht ist diskrim<strong>in</strong>ierend, weiles den Mitgliedern von Befreiungsbewegungen, trotz des <strong>in</strong>ternationalenCharakters des Konflikts,ke<strong>in</strong>en Schutz biete~23. Völlignegiert wurde <strong>in</strong>Kalshovens Argumentation die allgeme<strong>in</strong> bekannte Tatsache, daß auchdie traditionellen Armeen <strong>in</strong> zunehmendem Maße Guerillatechnikenanwenden und den offenen Kriegso weit wie möglich vermeiden224.Ch.de Rousseau schrieb schon 1957: "Zahlreiche Militärfachleute sehen <strong>in</strong>den Aktionen der Guerilla und der Widerstandsbewegungen e<strong>in</strong>e derwahrsche<strong>in</strong>lichsten Formen des zukünftigen Krieges"225.Das Postulat der Rechtsgleichheit von Konfliktparteien, auf dem KalshovensArgument gründet, kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation faktischer Ungleichheitnur als Rechtsformalismus bezeichnet werden226. Konsequenz se<strong>in</strong>erBetrachtungsweise ist, daß Freiheitskämpfer "<strong>in</strong> den ersten Phasene<strong>in</strong>er aus e<strong>in</strong>er Position der Schwäche heraus operierenden Widerstandsbewegung"von der Gegenpartei nach Gutdünken behandelt werdenkönnen, während sie im "letzten Stadium" - zumeist wenn dieBefreiungsbewegung schon über befreites Gebiet verfügt - wie Kriegsgefangenebehandelt werden müssen; letzteres also <strong>in</strong> jener Phase, <strong>in</strong> derder Befreiungskampf so gut wie beendet ist und der Gegner kaum nochKriegsgefangene machen kann227.Das vierte von den Staaten des Westblocks vorgebrachte Argumentwar die Behauptung, mit der E<strong>in</strong>führung von subjektiven und politischenBegriffen wie "Kampf gegen Kolonialherrschaft, fremde Besatzungsmächteoder rassistische Regimes" <strong>in</strong> das humanitäre Völkerrecht werdeder Schutz der Kämpfenden abhängig von den jeweiligen Motiven fürden Kampf. Auf diese Weise gehe der Begriff des "gerechten Krieges",des "iustum bellum ", <strong>in</strong> das humanitäre Völkerrecht e<strong>in</strong>228. In denWorten G<strong>in</strong>sbergs: "Die Tür wird dann wieder für jede Regierung undjede politische Bewegung weit offen stehen, um - bildhaft gesprochen ­an den Himmel zu appellieren und, fest e<strong>in</strong> Banner tragend, worauf e<strong>in</strong>eangemessene <strong>in</strong>spirierende Botschaft enthalten ist, sei es ,Gott mit uns'oder ,Dialectical Historical Materialism is on Our Side', fortzufahren, mitdem Schwert die Vorteile ihrer überlegenen Kulturzu verbreiten und ihrezivilisierende Mission an ihren unwissenden Nachbarn zu erfüllen,,229.Dieses Argument kl<strong>in</strong>gtu. a. angesichts der geschilderten Entwicklungder kommunistischen Völkerrechtslehre überzeugend, istes letztlichaberdoch nicht, wie verschiedene Autoren <strong>in</strong>zwischen nachgewiesen haben230.Zum e<strong>in</strong>en berief sich nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit der Befürworterder Erweiterung des Begriffs "<strong>in</strong>ternationaler Konflikt" auf die "iustumbellum"-Theorie231. Auch g<strong>in</strong>g es ihnen nicht um das Völkerrecht alsGanzes, sondern alle<strong>in</strong> um die Bestimmungen, die den KombattantenundKriegsgefangenenstatus betreffen, da sie zu Recht feststellten, daß345


die Garantien des humanitären Kriegsvölkerrechts auf Befreiungskriegeso gut wie nicht anzuwenden waren und die Kolonialmächte dazu auchnicht bereit seien232.Es gab jedoch e<strong>in</strong> Gegenargument grundsätzlicherArt. Thema der Debatte war die Unterscheidung zwischen <strong>in</strong>ternationalenund nicht-<strong>in</strong>ternationalen Konflikten. Die Unterscheidung selbst iste<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>e politische, schließlich gilt:"Regierungen s<strong>in</strong>d viel weniger,falls überhaupt, daran <strong>in</strong>teressiert, daß auf Aufstände <strong>in</strong>nerhalb ihresTerritoriums Völkerrecht angewendet wird. Ihre Hauptsorge ist, daß siegenügend Freiheit haben, schnell jede Art von Aufstand zu zerschlagen"233.Esist somit auch nicht zufällig,daß der Schutz von Gefangenen<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em "<strong>in</strong>ternationalen" Konflikt relativ gut und genau geregelt ist,während dieser Schutz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em "nicht-<strong>in</strong>ternationalen" Konfliktso gutwie nicht besteht. Wäre es den an den Genfer Konventionen Beteiligtentatsächlich um e<strong>in</strong> objektives humanitäres Kriterium gegangen, dannhätten sie Umfang oder Intensität e<strong>in</strong>es Konflikts - <strong>in</strong>ternational oder<strong>in</strong>tern -- zum Ausgangspunkt nehmen müssen. Während der diplomatischenGenfer Konferenz <strong>in</strong> den siebziger Jahren stand die norwegischeDelegation mit dieser Sichtweise alle<strong>in</strong>.In der Schlußsi17l1ngr1ioc:or Konferenz 1977 wurden schließlich mite<strong>in</strong>er Gegenstimme (Israel) und elf Enthaltungen folgende Konflikte als-;;Internationale" im S<strong>in</strong>ne der Genfer Konventionen angenommen: "BewaffneteKonflikte, <strong>in</strong> denen die Völker <strong>in</strong> Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtsgegen Kolonialherrschaft, e<strong>in</strong>e fremde Besatzungsmachtund gegen rassistische Regimes kämpfen" ("Conflits armes dans lesquelsles peuples luttent contre la dom<strong>in</strong>ation coloniale et I'occupation etrangereet contre les regimes racistes dans I'exercice du droit des peuples adisposer deux-memes")234.Es bleibt fraglich, ob dieser Sieg der Länder des Ostblocks und derDritten Welt auf politischer Ebene tatsächlich als wichtiger Beitrag aufdem Weg zur Realisierung e<strong>in</strong>es humanitären Völkerrechts gesehenwerden kann. Schließlich ist diese Erweiterung des Begriffs "<strong>in</strong>ternationalerKonflikt" ausdrücklich auf drei Kategorien von Konflikten beschränkt:Den Kampf gegen koloniale Fremdherrschaft, fremde Besatzungsmächteund rassistische Regimes. Auf der konkreten Ebene <strong>in</strong>ternationalerPolitik zielte die Erweiterung vornehmlich auf den Kampf derPaläst<strong>in</strong>enser und auf den Befreiungskampf <strong>in</strong> Südafrika ab235. DieAnnahme des ursprünglichen Vorschlags der Dritte-Welt-Länder, ganzallgeme<strong>in</strong> "bewaffnete Kämpfe, die von den Völkern zur Ausübung ihresSelbstbestimmungsrechts geführt werden" ("Iuttes armees menees parles peuples en vue d'exercer leur droit a disposer deux-memes") zu"<strong>in</strong>ternationalen Konflikten" zu ernennen, wäre weit wünschenswertergewesen. E<strong>in</strong>e Erweiterung <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne wäre, wie Salmon bemerkt,geeigneter gewesen, "sich <strong>in</strong> Zukunft neuen Konfliktsituationen, die dieGeschichte nicht abschließt, zu öffnen ,,236.Aufgrund der oppositionellen346Haltung der Staaten des Westblocks hatte dieser Vorschlag dem von denOstblockländern formulierten und letztlich auch angenommenen Textweichen müssen.Selbstverständlich war die Frage, wann Freiheitskämpfer (und vorallem Guerilleros) als Kombattanten zu gelten hatten und damit beiGefangennahme als Kriegsgefangene zu behandeln waren, mit der erreichtenBegriffserweiterung noch ke<strong>in</strong>eswegs geklärt. Es lag nahe, daßdie Staaten des Westblocks <strong>in</strong> künftigen Debatten erneut versuchenwürden, die für Guerillakämpfer unerfüllbaren Bed<strong>in</strong>gungen der GenferKonvention so weit wie möglich beizubehalten, "<strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong> Rückzugsgefechtführten, das sich h<strong>in</strong>ter juristisch-humanistischen Reden versteckte,,237.DieseErwartung sollte auch nicht enttäuscht werden; die von1974 bis 1977 andauernden Debatten waren "lang, kompliziert, verwirrendund manchmal ätzend,,238.Auch hier war die Trennung zwischen den beiden sich gegenüberstehendenLagern e<strong>in</strong>deutig, ihre Wortführer waren - bezeichnenderweise- der amerikanische Delegierte (Berichterstatter der betreffenden Kommissionund als solcher Vorsitzender der vorbereitenden Arbeitsgruppe)und der vietnamesische Delegierte239.Die beiden Herren kannten e<strong>in</strong>andernoch von den Pariser Friedensverhandlungen über Vietnam. AlleBeteiligten waren sich bewußt, daß das Ergebnis der Debatten aufpraktischer Ebene e<strong>in</strong>schneidende Konsequenzen zur Folge habenkönnte; die Erweiterung des Begriffs "<strong>in</strong>ternationaler Konflikt" war nurdas erste und <strong>in</strong>zwischen überwundene H<strong>in</strong>dernis gewesen. Wenn manvon dieser langfristigen Strategie ausgeht, wird verständlich, warum dienicht-westlichen Teilnehmer e<strong>in</strong>e so große Kompromißbereitschaftzeigten.Schließlich konnte e<strong>in</strong>e nur mit Stimmenmehrheit durchgeboxteradikale Änderung der Bestimmungen über Kombattanten und Kriegsgefangenenoch ke<strong>in</strong> effektives Völkerrecht schaffen; zahlreiche Staatenwürden sich weigern, e<strong>in</strong>en solchen Entwurf zu ratifizieren. Schließlichwurde dann auch e<strong>in</strong> sehr komplizierter und ambivalenter, die unterschiedlichstenInterpretationen ermöglichender Kompromißvorschlagangenommen und als Resultat dieser Arbeitsgruppe vorgelegt.Dieser Kompromißcharakter giltnoch am wenigsten für die Def<strong>in</strong>itionder an e<strong>in</strong>em Konflikt teilhabenden Streitkräfte: "Alle bewaffneten undorganisierten Streitkräfte, Gruppen und E<strong>in</strong>heiten" ("toutes les forces,tous les groupes et toutes les unites armes et organises") <strong>in</strong> Artikel 43Abs. I, wor<strong>in</strong> zwei an den Kombattantenstatus geknüpfte Bed<strong>in</strong>gungengenannt werden: "E<strong>in</strong>e verantwortliche Führung" ("Un commandementresponsable"), die von der Gegenpartei nicht anerkannt zu werdenbraucht, und "e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne Diszipl<strong>in</strong>arregelung" ("un regime de discipl<strong>in</strong>e<strong>in</strong>terne"), die vor allem die E<strong>in</strong>haltung und Respektierung der Regelndes <strong>in</strong>ternationalen Rechts garantieren sollten. Artikel 43 Abs. 2 zufolges<strong>in</strong>d die Angehörigen solcher Streitkräfte "Kombattanten, das heißt sie347


haben das Recht, direkt an den Fe<strong>in</strong>dseligkeiten teilzunehmen" ("descombattants, c'est-a-dire, ont le droit de participer directement auxhostilites").Damit s<strong>in</strong>d die an den Kombattantenstatus geknüpften Bed<strong>in</strong>gungenfür Angehörige ständiger Streitkräfte und Guerillakämpfer dieselben:Verantwortliche Befehlsführung und <strong>in</strong>terne Diszipl<strong>in</strong>. Der <strong>in</strong> Artikel1 der Haager Landkriegsordnung implizit enthaltene Grundsatz,daß Kombattanten nicht schon für ihre Teilnahme an den fe<strong>in</strong>dlichenAuse<strong>in</strong>andersetzungen bestraft werden können, ist damit noch e<strong>in</strong>malausdrücklich bestätigt worden (was e<strong>in</strong>e eventuelle Bestrafung wegenkriegsverbrecherischer Handlungen selbstverständlich nicht ausschließt).Dieser Artikel 43 wurde e<strong>in</strong>stimmig angenommen.Dies sah beim "schwierigsten aller Probleme,,240 jedoch ganz andersaus: Hier handelte es sich um die <strong>in</strong> Artikel 44 aufzunehmendeRegelung der Frage, unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen gefangengenommeneKombattanten als Kriegsgefangene zu betrachten waren.Die endgültige Formulierung von Artikel 44241wurde von der Vollversammlung1977 mit 73 Ja-Stimmen, e<strong>in</strong>er Ne<strong>in</strong>-Stimme (Israel)und 21 Enthaltungen (<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Staaten des Westblocks und Late<strong>in</strong>amerikas) angenommen242.Obwohl diese Regelung wegen der "vorbereitenden Arbeiten"("travaux preparatoires"; Art. 32 der Vienna Convention on the Lawof Treaties) e<strong>in</strong>e ausführliche Analyse243 verdient hätte, werde ichmich mit e<strong>in</strong>er kurzen Zusammenfassung begnügen. Von entscheidenderBedeutung s<strong>in</strong>d die Absätze 3 und 4 dieses Artikels, die Ausnahrneregelnfür Guerillakämpfer <strong>in</strong> nicht weiter umschriebenen besonderenSituationen enthalten. In solchen Situationen ist es für e<strong>in</strong>enGuerillakämpfer ausreichend, sich von der Zivilbevölkerung dadurchzu unterscheiden, daß er se<strong>in</strong>e Waffen öffentlich sichtbar trägt,dies auch nur während der Ausführung e<strong>in</strong>er militärischen Aktionund - wenn er sich im Blickfeld des Gegners bef<strong>in</strong>det - während dere<strong>in</strong>er solchen Aktion unmittelbar vorgelagerten Phase. Sollte er auchdiese Bed<strong>in</strong>gungen nicht erfüllen, so verliert er se<strong>in</strong>en Kombattantenstatus(Artikel 44 Abs. 2) und kann für se<strong>in</strong>e Teilnahme an denFe<strong>in</strong>dseligkeiten (nach Kriegsrecht oder auch normalem Strafrecht)bestraft werden; letzteres gilt jedoch nur dann, wenn er während e<strong>in</strong>ermilitärischen Aktion oder e<strong>in</strong>er unmittelbaren Vorbereitungsphasegefangen genommen wurde (Artikel 44 Abs. 4 und 5). Aber selbstdann ist der Gefangene - obwohl er se<strong>in</strong>en Status als Kriegsgefangenerverspielt hat - noch <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht wie e<strong>in</strong> Kriegsgefangener zubehandeln. Artikel 44 Absatz 4 sieht dafür Schutzbestimmungen vor,"die <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht denen entsprechen, die Kriegsgefangenen gewährtwerden" ("protections equivalentes a tous egards a celles quisont accordees aux prisonniers de guerre"). Wie e<strong>in</strong>e Erfüllung dieser348Verpflichtungen konkret auszusehen hat, ist an ke<strong>in</strong>er Stelle genauerdef<strong>in</strong>iert.Betrachten wir nun die Position der (Gefangenen aus der) RAF aufdem H<strong>in</strong>tergrund dieser Ausführungen. Die RAF g<strong>in</strong>g unmittelbar ausdem außerparlamentarischen Widerstand gegen den Krieg der USA(und gegen die Beteiligung der BRD an diesem Krieg)<strong>in</strong> Vietnam hervor.Die wichtigsten Anschläge der RAF vom Mai 1972 galten amerikanischenMilitäre<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> der BRD, die direkt <strong>in</strong> die Kriegsführung<strong>in</strong>tegriert waren. Dem hart umkämpften Artikel 1Absatz 1 des GenferErgänzungsprotokolls I von 1977 zufolge stellte dieser Krieg der USA,auch soweit er vom BRD-Territorium aus geführt wurde, zweifellose<strong>in</strong>en"<strong>in</strong>ternationalen Konflikt" dar. Damit stellt sich die Frage, ob die RAFdieselbst ihre Aktionen ausdrücklich als Bestandteil dieses Konfliktsbetrachtete - als Teil der gegnerischen Partei <strong>in</strong> diesem Konflikt, dervietnamesischen Befreiungsbewegung, gesehen werden konnte. Aufden ersten Blick muß diese Frage wegen Art. 43 des Ergänzungsprotokollsnegativ beantwortet werden, denn danach wäre erforderlich, daßdie "bewaffneten und organisierten E<strong>in</strong>heiten" ("unites armees et organisees")der RAF im militärischen S<strong>in</strong>n unter der Verantwortung e<strong>in</strong>esFNL-Kommando standen.Dennoch läßt sich e<strong>in</strong>e positive Beantwortung begründet verteidigen,und zwar vor allem mit den vielen <strong>in</strong> der Völkerrechtsdiskussion enthaltenenVerweisen auf die ähnlich gelagerte Problematik von Guerillakämpfern<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nationalen Befreiungskrieg e<strong>in</strong>erseits und Widerstandskämpferngegen e<strong>in</strong>e fremde Besetzungsmacht andererseits244. Währendder <strong>in</strong> die Genfer Konventionen von 1949 mündenden diplomatischenVorbereitungskonferenz war ausdrücklich betont worden, daß dieB<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e "Partei" <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konfliktals faktische Frage zu sehenist und nicht an formalen Kriterien wie etwa ZugehÖrigkeitzu den "regulären"Streitkräften oder zu derselben Nation. "Das kann alle<strong>in</strong> durchstillschweigende übere<strong>in</strong>kunft se<strong>in</strong>en Ausdruck f<strong>in</strong>den, wenn es sich umOperationen handelt, aus denen klar hervorgeht, für welche Seite dieWiderstandsbewegung kämpft"245.Die Seite, auf der die RAF kämpfte,war spätestens nach ihren Aktionen <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg undihren Kommandoerklärungen dazu e<strong>in</strong>deutig.Wenn aber für Widerstandskämpfer gegen e<strong>in</strong>e fremde Besatzungsmachtnach den rigiden Regeln der Konventionen von 1949 bereits galt,daß sie als "Partei" betrachtet werden konnten, und zwar ausschließlichaufgrund des Charakters ihrer Aktionen, dann müßte dies gemäß denweitaus liberaleren Ergänzungsprotokollen von 1977 <strong>in</strong> noch stärkeremMaße für Guerillakämpfer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalen Konflikt wie demVietnamkrieg gelten. In e<strong>in</strong>em solchen Konflikt ist die Befreiungsbewegung- zum<strong>in</strong>dest im Anfangsstadium - häufig noch nicht nach strengformalisierten militärischen Regeln organisiert; sie besteht (teilweise)349•


••noch aus selbständig operierenden Kommando-E<strong>in</strong>heiten. Warum solltendie westdeutschen RAF-Kommandos, die die Aktionen gegen amerikanischeMilitäre<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg zu verantwortenhatten, <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne nicht als Kommando-E<strong>in</strong>heiten betrachtetwerden können? Für die Anwendung e<strong>in</strong>es formalen Kriteriumsvon derArt der Zugehörigkeit zur selben Nation (hier Vietnam) sche<strong>in</strong>t es mir <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em solchen (<strong>in</strong>ternationalen) Konfliktnoch weniger Gründe zu gebenals etwa bei Widerstandskämpfern gegen e<strong>in</strong>e fremde Besatzungsmacht.Gleiches gilt auch für die Anwendung anderer formaler Kriterien, wiez. B. dem, den bewaffneten Streitkräften e<strong>in</strong>er Konfliktpartei anzugehören;bereits während der Debatten der Genfer diplomatischen Konferenzenvor 1949 über den Status von Widerstandskämpfern "wurde klarherausgestellt, daß die B<strong>in</strong>dung an die Konfliktpartei als Tatsachenfrageund nicht nach formalen Kriterien behandelt werden sollte,,246.Im folgenden wird davon ausgegangen, daß die RAF auf Seiten e<strong>in</strong>eran dem <strong>in</strong>ternationalen Konflikt<strong>in</strong> Vietnam beteiligten Parteien kämpfte,und daß die Mitglieder der RAF deshalb beanspruchen konnten, alsKombattanten im S<strong>in</strong>ne von Artikel 43 Absatz 2 des Genfer Protokolls Ivon 1977 behandelt zu werden. Daraus folgt, daß sie nicht für ihreTeilnahme an den fe<strong>in</strong>dlichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen bestraft werdendurften, es sei denn, sie hätten <strong>in</strong> diesem Zusammenhang (Kriegs-)Verbrechenbegangen. Daraus ergibt sich als nächstes die Frage nach demvölkerrechtlichen Charakter der von der RAFverübten Anschläge. In derAnalyse muß zwischen den bei diesen Anschlägen verfolgten Zielen undden jeweils angewandten Methoden unterschieden werden. Die Ziele:Zweifellos s<strong>in</strong>d die Anschläge gegen Personen und Sachen der US­Armee zu den normalen Fe<strong>in</strong>dlichkeiten <strong>in</strong> dem Konflikt zu rechnen:"Die e<strong>in</strong>em Angriffausgesetzten Truppen umfassen nicht nur die E<strong>in</strong>heitenim Frontabschnitt, die <strong>in</strong> den laufenden Kampf verwickelt s<strong>in</strong>d oderfür ihn bereitstehen, sondern auch fe<strong>in</strong>dliche Truppenkonzentrationenim H<strong>in</strong>terland, gleich, ob sie unterwegs oder kaserniert s<strong>in</strong>d,,247.Was den Anschlag auf den Militär-Computer <strong>in</strong> Heidelberg betrifft, soläßt sich ergänzend sagen, daß Artikel52 Absatz 2 des Protokolls I unterder Kategorie "militärische Objekte" aufführt: "Sachen, die durch ihreBeschaffenheit, ihre Aufstellung, ihre Bestimmung oder ihre Benutzungfür militärische Aktionen e<strong>in</strong>en effektiven Beitrag leisten, so daß ihreganze oder teilweise Zerstörung, ihre Erbeutung oder Ausschaltung imjeweiligen Fall e<strong>in</strong>en präzisen militärischen Vorteilbedeutet" ("biens qui,par leur nature, leur emplacement, leur dest<strong>in</strong>ation ou leur utilisationapportent une contribution effective 1'1 I'action militaireet donc la destructiontotale ou partielle, la capture ou la neutralisation offre en I'occurenceun avantage militaire precis").Die vier anderen Anschläge der RAF vom Mai 1972 werden dagegenauch nach den Ergänzungsprotokollen als Verstöße gegen das Kriegs-350recht zu gelten haben. Der Anschlag auf das Spr<strong>in</strong>ger-Hochhaus war e<strong>in</strong>Anschlag auf e<strong>in</strong> Zivilgebäude und damit vom Kriegsrecht nicht mehrumfaßt, auch wenn der Spr<strong>in</strong>gerkonzern <strong>in</strong> erheblichem Ausmaß an derpsychologischen Kriegsführung gegen die RAF beteiligt gewesen war(Die Tatsache, daß bei dem Anschlag 17 Menschen verletzt wurden,beruhte auf der falschen E<strong>in</strong>schätzung, die Geschäftsleitung werde dasGebäude nach zwei frühzeitig telefonisch gegebenen Warnungen räumenlassen).So e<strong>in</strong>deutig ist die Sachlage beim Anschlag auf die zivileAmtspersonBuddenberg jedoch nicht. Der BGH-Richter war zwar re<strong>in</strong> formal gesehene<strong>in</strong> Zivilist.Als Verantwortlicher für die auf Vernichtung angelegtenHaftbed<strong>in</strong>gungen gegen die Gefangenen aus der RAF hatte er aber derSache nach e<strong>in</strong>e militärische Funktion bei der Bekämpfung der (Gefangenenaus der) RAF <strong>in</strong>ne.Schwieriger ist die Beurteilung der beiden Anschläge auf die Polizeipräsidien.Man könnte argumentieren, daß die BRD wegen ihrer tatsächlichenUnterstützung der USA im Vietnamkrieg als e<strong>in</strong>e der Parteien <strong>in</strong>diesem <strong>in</strong>ternationalen Konfliktzu betrachten sei. Daraus würde folgen,daß die zur Bekämpfung der Kombattanten der RAF e<strong>in</strong>gesetzten Polizeibeamtenals Teil der "bewaffneten Kräfte" ("forces armees") derKonfliktpartei BRD betrachtet werden müßten. E<strong>in</strong>e solche abstraktlogischeArgumentation ersche<strong>in</strong>t jedoch problematisch. Die Anschlägewaren als Vergeltung für die Erschießung der RAF-Mitglieder PetraSchelm und Thomas Weißbecker deklariert; bis dah<strong>in</strong> aber konnte ausden Aktionen der RAF noch nicht gefolgert werden, daß die RAF sich alsPartei im Vietnamkonflikt betrachtete. Die RAFbefand sich damals (März1972) im Endstadium ihrer Aufbauphase und hatte nach me<strong>in</strong>en Informationennoch ke<strong>in</strong>en <strong>in</strong> direktem Zusammenhang mit dem Vietnamkriegstehenden Anschlag ausgeführt.Die Beantwortung der Frage, wie die Anschläge der RAFaufgrund derangewandten Methoden unter kriegsrechtlichem Aspekt zu beurteilens<strong>in</strong>d, br<strong>in</strong>gt wieder ganz andere Probleme mit sich. Angesichts obigerAusführungen wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang hier nur auf die Anschläge<strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg e<strong>in</strong>gegangen, für die jeweils Zeitbombenbenutzt wurden.Die von Juristen <strong>in</strong> Zweifelsfällen immer arg strapazierte allgeme<strong>in</strong>eLebenserfahrung spricht sicher nicht dafür, daß die Bomben für jedenerkennbar <strong>in</strong> die Gebäude gebracht und dort unter öffentlicher Kenntnisnahmedeponiert wurden. Wenn die RAF-Mitgliederdiese Aktionen aberals normale Zivilisten getarnt ausgeführt haben, dann verspielten sieihren Kombattantenstatus, weil sie den genannten M<strong>in</strong>imalanforderungengemäß Artikel 44 Abs. 3 des Protokolls I nicht genügten. Zudemmachten sie sich der <strong>in</strong> Art. 37 Absatz 1 genannten strafbaren "Perfidie"schuldig, genauer (Satz c) "der Vortäuschung des zivilenoder Nichtkom-351


attantenstatus" ("fe<strong>in</strong>dre d'avoir le statut de civil ou de non-combattant").Sie hätten also nicht nur ihren Kombattantenstatus verloren,sondern könnten auch noch wegen verbrecherischer Handlungen nachKriegsrecht oder lokalem Strafrecht belangt werden.Diese Schlußfolgerungen aber s<strong>in</strong>d re<strong>in</strong> spekulativ, denn bis heutebesteht ke<strong>in</strong>e Klarheit über die Ausführung dieser Aktionen. Damit istnicht auszuschließen, daß e<strong>in</strong>e nicht verbotene sogenannte Kriegslistbenutzt wurde. Diese "Kriegslisten" ("ruses de guerre") s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Art. 37Abs. 2 als Handlungen def<strong>in</strong>iert, "die zum Ziel haben, den Gegner zue<strong>in</strong>em Irrtum zu verleiten oder ihn Unvorsichtigkeiten begehen zu lassen,die aber ke<strong>in</strong>e völkerrechtliche Regel bei bewaffneten Konflikten verletzen"("Les actes qui ont pour but d'<strong>in</strong>duire adversaire en erreur ou de luifaire commettre des imprudences, mais qui n'enfreignent aucune regledu droit <strong>in</strong>ternational applicable das les conflits armes ... "). Von entscheidenderBedeutung istjedoch, daß ke<strong>in</strong>er der <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> Angeklagtenwährend oder unmittelbar vor der Ausführung e<strong>in</strong>er dieser militärischenAktionen gefangen genommen wurde. Daraus folgt (vgl. Art.44 Abs. 4 und 5 des Protokolls), daß Baader, Enssl<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>hof, Me<strong>in</strong>sund Raspe wegen der Anschläge <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg als Kombattantenzu betraehten gewesen wären, wenn das ErgänzungsprotokollI von 1977 bereits damals geltendes humanitäres Kriegsvölkerrecht gewesenwäre. Dann hätten sie nicht nur Recht auf e<strong>in</strong>e Behandlung alsKriegsgefangene gehabt, sondern auf alle sich aus dem Kriegsgefangenenstatusergebenden Rechte248.Ich habe hier versucht, den Rahmen abzustecken, <strong>in</strong> dem sich derAntrag der <strong>Verteidigung</strong> auf E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens und überführungder Angeklagten <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft bewegte. Andere Interpretationenkönnen zu anderen Ergebnissen führen. So ließen sich etwaangesichts der Möglichkeit, vier der sechs Anschläge auch nach denErgänzungsprotokollen von 1977 als Verstöße gegen das Kriegsrecht zubewerten, noch Fragen h<strong>in</strong>sichtlich der für den Kombattantenstatusnotwendigen "<strong>in</strong>ternen Diszipl<strong>in</strong>" der RAF im Jahr 1972 stellen. E<strong>in</strong>esolche Fragestellung impliziertjedoch, daß der Fragesteller den Bereichdes Strafrechts bereits verlassen hat und er den KonfliktRAF ./. BRD ausder Perspektive des humanitären Kriegsvölkerrechts betrachtet. E<strong>in</strong>estrafrechtliche Betrachtungsweise hat zwar den e<strong>in</strong>deutigen Vorteil, daßjede problematische Situation als zeitlich und örtlich beschränkte Kasuistik<strong>in</strong>nerhalbdes vertrauten formaljuristischen Rahmens aufgelöst werdenkann. Die damit e<strong>in</strong>hergehende Reduktion sozialerWirklichkeitführtallerd<strong>in</strong>gs schon <strong>in</strong> gewöhnlichen <strong>Strafsachen</strong> oft zu Spannungen, da dieAngeklagten "ihre" Wirklichkeit dar<strong>in</strong> nicht wiedererkennen können;sicherlich gilt dies noch mehr für politisch geprägte <strong>Strafsachen</strong>. Betrachtetman e<strong>in</strong>e politisch so überlagerte Strafsache wie die gegen "Baaderu. a." aus der völkerrechtlichen Perspektive, so wird deutlich, daß die352soziale Wirklichkeit "Krieg" auf die strafrechtliche Kategorie "Mord"reduziert wurde. Mirg<strong>in</strong>g es aber <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie darum, aufzuzeigen, daßes legitim ist, den Konflikt RAF ./. BRD im Bereich des humanitärenKriegsvölkerrechts anzusiedeln und sich ihm von dort aus zu nähern;gleichzeitigwird so auch der von den <strong>Stammheim</strong>er Angeklagten e<strong>in</strong>genommeneStandpunkt, dieser Konfliktsei auf der strafrechtlichen Ebenenicht justiziabel, verständlich.Noch vor nicht mehr als e<strong>in</strong>em Jahrhundert beschäftigte sich dashumanitäre Kriegsvölkerrecht fast nur mit Kriegzwischen Staaten. Infolgeder <strong>in</strong>ternationalen politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehntes<strong>in</strong>d Kriege von Völkern zur Verwirklichung ihres Rechts auf Selbstbestimmung<strong>in</strong> den Mittelpunkt völkerrechtlichen Interesses gerückt. Ausnationalen Befreiungsbewegungen im Kampf gegen Kolonialismus undFremdherrschaft s<strong>in</strong>d junge Nationalstaaten hervorgegangen. Es ist nichtzu sehen, daß die Entwicklung des humanitären Völkerrechts bei dieserVerschiebung der Konflikte von "Staaten" zu "Völkern" oder "Nationen"ihr Ende erreicht hat. Denn die Verschiebung spiegelt nur veränderteMachtverhältnisse wider, die den "Besitzenden" (den Industriestaatendes Westblocks) von den "Besitzlosen" (meist Ländern derDritten Welt) <strong>in</strong> bewaffneten Ause<strong>in</strong>andersetzungen abgetrotzt wurden.Nicht zuletzt als Folge dieser veränderten Kräfteverhältnisse ist auch derKlassenkampf zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fortgeschrittenes Stadium getreten. Daß dieser Klassenkampf aber ebenfalls<strong>in</strong>ternationalenCharakter hat (wiederum - um noch e<strong>in</strong>mal Kalshovenzu zitieren - nur im "Endstadium"?), daran kann angesichts der<strong>in</strong>ternationalen Wirtschaftsverflechtungen wohl ke<strong>in</strong> Zweifel bestehen.Noch nicht vorherzusagen ist, wie die e<strong>in</strong>ander gegenüberstehendenLager zusammengesetzt se<strong>in</strong> werden; es läßt sich jedoch annehmen,daß die Trennungsl<strong>in</strong>ien quer durch die bestehenden "Staaten" und"Nationen" verlaufen werden. Daß bei diesem Kampf Waffen benutztwerden, ist angesichts der auf dem Spiel stehenden Interessen mehr alswahrsche<strong>in</strong>lich. In diesem Fall ließe sich von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalenKlassenkrieg als e<strong>in</strong>em - so der Gron<strong>in</strong>ger Professor für Konfliktforschung,Hylke Tromp - "dritten Weltkrieg" sprechen249. Tromp dazuausführlicher:"MöglicherweisewirddieWelt<strong>in</strong> zunehmendemMaßelernenmüssen,mite<strong>in</strong>em Terrorismuszu leben, der teilweisesogar an die Stelle klassischerKriegsführungtreten wird und der häufig e<strong>in</strong>e neue Form revolutionärerKriegsführungist ,Weltbürgerkrieg' iste<strong>in</strong>er der Begriffe,diezur Benennungdieser Entwicklungbenutztwerden. Es könnte sichdabei um e<strong>in</strong>en ,drittenWeltkrieg'handeln, der die völligüberraschende Form e<strong>in</strong>es langwierigenKrieges(,protractedwarfare')mitterroristischenMethodenangenommenhat,jedochke<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>deutigenFronten,ke<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>deutigenZieleund vorallemnichtzweideutlichzuunterscheidendeParteienaufweisenkann.E<strong>in</strong>Krieg,derauch353


nicht auf e<strong>in</strong>er Landkarte mitverfolgt werden kann, da die diversen Parteiennicht an e<strong>in</strong> Territorium gebunden s<strong>in</strong>d und es ihnen auch nicht um dieEroberung von Territorium geht".Tromp sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Analyse die ökonomischen H<strong>in</strong>tergründedieses "dritten Weltkriegs" weitgehend außer Acht gelassen zu haben,was zur Folge hat, daß er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en überlegungen von e<strong>in</strong>er zum Scheiternverurteilten "revolutionär-terroristischen" Strategie ausgeht, die sichdann allerd<strong>in</strong>gs trotzdem <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schlußfolgerung wiederf<strong>in</strong>det. Angesichtsder komplizierten Entwicklung der Weltgeschichte reicht es sichernicht aus, sich dazu nur auf e<strong>in</strong>en Gedanken August BebeIs aus dem Jahr1898 zu berufen. Nicht "beweisbar", aber ebensowenig auszuschließenist, daß die Ende 1900 im zaristischen Rußland verübten AttentateE<strong>in</strong>fluß auf den Bewußtwerdungsprozeß (der dem eigenen "praktischen"Lernprozeß vorausgeht) jener Avantgarde hatten, die Jahredanach die große Revolution <strong>in</strong> Gang brachte.Als Beispiel für die politische Ineffektivitätder "revolutionär-terroristischenStrategie" nennt Tromp den Kampf der Paläst<strong>in</strong>enser; er gehtdavon aus, "daß die terroristischen Aktionen der Paläst<strong>in</strong>enser der paläst<strong>in</strong>ensischenSache mehr geschadet als genützt haben" und betont, diePLO habe erst dann e<strong>in</strong>en offiziellanerkannten Status erlangt, nachdemsie dem "Terrorismus" offiziellabgeschworen hatte. Da bleibt die Frageunbeantwortet, ob es ohne die vorherige "terroristische" Phase jemals zue<strong>in</strong>er solchen Anerkennung der PLO gekommen wäre; dies giltübrigensfür fast alle Befreiungsbewegungen. Zum "offiziellen" Abschwören läßtsich anmerken, daß es für die PLO relativ e<strong>in</strong>fach ist, sich ganz allgeme<strong>in</strong>gegen "Terrorismus" zu kehren, da dies noch nichts über die möglicheBetrachtung e<strong>in</strong>zelner von anderen als "terroristisch" etikettiertten Aktionenals legitime Widerstandshandlungen aussagt. Aber auch die faktischeAbhängigkeit der PLO von e<strong>in</strong>er Reihe arabischer Staaten darf nichtvergessen werden; denkt man an die noch stark feudal gefärbten Strukturenetwa e<strong>in</strong>es Landes wie Saudi-Arabien, dann ist es nicht weiterverwunderlich, wenn von letzteren die "Propaganda der Tat" (Tromp)heftig abgelehnt wird, und zwar aus berechtigter Furcht vor e<strong>in</strong>em überspr<strong>in</strong>gendieses Funkens <strong>in</strong> das eigene Pulverfaß. Somit kann ich nurfeststellen, daß Tromp die <strong>in</strong>ternationalen polit-ökonomischen Verhältnisseals Generator dieses <strong>in</strong>ternationalen Klassenkrieges - wie kompliziertund wenig e<strong>in</strong>deutig die Beziehungen zwischen den verschiedenen"Parteien" <strong>in</strong> diesem Konflikt auch immer se<strong>in</strong> mögen - nur unzureichendberücksichtigt.E<strong>in</strong>e Verschiebung des völkerrechtlichen Interesses von "Staaten" zu"Nationen"(Völkern) als möglichen Parteien e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Konfliktshat,wie wir gesehen haben, für die antikolonialen Befreiungsbewegungenkaum zu e<strong>in</strong>em effektiven Schutz geführt. Die Glaubwürdigkeitdes humanitären Kriegsvölkerrechts wird von der Antwort auf die Frage354abhängen, ob die staatlichen Subjekte des Völkerrechts e<strong>in</strong>e weitergehendeVerschiebung h<strong>in</strong> zu "Klassen" rechtzeitig zulassen können. DieGeschichte des humanitären Völkerrechts stimmt <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht wenighoffnungsvoll.3.2.3. Der Kronzeuge MüllerAuch wenn die ersten Zeugenvernehmungen Gerhard Müllers im Juli1976 nicht zu den von der <strong>Verteidigung</strong> erhofften Resultaten geführthatten, so waren damals doch e<strong>in</strong>ige der von Angeklagten und Verteidigernvorgebrachten, von der Gegenseite jedoch immer abgestrittenenTatsachenbehauptungen bestätigt worden.Fest stand <strong>in</strong>zwischen, daß Müller nicht erst Ende März 1976 mitse<strong>in</strong>en belastenden Aussagen als "Kronzeuge" begonnen hatte, alsonicht erst nach Ablauf der Frist, <strong>in</strong>nerhalb der die BAW das gegen ihnergangene Strafurteil noch mit der Revision hätte anfechten können. Der<strong>Verteidigung</strong> standen zwar nur polizeiliche Vernehmungsprotokolle abEnde März 1976 zur Verfügung, nach eigenen Angaben aber hatteMüller schon seit Anfang 1975 <strong>in</strong> etwa 15 bis 25 Gesprächen mit demBKA "<strong>in</strong>formelle Angaben" gemach~5o. E<strong>in</strong>e überraschung stellte dieseInformation allerd<strong>in</strong>gs nicht dar, weil Müller <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en vielen Interviewsseit Anfang 1975 schon mitgeteilt hatte, daß er mit Polizei und Justizzusammenarbeitete. Im "Stern" vom 20.3.75 war von und über Müllerzu lesen: ",Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>', sagte er, ,ich sage auch vor Gericht nichts', danndenkt er nach, und ihm fälltwieder der Fe<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>, den er haßt, als habeder ihm alles e<strong>in</strong>gebrockt und se<strong>in</strong> Leben verpfuscht, er sagt: ,Baaderwürde ich schon belasten"'. Im Januar 1975 schrieb er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief,"daß me<strong>in</strong> Haß auf die RAFund bestimmte Leute sehr viel stärker ist,alsz. B. auf die Leute, die gegenwärtig für me<strong>in</strong>e Haftbed<strong>in</strong>gungen verantwortlichzeichnen ,,251.Dennoch suggeriert GBA Buback noch im Februar1976 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em "Spiegel"-Intervie~52, daß Müller bis zu diesemZeitpunkt noch ke<strong>in</strong>e Aussagen gemacht habe: "Müller geht es wohlauch darum, wieviel sich für die publizistische Verwertung se<strong>in</strong>er Aussagenherausschlagen läßt. Da kann die Justiz nicht mithalten".Müllers damalige Aussagen waren zum Teil <strong>in</strong> jenen Vernehmungsprotokollen(Akte 3 ARP 74/751) niedergelegt, die im Januar 1976 aufAnraten Bubacks vom Bundesjustizm<strong>in</strong>ister gemäß § 96 StPO zu Geheimdokumentenerklärt wurden. Auch das Hamburger Gericht, das dieStrafsache gegen Müller zu verhandeln hatte, durfte diese Protokollenicht e<strong>in</strong>sehen. Während der Zeugenvernehmung Müllers <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>hatte sich gezeigt, daß die Hamburger Richter dadurch zum<strong>in</strong>dest<strong>in</strong> Bezug auf Müllers persönliche Kontakte zu Hoff h<strong>in</strong>ters Licht geführtworden waren. Müller hatte diese Kontakte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em eigenen Strafverfahren,<strong>in</strong> den BKA-Verhören nach dem 31.3.76 und <strong>in</strong> den ersten355..


Vernehmungen <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> stets geleugnet. Es hatte sich aber umdurchaus <strong>in</strong>tensive Kontakte gehandelt (siehe 2.2.3.), und Müller hattee<strong>in</strong>en ihn "<strong>in</strong>formell" vernehmenden BKA-Beamten schon Anfang 1975davon <strong>in</strong>formiert. Merkwürdig ist, daß aus den Ende März 1976 beg<strong>in</strong>nendenVernehmungsprotokollen nicht hervorgeht, ob die vernehmendenBKA-Beamten Müller mit se<strong>in</strong>en früheren, völlig anders lautendenAussagen über se<strong>in</strong>e Kontakte mit Hoff konfrontiert hatten oder nichf53.Demnach hatte auch das BKA e<strong>in</strong> Interesse, diese Kontakte geheimzuhalten,woraus sich nur schlußfolgern läßt, daß es darüber e<strong>in</strong>e Absprachezwischen BKAund Müller gegeben haben muß. Zweifelloshätte dasStrafmaß gegen Müller höher ausfallen müssen, wenn bestimmte Tatbeständenicht geheim geblieben wären. Das Bemühen der <strong>Verteidigung</strong>um e<strong>in</strong>e Aufhebung der Geheimhaltung der Akte 3 ARP 74/75 I hattejedoch e<strong>in</strong>en anderen Grund: Müller war <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Strafverfahren vomschwerwiegendsten Punkt der Anklage, dem Mord an e<strong>in</strong>em Polizeibeamten,freigesprochen worden. Dieser Freispruch schien der <strong>Verteidigung</strong>äußerst dubios; sie vermutete, daß die Geheimakte 3 ARP 74/75 Ie<strong>in</strong> Mordgeständnis Müllersenthalte. Diese Vermutungen wurden durchdie Aussage der <strong>in</strong>haftierten Margrit Schiller, sie habe gesehen, daß undwie Müller den Polizisten erschoß, noch erhärtet. Die <strong>Verteidigung</strong> g<strong>in</strong>gdeshalb davon aus, daß GBA und BKA mit Müller (wahrsche<strong>in</strong>lich überse<strong>in</strong>en Rechtsanwalt) e<strong>in</strong>en Deal abgeschlossen hatten: Freispruch vonder Anklage auf Mord durch Geheimhaltung des Mordgeständnissesgegen e<strong>in</strong> Auftreten als Kronzeuge der BAWim <strong>Stammheim</strong>er Verfahren.Wie <strong>in</strong> Abschnitt 2.2.3. ausgeführt, hatte Müllerdie RAFals e<strong>in</strong>e strenghierarchisch strukturierte Organisation mit Baader an der Spitze undMe<strong>in</strong>hof, Raspe, Enssl<strong>in</strong> und Me<strong>in</strong>s als den übrigen Mitgliedern des"harten Kerns" geschildert. Gleichzeitig sei die RAF aber auch e<strong>in</strong>e"offene Gruppe" gewesen, <strong>in</strong> der jedes Mitgliedpr<strong>in</strong>zipiellalle Informationenüber Vorbereitung und Ausführung konkreter Aktionen bekommenkonnte. Diese Beschreibung der RAF-Organisation entsprach vollständigdem von der BAW gezeichneten Bild. E<strong>in</strong>e Bestätigung diesesBilds war notwendig, um die <strong>in</strong> der Anklage aufgestellte Rädelsführertheoriebeweisen zu können, damit die Angeklagten auch dann, wennsich ihre unmittelbare persönliche Beteiligung an den Bombenanschlägennicht vollständig nachweisen ließe, dennoch strafrechtlich als (Mit-)­Täter verurteilt werden konnten. Die von der BAWwährend der Beweisaufnahmee<strong>in</strong>gebrachten schriftlichen Beweismittel ließen e<strong>in</strong> derartigesKonzept mehr als deutlich erkennen. In Abschnitt 2.1.4. war schondarauf h<strong>in</strong>gewiesen worden, daß die Schilderung der Angeklagten überOrganisationsform und Struktur der RAFden von der BAWaufgestelltenBehauptungen völlig widersprachen. An den möglichen rechtlichenKonsequenzen, die aus ihrer eigenen Schilderung abgeleitet werden356konnten, waren die Angeklagten nicht weiter <strong>in</strong>teressiert; es g<strong>in</strong>g ihnenalle<strong>in</strong> darum, offenzulegen, daß und weshalb BKA, BAWund bürgerlicheMedien von der RAF das Bild e<strong>in</strong>er hierarchisch aufgebauten Organisation,die ihre Mitglieder und Sympathisanten manipuliert und unterDruck setzt, hatten konstruieren müssen.MüllersAussagen zu diesem Thema veranlaßten die <strong>Verteidigung</strong>, dieVernehmung von zwölf überwiegend zur RAF gehörenden Gefangenenals Zeugen zu beantragen.3.2.3.1 Gefangene aus der RAF als ZeugenDie erste Gefangene aus der RAF, die als Zeug<strong>in</strong> <strong>in</strong> Stamm heim gehörtwurde, war Brigitte Mohnhaupt. Sie saß wie die Angeklagten seit Juni1972 <strong>in</strong> Untersuchungshatt. Im1\ugust 1974 war sie vom LandgerichtBerl<strong>in</strong> wegen Vergehens gegen § 129 StGB (krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung) <strong>in</strong>Tate<strong>in</strong>heit mit illegalem Waffenbesitz und Urkundenfälschung zu e<strong>in</strong>erFreiheitsstrafe von viere<strong>in</strong>halb Jahren verurteilt worden. Am Tag ihrerZeugenaussage <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, am 22.7.76, konnte sie davon ausgehen,daß sie <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Jahres aus der Haft entlassen würde.Zu Beg<strong>in</strong>n ihrer Aussage erklärte sie, daß sie nur auf die Fragen derVertrauensanwälte antworten werde, da es "absurd" sei, auf Fragen derRichter oder der BAWe<strong>in</strong>zugehen: "Für das Verhältnis zwischen uns unddem Gericht, der Justiz, der Bundesanwaltschaft, ist der genaue BegriffKrieg; und der deutlichste Ausdruck davon ist, daß vier von uns tot s<strong>in</strong>d,als Gefangene ermordet worden s<strong>in</strong>d". Geme<strong>in</strong>t waren Kathar<strong>in</strong>a Hammerschmidt(29.6.75), Holger Me<strong>in</strong>s (9.11.74), Siegfried Hausner(4.5.75) und Ulrike Me<strong>in</strong>hof (9.5.76 - siehe 3.3.2.). Brigitte Mohnhauptfuhr fort:"warum überhaupt e<strong>in</strong>er von uns nach ulrikes tod hier noch herkommt, ist,weil wir es für notwendig halten, die tatsächliche struktur der gruppe transparentzu machen durch das, was wir hier sagen können, also wie sie real war undist.nicht dieses destillat der psychologischen kriegsführung, das müller <strong>in</strong> se<strong>in</strong>eraussage darstellt, das da behauptet wird - also ne faschistische struktur praktisch,ums mal auf den begriff zu br<strong>in</strong>gen. und daran wird natürlich auch dieseganze konstruktion zerbrechen, ulrike hätte überhaupt selbstmord begehenkönnen.es geht uns auf gar ke<strong>in</strong>en falldarum, zu beweisen, wie müller lügt oder daßer lügt. diese ebene: krim<strong>in</strong>alistik- um die gehts ganz sicher nicht. es geht unse<strong>in</strong>fach um den <strong>in</strong>halt, den <strong>in</strong>halt der politik darzustellen, den <strong>in</strong>halt derstruktur wie sie wirklichwar. das ist natürlich ziemlich schwierig hier, aber manmuß es versuchen, <strong>in</strong>dem mans e<strong>in</strong>fach beschreibt.das werd ich jetzt mal machen. ich willanfangen mit dem kern der aussagemüllers, worauf sie zielt; also se<strong>in</strong>e aussage <strong>in</strong> bezug auf die anschläge undse<strong>in</strong>e zuordnung - die zuordnung, die der staatsschutz für notwendig hält, um357'


überhaupt hier zu verurteilungen kommen zu können. dazu ist zu sagen, daßdie strategische konzeption, die die raf 72 entwickelt hat, sich gegen diemilitärische und politische us-präsenz <strong>in</strong> der bundesrepublik gerichtet hat, daßdie e<strong>in</strong>zelnen taktischen operativen schritte dazu der angriff auf das cia-headquarter<strong>in</strong> frankfurt, der angriff auf das headquarter der us-armee <strong>in</strong> heidelbergund die entführung der drei stadtkommandanten <strong>in</strong> berl<strong>in</strong> waren. daß dieseentscheidung, dieses konzept entwickelt worden ist im kollektiven diskussionsprozeßvon allen, die <strong>in</strong> der raf organisiert waren, das heißt, es gab darüberkonsens aller gruppen, aller e<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> den städten. und so e<strong>in</strong>klares bewußtse<strong>in</strong> von jedem, was das bedeutet, die funktion dieser angriffe.<strong>in</strong>sofern s<strong>in</strong>d wir alle für diese angriffe auf die militärische präsenz der usa <strong>in</strong>der bundesrepublik verantwortlich, das heißt, wir s<strong>in</strong>d alle verantwortlich fürdie anschläge, für die angriffe auf die headquarters.das sagt alles über die struktur schon aus. dar<strong>in</strong> wird unheimlich deutlich,was müller versucht: dieser quatsch, zu sagen, sechs leute hätten das überhauptgekonnt: alle anschläge machen, die gelaufen s<strong>in</strong>d - vollkommenabsurd. <strong>in</strong> dem zusammenhang der strategischen konzeption steht auch dasprojekt, die alliierten stadtkommandanten gefangenzunehmen und auszutauschen- die eskalation die das darstellt und die eskalation, die durch diereaktion <strong>in</strong> dem plan enthalten war; darüber willich allerd<strong>in</strong>gs hier nicht reden.darüber gibts hier auch nichts zu sagen.diese entscheidung, die konzeption dieser angriffe und unsere verantwortungdafür, erklärt sich aus nem wesentlichen bestandteil unserer eigenengeschichte: der politisierung durch die mobilisierung der studentenbewegungals opposition zum vietnamkrieg. daß da e<strong>in</strong>fach ne klare vermittlung war füruns, e<strong>in</strong> begriff von der notwendigkeit und von der begrenztheit der vietnammobilisierung,ihrer objektiven grenze: was sie erreichen konnte und was sienicht erreichen konnte, bevor sie zerschlagen und <strong>in</strong>tegriert wurde.man kann sagen: es ist diese erfahrung der notwendigkeit, bewaffnet zukämpfen, das heißt, das niveau zu erreichen, das der situation entspricht, <strong>in</strong> derwir hier <strong>in</strong> der bundesrepublik als e<strong>in</strong>er us-kolonie, e<strong>in</strong>em strategischen subzentrumdes us-imperialismus s<strong>in</strong>d - die situation, die die raf konstituiert hat;naja, die ganze argumentation, die hier schon <strong>in</strong> der erklärung entwickeltworden ist. ich glaub nicht, daß ich das nochmal wiederholen muß. mir gehtsjetzt darum, das aus der gruppe raus zu erklären"254.Bemerkenswert war, daß Mohnhaupt e<strong>in</strong>e offensichtlich 1972 ausgearbeitete,jedoch nicht realisierte RAF-Aktion preisgab: Die Entführungder drei alliierten Stadtkommandanten von Westberl<strong>in</strong> zur Befreiung vonGefangenen, "die damals schon verhaftet waren und gegen die damalsschon Isolation und physische Folter e<strong>in</strong>gesetzt worden ist". Vorher hattenur Müllerdiesen Plan <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit dem "Stem" kurz erwähnt.In Müllers Vernehmungsprotokollen fand sich darüber ke<strong>in</strong> Wort; Mohnhauptwar der Auffassung, dies sei damit zu erklären, daß e<strong>in</strong>e öffentlicheThematisierung des Plans der von den Behörden verfolgten Absichtentgegengestanden hätte, die 1972 von der RAF betriebene Politik ausder öffentlichen Diskussion herauszuhalten. Mohnhaupt sagte weiter, dieRAF habe dieser "schwierigen" Aktion e<strong>in</strong>en großen Stellenwert beige-358messen. Die Aktion habe kurz vor ihrer Ausführung gestanden, alsBaader, Me<strong>in</strong>s, Raspe und wenig später Enssl<strong>in</strong> festgenommen wurden.Mohnhaupt:"aber wichtig ist: das war die sache, mit der wir beschäftigt waren, an der wirdran waren - besonders andreas und gudrun. der staatsschutz läßt müllerdeswegen gerade darüber nicht mehr sprechen, damit er behaupten kann,andreas und gudrun wären an den angriffen auf die polizeipräsidien beteiligtgewesen.das ist dreck, quatsch. es entspricht e<strong>in</strong>fach nicht den tatsachen. andreasund gudrun waren zu der zeit mit mir <strong>in</strong> berl<strong>in</strong>, und wir haben die sache dortorganisiert"255.Müller habe schlichtweg gelogen, als er aussagte, Baader und Enssl<strong>in</strong>seien an dem Bombenanschlag auf das Landeskrim<strong>in</strong>alamt <strong>in</strong> Münchenam 12.5.72 beteiligt gewesen. Auch Me<strong>in</strong>s habe nicht daran teilgenommen.Mohnhaupt beschrieb dann die Struktur der RAF von 1971/72:"die raf war damals so organisiert: es gab acht gruppen <strong>in</strong> sechs städten.davon zwei starke gruppen <strong>in</strong> zwei städten. e<strong>in</strong>e gruppe war <strong>in</strong> münchen. diegruppen, die e<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>heiten, waren <strong>in</strong> das logistiksystem <strong>in</strong>tegriert. es gabnen diskussionszusammenhang zwischen den e<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>heiten, aber siewaren autonom <strong>in</strong> ihrer entscheidung über die operative durchführung.das genaue ziel, planung, checken, zeitpunkt war den e<strong>in</strong>zelnen gruppenüberlassen - kann auch gar nicht anders se<strong>in</strong>. und es war natürlich so, daß wirvon diesen angriffen vorher konkret nichts gewußt haben - das heißt, auchwenn wir es gewußt hätten, hätten wir es nicht verh<strong>in</strong>dert, weil - naja, es iste<strong>in</strong>fach nicht sache, was zu verh<strong>in</strong>dern, was ne gruppe sich vorgenommen hat.nur - wir hätten es auch gar nicht verh<strong>in</strong>dern können. weder zeitlich nochtechnisch, das war nicht möglich unter den bed<strong>in</strong>gungen. es war klar, der s<strong>in</strong>nder anschläge war: ne antwort darauf, daß die fighter auf der straße erschossenworden s<strong>in</strong>d. also petra und tommy. es hätte also auch niemals unsere absichtse<strong>in</strong> können, das zu verh<strong>in</strong>dern"256.Ähnlich äußerte Mohnhaupt sich zum Anschlag auf das Spr<strong>in</strong>gerhochhaus<strong>in</strong> Hamburg am 19.5.72, der, Müller zufolge, Me<strong>in</strong>hofs Idee gewesenwar und an dem sie sich auch beteiligt habe. Mohnhaupt g<strong>in</strong>g auchauf Müllers Behauptung e<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>hof habe e<strong>in</strong>e eigene Stadtguerilla­Organisation geplant gehabt, weil sie mit der "Baader-Enssl<strong>in</strong>-L<strong>in</strong>ie"nicht e<strong>in</strong>verstanden gewesen sei:"tatsache war, daß wir, als die aktion <strong>in</strong> hamburg durchgeführt wurde - unddas ist hier <strong>in</strong> diesem prozeß auch schon erklärt worden - davon nichts wußtenaufgrund der ganzen struktur: es war e<strong>in</strong>e autonome entscheidung und neautonom durchgeführte aktion der hamburger gruppen.nach der aktion gab es starke kritik <strong>in</strong> den anderen gruppen. ulrike istdaraufh<strong>in</strong> nach hamburg gefahren, um dort genau rauszuf<strong>in</strong>den, regelrecht zuermitteln, wie das möglich war, weil die raf grundsätzlich nie aktionen mit derimplikation konzipiert hat, daß dabei zivilistengetroffen werden könnten. daswar e<strong>in</strong> wesentlicher grundsatz <strong>in</strong> allen diskussionen, und die kritik an dergruppe <strong>in</strong> hamburg war, daß sie die aktion durchgeführt hat, ohne sich darüber359


klar zu se<strong>in</strong>, ohne <strong>in</strong> ihre konzeption mit e<strong>in</strong>zubeziehen, daß spr<strong>in</strong>ger natürlichnicht räumen lassen wird. also genau darauf nicht gefaßt war. zu diesem zweckist ulrike damals nach hamburg gefahren, um das zu klären, herauszuf<strong>in</strong>den.und nach ihren feststellungen hat sie dann die erklärung zu dem anschlagformuliert, <strong>in</strong> der das auch auftaucht - der ganze ablauf, warnung, spr<strong>in</strong>gerräumt nicht usw. das heißt also, was müller behauptet - naja, was man schonweiß, zu welchem zweck; und bei ulrike jetzt, daß er behauptet, sie hätteüberhaupt die absicht gehabt, haben können, aktionen zu machen gegen dieanderen - also völlig irre - das entspricht genau der l<strong>in</strong>ie, die jetzt propagandistischdurchgezogen wird: spannungen etc. diese ganze fiktion, die den mordan ulrike legitimieren soll. die behauptung, es hätte spannungen gegeben, diee<strong>in</strong>e geschichte haben, die zurückreicht - was müller hier br<strong>in</strong>gt - die zurückreichtbis hamburg, bis <strong>in</strong> die struktur der gruppe 71-72, das ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>ganzes gebäude, das hier aufgebaut wird zu dem e<strong>in</strong>zigen zweck, den mord zulegitimieren... "257.Auf entsprechende Fragen der <strong>Verteidigung</strong> g<strong>in</strong>g Mohnhaupt dannnoch e<strong>in</strong>mal ausführlich auf die Organisationsform der RAF e<strong>in</strong>:"wenn e<strong>in</strong>er nen führungsanspruch gehabt hätte, dann hätte er sich nurlächerlich gemacht. also e<strong>in</strong> anspruch, zu führen, das ist e<strong>in</strong>fach nur lächerlich.die sache ist, wie sie war und wie wir das begriffen haben: daß führung nefunktion se<strong>in</strong> kann und <strong>in</strong> bestimmten situationen auch sicher notwendig se<strong>in</strong>kann, z.b. <strong>in</strong> aktionen. so haben wir das bestimmt, und natürlich hat andreasdie funktion von führung. e<strong>in</strong>fach, weil er nen unheimlich genauen begriffvonsituationen entwickeln kann und aus diesem begriff, aus der analyse vonsituationen ne taktik konzipieren kann, e<strong>in</strong>en bestimmten ablauf und so l<strong>in</strong>ienfestlegen kann, also die taktische l<strong>in</strong>ie und die strategie. aber das ist e<strong>in</strong>fach nesache, die niemals im alle<strong>in</strong>gang oder im e<strong>in</strong>samen ent schluß von e<strong>in</strong>emstattf<strong>in</strong>det, sondern so ne konzeption, wenn sie e<strong>in</strong>er entwirft, ist natürlich derdiskussion von allen unterworfen, denn alle s<strong>in</strong>d an der praxis ja konkretbeteiligt, also auch an der l<strong>in</strong>ie. sie müssen die l<strong>in</strong>ie diskutieren, sie müssen siebegreifen, sie müssen sie weiterentwickeln, jeder muß sie bestimmen können<strong>in</strong> jeder situation. denn <strong>in</strong> bestimmten situationen biste eben alle<strong>in</strong>e, und wenndu es da nicht begriffen hast - naja, dann läuft nix mehr. was andreas gemachthat, ist im diskussionsprozeß von allen festgelegt, genau bestimmt und weitergemachtworden. und <strong>in</strong> dem moment, wo es festgelegt war als l<strong>in</strong>ie, <strong>in</strong> demmoment war er natürlich dieser l<strong>in</strong>ie genauso unterworfen bzw. an sie gebunden- aber nicht als zwang, sondern e<strong>in</strong>fach aus dem begriff, daß es notwendigist, daß es richtig ist, daß es die richtige perspektive ist, ne richtige taktik - wiejeder andere auch. da ist es dann auch völlig aufgehoben gewesen. das heißt,führung hat immer ne bestimmte funktion, und die ist natürlich für die, die siebenutzen, wie für die, an denen sie hängenbleibt, nur erträglich, wenn sie ke<strong>in</strong>eherrschaft ist, wenn sie völlig bestimmt ist über das, was alle wollen. sowieso istdas pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> der organisation freiwilligkeit,das heißt, daß jeder das eben auchkönnen muß und können will. wir haben das kaderl<strong>in</strong>ie genannt: daß jederdah<strong>in</strong> kommen muß, ob er nun lange <strong>in</strong> der raf war oder nicht so lange, egal,also, daß jeder genau dah<strong>in</strong> kommen muß, sowas selber zu können. das heißtnicht dieser schwachs<strong>in</strong>n, den müller behauptet hier mit offener gruppe - alsopraktisch, daß alle an allen arbeitsprozessen beteiligt s<strong>in</strong>d. das gibts nicht, aber360es gehört zur konstruktion se<strong>in</strong>er aussage, weils bedeuten würde, daß jederalles weiß und konkret eben, daß müller alles weiß, aber müller weiß wenig.müller war ke<strong>in</strong> kader. das ist e<strong>in</strong>fach nur se<strong>in</strong>e behauptung <strong>in</strong> dem bestimmtenzweck, den der staatschutz damit verfolgt"258Zu Müllers Aussage, Baader habe "absolute Befehlsgewalt" über dieRAF gehabt, erklärte Mohnhaupt, daß aus re<strong>in</strong> funktionalen Erwägungenheraus nur während e<strong>in</strong>er vorher kollektiv bestimmten Aktion Befehleerteilt wurden, "und Befehl ist dann eigentlich nur noch Koord<strong>in</strong>ation".Baader als "Befehlshaber der RAF" sei nichts als e<strong>in</strong> von denStaatsschutzbehörden erfundenes und von MüllerwillfährigreproduziertesMärchen. Ansonsten, so Mohnhaupt, sei die politische Struktur derRAF offen, kollektivistisch gewesen, d.h. zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Gruppenhabe es völlig offene Diskussionen über Strategie und Taktik, überTheorie, Praxis, Ausgangspunkt und Ziele der RAFals Stadtguerillaorganisationgegeben."Und aus dieser Diskussion kann ja überhaupt dann erst die konkrete L<strong>in</strong>ie<strong>in</strong> Bezug auf Aktionen - d.h. wie diese L<strong>in</strong>ie dann <strong>in</strong> der Praxis realisiert wird,operativ, militärisch- entwickelt werden. Und daran, an den konkreten Operationen,wie die organisiert werden, s<strong>in</strong>d natürlich die beteiligt, die das machenund sonst ke<strong>in</strong>er"259.Gerade weil es sich bei der RAF um e<strong>in</strong>e militärische Organisationhandele, könne von e<strong>in</strong>er "offenen Gruppe" im S<strong>in</strong>n der BehauptungMüllers nicht die Rede se<strong>in</strong>. Jeder wußte von den Aktionen nur das, waser für die Erfüllung se<strong>in</strong>er eigenen Aufgabe im Rahmen e<strong>in</strong>er konkretenAktion unbed<strong>in</strong>gt wissen mußte, "weil man natürlich damit rechnenmuß, wenn man gefangengenommen wird, daß es Verräter geben kann,daß sie erpreßt werden, gefoltert werden(. .. ) Sonst wärs e<strong>in</strong> HaufenIdioten" ..Auch MüllersAussagen über das Infosystem als Diszipl<strong>in</strong>ierungs<strong>in</strong>strumentwies Mohnhaupt als völlig falsch zurück:"das <strong>in</strong>fo war weder beim hungerstreik noch sonst irgendwann e<strong>in</strong> diszipl<strong>in</strong>ierungsmittel-von wem auch, von wem denn, von jedem, oder was? das <strong>in</strong>fowar ke<strong>in</strong>e peitsche, mit der die leute e<strong>in</strong>getrieben worden s<strong>in</strong>d. sondern newaffe für jeden von uns, die er brauchte. das heißt: als mittel zur kommunikationwar es waffe, obwohl es e<strong>in</strong>fach papier war. vielleicht ist es lächerlich, zusagen: waffe. aber genau so ist die situation der gefangenen. daß sie wirklichke<strong>in</strong>e andere möglichkeit haben <strong>in</strong> der isolation.und konkret im hungerstreik ist natürlich ke<strong>in</strong> druck ausgeübt worden. derhungerstreik ist das praktische beispiel dafür, daß überhaupt ke<strong>in</strong> druck ausgeübtwerden kann. weil sonst aktionen unmöglich werden. der hungerstreik istsehr lange diskutiert worden von uns, ob wir ihn überhaupt machen, und wiedie bed<strong>in</strong>gungen aussehen von der gruppe, das heißt von jedem e<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong>der gruppe. und da die bundesanwaltschaft diese ganzen sachen beschlagnahmthat, weiß sie das natürlich auch. deswegen s<strong>in</strong>d ihre ganzen behauptungensowieso natürlich nur mittel zur diffamierung, aber egal auch, jedenfalls derhungerstreik war das produkt, das ergebnis der diskussion. und <strong>in</strong> der diskus-361


sion hat sich jeder klar gemacht: kann ich den hungerstreik machen, willichden hungerstreik machen, weil für uns klar war, was das heißt: das wirklichdiesituation se<strong>in</strong> kann, wo du stirbst. das heißt daß das ne bed<strong>in</strong>gung ist wie esimmer ne bed<strong>in</strong>gung von kämpfen ist: daß man stirbt, daß man erschossenwird. daß das im knast nicht anders ist, ist ne erfahrung von uns. jedenfalls wardas die entscheidung von jedem e<strong>in</strong>zelnen, und nur so konnte es laufen. daskann man im <strong>in</strong>fo grade feststellen, daß jeder geschrieben hat, ob er ihnmachen willund warum, ob er me<strong>in</strong>t, daß er ihn machen kann, ob er es richtigf<strong>in</strong>det natürlich, die taktik usw. überhaupt hungerstreik, ob das e<strong>in</strong> mittel se<strong>in</strong>kann, ne waffe se<strong>in</strong> kann von gefangenen. wir s<strong>in</strong>d dah<strong>in</strong> gekommen, daß ese<strong>in</strong>e ist, e<strong>in</strong>fach von uns, weil wir ke<strong>in</strong>e andere haben. und zum durststreik, woes noch kürzer läuft, da istes ja ganz klar- z.b. die erklärung von ulrike <strong>in</strong> berl<strong>in</strong>,daß wir <strong>in</strong> den durststreik gehen werden, wenn andreas das wasser nochmalentzogen wird wie <strong>in</strong> schwalmstadt, das heißt, er damit natürlich stirbt, sofort.das waren alles entscheidungen, die kollektiv gelaufen s<strong>in</strong>d. das ist auch sehre<strong>in</strong>fach. man könnte es auch beweisen. aber das ist sicher nicht das, was wirwollen: krim<strong>in</strong>alistische beweisführung gegen die fälschungen und lügen derstaatsschutzpresse. daran, das wir ihn machen konnten, zeigt sich, daß esstimmt. und die, die zusammengebrochen s<strong>in</strong>d unter der bed<strong>in</strong>gung deshungerstreiks, also unter der totalen konfrontation, die s<strong>in</strong>d natürlich auch dasbeispiel dafür, daß da wirklich ke<strong>in</strong> zwang ist. sie haben aufgehört, und ihrverständnis davon war, daß sie die ganze politik, also die form der konfrontation,die diese politik - guerilla - notwendig be<strong>in</strong>haltet, ohne die sie gar nichtdenkbar ist- so s<strong>in</strong>d die bed<strong>in</strong>gungen - daß sie diese konfrontation nicht mehrwollen, um jeden preis leben wollen - und sei es nur noch vegetieren wie e<strong>in</strong>tier, wie ne pflanze <strong>in</strong> der isolation"260.Ich habe Mohnhaupts Aussagen so ausführlich wiedergegeben, weilsie repräsentativ s<strong>in</strong>d für die anderen vor Gericht als Zeugen gehörtenGefangenen Helmut Pohl, Margrit Schiller, Ronald August<strong>in</strong>, AliJansen,Ilse Stachowiak, Christa Eckes (alle RAF), Ralf Re<strong>in</strong>ders und Rolf Pohle(2. Juni). Das im März 1972 verhaftete und Anfang 1976 aus der Haftentlassene RAF-Mitglied Carmen Roll wurde Anfang September 1976auf Antrag der <strong>Verteidigung</strong> vom westdeutschen Konsul <strong>in</strong> Mailandverhört. Sie arbeitete <strong>in</strong> Italien als Krankenschwester. Ihre Aussage 261entsprach im wesentlichen den anderen Aussagen. Ebenso wie die anderenZeugen betonte auch Roll,daß das Infosystem nicht Diszipl<strong>in</strong>ierungsmittel,sondern "überlebensmittel" gewesen sei: "Zum Beispiel wäre ichheute selbst nicht <strong>in</strong> der Lage, diese Aussage zu formulieren, als Ausdrucke<strong>in</strong>es Restes von politischer Identität, wenn es das Info nichtgegeben hätte".Weildie Aussagen dieser Zeugen <strong>in</strong>haltlich weitgehend übere<strong>in</strong>stimmten,ließ die BAWalsbald die Vermutung laut werden, die Zeugen hättenihre Aussagen aufe<strong>in</strong>ander abgestimmt (selbstverständlich mit HilfeihrerAnwälte), um die Angeklagten zu entlasten. Die <strong>Verteidigung</strong> reagierteempört auf diesen neuen Angriff: es sei doch wohl naheliegender, dieUrsache für die festgestellte große übere<strong>in</strong>stimmung im Wahrheitsgehalt362zu suchen. Margrit Schiller, von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß sieüber das Info dasselbe berichte wie zuvor Helmut Pohl, antwortete:"Wenn dieselbe Erfahrung da ist, dann kommt man natürlich auf dasselbeErgebnis"262. Daß die BAW nicht ohne weiteres von ihrem Standpunktzurückweichen wollte, war verständlich; schließlich hätte sie sonstanerkennen müssen, daß der Kronzeuge Müller <strong>in</strong> allen wesentlichenPunkten die Unwahrheit gesagt hatte. Dazu kam noch, daß Ralf Re<strong>in</strong>ders263undRolf Pohle264 ausgesagt hatten, Müller selbst habe ihnenerzählt, daß er im Oktober 1971 den Harn burger Polizeibeamten NorbertSchmidt erschossen habe. Auch MargritSchiller hatte vor Gericht alsAugenzeug<strong>in</strong> detailliert geschildert, wie Müller den Beamten erschoß265.Sollte das Gericht den Zeugenaussagen der 14 zum Teil ehemaligenGefangenen aus der RAF und der Bewegung 2. Juni Glauben schenken,dann schien e<strong>in</strong>e Verurteilung der Angeklagten als unmittelbar Verantwortlichefür die Bombenanschläge im Mai 1972 unmöglich zu se<strong>in</strong>.Ende November 1976 war aber schon klar, daß es den Aussagen"ke<strong>in</strong>erlei Beweiswert" zuerkennen würde. Die <strong>Verteidigung</strong> hatte beantragt,zwei schon e<strong>in</strong>mal als Zeugen gehörte Gefangene erneut überbestimmte Tatbestände zu vernehmen. Die Anträge wurden abgelehn~66.Das Gericht me<strong>in</strong>te <strong>in</strong> der Begründung der Ablehnung, dieZeugen würden sich selbst als Mitgliederder RAF betrachten, e<strong>in</strong>ige vonihnen hätten als Zeugen erklärt: "Das Verhältnis zu diesem Gericht istKrieg", und im allgeme<strong>in</strong>en seien auch nur Fragen der Vertrauensanwältebeantwortet worden; e<strong>in</strong>e solche Haltung impliziere, daß die Zeugensich nicht verpflichtet fühlten, die Wahrheit zu sagen, sie vielmehr nurdarauf aus seien, für die RAF günstige Erklärungen abzugeben. SolcherleiAussagen könnten jedoch nicht als Beiträge zur Wahrheitsf<strong>in</strong>dungangesehen werden.3.2.3.2 Ehemalige Rechtsanwälte Müllers als ZeugenDie <strong>Verteidigung</strong> ließ e<strong>in</strong>ige von Müllers früheren Rechtsanwälten alsZeugen aufrufen, um sie zu den Aussagen Müllers über ihr Auftreten alsVerteidiger <strong>in</strong>haftierter RAF-Mitgliederund über die Funktion des Infosystemszu hören. Sie hatten alle Gerhard Müller über e<strong>in</strong>en längerenZeitraum betreut und standen nun vor e<strong>in</strong>em fast unlösbaren Dilemma.Mit se<strong>in</strong>en Aussagen hatte Müller zehn namentlich genannte Rechtsanwälteerheblich belastet, gleichzeitigaber ausdrücklich betont, daß er sienicht von ihrer Schweigepflicht entb<strong>in</strong>de. Nach westdeutschem Strafrechtist das unbefugte Brechen der anwaltlichen Schweigepflicht strafbar(§ 203 Abs. 1 Satz 3 StGB); damit liefen die Anwälte, sollten sie alsZeugen zu den von Müller angeschnittenen Punkten aussagen, Gefahr,strafrechtlich verfolgt zu werden. Selbstverständlich stand ihnen frei, sichals Zeugen auf das ihnen zustehende Aussageverweigerungsrecht ge-363


mäß § 53 StPO zu berufen, nur würden dann die von Müller öffentlichgeäußerten und von den Medien ausführlich wiedergegebenen Anschuldigungengegen sie unwidersprochen bleiben. Rechtsanwalt Ströbeletam 27.7.76 als Zeuge aufgerufen, schilderte diese Problematik:"Ich hatte zweie<strong>in</strong>halb Jahre das Mandat als Verteidiger von Gerhard Müller.Ich war jahrelang Verteidiger der hier angeklagten Gefangenen aus der RAF.Ich war fünf Jahre und mehr Verteidiger von anderen Gefangenen aus derRAF und b<strong>in</strong> es zum Teil heute noch.Alles, was ich im Rahmen dieser Mandatsverhältnisse erfahren habe, fälltunter die anwaltliche Schweigepflicht. Nach § 203 StGB setze ich mich derStrafverfolgung aus, wenn ich unbefugt davon aussage. Nach § 53 StPO stehtmir e<strong>in</strong> umfassendes Aussageverweigerungsrecht zu.Ich b<strong>in</strong> von ke<strong>in</strong>em Mandanten von der Schweigepflicht entbunden.Auch e<strong>in</strong>e Entb<strong>in</strong>dung von der Schweigepflicht durch e<strong>in</strong>zelne Mandantenermöglicht mir kaum, etwas zu sagen, denn die Komplexe der e<strong>in</strong>zelnenMandatsverhältnisse s<strong>in</strong>d nicht zu trennen.Aber durch die Aussagen des Gerhard Müller b<strong>in</strong> ich selbst <strong>in</strong> diesemVerfahren aufs Schwerste belastet worden.Die Presse hat darüber e<strong>in</strong>e Woche lang umfassend berichtet. In Rundfunkund Fernsehen war täglich von diesen Beschuldigungen zu hören und zusehen.Da die Behauptungen des Kronzeugen Müller unwidersprochen und unwiderlegtblieben, wurden sie von Tag zu Tag mehr als bewiesene Tatsachenöffentlich dargestellt. E<strong>in</strong>ige Kommentatoren g<strong>in</strong>gen dazu über, beim Gebrauchdes Wortes Kronzeuge Müllerständig das Adjektiv ,glaubwürdig' beizufügen.E<strong>in</strong>ige Publikationsorgane forderten, nun müßten die Rechtsanwälteals Zeugen <strong>in</strong> dem <strong>Stammheim</strong>er Prozeß Stellung nehmen, audiatur et alterapars.Die Bild-Zeitung und die Berl<strong>in</strong>er BZ riefen nach dem Staatsanwalt: ,HerrStaatsanwalt, greifen Sie e<strong>in</strong>!' (15. Juli).Und der Staatsanwalt hat e<strong>in</strong>gegriffen. Der ebenfalls von Müller belasteteKollege Dr. Croissant ist aufgrund dieser Aussage verhaftet worden (siehe4.2.1. - BS). Mir droht dasselbe. Damit wird <strong>in</strong> diesem Verfahren praktischauch über die Beschuldigungen gegen die Rechtsanwälte, also auch über dieBeschuldigungen gegen mich entschieden. Deshalb habe ich mich nach e<strong>in</strong>gehenderPrüfung der Rechtslage, nach Rücksprache mit me<strong>in</strong>en Verteidigern,nach Konsultation des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Berl<strong>in</strong> entschlossen,unter Bruch des Anwaltsgeheimnisses hier <strong>in</strong> diesem Verfahren auszusagen;allerd<strong>in</strong>gs nur <strong>in</strong>soweit, als dies zu Widerlegungen von strafrechtlichrelevanten Beschuldigungen gegen mich selbst unbed<strong>in</strong>gt geboten ist.Zur Aussage <strong>in</strong>soweit sehe ich mich befugt an, weil dies zur Wahrung me<strong>in</strong>ereigenen Interessen unerläßlich ist. Fragen zu anderen Komplexen kann ichnicht beantworten.Ich b<strong>in</strong> mir bewußt, daß me<strong>in</strong>e Aussage e<strong>in</strong>e Gratwanderung wird zwischender Strafandrohung des § 203 StGB e<strong>in</strong>erseits und dem Rufmord durch denZeugen Müller und die danach drohende Verhaftung andererseits"267.Danach sagte Ströbele, der Vorstand der Berl<strong>in</strong>er Rechtsanwaltskammerhabe ihm geraten, das Gericht "um e<strong>in</strong>e klarstellende Me<strong>in</strong>ungsäu-364ßerung dazu im Rahmen se<strong>in</strong>er Fürsorgepflicht gegenüber Zeugen" zubitten. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g me<strong>in</strong>te, das Gericht sehe sich dazu nicht <strong>in</strong> der Lage, weiles "nach allgeme<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>e persönliche Entscheidung des nichtentpflichteten Geheimnisträgers ist, ob er aussagen will,ob die überwiegendenInteressen, die er sieht und nur er sehen kann, ihn dazu veranlassen,die Schweigepflicht h<strong>in</strong>tanzustellen"268.Anhand der von der <strong>Verteidigung</strong> angegebenen Beweisthemen schilderteStröbele nun ausführlich se<strong>in</strong>e mit Müller gemachten Erfahrungen269.DieAnhörung Ströbeles dauerte e<strong>in</strong>en ganzen Verhandlungstag.Müller habe ihm seit se<strong>in</strong>em ersten Besuch Mitte 1972 unmittelbar nachder Festnahme immer wieder erzählt und geschrieben, daß und wie vorallem BKA-Beamte versuchten, ihn unter Druck zu setzen. Ströbele:"Sie haben auf der e<strong>in</strong>en Seite ihm immer wieder, es war eigentlich derWortlaut immer wieder derselbe, 50 Prozent Straferlaß, Geld, was bei ihm e<strong>in</strong>eganz erhebliche Rolle spielte - Geld - versprochen, und die Vermittlung an diePresse, an e<strong>in</strong> großes Presseorgan. Im Gespräch waren der ,Spiegel' und der,Stern'. E<strong>in</strong>e Geschichte sollte durch das Bundeskrim<strong>in</strong>alamt diesen Herrenvermittelt werden, mit dem Ziel,ihm weiter Geld zukommen zu lassen und mitdem Ziel,ihn berühmt zu machen. Das war für ihn e<strong>in</strong> ganz wesentlicher Punkt.Und diese Versuche s<strong>in</strong>d gleich zu Beg<strong>in</strong>n nach se<strong>in</strong>er Inhaftierung, nach derBekundung von Müller, mit ihm unternommen worden, mehrfach"270.Diese Aussage untermauerte Ströbele mit Zitaten aus Briefen Müllers.Die "Aussageerpressung" (Müller) lief darauf h<strong>in</strong>aus, daß man Müllermehrmals habe wissen lassen, "entweder du arbeitest mit uns zusammen,oder du hast mit e<strong>in</strong>er langjährigen, wenn nicht gar lebenslangenFreiheitsstrafe zu rechnen ,,271.An sich war diese Geschichte über Müller und das BKA nicht neu.Schon im Dezember 1972 (!) hatte Müller als Zeuge <strong>in</strong> der Strafsachegegen Mahler <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> entsprechende Äußerungen getan272.Dreie<strong>in</strong>halbJahre danach, als Zeuge <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, stritt er jedoch hartnäckigab, vom BKA jemals unter Druck gesetzt worden zu se<strong>in</strong>273.Folglichmußte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der beiden Verfahren die Unwahrheit gesagt haben.Auch aufgrund der Aussage Ströbeles und der vielen Briefe Müllers ausden Jahren 1972 bis 1974274istanzunehmen, daß Müller<strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>gelogen hatte.Zu Müllers Kontakten mit der Presse sagte Ströbele, daß e<strong>in</strong> Journalistnamens Franz Ruch bereits kurz nach Müllers Verhaftung Mitte 1972e<strong>in</strong>e Besuchserlaubnis erhalten habe. Da dies noch bei ke<strong>in</strong>em anderenGefangenen aus der RAF vorgekommen war, hatten Müller und dieGefangenen damals vermutet, es handele sich um e<strong>in</strong>en Versuch desBKA (damals noch "Sicherungsgruppe Bonn "), ihn mit Hilfe Ruchs zumReden zu br<strong>in</strong>gen. Ruchs Besuch war Müller auch vom BKA angekündigtworden. In ausführlichen Briefen an Ströbele hatte Müller damalsmitgeteilt, er habe von se<strong>in</strong>en Eltern gehört, daß Ruch ihnen gut 10.000365


Mark versprochen habe, wenn sie ihren Sohn dazu bewegen würden,ihm e<strong>in</strong> Interview zu geben. Ströbele zufolge stellte sich später heraus,daß Ruch tatsächlich Mitarbeiter des Staatsschutzes war. Das könnteauch erklären, wie es möglich war, daß Ruch <strong>in</strong> "Bild am Sonntag" vom4.5.75 schreiben konnte:"Ei; Mitgliedder Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande willauspacken, wenn er als Kronzeugeanerkannt wird. Der Terrorist Gerhard Müller, ehemaliger Geliebter derUlrike Me<strong>in</strong>hof, hat der Bundesanwaltschaft <strong>in</strong> Karlsruhe e<strong>in</strong> glattes Geschäftvorgeschlagen: Freies Geleit, e<strong>in</strong>en neuen Namen mit dazu passenden Personalpapieren,genug Geld, um im Ausland e<strong>in</strong> zweites Leben aufbauen zukönnen, Straffreiheit oder zum<strong>in</strong>dest nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Strafe für sich,m5.Als dieser Artikel erschien, war Müller, wie später bekannt wurde, geradedamit beschäftigt, dem BKA unter strengster Geheimhaltung "<strong>in</strong>formelle Angaben"zu machen; die Geheimakte 3 ARP 74/751, <strong>in</strong> der all diese Aussagengesammelt s<strong>in</strong>d, legte die BAWjedoch erst am 8.6.75 an. Demzufolge mußteRuch tatsächlich sehr enge Kontakte zum BKA haben. Vor Gericht als Zeugegehört, weigerte Ruch sich jedoch, se<strong>in</strong>en damaligen Informanten zu nennen;er berief sich auf se<strong>in</strong> Aussageverweigerungsrecht als Journalist gemäß § 53Nr. 5 StPO. Gleichzeitig äußerte er jedoch Zweifel an der Vertrauenswürdigkeitse<strong>in</strong>es Informanten276.Im ersten Jahr nach der Inhaftierung besuchte Ströbele se<strong>in</strong>en MandantenMüller häufig und unterhielt e<strong>in</strong>e umfangreiche Korrespondenzmit ihm, hauptsächlich über die Haftbed<strong>in</strong>gungen und die dagegenmöglich ersche<strong>in</strong>enden Maßnahmen. Ganz allmählich sei Müller dann,so Ströbele, immer aggressiver geworden, und zwar sowohl ihm selbstals auch dem Anstaltspersonal und anderen gegenüber. Er, Ströbele,habe dies damals mit dem vergeblichen Kampf gegen die Isolationshafterklärt. Von Anfang 1974 an habe sich Müllers aggressives Verhaltendann noch e<strong>in</strong>mal gesteigert. Ströbele las zur Veranschaulichung e<strong>in</strong>igeZitate aus Müllers Briefen vor. Müller bezeichnete ihn dar<strong>in</strong> unter anderemals "e<strong>in</strong> ganz übles bourgeoises Schwe<strong>in</strong>"z77. Müller warf ihm vorallem vor, nicht radikal genug gegen die Haftbed<strong>in</strong>gungen zu kämpfen.So schrieb er im März 1974: "Was du bist, wissen wir doch. Du w<strong>in</strong>destdich, taktierst, kreist um den Punkt, um nur das zu bleiben, was du bist,Advokat, Juso, Bourgeois, Marzipan <strong>in</strong> den toten Trakt und e<strong>in</strong> Klumpatschvon unpolitischer, dreckiger, verkümmerter, verwaschener, sozialerSensibilität"Z78.Daraufh<strong>in</strong> habe er mit Müller e<strong>in</strong>e heftige Ause<strong>in</strong>andersetzung gehabtund ihn nicht mehr besucht. Erst im November 1974, nachdem Müllerse<strong>in</strong>en Hungerstreik abgebrochen und gleichzeitigder RAF abgeschworenhatte, habe Müller ihn wieder um e<strong>in</strong>en Besuch gebeten. Er habeMüller damals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em, so Ströbele, "ganz desolaten, total verwirrtenZustand"z79 angetroffen. Auch im Dezember 1974 und Januar 1975habe er Müller besucht; er sei der e<strong>in</strong>zige Anwalt gewesen, dem Müllernoch (besser: wieder) vertraute, allen anderen hatte er das Mandat366entzogen. In den Gesprächen und im Schriftverkehr mit Müllersei auffälliggewesen, "daß er überhaupt nur noch e<strong>in</strong>es im Kopf hatte, denunversöhnlichen, unerbittlichen Kampf gegen Andreas Baader. Undzwar mit allen Mitteln; ununterbrochen kreisten se<strong>in</strong>e Gedanken nurnoch da drum und alles, was er dazu gesagt hat"Z8o.Vor dieser Zeit seiihm, Ströbele, nie etwas von diesem "grenzenlosen Haß auf AndreasBaader" aufgefallen, ihm sei dies neu und unverständlich gewesen: "ImNovember '74 muß irgendwas mit ihm psychisch, <strong>in</strong>nerlich vorgefallense<strong>in</strong>... "Z81.Woraufh<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>wand - offensichtlich <strong>in</strong> Anlehnungan Müllers Behauptung, Baader habe die Hungerstreiks mehr oderweniger organisiert - ob Müllers Haß auf Baader nicht vielleichtmit demvon ihm verspürten Druck Baaders, den Hungerstreik fortzusetzen, zusammenhängenkönne. E<strong>in</strong>e Vermutung, die von Ströbele unmißverständlichzurückgewiesen wurde. Wiederum an Hand von Zitaten ausBriefen Müllers legte er dar, daß es gerade Müller gewesen sei, der beimvorletzten Hungerstreik nicht aufhören wollte und danach von allenGefangenen am stärksten darauf gedrungen habe, e<strong>in</strong>en erneuten Hungerstreikzu beg<strong>in</strong>nenz8z.Der Haß auf Baader sei sogar so weit gegangen, daß Müller ihm,Ströbele, sowohl mündlich als auch schriftlich mitgeteilt habe, er werdealle Anwälte, die weiterh<strong>in</strong> für Baader aufträten, "fertig machen"z83. Essei Müller merkwürdigerweise nicht um ihn, Ströbele, sondern vor allemum Croissant, Groenewold und Marie Luise Becker gegangen. Dieshätte Müller die drei auch wissen lassen; Müller habe noch h<strong>in</strong>zugefügt,er besitze noch belastendes Schriftmaterial. Als Ströbele ihn danachfragte, habe Müller geantwortet, daß dies nicht stimme. Das sei aberauch nicht notwendig, denn "ich kann über die erzählen, was ich will,man wird mir das alles glauben, weil man auf so e<strong>in</strong>en Zeugen jasicherlich gewartet hat".Die Aussagen Ströbeles waren vor allem deswegen <strong>in</strong>teressant, weilMüller als Zeuge <strong>in</strong> Stamm heim Ströbele als den Anwalt bezeichnethatte, der "die RAF-L<strong>in</strong>ie" am stärksten vertreten habe und damit ­entsprechend der von Müller beschriebenen Organisationsstruktur derRAF - sich auch am deutlichsten an Baader orientiert habe. Müllerserneuertes Vertrauen zu Ströbele, der auch nach Müllers Bruch mit derRAF weiter Baader vertrat, stand dazu jedoch <strong>in</strong> krassem Widerspruch.Außerdem konnte StröbelesAussagen entnommen werden, daß zum<strong>in</strong>destan der Glaubwürdigkeit von Müllers Aussagen über die Rolle derAnwälte, vor allem Croissants, Groenewolds und Beckers, erheblicheZweifel angebracht waren.Nicht zu Unrecht fragte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, wie es denn zu erklären sei, daßMüller Ende 1974, nach se<strong>in</strong>em Bruch mit der RAF und angesichts derfrüheren fe<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>stellung, Ströbele wieder Vertrauen geschenkthabe. Ströbele: "Weil er wußte, daß ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Haltung zu den367


•Gefangenen, zu Mandanten überhaupt, auch zu politischen Gefangenen,e<strong>in</strong> sehr juristisch verstandenes Mandatsverhältnis hatte"284.Ströbele erhielt Anfang März 1975 den letzten Briefvon Müller.Müllerteilte ihm mit, daß er von der ihn f<strong>in</strong>anziellunterstützenden Gefangenenhilfsorganisationkünftig ke<strong>in</strong> Geld mehr brauche, da er seit Mai 1975über e<strong>in</strong>e neue Geldquelle verfüge; diese "Quelle" war nicht näherbezeichne~85. In allen E<strong>in</strong>zelheiten erläuterte Ströbele dann die Entstehungsgeschichteund Aufgabe des sogenannten Infosystems. Es sei <strong>in</strong>erster L<strong>in</strong>ie als "Oberlebensprogramm" im Kampf gegen die Haftbed<strong>in</strong>gungengedacht gewesen286. Müllers Behauptung, das Info habe vorallem dazu gedient, Baader e<strong>in</strong>e Kontrolle der anderen Gefangenen zuermöglichen, bezeichnete Ströbele als "absoluten Uns<strong>in</strong>n,,287.Er schilderteausführlich die Ohnmacht der Anwälte bei ihren Versuchen, e<strong>in</strong>eVerbesserung der zerstörenden Haftbed<strong>in</strong>gungen mit rechtlichen Mittelnoder - wie während der verschiedenen Hungerstreiks - mit Interventionenzu erreichen. Resultat dieser vielen erfolglosen Bemühungen seischließlich das Info gewesen.Die Vernehmung Ströbeles verlief nicht ohne Störungen. Wiederholtreklamierte die BAW die Benutzung des Begriffs "Isolationshaft"; eshandele sich ausschließlich um "Polemik und Agitation,,288.Das Gerichtreagierte schließlich mit e<strong>in</strong>em Beschluß, der es den Verteidigern untersagte,Fragen zu stellen, <strong>in</strong> denen der Begriff "Isolationshaft" vorkam:"Trotz wiederholter Belehrung verwendet Rechtsanwalt Dr. Temm<strong>in</strong>g beider Befragung des Zeugen den Begriffder ,Isolationshaft', der zum Schlagworte<strong>in</strong>er seit langem gegen die Justiz geführten Kampagne geworden und dadurchso vorgeprägt ist, daß er zur Bee<strong>in</strong>flussung e<strong>in</strong>es Zeugen geeignetersche<strong>in</strong>t und damit die Wahrheitsf<strong>in</strong>dung bee<strong>in</strong>trächtigt"z89.Dieser Beschluß war Anlaß für den 51. Ablehnungsantrag der <strong>Verteidigung</strong>.Wie alle früheren wurde auch dieser Antrag als "offensichtlichnur der Prozeßverschleppung (dienend)" zurückgewiesen290.Auch die Rechtsanwälte Golzem, Laubscher und von Plottnitz erschie~enspäter im Zeugenstand. Ebenso wie Ströbele gaben sie vorGericht ihre Sichtweise der verschiedenen Geschehnisse und Tatbeständewieder, zu denen MüllerAussagen gemacht und wobei er die genanntenAnwälte mehr oder weniger persönlich angegriffen hatte291.MüllersAussagen wurden von ihnen <strong>in</strong> allen Punkten widerlegt.3.2.3.3 Die Geheimakte 3 ARP 74/75 IWährend des Strafverfahrens gegen Gerhard Müller vor dem HamburgerSchwurgericht (Az. [97] 7/75) wurde bekannt, daß von MüllersVernehmung im Ermittlungsverfahren Protokolle existieren mußten, dienicht <strong>in</strong> der Strafakte enthalten waren. Der Vorsitzende des Schwurgerichtsbat deshalb Anfang November 1975 und nochmals Mitte Dezem-368ber 1975 GBA Buback um Zusendung der fehlenden Protokolle. Aus derAntwort g<strong>in</strong>g hervor, daß die BAW den Bundesjustizm<strong>in</strong>ister gebetenhatte, die diese Protokolle enthaltende Akte 3 ARP 74/75 I gemäß § 96StPO für geheim zu erklären.Diesem § 96 StPO zufolge dürfen Dokumente und Akten nicht freigegebenwerden, wenn die "oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerdendes Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl desBundes oder e<strong>in</strong>es deutschen Landes Nachteile bereiten würde". Am23.1. 76 gab Bundesjustizm<strong>in</strong>ister Dr. Jochen Vogel (SPD) die gewünschte"Sperrerklärung" ab.Wie <strong>in</strong> den Abschnitten 2.2.3 und 3.2.3 erwähnt, hatte die BAWdieüberraschende Ankündigung des Auftritts Müllers als Zeuge <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>am 9.6.76 mit der kurz zuvor abgeschlossenen ZeugenvernehmungMüllers begründet. Mit diesen Vernehmungen hatte man offiziellam 31.3.76 begonnen, also wenige Tage nach Ablauf jener Frist, bis zuder die BAWnoch Revision gegen das Urteil e<strong>in</strong>legen konnte, durch dasMüller vom Schwurgericht Hamburg zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteiltworden war. Für die gerichtliche Vernehmung des Zeugen Müller<strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> legte die BAWe<strong>in</strong> gut 150 Seiten starkes Vernehmungsprotokollvor, das wiederum Bestandteil e<strong>in</strong>er Ermittlungsakte (1 BJs 7/76) "gegen Unbekannt" war. Aus der fortlaufenden Numerierung dieserAkte g<strong>in</strong>g hervor, daß die BAWgroße Teile dieser Akte zurückgehaltenhatte.Noch vor Beg<strong>in</strong>n der gerichtlichen Vernehmung des Zeugen Müllerbeantragte die <strong>Verteidigung</strong> die Aushändigung der Akte 3 ARP 74/75 I,der fehlenden Seiten der Akte 1 BJs 7/76 sowie aller weiteren Müllerbetreffenden Schriftstücke, die noch im Besitz der BAW, des BKA und!oder anderer (Geheimdienst-)Behörden seien. Die ZeugenvernehmungMüllers sei solange zu verschieben. Der Antrag wurde abgelehnt; dieAkte 3 ARP 74/75 I unterliege weiter der Sperrerklärung, die vorgelegteAkte 1 BJs 7/76 enthalte nach Angabe der BAW alle für den Prozeß"relevanten " Teile, die übrigen Schriftstücke seien im Antrag zu ungenaubezeichne~92.Von nun an bis etwa Anfang 1977 stellte die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong>tensiveNachforschungen über Inhalt und Zustandekommen der beiden Aktenan. Sie vermutete, daß die Geheimakte e<strong>in</strong> Geständnis Müllers über dieErschießung des Polizeibeamten Schmidt und daß die neuere Akteentscheidende Falschaussagen zu se<strong>in</strong>em Vorteil und zum Nachteil derAngeklagten enthielten. Sollten sich diese Vermutungen als richtigerweisen,so stünde fest, daß selbst höchste politische Stellen und Justizorganean e<strong>in</strong>er ungesetzlichen Manipulierung Müllerszum Kronzeugen beteiligtwaren und bewußt unwahre Aussagen gebilligt,wenn nicht sogar selbstFormulierungshilfe geleistet hatten. Die Gründe für die Geheimhaltungwären damit auch ausgesprochen e<strong>in</strong>leuchtend: das Bekanntwerden369


solcher Manipulationen würde dem "Wohl des Bundes" zweifellos abträglichse<strong>in</strong>.Der erste Versuch der <strong>Verteidigung</strong>, die Geheimhaltung der Akte 3ARP 74/75 I zu durchbrechen, konkretisierte sich <strong>in</strong> mehreren Anträgenauf Anhörung von GBA Buback als Zeugen. Unmittelbar nach derAnkündigung der BAW, Müller <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> als Zeugen aussagen zulassen, teilte Schily mit, die <strong>Verteidigung</strong> beabsichtige, Buback aufgrundvon § 220 StPO als "präsenten Zeugen" vorzuladen. Im Juni 1976sandte Schily an Bundesjustizm<strong>in</strong>ister Vogel e<strong>in</strong> Gesuch um Erteilunge<strong>in</strong>er Aussagegenehmigung für Buback.§ 54 StPO regelt über die "besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften",ob und wie Richter, Beamte und "andere Personen des öffentlichen Dienstes"sich als Zeugen zu Vorgängen äußern können, die unter ihre (amtliche)Schweigepflicht fallen. Nach diesen Vorschriften ist <strong>in</strong> allen Fällen e<strong>in</strong>e "Aussagegenehmigung"beim jeweiligen Dienstherren des zu hörenden Zeugen zubeantragen293. In e<strong>in</strong>em solchen Antrag muß genau aufgeführt werden, zuwelchen Beweisthemen der Zeuge gehört werden soll.Zustimmung kann dannverweigert oder nur teilweise erteilt werden, "wenn die Aussage dem Wohl desBundes oder e<strong>in</strong>es deutschen landes Nachteile bereiten oder die Erfüllungöffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde"294.Gegen die gänzliche oder teilweise Verweigerung der Zustimmungkönnen die Antragsteller (Polizei,Staatsanwaltschaft, Richter oder Angeklagte)wiederum bei dem nächst höheren Dienstherren, fallsvorhanden, Beschwerdee<strong>in</strong>legen. Darüber h<strong>in</strong>aus steht es Angeklagten grundsätzlich frei, gegene<strong>in</strong>e Verweigerung auf verwaltungsrechtlichem Weg vorzugehen295.Als Beweisthema hatte Schily angegeben: 1. Umfang und Inhalt dergesamten Ermittlungsakten aus dem sogenannten Baader-Me<strong>in</strong>hof­Komplex, <strong>in</strong>sbesondere der Spurenakten; 2. Inhalt der zwischen Bundesregierungund GBA über das Strafverfahren geführten Gesprächeoder e<strong>in</strong>es entsprechenden Briefwechsels; 3. Inhalt der Verhandlungenund Gespräche, die von Ermittlungsbeamten oder Angehörigen andererBehörden mit den Zeugen Karlhe<strong>in</strong>z Ruhland, Dierk Hoff und GerhardMüller geführt wurden, <strong>in</strong>sbesondere Form und Inhalt von Versprechungen,Zusagen und anderen E<strong>in</strong>flußnahmen auf die genannten Zeugen296.Ende Juli 1976 wurde bekannt, daß Vogel die Aussagegenehmigungfür Buback generell verweigerte, weil Aussagen über die angegebenenThemen "die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden (würden)"297.Noch vor E<strong>in</strong>gang des ablehnenden Bescheids hatte die <strong>Verteidigung</strong>bei Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g zusätzlich e<strong>in</strong>en Antrag auf Anhörung von GBA Buback alsZeugen e<strong>in</strong>gereicht. Sie wollte zweigleisig fahren: Sollte der Bundesjustizm<strong>in</strong>isterke<strong>in</strong>e Aussage für Buback genehmigen und Bubacks Vorladungdamit s<strong>in</strong>nlos werden, so würde das Gericht - vorausgesetzt, eshabe Schilys Antrag stattgegeben - von Amts wegen verpflichtet se<strong>in</strong>,370sich selbst beim M<strong>in</strong>ister um e<strong>in</strong>e Aussagegenehmigung zu bemühen. ImAntrag der <strong>Verteidigung</strong> wurden fünf Beweisthemen genann098: Bubackkönne bestätigen, 1. daß zwischen den <strong>in</strong> den Akten 3 ARP 74/75 I und 1BJs 7/76 festgehaltenen Aussagen Müllers vor allem über die Bombenanschlägeerhebliche Unterschiede bestünden; 2. daß Müller vor dem31.3.76 den Ermittlungsbeamten mitgeteilt habe, er kenne Hoff undhabe ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Werkstatt besucht, daß man aber nach dem 31.3.76ganz bewußt die völlig anders lautende Aussage Müllers <strong>in</strong> das vorliegendeVernehmungsprotokoll aufgenommen habe, um die Widersprüchezwischen den Aussagen Hoffs und Müllers zu verschleiern; 3. daß Müllerbei se<strong>in</strong>er ersten "<strong>in</strong>formellen" Vernehmung ausgesagt habe, Baaderhabe die aus der RAF ausgetretene Ingeborg Barz erschossen, daß diedaraufh<strong>in</strong> angestellten Ermittlungen jedoch ergebnislos geblieben seien;4. daß die Ermittlungsbehörden Müller als Gegenleistung für entsprechendeAussagen 50 Prozent Strafnachlaß, bezahlte Kontakte mit derPresse angeboten und mit e<strong>in</strong>er lebenslangen Freiheitsstrafe gedrohthätten, falls er auf dieses Angebot nicht e<strong>in</strong>gehe; 5. -daß Müller <strong>in</strong>Absprache mit den Ermittlungsbehörden das Urteil se<strong>in</strong>er eigenen Strafsache,<strong>in</strong> dem er vom Mord an dem Polizeibeamten Schmidt freigesprochenworden war und den Verzicht der BAW auf e<strong>in</strong>e Revision abgewartethatte, ehe er begann, Aussagen zu machen.Das Gericht nahm auf diesen Beweisantrag h<strong>in</strong> selbst Kontakt mit demBundesjustizm<strong>in</strong>ister auf. Am 26.8.76 gab das Gericht die Antwort desM<strong>in</strong>isters bekann099: GBA Buback könne zu den angeführten Beweisthemenke<strong>in</strong>e auf eigener Wahrnehmung beruhenden Zeugenaussagenmachen, allerhöchstens könne er als oberster Leiter der BAWaussagen.Der fe<strong>in</strong>e Unterschied besteht dar<strong>in</strong>, daß Buback im ersten Fall persönlichals Zeuge hätte ersche<strong>in</strong>en müssen, im zweiten Fall jedoch gemäߧ256 StPO nur e<strong>in</strong>e schriftliche Erklärung des GBA als "öffentlicherBehörde" genügen würde. Der M<strong>in</strong>ister genehmigte e<strong>in</strong>e schriftlicheErklärung aber auch nur für die beiden letzten Beweisthemen, da die dreiersten <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der für geheim erklärten Akte stünden.Selbstverständlich wollte die <strong>Verteidigung</strong> den GBA persönlich alsZeugen befragen, ihn direkt mit Widersprüchen konfrontieren können;e<strong>in</strong>e nicht weiter zu diskutierende schriftliche Aussage würde es Bubackaber relativ leicht machen, sich h<strong>in</strong>ter allgeme<strong>in</strong>en Formulierungen zuverstecken. Entgegen den ausdrücklichen und ausführlich begründetenProtesten der <strong>Verteidigung</strong> entschied das Gericht jedoch, den vom Bundesjustizm<strong>in</strong>istervorgezeigten Weg zu gehen30o. In e<strong>in</strong>em kurzen Schreibenbestritt Buback, daß die BAW Müller e<strong>in</strong>es der <strong>in</strong> den Beweisthemen4 und 5 genannten Angebote gemacht oder ihm gedroht oder Absprachenmit ihm getroffen habe30l. Die <strong>Verteidigung</strong> betrachtete diesesSchreiben nur als Bestätigung für die Unzulänglichkeit des vom Gerichtbeschrittenen Verfahrensweges, denn die gesetzeswidrigen Handlungen371


auchten nicht unbed<strong>in</strong>gt Beamte der BAWbegangen haben, sie konntengenau so gut von den Beamten des BKA, dem amtlichen "Hilfsorgan"der BAW, ausgeführt worden se<strong>in</strong>.Auf diese Zweifel der <strong>Verteidigung</strong> h<strong>in</strong> bat das Gericht Buback umAufklärung <strong>in</strong> diesem Punkt. Buback wiederum antwortete, daß er dafür"ke<strong>in</strong>e Anhaltspunkte" habe302. Unter anderem aufgrund dieser schriftlichenErklärungen wies das Gericht den Antrag, Buback als Zeugen zuladen, am 8.9.76 ab303.Inzwischen hatte die <strong>Verteidigung</strong> beim Verwaltungsgericht Köln Klagegegen die vom Bundesjustizm<strong>in</strong>ister Ende Juli 1976 ausgesprocheneAblehnung des von Schily e<strong>in</strong>gereichten Antrags auf Erteilung e<strong>in</strong>erAussagegenehmigung für GBA Buback erhoben304. Gleichzeitig wurdebeim Verwaltungsgericht beantragt, die für die Akte 3 ARP 74/75 Igeltende Sperrerklärung aufzuheben. Ende September 1976 konnte die<strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>en Teilerfolgverbuchen. Der Antrag auf Aufhebung derSperrerklärung wurde zwar abgelehnt, andererseits war das Verwaltungsgerichtjedoch der Me<strong>in</strong>ung, daß die vollständige Verweigerunge<strong>in</strong>er Aussagegenehmigung für BGA Buback als unzulässig zu betrachtenwar305.Der vom Verwaltungsgericht Köln zurechtgewiesene Bundesjustizm<strong>in</strong>isterhatte, wie schon erwähnt, als Grund für se<strong>in</strong>en ablehnendenBescheid die "ernstliche Gefährdung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben"(§ 62 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz/BBG) angegeben. Dazu me<strong>in</strong>tedas Verwaltungsgericht (VG), bei den im Gesetz angeführten Verweigerungsgründenhandele es sich "nach der <strong>in</strong> Literatur und Rechtsprechungherrschenden Me<strong>in</strong>ung um unbestimmte Rechtsbegriffe, derenAnwendung durch die Verwaltungsbehörden der gerichtlichen Kontrolleunterliegt".Das VG fährt dann mit folgender pr<strong>in</strong>zipiellen überlegung fort:"Daß Gefährdung LS.v. § 62 Abs. 1 BBG nicht bei jeglicher Aussage zu denvon der Kläger<strong>in</strong> genannten Beweisthemen auftreten können, erhellt bereitsaus dem Umstand, daß offenbar ke<strong>in</strong>e Bedenken bestanden haben, dienstlicheÄußerungen der Bundesanwaltschaft <strong>in</strong> dem Stuttgarter Strafverfahren zue<strong>in</strong>zelnen dieser Fragen vorzulegen. Auch im übrigen ist nicht ersichtlich, daßalle von der beantragten Aussagegenehmigung umfaßten Themenbereichegern. § 62 Abs. 1 BBG geheimhaltungsbedürftig s<strong>in</strong>d. Es muß vielmehrgrundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Klärung von Zweifeln überForm, Inhalt und Umfang von Ermittlungstätigkeiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anhängigenStrafverfahren bzw. über E<strong>in</strong>flußnahmen auf den Ablauf dieses Verfahrensnicht die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gefährdet, sondern im öffentlichenInteresse liegt"306.Diese grundsätzliche Stellungnahme für die Erteilung der Aussagegenehmigungwird vom VG <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en weiteren Ausführungen jedoch wiederabgeschwächt:372"Allerd<strong>in</strong>gs ist es entgegen der Ansicht der Kläger<strong>in</strong> auch nicht ausgeschlos-sen, daß Teilbereiche oder E<strong>in</strong>zelfragen aus den von der beantragten Aussagegenehmigungumfaßten Komplexen der Geheimhaltung bedürfen. Dies gilt<strong>in</strong>sbesondere im H<strong>in</strong>blick auf die Interessen polizeilicher Gefahrenabwehr.Ebenso ist es denkbar, daß Identität oder Aufenthaltsort von Informantenunbekannt bleiben müssen. Mith<strong>in</strong> kann das Gericht die von der Kläger<strong>in</strong>beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung e<strong>in</strong>er unbeschränktenAussagegenehmigung nicht aussprechen, denn die Sache ist <strong>in</strong>soweit nochnicht spruchreif. Das Gericht sieht auch ke<strong>in</strong>e Veranlassung, die Sache <strong>in</strong>diesem Verfahren spruchreif zu machen. Zwar ist es gern. § 86 Abs. 1 VwGOAufgabe des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. DieseAufklärungspflicht f<strong>in</strong>det ihre Grenze jedoch dort, wo das Gericht bei derErforschung des Sachverhalts unangemessen die Aufgaben der Verwaltungsbehördenwahrnehmen würde. Dies wäre hier der Fall"307Das VG beendete se<strong>in</strong>e Ausführungen mit der Schlußfolgerung, derBundesjustizm<strong>in</strong>ister müsse die Sache erneut entscheiden; "im E<strong>in</strong>zelnen(wird er) prüfen müssen, wo im konkreten Fall die Grenzen derGeheimhaltungsbedürftigkeit bei den von der Kläger<strong>in</strong> genannten Themenkreisenliegen".tAusgestattet mit diesem Beschluß des VG, beantragte die <strong>Verteidigung</strong>am 28. 9.76 erneut, GBA Buback als Zeugen zu laden, hauptsächlichzur Klärung der Frage, ob der Zeuge Müller auf irgende<strong>in</strong>e unrechtmäßigeWeise dazu gebracht worden war, bestimmte Aussagen zu machen308.Wie immer, wenn es um Müllers Aussagen g<strong>in</strong>g, verfolgte die<strong>Verteidigung</strong> zweiZiele: Sollte diese Frage mit Ja beantwortet werden, sowäre nachgewiesen, daß unrechtmäßige Vernehmungsmethoden benutztworden waren (womit MüllersAussagen vor Gericht gemäß § 136aStPO als Beweismittel nicht verwertbar wären), und gleichzeitigwäre derBeweis für die Unglaubwürdigkeit des Zeugen Müller geführt.Der Antrag wurde noch am selben Tag vom Gericht abgelehnt; derBeschluß des VG habe die strafprozeßrechtliche Situation seit der Ablehnungdes vorhergehenden Beweisantrags nicht veränderf°9.Zwei Wochen später folgte der Bundesjustizm<strong>in</strong>ister der rechtlichenBeurteilung des VG und erteilte Buback doch noch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschränkteAussagegenehmigung. Buback durfte u. a. nach eventuell vorhandenenWidersprüchen zwischen den <strong>in</strong> der Geheimakte 3 ARP 74/75 Ienthaltenenund den nach dem 31.3.76 angefertigten Vernehmungsprotokollenbefragt werden. Anläßlich dieser Zustimmung reichte die <strong>Verteidigung</strong>beim Gericht e<strong>in</strong>en erneuten Antrag auf Beiziehung der Geheimakte zuden Prozeßakten e<strong>in</strong>31O• Das Gericht vertagte se<strong>in</strong>e Entscheidung überdiesen Antrag auf die Zeit nach der gerichtlichen Vernehmung desZeugen Buback, die für den folgenden Tag, den 14.10.76, angesetztworden war. Buback gab sich während der Vernehmung durch Heldmannund Schily als Vertreter "der schweigsamsten Behörde der Welt"zu erkennen, wie am nächsten Tag die "Frankfurter Rundschau" kommentierte:"Nur zu gern schien sich Buback auf die Aussagebeschrän-373


kung zu berufen ... " Wenige Tage danach stand im "Spiegel", die Befragungdes Zeugen Buback sei nur als "Elfmeterschießen auf e<strong>in</strong> Nadelöhr"zu bezeichnen311. Auf die meisten Fragen der Verteidiger bliebBuback die Antwort schuldig: Entweder wußte er von nichts oder hattees vergessen oder er berief sich auf se<strong>in</strong>e beschränkte Aussagegenehmigung,was ihm das Gericht auch <strong>in</strong> allen Fällen erlaubte312.Bubacks großes Schweigen war für die <strong>Verteidigung</strong> aber nicht überraschend.Im Verwaltungsgerichtsverfahren waren die Verteidiger aufe<strong>in</strong>e Notiz des Bundesjustizm<strong>in</strong>isteriums über e<strong>in</strong> am 2.7.76 geführtesTelefongespräch gestoßen, <strong>in</strong> dem Buback ganz offensichtlich daraufgedrungen hatte, ihm die von Schily beantragte Aussagegenehmigungzu verweigern, da es sich bei Schilys Gesuch "um e<strong>in</strong>en Propagandaantraghandele, der <strong>in</strong>sbesondere dazu dienen soll, die <strong>in</strong> der nächstenWoche anstehende Vernehmung des Zeugen Müller zu torpedieren"313.Ansonsten war diese Notiz nicht weiter ausgearbeitet worden, so daßunklar blieb, warum Buback befürchtete, daß se<strong>in</strong>e Befragung vor Gerichtdie Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller gefährde. Während se<strong>in</strong>erZeugenvernehrnung auf diese Notiz angesprochen, berief Buback sich,wie üblich, auf se<strong>in</strong>e Aussagebeschränkung314.Dennoch tat Buback vor Gericht e<strong>in</strong>ige Äußerungen, die für die<strong>Verteidigung</strong> wichtig waren. Zu Beg<strong>in</strong>n der Vernehmung hatte Bubackse<strong>in</strong>e schon Ende 1974 von den Medien zitierte Behauptung315 wiederholt,daß die Prozeßakten "alle Unterlagen" enthielten, "die für diesesVerfahren auch nur im Entferntesten von Bedeutung se<strong>in</strong> können"316.Konfrontiert mit der Tatsache, daß e<strong>in</strong> BKA-Beamter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderenZusammenhang e<strong>in</strong>mal geäußert hatte,·die ErmittIungsunteriagen überden "Baader-Me<strong>in</strong>hof-Komplex" würden rund 1.800 Aktenordner umfassen,während im aktuellen Prozeß nur 200 Ordner vorlägen, korrigierteBuback diese Aussage und sprach nunmehr von "allen relevantenUnterlagen" - relevant natürlich aus der Sicht der BAWund des BKA;undeutlich blieb, wie weit das BKA bereits e<strong>in</strong>e Vorauswahl getroffenhatte317.Weiter wurde zum erstenmal offiziellbestätigt, daß die Geheimakte3 ARP 74/75 I "relevante" ErmittIungsunteriagen enthielt 318.Obgleichihm diese Akte nicht "bis zum letzten Detail" er<strong>in</strong>nerlich sei, me<strong>in</strong>teBuback, aussagen zu können, daß zwischen den <strong>in</strong> dieser Akte festgehaltenenund den nach dem 31.3.76 abgegebenen Aussagen Müllers ke<strong>in</strong>eWidersprüche von Bedeutung bestünden319. Die Unrichtigkeit dieserAussage wurde offenkundig, nachdem die für die Akte 3 ARP 74/75 Igeltende Sperrerklärung doch noch teilweise aufgehoben worden war.Das galt auch für Bubacks Behauptung, es sei ausgeschlossen, daßErmittIungsbeamte protokollarisch festgehalten hätten, Müller kenneHoff nicht, falls ihnen das Gegenteil bekannt gewesen se<strong>in</strong> sollte320Gefragt, warum er viele Fragen, die unter se<strong>in</strong>e Aussagegenehmigungfielen, nicht beantworten könne oder wolle, sagte Buback, er habe sich374nicht immer auch persönlich mit dieser Sache beschäftigt. Auf die weitereFrage, wer das denn wohl getan habe, nannte er zögernd die Namen derBundesanwälte Krüger und Kaul sowie e<strong>in</strong>iger "Sachbearbeiter" derAkte 1 BJs 7/76. Allen Beteiligten war unmittelbar klar, daß die <strong>Verteidigung</strong>auch diese beiden Bundesanwälte im Zeugenstand sehen wollte.Die nur mit Mühen zustandegekommene und noch mühsamer verlaufeneVernehmung des Zeugen Buback sollte sich als Schlüssel für dasSchloß zur Geheirnakte 3 ARP 74/75 I erweisen. Das VG Köln hatteschon <strong>in</strong>direkt zu erkennen gegeben, daß nicht e<strong>in</strong>sichtig sei, warum diegesamte Akte für geheim erklärt worden war, und auch Buback hatte,wenn auch äußerst vorsichtig, vor Gericht mehrmals auf den Inhaltdieser Akte verwiesen. Zurückkommend auf den Antrag der <strong>Verteidigung</strong>,die Geheimakte zur Verfahrensakte zu nehmen, wandte sich dasGericht an den Bundesjustizm<strong>in</strong>ister mit der Frage, ob die "Sperrerklärung"auch weiterh<strong>in</strong> für die gesamte Akte gelte; das Gericht vermerktejedoch ausdrücklich321,es sei selbst nicht weiter an der Akte <strong>in</strong>teressiert.Etwa vier Wochen nach der Vernehmung Bubacks gab Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g - mitten<strong>in</strong> der Befragung des <strong>in</strong>zwischen als Zeugen aufgerufenen BAWKrüger - Ie<strong>in</strong> Fernschreiben des Bundesjustizm<strong>in</strong>isters bekannt, wonach die Sperrerklärungnur noch für zwölf der mehr als 200 Seiten der Akte 3 ARP 74/75 I gelte322.Die zur E<strong>in</strong>sichtnahme freigegebenen Teileder Akte bestätigten e<strong>in</strong>igeVermutungen der <strong>Verteidigung</strong> und waren deshalb Grund für weitereBeweisanträge. E<strong>in</strong>er der Anträge betraf die Anhörung der Krim<strong>in</strong>albeamten,die Müller von März 1975 an vernommen hatten. Dem <strong>in</strong> dieAkte 3 ARP 74/75 I aufgenommenen Vernehmungsprotokoll von vierErrnittIungsbeamten, davon zwei aus dem BKA323,war zu entnehmen,daß Müller sehr wohl Hoff und se<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> persönlich gekannt undHoff auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Werkstatt besucht hatte324. Weiter hatte Müllererzählt, daß er <strong>in</strong>nerhalb der Gruppe auch "Harry" genannt wordenwa~25. Dem BKA und damit auch der BAWmußte auf jeden Fall schondamals bekannt gewesen se<strong>in</strong>, daß Müller selbst kurz vor dem erstenBombenanschlag am 11.5.72 <strong>in</strong> Frankfurt die letzten Bombenteile beiHoff abgeholt hatte.Wie schon erwähnt, hatten die Vernehmungsbeamten seit Ende März1976 Müllers Aussagen, weder Hoff noch e<strong>in</strong>en gewissen "Harry" gekanntzu haben, ohne Vorhaltungen oder Kommentar zu Protokollgenommen, obwohl fast immer Beamte an diesen Vernehmungen teilnahmen,die Müller auch früher schon vernommen hatten.In den späteren Vernehmungen sagte Müller auch, Hoff habe überden wirklichen Verwendungszweck der von ihm angefertigten Bombennichts gewußt; zuvor hatte Müller - den nun freigegebenen Protokollenzufolge - jedoch erklärt, "Pfirsich" (Hoffs Deckname) habe gewußt,wozu sie benutzt werden sollten326.375


Aber nicht nur über Hoff und "Harry" ergaben Müllers verschiedeneAussagen "eklatante Widersprüche", wie schließlich sogar Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>räumenmußte327. In den späteren Aussagen Müllers zur Täterschaft beiverschiedenen Straftaten wurden von ihm "plötzlich andere Personenbenannt und belastet als vorher", wie die "Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung"am 27. 11. 76 richtigfeststellt328.Müllerwußte manchmal nicht nurandere Täternamen, sondern auch mehr angebliche Täter als vorher. Soerzählte er der freigegebenen Akte zufolge, der Bombenanschlag <strong>in</strong>Frankfurt seivon Enssl<strong>in</strong>und zweianderen ihm bekannten MitgliedernderRAF, deren Namen er im Augenblick nicht nennen könne, ausgeführtworden. Als Zeuge <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> hatte er aber außer Enssl<strong>in</strong> noch dreiandere RAF-Mitglieder, Baader, Raspe und Me<strong>in</strong>s, genannt329. In denVernehmungsprotokollen der Geheimakte hatte Müller übrigens beise<strong>in</strong>en ausführlichen Beschreibungen von Banküberfällen und Bombenanschlägenregelmäßig e<strong>in</strong>en oder mehrere Mittäternicht nennen wollen.Die Beschreibungen waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen so detailliert, daß sich, wieder ,,spiegel" formulierte, "der Rückschluß aufdrängt, der Erzähler müssemitvon der Partie gewesen se<strong>in</strong>", und die Nichtnennungvon Namen seivielleicht nur Selbstschutz gewesen330.E<strong>in</strong>e solche Erklärung lag sicherlichfür den Frankfurter Anschlag mehr als nahe, wenn man an HoffsAussagen über "Harry" denkt; das aber würde bedeuten, daß Müllerzum<strong>in</strong>destzwei der Angeklagten vor Gericht zu Unrecht beschuldigt hatte.Die Befragung von Bundesanwalt Krüger brachte die <strong>Verteidigung</strong>nicht viel weiter, obwohl Krüger vor Gericht angab, sowohl SachbearbeiterderAkte 3ARP 74/75 Ialsauch der Akte 1 BJs 7/76gewesenzuse<strong>in</strong>331.Er selbst habe am 9.6.75 angeordnet, die Akte 3 ARP 74/75 I alsSammelakte aller Aussagen Müllers anzulegen332.Aus eben dieser Akteg<strong>in</strong>g jedoch hervor, daß die Sammlung ke<strong>in</strong>eswegs vollständig war; sowurde etwa auf e<strong>in</strong> von Müllerunterschriebenes Protokoll verwiesen, dasnicht <strong>in</strong> dem freigegebenen Teiljener Akte aufzuf<strong>in</strong>den war, das aber auchnicht unter die Sperrerklärung fallen konnte333.Krüger hatte dafür ke<strong>in</strong>eErklärung. Auf die Widersprüche zwischen den verschiedenen Aktenangesprochen, antwortete Krüger, er könne sich an solche nicht er<strong>in</strong>nern,"zumal ich auch nicht klar trennen kann zwischen den D<strong>in</strong>gen, die ich ausdem Vorgang 3 ARP 74/75 I im Gedächtnis habe und den präziserenSchilderungen, die Herr Müller<strong>in</strong> dem Verfahren 1BJs 7/76 (... )gemachthat"324. Nicht e<strong>in</strong>mal der "eklatante Widerspruch" (pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g) zwischenMüllers Aussagen über se<strong>in</strong>e Kontakte zu Hoff war dem Bundesanwaltaufgefallen:376"ZudemWiderspruch<strong>in</strong>beidenAktensagteKrüger,überdieIdentifizierung<strong>in</strong> derARP-Aktehabe es dortnure<strong>in</strong>enBeamtenvermerkgegeben.Beamtenvermerkeaberseien<strong>in</strong>terpretationsfähig.Aufdie Frage,wiee<strong>in</strong> Beamtenvermerkübere<strong>in</strong>estattgehabteLichtbildidentifizierung<strong>in</strong>terpretiertwerdenkönne,antworteteKrüger,das könne er ,so genau' nichterkIären"335.Krügers Vernehmung an zwei Tagen im November zog sich ebensomühsam dah<strong>in</strong> wie die se<strong>in</strong>es Dienstherren Buback: Krüger wußtenichts, konnte sich auch nicht er<strong>in</strong>nern oder berief sich auf se<strong>in</strong>e Aussagebeschränkunif36.Dieser unerquickliche Vorgang wiederholte sich beider Zeugenvernehmung von Bundesanwalt Kaul im Februar 1977337.Ähnliche Probleme ergaben sich auch bei den Vernehmungen derPolizeibeamten, die Müller<strong>in</strong> den Jahren 1975 und 1976 verhört hatten.Sie alle verne<strong>in</strong>ten kategorisch, daß mit Müller Absprachen ~etroffenund daß ihm Vorteile versprochen worden waren, wenn er mitarbeite;auch sei ihm nicht gedroht worden. Kurzum, ke<strong>in</strong>e der <strong>in</strong> § 136a StPOgenannten ungesetzlichen Ermittlungsmethoden war bei Müller benutztworden. Die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong>teressierte sich vor allem für die Aussagenvon Krim<strong>in</strong>alhauptkommissar Opitz und Krim<strong>in</strong>aloberkommissar Petersen,beides Beamte der Staatsschutzabteilung der Kripo Hamburg, dievon Ende Februar bis Ende Juni 1975 mit der Vernehmung Müllersbeauftragt gewesen waren. Ihre Protokolle bildeten den Hauptteil dervon der BAWam 9.6.75 angelegten Geheimakte. Sie hatten, wenn auchals Zuhörer, an den meisten BKA-Vernehmungen seit dem 31.3.76teilgenommen.Die <strong>Verteidigung</strong> war übrigens, wie vorher bei Buback, gezwungengewesen, e<strong>in</strong>en Prozeß beim Verwaltungsgericht Hamburg anzustrengen,um Opitz als Zeugen vor das Gericht zu bekommen338. Sie wolltevon Opitz hören, wie es möglich war, daß Müller <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en späterenVerhören unwidersprochen hatte aussagen können, er habe Hoff nichtgekannt. Opitzvermutete, er sei bei dem betreffenden Verhör nicht dabeigewesen, bekundete jedoch gleichzeitig,<strong>in</strong> solchen Fällen die Protokollemeist nachher noch durchgelesen zu haben339. Weiter vermutete Opitz,die anderen Vernehmungsbeamten hätten den eklatanten Widerspruchwahrsche<strong>in</strong>lich nicht thematisiert, um die Vernehmung nicht abbrechenzu müssen: Müller habe darauf bestanden, daß alles genau so aufgeschriebenwurde, wie er es formulierte34o.Die Möglichkeit, man habeganz bewußt bestimmte D<strong>in</strong>ge weggelassen, um Widersprüche zwischenden Aussagen Hoffs und Müllers zu verdecken und Müller glimpflichdavonkommen zu lassen, schloß Opitz aus; es könnte allerd<strong>in</strong>gs "e<strong>in</strong>eLaschigkeit von uns gewesen se<strong>in</strong>,,341.Solche "Laschigkeiten" schienenOpitz ke<strong>in</strong> besonderes Kopfzerbrechen zu bereiten, denn des öfterenme<strong>in</strong>te er, "wenn es <strong>in</strong> den Protokollen nicht steht, hab ich es wohlversäumt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuschreiben,,342 oder "es kann ja auch vielleicht mal e<strong>in</strong>Vermerk vergessen werden"343.Krim<strong>in</strong>aloberkommissar Petersen war den Vernehmungsprotokollenzufolge bei der späteren Vernehmung Müllers durch das BKA auf jedenFall "zeitweiliganwesend". AlsZeuge zeigte sich Petersen überrascht vonder Tatsache, daß Müller dem Vernehmungsprotokoll zufolge se<strong>in</strong>eBekanntschaft mit Hoff abgestritten hatte: "Nach me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung hat er377


auch bei späteren Vernehmungen immer bestätigt, daß er Hoff kenne"344.Diese überraschung Petersens ist unverständlich, wenn manberücksichtigt, daß e<strong>in</strong>er der zwei Beamten des BKA,die Müllervernommenhatten und später als Zeugen gehört wurden, aussagte, daß "bis aufwenige Augenblicke" immer entweder Opitz oder Petersen anwesendwaren"345, und dem Vernehmungsprotokoll zufolge muß dies beimPunkt Hoff-Bekanntschaft Petersen gewesen se<strong>in</strong>. Weiter sagten diebeiden BKA-Beamten ohne Umschweife als Zeugen aus, daß sie MüllersAussagen über Hoff und über se<strong>in</strong>en Decknamen "Harry" ohne weiterenKommentar zu Protokoll genommen hatten, wohl wissend, daß erdie Unwahrheit sagte346. Zwar hätten sie Müller noch se<strong>in</strong>e früherenanderslautenden Aussagen vorgehalten, von e<strong>in</strong>em Vermerk im Protokolljedochabgesehen, da Müller das niemals akzeptiert hätte. Krim<strong>in</strong>aloberkommissarFreimuth me<strong>in</strong>te, das Interesse an e<strong>in</strong>er ungestörtenVernehmung und das Bemühen, "e<strong>in</strong> gespanntes Verhältnis zu HerrnMüller zu vermeiden"347, seien dafür ausschlaggebend gewesen; Krim<strong>in</strong>alhauptkommissarHabekost kommentierte, daß es "gerade <strong>in</strong> diesemPunkte nicht so sehr wesentlich war, daß Herr Müller <strong>in</strong> etwa die Wahrheitgesagt hat"348.Obwohl beide Beamte während der Vernehmungenimmer davon ausgegangen se<strong>in</strong> wollten, "daß Herr Müller das, was ersagte, vor Gericht wiederholen mußte"349, wiesen sie die Möglichkeit,siehätten die so offensichtlich unwahren Aussagen absichtlich so und nichtanders zu Protokoll genommen, entrüstet von sich.Die Akte 3 ARP 74/75 I enthielt jedoch noch weitere Passagen, dievon der <strong>Verteidigung</strong> aufgegriffen wurden, um die Unglaubwürdigkeitdes Zeugen Müller zu beweisen.So hatte Müller auch ausgesagt, Baader habe das RAF-MitgliedIngeborgBarz im Februar/März 1972 erschossen, weil sie aus der RAFaussteigen wollte. Diese Information habe er, Müller,sowohl von Baaderselbst als auch von Me<strong>in</strong>s erhalten 350.Die Behauptung war schon Anfang1975 <strong>in</strong> der Hamburger Presse aufgetaucht; als Quelle kam nur dieStaatsschutzabteilung, damals noch Abteilung K4 der Hamburger Krim<strong>in</strong>alpolizei,<strong>in</strong> Frage. Die Angeklagten werteten diese Behauptung als Teilder psycholOgischen Kriegsführung, mit der die RAF als rücksichtsloseKillerorganisation und Baader als der große Buhmann dargestellt werdensollten. Die Akte 3 ARP 74/75 I enthielt Müllers Aussage, er selbsthabe den Ort ausgesucht, an dem Barz von anderen begraben wurde.Die <strong>Verteidigung</strong> ließ verschiedene Polizeibeamte und Bundesanwältenach den Ergebnissen der Leichensuche befragen. An der von Müllerbezeichneten Stelle wurde trotz umfangreicher Grabereien und trotz desE<strong>in</strong>satzes von Spürhunden ke<strong>in</strong>e Spur entdeckt. Unbee<strong>in</strong>druckt davongab die BAWvor Gericht weiter zu verstehen, daß sie Müllers Aussageauch <strong>in</strong> diesem Punkt glaube; unklar blieb, worauf sie diesen Glaubenstützte351.378Dieses Beharren der BAW auf Müllers Glaubwürdigkeit zwang die<strong>Verteidigung</strong>, zu versuchen, der "Sache Barz" bis <strong>in</strong> alle E<strong>in</strong>zelheitennachzugehen. Was als Konsequenz wiederum zahlreiche Beweisanträgezur Folge hatte, denen zum Teil auch stattgegeben wurde.Am 29.4.75 berichtete die "Welt", Barz habe sich zwischen Weihnachten1973 und dem Neujahrstag 1974 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hotel <strong>in</strong> Belfast(Nordirland) aufgehalten. Als Zeuge vor Gericht sagte der Autor desArtikels, se<strong>in</strong>e vertraulichen Informationen stammten von der nordirischenPolizei; ansonsten berief er sich auf se<strong>in</strong> Aussageverweigerungsrechtals Journalis~52.Des weiteren beantragte die <strong>Verteidigung</strong>, drei Gefangene aus derRAF als Zeugen zu hören; sie könnten aussagen, Barz noch im März1972 bzw. noch nach Baaders Festnahme getroffen zu haben353. DasGericht lehnte die Vernehmung von Irmgard Möller und Klaus Jünschkewegen Unglaubwürdigkeit (vgl.3.2.3.1) ab. Möller und Jünschke schriebendaraufh<strong>in</strong> dem Gericht Briefe, <strong>in</strong> denen sie über e<strong>in</strong> Treffen mit Barzam 6.6.72, also e<strong>in</strong>ige Tage nach Baaders Verhaftung, berichteten. Die<strong>in</strong>haltlich völlig übere<strong>in</strong>stimmenden Briefe enthielten genaue E<strong>in</strong>zelheitenüber das Treffen354.Die <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmung mit der Gruppe imFrühjahr 1972 aus der RAF ausgetretene Ingeborg Barz hielt sich damalsversteckt; als sie <strong>in</strong> Geldnot geriet, hatte sie über e<strong>in</strong>en für solche Situationenabgesprochenen Kanal mit der RAF Kontakt aufgenommen und5.000 Mark bekommen. Trotz dieser Angaben wollte das Gericht diezwei Gefangenen nicht als Zeugen vorladen.Gehört wurde jedoch die seit Februar 1975 <strong>in</strong>haftierte Inga Hochste<strong>in</strong>,die u. a. der Mitgliedschaft bzw. der Unterstützung der RAF verdächtigtwurde. Sie bezeugte vor Gericht, Barz Ende November 1973 und imJanuar 1975 <strong>in</strong> Hamburg getroffen zu haben355. Barz, die sie seit 1971kannte, habe sich beim ersten Treffmit der Bitte an sie gewandt, ihr beimAbsetzen <strong>in</strong>s Ausland zu helfen; da sie, Hochste<strong>in</strong>, damals aber nochlegal lebte, habe sie nicht helfen können. Beim zweiten Kontakt sei es umdie Beschaffung von Medikamenten gegangen.Die Zeugenvernehmung Hochste<strong>in</strong>s fand am 1. 12. 76 statt. Auf Zeitungsberichteüber diese Vernehmung h<strong>in</strong> meldete sich e<strong>in</strong> Mann, derEnde Februar 1977 als Zeuge gehört wurde. Ausführlich schilderte derZeuge Wüst, der Barz von früher sehr gut kannte, drei zufällige Begegnungenmit ihr356.Im September 1973 habe er sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hotel beiBelfast getroffen. Wüst besuchte Nordirland seit Jahren dienstlich undprivat. Er habe gewußt, daß die deutsche Polizei nach ihr suche. Siehabe ihm erzählt, daß sie sich <strong>in</strong> Nordirland aufhalte, um e<strong>in</strong>en englischenPass zu bekommen, und daß sie schon lange nichts mehr mit deml<strong>in</strong>ken Untergrund zu tun habe. Das aber habe er nicht so e<strong>in</strong>fachglauben können, weil sie e<strong>in</strong>e Pistole <strong>in</strong> der Handtasche hatte. ZweiWochen später sei sie ihm auf dem Londoner Flughafen begegnet. Dann379


Bahnreise getroffen.Wie sich <strong>in</strong> der Vernehmung herausstellte, hatte Wüst die ganze\ habe Geschichte er sie schon noch e<strong>in</strong>mal 1974 Fahndungsbeamten Ende Februar/Anfang<strong>in</strong> München März 1974 erzählt auf e<strong>in</strong>er DasVernehmungsprotokoll darüber habe er noch vor e<strong>in</strong>er Woche bei e<strong>in</strong>emBKA-Beamten gesehen, der ihn wegen der bevorstehenden Zeugenvernehmungbesucht hatte. Aufschlußreich war diese Information <strong>in</strong>sofern,als die Monate zuvor der Prozeßakte beigefügte Akte Barz gerade diesesVernehmungsprotokoll nicht enthielt357, E<strong>in</strong>ige Wochen nach der VernehmungWüsts <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> meldete sich e<strong>in</strong> Frankfurter, der Mitte1972 zur Polizei gegangen war, um zu melden, daß er die steckbrieflichgesuchte Ingeborg Barz gerade <strong>in</strong> der Stadt gesehen habe. Auch diesesVernehmungsprotokoll fehlte <strong>in</strong> der Akte Barz358. Alles <strong>in</strong> allem sah die<strong>Verteidigung</strong> ihre von Anfang an offen geäußerte Vermutung, die Prozeßunterlagenseien manipuliert, erneut bestätigt.Noch e<strong>in</strong>mal unternahm die <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>en Versuch, Aufklärungüber die Zusammenstellung der Prozeßunterlagen zu erhalten. Es gelangihr auch, trotz Ablehnung e<strong>in</strong>es ersten Antrags359, den Chef des BKA, Dr.Horst Herold, am 13. 3.77 <strong>in</strong> den Zeugenstand zu bekommen 360.Heroldsollte zu folgenden Beweisthemen befragt werden: 1. Hatte das BKA,eigenständig oder <strong>in</strong> Rücksprache mit dem GBA, e<strong>in</strong>e Auswahl derProzeßunterlagen e<strong>in</strong>schließlich der Akten 3 ARP 74/75 I und 1 BJs 7/76vorgenommen und dabei wesentliche Teile zurückgehalten361; 2, hattendie ErmittIungsbehörden Müller Zusagen gemacht bzw. Absprachen mitihm getroffen für den Fall, daß er bereit se<strong>in</strong> würde, als Zeuge auszusagen?Bereits mit se<strong>in</strong>er ersten Bemerkung zu den angeführten Beweisthemenmachte Herold klar, daß von ihm nicht viel an Aufklärung zu erwarten war:"Die e<strong>in</strong>zelnen Punkte betreffen Beweisgegenstände, die nichtzu me<strong>in</strong>emunmittelbaren Aufgabenbereich gehören(. .. ) Ich verfüge nicht über eigenesSachwissen,,362. Se<strong>in</strong>e Untergebenen hätten ihm jedoch versichert,ke<strong>in</strong>e Unterlagen zurückgehalten zu haben. Ebenso gehe er davon aus,daß der BAW das gesamte Material bekanntsei363. Die Möglichkeit, daßBKA-Beamte Müller Zusagen oder Versprechungen gemacht hätten,schloß Herold grundsätzlich aus: "Der Krim<strong>in</strong>albeamte weiß kraft Ausbildung,daß derartige Zusagen nicht zulässig s<strong>in</strong>d,,364.Damit blieb die Akte 3 ARP 74/75 I auch weiterh<strong>in</strong> im dunkeln. Der"Spiegel" vom Mai 1979 bemerkt dazu:"E<strong>in</strong> Teiljener Geheimakte 3 ARP 74/75 I ist noch heute unter strengstemAmtsverschluß - etwa 15 Blatt. Prozeßbeteiligte aus Terroristenverfahrenvermuten <strong>in</strong> den Papieren noch weitere Details über den Handel von Sicherheitsbehördenmit Verbrechern. Womöglich auch Vorgänge, die, würden sieruchbar, den Zeugen Müller noch e<strong>in</strong>mal auf die Anklagebank brächten - zumBeispiel e<strong>in</strong> Geständnis über den Hamburger Polizistenmord"365.380Mysteriös blieb ebenfalls, warum der größte Teil der Akte e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbJahre lang unter Verschluß bleiben mußte. Denn auch nach der Freigabeim November 1976 g<strong>in</strong>g aus dem nunmehr bekannten Inhalt nichthervor, warum e<strong>in</strong>e Bekanntgabe zu e<strong>in</strong>em früheren Zeitpunkt geeignetgewesen war, "dem Wohl des Bundes Nachteile zu bereiten". Völligunverständlich wird der ganze Vorgang, wenn man weiter berücksichtigt,daß - wie e<strong>in</strong>er der "Zwangsverteidiger" vor Gericht zu Recht bemerkte- Müller sehr wohl gestattet worden war, e<strong>in</strong>en Großteil der als "vertraulich"geltenden Aussagen 1975 und 1976 <strong>in</strong> ausführlichen Interviews zuverkaufen 366, Die <strong>Verteidigung</strong> vermutete von Anfang an - und diessche<strong>in</strong>t mir e<strong>in</strong>e der wenigen plausiblen Erklärungen zu se<strong>in</strong> - daß BKAund/oder BAW beabsichtigten, die Beziehung Müller-Hoff und andereWidersprüche so lange wie möglich, auf jeden Fall aber bis nach denZeugenaussagen Hoffs und Müllers <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, geheimzuhalten, umdie Glaubwürdigkeit ihres Kronzeugen nicht zu bee<strong>in</strong>trächtigen, und daßsie Müller die Möglichkeit bieten wollten, von se<strong>in</strong>er Mitarbeit sowohlf<strong>in</strong>anziell als auch strafrechtlich zu profitieren.Mitte Februar 1979 wurde Müller aus der Haft entlassen. Se<strong>in</strong>e Freilassungwurde vom "Spiegel", der den Geschehnissen und Verwicklungenrund um den Fall Müller im Mai 1979 e<strong>in</strong>en gut dokumentiertenArtikel widmete, wie folgt kommentiert:"Daß er nun nicht mehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zelle sitzt,ist das Resultat e<strong>in</strong>er beispiellosenManipulation des Rechts. Wohl vor jedem deutschen Schwurgericht wäreGerhard Müller unter normalen Umständen die lebenslange Freiheitsstrafesicher gewesen - aufgrund se<strong>in</strong>er eigenen Aussagen. Doch es g<strong>in</strong>g nicht mitrechten D<strong>in</strong>gen zu. Das Lebenslang wurde ihm geschenkt: Es war der Kaufpreis,um se<strong>in</strong>e Zunge zu lösen.Beide Seiten, die Justiz und ihr Kronzeuge, haben ihre Leistungen <strong>in</strong>zwischenerbracht. Der Handel istperfekt, und zwar so, daß er <strong>in</strong> Zukunft juristischunangreifbar ist. Nur läßt er sich jetzt nicht länger verdunkeln,Das Geschäft mit Gerhard Müller war e<strong>in</strong> planmäßig vollzogener Rechtsbruch.In die Affäre verstrickt s<strong>in</strong>d Justizangehörige wie Politiker von hohemRang"367Dazu e<strong>in</strong> Sprecher der BAW: "Die <strong>in</strong> Ihrem Artikel aufgestellte Behauptung,die Justiz habe mit dem früheren RAF-Mitglied Gerhard Müllere<strong>in</strong> ,Geschäft' abgeschlossen, das e<strong>in</strong> planmäßig vollzogener Rechtsbruchsei, entbehrt jeder Grundlage"368,Das Bundesjustizm<strong>in</strong>isterium teilte mit, die Sperrerklärung für die 200Seiten umfassende Akte 3 ARP 74/75 Isei notwendig gewesen, "weil dasBekanntwerden dieser Aktenteile zum damaligen Zeitpunkt e<strong>in</strong>e erheblichepersönliche Gefährdung für dar<strong>in</strong> enthaltene Personen bedeutet unddie Aufklärung schwerer Straftaten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dem Wohl des Bundesabträglichen Maße erschwert hätte"369. Weiter verwies das M<strong>in</strong>isteriumnoch darauf, daß wegen der Freigabe der verbleibenden elf Seiten durchalle Instanzen erfolglos prozessiert worden sei.381


In der Zwischenzeit hatte Müller noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen anderen <strong>Strafsachen</strong>gegen Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der RAF als Zeuge ausgesagt.In zwei Fällen waren die Angeklagten trotz e<strong>in</strong>deutig belastenderAussagen Müllersvon wesentlichen Punkten der Anklage freigesprochenworden37o. In beiden Fällen handelte es sich um Angeklagte, die mit derRAF gebrochen hatten. Kurze Zeit nach se<strong>in</strong>er Freilassung schien Müllerdann als Zeuge nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Dazu noch e<strong>in</strong>malder "Spiegel":"Angeblich, so die offizielle Version der Strafverfolger, ist Müller heuteunauff<strong>in</strong>dbar. Zwar s<strong>in</strong>d Haftentlassungen nach Verbüßung von zwei Drittelder Strafe üblich, doch muß der Freigelassene Anschrift und jeden Wohnungswechselangeben. Andernfalls wird er wieder e<strong>in</strong>gefangen und muß denStrafrest absitzen. Gerhard Müller aber ist zur Fahndung nicht ausgeschrieben.Im März wollte e<strong>in</strong>e Karlsruher Strafkammer ihn als Zeugen vernehmen ­die Ladung lief leer. Mitte April wurde <strong>in</strong> Frankfurt e<strong>in</strong> Kunstprofessor, kurzdarauf, ebenfalls <strong>in</strong> Frankfurt, e<strong>in</strong>e Buchhändler<strong>in</strong> freigesprochen - immerdasselbe: Der Belastungszeuge Müller fehlte.In allen Fällen g<strong>in</strong>g es um RAF-Unterstützung, irgendwann früher mal e<strong>in</strong>Nachtquartier für Baader & Co. - zu läppisch, um dabei den ,Kronzeugen' zuverschleißen?"3714. Stellungnahme der AngeklagtenDie Angeklagten nahmen an dem Prozeß teil, wenn ihre gesundheitlicheVerfassung das zuließ; sie kamen auch dann noch, als der Prozeßwegen "selbstverschuldeter Verhandlungsunfähigkeit" <strong>in</strong> ihrer Abwesenheitfortgesetzt werden konnte. Im Lauf der Zeit sollte diese Teilnahmeständig zurückgehen. Hauptgrund war die Verschärfung der Prozeßführungdurch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g. Schließlich genügte oft schon der bloße Protestgegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Gewohnheit, Antragsbegründungen fortwährend zu unterbrechen,um wegen Störung der Ordnung für alle <strong>in</strong> dem jeweiligenMonat noch anstehenden Verhandlungstage ausgeschlossen zu werden.Nach dem Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof am 9.5.76 erschienen die Angeklagtenvon sich aus nur noch sporadisch im Sitzungssaal.4.1. "Erklärung zur Sache"c...Mitte Januar 1976 verlasen die Angeklagten zwei Sitzungstage lang,e<strong>in</strong>ander abwechselnd, ihre etwa 200 Manuskriptseiten umfassende"Erklärung zur Sache,,372.Im Vorwort gehen die Angeklagten kurz auf die Bedeutung des Organisationsdelikts§ 129 StGB als Grundlage für die Anklageerhebung e<strong>in</strong>.Es folgt e<strong>in</strong>e Beschreibung der von ihnen mit ihrer Erklärung verfolgtenAbsichten und Ziele:"wir versuchen die analyse auf zwei l<strong>in</strong>ien - <strong>in</strong> ihrer dialektik zue<strong>in</strong>an-382der, die gleichzeitig über die möglichkeit und aktualität revolutionärerpolitik <strong>in</strong> der metropole spricht.das ist 1. die <strong>in</strong>nere l<strong>in</strong>ie. das ist der zusammenbruch des kapitalverhältnissesdurch die militärische, politische, ökonomische offensive proletarischerpolitik ausgehend von der front - dem befreiungskrieg dervölker der 3. welt, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s gesetzt ist mit der sozialen revolution an derperipherie.das ist 2. ihre wirkung auf die äußere l<strong>in</strong>ie, die krise, die reagierendekapitalbewegung und ihr politischer ausdruck, der überdeterm<strong>in</strong>iertestaat des kapitals <strong>in</strong> den akkumulationszentren. so die prozesse derkonzentration des kapitalistischen kommandos, die prozesse der neuzusammensetzungdes kapitals, damit den technologischen prozeß, dieerhöhung der masch<strong>in</strong>erie - den krisenhaften versuch der kont<strong>in</strong>uitätkapitalistischer entwicklung aus der defensive. damit auch die neuzusammensetzungdes proletariats und neue formen des klassenkampfes <strong>in</strong> dermetropole, also neue formen der repression und <strong>in</strong>surrektion <strong>in</strong> dermetropole: die notwendigkeit bewaffneter politik.wir gehen dabei von e<strong>in</strong>er front des klassenkampfs, dem befreiungskriegaus:e<strong>in</strong>er demarkationsl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong>nerhalb der metropole und e<strong>in</strong>er demarkationsl<strong>in</strong>iezwischen sozialistischem block und kapital. zu erklären ist- d.h.das wird der versuch se<strong>in</strong>, und zwar historisch - notwendig und strukturellmöglich, wie wir, ausgehend von der offensive proletarischer politikdes revolutionskrieges und der sozialen revolution, <strong>in</strong> den zentren zukämpfen haben, um die demarkationsl<strong>in</strong>ien des klassenkampfes hier <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e offene front zu verwandeln, die globale ökonomische krise <strong>in</strong> dieendliche politische".Und wenig später:"andreas hat gesagt am 26. august: wenn der faschismus als <strong>in</strong>stitutionellestrategie des kapitals die reaktionäre vermittlung des im weltrnaßstabantagonistisch gewordenen kapitalverhältnisses ist, dann ist der<strong>in</strong>ternationalismus der <strong>in</strong>surrektion, der stadtguerilla, der aufbau e<strong>in</strong>erpolitisch-militärischen front <strong>in</strong> den zentren des imperialismus, der revolutionäreausdruck des bruchs <strong>in</strong> den metropolen und se<strong>in</strong>e strategie oderer wird es se<strong>in</strong>.man kann aber auch - worum es geht - an e<strong>in</strong>em, wohl dem bekanntestenmarx-zitat entwickeln, demjenigen, an dem die gesamte m<strong>in</strong>destenseuropäische l<strong>in</strong>ke seit der Ir. <strong>in</strong>ternationale ihre strategiediskussionführt, daß nämlich, sagt marx, auf e<strong>in</strong>er gewissen stufe ihrer entwicklungdie materiellen produktivkräfte der gesellschaft <strong>in</strong> widerspruch mit denvorhandenen produktiwerhältnissen treten oder, was nur e<strong>in</strong> jUristischerausdruck dafür ist, mit den eigentumsverhältnissen, <strong>in</strong>nerhalb deren siesich bisher entwickelt hatten. es tritt dann e<strong>in</strong>e epoche sozialer revolutione<strong>in</strong>... und weiter: ,e<strong>in</strong>e gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle383


produktivkräfte entwickelt s<strong>in</strong>d, für die sie weit genug ist, und neuehöhere produktionsverhältnisse treten nie an die stelle, bevor die materiellenexistenzbed<strong>in</strong>gungen derselben im schoß der alten gesellschaftausgebrütet worden s<strong>in</strong>d. daher stellt sich die menschheit immer nuraufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stetsf<strong>in</strong>den, daß die aufgabe selbst nur entspr<strong>in</strong>gt, wo die materiellen bed<strong>in</strong>gungenihrer lösung schon vorhanden oder wenigstens im prozeß ihreswerdens begriffen s<strong>in</strong>d'.marx hat nie e<strong>in</strong>en zweifeldaran gelassen, daß die befreiung von denzur fessel gewordenen produktionsverhältnissen sache der aktion dersich befreienden klasse ist<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em langwierigen prozeß der umwälzung,der krieg ist, <strong>in</strong> dem die kräfte der reaktion <strong>in</strong> dem maß, <strong>in</strong> dem sie vonder <strong>in</strong>surrektion angegriffen und zerrüttet werden, zunehmen oder wielen<strong>in</strong> <strong>in</strong> paraphrase zu marx formuliert hat: ,der revolutionäre fortschrittbricht sich bahn <strong>in</strong>der erzeugung e<strong>in</strong>er geschlossenen und mächtigenkonterrevolution, das heißt, <strong>in</strong>dem er den gegner zw<strong>in</strong>gt, sich zu se<strong>in</strong>erverteidigung immer extremerer mittel zu bedienen'.für das verhältnis von revolutionärem prozeß und faschistischer reaktiondes kapitals, heute im weltrnaßstab, heißt das, daß es nur <strong>in</strong> denkategorien der materialistischen dialektik zu fassen ist und nicht <strong>in</strong> denenvon bilanzdenken und opportunitätskalkül. es gibt <strong>in</strong> diesem umwälzungsprozeßke<strong>in</strong>en automatismus und wenn, das ist die geschichtlicheerfahrung, sich die l<strong>in</strong>ke nicht zu se<strong>in</strong>em subjekt macht, ist der ökonomischzw<strong>in</strong>gende automatismus, der aus der nicht gemachten revolutionfolgt, die friktion, die es dem system ermöglicht, die spirale aus zyklusundkrise fortzusetzen - <strong>in</strong> faschismus und krieg".Im Telegrammstil umreißen die Angeklagten anschließend ihre Argumentationsl<strong>in</strong>ie:Die Oktoberrevolution 1917 als E<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> das Kapitalverhältnis;se<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong>, der Zwang zur Akkumulation, führte undführt, analog zur Kapitalbewegung, zu Ungleichzeitigkeit, deren vollendeterAusdruck die verselbständigte Masch<strong>in</strong>erie, das e<strong>in</strong>ander gegenüberstehendeOverkill-Potential, ist. Von der Oktoberrevolution ausgehendwird die Entwicklung der Kräfteverhältnisse <strong>in</strong> den Metropolen(USA, Westeuropa, Japan) und deren Geschichte angerissen: Revisionismus,die Entwaffnung der Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong> der Ökonomie, <strong>in</strong>den ökonomischen Kämpfen, <strong>in</strong> denen der Klassenantagonismus zumMotor der kapitalistischen Entwicklung werden konnte. Aus der Oktoberrevolutionheraus ergab sich damit auch der zähe Prozeß der Entko­Ionisierung, die Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses. BeideEntwicklungen treffen zusammen im Augenblick des strategischenGleichgewichts und des Kippens <strong>in</strong> die strategische Defensive des Kapitals,dem Vietnamkrieg.Dann werden der Imperialismus untersucht, die imperialistische Staatenketteund <strong>in</strong> ihr die Reproduktion der Hegemonie des amerikanischen384Kapitals, die se<strong>in</strong>e Herrschaft charakterisierenden Produktionsbed<strong>in</strong>gungen<strong>in</strong> den Akkumulationszentren des Kapitals. Es folgt e<strong>in</strong>e Betrachtungüber die Gründung der Bundesrepublik als politischer Koloniedes US-Imperialismus und Counter-Staat im kalten Krieg.Die Ohnmacht der alten L<strong>in</strong>ken wird analysiert, ihre Defensive ausihrer Befangenheit im Ost-West-Gegensatz bis zum Ende der Restaurationsperiode,dem Bruch zwischen Produktions- und Zirkulationssphäre<strong>in</strong> den Krisen der 60er Jahre <strong>in</strong> allen Akkumulationszentrendes Imperialismus, bestimmt durch die Befreiungskriege an der Peripherie.Es folgt e<strong>in</strong>e Untersuchung des Vietnamkrieges, se<strong>in</strong>er Signalwirkung,se<strong>in</strong>er Kosten und "Produktivität": Elektronik, TechnolOgieüberhaupt bestimmen den Versuch der strategischen Rekonstruktiondes Kapitals, also: Intensivierung der Ausbeutung, Verlagerung der Investitionsschwerpunkte,Entwicklung neuer Repressionstechnologien.Die Angeklagten:"weil der prozeß widersprüchlich reagierend verläuft, entsteht e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>telligenz, die im widerspruch zwischen bürgerlicher wissenschaftsideologie(zb an der organisation und der ausbildung technischer <strong>in</strong>telligenz)und den verwertungsbed<strong>in</strong>gungen ihrer technischen fertigkeitene<strong>in</strong> radikales bewußtse<strong>in</strong> ihrer proletarisierung entwickelt.sie f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> diesem prozeß der proletarisierung (wie er zuerst ersche<strong>in</strong>enmuß: deklassierung, enteignung)/politisierung zu e<strong>in</strong>er natürlichenorientierung nicht am entpolitisierten, unpolitisch gehaltenenproletariat der metropole (dem sie näher kommt, wie es ihr, durch diedequalifizierung der arbeit im produktions- wie im reproduktionssektorusw), sondern am subjekt dieses prozesses: den befreiungsbewegungen.sie ,identifiziert' sich und wird über das, was beaufre373 ,psychologischerückwirkungen' - die große mobilisierung von 67 bis 71 ­nennt, verbündeter. denn ihre politik zersetzt den gesamtkonsens <strong>in</strong>allen metropolen, realisiert zum erstenmal e<strong>in</strong>e neue form des widerstandsund der aktion, die massenhafte verweigerung <strong>in</strong> der metropoleals bewegung und als ne möglichkeit".Zur Rolle der Sozialdemokratie wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang festgestellt:"dagegen die sozialdemokratie - ihre funktion für die rekonstruktiondes kapitals <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er strategischen defensive und ihr projekt: verrechtlichungund verstaatlichung der gesellschaft, vergesellschaftung der repression,faschismus als <strong>in</strong>stitutionelle strategie <strong>in</strong>nerstaatlich und zwischenstaatlich,festgemacht an der methode der herrschaftssicherung,die das kapital gegen die befreiungsbewegungen an der peripherieentwickelt hat: counter<strong>in</strong>surgency. ihre funktion als regierungsparteider imperialistischen führungsmacht <strong>in</strong> westeuropa für die strategie desamerikanischen kapitals, <strong>in</strong> der eg und der nato als organisator der385


sozialdemokratischen <strong>in</strong>ternationale, als organisator neuer unterwerfungsstrategiendes kapitals gegen die befreiungsbewegungen an derperipherie".Daraus ergibt sich die notwendige Entwicklung von Gegenbewegungen:"stadtguerilla als die taktik, ihr klassenbegriff - weltproletariat - unddas als dIe pohtisch-militärisene funktion der <strong>in</strong>surrektion <strong>in</strong> den metropolen- die zwei füße der stadtguerilla: 1. protagonist der klassenause<strong>in</strong>andersetzungen<strong>in</strong> den metropolen zu se<strong>in</strong>, aus der geschichte und denniederlagen des proletariats, hier se<strong>in</strong>er unterwerfung unter den imperialistischenstaat, vermittels der vom us-kapital gekauften sozialdemokratieund vom cia beherrschten gewerkschaften - motor der revolutionärenproletarisierung der gesellschaft und der 2. fuß: politisch-militärischefunktion der offensive proletarischer politik <strong>in</strong> den befreiungsbewegungender völker der dritten welt, funktion des proletarischen <strong>in</strong>ternationalismus.auf der ebene der klasse fehlt hier das moment der taktik. das zu derfrage des verhältnisses revolutionärer organisation, stadtguerilla, zu denmassen. die klasse ist nur strategie.und das als objektive form. e<strong>in</strong>e strategische perspektive wie dieverweigerung die sich tatsächlich massenhaft <strong>in</strong> allen gesellschaftlichenbereichen durchsetzt - istso materieller bestandteil der gesellschaftlichenarbeitermassen. aber sie ist passiv und sie kann nur anfangen, subjektiv,also <strong>in</strong> bewußter weise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er praktischen form zu leben, wenn siebewegung, front wird und schließlich die ebene der kämpfenden, derrevolutionären organisation erreicht.aus der demarkationsl<strong>in</strong>ie der repressiven befriedigung, die die politikdes kapitals (durch unterdrückung und entfremdung der bedürfnisse)setzt und durch die <strong>in</strong>stitutionelle strategie - also die repressiven undideologischen staatsapparate - befestigt, kann gegen die (strukturelle)gewalt und die nirgends so wie <strong>in</strong> der bundesrepublik durchgesetztenrepressionstechnologien des imperialismus nur e<strong>in</strong>e front werden durchbewaffneten kampf und gegen die konterrevolutionäre legalität organisiertenwiderstand, den er entwickeltguerilla <strong>in</strong> der metropole also ist taktik. als der kle<strong>in</strong>e motor, der dengroßen <strong>in</strong> gang setzt, als der <strong>in</strong>itiator des prozesses der rekonstruktion derklasse, subjektives moment der wiedereroberung des klassenstandpunkts;durch sie beg<strong>in</strong>nt die klasse als (potentiell) antagonistischerprozeß zur strategie des kapitals, der totalen <strong>in</strong>stitutionalisierung undverrechtlichung des produktionsverhältnisses zu funktionieren, durch siewird diese potenz für das kapital - se<strong>in</strong>en staat - gefährlich, durch sieentwickelt sich <strong>in</strong> der dialektik von repression und widerstand klassen bewußtse<strong>in</strong>.wenn aber die klasse strategie ist, ist klassenbewußtse<strong>in</strong> dasmoment proletarischer politik, ihrer autonomen organisation (u n d des386proletarischen <strong>in</strong>ternationalismus) der e<strong>in</strong>heit des kampfes gegen denimperialismus an allen fronten".Zum Verhältnis von politischer Theorie und politischer Praxis heißt es<strong>in</strong> der Erklärung:"sicher, was theoretisch richtig sche<strong>in</strong>t, kann politisch falsch se<strong>in</strong>.theorie ist verständnis und voraussicht, kenntnis also - sei sie auch nochso e<strong>in</strong>seitig - der objektiven tendenz des prozesses. politik ist dagegenwille,diesen prozeß umzuwälzen, umfassende ablehnung se<strong>in</strong>er objektivität,subjektive aktion, damit diese objektivität sich nicht durchsetzt undsiegt.politik ist e<strong>in</strong>greifen und dieses e<strong>in</strong>greifen nicht bei dem ansetzen zumüssen, was man antizipiert hat, sondern bei dem, was ihm vorausgeht,dem unmittelbaren moment der kräfteverhältnisse - dar<strong>in</strong> liegt die notwendigkeitder taktischen bestimmungen. das ist die dimension derstadtguerilla - entsprechend ihrer möglichkeiten als konzept.so müssen theorie und politik immer im widerspruch zue<strong>in</strong>ander se<strong>in</strong>,ihre identität ist gerade der opportunismus, der reformismus, der passivegehorsam gegenüber der objektiven tendenz, die nur zu erkennen undzu besitzen ist als wissenschaft, e<strong>in</strong>er wissenschaft, die sich selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erunbewußten vermittlung des kapitalistischen standpunkts auflöst durchdie arbeiter, durch proletarische politik selbst.als gehorsam gegenüber der objektiven tendenz ist opportunistischetheorie, das ist e<strong>in</strong>es ihrer merkmale, immer falsch. denn der klassenkampff<strong>in</strong>det auch statt, wenn er ohne bewußte führung ist und ist <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en resultaten nicht berechenbar. die schemata opportunistischerpolitik verfälschen so den prozeß, den sie gerade exakt zu beschreibenvorgeben.die wissenschaft des proletariats, proletarischer politik ist unmöglich,wenn sie nicht vom moment der praxis unterschieden und ihm untergeordnetwird. wenn sie selbst als klassenkampf begriffen wird, wenn siesich alle politischen aufgaben subsummieren will,regrediert sie zu e<strong>in</strong>embürgerlichen mythos.nur als wissenschaft, die krankheit der ghettoisierten marxistischen<strong>in</strong>telligenz <strong>in</strong> der brd, ist sie e<strong>in</strong>e adaption, e<strong>in</strong> verfall der kapitalistischenbestimmung der wissenschaft: nichts anderes zu se<strong>in</strong>, als e<strong>in</strong>e notwendigkeitdes kapitals, die theoretische artikulation, die es braucht, um se<strong>in</strong>eneigenen standpunkt aufzubauen. hier liegt tatsächlich e<strong>in</strong> widerspruchunserer bestimmung - neben der gefahr, der praktischen gefahr, derrepression waffen zur erkenntnis ihres eigenen feldes zu liefern, ohne·daß wir es schaffen, der klasse für die wir kämpfen als ihr teil waffenanderen typs, waffen des kampfes und der organisation zu liefern".Die Angeklagten entwickeln nun, beg<strong>in</strong>nend bei der Oktoberrevolution,ihre Sichtweise der Entwicklung der Kräfteverhältnisse <strong>in</strong> den Metropolen<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Dekolonialisierungsprozessen sowie387


dem strategischen Nutzen, der dem Kapital aus der <strong>in</strong> die Praxis umgesetztenOrganisationstheorie Taylors zukommt, wodurch e<strong>in</strong>e Organisationdes Proletariats als Klasse "für sich" letztlichverh<strong>in</strong>dert wurde."wenn wir feststellen, daß die etablierung des monopolkapitalismusüber den konkurrenzkapitalismus zur dom<strong>in</strong>anz des politischen, dasheißt des staates über das ökonomische führt, so bedeutet das auf derebene der fabrik, daß die technologie unmittelbar repressionstechnologiewird; ihr zweck als kapital ist nicht mehr nur konsumption lebendigerarbeitskraft, also kapitalverwertung, sondern technologie wird unmittelbarherrschafts<strong>in</strong>strument. diese neuen formen der arbeitsteilung durchdie handarbeit gleichzeitigzerlegende und <strong>in</strong>tensivierende systeme ziehte<strong>in</strong>e neue schicht von arbeiteraristokraten <strong>in</strong> die fabrik - den techniker,der gleichzeitig den arbeitsprozeß und den arbeiter überwacht.die folge dieser neustrukturierung des proletariats durch dequalifizierungder arbeit und neuer technologie als operator der hierarchisierungder arbeitsprozesse, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wort: der politisierung der produktion warzwangsläufig die aushöhlung der traditionellen politischen arbeiterorganisationen- parteien und gewerkschaften. was sich von da an <strong>in</strong> diesenalten formen abspielt, ist organisierung der arbeiter für das kapital, weildie bed<strong>in</strong>gung der organisierung für das proletariat - e<strong>in</strong>e bestimmtearbeitsorganisation (produktionsorganisation und so strategie) - demproletariat jetzt entzogen war".Weitere Ausführungen s<strong>in</strong>d der aktuellen Bedeutung der Marxschenpolitökonomischen Theorien gewidmet, wobei es den Angeklagten vornehmlichum die Zyklustheorie <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der Annahme vomtendenziellen Fallder Profitrate als den zweiwesentlichen Komponentender Defensive des Kapitals und der heutigen Krise geht:"die krise istdie bed<strong>in</strong>gung und notwendige funktion des produktionsprozessesdes kapitals, ihre notwendigkeit ist total.marx sagt: ,die krisen s<strong>in</strong>d immer nur momentane gewaltsame lösungender vorhandenen widersprüche, gewaltsame eruptionen, die dasgleichgewicht für den augenblick wieder herstellen'.und wir können sagen: wieder herstellen sollen - denn die ökonomischekrise des kapitals ist <strong>in</strong>zwischen def<strong>in</strong>iert durch den militärischenausdruck der zerstörung se<strong>in</strong>es gleichgewichts, der störung der ökonomischenpotenz se<strong>in</strong>er gewalt durch die offensive des befreiungskriegs dermassen der dritten welt. der versuch, auf dieser ebene das gleichgewichtwiederherzustellen, die ,gewaltsame eruption', hat angesichts se<strong>in</strong>es nuklearenvernichtungsarsenals allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e katastrophische perspektive.die zu fürchten wir, die unterdrückten und ausgebeuteten, ke<strong>in</strong>engrund haben. denn bedeutet sie <strong>in</strong>jedem fallauch das ende des imperialismus,so bedeutet der imperialismus <strong>in</strong> jedem fall unser ende. unserstandpunkt zur perspektive nuklearer vernichtung ist, erstens, daß wir sienicht fürchten und, zweitens, daß wir sie nur durch den revolutionären388krieg verh<strong>in</strong>dern können und verh<strong>in</strong>dern werden - ,woran wir festhalten(sagt che), ist, daß wir auf dem weg der befreiung bleiben müssen, selbstwenn er durch e<strong>in</strong>en atomkrieg millionen opfer kostet"'.Das grundsätzliche Problem, das sich h<strong>in</strong>ter den letzten Äußerungenverbirgt, wird mit Zitaten von Antonio Gramsci und Walter Benjam<strong>in</strong>illustriert. Die Erklärung geht dann weiter mit der Frage:"wie sich das proletariat aus dem repressiven netz der kapitalistischenentwicklung lösen kann? der proletarische prozeß kann sich, um sich zukonkretisieren, nur praktisch an den problemen der kämpfenden organisationentwickeln. <strong>in</strong> dieser dimension ist die frage nach der funktionsweisee<strong>in</strong>er gegenrnacht zu stellen, die aus der krise entsteht und <strong>in</strong> ihr<strong>in</strong>terveniert.als organisator e<strong>in</strong>es genau determ<strong>in</strong>ierten angriffs auf das politischesystem der kapitalistischen macht, also direkt gegen den staat, se<strong>in</strong>efunktion als <strong>in</strong>haber der extremen und entscheidenden gewalt des kapitals.die antworten werden wir sicher und nur aus dem sieg oder derniederlage, die der augenblick der wahrheit für den angriff ist, bekommen.trotzdem sprechen wir e<strong>in</strong>e gewißheit aus und def<strong>in</strong>ieren dasproblem, an dem durch die raf die diskussion wieder aufgenommenworden ist.wir s<strong>in</strong>d sicher: jede theorie der revolution <strong>in</strong> der gesellschaft derkapitalistischen entwicklung, des kapitalistischen planstaats, ist steril,wenn sie nicht ausgeht vom bruch des kapitalistischen zyklus, <strong>in</strong> dembesonderen und notwendigen moment der entwicklung, der die krise ist,um zu der besonderen historisch möglichen form revolutionärer gewalt,proletarischer gegengewalt zu kommen, die dem staatlichen gebrauchder gewalt entspricht - <strong>in</strong> dem auf umsturz ausgerichteten verständnisdes komplexes von repressiven wechselbeziehungen, denen gegenüberdie massenaktion nur s<strong>in</strong>n bekommt, wenn sie die präzise erfahrung derfront des globalen bewaffneten kampfes <strong>in</strong>tegriert. je mehr das kapital fürsich organisiert und se<strong>in</strong>en zyklus im staat plant, stellt sich mit dererfahrung, daß die macht nur aus den gewehrläufen kommt, das problem:der artikulation e<strong>in</strong>er aktion, die die entwicklung hier vorantreibtderökonomisch-politischen und der politisch-militärischen aktion e<strong>in</strong>errevolutionären avantgarde, die <strong>in</strong> die krise hier direkt e<strong>in</strong>greift und ihrenverlauf, ihre lösung für die <strong>in</strong>ternationale offensive bestimmt.rauszuf<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> welcher positiven beziehung beide funktionen schonbestehen können, wo wir anzugreifen haben, um die verb<strong>in</strong>dung herzustellen- das ist das problem, der gegenstand unserer analyse".Bevor die Angeklagten zur eigentlichen Ausarbeitung der bis dah<strong>in</strong> nurangerissenen Themengebiete übergehen, geben sie noch kurz an, auswelcher Situation die Stadtguerilla <strong>in</strong> Westeuropa kämpft."im moment des strategischen gleichgewichts, der defensive des impe-389


ialismus durch se<strong>in</strong>e niederlage <strong>in</strong> vietnam, ist die situation, <strong>in</strong> der wirkämpfen, bestimmt von drei l<strong>in</strong>ien und ihrer dialektik:- dem befreiungskrieg,der sozialen revolution an der peripherie, die zur militärisch-politischenoffensive, zur FRONT gegen den imperialismus entwickelt ist;- von der demarkationsl<strong>in</strong>ie ost-west, die ihren ausgangspunkt <strong>in</strong> deroktoberrevolution, dem e<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> das kapitalverhältnis hat; - von dersich durch die ökonomischen, politischen, ideologischen rückwirkungender politischen krise des imperialismus an der peripherie zum antagonismusentwickelnden demarkationsl<strong>in</strong>ie zwischen kapital und arbeit <strong>in</strong> denmetropolen.die vergesellschaftung der arbeit im weltrnaßstab vermittels der <strong>in</strong>ternationalisierungdes kapitals und so des globalen charakters des kapitalistischenproduktionsverhältnisses unter der dom<strong>in</strong>anz der usa verlangtrevolutionäre <strong>in</strong>itiativen, die sich direkt aus dem <strong>in</strong>ternationalen kontextdes klassenkampfs bestimmen - aktionen im rahmen von proletarischem<strong>in</strong>ternationalismus. die stadtguerilla <strong>in</strong> den metropolen handelt, <strong>in</strong>demsie als teil des weltproletariats handelt, als avantgarde proletarischerpolitik <strong>in</strong> den metropolen.die form, die die klassenkämpfe <strong>in</strong> england, frankreich und italienangenommen haben - relativ hohe lohnforderungen, fabrikbesetzungen,streiks gegen den staat wegen der <strong>in</strong>flation und absentismus - s<strong>in</strong>dausdruck der weigerung des proletariats, weiterh<strong>in</strong> als produktivkraft fürden profit des kapitals zu fungieren.je mehr das kapital mit dem fall der profitrate an die schranke se<strong>in</strong>erentwicklung stößt, desto schrankenloser wird der e<strong>in</strong>satz se<strong>in</strong>es gewaltpotentialsund wird dar<strong>in</strong> dessen zweck deutlich: die massen zu organisierengegen die <strong>in</strong> der vollständigen vergesellschaftung der produktionenthaltene tendenz zur <strong>in</strong>surrektion gegen die private aneignung, gegenverstaatlichung - das ist, verkürzt, der prozeß, <strong>in</strong> dem die herrschaft deskapitals und offener terror gegen die massen im faschismus identischwerden.wir wollen hier kaum die geschichte der arbeiterbewegung erklären,aber man kann den begriff proletarischer politik, den standpunkt deruntersten massen, nicht real e<strong>in</strong>nehmen, wenn man nicht von der reaktiondes imperialismus als e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen systems ausgeht. von dertatsache, daß die klasse <strong>in</strong> den metropolen <strong>in</strong> der vergangenheit geschlagenwurde, <strong>in</strong> klassenkämpfen niederlagen erlitt und ihre führung korrumpiertwerden konnte, weil das kapital <strong>in</strong> den kolonien superprofitemachen konnte. von der tatsache, daß das proletariat <strong>in</strong> den metropolendie völker der dritten welt <strong>in</strong> ihrem kampf gegen den imperialismus alle<strong>in</strong>ließ, sich als klasse aufgab und somit der bürgerlichen ideologie, rassistischer,chauv<strong>in</strong>istischer, antikommunistischer hetze erliegen mußte. daßes klasse nur werden kann, das bewußtse<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er geschichtlichen bed<strong>in</strong>gungen,klassenbewußtse<strong>in</strong> entwickeln, se<strong>in</strong>e autonomie und <strong>in</strong>tegrität390gew<strong>in</strong>nen und wiedergew<strong>in</strong>nen kann, wenn und <strong>in</strong>dem es den imperialismusals e<strong>in</strong>heitliches system begreifen und bekämpfen lernt - dasbedeutet: sich die dimension des proletarischen <strong>in</strong>ternationalismus wiedererobert als bed<strong>in</strong>gung se<strong>in</strong>es kampfes und sieges über das imperialistischekapital im eigenen land.auf dem höhepunkt der studentenbewegung - <strong>in</strong> den solidaritätsaktionenmit dem vietnamesischen befreiungskrieg - war das artikuliert alsantizipation. ,die rede von der weltrevolution darf <strong>in</strong> eben dem maßbeanspruchen, ke<strong>in</strong>e mystifikation zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem die avantgarde an denverschiedenen fronten e<strong>in</strong> bewußtse<strong>in</strong> davon hat, daß ihr e<strong>in</strong>zelnerkampf nur die besonderheit e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en ist', hieß es im kursbuch1968.weil das proletariat der metropolen se<strong>in</strong>e kämpfe ohne das bewußtse<strong>in</strong>geführt hat, nur die besonderheit e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en zu se<strong>in</strong>, konntees vom kapital, 1918, 1933 und <strong>in</strong> der rekonstruktionsperiode nach 45geschlagen werden.anders: man kann nicht zum begriff des kapitalverhältnisses kommen,wenn man den teil der welt raus läßt, den das kapital sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erhistorischen entwicklung subsummiert hat, und seit 45 ist das kapital <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er entwickeltsten form der mult<strong>in</strong>ationalen konzerne das subjektdieser subsumption.soviel zum ausgangspunkt der analyse. kritik an ihr könnte sich nurdarauf beziehen, daß wir an e<strong>in</strong>em punkt ihrer entwicklung den strategischen,den standpunkt der untersten massen - der basis der pyramide ­aus den augen verlieren, was gleichbedeutend wäre, immer gleichbedeutendist mit: die niederlage <strong>in</strong> der praxis <strong>in</strong> der theorie zu antizipieren.ohne strategie gibt es ke<strong>in</strong>e taktik".Ausführlich dokumentieren die Angeklagten anschließend an Beispielenaus dem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich dieEntwicklung der BRD zu e<strong>in</strong>em vollständig unter amerikanischer Kontrollestehenden Gebiet. Weiter wird aufgezeigt, wie die westdeutscheWirtschaft sich von 1955 bis 1966 zu e<strong>in</strong>em monopolkapitalistischenSystem entwickelte, das sich immer mehr <strong>in</strong> den von den USA dom<strong>in</strong>iertenImperialismus <strong>in</strong>tegriert. Es folgt e<strong>in</strong>e Phase, <strong>in</strong> der es, unter demmilitärischen Schutz der USA, zu e<strong>in</strong>er westdeutschen Kapitaloffensive <strong>in</strong>die als Stützpunkte des Westblocks fungierenden Länder der DrittenWelt (Brasilien, Iran, Südafrika, Taiwan, Chile, Indonesien, Israel)kommt, während die westdeutsche Wirtschaft gleichzeitigdurch umfangreicheamerikanische Kapitalexporte <strong>in</strong> die BRD noch stärker an die derUSA gebunden wird."das grundsätzliche schema dieser strategie, die errichtung von subzentren,ist e<strong>in</strong>e politische entscheidung des us-imperialismus aus se<strong>in</strong>ererkenntnis, daß die faschistischen counter<strong>in</strong>surgency-programme seitdem sieg der kubanischen revolution den siegreichen vormarsch der391


Ibefreiungsbewegungen nicht hatten aufhalten können, daß die kämpfendenvölker der drei kont<strong>in</strong>ente den übergang zu ihrer strategischenoffensive vollzogen haben. das schema ist e<strong>in</strong>e transformation der kolonialisierungsstrategie,die ihre ursache <strong>in</strong> den strategien der mult<strong>in</strong>ationalenkonzerne hat, <strong>in</strong> deren entscheidungen, den kapitalexport <strong>in</strong> diemetropolen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ige subzentren zentral zu lenken, die von se<strong>in</strong>enstaatsapparaten <strong>in</strong> den metropolen bis an die zähne bewaffnet werden:politisch, ideologisch, militärisch.ökonomisch ist diese strategie der konzerne notwendig geworden,weile<strong>in</strong> breit gestreuter kapitalexport es schließlich unmöglich macht, diesicherheit der <strong>in</strong>vestitionen zu garantieren - das würde von anfang anschon zu e<strong>in</strong>er völligen zersplitterung des potentials der militärmasch<strong>in</strong>eführen.die counter<strong>in</strong>surgency-aufgaben <strong>in</strong> der jeweiligen region s<strong>in</strong>d jetztzunächst die sache des subzentrums, das dabei nicht zuletzt auch se<strong>in</strong>eregionalen partikularen <strong>in</strong>teressen im rahmen des imperialistischen staatensystemszu sichern versucht, mit se<strong>in</strong>en anti-guerilla-truppen, die vonus-militär oder auch brd-polizisten ausgebildet und beraten werden.während die ökonomische herrschaft des imperialistischen kapitals imsubzentrum durch die beherrschung der schlüsselsektoren und - <strong>in</strong>wachsendem maße - durch das technologiemonopol gesichert ist, kannes der abhängigen bourgeoisie des subzentrums (tendenziell) überlassenwerden, <strong>in</strong> den übrigen ländern der region projekte durchzuführen, umdiese länder zu kolonisieren, wobei die f<strong>in</strong>anzierung dieser projekte auchsache des subzentrums wird.nach <strong>in</strong>nen versucht die abhängige bourgeoisie des subzentrums dieseaktivität zu benutzen, um den von ihr unterdrückten massen e<strong>in</strong>e propagandavon ,unabhängigkeit, selbständiger entwicklung' usw. zu verkaufenund chauv<strong>in</strong>istischen nationalismus zu erzeugen.das ganze ist die taktische offensive der transnationalen konzerne undihrer politischen und militärischen <strong>in</strong>strumente: konzentriert im pentagon- aus der strategischen defensive, <strong>in</strong> die sie, ihre profitraten, gedrängtwurden von den befreiungskriegen der völker der dritten welt".Am zweiten Tag der Verlesung gehen die Angeklagten auf die Entstehungsgeschichteder RAF e<strong>in</strong>; sie untersuchen die Studentenbewegungder 60er Jahre, die Rolle der SPD und der Sozialistischen Internationalevor allem auf ihr Verhältnis zur Dritten Welt, die Rolle der BRD und derUSA <strong>in</strong> Vietnam sowie die Gegensätze zwischen der Sowjetunion undCh<strong>in</strong>a. Den letzten zusammenfassenden Ausführungen der Angeklagtenzum proletarischen Internationalismus als Strategie sowie zur Notwendigkeitund Möglichkeit von Interventionen der Stadtguerilla, um denInitiativen des Kapitals bei dessen Versuchen der Restrukturierung zuvorzukommen,ist schließlich noch e<strong>in</strong>e für die Selbstdarstellung derRAF wichtige Passage entnommen:392"die umwälzung der komplexen realität des kapitalistischen prozesses,der mit der kont<strong>in</strong>uität der entwicklung - für die kont<strong>in</strong>uität der entwicklung- die gleichgewichtsstrategie der krise, die <strong>in</strong> der substantiellen formder staatlichen gewalt konzipiert ist,vere<strong>in</strong>~ verlangt die politisch-militärischeorganisation, die organisation für den bruch - für die zerschlagungder masch<strong>in</strong>e.die sprunghafte ausdehnung des kapitals (se<strong>in</strong>er kontrolle) kann ihreumwälzung nur <strong>in</strong> der sprungweisen entwicklung des angriffs f<strong>in</strong>den.bei len<strong>in</strong> steht, das schwächste glied der kette muß zerbrochen werden,und er zeigt als schwächsten punkt der kette den, der <strong>in</strong>nerhalbe<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en kapitalistischen zyklus e<strong>in</strong> besonderes stadium anbricht- hier der zyklus des mult<strong>in</strong>ationalen monopolkapitals und se<strong>in</strong>er<strong>in</strong>ternationalen konzentration.also wenn wir die weltweite dimension der konfrontation, der kriseund der kapitalistischen strategie, von der unsere bestimmung ausgeht,sehen - soll genau jetzt diese veränderung laufen: das kapital und dasimperialistische staatensystem - der us-imperialismus - versucht ökonomisch,politisch und militärisch nach dem e<strong>in</strong>bruch der niederlage <strong>in</strong><strong>in</strong>doch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e neustrukturierung. die entwicklung brauchtdie ökonomische krise, braucht den direkten vom staat organisiertenzusammenstoß zwischen kapital und arbeit.das kann - mehr ist jetzt nicht zu sagen - der schwache punkt derkapitalistischen kette werden, wenn das subjektive moment zu e<strong>in</strong>emsprengenden politischen druck gegenüber der kapitalistischen organisationim staat entwickelt wird. dar<strong>in</strong>, daß die unsicherheit, die labilität deshauptverhältnisses überwunden werden muß, <strong>in</strong>dem es auf e<strong>in</strong>er höherenentwicklungsebene gegen die massen organisiert und qualitativ verschiedendurchstrukturiert werden muß, dar<strong>in</strong>, daß die <strong>in</strong>stitutionellen,ökonomischen und politischen aspekte und selbst die struktur des staates<strong>in</strong> frage gestellt werden muß, dar<strong>in</strong> liegt das schwächste glied der kette:und nicht, weil es von hier an nur zur rekonstruktion, zu e<strong>in</strong>er stärkerenrepressiven struktur kommen kann. nicht weil das kapital <strong>in</strong> katastrophischespannungen verstrickt ist, sondern weil es genau der punkt ist, andem m<strong>in</strong>oritäre positionen des widerstands, proletarische politik, quantitativkle<strong>in</strong>e gruppen qualitative entwicklungen auslösen können, <strong>in</strong> denendie arbeiterklasse tendenziell stärker wird, wenn das kapital gezwungenwird, sich als motor der krise, ursache von zerstörung und elend zuzeigen. wenn es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ausdruck auf repression, den häßlichen staat,auf den staatlichen terror reduziert ist".393


4.2. Der Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hofAm Sonntag, 9. Mai 1976, wurde Ulrike Me<strong>in</strong>hof <strong>in</strong> den frühenMorgenstunden tot <strong>in</strong> ihrer Zelle gefunden. Sie h<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schl<strong>in</strong>ge ausHandtuchstreifen, die am Fenstergitter befestigt war. Schon knapp zweiStunden später wurde offiziellbekannt gegeben, Me<strong>in</strong>hof habe Selbstmorddurch Erhängen begangen. Bundesanwalt Kaul glaubte auch bereitsden Grund zu kennen: "Spannungen <strong>in</strong>nerhalb der Gruppe"; e<strong>in</strong>igenvon Me<strong>in</strong>hof h<strong>in</strong>terlassenen Briefen sei das e<strong>in</strong>deutig zu entnehmen374.Dievon Prof. Dr. Rauschke durchzuführende Obduktion hattezu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen.Am selben Tag hielten die Rechtsanwälte Croissant, Schily, Heldmann,Oberw<strong>in</strong>der, Ströbele und Prof. Azzola,drei ausländische Rechtsanwälte,der westdeutsche Arzt Stöwsand und die Schwester von UlrikeMe<strong>in</strong>hof, Wienke Zitzlaff,<strong>in</strong> Stuttgart e<strong>in</strong>e Pressekonferenz ab, auf derdie offizielleSelbstmordthese bezweifelt wurde. Die Rechtsanwälte teiltenmit, daß man ihnen, <strong>in</strong>sbesondere Croissant als dem TestamentsvollstreckerMe<strong>in</strong>hofs, und der Schwester Wienke Zitzlaffe<strong>in</strong>e Teilnahme ander Obduktion verweigert hatte. Sie durften die Leiche überhaupt nichtsehen. Auch die Zelle durften sie nicht besichtigen.Die ersten von den Behörden bekanntgegebenen Fakten über dieAuff<strong>in</strong>dung der Leiche ergaben fünf verschiedene Versionen, die e<strong>in</strong>anderausschlossen. Das von der BAWangeführte Motiv "Spannungen <strong>in</strong>der Gruppe" werteten die Anwälte aufgrund eigener Kenntnisse alsPropagandalüge. Der italienische Anwalt Giovanni Capelli, der Me<strong>in</strong>hofnoch zwei Tage zuvor besucht hatte, berichtete, sie habe ke<strong>in</strong>en lebensmüdenE<strong>in</strong>druck gemacht, vielmehr habe sie ihm mit Vehemenz undüberzeugung die politischen Vorstellungen der Gruppe erläutert. DerBericht, den Me<strong>in</strong>hof für die anderen Gefangenen über dieses Gesprächgeschrieben hatte, das letzte von ihr gefundene Schriftstück, konnte nurals Bestätigung von Capellis E<strong>in</strong>druck gesehen werden375.Am nächsten Tag hielten der Justizm<strong>in</strong>ister und die Staatsanwaltschaftdes Landes Baden-Württemberg e<strong>in</strong>e Pressekonferenz ab. Sie teiltenmit, daß die Obduktion gemäß den geltenden Vorschriften durchgeführtworden war, daß die Anwesenheit dritter Personen dabei nicht gestattetsei, weiter, daß nicht mehr zu rekonstruieren sei, an welchem der vielen<strong>in</strong> der Zelle gefundenen Papiere Me<strong>in</strong>hof zuletzt gearbeitet habe (siehabe noch bis etwa 22 Uhr getippt), daß es am Tage zuvor ke<strong>in</strong>ebesonderen Vorkommnisse gegeben habe, und daß ihnen von Spannungen<strong>in</strong> der Gruppe nichts bekannt sei. Aber selbst dann, "wennSpannungen da waren und so weit sie da waren, waren sie ja sicherschon ältere und länger zurückliegender Natur und haben ja bisher auchnicht zu der Reaktion geführt, mit der wir uns heute beschäftigen,,376.Auf394~.Iviele wichtige Fragen blieben die Veranstalter der Pressekonferenz dieAntwort schuldig.Am Dienstag, 11. Mai, g<strong>in</strong>g die Hauptverhandlung weiter. Der Senatwies den Antrag der <strong>Verteidigung</strong>, die Verhandlung wegen des TodesMe<strong>in</strong>hofs für zehn Tage zu unterbrechen, ohne Umschweife zurück.Daraufh<strong>in</strong> erklärten die Vertrauensanwälte, daß sie frühestens nach derBeisetzung Me<strong>in</strong>hofs wieder an der Verhandlung teilnehmen würden.Raspe gab e<strong>in</strong>e kurze Erklärung ab (Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Unterbrechungen s<strong>in</strong>dwegge1assen)377:"ich habe nicht viel zu sagen.wir glauben, daß ulrike h<strong>in</strong>gerichtet worden ist. wir wissen nicht, wie, aberwir wissen, von wem, und wir können das kalkül der methode bestimmen. icher<strong>in</strong>nere an herolds satz ,aktionen gegen die raf müssen immer so abgewickeltwerden, daß sympathisantenpositionen abgedrängt werden' und buback: ,derstaatsschutz lebt davon, daß sich leute für ihn engagieren. leute wie herold undich f<strong>in</strong>den immer e<strong>in</strong>en weg'.es war e<strong>in</strong>e kalt konzipierte h<strong>in</strong>richtung - wie holger h<strong>in</strong>gerichtet worden ist,wie siegfried hausner h<strong>in</strong>gerichtet worden ist.hätte ulrike sich entschlossen zu sterben, weil sie als letzte möglichkeit sah,sich - revolutionäre identität - gegen die langsame zerstörung des willens <strong>in</strong>der agonie der isolation zu behaupten - hätte sie es uns gesagt, auf jeden fallandreas: so war die beziehung.ich glaube, die h<strong>in</strong>richtung ulrikes jetzt - <strong>in</strong> diesem moment - hat ihrengrund <strong>in</strong> der kulm<strong>in</strong>ation - e<strong>in</strong>em ersten politischen durchbruch der <strong>in</strong>ternationalenause<strong>in</strong>andersetzung guerilla - imperialistischer staat bundesrepublik.darüber sprechen <strong>in</strong>formationen, über die ich jetzt nicht reden will.sie liegt aufder strategischen l<strong>in</strong>ie aller staatlichen bewältigungsversuche seit sechs jahren:physische und moralische vernichtung der raf, und sie zieltauf die guerillagruppen<strong>in</strong> der bundesrepublik, für die ulrike e<strong>in</strong>e wesentliche ideologische funktionhat.zu sagen ist noch die ganze zeit, die ich die beziehung zwischen ulrike undandreas kenne - und ich kenne sie seit sieben jahren - war ihr signal <strong>in</strong>tensitätund zärtlichkeit, sensibilität und genauigkeit.und ich glaube, daß es genau dieser charakter der beziehung war, aus demulrike die acht monate trakt durchgehalten hat.es war e<strong>in</strong>e beziehung, wie sie sich zwischen geschwistern entwickeln kannorientiertan e<strong>in</strong>em identischen ziel, als funktion dieser politik.so war sie frei - weil freiheit nur möglich ist: im kampf um befreiung.es gab <strong>in</strong> diesen jahren <strong>in</strong> ihrem verhältnis ke<strong>in</strong>en bruch. er wäre nichtmöglich gewesen, weil es bestimmt war über die politik der raf.und wenn <strong>in</strong> der gruppe überhaupt grundsätzlich widersprüche entstandens<strong>in</strong>d, waren sie def<strong>in</strong>iert durch konkrete praxis. <strong>in</strong> dem theoretischen arbeitsprozeß,wie er im gefängnis nur möglich ist, können sie aus der identischensituation des kampfes und der geschichte der gruppe ke<strong>in</strong>e basis haben. daßdas genauso war, beweisen die diskussionen, ulrikes briefe und manuskriptebis zum freitag abend. sie drücken den wirklichen charakter dieser beziehungaus.395


,~.Jjetzt ,spannungen', ,entfremdung' zwischen ulrike und andreas, zwischenulrike und uns zu behaupten, um mit dieser primitiven und dunklen <strong>in</strong>famiedas projekt der h<strong>in</strong>richtung ulrikes der psychologischen kriegsführung verfügbarzu machen: das ist buback. und es ist bubacks dummheit: ke<strong>in</strong>er dieserversuche hat bis jetzt zu was anderem geführt als zum immer deutlicherenbegriff der reaktion <strong>in</strong> der bundesrepublik als faschismus".Den letzten Satz konnte Raspe nicht mehr vortragen, weilihm" wegenfortgesetzter Beleidigung des Generalbundesanwalts" das Wort entzogenworden war.Enssl<strong>in</strong> verlas vor Gericht e<strong>in</strong>en Bericht, den sie geschrieben hatte,näcndem allen Mitangeklagten mitgeteilt worden war, daß Me<strong>in</strong>hof totsei378. Die vier Angeklagten hätten am Samstagmittag noch wie gewöhnlichUmschluß gehabt, über Texte von Gramsci und Len<strong>in</strong> diskutiert und- was vom Anstaltspersonal auch bestätigt wurde - wie üblich gelacht,berichtete Enssl<strong>in</strong>. Anschließend hätten sie noch abgesprochen, was fürMontag vorzubereiten war und daß am Sonntag e<strong>in</strong> von Me<strong>in</strong>hof zuschreibendes Papier diskutiert werden sollte. Noch gegen 22 Uhr habesie sich mit Me<strong>in</strong>hof durchs Zellenfenster darüber unterhalten, daß denGeräuschen nach zu schließen e<strong>in</strong> Hubschrauber gelandet se<strong>in</strong> müsse,was seit Monaten nicht mehr vorgekommen war. Nachts sei sie dannnoch e<strong>in</strong>mal von Musik aus Me<strong>in</strong>hofs Zelle geweckt worden, was schonhäufiger geschehen sei.Baader erhielt ke<strong>in</strong>e Möglichkeit,e<strong>in</strong>e Erklärung abzugeben, da er sichweigerte, das, was er zu sagen hatte, <strong>in</strong> den formalen Rahmen e<strong>in</strong>erergänzenden Begründung des von der <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>gereichten Antragsauf Unterbrechung der Verhandlung zu kleiden.Die meisten westdeutschen Zeitungen erschienen <strong>in</strong> jenen Tagenwegen e<strong>in</strong>es Druckerstreiks nicht; die Öffentlichkeitwar also auf Informationenaus Radio und Fernsehen angewiesen. Als die Zeitungen wiedernormal erschienen, stellte sich heraus, daß BAW oder BKA der Pressee<strong>in</strong>e Reihe von Fragmenten aus undatierten Briefen von Me<strong>in</strong>hof undEnssl<strong>in</strong> zugespielt hatte, denen entnommen werden konnte, daß eszwischen beiden erhebliche Spannungen gegeben hatte. Diese Ausschnittewurden mit den entsprechenden Kommentaren <strong>in</strong> allen großenZeitungen und später auch <strong>in</strong> der Illustrierten "Stern" wiedergegeben.Eventuelle Zweifel an der offiziellenSelbstmordthese wurden damit <strong>in</strong>den Bereich des Absurden gerückt. Die Verteidiger versuchten, dieserDiffamierung zu begegnen, <strong>in</strong>dem sie der Presse die Briefe, aus denendie Fragmente stammten, komplett fotokopiert zur Verfügung stelltenund <strong>in</strong>dem sie darauf h<strong>in</strong>wiesen, daß die Fragmente aus e<strong>in</strong>er über Jahreh<strong>in</strong>weg auf e<strong>in</strong>ige tausend Blatt angewachsenen Korrespondenz stammtenund ke<strong>in</strong>esfalls jüngeren Datums waren bzw. aus dem Nachlaßstammten, wie die BAWbehauptet hatte. Späteren Briefen sei e<strong>in</strong>deutigzu entnehmen, daß Me<strong>in</strong>hof und Enssl<strong>in</strong> die früher tatsächlich vorhan-396J'JIt !I,"~'•,f:~I~i'II~I~'I1~It ~;~jdenen persönlichen Spannungen auf die damals noch nicht erkanntenAuswirkungen der Isolationshaft zurückführten.Sechs Wochen vor ihrem Tod hatte Ulrike Me<strong>in</strong>hof e<strong>in</strong>em anderenGefangenen aus der RAF noch geschrieben:"folter ist ne waffe im krieg, den die counter-<strong>in</strong>surgency-masch<strong>in</strong>e aus bka,bundesanwaltschaft, justiz, vollzug, regierung, gegen uns führt. psychiatrischdurchkonstruierte folter die methode der sozialdemokratie. die verwissenschaftlichungder waffen die methode des imperialismus <strong>in</strong> der defensive. derlegitimationsverlust des systems erzw<strong>in</strong>gt unterschleichungsmethoden, methodender manipulation. gegenüber der öffentlichkeit machen sie das, <strong>in</strong>dem sie- so war das geplant - uns heimlich vernichten, um uns - kret<strong>in</strong>isiert ­vorzuführen, so daß die leute denken müssen, weil sie nicht wissen, wasdazwischen liegt - die folter - wir wären so: kret<strong>in</strong>s. die tücke ist, daß wo wirselbst nicht begreifen, was mit uns gemacht wird, das d<strong>in</strong>g auch läuft. so war esim turm - wie überhaupt <strong>in</strong> berl<strong>in</strong> die counter-<strong>in</strong>surgency-methoden durchexerziertworden s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> westdeutschland dann perfektioniert - so war es mitgudrun und mir".Die westdeutsche Presse ignorierte das von den Anwälten zur Verfügunggestellte Material völlig. Stattdessen erschienen die von der BAWoder dem BKA als "bisher unbekannte Dokumente" gelieferten Fragmenteam 9. bzw. 10.5.77 erneut <strong>in</strong> den Tageszeitungen "HamburgerMorgenpost" und "Frankfurter Rundschau": In groß aufgemachten Artikelnversuchte Ulrike Me<strong>in</strong>hofs früherer Ehemann Klaus Ra<strong>in</strong>er Röhl die"<strong>Stammheim</strong>er Mord-Legende" aus der Welt zu schaffen und Me<strong>in</strong>hofsMitangeklagte für ihren Tod direkt verantwortlich zu machen.Auf den ersten Blick mutet es merkwürdig an, daß - selbst <strong>in</strong> denÜberschriften dieser Artikel - von der "Mord-Legende" die Rede ist.Schließlich galt die Selbstrnordthese <strong>in</strong> der westdeutschen Presse alszweifelsfreibewiesen. Nicht nur die offizielleObduktion der Leiche hattediese These bestätigt, auch die im Auftrag von Wienke ZitzlaffdurchgeführteNachobduktion hatte ke<strong>in</strong>e Anhaltspunkte für e<strong>in</strong>e andere Interpretationder Todesursache ergeben, wenn auch berücksichtigt werdenmuß, daß die zweite Obduktion nicht vollständig se<strong>in</strong> konnte, weil diebei der ersten Obduktion vorgenommenen E<strong>in</strong>griffenicht mehr rückgängigzu machen und bestimmte Untersuchungen deshalb auch nicht mehrnachzuholen waren.Tenor und Tendenz der Artikel deuteten jedoch klar darauf h<strong>in</strong>, daßmit den "bisher unbekannten Dokumenten" vor allem das Ziel verfolgtwurde, Anwälte, Sympathisanten und kritische ausländische Stimmenzum Schweigen zu br<strong>in</strong>gen. In den zwölf Monaten seit Ulrike Me<strong>in</strong>hofsTod war es <strong>in</strong> der BRD und anderen westeuropäischen Ländern nichtnur zu vielen teils gewalttätigen Demonstrationen und zu Bombenanschlägenauf westdeutsche E<strong>in</strong>richtungen gekommen, es waren auchKomitees gebildet und Pressekonferenzen abgehalten worden. Im April77 hatte e<strong>in</strong> RAF-Kommando "Ulrike Me<strong>in</strong>hof" den GBA Buback auf397


••offener Straße erschossen. Im Ausland waren die von den Anwältenaufgezeigten Widersprüche, Ungereimtheiten und ungeklärten Fragenzum Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof bekannt geworden, die die Zweifel an derSelbstmordversion verstärkten. Dies alles, so "Frankfurter Rundschau"und "Hamburger Morgenpost", "obwohl der ,Spiegel', der für se<strong>in</strong>esorgfältigen Recherchen bekannt ist, alle diese Behauptungen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erAusgabe Nr. 35/76 widerlegte{. .. )".Es ist von politischem und geschichtlichem Interesse, ob e<strong>in</strong>e politischeGefangene sich selbst tötet oder ob sie ermordet wird, selbst wenne<strong>in</strong>e Selbsttötung angesichts vernichtender Haftbed<strong>in</strong>gungen ebenso e<strong>in</strong>staatliches Verbrechen wäre wie e<strong>in</strong> gedungener Mord. Auch aus diesenüberlegungen entschloß sich das Internationale Komitee für die <strong>Verteidigung</strong>politischer Gefangener <strong>in</strong> Westeuropa (IVK), <strong>in</strong> dem ich dieniederländische Sektion vertrat, im August 1976 zur Bildung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalenUntersuchungskommission aufzurufen. Unter Aufsicht dieserKommission, der 14 prom<strong>in</strong>ente westeuropäische Persönlichkeiten angehörten379,wurden zwei Jahre lang teils überaus mühsame Nachforschungenbetrieben. Die westdeutschen Behörden waren nicht zur Mitarbeitbereit, sie beh<strong>in</strong>derten dafür die Arbeit der Kommission38o. Dennochmachte die Kommission - alle<strong>in</strong> schon bei der genauen Betrachtungdes zur Verfügung stehenden offiziellenUntersuchungsmaterials ­zahlreiche beunruhigende Entdeckungen. E<strong>in</strong>e dieser Entdeckungenwurde erstmals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Presse mitteilung am 7.5.77 anläßlich des erstenTodestages von Ulrike Me<strong>in</strong>hof publiziert:"Die Obduktionsgutachten weisen aus, daß den Obduzenten e<strong>in</strong> bereitsverfälschtes Strangwerkzeug vorgelegt worden ist. Bei der Erstbesichtigung derLeiche h<strong>in</strong>g diese <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schlaufe von ca. 80 cm Länge, die e<strong>in</strong>en Kreisdurchmesservon ca. 26 cm aufwies. Dem Obduzenten wurde aber e<strong>in</strong>e Schlaufevon nur 51 cm vorgelegt. In e<strong>in</strong>er Schlaufe dieser Länge iste<strong>in</strong> Erhängungsvorgangvorstellbar. Sie schließt sich eng um den Hals, der Kopf kann aus ihr nichtherausfallen. Tatsächlich aber - die vorgelegten Photografien und die Maßangabenbei der Erstbesichtigung bestätigen dies - war die Schlaufe so groß, daßbei e<strong>in</strong>tretender Bewußtlosigkeit der Kopf durch das Körpergewicht aus derSchlaufe herausfallen mußte. Dieses Problem konnte vom Gutachter durchdie Kürzung des vorgelegten Strangwerkzeugs nicht erkannt werden. Deshalbwurde e<strong>in</strong>e völlig willkürlicheDarstellung bei den E<strong>in</strong>zelheiten über den angeblichenSelbstmord gegeben".Dieser weit verbreitete Pressebericht wurde von den westdeutschenMedien vollständig ignoriert, und auch die übrigen westeuropäischenMedien widmeten ihm so gut wie ke<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit.Dasselbe Schicksal war dem erst im Januar 1979 im französischenVerlag Maspero herausgegebenen Abschlußbericht der Kommission beschieden381.Zu berücksichtigen bleibt dabei jedoch, daß der Tod vonUlrike Me<strong>in</strong>hof <strong>in</strong>zwischen durch die "Selbstmorde" ihrer drei MitgefangenenAndreas Baader, Gudrun Enssl<strong>in</strong>und Jan Carl Raspe überschattet398wurde (siehe Kap. VIII,5). In ihrem 80 Seiten umfassenden Abschlußberich~<strong>in</strong> dem das mediz<strong>in</strong>ische und krim<strong>in</strong>alistische Untersuchungsmaterialanalysiert wird, kam die Kommission zur Untersuchung des Todesvon Ulrike Me<strong>in</strong>hof zu folgenden Schlußfolgerungen:"Die Behauptung der staatlichen Behörden, UlrikeMe<strong>in</strong>hof habe sich durchErhängen selbst getötet, ist nicht bewiesen, und die Ergebnisse der Untersuchungender Kommission legen den Schluß nahe, daß sich Ulrike Me<strong>in</strong>hofnicht selber erhängen konnte.Die Ergebnisse der Untersuchungen legen vielmehr den Schluß nahe, daßUlrike Me<strong>in</strong>hof tot war, als man sie aufhängte, und daß es beunruhigendeIndizien gibt, die auf das E<strong>in</strong>greifen e<strong>in</strong>es Dritten im Zusammenhang mitdiesem Tode h<strong>in</strong>weisen.Die Kommission kann ke<strong>in</strong>e sichere Aussage über die Todesumstände vonUlrike Me<strong>in</strong>hof machen. Trotzdem ist jeder Verdacht gerechtfertigt angesichtsder Tatsache, daß die Geheimdienste - neben dem Gefängnispersonal ­Zugang hatten zu den Zellen des 7. Stocks, und zwar durch e<strong>in</strong>en getrenntenund geheimen E<strong>in</strong>gang"382.Auch englische Ärzte kamen aufgrund ihrer Analyse der Obduktionsgutachtenzu der Schlußfolgerung, daß Ulrike Me<strong>in</strong>hof nicht durchSelbsterhängung zu Tode gekommen se<strong>in</strong> konnte; die festgestelltenWidersprüche seien jedoch erklärbar, wenn man von Fremde<strong>in</strong>wirkung,wahrsche<strong>in</strong>lich Tod durch Erwürgen, ausgehe:"Die behördliche Obduktion erwähnt <strong>in</strong> dem Bericht, daß Ulrike Me<strong>in</strong>hofsLeichnam mit der l<strong>in</strong>ken Ferse immer noch auf dem Stuhl ruhend gefundenwurde, auf den sie angeblich gestiegen war, um sich zu erhängen. MitanderenWorten, e<strong>in</strong> ,Fallen' des Körpers aus nennenswerter Höhe hat nicht stattgefunden.Wenn dies Selbstmord war, dann hätte die Todesart mit höchster Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitTod durch Asphyxie, durch Erstickung, se<strong>in</strong> müssen, und nichtdie häufigere Ausrenkung des Rückgrats im Bereich der oberen Halswirbel,wie sie beim gerichtlichen Tod durch den Strang erfolgt (Tatsächlich waren dieHalswirbel nicht gewaltsam verschoben - Anm.d.Obers. ). E<strong>in</strong>es der wichtigstenKennzeichen der Strangulationsaphyxie ist die Verh<strong>in</strong>derung des Rückfließensvon Blut aus dem Kopf.Das Merkmal e<strong>in</strong>er solchen Verh<strong>in</strong>derung ist das Vorhandense<strong>in</strong> von Blutungen<strong>in</strong> den Augenb<strong>in</strong>dehäuten. Beide Obduktionsbefunde erwähnen, daßke<strong>in</strong>e solchen Blutungen gefunden wurden.Noch auch war <strong>in</strong> den Befunden das Vorquellen der Augen oder der Zungeoder Cyanose (blaue Verfärbung) des Gesichtszustandes zu f<strong>in</strong>den, wie siebeim Erstickungstod allgeme<strong>in</strong> zu sehen s<strong>in</strong>d.Obwohl das Zungenbe<strong>in</strong> an der Zungenwurzel gebrochen war, fand sichke<strong>in</strong>e Quetschung am Hals im Bereich der E<strong>in</strong>schnürung, die der ,Handtuchstrick'gemacht hatte, mit dem sich die Gefangene angeblich erhängt habensoll. Diese negativen Befunde s<strong>in</strong>d, um das allerm<strong>in</strong>deste zu sagen, ungewöhnlichfür e<strong>in</strong>en Tod durch Asphyxie. H<strong>in</strong>gegen passen sie <strong>in</strong>s Bild des Todesdurch Beh<strong>in</strong>derung des Vagus, d.h. Tod durch Druck auf die Carotis (Halsschlagader),der als Reflex zum Stillstand des Herzens führen kann"383.Auch der österreichische Professor für Pathologie und Anatomie, Prof.399


Dr. Jarosch, Direktor des Gerichtslaboratoriums <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z, kam zu derSchlußfolgerung, daß es aufgrund des Obduktionsgutachtens nicht gerechtfertigtwar, davon auszugehen, daß Me<strong>in</strong>hof vor der Aufhängungnoch lebte. Gleichzeitig schloß er e<strong>in</strong>en Tod durch Ersticken mit Sicherheitaus384. Se<strong>in</strong> Sekundärgutachten wies e<strong>in</strong>deutig <strong>in</strong> Richtung Toddurch Erwürgen.Der westdeutsche Neurologe und Psychiater Dr. H. J. Meyer kamnach dem Studium des gesamten zur Verfügung stehenden Untersuchungsmaterialsunter allen der Kommission vorgelegten Gutachten zuder e<strong>in</strong>deutigsten Schlußfolgerung: Zum Zeitpunkt der Aufhängung lebteMe<strong>in</strong>hof schon nicht mehr:400"Das Erhängungswerkzeug (die Schlaufe) war nicht, wie es im Obduktionsberichtheißt, 26 und 25 cm (51 cm) lang. Tatsächlich gibt Prof. Rauschke <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Bericht von der rechtsmediz<strong>in</strong>ischen Leichenschau, die zwei Stundenvor der Obduktion stattfand, als Maß zweimal 34 cm (68 cm) an. Der Strang istalso zwischen den beiden Messungen verkürzt worden.Die erstgenannte Messung (51 cm) wurde vorgenommen, nachdem derStrang beim Herunternehmen der Leiche durchtrennt worden war. DerSchnitt wurde im Abstand von 1 cm vom Aufhängepunkt am Fenstergittergemacht. Die 26 und 25 cm s<strong>in</strong>d also die Maße der Strangstücke vom nichtgeöffneten Doppelknoten bis zur Schnittstelle. Die zweitgenannte Messung (68cm), die vorgenommen wurde, während die Leiche noch h<strong>in</strong>g, ist e<strong>in</strong>e mit 2multiplizierte (gerade) Strecke: der Abstand zwischen dem Aufhängepunkt desStranges am Gitter und dem Doppelknoten, der die Schlaufe unter dem K<strong>in</strong>nzusammenschloß.Allerd<strong>in</strong>gs gibt dieses Maß immer noch nicht die ursprüngliche Länge derSchlaufe an, denn es berücksichtigt den tatsächlichen Verlauf der Schlaufe umden Hals nicht. Um diese Länge zu erhalten, muß man an jeder Seite bis zu 6cm h<strong>in</strong>zurechnen, also bis zu 12 cm. Die ursprüngliche Schlaufe maß alsoungefähr 80 cm (68 und 12 cm). In solch e<strong>in</strong>er Schlaufe wurde UlrikeMe<strong>in</strong>hofaufgehängt.Indem man den Gutachtern e<strong>in</strong>e Schlaufe von 51 cm Umfang vorlegte, d.h.e<strong>in</strong>e um e<strong>in</strong>en Anteil von 29 cm (80 -51 cm) verkürzte Schlaufe, h<strong>in</strong>derte mansie daran, überhaupt die Problematik der Aufhängung von Frau Me<strong>in</strong>hof zuerkennen und führte sie <strong>in</strong> die Irre. Dadurch kamen Mallach und Rauschke zuihrer Darstellung des Erhängungsvorganges, die nur unter der Voraussetzung,daß die Schlaufe so kurz war, wie sie bei der Sektion vorlag - 51 cm - richtigwar"385Aufgrund obiger Befunde kam Meyer zu folgenden überlegungen:"E<strong>in</strong>gangs wurde bereits darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß die Erhängungssituationdadurch falsch dargestellt worden ist, daß man die Schlaufe, <strong>in</strong> der UlrikeMe<strong>in</strong>hof h<strong>in</strong>g, um 29 cm verkle<strong>in</strong>ert hat. Tatsächlich wurde Ulrike Me<strong>in</strong>hof <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e Schlaufe gehängt, die e<strong>in</strong>en Umfang von 80 - 82 cm hatte und demgemäße<strong>in</strong>en Kreisdurchr;nesser von 26 cm. Jedermann kann sich leicht davonüberzeugen, daß e<strong>in</strong>e Schlaufe von diesem Durchmesser leicht über den Kopfgestreift werden kann und daß man den Kopf ebenso leicht wieder herausziehenkann. Tatsächlich handelt es sich bei e<strong>in</strong>er solchen Schlaufe im Pr<strong>in</strong>zip umnichts anderes als um e<strong>in</strong>e Glissonschl<strong>in</strong>ge, deren Anwendung <strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong>sehr verbreitet ist und bei der ke<strong>in</strong>e Gefahren bestehen. Um sich <strong>in</strong> ihr zuerhängen, muß man den Kopf nach vorne nehmen und das K<strong>in</strong>n auf die Brustführen, weilsonst die Schl<strong>in</strong>ge ke<strong>in</strong>en Halt für den Körper hat. Diese Kopf-undK<strong>in</strong>nhaltung kann man jedoch nur so lange beibehalten, als man noch beiBewußtse<strong>in</strong> ist. Mit E<strong>in</strong>tritt der Bewußtlosigkeit aber s<strong>in</strong>d Willkürbewegungennicht mehr möglich, der Muskeltonus verschw<strong>in</strong>det <strong>in</strong> zunehmendem Maße,und die so hängende Person fällt aus der Schl<strong>in</strong>ge heraus, gemäß dem Zug,den der hängende Körper auf den Kopf ausübt. Der Kopf würde nach h<strong>in</strong>tengeneigt, die Schl<strong>in</strong>ge würde das K<strong>in</strong>n und den Kopf ebenfalls nach obendrücken. Damit wäre e<strong>in</strong>e Fixierung der Schl<strong>in</strong>ge am Hals nicht mehr möglich.Die Schl<strong>in</strong>ge würde auch ke<strong>in</strong>e Strangulierungsmarke wie die, die bei U. M.bestand, hervorrufen können, denn sie liegt um den vorderen Teil des Halsesund würde sich über den seitlichen Halsteil frei h<strong>in</strong>wegspannen, weil sieause<strong>in</strong>andergehen muß, denn sie wird nicht um den H<strong>in</strong>terkopf herumgeführt.Sie könnte wahrsche<strong>in</strong>lich noch nicht e<strong>in</strong>mal zur Drosselung der Blutgefäßeführen.Ganz anders liegen die Verhältnisse, wenn die Schl<strong>in</strong>ge nur e<strong>in</strong>en Umfangvon 51 cm hat. Dann kann der Kopf nicht mehr durchgesteckt werden undebenfalls nicht mehr herausfallen. Der Aufhängepunkt liegt dann auch nichtmehr <strong>in</strong> der Höhe des H<strong>in</strong>terkopfes, sondern h<strong>in</strong>ter dem Hals, führt tatsächlichzu e<strong>in</strong>er tiefen Strangmarke auch seitlich am Hals. Dieser E<strong>in</strong>druck wurde denGutachtern auch durch die Verkürzung des Schlaufenumfanges erweckt. Erentspricht aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.Die Aufhängung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er so weiten (80-82 cm) Schl<strong>in</strong>ge ist nach dem obenAusgeführten nicht nur e<strong>in</strong> wenig taugliches Mittelzur Erhängung e<strong>in</strong>es Menschen,sondern ist auch nicht geeignet dazu, e<strong>in</strong>e Leiche stundenlang <strong>in</strong> derHängelage zu halten, denn sie würde nach den gleichen physikalischen Gesetzenaus der Schl<strong>in</strong>ge herausfallen wie der lebende Mensch, soweit er bewußtlosist. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>igermaßen sichere Aufhängung ist nur dann möglich, wennman die Totenstarre dazu benutzt, den Kopf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Haltung zu br<strong>in</strong>gen, durchdie die Schlaufe nicht mehr abgestreift werden kann. Man muß dazu den Kopfganz leicht nach vorne nehmen und vor allem das K<strong>in</strong>n auf die Brust führen, sodaß K<strong>in</strong>n und Hals e<strong>in</strong>e R<strong>in</strong>ne bilden, <strong>in</strong> der der Strick liegen kann, ohne denKopf herauszuwerfen. MitHilfe der Totenstarre lassen sich die Kopfhaltungenimitieren, die es dem lebenden, noch nicht bewußtlosen Menschen auchermöglichen, <strong>in</strong> der Schl<strong>in</strong>ge zu hängen. Diese Erhängung ist e<strong>in</strong>igermaßenstabil, solange die Totenstarre anhält, kann aber <strong>in</strong> der Zeit der Tonuserschlaffungvor E<strong>in</strong>tritt der Leichenstarre nicht bestanden haben. Im Fall der U. M.sche<strong>in</strong>en denen, die sie erhängt haben, auch Zweifel an der Stabilität derAufhängung gekommen zu se<strong>in</strong>. Jedenfalls haben sie die Aufhängung dadurchstabiler gemacht, daß sie den l<strong>in</strong>ken Fuß der Leiche auf den vor ihr stehendenStuhl aufsetzten. In der Leichenstarre wirkt das ausgestreckte Be<strong>in</strong> wie e<strong>in</strong>Holzstab, mit dem man e<strong>in</strong> darüberliegendes Gewicht stützen kann. Dadurchwurde e<strong>in</strong> Teildes Körpergewichts abgestützt und die Zugkraft des hängendenKörpers verm<strong>in</strong>dert. Weiterh<strong>in</strong> wurden die Schultern der Leiche nach vomgenommen, sodaß das Gegengewicht gegen die Zugkraft vergrößert wurde.Daß das l<strong>in</strong>ke Be<strong>in</strong> erst im Zustand der Leichenstarre auf den Stuhl gesetzt401


wurde, erkennt man daran, daß der Fuß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er normalen Haltung gebliebenist. Hätte er unmittelbar nach dem Tode bereits so gestanden, dann wäre imStadium der Tonusaufhebung der Fuß umgeknickt und durch die Leichenstar ­re <strong>in</strong> dieser Haltung fixiert worden. Das war aber nicht der Fall.In dem Arrangement von Leiche, Stuhl und Stuhlunterlagen hat der Stuhle<strong>in</strong>e Stützfunktion für die Leiche. Das erkennt man auch daran, daß außer derMatratze noch Wolldecken unter den Stuhl gelegt wurden, damit das Podestdie genügende Höhe für das l<strong>in</strong>ke Be<strong>in</strong> bekam. Daß diese Stützfunktion auchwirkte, erkennt man im übrigen auch daran, daß die rechte Stuhlseite deutlichtiefer steht als die l<strong>in</strong>ke, neben der der rechte Fuß herunterhängt.Was das Erhängungswerkzeug selbst betrifft, ersche<strong>in</strong>t es ganz klar, daß e<strong>in</strong>Strang von solcher Länge (80 cm für die Schlaufe, ohne den Doppelknotenund die beiden freien Enden mitzurechnen, die für unsere Darstellung nichterwähnt zu werden brauchten) nicht aus e<strong>in</strong>em Streifen, der von e<strong>in</strong>emHandtuch von 75 cm Länge abgerissen worden war, ohne e<strong>in</strong>e Naht hergestelltwerden konnte. Dies ist e<strong>in</strong> weiterer Punkt, <strong>in</strong> dem die offizielleBerichterstattungfragwürdig ist. Und das zerschnittene Handtuch sowie se<strong>in</strong>e Lage überdem Fensterrahmen unmittelbar l<strong>in</strong>ks von der Leiche hatten ja wohl denZweck, bei der Auff<strong>in</strong>dung der Leiche den E<strong>in</strong>druck des Selbstmordes zuverstärken. Dieser E<strong>in</strong>druck würde sofort durch die Kenntnis der Maße desStrangwerkzeuges zerstört.Merkwürdigerweise hat niemand daran gedacht, die Länge des Strangwerkzeugeszu messen. Rauschke begnügte sich mit der Messung e<strong>in</strong>es Abstandes.Bei ke<strong>in</strong>er amtlichen Erwähnung der Maße des Strickes wird e<strong>in</strong>e Stricklängegenannt, die größer als 73 cm ist"386.Von den vielen im Abschlußbericht der Kommission aufgeführtenWidersprüchen und Ungereimtheiten der krim<strong>in</strong>alistischen Untersuchungwerden hier zur Illustration nur drei Beispiele genannt:402Der als Strangwerkzeug dienende Handtuchstreifen war ohne geeigneteHilfsmittel nicht an dem Fenstergitter zu befestigen.,Das Maschengitter hat Quadrate von 9mm/9mm - es ist unmöglich, ohneHilfs<strong>in</strong>strument e<strong>in</strong>en derartigen Streifen durch das Gitter nach außen, ume<strong>in</strong>e Strebe herum und wieder nach <strong>in</strong>nen zu ziehen. E<strong>in</strong> dazu geeignetesInstrument, wie P<strong>in</strong>zette zum Beispiel, wurde nicht gefunden ...Um den gedrehten Strick durch das Gitter wieder nach <strong>in</strong>nen ziehen zukönnen, ist e<strong>in</strong>e P<strong>in</strong>zette notwendig. Mit ke<strong>in</strong>em anderen Instrument (wieGabelILöffel) klappt es, da die Quadrate zu kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d' (Aus den Mitteilungender <strong>Stammheim</strong>er Gefangenen).Zum Bericht der Krim<strong>in</strong>al-Technischen Untersuchungsstelle (KTU) Stuttgartvom 11.5.76 bemerkte Jürgen Saupe: "Zum Strangwerkzeug: Die Kripof<strong>in</strong>det <strong>in</strong> der Zelle 719 (<strong>in</strong> der Ulrike Me<strong>in</strong>hof starb, Anm.d.Obers.) unteranderem zwei blaukarierte Handtücher. E<strong>in</strong>es ist 45 mal 75 cm groß und zeigt,Fremdanhaftung'. E<strong>in</strong> zweites - offenbar ohne ,Fremdanhaftung', also sauber- ist 38 mal 75 cm groß. Von se<strong>in</strong>er ,Breitseite', so die krim<strong>in</strong>altechnischeUntersuchungsstelle Stuttgart, ,wurde e<strong>in</strong> Streifen abgeschnitten. Bei demabgeschnittenen Streifen dürfte es sich mit Sicherheit um das Tatmittel hande<strong>in</strong>'.Wenn man davon ausgeht, daß die Anstaltshandtücher alle gleich großs<strong>in</strong>d, so wäre e<strong>in</strong> 7 cm breiter Streifen von dem zweiten Handtuch abgetrenntworden387.Da das Strangwerkzeug aber nur 4 cm breit ist, fehlt e<strong>in</strong> 3 cm breiterHandtuchstreifen. In der Zelle wurde er nicht gefunden. Gefunden wurden <strong>in</strong>der Zelle von Frau Me<strong>in</strong>hof als e<strong>in</strong>zige Schneidewerkz~uge e<strong>in</strong>e Schere unde<strong>in</strong> Besteckmesser. Bei der krim<strong>in</strong>alistischen Untersuchung konnten an beidenke<strong>in</strong>e Textilfasern nachgewiesen werden388"389Bei der am 10.5. 76 stattf<strong>in</strong>denden Untersuchung von Me<strong>in</strong>hofs Zellehatte man <strong>in</strong> der Schreibtischlampe e<strong>in</strong>e Glühbirne mit Spuren vonF<strong>in</strong>gerabdrücken gefunden und an die krim<strong>in</strong>altechnische Untersuchungsstelledes BKAgeschickt39o. Tags zuvor hatte Renate Frede, Assistent<strong>in</strong>zur Anstellung im Strafvollzugsdienst, bei ihrer ersten Vernehmungdurch die Kripo erklärt:"Entsprechend der Anordnung der VZA(Vollzugsanstalt- BS) <strong>Stammheim</strong>habe ich gestern abend um 22 Uhr die Zelle der Frau Enssl<strong>in</strong> und der FrauMe<strong>in</strong>hof geöffnet, um mir wie jeden Tag die Neonröhren und Glühbirnen vonden Beleuchtungskörpern <strong>in</strong> den Zellen geben zu lassen"391In Me<strong>in</strong>hofs Zelle hätte also ke<strong>in</strong>e Glühbirne se<strong>in</strong> dürfen. Den Widerspruch,den die Anwälte so bald wie möglich öffentlichbekannt machten,erklärten die staatlichen Behörden mit der Vermutung, Me<strong>in</strong>hof müssedie Glühbirne versteckt gehalten haben. Fest steht, daß Me<strong>in</strong>hof ­e<strong>in</strong>mal angenommen, sie habe sich selbst erhängt - die Lampe imentscheidenden Augenblick nicht benutzt haben kann, da am Morgendes 9.5.76 ke<strong>in</strong> Licht <strong>in</strong> ihrer Zelle brannte392. Bedeutungsvoller istjedoch das Ergebnis der daktyloskopischen Untersuchung: Es handelesich zwar um "Fragmentabdrücke, die nicht für Identifikationszweckegeeignet s<strong>in</strong>d", dennoch sei festzustellen, daß Vergleiche mit f<strong>in</strong>gerabdrückenvon Me<strong>in</strong>hof "ke<strong>in</strong>e Anhaltspunkte für übere<strong>in</strong>stimmung" ergebenhätten393.Das letzte Beispiel betrifft die Kleidung der Verstorbenen. Der JournalistJürgen Saupe berichtet <strong>in</strong> der l<strong>in</strong>ken Monatszeitschrift "Konkret" imSeptember 1976 unter der überschrift "Fakten zum Vorwurf Mord":"Aus den Protokollen der Vernehmungen und Aussagen von Gudrun Enssl<strong>in</strong>geht hervor, daß Ulrike Me<strong>in</strong>hof am Abend mit e<strong>in</strong>er verwaschenen Jeanshoseund e<strong>in</strong>er roten Bluse bekleidet war. Als man sie erhängt fand, trug siee<strong>in</strong>e schwarze Cordhose und e<strong>in</strong>e graue langärmelige Baumwollbluse. Sobleiben zwei Fragen: 1. Warum zieht sich jemand um, der sich aufhängen will?2. Warum wurde von Kripo und Staatsanwaltschaft nicht festgestellt, wo dievon Ulrike Me<strong>in</strong>hof am Abend getragenen Kleidungsstücke gebliebens<strong>in</strong>d? "394.Nach der Wiedergabe der Sekundäranalysen der mediz<strong>in</strong>ischen undkrim<strong>in</strong>alistischen Untersuchungsunterlagen f<strong>in</strong>det sich im Abschlußberichtder Kommission folgendes Zwischenergebnis:"Aus der Zusammenschau der aufgeführten und von uns belegten Widersprüche,Fakten und Indizien sowohl auf der mediz<strong>in</strong>ischen wie auf der krim<strong>in</strong>alistischenEbene muß Selbstmord als Todesursache ausgeschlossen werden.Selbst e<strong>in</strong> deutsches Gericht erkannte an, daß die logische Konsequenz403


aus der Zusammenstellung dieser Fakten, die zu ziehen jeder durchschnittlicheLeser fähig wäre, die Erhebung des Mordvorwurfs se<strong>in</strong> müßte3% Es wies mitdieser Begründung den Anspruch auf Gegendarstellung zurück, den JürgenSaupe gegen die ,Bunte' geltend machen wollte, da diese <strong>in</strong> der Ausgabe vom4.11. 76 behauptet hatte, Jürgen Saupe habe ,noch <strong>in</strong> der Septembemummerdes l<strong>in</strong>ksradikalen Magaz<strong>in</strong>s ,konkret' zu beweisen versucht, daß UlrikeMe<strong>in</strong>hof <strong>in</strong> ihrer Zelle ermordet worden sei'. Das Gericht g<strong>in</strong>g damit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>enSchlußfolgerungen weiter als Saupe selbst, der nach eigenem Verständnis <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Artikel ,Fakten zum Vorwurf Mord' ,lediglich auf Nachlässigkeiten,Widersprüche und Ungereimtheiten bei den Ermittlungen der Todesursachevon Ulrike Me<strong>in</strong>hof' h<strong>in</strong>weisen wollte. Das Resultat der dargelegten Untersuchungenist notwendigerweise die Annahme, daß Ulrike Me<strong>in</strong>hof aufgrundvon Fremde<strong>in</strong>wirkung starb. Hiermit wird die Frage zentral, wer <strong>in</strong> der Nachtvom 8. auf den 9.5.76 Zugang zur Zelle von Ulrike Me<strong>in</strong>hof gehabt habenkönnte; e<strong>in</strong>e Frage, der die Staatsanwaltschaft zu ke<strong>in</strong>em Zeitpunkt ihrerErmittlungen nachgegangen ist"396E<strong>in</strong>e Beantwortung der letzten Frage muß spekulativ bleiben, da es bisheute an e<strong>in</strong>deutigen Indizien fehlt. Anfänglich wußte man nicht mehr,als daß mehrere zu den Zellentüren der Angeklagten passende Schlüsselim Umlauf waren und daß - e<strong>in</strong>em der beiden <strong>in</strong>jener Nacht diensttuendenWachbeamten zufolge - die Tür zwischen dem Dienstraum derBeamten und dem Gang, an dem die Zellen der Angeklagten lagen,nachts normalerweise verschlossen war397.Am 17.3.77 gaben der Justizm<strong>in</strong>ister und der Innenm<strong>in</strong>ister des LandesBaden-Württemberg, Bender und Schieß, auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenzöffentlich zu, daß mehrmals seit 1975 im 7. Stock des <strong>Stammheim</strong>erGefängnisses Gespräche zwischen Verteidigern und Angeklagten abgehörtworden waren (siehe Kap. VIlI.2). Die Angeklagten hatten übrigensschon zu Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung erklärt, ihnen sei bekannt, daßihre Gespräche untere<strong>in</strong>ander und mit den Verteidigern abgehört würden- was damals noch "als die übliche Propaganda gegen die BRD"abgetan worden war. Die nicht weiter beschriebene Abhöranlage warohne Wissen des Anstaltspersonals von e<strong>in</strong>em Agenten des Bundesnachrichtendienstes(BND) <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem Bundesamt fürVerfassungsschutz <strong>in</strong>stalliert worden. Damit stand fest, daß zum<strong>in</strong>destdie genannten Geheimdienste ungeh<strong>in</strong>derten und unkontrollierten Zugangzum 7. Stock hatten, <strong>in</strong> dem die Angeklagten untergebracht waren.Die Angeklagten und ihre Verteidiger brachten diese nun offiziellbestätigten Fakten mit e<strong>in</strong>er direkt neben Me<strong>in</strong>hofs Zelle liegenden normalerweiseunbenutzten Tür <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung, die zu e<strong>in</strong>er Feuertreppeführte, welche wiederum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Innenhof des Gefängniskomplexesbegann. Bereits unmittelbar nach dem Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof hattendie Anwälte vergeblich versucht, das Vorhandense<strong>in</strong> dieser Tür <strong>in</strong> derÖffentlichkeit bekannt zu machen.404Hierzu folgendes aus e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternen Papier ("die facts") zum Tode vonUlrike Me<strong>in</strong>hof, das die drei verbliebenen Angeklagten Mitte Mai 1976 denVerteidigern überließen: " - der hubschrauber am samstagabend. (dazu istauch wichtig: unmittelbar neben den zellen von 4 und 9 ist (,e<strong>in</strong>treppenhaus,das - jedenfalls hier im 7. stock - nicht benutzt wird)".Der Verdacht g<strong>in</strong>g dah<strong>in</strong>, daß am Samstagabend e<strong>in</strong> spezielles Killerkommandomit e<strong>in</strong>em Hubschrauber <strong>in</strong> der Nähe des <strong>Stammheim</strong>erGefängnisses gelandet und dann <strong>in</strong> der Nacht zum Sonntag unbemerktüber den Innenhof, die Feuertreppe und durch die "normalerweise nichtbenutzte" Tür <strong>in</strong> den 7. Stock und <strong>in</strong> Me<strong>in</strong>hofs Zelle gelangt war.Auch im März 1977, nach dem m<strong>in</strong>isteriellen E<strong>in</strong>geständnis des Abhörskandals,sahen sich die Medien nicht veranlaßt, diese Tür <strong>in</strong> ihrenBerichten zu erwähnen, ebensowenig wie im Oktober 1977, als Schilyauf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 19.10. 77 nach dem Tod von Baader,Enssl<strong>in</strong> und Raspe zum drittenmal nachdrücklich auf das Vorhandense<strong>in</strong>dieser Zugangsmöglichkeit verwies398.Erst am 4. 11. 77 war <strong>in</strong> der "Frankfurter Rundschau" zu lesen:"Bei e<strong>in</strong>er Ortsbesichtigung des Zellentrakts im 7. Stock der Vollzugsanstalt,<strong>in</strong> dem die Terroristen <strong>in</strong>haftiert waren, entdeckten die baden-württembergischenLandtagsabgeordneten e<strong>in</strong>e zweite Tür, die direkt vom ,Umschlußraum', wo sich die Gefangenen treffen konnten, <strong>in</strong> den Gefängnishof führt. Eshandelt sich um die Tür zu e<strong>in</strong>er Feuertreppe mit Türen <strong>in</strong> jedem Stockwerk,die allerd<strong>in</strong>gs von <strong>in</strong>nen gar nicht und von außen nur mit e<strong>in</strong>em besonderenSchlüssel geöffnet werden können. Sollte diese Tür zum 7. Stock doch geöffnetwerden, so schrillt e<strong>in</strong>e Alarmanlage, die aber - wie e<strong>in</strong>geräumt wurde ­auch abgestellt werden kann. Die Tür zur Feuertreppe, die <strong>in</strong> den Zellenflur,der auch als ,Umschlußraum' diente, mündet, konnte nicht vom normalenWachraum e<strong>in</strong>gesehen werden, <strong>in</strong> dem sich das Wachpersonal auch währendder Nacht zum 18. 10. aufhielt. Bisher war immer versichert worden, es gäbenur e<strong>in</strong>en Zugang zum 7. Stock"399Schon vor dem Bekanntwerden der Abhöraffäre <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> warendie westdeutschen Geheimdienste sowie der für sie verantwortlicheBundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Maihofer anläßlich des sogenannten Lauschangriffsaufden Atomwissenschaftler Dr. Klaus Traube <strong>in</strong>s Gerede gekommen.Am 26.2.77 hatte der ,,spiegel" e<strong>in</strong>en gut dokumentierten Artikelveröffentlicht, <strong>in</strong> dem über e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Sylvesternacht 1976/77 vomwestdeutschen Geheimdienst verübten E<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> die Wohnung Traubesberichtet wurde. Die E<strong>in</strong>brecher hatten dort Abhörgeräte <strong>in</strong>stalliert.Wenige Wochen danach sei dann erneut e<strong>in</strong>gebrochen worden, um dieGeräte wieder zu entfernen, da das Abhören zu ke<strong>in</strong>em Ergebnis geführthatte400. Der "Spiegel" hatte die Informationen offensichtlich von Personenerhalten, die mittelbar oder unmittelbar mit dem Staatsschutz zu tunhatten. Anlaß für den rechtlich unzulässigen "Lauschangriff", der MaihofersZustimmung hatte, war die Befürchtung, Traube könne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zuerwartende Befreiungsaktion für Gefangene aus der RAFverwickelt se<strong>in</strong>.405


Diese Befürchtung stützte sich auf das Wissen um die freundschaftlicheBeziehung Traubes zu e<strong>in</strong>er Rechtsanwält<strong>in</strong>, die früher Gefangene verteidigthatte, die mit der RAF<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht wurden, und über dieTraube im Herbst 1975 mit Hans Joachim Kle<strong>in</strong><strong>in</strong> Kontakt kam. Kle<strong>in</strong>warspäter untergetaucht und hatte Ende Dezember zu dem aus Paläst<strong>in</strong>ensern,Late<strong>in</strong>amerikanern und Westdeutschen zusammengesetzten Kommandogehört, das die <strong>in</strong> Wien tagenden OPEC-M<strong>in</strong>ister für kurze ZeitalsGeiseln nahm.Wochenlang war die Berichterstattung über den "Fall Traube" auf denTitelseiten zu f<strong>in</strong>den; auch wurde heftig über e<strong>in</strong>e eventuelle Kab<strong>in</strong>ettskrisespekuliert, unter anderem wegen zahlreicher sich e<strong>in</strong>ander widersprechenderErklärungen der verschiedenen verantwortlichen Politiker401.Dann kamen auch Gerüchte auf, daß es noch andere Abhöraktionen,u. a. auch <strong>in</strong> Gefängnissen, gegeben habe. Ausgehend von diesen Gerüchtenstellte Schily am 15.3.77 <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> den Antrag, Maihoferzum Beweis der Tatsache, daß auch <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> Gespräche abgehörtworden waren, vor Gericht als Zeugen zu hören402.In äußerst schroffemTon -so schroff, daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g,völligungewöhnlich, e<strong>in</strong>e Rüge erteilte403­trat die BAW diesem "haltlosen" Antrag entgegen. Er wurde mit derBegründung abgelehnt, das Gericht habe etwas Besseres zu tun, als e<strong>in</strong>erMischung aus "konkreten Anhaltspunkten und Spekulationen" nachzugehen404.Zwei Tage später enthüllten die M<strong>in</strong>ister Schieß und Benderselbst die Abhöraktion <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, um e<strong>in</strong>er drohenden Veröffentlichungim Nachrichtenmagaz<strong>in</strong> "Der Spiegel" zuvorzukommen.Der "Fall Traube" war aber auch h<strong>in</strong>sichtlich der von den staatlichenBehörden <strong>in</strong> den Debatten benutzten Argumentationen von Interesse.Gegen e<strong>in</strong>en zu erwartenden Versuch zur Befreiung von Gefangenen ausder RAFwar "dasÄußerste" zu unternehmen, waren "äußerstenachrichtendienstlicheMittel" e<strong>in</strong>zusetzen405.Formulierungen, die Maihofer auchschon unmittelbar nach der fehlgeschlagenen Aktion des RAF-Kommandos<strong>in</strong> Stockholm im April 1975 benutzt hatte406.Auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz zum "Fall Traube" am 1.3.77 bestätigteMaihofer, daß die westdeutschen Nachrichtendienste sich "<strong>in</strong>ternationalerTechniken" bedienten; auf die Frage, ob "unter den Begriff,nachrich ­tendienstliche Mittel' alle Methoden fallen, die Nachrichtendienste weltweitanwenden", antwortete Maihofer, "daß sie hier so wie die andereSeite jede technische Perfektion anwenden"407.Bei der 1975 von e<strong>in</strong>er Kommission des amerikanischen Senats unterLeitung VOn~enator Fr;nk Church durchgeführten Befragung hattenhohe (ehemalige) CIA-FunKtIOnareklargestellt, was imJargon westlicherNachrichtendienste unter "äußersten nachrichtendienstlichen Mitteln"im Extremfall zu verstehen ist: Mord40s.Ohne weiteres waren <strong>in</strong> diesenBefragungen auch fünf Mordanschläge auf Politiker aus der Dritten Weltzugegeben worden. Allerd<strong>in</strong>gs:406"Es ist sicher, daß die CIAan e<strong>in</strong>er weit orö~eren Anzahl von Morcl;m.rhliigenauf Politiker (erfolgreich oder nicht) beteiligt war. als an den fünf, die <strong>in</strong>""CreiTi'Bericht erwähnt werden. Es ist ebenso sicher, daß sich die Morde auchauf andere Arten von Fe<strong>in</strong>dei1 erstreckt haben. Es istjedoch sehr wahrsche<strong>in</strong>lich,daß e<strong>in</strong>erseits nur e<strong>in</strong>e sehr kle<strong>in</strong>e Gruppe von Verantwortlichen der CIAoder der amerikanischen Regierung auf dem Laufenden war und man andererseitskaum e<strong>in</strong>e Spur davon <strong>in</strong> den Archiven f<strong>in</strong>det"409Weiter ist <strong>in</strong>zwischen h<strong>in</strong>länglich bekannt, daß CIA-Agenten direkt anden Festnahmen Che Guevaras <strong>in</strong> Bolivien und Marighelas <strong>in</strong> Brasilien,die beide anschließend ermordet wurden, beteiligt waren41O.Aber auch<strong>in</strong> Europa seien, so der ehemalige CIA-Agent Victor Marchetti <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emInterview 1975, Leute, zu deren Person Marchetti jedoch ke<strong>in</strong>e näherenAngaben machte, auf Anregung und unter Mitwirkungder CIAermordetworden41l."Mit e<strong>in</strong>er Versessenheit, die gewöhnlich den Mördern des KGB zugeschriebenwird, haben die Geheimagenten der CIA die meisten von denen verfolgtund umgebracht, die - seien es nun Kommunisten, Sozialisten oder Nationalisten- e<strong>in</strong>e potentielle Gefahr für die politische, von der amerikanischenRegierung vorgeschriebene L<strong>in</strong>ie darstellten"41z.Der Inhalt dieses Zitats ist <strong>in</strong>soweit ungenau, als <strong>in</strong>zwischen nachgewiesenist, daß die CIAaus naheliegenden Gründen bei "covert actions"vorzugsweise nichtamerikanische Agenten (Polizeiangehörige, Agentenanderer Geheimdienste, "gewöhnliche" Krim<strong>in</strong>elle, usw) für ihre Zwekkee<strong>in</strong>setzt413.Aus der Sicht der Gefangenen aus der RAF und anderer, die daranfesthalten, daß Ulrike Me<strong>in</strong>hof ermordet wurde, ist dieser Mord wie folgtzu erklären:- Den westdeutschen Behörden war es trotz e<strong>in</strong>es bis <strong>in</strong> alle E<strong>in</strong>zelheitenvorprogrammierten fünf Jahre dauernden Gehirnwäscheprogramms,bestehend aus sozialer Isolation, sensorischer Deprivation undStreßsituationen, nicht gelungen, die politische Identität der Gefangenenaus der RAF zu zerstören (Müller ausgenommen).- Vor allem Ulrike Me<strong>in</strong>hof, die der "ideologische Kopf der RAF" se<strong>in</strong>sollte, war diesem Programm <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ganzen Umfang ausgesetzt gewesen.E<strong>in</strong>e Gehirnoperation konnte unter dem Druck der Öffentlichkeitnicht durchgeführt werden (e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>griff,der schon <strong>in</strong> den 50er Jahren <strong>in</strong>dem CIA-Projekt "Blauer Vogel" als Methode der Willensbrechung politischerGefangener untersucht worden war).- Durch konkrete H<strong>in</strong>weise auf bevorstehende Befreiungsaktionenund durch die Entwicklung im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß unter Druck geraten,war es im Rahmen der psychologischen Kriegsführung gegen dieRAF notwendig geworden, e<strong>in</strong>e effektvolle "counter<strong>in</strong>surgency"-Aktionvorzunehmen: den verzweifelten Selbstmord e<strong>in</strong>es prom<strong>in</strong>enten Gefangenenaus der RAF.- In Zusammenarbeit mit der CIA wurde diese Aktion von e<strong>in</strong>em407I


]' !speziellen Geheimkommando durchgeführt. Unzweifelhaft steht fest,daß der BND und andere Geheimdienste unkontrollierten Zugang zum7. Stock des Gefängnisses hatten, weiter, daß der BND quasi als "Zweigniederlassung"der CIA betrachtet werden muß414, womit e<strong>in</strong>e Beteiligungder CIA an dieser Aktion äußerst wahrsche<strong>in</strong>lich ist.- Es ist wenig wahrsche<strong>in</strong>lich, daß die Bundesregierung und andereverantwortliche Politiker sich der Tragweite der von ihnen gehandhabtenTerm<strong>in</strong>ologie415 nicht bewußt waren. Die Forderung nach Anwendung"extremster Mittel" wird von den Geheimdiensten quasi als Vollmacht<strong>in</strong>terpretiert, zur (verdeckten) Tat zu schreiten. Angesichts der vielenWidersprüche <strong>in</strong> der Untersuchung der Todesumstände Ulrike Me<strong>in</strong>hofssche<strong>in</strong>t es unwahrsche<strong>in</strong>lich, daß man seitens der Bundesregierung dieMöglichkeit e<strong>in</strong>es Mordes nicht "billigend <strong>in</strong> Kauf" genommen hat. Mitihrer Haltung vor und nach dem Tod der <strong>Stammheim</strong>er Gefangenenhatte die Bundesregierung gleichzeitig auch eventuelle zukünftige Mordean Gefangenen aus der RAF legitimiert, jedenfalls so weit sie selbstdadurch nicht bloßgestellt wird.Die <strong>in</strong>ternationale Untersuchungskommission zum Tod von UlrikeMe<strong>in</strong>hof schreibt <strong>in</strong> ihrem Abschlußbericht:408"Der <strong>Stammheim</strong>er Prozeß hatte der BRD im <strong>in</strong>ternationalen Maßstabschweren Schaden zugefügt. Die Haftbed<strong>in</strong>gungen der politischen Gefangenenund die Sondergesetze zur E<strong>in</strong>schränkung der <strong>Verteidigung</strong> waren als Teilder reaktionären Entwicklung der BRD begriffen worden. Die <strong>in</strong>ternationaleJuristenkommission <strong>in</strong> Genf hatte <strong>in</strong> ihrem im Dezember 1975 erschienenenBericht die BRD neben Staaten wie Chile, Indien, Indonesien, Rhodesien unddem Spanien der Franco-Zeit gestellt wegen ihrer Gesetzgebung, die bei derE<strong>in</strong>schränkung der Verteidigerrechte ohne Beispiel im Rechtssystem sei. Geme<strong>in</strong>twar damit das kurz vor Beg<strong>in</strong>n des Stammheirner Verfahrens durchgezogeneSondergesetz, die sog. ,lex RAF', durch das seit Beg<strong>in</strong>n des Jahres1975 e<strong>in</strong>e politische und kollektive <strong>Verteidigung</strong> unmöglich gemacht wurdebei gleichzeitiger Blockanklage.Am 4.5.76 hatten die Gefangenen im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß Beweisanträgegestellt, bei deren Erarbeitung Ulrike Me<strong>in</strong>hof maßgeblich beteiligt war. E<strong>in</strong>eL<strong>in</strong>ie dieser Anträge be<strong>in</strong>haltete die Entlarvung gewisser Persönlichkeiten ausPolitik und Gewerkschaft; so wollte Ulrike Me<strong>in</strong>hof im Prozeß Beziehungenzwischen dem SPD-Vorsitzenden und ehemaligen Bundeskanzler Brandt unddem amerikanischen Geheimdienst CIA belegen und dazu auch Brandt alsZeugen laden lassen.Die Bundesanwaltschaft als Vertreter der Interessen der Bundesregierungwurde durch diese Anträge vor das Problem gestellt, daß ihre Absicht _Entpolitisierung des Prozesses, die 4 Jahre lang durch Isolationstortur, Hetze,Sondergesetze, Liquidierung der <strong>Verteidigung</strong> etc. vorbereitet worden wardurchkreuztworden wäre. Die Unterdrückung der politischen Inhalte und diereibungslose Aburteilung der RAF-Gefangenen schien <strong>in</strong> Frage gestellt. Eswurde klar, daß die Konfrontation an diesem Punkt des Prozesses ihrenHöhepunkt erreicht hätte"416.Gegeben war somit die Konstellation für e<strong>in</strong>en politischen Mord, dersich angesichts der gegen e<strong>in</strong>e Selbsttötung sprechenden konkretenGründe aufdrängt. Gesucht s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Fall - neun Jahre nach derTat - immer noch die Täter.4.2.1. Die zweite Verhaftung von Klaus CroissantWie erwähnt, hatten die Anwälte sofort versucht, e<strong>in</strong>en Teil der Widersprücheund Ungereimtheiten <strong>in</strong> der offiziellen Untersuchung und denVerlautbarungen zum Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof öffentlich zu machen. Andieser Öffentlichkeitsarbeit hatte Klaus Croissant als Me<strong>in</strong>hofs Testamentsvollstreckerund als Rechtsanwalt Wienke Zitzlaffs, der SchwesterUlrike Me<strong>in</strong>hofs, wesentlichen Anteil. Am 24.6.76 beantragte Croissantbei dem Stuttgarter Staatsanwalt Heissler, der für das amtliche Todesermittlungsverfahrenzuständig war und es bereits als Selbstmordfall abgeschlossenhatte, schriftlich E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> die gesamten Ermittlungsunterlagen:"Die Aktene<strong>in</strong>sicht ist dr<strong>in</strong>glich, da zahlreiche konkrete Anhaltspunktedafür bestehen, daß es sich nicht um e<strong>in</strong>en Suizid, sondernum e<strong>in</strong> Tötungsverbrechen handelt".Am 12.7.76 erschien <strong>in</strong> den "Stuttgarter Nachrichten" e<strong>in</strong> groß aufgemachterArtikel mit dem Titel "Im Fadenkreuz der Terroristen: Stuttgart.Die Chefs des Anarcho-Untergrunds haben e<strong>in</strong>en neuen Standort bezogen".Der Artikel begann mit der Feststellung, das Anwaltsbüro Croissantshabe <strong>in</strong> dieser "heimlichen Hauptstadt der Terroristenszene ... dieRolle der Schaltstelle" e<strong>in</strong>genommen.Der Verfasser berief sich auf direkte Informationen aus Kreisen derPolizei und des Staatsschutzes, die beobachtet hatten, daß <strong>in</strong> diesemBüro e<strong>in</strong> "sehr lebhafter" Betrieb herrschte und "Pakete von unterschiedlicherGröße h<strong>in</strong> und her geschleppt wurden". Weiter seien <strong>in</strong> undum Stuttgart <strong>in</strong> der letzten Zeit e<strong>in</strong>e Reihe "konspirativer" Wohnungengemietet worden, und unter den Stuttgart regelmäßig besuchendenTouristen sei <strong>in</strong> zunehmendem Maße namentlich bekannte "Terror­Prom<strong>in</strong>enz" zu signalisieren.Noch am seihen Tag reagierte Croissant mit e<strong>in</strong>er Presseerklärung, <strong>in</strong>der er den betreffenden Artikel als "typisch nachrichtendienstliches Manöver"bezeichnete, dessen Ziel es sei, "e<strong>in</strong>e neue Durchsuchungsaktiongegen me<strong>in</strong>e Kanzlei sowie me<strong>in</strong>e erneute Verhaftung <strong>in</strong> der Öffentlichkeitpsychologisch vorzubereiten". Croissant verwies darauf, daß <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Büro auch die Sektion BRD des Internationalen Komitees zur<strong>Verteidigung</strong> <strong>Politische</strong>r Gefangener <strong>in</strong> Westeuropa (lVK) untergebrachtwar und daß dieses Komitee die Aufgabe hatte, alle für die <strong>Verteidigung</strong>von Gefangenen aus sozialrevolutionären Bewegungen notwendigenInformationen zu sammeln. Se<strong>in</strong>e Erklärung beendete Croissant mit derFeststellung:409


"Das Ersche<strong>in</strong>en des Artikels gerade jetzt hat se<strong>in</strong>en Grund dar<strong>in</strong>, dem vonder Bundesanwaltschaft zuerst e<strong>in</strong>er Gehirnwäsche unterzogenen, danachzum Kronzeugen aufgebauten Zeugen Gerhard Müller im <strong>Stammheim</strong>er Prozeßentgegen den von der <strong>Verteidigung</strong> vorgebrachten Tatsachen dennochGlaubwürdigkeit zu verschaffen und den Aufbau e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Untersuchungsausschusseszur Aufklärung des Todes von UlrikeMe<strong>in</strong>hof sowie dieErstattung e<strong>in</strong>er Strafanzeige wegen Mordes zu verh<strong>in</strong>dern".In dieser Zeit wurde Croissant offen observiert, sobald er Kanzlei oderWohnung verließ. Auch mir entg<strong>in</strong>g das nicht, als ich im Juni 1976 die"Schaltstelle der Terroristenszene" besuchte. Daß es dort "sehr lebhafte<strong>in</strong> und aus" g<strong>in</strong>g und "zahlreiche Pakete von unterschiedlicher Größeh<strong>in</strong> und her geschleppt wurden", war auch für nicht krim<strong>in</strong>alistischvorprogrammierte Augen ohne weiteres zu sehen.Am 16.7.76 beantragte Croissant e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>stweilige Verfügung gegenden staatlichen Dienstherren se<strong>in</strong>er überwacher. Der Antrag enthielte<strong>in</strong>e detaillierte Beschreibung der Observationsmethoden <strong>in</strong>clusive deramtlichen Kennzeichen der dazu benützten Autos. In dem Antrag schriebCroissant:"Der Antragsteller ist e<strong>in</strong>er so totalen überwachung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er gesamtenberuflichen und privaten Sphäre unterworfen, daß er praktisch schon jetzt ­noch ehe das zuständige Gericht über den laufenden Antrag entschieden hatmehrgefangen als frei ist".Zu e<strong>in</strong>er gerichtlichen Behandlung des laufenden Antrags kam esjedoch nicht mehr. Noch am Abend desselben Tages wurde Croissantgegen 22 Uhr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Restaurant festgenommen und auf Antrag desStaatsanwalts Heissler erneut <strong>in</strong> Untersuchungshaft e<strong>in</strong>geliefert.Croissants Untersuchungshaft war im August 1975 nicht aufgehoben, sondernvorläufig ausgesetzt worden (siehe Kapitel VI,3.2.4): Gegen e<strong>in</strong>e Kaution<strong>in</strong> Höhe von 80.000 Mark und Abgabe se<strong>in</strong>es Reisepasses. Die Auflage, sichwöchentlich zweimal bei der Polizeizu melden, entfiel im März 1976. Es stelltesich heraus, daß Heissler am 12.7.76, dem Tag der Veröffentlichung des obenerwähnten Artikels, beim Amtsgericht Stuttgart die erneute Inhaftierung Croissantsbeantragt hatte. Noch am selben Tag lehnte das Amtsgericht diesenAntrag durch Beschluß ab. Kurz danach reichte Heissler bei der zuständigenStaatsschutzkammer des Landgerichts Stuttgart die Anklageschrift gegenCroissant e<strong>in</strong>, womit nun dieses Gericht befugt war, über die beantragteerneute Verhängung von Untersuchungshaft zu entscheiden(§ 125 Abs. 2StPO). Außerdem hatte die Staatsanwaltschaft am 14.7.76 beim LandgerichtStuttgart e<strong>in</strong>en Antrag auf Verhängung e<strong>in</strong>es vorläufigen Berufsverbots gegenCroissant e<strong>in</strong>gebracht (§ 132a StPO LV.m. § 70 StGB); der Antrag enthieltdieselben Verdachtsmomente, die <strong>in</strong> der Anklageschrift aufgeführt waren. ImWesentlichen stimmten die Beschuldigungen wiederum mit den (<strong>in</strong> Kapitel V,4.3 genannten) für die Ausschließung Croissants von der <strong>Verteidigung</strong> Baadersgeltend gemachten Gründen übere<strong>in</strong>; neues Beweismaterial fand sichnicht. Am 16.7.76 gab das Landgericht Stuttgart Heisslers Antrag statt, Croissanterneut <strong>in</strong> Untersuchungshaft zu nehmen.410Die Begründung der Staatsanwaltschaft für ihren Antrag, Croissanterneut "zur Untersuchungshaft zu br<strong>in</strong>gen", bestand <strong>in</strong> der Behauptung,bei Croissant sei erhöhte Fluchtgefahr gegeben417. Dies wiederum wurdemit den von Müller im Prozeß gegen "Baader u. a. " gemachten Aussagenbegründet; Müller hatte zehn namentlich genannte Rechtsanwälteunterihnen Croissant - der aktiven Unterstützung der RAF beschuldigt.Noch am 15.7.76, e<strong>in</strong>en Tag vor der erneuten Inhaftierung Croissants,kommentierte "Bild" unter der überschrift "Herr Staatsanwalt, greifenSie e<strong>in</strong>!" Müllers Aussagen:"Was bisher nur vager Verdacht war, ist im Stuttgarter Baader-Me<strong>in</strong>hof­Prozeß von e<strong>in</strong>em Mann erhärtet worden, der es eigentlich wissen muß: 10Rechtsanwälte waren jahrelang Helfershelfer der Terroristen, sagte KronzeugeMüller. Wie lange wollen Bundesanwaltschaft und Anwaltskammern eigentlichnoch warten, bis jenen Anwälten, die wirklichBM-Komplizen s<strong>in</strong>d, das Handwerkgelegt wird?"Fast unmittelbar nach der erneuten Inhaftierung legte die Staatsanwaltschaftder zuständigen Staatsschutzkammer e<strong>in</strong>en Antrag auf Ausschlußder bis dah<strong>in</strong> Croissants Interessen wahrnehmenden RechtsanwälteHeldmann, Schily und Temm<strong>in</strong>g von der <strong>Verteidigung</strong> Croissantsvor. Auch diesem Antrag wurde stattgegeben, weil der Prozeß gegen"Baader u. a." und das Verfahren gegen Croissant als e<strong>in</strong> Verfahren zubetrachten seien, so daß die <strong>in</strong> § 146 StPO genannten Ausschlußbestimmungenangewandt werden konnten.Am 16.8.76 hatte das Landgericht Stuttgart über die Frage zu entscheiden,ob Croissant weiter <strong>in</strong> Untersuchungshaft bleiben müsse (§207 Abs. IV StPO). Die <strong>in</strong>zwischen neu formierte <strong>Verteidigung</strong> äußertedie Auffassung, die Anschuldigungen an sich seien schon unhaltbar; aberselbst wenn man darüber anderer Me<strong>in</strong>ung sei, so gebe es ke<strong>in</strong>e Gründe,die e<strong>in</strong> Festhalten <strong>in</strong> Untersuchungshaft rechtfertigten. Auch von erhöhterFluchtgefahr könne ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>. Denn Croissant seien die vonMüller vorgebrachten Beschuldigungen schon sechs Wochen vor se<strong>in</strong>ererneuten Verhaftung bekannt gewesen, was die Staatsanwaltschaft auchgewußt habe. Ebenso wie den im Prozeß gegen "Baader u. a." auftretendenanderen Anwälten hätten Croissant Müllers polizeiliche Vernehmungsprotokolleschon vor dessen Auftritt im Prozeß zur Verfügunggestanden. Wenn Croissant also gewollt hätte, wäre er schon längst weggewesen. Ausführlich schilderten die Verteidiger die der zweiten VerhaftungCroissants vorausgegangenen Ereignisse. Besonders erstaunlichwar die Tatsache, daß Staatsanwalt Heissler Croissants Reisepaß nocham 16.6.76 herausgerückt hatte, damit Croissant e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ladung derSozialistischen Partei Frankreichs folgen konnte. Die Reiseerlaubnis warCroissant von Heissler bewilligt worden, obwohl der Staatsanwalt wissenmußte, daß Croissant die Anschuldigungen Müllers kannte.Die <strong>Verteidigung</strong> Croissants folgerte aus allem, daß se<strong>in</strong>e wohlvorbe-411


eitete erneute Inhaftierung vor allem den Zweck hatte, se<strong>in</strong>e Nachforschungenüber den Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof und se<strong>in</strong> weiteres Auftretenals Verteidiger von Gefangenen aus dem Kommando Holger Me<strong>in</strong>s <strong>in</strong>dem damals vor dem OLG Düsseldorf laufenden Prozeß zu verh<strong>in</strong>dern,sowie dem Zeugen Müller doch noch Glaubwürdigkeit zu verleihen.Am 19.8.76 entschied das Landgericht Stuttgart, Croissant mit denselbenAuflagen wie früher aus der Untersuchungshaft zu entlassen; e<strong>in</strong>eEntscheidung, die vom OLG Stuttgart am 3.9.76 bestätigt wurde418.Wegen des "dr<strong>in</strong>genden Verdachts" verwies das OLG auf die früherenGerichtsentscheidungen aus dem Jahr 1975. Es fügte jedoch noch h<strong>in</strong>zu:"Bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beschluß vom 22. August 1975 hat der Senat ausgeführt,daß das Verhalten des Angeschuldigten nicht mehr durch e<strong>in</strong>e auch besondersengagierte <strong>Verteidigung</strong> gedeckt ist. Es besteht vielmehr der dr<strong>in</strong>gende Verdacht,daß sich der Angeschuldigte mit Mitgliedern der Organisation Baader­Me<strong>in</strong>hof, die zum Teil wegen Gewalttaten bereits rechtskräftig verurteilt s<strong>in</strong>d,zum Teil solcher Straftaten dr<strong>in</strong>gend verdächtig s<strong>in</strong>d, identifiziert hat. DerAngeschuldigte hat sich nicht nur das Gedankengut der Mitgliederder genanntenOrganisation zu eigen gemacht, worauf zuletzt se<strong>in</strong>e im Haftprüfungsterm<strong>in</strong>vom 16. August 1976 abgegebene Erklärung h<strong>in</strong>weist. Er bedient sichauch der Term<strong>in</strong>ologie der Mitglieder der Organisation. Bereits <strong>in</strong> der ,Erklärungder Verteidiger der Gefangenen aus der RAF' vom 17. September 1974hat der Angeschuldigte von, Vernichtungs haft, Isolationsfolter, Aussageerpressungund Umerziehungsfolter und faschistischem Polizeiterror' gesprochen. Inwelche - offensichtlich auch persönliche - Abhängigkeit er bereits geraten ist,zeigt die Tatsache, daß der Angeschuldigte <strong>in</strong> der Vergangenheit mehrfachvon Mitgliedern der Organisation beleidigt worden ist (... ).Mit e<strong>in</strong>er unabhängigen <strong>Verteidigung</strong> lassen sich solche beleidigenden Angriffeundderen offensichtliche stillschweigende Billigungund widerspruchsloseH<strong>in</strong>nahme durch den Angeschuldigten schlechterd<strong>in</strong>gs nicht vere<strong>in</strong>baren.Daraus kann vielmehr der Schluß gezogen werden, daß der Angeschuldigtedie Ziele und Bestrebungen der Organisation Baader-Me<strong>in</strong>hof billigt".Weiter war das OLG der Ansicht, Fluchtgefahr sei gegeben; es begründetediese Me<strong>in</strong>ung jedoch nicht mehr mit Müllers Aussagen, sondern _ebenso wie bei Croissants erster Verhaftung - mit der zu erwartendenerheblichen Freiheitsstrafe. Dennoch sei das Gericht zu der überzeugunggelangt, daß durch dieselben Auflagen wie im August 1975 der Fluchtgefahrh<strong>in</strong>reichend begegnet werden könne.412Kapitel VIII: Der Zusammenbruch e<strong>in</strong>er Veranstaltung(10. Januar bis 18. Oktober 1977)1. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs AbgangI; der ersten Januarwoche 1977 erhielt Schily e<strong>in</strong> Dokument zugespielt,das - wenn auch <strong>in</strong>direkt - zum Ausscheiden von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g alsGerichtsvorsitzendem führte. Es handelte sich um die Kopie e<strong>in</strong>es Briefesvon Bundesrichter echt Ma er an Dr. Herbert Krem Chefredakteurer Tageszeitung "Die Welt". Mayer war als Vizepräsident des 3.~afseJlars de~ Bell I VU!I Anfang an im den zahlreichen Beschwerdeentscheidungen<strong>in</strong> der Sache gegen "Baader u. a." beteiligt. Aus dem Briefg<strong>in</strong>g hervor, daß Mayer Fotokopien von Dokumenten aus den Gerichtsaktenund von Sitzungsprotokollen an "Die Welt" geschickt hatte. Mayersausdrückliches Anliegen war die Veröffentlichung e<strong>in</strong>es Artikels <strong>in</strong>"Die Welt", mit dem sowohl Schily als auch die Wochenzeitschrift "DerSpiegel" unglaubwürdig gemacht werden sollten. Die e<strong>in</strong>schlägigen Passagendes Briefes vom 20.7.76:"Lieber Cartellbruder Kremp! Vielleicht er<strong>in</strong>nerst Du Dich noch an mich:Wir hattenlm Frühjahr 1973 e<strong>in</strong> Telefongespräch, dessen Gegenstand e<strong>in</strong>evon mir vorgeschlagene Veröffentlichung über experimentelle Untersuchungender Sicherungsgruppe des Bundeskrim<strong>in</strong>alamtes gewesen ist, mit denendie Möglichkeit überprüft worden war, ob der bekannte Enssl<strong>in</strong>-Kassiber, ausdem Zellenfenster gehalten, vom nahegelegenen Landgericht Essen aus mite<strong>in</strong>em Fernglas abgelesen oder mit e<strong>in</strong>em Teleobjektiv hatte aufgenommenwerden können. Die Welt berichtete dann über diese Untersuchungen. Inderselben Sache wende ich mich heute wiederum an Dich (... ). Ich übersendeDir als Anlagen1. auszugsweise Ablichtungen der krim<strong>in</strong>alpolizeilichen Vernehmung Müllers(Seite 46, 95, 180).2. Auszug aus dem ... Wortprotokoll vom 13. Juli 1976.Der ,kle<strong>in</strong>e Dicke' ist der <strong>in</strong> Entebbe getötete WilfriedBöse. Daß es sich beidem von ihm übergebenen Papier um den wenige Tage später der Me<strong>in</strong>hofabgenommenen Enssl<strong>in</strong>-Kassiber handelte, hat sich <strong>in</strong> der Verhandlung klarergeben. Möchte sich die, Welt' nicht unter dem Aspekt dieser neuen Erkenntnissenoch e<strong>in</strong>mal mit dem Aufsatz im ,Spiegel' vom 4.9.1972 (Nr.37) Seite 67befassen? Nicht um me<strong>in</strong>etwillen, sondern um e<strong>in</strong>mal wieder die Haltung und.die Praktiken dieses Blattes deutlich werden zu lassen, das sich se<strong>in</strong>erzeit miteilfertiger Bereitwilligkeit die - wie sich nun zeigt - von Ströbele und Müllerausgeheckte Entlastungslegende zu eigen machte und das den Baader-Me<strong>in</strong>hof-Leutensoviel publizistische, gelegentlich sogar materielle Unterstützung(Honorare für Interviews aus der Untersuchungshaft) zuteil werden ließ. Vielleichtkönnte diese Aufgabe gar e<strong>in</strong>en Chefredakteur reizen? (... ) Es wäre mirlieb, wenn die übersandten Unterlagen, mit Ausnahme der Beschlußabschrift,413


falls Ihr auf sie Wert legt, nach Ausgebrauch vernichtet würden. Der übersendunge<strong>in</strong>es Belegexemplares, falls die angeregte Betrachtung ersche<strong>in</strong>en sollte,bedarf es nicht: ich habe die, Welt' abonniert. Solltest Du <strong>in</strong> der Sache noche<strong>in</strong>e Frage haben: ich b<strong>in</strong> im allgeme<strong>in</strong>en (. .. ) von 9 bis 12 Uhr (. .. ) beimBGH, ab 16 Uhr (. .. ) <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Wohnung erreichbar. Ich sah Dich im übrigenkürzlichzu mitternächtlicher Stunde <strong>in</strong>Jahn' s Kellernach dem Festkommers <strong>in</strong>München und wechselte, neben Dir stehend, mit Franz-Josef Strauß e<strong>in</strong> paarWorte. Ich hätte Dich gerne begrüßt, wollte aber nach dieser Störung dieersichtlich angeregte Unterhaltung zwischen Dir und FJS nicht noch längerunterbrechen.Mit herzlichen Grüßen b<strong>in</strong> ich De<strong>in</strong> gez. Albrecht Mayer"l.Augensche<strong>in</strong>lich beabsichtigte Mayer, e<strong>in</strong>e alte, noch offenstehendeRechnung mit Schily und dem "Spiegel" zu begleichen. Mayer war 1972als Bundesrichter mitverantwortlich für die auch vom "Spiegel" heftigkritisierte Ausschließung Schilys als Verteidiger von Gudrun Enssl<strong>in</strong>, diespäter vom Bundesverfassungsgericht rückgängig gemacht wurde. Ausden von Mayer an Kremp geschickten Fotokopien von Dokumenten(Verhören Gerhard Müllers durch Polizei und Gericht) sollte nun hervorgehen,daß die Ausschließung Schilys damals doch zu Recht vorgenommenworden war. Allerd<strong>in</strong>gs schien selbst "Die Welt" an Müllers Glaubwürdigkeitzu zweifeln (zumal Müller <strong>in</strong> dieser Sache ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigenAussagen gemacht hatte), so daß es nie zu der von Mayer angestrebtenVeröffentlichung kam.Mayer hatte mit diesem Vorgehen nicht nur gegen § 39 des DeutschenRichtergesetzes2 verstoßen, sondern sich gleichzeitig auch <strong>in</strong> den Verdachte<strong>in</strong>er strafbaren Handlung nach § 353 d Satz 3 StGB gebracht3.Aus der Tatsache, daß Mayer se<strong>in</strong>en Cartellbruder Kremp darum bittet,die Dokumente "nach Ausgebrauch " zu vernichten, ist anzunehmen,daß er sich dieser Vergehen bewußt war. Für die <strong>Verteidigung</strong> war <strong>in</strong>erster L<strong>in</strong>ie wichtig zu erfahren, wie Mayer <strong>in</strong> den Besitz dieser Dokumentegelangte. Immerh<strong>in</strong> gehörten sie nicht zu den Bestandteilen e<strong>in</strong>esder Beschwerdeverfahren; Mayer konnte also auch nicht "von Amtswegen" über sie verfügen. Die Antwort auf diese Frage ergab sich ausden Mayers Brief an Kremp beigelegten Protokollkopien: sie kamendirekt von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g. E<strong>in</strong>es der Protokolle hatte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>s<strong>in</strong>uierendenBegleitkommentar versehen, der Schilys Abwesenheit währende<strong>in</strong>es Verhörs des Zeugen Müller betraf: "Da fehlt e<strong>in</strong>er wie übrigensimmer, wenn es um den Enssl<strong>in</strong>-Kassiber gegangen ist. Ca. 15 M<strong>in</strong>.nach dessen Erörterung erschien der Fehlende!". Aufgrund dieses Materialsg<strong>in</strong>g die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> den ersten Verhandlungswochen des Jahres1977 erneut an drei Fronten <strong>in</strong> die Offensive.In erster L<strong>in</strong>ie schien nun die Ablehnung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs erfolgversprechend.Außerdem untermauerte die Mayer-Affäre die von der <strong>Verteidigung</strong>schon früher aufgestellte Behauptung, daß die Entscheidungen desOLG <strong>in</strong> Stuttgart und die des 3. Strafsenats des BGH als zuständiger414Beschwerde<strong>in</strong>stanz nach wechselseitigen Absprachen zustande kamen.Schließlich bedeutete die seit Beg<strong>in</strong>n des Prozesses offensichtlich vorhandeneBefangenheit des Bundesrichters Mayer, daß das Verfahrenaufgrund e<strong>in</strong>es nicht mehr gutzumachenden Verfahrensh<strong>in</strong>dernisses beendetwerden müßte. Diese Offensive endete mit e<strong>in</strong>em Pyrrhus-Siegder <strong>Verteidigung</strong>.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g eröffnete den ersten Sitzungstag des Jahres 1977 (Montag,10. Januar) mit der Bemerkung, er vermute, daß "nach dem, was ichgelesen habe, gehört habe <strong>in</strong> den Nachrichten", Schily sicherlich dasWort haben wolle. Nachdem die <strong>Verteidigung</strong> auf e<strong>in</strong>er PressekonferenzMayers Brief an Kremp bekanntgemacht hatte, war <strong>in</strong> den Medien schonausführlich über den "Fall Mayer" als sensationelle Entwicklung <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> berichtet worden ("Muß das <strong>Stammheim</strong>er Verfahren wiederholtwerden?" - Frankfurter Rundschau vom 10.1.77). Das Präsidiumdes BGH hatte auf Schilys Mitteilungh<strong>in</strong> (enthalten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Dienstaufsichtsbeschwerde)unverzüglich mit der Versetzung Mayers vom 3.(politischen) zum 4. Strafsenat reagiert.Schily begründete den unvermeidlichen Ablehnungantrag4 mit demSachverhalt, daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die Vernehmungsprotokolle "dritten am Prozeßnicht beteiligten Personen" privat zugeschickt hatte und gegenüberdem Empfänger "durch e<strong>in</strong>e bestimmte Kommentierung des Inhalts derUnterlagen den unterzeichneten Verteidiger der Angeklagten Enssl<strong>in</strong>herabzusetzen versucht (hat)".Daß es sich um e<strong>in</strong> privates Vorgehen handelte, g<strong>in</strong>g aus der Tatsachehervor, daß die Aktenübersendung <strong>in</strong> den Gerichtsakten nicht vermerktwar. Sie enthielten außerdem ke<strong>in</strong>e Kopie des Begleitschreibens anMayer. Später wurde zusätzlich bekannt, daß auch beim BGH ke<strong>in</strong>Vermerk über den E<strong>in</strong>gang zu f<strong>in</strong>den war, wie dies bei Dienstkorrespondenzenüblich ist. Daß das Versenden von polizeilichen Vernehmungsprotokollen("die weder durch Vorhalt noch durch Verlesung <strong>in</strong> dieHauptverhandlung e<strong>in</strong>geführt s<strong>in</strong>d") unzulässig ist, ergibt sich e<strong>in</strong>deutigaus den Bestimmungen von § 353 d Satz 3 StGB; obwohl das Versendensolcher Unterlagen nicht gleichzusetzen ist mit der strafbaren Veröffentlichung,so ist es unter Umständen doch als Ermöglichung e<strong>in</strong>er solchenanzusehen. In Bezug auf die gerichtlichen Protokolle hatte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g selbstwiederholt während der Verhandlung betont, daß "zum Schutz derAngeklagten" e<strong>in</strong>e Weitergabe an Dritte unzulässig sei5. Die Versendungan Mayer war deshalb umso tadelnswerter, als er nicht irgende<strong>in</strong> Dritterwar, sondern Richter bei der Beschwerde<strong>in</strong>stanz; Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g hatte dabei"m<strong>in</strong>destens <strong>in</strong> Kauf genommen (. .. ), daß die Unvore<strong>in</strong>genommenheitdes Bundesrichters Mayer bee<strong>in</strong>trächtigt und <strong>in</strong>folge dessen e<strong>in</strong>e vorurteilsfreieüberprüfung der Entscheidungen des 2. Strafsenats des OLGStuttgart vereitelt wird". In diesem Zusammenhang stellte Schily dieBehauptung auf, daß Mayer e<strong>in</strong>er der Gesprächspartner war, mit denen415


Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sich vor wichtigen Entscheidungen des Gerichts (wie etwa derAusschließung von Verteidigern oder der Ausschließung der Angeklagten)zu beraten pflegte.Schon e<strong>in</strong> halbes Jahr zuvor, am 29.7.76, war Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ablehnungsantragvorgeworfen worden, daß er solche Gespräche mit Richternhöherer Instanzen führe. Anlaß für diesen 60. Ablehnungsantrag6 war e<strong>in</strong>Gespräch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs mit zwei von ihm e<strong>in</strong>geladenen Journalisten gewesen,das noch vor der Zeugenvernehmung Müllers stattgefunden hatte. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gsoll <strong>in</strong> diesem Gespräch gesagt haben: "Der Prozeß ist gelaufen". Damit gaber zu erkennen, daß der Ausgang des Verfahrens bereits feststand, unabhängigvom weiteren Auftreten der <strong>Verteidigung</strong>. Kurze Zeit nach diesem Gesprächsoll Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sich an e<strong>in</strong>en der Journalisten gewandt haben mit derBitte, diese Bemerkung nicht zu veröffentlichen, zum<strong>in</strong>dest aber se<strong>in</strong>en Namennicht zu erwähnen, sondern höchstens zu berichten, "wie aus Justizkreisenzu erfahren war". In se<strong>in</strong>er dienstlichen Erklärung (§ 26 Absatz IIIStPO)bestätigte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g dieses Gespräch, "das lediglich der Erläuterung e<strong>in</strong>esrechtlich schwierigen Senatsbeschlusses dienen sollte". Weiter bestätigte erdie nachträgliche Bitte an die Journalisten, se<strong>in</strong>en Namen nicht zu nennen.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Rechtfertigungsversuch: "Erfahrungsgemäß nehmen ja ProzeßbeteiligteZeitungsäußerungen zum Anlaß für Erörterungen <strong>in</strong> der Hauptverhandlung".Die anstößige Bemerkung selbst wurde weder bestätigt, nochabgestritten: "Möglicherweise habe ich dabei zum Ausdruck gebracht (. .. ),daß sich das vom Gericht vorgesehene Beweisprograrnm dem Ende nähere.E<strong>in</strong>e Äußerung, die so hätte verstanden werden können, daß das Ergebnisdes Prozesses feststehe und es auf Handlungen anderer Prozeßbeteiligternicht mehr ankomme, ist mit Sicherheit nicht gefallen". Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs dienstlicherErklärung entnahm die <strong>Verteidigung</strong> allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e noch größere Vore<strong>in</strong>genommenheit,als vorher schon unterstellt worden war. Immerh<strong>in</strong> schien Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>ges nicht nur für gerechtfertigt zu halten, sich außerhalb der öffentlichenVerhandlung privat mit e<strong>in</strong>igen Journalisten zu treffen, um ihnen se<strong>in</strong>e Entscheidungennoch e<strong>in</strong>mal zu verdeutlichen, sondern er sorgte auch nochdafür, daß den Angeklagten und ihren Verteidigern se<strong>in</strong>e Urheberschaft anden zu veröffentlichenden "nachträglichen Erläuterungen" verborgen blieb.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Reaktion auf den zweiten Teil des Ablehnungsantrags (das Führenvon Gesprächen mit Richtern der Berufungs<strong>in</strong>stanzen vor allen wichtigenEntscheidungen) war kurz angebunden: "Ich gebe aus grundsätzlichen Erwägungenüber private Gespräche, auch wenn sie sich mit Rechtsproblemenbefaßt haben, ke<strong>in</strong>e Äußerungen ab". Daß solche Gespräche stattgefundenhatten, wurde also auch nicht bestritten. Dies wäre für Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g allerd<strong>in</strong>gsauch schwierig gewesen, da er - nach Informationen der <strong>Verteidigung</strong> ­geplaudert hatte: Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g hatte e<strong>in</strong>em Reporter unter dem Mantel absoluterVertraulichkeit erzählt, er telefoniere vor wichtigen Entscheidungen mit demBGWDas Gericht (ohne Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g) weist den Ablehnungsantrag vom 29.7.76 alsunbegründet zurück8. Es me<strong>in</strong>te, es sei nicht h<strong>in</strong>reichend erwiesen, daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gdie gerügte Äußerung getan habe; es sei auch unbedenklich, wennPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g Journalisten e<strong>in</strong>lade, um ihnen rechtlich schwierige Entscheidungenzu erläutern. Schließlich mochte das Gericht nicht e<strong>in</strong>sehen, warum "<strong>in</strong>for-416mative Rechtsgespräche mit Richtern des BGH oder des BVerfG, selbst wennsie geführt worden wären", die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten.Die <strong>Verteidigung</strong> stellte daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Ablehnungsantrag wegen Besorgnisder Befangenheit gegen die verantwortlichen Kollegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs (Foth,Maier und Berroth)9. Auf die Begründung des Antrags g<strong>in</strong>g das Gericht nichtweiter e<strong>in</strong>; es lehnte ihn e<strong>in</strong>stimmig ab, da er nur dem Ziel der ProzeßverschleppungdienelOIn se<strong>in</strong>er dienstlichen Erklärung zum Ablehnungsantrag wegen derMayer-Affäre gab Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g zu, Unterlagen an Mayer geschickt zu haben;er sei aber nicht mehr sicher, ob sich auch polizeiliche Vernehmungsprotokolledarunter befunden hätten 11. Mayer habe ihn unmittelbar nachder Zeugenvernehmung Müllers angerufen und ihm gesagt, ",uns' oder,den Senat' würde der den Enssl<strong>in</strong> -Kassiber betreffende Teil der AussageMüllers <strong>in</strong>teressieren". Für Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g "lag das berechtigte amtliche Interesse(... ) klar auf der Hand", so daß er Mayer die gewünschten Unterlagen"mit Dienstpost" schicken ließ. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g erklärte, daß er Mayer "seite<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahrzehnten als äußerst korrekten gewissenhaften Richter"kenne und überzeugt davon gewesen sei, daß die Unterlagen "ausschließlichder dienst<strong>in</strong>ternen Information des 3. Strafsenats dienenwürden". Zusätzlich betonte er: "E<strong>in</strong>e andere Verwendung entsprachweder me<strong>in</strong>em Wissen noch me<strong>in</strong>em Wollen". Außerdem könne dieWeiterleitung für Schily "ke<strong>in</strong>eswegs abträglich" se<strong>in</strong>, da doch "diefraglichen Aussagen Müllers eher erleichternd für Rechtsanwalt Schily"seien. Genau dies habe er mit se<strong>in</strong>er Randbemerkung auf e<strong>in</strong>er derFotokopien ("da fehlt e<strong>in</strong>er. .. " usw.) ausdrücken wollen.Wegen der erneut von der <strong>Verteidigung</strong> vorgebrachten Beschuldigung,er bespreche anstehende Gerichtsentscheidungen vorher mitRichtern höherer Instanzen, kam Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g noch e<strong>in</strong>mal auf se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>halbes Jahr vorher abgegebene Erklärung zurück, daß er sich "überprivate Gespräche aus grundsätzlichen Erwägungen nicht äußern" wolle.Die aktuellen Umstände zwängen ihn jedoch, "auf die Wahrungme<strong>in</strong>er Privatsphäre zu verzichten".Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g erklärte nun, daß er Entscheidungen des Gerichts mit ke<strong>in</strong>emRichter e<strong>in</strong>er höheren Instanz, auch nicht mit Mayer, abgesprochenhabe. Mit Ausnahme von Mayer kenne er auch ke<strong>in</strong>en dieser Richterpersönlich: "Me<strong>in</strong>e Gespräche mit Herrn Mayer hatten aber, sehe ichvon der Bitte um die übersendung ab, sonst nur privaten Charakter".Trotz e<strong>in</strong>es ausführlichen Kommentars der <strong>Verteidigung</strong>, der die Unhaltbarkeitdieser Erklärung darlegte12, übernahmen erst die Bundesanwaltschaft13und später auch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Kollegen, die über den Ablehnungsantragentscheiden mußten, se<strong>in</strong>e Sichtweise; der Antrag wurde als"unbegründet" abgelehnt14. Diese Ablehnung veranlaßte die <strong>Verteidigung</strong>wiederum, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Kollegen Foth, Maier und Berroth abzuleh-417


nen; ohne Erfolg. Auch <strong>in</strong> den folgenden Tagen stellte sie vor allemaufgrund Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs dienstlicher Erklärung noch mehrere - erfolglose ­Ablehnungsanträge gegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g und se<strong>in</strong>e Kollegen.In dieser Antragsflut befand sich e<strong>in</strong> Ablehnungsantrag, der besondereAufmerksamkeit verdiente, und der sie <strong>in</strong> der Öffentlichkeit aucherhielt. Weniger der Inhalt des Antrags als der Antragsteller selber erregtedieses Aufsehen: e<strong>in</strong>er der Zwangsverteidiger. Obwohl das Auftreten derZwangsverteidiger <strong>in</strong> der bisherigen Beschreibung des Prozeßgeschehenskaum thematisiert wurde, istfestzustellen, daß sich e<strong>in</strong>ige von ihnennach Kräften an ihm beteiligt hatten. Vor allem während des krim<strong>in</strong>alistischenTeilsder Beweisaufnahme kam es regelmäßig zu teilweise aggressivenBefragungen der von der BAW aufgerufenen Zeugen und Sachverständigen.Aber auch das Gericht selbst blieb von ihrer Kritik nichtverschont. So mußte sich das Gericht schon im Frühjahr 1976 e<strong>in</strong>enungewöhnlich scharfen Angriff e<strong>in</strong>es der Zwangsverteidiger wegen se<strong>in</strong>erkritiklosen übernahme von Untersuchungsergebnissen des BKAanhören15.Schon Ende 1975 bemerkten Prozeßbeobachter, daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Verhandlungsleitunge<strong>in</strong>igen Zwangsverteidigern unverständlich war. ImVerlauf des Jahres 1976 wurde aus diesem Unverständnis Bestürzungund unter vier Augen geäußerte übere<strong>in</strong>stimmung mit so manchemAblehnungsantrag der Vertrauensverteidiger. Hierüber und auch überdie Frustrationen, die aus der eigenen bizarren Position entstanden,redeten e<strong>in</strong>ige Zwangsverteidiger mit den regelmäßig am Prozeß teilnehmendenJournalisten. Aber auch e<strong>in</strong>ige der Vertrauensanwälte hattenKontakte zu den Zwangsverteidigern. Axel Azzola z. B. sprach regelmäßig<strong>in</strong> den Verhandlungspausen mit Manfred Künzel, dem Zwangsverteidigervon Gudrun Enssl<strong>in</strong>, bevor Azzola Ende Juli 1976 se<strong>in</strong> Mandataus Angst vor der Verfolgung durch die BAWniederlegte ("In diesemVerfahren kann man nicht mehr angstfrei reden, und ohne freies Wortgibt es ke<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong>... Ich habe vitale Angst"16). Diese letztgenanntenKontakte sollten Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>en Stuhl kosten.Die Unzufriedenheit e<strong>in</strong>iger Zwangsverteidiger mit Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Verhandlungsleitungund den Entscheidungen des Gerichts hatte bis 1976 nichtzu Ablehnungsanträgen von ihrer Seite geführt. Die Geschehnisse am10. Januar rund um den FallMayer waren für e<strong>in</strong>en von ihnen allerd<strong>in</strong>gsder Tropfen, der das Faß zum überlaufen brachte. Es handelte sich umKünzel, dessen Auftreten am zehnten Verhandlungstag "als Vertreter derAnklagebehörden und der Staatsschutzabteilung" Anlaß gegeben hattefür den bereits geschilderten heftigen Konfliktmit den Vertrauensanwälten{Kap.VI, 3.2.2).Am 10. Januar wurde die Sitzung um 17 Uhr geschlossen und bis zum13. Januar vertagt. Am 12. Januar um 20 Uhr deponierte Künzel e<strong>in</strong>enAntrag auf Ablehnung von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g im Nachtbriefkasten des Gerichts17.418Künzel verwies <strong>in</strong> dem Schriftsatz auf e<strong>in</strong>en offensichtlichen Widerspruchzwischen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs dienstlicher Erklärung vom 29. Juli 1976 und derjenigenvom 10. Januar 1977. Die erste Erklärung konnte nur so verstandenwerden, daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Kontakte zu Richtern höherer Instanzen - soweiter solche unterhielt - ausschließlich privaten Charakter hatten. In derzweiten Erklärung betonte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g jedoch, daß se<strong>in</strong> telefonischer Kontaktmit Mayer und die folgende Versendung von Unterlagen dienstlichenCharakter hatten. Außerdem g<strong>in</strong>g aus den Unterlagen deutlichhervor, daß der sogenannte dienstliche Kontakt mit Mayer genau e<strong>in</strong>eWoche vor Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Erklärung vom 29.7.76 stattgefunden hatte, <strong>in</strong> derer mitteilte, daß er nur Privatkontakte mit Richtern höherer Instanzenunterhalte. Künzels Schlußfolgerung war ebenso logisch wie vernichtend:Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g hatte am 29.7.76 gelogen. Für diese Lüge hatte Künzeldrei mögliche Erklärungen, die e<strong>in</strong>ander nicht ausschlossen und deshalbauch kumulative Geltung haben konnten. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g hatte verh<strong>in</strong>dernwollen, daß e<strong>in</strong> "heißer Draht" zwischen ihm und dem 3. Strafsenat desBGH bloßgelegt werde. Weiter wollte er verh<strong>in</strong>dern, daß die Befangenheite<strong>in</strong>es Mitgliedes des Beschwerdegerichts ans Licht komme. "Denn",so Künzel, "mit wahrer richterlicher Unabhängigkeit e<strong>in</strong>es BGH-Senatsließe sich schwerlich vere<strong>in</strong>baren, daß er außerhalb e<strong>in</strong>es geordnetenRechtsganges bei e<strong>in</strong>em untergeordneten Gericht Akten aus e<strong>in</strong>em dortlaufenden Verfahren anfordert". Und schließlich wäre - durch Erwähnungdes Gesprächs mit Mayer - der <strong>in</strong>s<strong>in</strong>uierende Kommentar Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs("Da fehlt e<strong>in</strong>er. .. ") auf e<strong>in</strong>em der Schriftstücke bekannt geworden;dieser Kommentar "muß die Befürchtung der Angeklagten bestärken,es bestehe e<strong>in</strong> reger Austausch zwischen dem Senatsvorsitzendenund dem 3. Strafsenat des BGH". Zudem stehe dieser Kommentar "<strong>in</strong>unerträglichem Widerspruch zum Inhalt der Erklärung vom 10.1. 77,nach welcher zum Ausdruck gebracht worden se<strong>in</strong> soll, daß eher erleichterndeUmstände erkennbar wurden".Zehn M<strong>in</strong>uten vor Beg<strong>in</strong>n der Verhandlung am 13. Januar erhieltKünzel die Entscheidung über se<strong>in</strong>en Ablehnungsantrag18. Die RichterPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, Foth und Maier lehnten ihn als unzulässig ab, weil er zu späte<strong>in</strong>gereicht worden sei.Die Prozeßteilnehmer hatten die dienstliche Erklärung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs am10.1. 77 um 12.15 Uhr erhalten, so daß erst von diesem Zeitpunkt an dieMöglichkeit bestand, "den behaupteten Widerspruch" zwischen denbeiden dienstlichen Erklärungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ablehnungsantrag zu formulieren.Diese Zurückweisung aus formalen Gründen (ausgehend vone<strong>in</strong>er sehr engen Auslegung des Begriffs "unverzüglich" <strong>in</strong> § 25 Abs. 2Satz 2 StPO) veranlaßte e<strong>in</strong>en sichtlich mitgenommenen Künzel, unverzüglichzu Beg<strong>in</strong>n der Verhandlung die Richter, die an dieser Entscheidungmitgewirkt hatten, abzulehnen19. Künzel legte ausführlich dar,warum er se<strong>in</strong>en ersten Ablehnungsantrag nicht eher hatte vorbr<strong>in</strong>gen419


können, daß die Richter dies auch wissen müßten, daß der Antragdeshalb "ganz offensichtlich" nicht zu spät e<strong>in</strong>gereicht worden sei unddaß es ihnen augensche<strong>in</strong>lich darum gehe, "e<strong>in</strong>en Schutzraum um denvorsitzenden Richter zu schaffen". Wie zu erwarten war, wurde auchdieses Gesuch als unzulässig abgelehnt1° E<strong>in</strong> Unterschied <strong>in</strong> der Rechtsauffassungüber den Begriff "unverzüglich" könne nicht als Grund füre<strong>in</strong>e Ablehnung gelten; Künzel verfolge mit se<strong>in</strong>em letzten Antrag "offensichtlichnur verfahrensfremde Zwecke".Auch dieser e<strong>in</strong>zigartige Angriffauf Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong>zigartig deshalb, weilzum erstenmal e<strong>in</strong> Zwangsverteidiger ihn führte, schien im Sumpf des"<strong>Stammheim</strong>er Landrechts" zu versacken. Gerade diese Besonderheitaber führte dazu, daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs "nicht zu bändigende Neigung zumTelefonieren"zl wieder e<strong>in</strong>mal zum Durchbruch kam, trotz se<strong>in</strong>erschlechten Erfahrungen auf diesem Gebiet.Noch am Abend des gleichen Tages rief Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g bei Künzel an, um mitihm über den Ablehnungsantrag zu sprechen. Der Inhalt des Gesprächsbestärkte Künzel unmittelbar <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Auffassung von der BefangenheitPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs. Nach Künzels Schilderung hatte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g ihm gesagt, se<strong>in</strong>Antrag sei das Schlimmste gewesen, was er <strong>in</strong> den zwei Jahren mitgemachthabe, und "daß es für ihn e<strong>in</strong>en Unterschied mache, von welcherSeite e<strong>in</strong> solcher Antrag käme "ZZ. Nach kurzer überlegung beschloßKünzel, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en Brief zu schreiben: Entweder ziehe Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sichals Richter aus diesem Prozeß zurück (§ 30 StPO), oder das Gerichtentlasse ihn, Künzel, aus se<strong>in</strong>er Pflicht, weiter am Prozeß teilnehmen zumüssen. Künzel <strong>in</strong>formierte Azzola über das Telefongespräch. Beidekamen übere<strong>in</strong>, den Vorfall bis auf weiteres für sich zu behalten. DieseRücksichtnahme, die Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die Gelegenheit bieten sollte, sich ehrenvollzurückzuziehen, wurde jedoch überflüssig, als e<strong>in</strong>ige Tage späterbekannt wurde, daß Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g die Entpflichtung Heldmanns beschlossenhatte.Schon e<strong>in</strong> Jahr zuvor hatte die BAW wegen Heldmanns scharfemAuftreten als Verteidiger dessen Entpflichtung beantragt. Völligunerwartetverfügte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g nun diese Entpflichtung, begründete sie jedochanders, nämlich mit e<strong>in</strong>er regelmäßigen grundlosen Verhandlungsabwesenheit13.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Entscheidung vom 13.1. 77 über die Entpflichtung Heldmanns alsAnwalt von Baader zählt 26 Verhandlungstage auf (von <strong>in</strong>sgesamt 173), andenen Heldmann teilweise oder ganz gefehlt haben sollte, und zwar ohneberechtigte Gründe. [n 25 Fällen hatte Heldmann zwar Gründe genannt, siewaren von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g aber nicht akzeptiert worden. Vier davon hatten mit dervon der <strong>Verteidigung</strong> behaupteten Verhandlungsunfähigkeit der Angeklatenzu tun, fünf mit unverzüglich zu verrichtenden Anwaltstätigkeiten <strong>in</strong> anderenRechtssachen; an acht aufe<strong>in</strong>ander folgenden Verhandlungstagen war Heldmannwegen des Todes von Ulrike Me<strong>in</strong>hof abwesend, an zwei Tagen wegen420Krankheit, an e<strong>in</strong>em wegen e<strong>in</strong>er Autopanne; e<strong>in</strong>mal war Heldmann verh<strong>in</strong>dertwegen des unerwarteten Ausfallens se<strong>in</strong>es Vertreters, dreimal im Zusammenhangmit verschärften Kontrollrnaßnahmen gegen ihn vor Besuchen beiBaader, e<strong>in</strong>mal wegen der Zurückweisung e<strong>in</strong>es Ablehnungsantrags und e<strong>in</strong>malwegen e<strong>in</strong>es telegrafisch e<strong>in</strong>gereichten Gesuchs, die Sitzung wegen derMayer-Affäre zu vertagen.[n der Entscheidungsbegründung richtete Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeitvor allem auf die stundenweise Abwesenheit Heldmanns an drei Verhandlungstagenim Dezember 1976 wegen verschärfter Kontrollen. Heldmannsollte se<strong>in</strong>en Hosenschlitz für weitergehende Untersuchungen öffnen, weil derMetalldetektor - wie üblich - wegen des metallenen Reißverschlusses piepte.Der Anwalt weigerte sich grundsätzlich, der Aufforderung zur Entkleidung zufolgen, weshalb ihm e<strong>in</strong> Besuch bei Baader verweigert wurde. NachdemHeldmann mehrmals vergeblich gegen diese von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sanktionierte Maßnahmeprotestiert hatte, weigerte er sich dreimal, an der Verhandlung teilzunehmen,da er sich ohne vorherige Gespräche nicht ausreichend vorbereitenkönne. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g ließ diesen Grund nicht gelten, da "durch das Tragen metallfreierKleidung jedenfalls das Öffnen des Hosenbundes von vornhere<strong>in</strong> überflüssiggemacht werden konnte".Für viele Prozeßbeobachter sowie für Künzel und Azzola war völligklar, daß diese plötzliche faktische Ausschließung Heldmanns e<strong>in</strong>e StrafmaßnahmePr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs gegen die zwei noch verbliebenen Vertrauensanwältewar, da sie Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g und das Gericht wegen der Mayer-Affäreständig angriffenz4.Azzola unterrichtete daraufh<strong>in</strong> Schily und Heldmannüber das Telefongespräch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs mit Künzel.Am 20.1. 77 reichte Heldmann, nun als Wahlverteidiger nicht mehrauf Kosten der Staatskasse auftretend, den 85. Antrag auf AblehnungPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs wegen Befangenheit e<strong>in</strong>z5. Der Antrag basierte auf e<strong>in</strong>emGespräch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs "mit e<strong>in</strong>em der Verteidiger <strong>in</strong> diesem Verfahren". Indem Gespräch soll Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sich folgendermaßen geäußert haben:,,1. Es mache e<strong>in</strong>en Unterschied aus, ob e<strong>in</strong> Ablehnungsgesuch von dieseroder von jener Seite der Verteidigerbänke gestellt werde.2. Den Ablehnungsanträgen lägen ohneh<strong>in</strong> nur die Vorstellungen der antragstellendenVerteidiger zugrunde.3. H<strong>in</strong>gegen käme es den Angeklagten doch auf Ablehnungsgründe garnicht an.Damit hat der abgelehnte Richter erneut se<strong>in</strong>e Befangenheit gegenüber denAngeklagten und auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Verhältnis zu deren Verteidigern offenbart.Se<strong>in</strong>e Äußerungen begründen die Besorgnis se<strong>in</strong>er Befangenheit gegenüberdem Angeklagten Baader auch <strong>in</strong>soweit, a) daß der abgelehnte Richter Anträgeder von den Angeklagten gewählten Verteidiger gegenüber denen deranderen Verteidiger von vornhere<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger bewertet und - s<strong>in</strong>d es AblehnungsanträgeUnabhängiger - <strong>in</strong> ihrem Inhalt als zum<strong>in</strong>dest unbegründetwürdigt; dem entspricht im übrigen se<strong>in</strong>e Praxis, diesen fürAblehnungsanträgeganz regelmäßig jegliche Pause zu verweigern, wo er an anderer Stelle,gegenüber e<strong>in</strong>em anderen, antragsgemäß Pause gewährt hat, und b) daß derabgelehnte Richter für die Angeklagten e<strong>in</strong>e Besorgnis der Befangenheit von421


vornhere<strong>in</strong> ausschließt - beziehe also auf Punkt 3 des Tatbestands - was zuder bekannten Folge führt, daß die Bestimmungen der Strafprozeßordnungüber die Richterablehnung <strong>in</strong> diesem Verfahren nach Richterermessen alsunanwendbar behandelt werden. Das ist ungesetzlich, das weiß - wie jederJurist - auch der abgelehnte Richter".lPr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs dienstliche Erklärung zu diesem Ablehnungsantrag endetemit dem Satz "Ich fühle mich nicht befangen". Sie bestätigte im wesentlichendas Gespräch mit Künzel:"Ich habe betont, welcher Belastung das Gericht und speziellich gegenwärtigim Zusammenhang mit der Aktenanforderung des Herrn RiBGH Mayerausgesetzt seien und daß es e<strong>in</strong>e zusätzliche Belastung bedeute, wenn vonSeiten der nicht von den Angeklagten gewählten Pflichtverteidiger auch derartigschwerwiegende Vorwürfe <strong>in</strong> der Öffentlichkeit vorgetragen würden. Damitsprach ich lediglich die zu erwartende - und wohl auch e<strong>in</strong>getretene - besondereAufmerksamkeit an, die nach früheren Erfahrungen Anträge von dieserSeite der Verteidigerbank <strong>in</strong> der Öffentlichkeit f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e unterschiedlicheBedeutung der Anträge ,von dieser oder jener Seite' für das entscheidendeGericht war damit nicht geme<strong>in</strong>t; ich kenne diesen Unterschied auch nichtHerr Rechtsanwalt Künzel bestätigte mir me<strong>in</strong>e Vermutung, daß ihm dieAntragsteIlung schwergefallen sei. Er verwies dabei darauf, er müsse alsAnwaltalles aus der Sicht se<strong>in</strong>er Mandanten sehen. - Ich füge hier e<strong>in</strong>, daß ichBegegnungen mit Anstaltsbediensteten der VAStuttgart häufig dazu benütze,um Fragen nach dem Gesundheitszustand der Angeklagten und der Auswirkungdes Prozeßgeschehens auf ihren Zustand zu stellen. Dazu halte ich mich,nachdem ich ke<strong>in</strong>en eigenen E<strong>in</strong>druck von den Angeklagten gew<strong>in</strong>nen kann,als Haftrichter für verpflichtet. E<strong>in</strong>en oder zwei Tage vor dem Ablehnungsantragvom 13.1. erfuhr ich auf e<strong>in</strong>e solche Frage, der Zustand der Angeklagtensei unverändert, von den bekanntgewordenen Vorgängen im Zusammenhangmit der sogenannten Akten-Affäre zeigten sie sich merkwürdig unberührt undohne Interesse, Baader habe sogar geäußert, was das ,wieder für e<strong>in</strong>e Kiste'e<strong>in</strong>es Rechtsanwalts sei. - Herrn Rechtsanwalt Künzels H<strong>in</strong>weis (Sicht derAngeklagten) veranlaßt mich, ihm als Verteidiger diese Kenntnis mitzuteilen.Es kann sehr wohl se<strong>in</strong>, daß ich daraus ihm gegenüber die Schlußfolgerunggezogen habe, daß die Angeklagten (bisher) ke<strong>in</strong> Interesse gezeigt und ke<strong>in</strong>eeigenen Vorstellungen e<strong>in</strong>gebracht hätten.Daß es den Angeklagten generell auf Ablehnungsgründe nicht ankämeoder daß für sie die Akten-Affäre grundsätzlich bedeutungslos wäre, war damitweder gesagt noch geme<strong>in</strong>t. Es g<strong>in</strong>g hier nur um die augenblickliche Situationh<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>es vom Gericht bereits entscheidungsmäßig beurteilten Vorganges.Auf die zukünftige Verteidigertätigkeit Herrn Rechtsanwalts Künzelshabe ich nicht e<strong>in</strong>wirken wollen, sieht man davon ab, daß ich den H<strong>in</strong>weis aufe<strong>in</strong>e mögliche bessere Sorgfalt gegeben habe"Künzels schriftliche Reaktion auf diese dienstliche Erklärung versetztePr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g schließlich den Gnadenstoß (mit Ausnahme des Ablehnungsantragswurden alle folgenden Prozeßhandlungen schriftlich außerhalbder Hauptverhandlung vollzogen):422"Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sagte mir, daß me<strong>in</strong> Antrag das Schlimmste gewesen sei,was er <strong>in</strong> den zweiJahren mitgemacht habe, und brachte zum Ausdruck, daß esfür ihn e<strong>in</strong>en Unterschied mache, von welcher Seite e<strong>in</strong> solcher Antrag käme.Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g hielt mir weiter vor, daß jetzt die Presse wieder über ihnherfalle. Icherklärte Herrn Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, daß se<strong>in</strong>e Stellungnahme vom 29. 7.76<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ablehnungsverfahren für alle Beteiligten unverständlich gewesen sei.Dadurch, daß er auf die Vorwürfe, er habe Kontakt zu Richtern übergeordneterInstanzen, lediglicherklärt habe, er sage über private Gespräche, auch wenn siesich mit Rechtsfragen befassen, nichts aus, habe er doch der VennutungNahrung gegeben, daß solche Kontakte tatsächlich bestanden.Ich bat Herrn Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, sich doch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> die Lage der Frau Enssl<strong>in</strong> zuversetzen, die sich nun sagen müsse, daß e<strong>in</strong>e zukünftige Revision s<strong>in</strong>nlos istund die sich später immer sagen müsse, daß ihre Revision s<strong>in</strong>nlos gewesen sei,weilja e<strong>in</strong> Austausch zwischen den beteiligten Senaten stattgefunden habe (mitdem Ziel, e<strong>in</strong> revisionssicheres Urteil zu erstellen).Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gsagte darauf wörtlich: ,Das istdoch der Frau Enssl<strong>in</strong>egal; daskommt doch alles von Rechtsanwalt Schily'.Ich sagte, daß ich mir das nicht vorstellen könne, wenn ich versuche, mir dieLage der Frau Enssl<strong>in</strong> zu vergegenwärtigen. Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sagte darauf, daswürde ich abstrakt sehen, er wisse konkret, daß es Frau Enssl<strong>in</strong> egal sei.Von Herrn Baader war <strong>in</strong> dem ganzen Gespräch nicht die Rede. Aber auchdieser H<strong>in</strong>weis wäre nicht geeignet gewesen, me<strong>in</strong>e im Telefonat zum Ausdruckgebrachte Besorgnis zu entkräften. Wenn mir Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g schon <strong>in</strong> demTelefonat zur Begründung se<strong>in</strong>er verme<strong>in</strong>tlichen Unbefangenheit e<strong>in</strong>e Äußerungvon Herrn Baader entgegengehalten hätte (nach e<strong>in</strong>em Zitatvom Hörensagen),dann hätte ichgerade dar<strong>in</strong> erneut e<strong>in</strong>en Ausdruck der Befangenheit desVorsitzenden Richters gesehen und dies zum Ausdruck gebracht.Es mag se<strong>in</strong>, daß der Vorsitzende Richter auf me<strong>in</strong>e zukünftige Verteidigertätigkeitke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß nehmen wollte. Auf mich hat dieses Gespräch andersgewirkt und mußte anders wirken, zumal da Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g sagte: ,Wenn ichdas nicht durchhalte, Herr Künzel. .. ' E<strong>in</strong> Richter, der diese Sorge hat, sie e<strong>in</strong>emanderen gegenüber äußert und dies gegenüber e<strong>in</strong>em Verteidiger, der geradee<strong>in</strong>en Ablehnungsantrag gegen ihn gestellt hat, willauf die <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>wirken"26Die BAWplädierte ungerührt weiter für die Zurückweisung des Ablehnungsantragsgegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g: "... Anlaß und Gegenstand dieses Gesprächs(war) se<strong>in</strong> berechtigtes Bestreben, den Verteidiger über ,Informationslücken'zu unterrichten und diese auszufüllen,m. Aber auch e<strong>in</strong>ezweite dienstliche Erklärung, <strong>in</strong> der er Künzels Wiedergabe des Gesprächsnicht anzweifelte, nützte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g nichts meh~8. Gegen 17 Uhrwurde die Öffentlichkeit wieder zur Verhandlung zugelassen. Informationendarüber, was sich <strong>in</strong>zwischen h<strong>in</strong>ter verschlossenen Türen abgespielthatte, gab es nicht (oben wurde nur aus den wichtigsten Erklärungen derDaß das 85. Ablehnungsgesuch <strong>in</strong>s Schwarze getroffen hatte, wurdevom neuen Vorsitzenden Dr. Eberhard Foth bekanntgegeben. "MitunsichererStimme und bleichem Gesicht,,29 verkündete er, warum dieAblehnung Prozeßbeteiligten Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs zitiert). diesmal begründet war:)423


"Darauf, ob Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g befangen ist oder sich befangen fühlt, kommt esentscheidend nicht an. Maßgebend ist, ob aus der Sicht der Angeklagtenvernünftigerweise Mißtrauen <strong>in</strong> die Unparteilichkeit des Richters gesetzt werdenkann. Diese Befürchtung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn Dr.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g - nach se<strong>in</strong>er dienstlichen Erklärung - Rechtsanwalt Künzel se<strong>in</strong>e,Kenntnis' mitgeteilt hat, die Angeklagten zeigten sich von den bekanntgewordenenVorgängen im Zusammenhang mit der sog. Akten-Affäre merkwürdigunberührt und ohne Interesse, Baader habe sogar geäußert, was das wiederfür e<strong>in</strong>e Kiste e<strong>in</strong>es Rechtsanwaltes sei, oder - nach der Er<strong>in</strong>nerung vonRechtsanwalt Künzel - ,Das ist doch der Frau Enssl<strong>in</strong> egal, das kommt dochalles von Rechtsanwalt Schily'. G<strong>in</strong>g der abgelehnte Richter von e<strong>in</strong>em solchenSachverhalt aus, ohne daß e<strong>in</strong>e Klärung stattgefunden hätte, und brachteer ihn im Zusammenhang mit vorausgegangenen Anträgen der <strong>Verteidigung</strong>,so ist aus der Sicht der Angeklagten die Befürchtung nicht unbegründet,Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g messe aufgrund e<strong>in</strong>es solchen ungeprüften Vorganges derartigenAnträgen e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Bedeutung bei, als ihnen sonst zukäme.Da dieser Grund geeignet ist, die Ablehnung zu begründen, kommt es aufdie sonst geltend gemachten Ablehnungsgründe nicht an"30Anschaulich beschreibt e<strong>in</strong> Kommentar der "Frankfurter Rundschau"vom 22.1. 77, weshalb es sich um e<strong>in</strong>en "Pyrrhus-Sieg" der <strong>Verteidigung</strong>handelte:"Als Richter Foth den Auszug Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs verkündete, g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> hörbaresAufatmen durch die Reihen der Besucher und Journalisten. Man konnte sogarentspannte Gesichter bei den Justizbeamten und Polizisten sehen. Zum<strong>in</strong>destdie Optik <strong>in</strong> diesem Strafprozeß ersche<strong>in</strong>t nun gewahrt".Ähnliche Reaktionen fanden sich <strong>in</strong> weiten Teilen der Medien. Gegenstandder Kommentare war nicht der Inhalt des Prozesses, sondern se<strong>in</strong>Ersche<strong>in</strong>ungsbild, "die Optik". Allenthalben wurde Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g als e<strong>in</strong> Richterbeschrieben, der "e<strong>in</strong>er solchen auch psychologisch schwierigenKonfrontation,,31 im Endeffekt nicht gewachsen zu se<strong>in</strong> schien. Mit denWorten der "FAZ" vom 22.1.77: "Was von ihm gefordert wurde, g<strong>in</strong>güber menschliche Kraft h<strong>in</strong>aus"; die Schlagzeile der "Rhe<strong>in</strong>pfalz" vomselben Tag: "Zuletzt versagten Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Nerven". Es sei der <strong>Verteidigung</strong>(und damit den Angeklagten!) schließlich doch geglückt, "durchböswilligste Diffamierung den abgelehnten Richter fertigzumachen " und"die physische und psychische Vernichtung von Richtern" zu erreichen.Deshalb sei es für das "weitere, s<strong>in</strong>nvolle Amtieren des Senats" unvermeidlichgewesen, "sich von se<strong>in</strong>em Vorsitzenden, dem Richter Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g,zu trennen ,,32.Auch für die "Süddeutsche Zeitung" vom 22.1. 77 war dieerkämpfte Ablehnung Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs deshalb ke<strong>in</strong> Sieg der <strong>Verteidigung</strong>: "E<strong>in</strong>später Sieg, vielleicht nur e<strong>in</strong> Etappensieg, ist sie jedoch für den Rechtsstaat".Der Widerstand der Angeklagten gegen e<strong>in</strong>e geräuschlose liquidierungdurch die Justiz und die oft hartnäckige prozessuale Unterstützung,die sie von ihren Rechtsanwälten erhielten, hatten dazu geführt, daßzum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>ige Aspekte der staatlichen Behandlung der Gefangenen424aus der RAF bekannt geworden waren. Vor allem im Ausland betrachtetendie Medien regelmäßig und kritisch Haftsituation, Sondergesetzeund Anwaltsbehandlung. Seit Mai 1975 konzentrierte sich diese Aufmerksamkeitauf die Vorgänge rund um den Prozeß <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>,wodurch der vom Staat von Anfang an als exemplarisch geführte Prozeßwie e<strong>in</strong> Bumerang zu wirken begann33. Nicht zuletzt durch das Auftretender <strong>Verteidigung</strong> war Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g vordergründig zur Symbolfigur für die sichauf den Prozeß konzentrierende Kritikgeworden. Der Pyrrhus-Charakterdes Siegs der <strong>Verteidigung</strong> entwickelte sich deshalb vor allem aus deroberflächlichen Me<strong>in</strong>ung, mit dem Auszug Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs seien der Prozeßund se<strong>in</strong>e Vorgeschichte von allem übel gere<strong>in</strong>igt worden. Inhaltlichaber hatte sich nichts zum Positiven verändert. Das Gegenteil trat e<strong>in</strong>. DieHaftsituation der Gefangenen sollte noch verschärft werden, ebenso dieBee<strong>in</strong>trächtigung der Rechtsanwälte, während gleichzeitigneue, schärfere,sogenannte Anti-Terror-Gesetze, die unter anderem die erleichterteAusschließung von Rechtsanwälten und Angeklagten <strong>in</strong> "Terroristenprozessen"betreffen, e<strong>in</strong>geführt würden34.Der Prozeß <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> konnte nun "normal" weitergeführt werden:Wesentliche Beschlüsse, wie die zur Ausschließung von Verteidigernund Fortführung des Prozesses <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagten, anderen Zustandekommen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g und Mayer zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en wichtigenAnteil hatten, blieben weiterh<strong>in</strong> gültig, obwohl an der Unparteilichkeitder verbleibenden Richter angesichts ihrer Versuche, Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g bis zumSchluß zu decken, schwerwiegende Zweifelbestanden. Auch der Anlaßfür Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs endgültigen Abgang blieb unaufgeklärt: das Ausmaß derZusammenarbeit zwischen dem Gericht <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> (<strong>in</strong> der Personvon Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g) und dem politischen Senat des BGH (<strong>in</strong> der Person vonMayer).Wie immer auch die Zusammenarbeit ausgesehen hat, mit der Aktenversendungan Spr<strong>in</strong>gers "Welt" war auf jeden Fall deutlich geworden,daß Bundesrichter Mayer hochgradig befangen war. Mayer hatte alsRichter des 3. (politischen) Senats des BGH an allen Beschwerdeentscheidungen<strong>in</strong> der Sache "Baader u. a. " mitgewirkt. An dem sogenanntenFolterbeschluß des BGH über die Ausschließung der Angeklagtengemäß § 231a StPO vom 22. 10. 75 hatte Mayer sogar als Berichterstatterund als stellvertretender Vorsitzender des 3. Senats mitgewirkt.Viele Erwägungen dieses Beschlusses bildeten schon für sich genommen- wie <strong>in</strong> KapitelVI,4.2. dargelegt - e<strong>in</strong> Monument der Befangenheitder mitwirkenden Richter. Heldmann nahm Mayers maßgebliche Mitwirkungan diesem Grundsatzbeschluß sowie die offensichtlich gewordeneBefangenheit Mayers zum Anlaß für den Antrag, den Prozeß "nach§ 206a StPO wegen e<strong>in</strong>es Verfahrensh<strong>in</strong>dernisses e<strong>in</strong>zustellen". Dervolle Wortlaut dieses Antrags ist <strong>in</strong> Anmerkung 35 wiedergegeben. Hierkurz die juristische Argumentation: Aufgrund geltender Gesetze muß e<strong>in</strong>425


Strafverfahren beendet werden, wenn nach der Qualität des Verfahrensmangelsund dem Stand des Verfahrens es nicht möglich ist, dieses nochauf die richtige Bahn zu br<strong>in</strong>gen. Das Prozedieren vor e<strong>in</strong>em "ungesetzlichen"Richter ist e<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis, wobei "richterliche UnbefangenheitEssentiale des gesetzlichen Richters" ist - beides wird durchGesetze, Jurisprudenz und herrschende Rechtsauffassung bestätigt.Heldmanns Schlußfolgerung:"Der Beschlußdes BGHzurFortsetzungder Hauptverhandlung<strong>in</strong> Abwesenheitder Angeklagtenist ungesetzlichzustandegekommen,weilBundesrichterMayerse<strong>in</strong>erPflichtzurSelbstablehnungnichtnachgekommenist(§30StPO). DerBeschlußverletztVerfassungsrecht:den grundrechtsgleichenAnspruchderGefangenenauf den gesetzlichenRichter(Art.101 12 GG).Der Beschlußwirktfort:die Hauptverhandlung<strong>in</strong>Abwesenheitder Angeklagtengehtweiter.DieZwischenentscheidungnach § 231 a StPO istunanfechtbargeworden.WosiealsGrundlagedieserHauptverhandlung<strong>in</strong>AbwesenheitderAngeklagtenalsrechtswidrigerkanntist,ist,weildieserRechtsmangel<strong>in</strong>diesemVerfahrennicht mehr geheilt werden kann, das Verfahrenwegen fortwirkendenVerfahrensh<strong>in</strong>demissese<strong>in</strong>zustellen".Die Begründung, mit der das Präsidium des BGH die VersetzungMayers vom 3. zum 4. Strafsenat rechtfertigte, schien Heldmanns Argumentationgroßenteils zu bestätigen. Nach dem GVG wird <strong>in</strong> der RegelimH<strong>in</strong>blick auf den Grundsatz, daß niemand se<strong>in</strong>es gesetzlichen Richtersberaubt werden darf - zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es jeden Jahres festgestellt,welche Richter welchem Kollegium zugeteilt s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e der wenigenAusnahmen von dieser Regel ist<strong>in</strong> § 21 e GVG festgelegt. Er besagt, daßdann, wenn e<strong>in</strong> Richter "dauernd verh<strong>in</strong>dert" ist, er zwischenzeitlichersetzt werden kann. Genau dies war nun nach Me<strong>in</strong>ung des BGH­Präsidiums bei Mayer der Fall, da zu erwarten war, daß er von nun anfortwährend und wahrsche<strong>in</strong>lich erfolgreich <strong>in</strong> "den politischen Prozessen,die zum täglichen Brot des dritten Strafsenats zählen" als befangenabgelehnt werden würde. Die FAZvom 19.1. 77, der auch das vorhergehendeZitat entnommen ist, formuliert dies so: "Denn e<strong>in</strong> befangenerRichter ist, so wird man gesehen haben, nicht der gesetzliche Richter, dendas Grundgesetz jeder Partei, jedem Angeklagten garantiert". Der ablehnendeBescheid über Heldmanns Antrag, den Prozeß abzubrechen,wurde vom <strong>Stammheim</strong>er Gericht am 28.4.77 bei der Urteilsverkündungbekannt gegeben (§ 260 Abs. IIIStPO). Auf Heldmanns grundsätzlicheArgumentation g<strong>in</strong>g das Gericht allerd<strong>in</strong>gs nicht e<strong>in</strong>. Es wurdelediglich ausgeführt, daß die Mitwirkung e<strong>in</strong>es BGH-Richters, den die<strong>Verteidigung</strong> nachträglich als befangen ansieht, an dem BGH-Beschlußvom 22. 10. 75, ke<strong>in</strong>en Grund für e<strong>in</strong> Abbrechen des Prozesses darstelle:"Zum e<strong>in</strong>en kann e<strong>in</strong> Richter nachträglich nicht abgelehnt werden, zumanderen kommt es nicht darauf an, wer an jener Entscheidung mitgewirkthat".426Die vielen Befangenheitsanträge gegen Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g hatten noch e<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>schneidende Gesetzesänderung zur Folge. In § 29 StPO ist festgelegt,daß e<strong>in</strong> abgelehnter Richter bis zur Entscheidung über den Ablehnungsantragnur diejenigen Handlungen verrichten darf, die unmittelbarnotwendig s<strong>in</strong>d; die unverzügliche Vertagung der Sitzungzwecks Behandlung des Ablehnungsantrags war damit vorgeschrieben.Mitte 1978 wurde § 29 um e<strong>in</strong>en zweiten Absatz dah<strong>in</strong>gehenderweitert, daß nun e<strong>in</strong>e Sitzung weitergeführt werden kann, "bis e<strong>in</strong>eEntscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlungmöglich ist", und zwar "spätestens bis zum Beg<strong>in</strong>n desübernächsten Verhandlungstages und stets vor Beg<strong>in</strong>n der Schlußvorträge".Bundesjustizm<strong>in</strong>ister Dr. Jochen Vogel begründete dieNotwendigkeit dieser Gesetzesänderung wie folgt: "Von den 192Verhandlungstagen im ersten <strong>Stammheim</strong>-Prozeß s<strong>in</strong>d etwa 50 Tage- das s<strong>in</strong>d rund 25 Prozent - alle<strong>in</strong> für Ablehnungsgesuche und Verhandlungenund Entscheidungen darüber verloren gegangen". HierzuIngo Müllers Kommentar <strong>in</strong> "Kritische Justiz": "Der zum Beleg derNotwendigkeit e<strong>in</strong>er neuerlichen Erschwerung der Ablehnung e<strong>in</strong>esbefangenen Richters angeführte Fall des Vorsitzenden Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g (. .. )eignete sich eher als Argument für e<strong>in</strong>e erleichterte Richterablehnung"36.2. Die AbhöraffäreSchon 1974 erklärten Gefangene aus der RAF, sie hätten Anhaltspunktedafür, daß seit Sommer 1973 Besuche von Rechtsanwältenabgehört würden. Anfang Juli 1975 wiederholte Baader diese Vorwürfeöffentlich im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß37 Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gs Aufforderung, "Roßund Reiter" zu nennen, beantwortete Baader mit der Feststellung, daß esunmöglich sei, schriftliches Beweismaterial vorzulegen, daß es aber "nerelativ e<strong>in</strong>fache Methode gibt, durch Deduktion rauszukriegen, ob etwasüberwacht wird", also "ganz gezielt sozusagen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gespräch waszu entwickeln, was den Ermittlungsbehörden Veranlassung gibt zu bestimmtenAktionen,,38. Bundesanwalt Wunder erklärte kategorisch, dasAbhören von Anwaltsgesprächen sei völligaus der Luft gegriffen. Baaderwollte daraufh<strong>in</strong> von Wunder wissen, ob er sich nicht vorstellen könne,daß z. B. "befreundete Dienststellen" ohne Wissen der BAWabhörten,"obwohl uns das ja unwahrsche<strong>in</strong>lich vorkommt". Wunder: "Herr Baader,dann hätte es doch gar ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, Sie abzuhören,,39. Baaderdeutete an, die Gefangenen würden das Abgehärtwerden noch währenddes laufenden Prozesses beweisen. Es sollte noch gut anderthalb Jahredauern, bevor der endgültige Beweis auf dem Tisch lag. Die Justiz- undInnenm<strong>in</strong>ister des Landes Baden-Württemberg lieferten ihn nolens volens(Kap. VII, 4.2). Noch bevor der Prozeß am 21. Mai 1975 begann,427


waren Rechtsanwaltsbesuche <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> bereits vom Staatsschutzabgehört worden.2.1. TatbeständeAm 27. Februar 1975 wurde der Berl<strong>in</strong>er CDU-Politiker Peter Lorenzvon e<strong>in</strong>em Kommando der westdeutschen Stadtguerillagruppe "Bewegung2. Juni" entführt. Zehn Tage später wurde Lorenz freigelassen,nachdem die Forderung, fünf Gefangenen aus dieser Bewegung freieAusreise <strong>in</strong>s Ausland ?u gewähren, von der Bundesregierung erfülltworden war.Obwohl niemand der freizulassenden Gefangenen des ,,2. Juni" <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> saß, wandte sich der Innenm<strong>in</strong>ister des Landes Baden­Württemberg, Kar! Schieß, noch am Tag der Entführung über dasLandesamt für Verfassungsschutz an das Bundesamt für Verfassungsschutz(BN): er bat um Hilfe beim Anbr<strong>in</strong>gen von Abhörgeräten <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong>40. Diese Bitte wurde am 1., 2. und 3. März 1975 erfüllt.Nach e<strong>in</strong>er Mitteilung des Justizm<strong>in</strong>isters von Baden-Württemberg,Traugott Bender, s<strong>in</strong>d diese Geräte erstmals am 25.4.75 benutzt worden,also e<strong>in</strong>en Tag nach der Beendigung der Besetzung der westdeutschenBotschaft <strong>in</strong> Stockholm durch das RAF-Kommando "HolgerMe<strong>in</strong>s"41. Die Botschaftsbesetzer hatten - wenn auch vergeblich - dieFreilassung ihrer <strong>Stammheim</strong>er Genossen gefordert. Der MitteilungBendersistnoch zu entnehmen, daß das Abhören von Gesprächen zwischenGefangenen und Verteidigern am 9.5.75 beendet wurde.Den offiziellenMitteilungen ist nicht e<strong>in</strong>deutig zu entnehmen, welcheStelle(n) mit dem Abhören beauftragt warten). E<strong>in</strong>er Erklärung derBundesregierung zufolge hatte der Bundesnachrichtendienst (BND)AnfangMai 1975 auf Bitten des Landeskrim<strong>in</strong>alamts (LKA) von Baden­Württemberg "technische Hilfe" beim Abhören geleistet42. Auch hierwaren wiederum zwei Mitarbeiter des BN beteiligt. Das Bundeskanzleramtunter Leitung des SPD-Staatssekretärs und Koord<strong>in</strong>ators der GeheimdiensteManfred Schüler hatte der Mitarbeit des BND zugestimmt.MitSicherheit steht also nur fest, daß das Abhören durch die unmittelbareZusammenarbeit zwischen verschiedenen Nachrichtendienstenund dem baden-württembergischen LKA zustandegekommen war. DieArbeitsteilung (wer <strong>in</strong>stallierte die Geräte und wer übernahm das tatsächlicheAbhören?) bleibt unklar.Der schon erwähnten Mitteilung Benders zufolge soll noch e<strong>in</strong>malvom 6.12.76 bis zum 21. 1.77 abgehört worden se<strong>in</strong>; Anlaß dafür sei dieFestnahme des Rechtsanwalts Siegfried Haag und se<strong>in</strong>es Begleiters RolandMayer gewesen.Die M<strong>in</strong>ister Bender und Schieß erklärten ausdrücklich, Ziel des Abhörenssei <strong>in</strong> beiden Fällen ausschließlich "die Abwehr von konkreten428Gefahren für Leib und Leben unschuldiger dritter Personen" gewesen,da unmittelbar zu befürchten gewesen sei, daß mit Hilfe der Rechtsanwältevon <strong>Stammheim</strong> aus neue Geiselnahmen geplant würden43.Die Vertreter der Bundesanwaltschaft im Prozeß gegen "Baader u. a. "erklärten kategorisch, ke<strong>in</strong> Mitarbeiter der BAW, auch GBA Bubacknicht, habe von den Abhörvorgängen etwas gewußt44.Die offiziellenErklärungen zum Tathergang der Abhöraktion wurdenvon weiten Teilen der Medien nur sehr skeptisch aufgenommen. Immerh<strong>in</strong>strotzten auch die offiziellen Erklärungen anläßlich des gerade bekanntgewordenen"Lauschangriffs" auf den Atomphysiker Klaus Traubevon offenen Widersprüchen, Ungereimtheiten und Unwahrsche<strong>in</strong>lichkeiten45.Man bezweifelte <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie, daß das Abhören auf diezwei erwähnten Zeiträume beschränkt geblieben sei und daß nicht e<strong>in</strong>maldie mit der Strafverfolgung beauftragten Instanzen, BAWund/oderBKA, darüber unterrichtet waren. So schreibt die "Süddeutsche Zeitung"am 18.3.77:"Sodann wird es wenig glaubwürdig, daß e<strong>in</strong>e im Frühjahr 1975 <strong>in</strong>stallierte,Wanze' bis jetzt ausschließlich zweimal <strong>in</strong> Betrieb gewesen se<strong>in</strong> soll, und diesausgerechnet an Tagen n ach e<strong>in</strong>er unmittelbaren terroristischen Gefährdung.Wenn es denn wirklich e<strong>in</strong>e Rechtfertigung gegeben haben sollte, unter derman mit ,Wanzen' e<strong>in</strong>er Gefangenenbefreiung hätte vorbeugen dürfen, dannhätte es schon die Natur der Sache verlangt, die Anlage ständig <strong>in</strong> Betrieb zuhalten. Und dies sollten die zuständigen Behörden nicht gewußt haben?"Die BAW und die ihr unterstellten Ermittlungsbehörden hatten dafürzu sorgen, daß sich eben jene "befürchtete Geiselnahmen" nicht ereignenkonnten, die die Verantwortlichen - den M<strong>in</strong>istern Schieß undBender zufolge - im Auge hatten, als sie den Beschluß faßten, <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> abzuhören. Und trotzdem soll die BAW davon nichts gewußthaben, wie am 22.3.77 noch e<strong>in</strong>mal ausdrücklich <strong>in</strong> der Verhandlungbetont wurde! Selbst M<strong>in</strong>ister Schieß wollte nicht so weit gehen; <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er Pressekonferenz vom 17.3.77 erklärte er, daß GBA Buback "womöglich"etwas gewußt habe46.In diesem Zusammenhang sei noch e<strong>in</strong>mal an die oben wiedergegebeneDiskussion zwischen Baader und BAWWunder Anfang Juli 1975er<strong>in</strong>nert; sie fand e<strong>in</strong>ige Monate n ach der Installation und offiziellenersten Benutzung der Abhöranlage statt. BAW Wunder hatte damalsdeutlich gesagt, daß e<strong>in</strong> Abhören von Verteidigerbesuchen <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>nur dann s<strong>in</strong>nvoll sei, wenn die Ergebnisse auch der BAW zurVerfügung stünden. Zu diesem Zeitpunkt, so behaupteten jedenfalls dieM<strong>in</strong>ister Bender und Schieß, g<strong>in</strong>gen von <strong>Stammheim</strong> "konkrete Gefahren"aus, weil die Gefangenen mit Hilfe ihrer Rechtsanwälte aus demGefängnis heraus Befreiungsaktionen organisierten. Es muß also davonausgegangen werden, daß die BAWüber die "geplanten Befreiungsaktionen" und die dagegen e<strong>in</strong>gesetzte Abhörerei <strong>in</strong>formiert war. Dies429


umso mehr, als die beim Abhören gewonnenen "Fakten" für die Beweisführunge<strong>in</strong>es Teils der Anklage, die "Fortführung e<strong>in</strong>er klim<strong>in</strong>elIenVere<strong>in</strong>igung vom Gefängnis aus", bedeutsam gewesen wären. Schließlichhätte e<strong>in</strong>e sichere Beweisführung <strong>in</strong> diesem Punkt auch zentraleBedeutung für die Rechtfertigung der Ausschlüsse von Anwälten erlangenkönnen.Aus verschiedenen Gründen ist es unwahrsche<strong>in</strong>lich, daß die M<strong>in</strong>isterSchieß und Bender den Beschluß abzuhören, selbständig getroffenhaben. Viel eher kann angenommen werden, daß das BKA (unteranderem wegen se<strong>in</strong>er Weisungsbefugnis gegenüber den Landesklim<strong>in</strong>alämternbei der Terrolismusbekämpfung) diesen Beschluß erwirkthat. Es ist sehr wohl möglich, daß die M<strong>in</strong>ister selbst von der Richtigkeitder vom BKAangeführten Begründung, dem Verdacht, von mit HilfederVerteidiger geplanten Geiselnahmen (der das Abhören aufgrund des"übergesetzlichen Notstands" rechtfertigen würde), überzeugt waren.Aufgrund me<strong>in</strong>er Untersuchung dieser "Notstands"-Konstruktion <strong>in</strong> Zusammenhangmit der Ausschließung von Verteidigern (s. KapitelV, 4 bis4.4) ist es aber äußerst unwahrsche<strong>in</strong>lich, anzunehmen, daß das BKAse<strong>in</strong>er eigenen Begründung Glauben schenkte. Glaubwürdiger dagegenist, daß das BKAsich dieser Konstruktion wiederum mit dem Zielbediente,die e<strong>in</strong>zige Lücke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er fast totalen Kontrolle über die Gefangenen- die Kommunikation mit den Rechtsanwälten - zu schließen, nachdemder Bundestag (noch) nicht bereit war, die dazu erforderliche gesetzlicheGrundlage zu liefern. Die "übergesetzliche" Grundlage "Notstand" beziehtsich aus dieser Sichtweise nicht auf konkrete Gefahren wie z. B.vom Gefängnis aus organisierte Aktionen, sondern spiegelt eher den"Beweisnotstand" der Ermittlungsbehörden angesichts des bevorstehendenProzesses <strong>in</strong> Stamm heim wieder. So gesehen ist es ebenfallsunwahrsche<strong>in</strong>lich, daß das Abhören auf die zwei genannten Zeiträumebeschränkt gewesen se<strong>in</strong> soll2.2. Die RechtslageIn der Debatte über die Rechtmäßigkeit der Abhöraktion waren sichalle Beteiligten zum<strong>in</strong>dest darüber e<strong>in</strong>ig, daß für die Abhörmaßnahmenke<strong>in</strong>e gesetzliche Grundlage vorhanden gewesen war47. Außerdem war§ 148 StPO, der die (damals noch) unkontrollierte Kommunikationzwischen e<strong>in</strong>em sich <strong>in</strong> Haft bef<strong>in</strong>denden Verdächtigen und se<strong>in</strong>emVerteidiger garantierte, e<strong>in</strong>deutig verletzt worden. Verschiedene Gründegaben zu der berechtigten Vermutung Anlaß, daß sich zahlreiche Beamteund Politiker, bis h<strong>in</strong> <strong>in</strong> höchste Regierungskreise (Bundeskanzleramt),des Amtsvergehens nach § 201 StGB, der Verletzung der Vertraulichkeitdes Wortes, schuldig gemacht hatten. Diese Verdächtigungensozusagen vorwegnehmend, beliefen die M<strong>in</strong>ister Schieß und Bender430sich auf den "übergesetzlichen Notstand" im S<strong>in</strong>ne von § 34 StGB, umdie unter ihre Verantwortlichkeit fallende Abhöraktion zu rechtfertigen48.Die entscheidende Passage des 1969 e<strong>in</strong>geführten und 1975 <strong>in</strong> Kraftgetretenen § 34 StGB lautet: "Wer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gegenwärtigen, nicht andersabwendbaren Gefahr für (. .. ) e<strong>in</strong> (. .. ) Rechtsgut e<strong>in</strong>e Tat begeht (. .. ),handelt nicht rechtswidlig, wenn bei Abwägung der widerstreitendenInteressen (. .. ) das geschützte Interesse das bee<strong>in</strong>trächtigte wesentlichüberwiegt". Die JUlisprudenz erkannte diese Bestimmung schon e<strong>in</strong>halbes Jahrhundert lang als übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund an49;<strong>in</strong> der Praxis war das Hauptanwendungsgebiet die Schwangerschaftsunterbrechungaufgrund e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>ischen Indikationso.Schon sechs Wochen vorher hatte Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Maihoferden Weg für diesen Rechtfertigungsgrund geebnet, als er mit dem unterse<strong>in</strong>e Verantwortung fallenden Abhörskandal um den AtomwissenschaftlerTraube konfrontiert wurde. Damals schon führte die Berufungauf § 34 StGB zu heftigen Reaktionen; sie wurde von der liberalen Presseüberwiegend als Verfassungsbruch abgelehntSI, häufig unter H<strong>in</strong>weisauf Adolf Arndts Worte aus dem Jahr 1961: "Der angebliche überverfassungsgesetzlicheStaatsnotstand als Sche<strong>in</strong> der Rechtfertigung ist nur e<strong>in</strong>Tarnwort für den Verfassungsbruch"s2. Fast alle Beiträge befragterStaatsrechtslehrer bestanden <strong>in</strong> Valiationen über dieses Thema Arndts.Merkwürdigerweise führt uns der Name Arndt zurück zur Entstehungder RAF. Dieser Top-Julist der SPD ist <strong>in</strong> den sechziger Jahren immerh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>er der großen Befürworter für e<strong>in</strong>e Notstandsgesetzgebung gewesen.Gerade die Vorbereitung der Notstandsgesetze aber war neben demVietnamklieg Hauptzielscheibe der radikalen Studentenbewegung, ausder die RAF hervorg<strong>in</strong>g. Die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Notstandsgesetzgebungergab sich für Arndt aus se<strong>in</strong>er Ablehnung des Rechtsbegliffs"überverfassungsgesetzlicher Notstand". Für ihn sollten die Notstandsgesetzesicherstellen, daß bei E<strong>in</strong>treten e<strong>in</strong>es Notstands "ke<strong>in</strong>e übermäßigeSpannung zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit"entstehen könnes3. Nach Bekanntwerden der Abhörereien beiTraube und <strong>in</strong> Stamm heim folgerten Staats- und Strafrechtslehrer, sichArndt anschließend, daß der Staat auf ke<strong>in</strong>en Fall e<strong>in</strong>en "übergesetzlichen"oder "überverfassungsgesetzlichen" Notstand geltend machenkönne, weil die Notstandsgesetze von 1969 das rechtmäßige Handelnvon Staatsorganen <strong>in</strong> Notstandssituationen genau geregelt und e<strong>in</strong>gegrenzthätten. Der Staat könne sich ebensowenig auf § 34 StGB berufen,da diese Bestimmung - berücksichtigt man ihren Wortlaut, ihren Standort<strong>in</strong>nerhalb des Strafgesetzbuches und ihre Geschichte - nur beabsichtige,e<strong>in</strong>en Rechtfertigungsgrund des mateliellen Strafrechts zu formulierenund somit den Schutz des Bürgers vor dem Staat zum Inhalt habe.Die Tatsache, daß auch e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Polizeibeamter und selbst e<strong>in</strong>Geheimdienstler als angeklagter Bürger sich, nach überschreitung se<strong>in</strong>er431


Befugnisse, unter Umständen mit Erfolg auf diesen Rechtfertigungsgrundberufen könne, bedeute selbstverständlich noch nicht, daß derStaat oder Staatsorgane dieser Bestimmung direkte Befugnisse zu verfassungswidrigemHandeln entlehnen könnten; ganz abgesehen davon,daß auf diese Weise der bei der Notstandsgesetzgebung durch diekonstitutionelJe Vordertür endgültig verabschiedete Rechtsbegriff des"überverfassungsgesetzlichen Notstands" durch die strafrechtliche H<strong>in</strong>tertürhere<strong>in</strong>gelassen würde. Solche und ähnliche Töne waren nichtalJe<strong>in</strong> von den liberalen Medien, Staats- und Strafrechtslehrern zu vernehmen,auch der Präsident des OLG Braunschweig, Rudolf Wassermann,der ehemalige Präsident des OLG Stuttgart, Richard Schmid unde<strong>in</strong>ige Staatsanwälte lehnten e<strong>in</strong>e Berufung auf § 34 StGB ab54.Wassermann, unter anderem auch Vorsitzender der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaftSozialdemokratischer Juristen, er<strong>in</strong>nerte daran, daß man <strong>in</strong> derWeimarer Zeit mit dem "übergesetzlichen Notstand" selbst "Fememordeund den Aufbau der Schwarzen Reichswehr gerechtfertigt (hat}"55.Der<strong>in</strong>nerhalb der SPD recht e<strong>in</strong>flußreiche Staatsrechtslehrer E. W. Böckenfördekommt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ende 1978 <strong>in</strong> der "Neue Juristische Wochenschrift"veröffentlichten Analyse zu der Schlußfolgerung, daß das Akzeptierender Berufung auf § 34 StGB e<strong>in</strong>er "offenen Generalermächtigung"der betreibenden Macht gleichkäme, die noch über das berüchtigteErmächtigungsgesetz, Art. 48 II WRV, der Weimarer Zeit h<strong>in</strong>ausgeheund die nichts anderes "als die Auflösung der Integrität der rechtsstaatlichenVerfassung und die Preisgabe des Pr<strong>in</strong>zips des Verfassungsstaates"be<strong>in</strong>halte56.AlJediese Me<strong>in</strong>ungsäußerungen, <strong>in</strong> der Fachpresse ausführlich diskutiertund dokumentierf7, haben die H<strong>in</strong>nahme der Berufung auf § 34StGB alJerd<strong>in</strong>gs nicht verh<strong>in</strong>dern können. M<strong>in</strong>ister Schieß erklärte dieAbhöraktion nicht nur für rechtmäßig, sondern kündigte auch noch an,ähnliche Aktionen "<strong>in</strong> vergleichbaren Situationen <strong>in</strong> gleicher Weise"wieder vorzunehmen58. Nicht nur der baden-württembergische M<strong>in</strong>isterpräsidentHans-Karl Filb<strong>in</strong>ger und die Mehrheit des Bundesrates stelltensich bed<strong>in</strong>gungslos h<strong>in</strong>ter die M<strong>in</strong>ister Schieß und Bende~9, auch BundeskanzlerHelmut Schmidt teilte mit, daß er ihr Verhalten "sehr wohl fürvertretbar" halte60 Schmidt g<strong>in</strong>g somit noch entschieden weiter als se<strong>in</strong><strong>in</strong> die Affäre verstrickter Chef des Bundeskanzleramts, Schüler, der se<strong>in</strong>eMitverantwortlichkeit zu beschönigen versuchte, <strong>in</strong>dem er erklärte, erhabe, als er dem BND se<strong>in</strong>e Zustimmung gegeben habe, Abhörgeräte <strong>in</strong>Stamm heim zu <strong>in</strong>stalJieren, nicht gewußt, daß Verteidigergesprächeabgehört werden sollten.Man g<strong>in</strong>g also auf höchster politischer Ebene von ungeschriebenemStaatsnotrecht aus, wobei § 34 StGB nur "als kodifizierte Bestätigungdafür, daß Notstandslagen mit e<strong>in</strong>er Güterabwägung ausgeräumt werdendürfen", benutzt wurde, wie Prof. Dr. M. Schröder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weitge-432henden Artikel <strong>in</strong> "Archiv für öffentliches Recht"61 zustimmend formulierte.Nachdem diese grundsätzliche Hürde erst e<strong>in</strong>mal genommen ist, habenverbleibende Fragen, wie etwa die nach den Kriterien für e<strong>in</strong>eGüterabwägung <strong>in</strong> der tatsächlichen Situation, kaum noch praktischeBedeutung. Diese Güterabwägung zwischen der <strong>in</strong>neren Sicherheit derBRD und dem Schutz betroffener Grundrechte "kann nämlich nur situationsbezogenund vorausschauend erfolgen"; impliziert wird nachSchröder somit "e<strong>in</strong>e von den Gerichten zu respektierende E<strong>in</strong>schätzungsprägorativeder entscheidenden Instanzen,,62. Diese "E<strong>in</strong>schätzungsprägorative"bedeutet also, daß sich die betreffenden politischenInstanzen <strong>in</strong> jedem x-beliebigen FalJ unbegründet, unkontrolliert undungestraft auf e<strong>in</strong>en "rechtfertigenden Notstand" berufen können. Der§ 34 StGB wird damit zur "Mehrzweckwaffe für alJerieistaatliche E<strong>in</strong>griffe<strong>in</strong> die Grundrechte des Bürgers"63. Es mutet bizarr an, wenn Schröder,der versucht hat, die Anwendung von ungeschriebenem Staatsnotrechtauf Grund von § 34 StGB theoretisch zu untermauern, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteilüber die Abhöraktion mit wenigen Worten zu der Schlußfolgerungkommt, daß sie ke<strong>in</strong>eswegs mit § 34 StGB zu rechtfertigen war. Aufgrundder zur Verfügung stehenden Tatsachen konnte Schröder zuke<strong>in</strong>em anderen Ergebnis kommen als dem, daß das Abhören nicht der"Gefahrenabwehr" gedient hatte, sondern dem Ennitteln von (möglichen)Gefahren: "Auf ke<strong>in</strong>en FalJkann aber § 34 StGB e<strong>in</strong>e Kompetenzzur Aufspürung von Gefahren begründen. Er kann auch nicht bei nurentfernter Möglichkeit e<strong>in</strong>es Schadense<strong>in</strong>trittes herangezogen werden.Auf dieser Grundlage lassen sich die Abhöraktionen Traube und <strong>Stammheim</strong>,<strong>in</strong> denen bei E<strong>in</strong>schreiten des Verfassungsschutzes offen war, obüberhaupt e<strong>in</strong>e Gefahr, und zwar e<strong>in</strong>e konkrete Gefahr, bestand, nichtunter Berufung auf § 34 StGB rechtfertigen"64.Schröder übersieht merkwürdigerweise, daß es, folgt man se<strong>in</strong>emeigenen ModelJ ("E<strong>in</strong>schätzungsprägorative der entscheidenden Instanzen"),für die Rechtfertigung illegaler Aktionen auf der Grundlage e<strong>in</strong>es"übergesetzlichen Notstands" völJigunerheblich ist, ob die Kriterien des§ 34 StGB erfülJts<strong>in</strong>d; ausschlaggebend ist vielmehr, ob die politischenInstanzen sagen, daß sie erfülJts<strong>in</strong>d, da ausschließlich die letztgenanntenbestimmen, ob die Kriterien von § 34 StGB erfüllt s<strong>in</strong>d oder nicht.Diese ganze Diskussion um den "überverfassungsgesetzlichen Notstand" alsRechtfertigung für Abhöraktionen ist allerd<strong>in</strong>gs von ausgesprochen akademischemCharakter, denn nur e<strong>in</strong> verschw<strong>in</strong>dend kle<strong>in</strong>er Bruchteil von ihnenwird überhaupt öffentlich bekannt. Der "Spiegel" dokumentierte während derganzen Aufregung um Traube und <strong>Stammheim</strong> noch weitere neun Fälle vonLauschaktionen 65. E<strong>in</strong>er der Berichte betraf e<strong>in</strong>e Abhöraktion des BND <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Ma<strong>in</strong>zer Hotel, <strong>in</strong> dem der Nationalrat der Panhellenischen Befreiungsbewegung(PAK) im Januar 1973 unter Leitung des heutigen M<strong>in</strong>isterpräsi-433


dentenvon Griechenland,Papandreou,tagte.ObwohldieSPDunterLeitungdes damaligenBundeskanzlersWillyBrandtdieseWiderstandsbewegungegendiegriechischeJunta f<strong>in</strong>anziellunterstützte,wirddiePAKgleichzeitigvomdamaligenBundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriumunter Hans-DietrichGenscherals l<strong>in</strong>ksextremistischeGruppierunge<strong>in</strong>gestuft,"vonderterroristischeAktionendrohten".NachdemPapandreou 1977 aus dem "Spiegel" (1) von der Lauschaktionerfuhr,wurde ihm e<strong>in</strong>igesklarer:"DiedeutschenGeheimdienstehabenvon uns Geheimnissegeklautund an dieJunta verraten".Im April 1977 erstatteten fünf der abgehörten Rechtsanwälte bei derStaatsanwaltschaft des landgerichts StuttgartAnzeige gegen die M<strong>in</strong>isterSchieß und Bender wegen e<strong>in</strong>es Vergehens gegen § 201 StGB ("Verletzungder Vertraulichkeit des Wortes"): E<strong>in</strong> Versuch, die Abhöraffäre <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> doch noch auf gerichtlicher Ebene zu klären. Im November1977 beschloß die Staatsanwaltschaft, ke<strong>in</strong>e Verfolgung e<strong>in</strong>zuleiten, dabeide M<strong>in</strong>ister wegen des bestehenden Notstandes im S<strong>in</strong>ne von § 34StGB befugt gewesen seien, abzuhören66. Gegen diesen Beschluß legtendie Rechtsanwälte beim Generalstaatsanwalt des OlG StuttgartBeschwerde e<strong>in</strong> (§ 172 Absatz 1 StPO), der im September 1978 imS<strong>in</strong>ne der Vor<strong>in</strong>stanz entschied67. Schließlich erwirkten die Rechtsanwältedazu noch e<strong>in</strong>e Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart68.Auch das Gericht entschied im Februar 1979 ablehnend, und zwarwieder unter H<strong>in</strong>weis auf § 34 StGB: Der Notstand habe <strong>in</strong> der Befürchtungbestanden, "daß die auf freiem Fuß bef<strong>in</strong>dlichen Ges<strong>in</strong>nungsgenossender Angeklagten alsbald weitere Geiseln nehmen und Anschlägeauf das leben anderer verüben, wobei diesen Gefahren <strong>in</strong> beiden Fällennur durch Abhörmaßnahmen zu begegnen war, da e<strong>in</strong> anderes erfolgversprechendesMittel nicht zur Verfügung stand"69.2.3. Der ProzeßEs wurde schon erwähnt (Kap. VII,4.2), daß Schily nach Bekanntwerdender Traube-Affäre beim Stamm heimer Gericht am 15.3.77 beantragthatte, Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Maihofer zur Frage, ob auch <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Gespräche abgehört wurden, als Zeugen zu hören. Dieses Gesuchwar abgelehnt worden. Während der Mittagspause der Sitzung am17.3.77 brachte der Rundfunk e<strong>in</strong>en Bericht von der sensationellenPressekonferenz der M<strong>in</strong>ister Schieß und Bender über die Abhöraktionen<strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>. Bei der Wiedereröffnung der Sitzung wurde wiedere<strong>in</strong>mal deutlich, daß die Medien materiell als Verhandlungspartei zubetrachten waren. Auf den Radiobericht verweisend, eröffnete Foth dieVerhandlung mit der Mitteilung: "Dieser Umstand (das Abhören - BS)kann unter Umständen das Verfahren berühren, deshalb wird der Senatder Sache nachgehen".Sowohl die Vertrauensanwälte als auch die Zwangsverteidiger gaben434sich mit dieser Ankündigung nicht zufrieden; sie verlangten e<strong>in</strong>hellig e<strong>in</strong>eVertagung der Sitzung bis zur vollständigen Aufklärung aller die Abhöraktionbetreffenden Umstände. Nach e<strong>in</strong>er kurzen Philippika gegendiese "Eskalation von Beseitigungen rechtsstaatlicher Grundsätze" erklärteSchily, die Vertrauensanwälte könnten nicht mehr verantworten,"auch nur e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>ute länger <strong>in</strong> dem Verfahren mitzuwirken, um hiernoch vielleicht als e<strong>in</strong>e Art Alibidafür aufzutreten, daß es noch so etwasgebe wie e<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong>,,70.AlsFoth dennoch versucht, die geplantenZeugenvernehmungen abzuwickeln, verlassen sie unter Protest denSaa171.Auf Drängen der Zwangsverteidiger, vornehmlich Künzels, beschließtFoth dann doch, die Verhandlung für die Dauer von fünf Tagenzur weiteren Informationsgew<strong>in</strong>nung zu unterbrechen. In se<strong>in</strong>em Briefan Bender verweist Foth auf den bestehenden § 148 StPO, "der denunüberwachten mündlichen Verkehr zwischen Angeklagten und Verteidigergewährleistet". Foth ersucht Bender, dem Gericht mitzuteilen, "zuwelchen Zeiten, auf welche Weise, zwischen welchen Personen und zuwelchen konkreten Zwecken Gespräche abgehört wurden"72. Vom Inhaltder Gespräche wünscht das Gericht nicht unterrichtet zu werden,"da solche Unterrichtungen dem § 148 StPO (dessen S<strong>in</strong>n nicht zuletztdar<strong>in</strong> besteht, den Angeklagten davor zu schützen, daß se<strong>in</strong>e Äußerungengegenüber dem Verteidiger zur Kenntnis des <strong>in</strong> der Sache entscheidendenGerichts gelangen) zuwiderliefen". Benders Antwort war somager, daß auf Ersuchen der Zwangsverteidiger - die Vertrauensanwältewaren nicht erschienen - die Verhandlung noch e<strong>in</strong>mal für e<strong>in</strong>eWoche unterbrochen wurde, um von Bender ergänzende Informationenanzufordern. Sie wurden <strong>in</strong> der Verhandlung am 29.3.77 verlesen73.Bender teilte mit, daß <strong>in</strong> den bereits erwähnten Zeiträumen Gesprächezwischen den Gefangenen Baader, Me<strong>in</strong>hof, Enssl<strong>in</strong>, Raspe undihren Vertrauensanwälten mit Hilfevon Mikrophonen durch das landeskrim<strong>in</strong>alamtBaden-Württemberg abgehört worden waren. Jedoch: "DieZahl der Gespräche ist nicht mehr feststellbar, da die Aufzeichnungen,soweit sich aus ihnen ke<strong>in</strong>e Erkenntnisse über bevorstehende schwersteVerbrechen ergaben, sofort vernichtet wurden"74. Aus dem gleichenGrund sei nicht mehr zu rekonstruieren, welche Verteidigergesprächeabgehört wurden. Bender war aber - aufgrund der Besucherliste <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> - <strong>in</strong> der lage, mitzuteilen, daß es sich um <strong>in</strong>sgesamt 15Verteidiger handeln könnte75. Nach diesen Informationen schien es so,als habe die ganze Abhöraktion zu ke<strong>in</strong>em greifbaren Ergebnis geführt,was natürlich berechtigte Fragen nach der "Notwendigkeit" des Abhörenshervorrufen könnte, ganz abgesehen von se<strong>in</strong>er Rechtmäßigkeit("konkrete Gefahrenabwehr"), wenn § 34 StGB schon als juristischerAufhänger h<strong>in</strong>genommen werden soll. Diese Fragen sozusagen vorwegnehmend,teilte Bender - die ausdrückliche und später noch e<strong>in</strong>malwiederholte Bitte des Gerichts ignorierend, ke<strong>in</strong>e Informationen über435


den Inhalt der Gespräche erhalten zu wollen - mit, daß noch e<strong>in</strong>eBandaufnahme vorhanden sei, und zwar die von e<strong>in</strong>em Gespräch am29.4.75 zwischen Ulrike Me<strong>in</strong>hof "und e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>zwischen aus anderenGründen gemäß § 138a StPO vom Verfahren ausgeschlossenen Verteidiger.Dabei hat Ulrike Me<strong>in</strong>hof die Möglichkeit der Geiselnahme e<strong>in</strong>esK<strong>in</strong>des erwähnt"76.Diese Information war nicht ganz neu. Schon <strong>in</strong> der ersten Presseerklärungam 17.3.77 und <strong>in</strong> dem folgenden Fernseh<strong>in</strong>terview hatten Bender undSchieß zur Rechtfertigung der Abhöraktion erklärt, <strong>in</strong> dem Gespräch zwischene<strong>in</strong>er Gefangenen und e<strong>in</strong>em Anwalt über das Thema Gefangenenbefreiungsaktionensei die Geiselnahme e<strong>in</strong>es oder mehrerer K<strong>in</strong>der auf e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>derspielplatzbesprochen worden77 Diese Mitteilung verursachte verständlicherweisee<strong>in</strong>ige Aufregung und wurde von den Medien als schlagzeilenmachendeNachricht verkauft. E<strong>in</strong>e Pressekonferenz der <strong>Verteidigung</strong>, <strong>in</strong> der diese Nachrichtals e<strong>in</strong>e erneute Maßnahme der psychologischen Kriegsführung bezeich ­net wurde, konnte daran nichts ändern.E<strong>in</strong>ige Zeit später wurde bekannt, daß Verteidiger Croissant undUlrike Me<strong>in</strong>hof dieses Gespräch geführt hatten. Im Herbst tauchteschließlich das Band im Rahmen des schon erwähnten Klageerzw<strong>in</strong>gungsverfahrensder fünf Rechtsanwälte gegen Schieß und Benderaue8. Die Aufnahme war "von sehr schlechter Tonqualität" und dasGespräch "nur bruchstückhaft" zu verstehen, so das Gerichtsprotoko1l79.Croissant: "... ich hab wieder e<strong>in</strong> Interview... Krüger. .. Schweiz... (Lachen)... irgendwie immer k<strong>in</strong>discher, die haben Pop-Show ... mit FranzSchlüter, e<strong>in</strong>em Typ, der. .. das müßte aber ziehen es könnte auch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dse<strong>in</strong>, das die Terroristen nehmen. K<strong>in</strong>d, ja. Und dann ist die Entscheidunggenau so schwierig für die Regierung. Könnte auch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>, vom Spielplatzweg. Und das war mir dann zuviel. .. da habe ich dann geschrieen".Me<strong>in</strong>hof: "Also ich willmal sagen".Croissant: "Aber das ist wohl zu blöd mit. .. "Me<strong>in</strong>hof: "... ganz e<strong>in</strong>fach ... also wirklichmit 'nem K<strong>in</strong>d uns auszulösen ...also ich bitte dich, ... tun".Kurz, e<strong>in</strong> Verteidigergespräch vom April 1975 über die Methodenpsychologischer Kriegsführung gegen die RAF, <strong>in</strong> dem die <strong>in</strong> den Medienverbreitete Hetzparole e<strong>in</strong>er möglichen K<strong>in</strong>dergeiselnahme als Beispielfür eben diese Methoden genannt wurde, wird, völlig aus dem Zusammenhanggerissen, zwei Jahre später dazu benutzt, um die psycholOgischeKriegsführung gegen die Gefangenen aus der RAF und ihre Anwälteverstärkt fortzusetzen und um illegale Abhöraktionen zu rechtfertigen.Für die angeblich zw<strong>in</strong>gende Notwendigkeit des Abhörens ("die Abwehrvon konkreten Gefahren") konnte Bender ke<strong>in</strong>e Tatsachen anführen;se<strong>in</strong>e "Begründung" für das Abhören direkt nach der mißlungenenRAF-Aktion <strong>in</strong> Stockholm lautete:436"Es bestand der konkrete Verdacht, daß <strong>in</strong> unmittelbarem Zusammenhangmit diesem Anschlag weitere Terrorakte und Geiselnahmen bevorstanden.Dabei mußte nach den damaligen polizeilichen Erkenntnissen davon ausge-gangen werden, daß die beabsichtigten Straftaten - genauso wie die Aktion <strong>in</strong>Stockholm selbst - aus den Zellen der Vollzugsanstalt Stuttgart heraus geplantwurden"80.Nach dem m<strong>in</strong>isteriellen E<strong>in</strong>geständnis der Abhöraktionen erschienenauch die Angeklagten wieder zur Verhandlung; es sollte ihr letztes öffentlichesAuftreten se<strong>in</strong>. Enssl<strong>in</strong> teilte mit, daß sich die Gefangenen wegenihrer Haftbed<strong>in</strong>gungen ab sofort wieder im Hungerstreik befänden. E<strong>in</strong>eErklärung dazu wurde ihr verweigert81. Baader verlas e<strong>in</strong>e offensichtlichschon seit längerem vorbereitete ausführliche Erklärung, <strong>in</strong> der er dieBekämpfung der RAF seit 1972 <strong>in</strong> den Rahmen e<strong>in</strong>er "grundgesetzwidrigenKonzeption der antisubversiven Kriegsführung (. .. ), die technisch,methodisch und organisatorisch dem <strong>in</strong>ternationalen Standard der amerikanischenCounter<strong>in</strong>surgency entspricht", stellte. Diese Erklärung war<strong>in</strong> die Form e<strong>in</strong>es Beweisantrages gekleidet, der zum Ziel hatte, WillyBrandt und Helmut Schmidt als Kanzler der Regierungen BrandUScheelund SchmidUGenscher zu den <strong>in</strong> diesem Antrag zusammengefaßtenund mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehenden 21 Beweisthemen als Zeugenzu hören. Nache<strong>in</strong>ander behandelten die Themen die Counter<strong>in</strong>surgency-Zusammenarbeitzwischen den USA und der BRD, u. a. mit Hilfe derNato, die benutzten Methoden der psychologischen Kriegsführung unde<strong>in</strong>e davon ausgehende Analyse des Prozeßverlaufs, die Funktion der"Lex RAF", die Haftsituation, den Tod von UIrike Me<strong>in</strong>hof und anderensowie die Rolle der Medien. Der Beweisantrag 82 wurde von e<strong>in</strong>er etwa65 Seiten umfassenden Dokumentation begleitet83.Weiter beantragte Baader, die M<strong>in</strong>ister Schieß und Bender als Zeugenüber die Abhöraffäre zu hören. Ihre Vernehmung sollte ergeben, daß alleBehauptungen über Verb<strong>in</strong>dungen zwischen den Gefangenen undKommandos "draußen", über die sogenannte K<strong>in</strong>dergeiselnahme usw."tatsächlich Zwecklügen s<strong>in</strong>d, die rechtfertigen sollen", daß das Gerichtvon BND, BAW, Verfassungsschutz und Justizm<strong>in</strong>isterium über denInhalt der Gespräche laufend <strong>in</strong>formiert wurde84.Raspe schließlich wollte im Anschluß an Baaders Beweisantrag noche<strong>in</strong>ige andere Personen als Zeugen wegen der Abhöraffäre laden lassen.Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Maihofer solle ersche<strong>in</strong>en, um zu erklären, auswelcher Quelle er geschöpft habe, als er <strong>in</strong> der Parlamentsdebatte vom16.3.77 über die Traube-Affäre wörtliche Zitate von Baader benutzte85.Die entsprechenden Äußerungen seien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch zwischenBaader und e<strong>in</strong>em nicht näher genannten Gesprächspartner im Juli1976 gefallen, obwohl, den offiziellen Beteuerungen zufolge, währenddieses Zeitraums nicht abgehört wurde. Staatsekretär Schüler als Chefdes Bundeskanzleramts und BND-Präsident Wessei sollten bestätigen,daß sie von Anfang an wußten, daß - so die SPD-Wochenzeitschrift"Vorwärts" - "die Abhöranlagen im 7. Stock <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> seit diesemDatum (10.5. 75 - BS) kont<strong>in</strong>uierlich vom Bundesnachrichtendienst437


gewartet wurden bis <strong>in</strong> jüngere Zeit,,86. Unter H<strong>in</strong>weis auf MaihofersBaader-Zitate aus dem Juli 1976 fügte Raspe noch h<strong>in</strong>zu, "das heißt,daß der BND kont<strong>in</strong>uierlich und unkontrolliert im 7. Stock <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>arbeiten konnte, also auch zum Zeitpunkt des Todes von Ulrike".Auch Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g solle als Beweisperson gehört werden, und zwar wegense<strong>in</strong>er Kenntnis des Abhörens und dem Erhalt von <strong>in</strong>haltlichen Informationen,was - so Raspe - e<strong>in</strong>deutig aus den von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g benutzten undverfälschten Zitaten aus Gefangenengesprächen abzuleiten sei. Raspeverwies auch auf die dienstliche Erklärung, die Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g zu Fall brachteund <strong>in</strong> der er Baader zitiert hatte ("was das ,wieder für e<strong>in</strong>e Kiste' e<strong>in</strong>esRechtsanwalts sei") sowie auch auf Künzels Reaktion, derzufolge Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gtelefonisch versichert habe, "er wisse konkret, daß es Frau Enssl<strong>in</strong>egal sei". Weiter könnten drei hohe Gefängnisbeamte bezeugen, daß sieüber die Abhörmaßnahmen und "dienst<strong>in</strong>ternen Anweisungen" <strong>in</strong>formiertwaren, die besagten, daß mit dem Abhören beauftragte "anstaltsfremdePersonen ungeh<strong>in</strong>dert und jederzeit freien Zugang zur Abhöranlageim 7. Stock" erhielten87.Schließlich müßten die Vernehmungen von BAW Zeis, BKA-PräsidentHerold, der Gefangenen Margrit Schiller und ihrer Anwält<strong>in</strong> GiselaGebauer als Zeugen den Beweis dafür br<strong>in</strong>gen, daß die Aufzeichnungenvon Gesprächen zwischen den Gefangenen untere<strong>in</strong>ander und mit ihrenVerteidigern im Prozeß benutzt werden, um Zeugen auf die Befragungdurch die Verteidiger vorzubereiten und um sich widersprechende Zeugenaussagen(z. B. die von Hoff und Müller) "ausbügeln" zu können88.Als eklatantes Beispiel nannte Raspe den Fall Schiller, die dazu schonfrüher <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> als Zeug<strong>in</strong> ausgesagt hatte89. Nachdem Mitte Juni1976 bekanntgeworden war, daß der Gefangene Gerhard Müller <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> als Kronzeuge auftreten wollte, hatte Margrit Schiller <strong>in</strong> derUntersuchungshaft ihrer Verteidiger<strong>in</strong> Gebauer gesagt, sie habe gesehen,wie Müller <strong>in</strong> Hamburg den Polizisten Schmidt erschoß, und sie seibereit, darüber <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> auszusagen (Kap. VII,2.2.3, 3.2.3.1). IhreAbsicht war, Müller als e<strong>in</strong>gekauften Kronzeugen zu entlarven. Anwält<strong>in</strong>Gebauer sprach darüber mit Kollegen <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, die wiederum mitihren Mandanten darüber redeten. Kurze Zeit später erhielt MargritSchiller unter Umgehung der richterlichen Zensur e<strong>in</strong>en Drohbrief vonMüller, der darauf abzielte, ihre Aussage <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> zu verh<strong>in</strong>dern.Am selben Tag explodierte im Büro von Schillers Zwangsverteidiger e<strong>in</strong>eBombe, die nach Ansicht der Polizei von der "Terroristenszene" undnach Me<strong>in</strong>ung der Gefangenen vom Staatsschutz selber gelegt wordenwar, um Margrit Schiller e<strong>in</strong>zuschüchtern. über ihre Bereitschaft, gegenMüller auszusagen, war bislang nur gesprochen worden, und zwar ausschließlich<strong>in</strong> den Besuchszellen <strong>in</strong> Hamburg und <strong>Stammheim</strong> sowiezwischen den Anwälten.E<strong>in</strong>hellig ersuchten die Zwangsverteidiger um die Vertagung der Ver-438handlung zwecks näherer Untersuchung des Abhörfalles. Ausdrücklichverwiesen sie auf die öffentlichen Erklärungen von Schieß und Bender,wonach sich das LKA strikt an die Bestimmungen gemäß § 34 StGBgehalten habe und "<strong>in</strong> vergleichbaren Situationen <strong>in</strong> gleicher Weise"gehandelt werden sollte9o.Alle Anträge wurden am 12. und 14. April1977 abgelehnt, nachdem M<strong>in</strong>ister Bender dem Gericht schriftlich mitgeteilthatte, es werde nicht weiter abgehört und die Geräte seien entferntworden91. Bender, der unverändert auf der Notwendigkeit und Rechtmäßigkeitder Abhöraktionen beharrte, begründete den Verzicht daraufdamit, daß diese Maßnahme nun bekanntgeworden sei und deshalb"nach Auffassung der zuständigen Sicherheitsbehörden ohneh<strong>in</strong> als geeignetesMittel zur Gefahrenabwehr aus(scheide)".Für das Gericht war die Sache damit erledigt, und die Zwangsverteidigernahmen dies - mit Ausnahme von Künzel - h<strong>in</strong>. Ebenso wie dieVertrauensanwälte sollte Künzel nicht mehr am Prozeß teilnehmen. Erwar ohneh<strong>in</strong> so gut wie zu Ende.Heldmann reichte schriftlich noch den Antrag e<strong>in</strong>, den Prozeß aufgrundder Abhöraffäre zu beenden. Ebenso wie bei der Mayer-Affärebegründete Heldmann se<strong>in</strong> Gesuch mit dem Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Verfahrensh<strong>in</strong>dernissesim S<strong>in</strong>ne der §§ 206 und 260 1IIStPo. DiesesGesuch, dessen juristischer Teil<strong>in</strong> Anmerkung 92 nachzulesen ist, wurdeim abschließenden Urteil verworfen: "E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung der <strong>Verteidigung</strong>im S<strong>in</strong>ne der StPO (vgl. § 338 Nr. 8 StPO) könnte nur vorliegen,wenn die Abhörungen auf e<strong>in</strong>er gerichtlichen Entscheidung beruht hättenoder wenigstens mit Wissen oder Duldung der Gerichte geschehenwären. Beides ist nicht der Fall"93.2.4. Die konstitutionellen AspekteEs ersche<strong>in</strong>t mir möglich, sowohl die Abhöraffäre selbst als auch dierechtspolitische Diskussion darüber <strong>in</strong> den Rahmen e<strong>in</strong>er weitergreifendenPerspektive zu stellen, nicht zuletzt deshalb, weil diese Affäre - wieallgeme<strong>in</strong> anerkannt ist- ke<strong>in</strong>eswegs als E<strong>in</strong>zelfallgewertet werden darf,sondern vielmehr im Rahmen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> den westeuropäischen Staatenimmer größere Dimensionen annehmenden "Politik der <strong>in</strong>neren Sicherheit"gesehen werden muß94. Es geht nicht um mehr oder wenigerbewußte Reaktionen auf sich als neu manifestierende (Staats-)Sicherheitsbedürfnisse.Die beachtliche Ausweitung des Personal- und Materialbestands,die ausufernden Befugniserweiterungen und die Steigerungder zum Teil illegalen Aktivitäten der Sicherheitsbehörden entstehenprimär aus dem Bedürfnis der "präventive(n) Sicherung des sozialenstatus quo vor demokratischen Veränderungen"95.Die Präventivsicherung des (kapitalistischen) status quo <strong>in</strong> Westeuropasteht, so Poulantzas, <strong>in</strong> unmittelbarem Zusammenhang mit der Inter-439


nationalisierung der westlichen Kapitalbeziehungen unter der Hegemoniedes amerikanischen Kapitals:"Die Veränderungen der Rolle der europäischen Nationalstaaten mit demZiel, die <strong>in</strong>temationale Reproduktion des Kapitals unter der Herrschaft desamerikanischen Kapitals <strong>in</strong> die Hand zu nehmen, und die politischen undideologischen Bed<strong>in</strong>gungen dieser Reproduktion haben entscheidende <strong>in</strong>stitutionelleTransformationen dieser Staatsapparate zur Folge. Es unterliegtke<strong>in</strong>em Zweifel, daß e<strong>in</strong>erseits die besonderen Formen des ,starken (autoritären,Polizei-)Staats', die man mehr oder weniger überall <strong>in</strong> Europa entstehensieht, und andererseits die Häufung von Bed<strong>in</strong>gungen möglicher Faschisierungsprozesseder Ausdruck sowohl des Klassenkampfes <strong>in</strong> diesen Formationens<strong>in</strong>d als auch ihrer Stellung <strong>in</strong> der neuen Abhängigkeitsstruktur"96Die Transformation der Staatsapparate sei notwendig, um die möglichenFolgen e<strong>in</strong>er zunehmenden sozialen und ökonomischen Krise" unterdem E<strong>in</strong>fluß der weltweiten Klassenkämpfe, die nun auch die Metropolenerreicht haben", vorwegnehmen zu können97.Agnoli betont <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, e<strong>in</strong>e solche Transformationvon Staatsapparaten komme nicht durch die rechtliche Veränderung derKonstitution zustande, sondern durch die praktische Transformation derkonstitutionellen Organe und Mechanismen98.Jedenfalls bleibt unübersehbar, daß <strong>in</strong> den westeuropäischen Staatene<strong>in</strong>e zunehmende Aushöhlung der konstitutionellen Rechte stattf<strong>in</strong>det.Diese Aushöhlung geht Hand <strong>in</strong> Hand mit der Erzeugung e<strong>in</strong>es Angstklimas99.Die Geschichte des sogenannten (Anti-)Radikalen-Beschlussesder M<strong>in</strong>isterpräsidenten der Länder und des Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters vom28.1.72 ist dafür beispielhaft10o.Die Geschichte der praktischen Verwirklichung der Berufsverbote <strong>in</strong>der BRD ist vor allem auch exemplarisch für die Art und Weise, wie diewestdeutsche Verfassungsordnung ausgehöhlt wird, ohne daß sie impositiv-rechtlichen S<strong>in</strong>ne verändert wird. Für diesen Prozeß ist das Bundesverfassungsgerichte<strong>in</strong>es der wichtigsten Instrumente, weil es e<strong>in</strong>deutigverfassungswidrige Praktiken mit Hilfe der "genialen Fähigkeit westdeutscherRevisionsgerichte, fehlende gesetzliche Grundlagen durch ,Interpretation'zu ersetzen" (Abendroth) absegnet10l.Hier als Beispiel nur e<strong>in</strong> Aspekt aus dem sogenannten "Radikalen-Beschluß"des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5.75102.Artikel 33 Abs. 2 GG lautet: "Jeder Deutsche hat nach se<strong>in</strong>er Eignung,Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichenAmt". Artikel 33 Abs. 2 stellt - ebenso wie Abs. 1, demzufolge alle Bürgergleiche Rechte und staatsbürgerliche Pflichten haben, sowie Abs. 3, <strong>in</strong> dem dasVerbot der Diskrim<strong>in</strong>ierung religiöser überzeugungen etc. festgelegt ist - e<strong>in</strong>eVorschrift zum Schutz des Bürgers dar. Unmittelbar auf diese Bestimmungstützt nun das Bundesverfassungsgericht (ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ähnlichen Sache schon e<strong>in</strong>ige Monate früher103)se<strong>in</strong>en Beschluß,demzufolge Bewerbem der Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrtwerden kann, wenn Zweifelan ihrer Loyalität gegenüber dem Staat bestehen.440Auf dem dritten Russell-Tribunal wurde diese Interpretationsakrobatik so beurteilt:"Aus e<strong>in</strong>er Bestimmung des Grundgesetzes, die den Schutz der Bewerberfür den öffentlichen Dienst bezweckt, wird e<strong>in</strong>e Norm des Staatsschutzes,die sich <strong>in</strong> das Gewand der charakterlichen Eignung flüchtet und gegen dieBewerber richtet. Dabei wird die Form der Argumentation noch nicht e<strong>in</strong>maloffengelegt. Sie läuft verdeckt, <strong>in</strong>dem man e<strong>in</strong>fach den Begriffder Eignung <strong>in</strong>diesem S<strong>in</strong>ne verwendet"I04. Die "Zweifel" an der Loyalität gegenüber demStaat werden sodann häufig aus der Mitgliedschaft<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Organisation oderPartei, die als" verfassungsfe<strong>in</strong>dlich " e<strong>in</strong>gestuft ist, abgeleitet. Was das Feststellender "Verfassungsfe<strong>in</strong>dlichkeit" angeht, so gibt es ke<strong>in</strong>e objektiven Kriterien:"Behörden und Gerichte orientieren sich an den Feststellungen desVerfassungsschutzes und des Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums, die programmatischeAussagen dieser Parteien und Organisationen selektiv und willkürlichauswertenH105.Der Begriff der "verfassungsfe<strong>in</strong>dlichen" Organisation oder Partei ist e<strong>in</strong>Musterbeispiel für die praktische Transformation der Verfassungsordnung.Artikel9 GG garantiert jedem das Recht, (politische) Parteien und Organisationenzu gründen. Artikel 21 Abs. 2 GG sieht vor, daß das BundesverfassungsgerichtParteien, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnunggerichtet s<strong>in</strong>d, durch Urteil als "verfassungswidrig" erklären kann. Das konstitutionellverankerte sogenannte Parteienprivileg bedeutet also, daß jede Teilnahmean e<strong>in</strong>er politischen Partei bis zu e<strong>in</strong>em solchen Urteil legal und jedemfreigestellt ist. Die Liquidation des Parteienprivilegs zugunsten der Staatstreuewurde vom Bundesverfassungsgericht selbst angekündigt, als es beifälligkonstatierte,daß die BRD e<strong>in</strong> demokratischer Staat sei, der "Fe<strong>in</strong>de dieser Grundordnung,auch wenn sie sich formal im Rahmen der Legalität bewegen, nichttoleriert" 106Ulrich K. Preuss def<strong>in</strong>ierte Legalität als "Inbegriff e<strong>in</strong>er rechtlichen Struktur,deren Elemente e<strong>in</strong>en Grad der Bestimmtheit haben, daß ihr Vorliegen imRahmen gesicherter Methoden <strong>in</strong> überprüfbarer Weise festgestellt werden unde<strong>in</strong> bestimmtes Verhalten daran überprüft werden kann"107 Die staatlichenMaßnahmen, die seit 1972 gegen "Radikale" getroffen und 1975 vom BVerfGgutgeheißen wurden, gründen aber ke<strong>in</strong>eswegs auf dieser legalen Struktur,sondern vielmehr auf e<strong>in</strong>er darüberliegenden Ebene, die von Preuss "Legitimität"genannt wird, von Otto Kirchheimer "Superlegalität" und von GünterFrankenberg "Meta-Legalität"; "Meta-Legalität bezeichnet die höhere Ebene,auf der die pr<strong>in</strong>zipiellen Fragen der Geltung und Auslegung von Rechtsnormenabgelagert und von der aus sie beantwortet werden. Meta-Legalität ist also derInbegriffjener der Legalordnung vorgelagerten und übergeordneten Wertordnung,deren Elemente - die überpositiven Rechtsgrundsätze - e<strong>in</strong>en Grad derUnbestimmtheit haben, daß ihr Vorliegen im Rahmen gesicherter Methoden<strong>in</strong> überprüfbarer Weise nicht festgestellt noch e<strong>in</strong> bestimmtes Verhalten darangemessen werden kann"I08 Die zentralen Begriffe dieser "Wertordnung" s<strong>in</strong>dunter anderem "freiheitlich-demokratische Grundordnung" und "streitbareDemokratie". Auch dieser zweite Begriffwurde seit 1952 vom Bundesverfassungsgerichtformuliert, entwickelt und benutzt, und zwar zur "manifestenSchrankenbildung gegenüber grundrechtlich verbürgten Freiheiten"109.Noche<strong>in</strong>mal das dritte Russell-Tribunal: "Nicht die Grundrechte <strong>in</strong>terpretieren Aus-441


maß und Grenzen der ,streitbaren Demokratie', sondern das verfassungsgerichtlichdef<strong>in</strong>ierte Konzept <strong>in</strong>terpretiert Ausmaß und Grenze der Grundrechteund ihre Geltung für den e<strong>in</strong>zelnen".Die Berufsverbotspraxis gegenüber Beamten und Bewerbern für den öffentlichenDienst wurde vom Bundesverfassungsgericht mittels e<strong>in</strong>er Interpretationvon Artikel33 Abs. 5 GG bestätigt, derzufolge Bewerber die Gewähr dafürbieten müssen, daß sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnunge<strong>in</strong>treten. Der <strong>in</strong>zwischen berühmt-berüchtigt gewordene Begriff "freiheitlich-demokratischeGrundordnung" ist nirgendwo def<strong>in</strong>iert. Das Ausmaßder als notwendig angesehenen "Beamtentreue" aber läßt sich mit folgendenZitaten aus dem Radikalenbeschluß des Verfassungsgerichts illustrieren: "Geme<strong>in</strong>tist die Pflicht zur Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dem derBeamte dienen soll(. .. l, zu identifizieren"(S. 347 f.)."Unverziehtbar ist, (. .. ) daß der Beamte den Staat - ungeachtet se<strong>in</strong>erMängel - und die geltende verfassungsrechtliche Ordnung, so wie sie <strong>in</strong> Kraftsteht, bejaht, sie als schützenswert anerkennt, <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne sich zu ihnenbekennt und aktiv für sie e<strong>in</strong>tritt". (S. 348) "Die politische Treuepflicht ­Staats- und Verfassungstreue - fordern mehr als nur e<strong>in</strong>e formal korrekte, imübrigen un<strong>in</strong>teressierte, kühle, <strong>in</strong>nerlich distanzierte Haltung gegenüber Staatund Verfassung(... )". (S. 348) "Vom Beamten wird erwartet, daß er diesenStaat und se<strong>in</strong>e Verfassung als e<strong>in</strong>en hohen positiven Wert erkennt undanerkennt, für den e<strong>in</strong>zutreten sich lohnt". (S. 348) <strong>Politische</strong> Treue verlangtvom Beamten, Partei für den Staat zu ergreifen (S. 349), "Verantwortung fürdiesen Staat, für ,se<strong>in</strong>en Staat zu tragen bereit' (zu)se<strong>in</strong>" (S. 349), "sich <strong>in</strong> demStaat, dem er dienen soll, zu Hause zu fühlen" - und zwar sofort, nicht erstnach entsprechenden von der Verfassung zugelassenen Veränderungen(S.349)llO.Hier wird die abstrakte "Staatstreue" zur höchsten Verhaltensnorm erhoben,und das "Meta-Grundrecht" des Staates wird zum Bezugsrahmen fürGeltung und Interpretation der Grundrechte des Individuums genommenll1Abendroth formuliert an hand des Radikalenbeschlusses die äußerste Konsequenze<strong>in</strong>er solchen Vorgehensweise: "Diese ,Treue zum Staat' geht soweit,daß vom Beamtenanwärter zu erwarten (und der Beamte verpflichtet) se<strong>in</strong>soll, sich von allen Gruppierungen zu ,distanzieren', die diesen ,Staat' undse<strong>in</strong>e ,Organe' (das aber ist auch die Regierung!) ,angreifen'. Da es gerade dieFunktion jeder Opposition <strong>in</strong> der parlamentarischen Demokratie ist, die Regierung,anzugreifen', ist es damit trotz aller Nebenbemerkungen zur Anerkennung,legaler Opposition' <strong>in</strong> das Belieben jeder ,Anstellungsbehörde' (also derExekutive) gestellt, welche Art von Opposition sie tolerieren will und welchenicht"1l2.Was die Schaffung e<strong>in</strong>es Klimas der Angst betrifft, so s<strong>in</strong>d die tatsächlichauferlegten Berufsverbote selbst von ger<strong>in</strong>gerer Bedeutung als dieihnen vorgelagerte Praxis, wonach der Bundesverfassungsschutz unddie Landesämter für Verfassungsschutz berechtigt s<strong>in</strong>d, jeden Angehörigenund Anwärter des öffentlichen Dienstes zu überprüfen. BundesanwaltTräger formuliert diesen Auftrag <strong>in</strong> der Zeitschrift "Das Parlament"vom 17.1. 76: "Der moderne Staatsschutz muß nahezu alle Bereiche des442sozialen Lebens umfassen". E<strong>in</strong>en Tag vor dieser Veröffentlichung verkündeteM<strong>in</strong>isterialdirigent Alfred Stümper, Leiter der Polizeiabteilungdes baden-württembergischen Innenm<strong>in</strong>isteriums, <strong>in</strong> der Tageszeitung"Die Welt" programmatisch: "Entscheidend kommt es darauf an, e<strong>in</strong>ekrim<strong>in</strong>alpolitische Gesamtstrategie zu entwerfen, die - vorbeugend wiebetreuend - auch den gesellschaftspolitischen, den ganzen menschlichenBereich umfaßt". Auf was die damit unvermeidbar verbundene"praktische Transformation" der Geheimdienste und des Verfolgungsapparatsh<strong>in</strong>auslaufen würde, prophezeite Abendroth schon 1975:"Welche nach deren eigenen soziologischen Gesetzen kaum vermeidlichenFolgen aber die zahlen mäßige Erweiterung solcher Geheimdienste hat, vorallem, wenn ihnen die permanente Überwachung zunächst der ganzen studierendenJugend und danach noch großer Teile der sonstigen Bevölkerung zurAufgabe gestellt wird, hat die Entartung der amerikanischen CIA zur Mordeorganisierenden krim<strong>in</strong>ellen Organisation wohl ausreichend bewiesen ... ,,113.Die sich stetig verschärfende ökonomische, soziale und politische Kriseführt zur Herrschaft von Ausnahmeregelungenl14, die sich auf der Ebenedes positiven Rechts <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "Transformation des Rechts der Normallagedurch fortwährende Vergesetzlichung von Ausnahme-Maßregeln <strong>in</strong>e<strong>in</strong>en neuen, ausnahmeprägenden Normalzustand" (Böckenförde) bef<strong>in</strong>den115.In den zwischen 1973 und 1976 <strong>in</strong> den Bundesländern e<strong>in</strong>geführtenneuen Verfassungsschutz-Gesetzen ist unter anderem festgelegt,daß alle Beamten, auch die Richter, aufgefordert und unaufgefordert,alle Informationen "über Angelegenheiten, deren Aufklärung zur Wahrnehmungihrer Aufgaben erforderlich ist", an die zuständigen Dienststellendes Verfassungsschutzes weiterleiten müssen. Letztere s<strong>in</strong>d befugt,ihre Informationen auch an nichtstaatliche E<strong>in</strong>richtungen weiterzureichen.In der Praxis heißt das z. B., daß Arbeitgeber und Vermieter viaVerfassungsschutz über ihre Arbeitnehmer bzw. Mieter "<strong>in</strong>formiert" werdenkönnen. Wa.s die Praxis der Geheimdienste betrifft, so f<strong>in</strong>det dieZuspitzung des "ausnahmegeprägten Normalzustandes" unter der Rubrik"Aufklärung im Vorfeld der Terrorismusbekämpfung" statt. Diese"Vorfeldarbeit" be<strong>in</strong>haltet z. B. die Observierung "als radikal bekannterPersonen", Kontakte mit Vermietern und Vermittlern von Appartementsund Wohnungen oder die Beschaffung und Analyse von "Flugblättern,die im Zuge von Flugblattaktionen <strong>in</strong> Universitäten, im Freien usw.verteilt wurden"116. Programmatisch und öffentlich wird als Teilaufgabeder permanenten, präventiven Konterrevolution propagiert, "potentielleGuerillas" mit anderen Worten: alle "als radikal bekannten Personen"­zu terrorisieren:"Vorfeldarbeit muß durch ausgesuchte Beamte ständig betrieben werdenund zwar auch dort, wo mit Guerillatätigkeit nicht zu rechnen ist, da dieÖrtlichkeiten der Bandenbildung und schließlich die der Aktionen verschiedense<strong>in</strong> können. Wichtigist, daß die potentiellen Guerillas die polizeilicheAktivität443


emerken und dadurch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Maße verunsichert werden, daß es zu e<strong>in</strong>erBandenbildung erst gar nicht kommt"117Der E<strong>in</strong>fluß der BRD auf das Sicherheitsdenken <strong>in</strong> den Niederlandenmanifestiert sich u. a. <strong>in</strong> dem Begleittext zu dem im März 1982 e<strong>in</strong>gereichtenGesetzesentwurf über die Geheimdienste und Staatsschutzbehörden.Der typisch deutsche Begriff "Vorfeld" wird dort wörtlich übersetztund tritt zum erstenmal <strong>in</strong> den Erläuterungen zu Artikel 25, der dieZusammenarbeit zwischen Staatsschutzbehörden, Polizei und Staatsanwaltschaftbeschreibt, <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung: "Die jüngsten Erfahrungen mitschwerwiegenden terroristischen Handlungen haben das Interesse ane<strong>in</strong>er frühzeitigen Warnung durch die mit-der Fahndung nach und Verfolgungvon Straftätern beauftragten Organe bezüglich bestimmter Entwicklungen,<strong>in</strong> het voorterre<strong>in</strong>' gezeigt"1l8.Von me<strong>in</strong>er "teilnehmenden Beobachtung" des <strong>Stammheim</strong>er Prozessesals "potentieller Guerilla" ausgehend, möchte ich zur Illustration dieses Staatsterrorse<strong>in</strong>ige me<strong>in</strong>er Erfahrungen wiedergeben.Im Juni 1975 nahm ich als Prozeßbeobachter am RAF-Prozeß <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>teil. Nachts, auf der Heimfahrt vom Büro Croissant zu me<strong>in</strong>em Hotel,wurde me<strong>in</strong> Auto von zwei zivilenPersonenwagen des - wie später klar wurde- Mobilen E<strong>in</strong>satz-Kommandos (MEK),e<strong>in</strong>er speziellen Antiterrore<strong>in</strong>heit, e<strong>in</strong>gekeilt.Etwa acht mit Masch<strong>in</strong>enpistolen bewaffnete Figuren umz<strong>in</strong>geltenme<strong>in</strong> Auto. E<strong>in</strong>er der Bewaffneten zog mich h<strong>in</strong>ter dem Lenkrad hervor unddrückte mich auf die bei uns aus Polizeifilmenbekannte Weise gegen das Auto,trat me<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e ause<strong>in</strong>ander und durchsuchte Kleidung und Körper. Anderenahmen me<strong>in</strong> Auto ause<strong>in</strong>ander. Auf die Frage, was das zu bedeuten habe,erhielt ich die Antwort: "Allgeme<strong>in</strong>e Fahndungsaktion". Der Gesetzentwurf,der solche Aktionen legaliSieren sollte, war damals noch nicht verabschiedet.Nach e<strong>in</strong>er dreiviertel Stunde wurde mir erlaubt weiterzufahren, nachdemPersonalien und Kraftfahrzeugdaten registriert worden waren.Im Februar 1976 fuhr ich <strong>in</strong> Begleitung e<strong>in</strong>er studentischen HilfskraftnachHannover, wo me<strong>in</strong> Mandant Ronald August<strong>in</strong> im Gefängnis e<strong>in</strong>saß. An derGrenze wurde me<strong>in</strong> Reisepaß <strong>in</strong> das Obertragungsgerät zum BKA-Computer<strong>in</strong> Wiesbaden gelegt. Das Ergebnis: Zwei bewaffnete Bundesgrenzschutzbeamterichteten ihre Masch<strong>in</strong>enpistolen auf uns. Dann wurden wir der obenbereits beschriebenen Sonderbehandlung unterzogen. Als nächstes wurdejeder von uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Zelle verfrachtet und zum Ausziehen aufgefordert. Alsichmich weigerte, wurde ich e<strong>in</strong>geschlossen. Später erfuhr ich, daß die Grenzpolizistenden mich begleitenden Studenten mit Erfolg e<strong>in</strong>geschüchtert hatten. Esfolgte die Autodurchsuchung; auch die Verteidigerakte wurde durchgesehen.Die Antwort auf me<strong>in</strong>en Protest lautete: "Sie bef<strong>in</strong>den sich auf deutschemBoden". Nach etwa e<strong>in</strong>er Stunde durften wir die Reise <strong>in</strong> die BRD fortsetzen.Die Tatsache, daß me<strong>in</strong>e Weigerung, mich auszuziehen, der späteren Weiterreisenicht im Wege gestanden hatte, macht den re<strong>in</strong> e<strong>in</strong>schüchternden Charakterdieses "hold up" deutlich.Auf Fragen, die <strong>in</strong> der Tweede Karner (Zweite Kammer des niederländischenParlaments) wegen dieses Vorfalls gestellt wurden, übernahm Außenm<strong>in</strong>istervan der Stoel vollständig die offizielledeutsche Version: "E<strong>in</strong> bedau-444emswertes Mißverständnis", denn me<strong>in</strong> Begleiter habe e<strong>in</strong>em flüchtigen Anarchistengeähnelt. Van der Stoel hatte zu diesem Zeitpunkt bereits e<strong>in</strong>en ausführlichenBericht von mir vorliegen. Beigefügt war die Erklärung e<strong>in</strong>es Journalisten,der, bevor das westdeutsche Innenm<strong>in</strong>isterium den Grenzschutzbeamtene<strong>in</strong> Sprechverbot auferlegte, von den Beamten erfahren hatte, daß esbei der Aktion um mich als Verteidiger der "Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande" gegangenwar.Es kostete den M<strong>in</strong>ister ke<strong>in</strong>e besondere Mühe, unsere detaillierten Tatsachenaussagenals teilweise zusammenphantasiert zu betrachten, obwohl dieseSchilderungen auch noch von e<strong>in</strong>em Dritten <strong>in</strong> ihrem zentralen Punkt bestätigtwurden.E<strong>in</strong> drittes Erlebnis während der Schleyer-Fahndung im Herbst 1977 habeich <strong>in</strong> Kapitel VII (2.2.1.) geschildert: Die Veröffentlichung des BKA-Presseberichts,<strong>in</strong> dem behauptet wurde, daß "Bakker-Schut seit Jahren konspirativeKontakte mit westdeutschen Terroristen unterhält", und die e<strong>in</strong>en Monatspäter folgende Veröffentlichung e<strong>in</strong>es millionenfach verbreiteten Fahndungsberichtsmit der Behauptung, daß drei namentlich genannte und gesuchteweibliche RAF-Mitglieder "engen Kontakt zum Büro des Rechtsanwalts Bakker-Schutt<strong>in</strong> Holland haben".Das BKA g<strong>in</strong>g aber noch weiter, <strong>in</strong>dem es versuchte, se<strong>in</strong>en VerdächtigungenSubstanz zu geben, um se<strong>in</strong>e psychologische Kriegsführung nachträglichlegitimieren zu können. So zeigte mir e<strong>in</strong> deutscher Kollege im Frühjahr 1982e<strong>in</strong>e Mappe mit 89 Fahndungsfotos überwiegend von RAF-Mitgliedem, unterdenen auch e<strong>in</strong> Foto von mir war. Diese Lichtbildmappe wurde m<strong>in</strong>destens1977 e<strong>in</strong>er unbekannten Zahl von Menschen zur Täteridentifizierung vorgelegt.Ich brauchte also nur noch auf den Zeugen zu warten, der mich als Täter"erkennt".Es kann übrigens bestätigt werden, daß die verschiedenen BKA-Aktionen<strong>in</strong>me<strong>in</strong>em Fallzu der gewünschten E<strong>in</strong>schüchterung Dritter führten. Der holländischeAußen m<strong>in</strong>ister weigerte sich, bei der BRD wegen der Angriffe zu<strong>in</strong>tervenieren, die während und nach der Schleyer-Entführung gegen michgeführt und von Teilen der holländischen Medien übernommen wurden. Auchdie Tatsache, daß zahlreiche als "l<strong>in</strong>ks" bekannte holländische Rechtsanwälte,die ich im Herbst 1977 wegen e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen <strong>Verteidigung</strong> der <strong>in</strong> denNiederlanden gefangengenommenen RAF-Mitglieder angesprochen hatte,nicht zur Annahme e<strong>in</strong>es solchen Mandats bereit waren, steht mit e<strong>in</strong>er erreichtenE<strong>in</strong>schüchterung sicherlich <strong>in</strong> Zusammenhang; nur wenige von ihnengaben aber offen zu, Angst zu haben, während die meisten auf mehr oderweniger gute Ausreden verfielen.Daß die niederländische Staatssicherheitsbehörde, der BVD, vom BKAaktiviert wurde, ist naheliegend. Im Juni 1982 zeigte sich, daß ich schon seitJahren <strong>in</strong> BVD-Kursen für die Polizei als "Sp<strong>in</strong>ne im Netz" der staatsgefährdendenGruppen und Organisationen präsentiert worden war119 Etwa zurgleichen Zeit erfuhr ich, daß der BVD Anfang 1980 versucht hatte, auf demDachboden des gegenüberliegenden Hauses Abhörgeräte zu <strong>in</strong>stallieren. Diebevorstehende Krönung der heutigen holländischen König<strong>in</strong> und die dafür zutreffenden Sicherheitsrnaßnahmen wurden jenem Nachbarn, dem Direktore<strong>in</strong>es mult<strong>in</strong>ationalen Konzerns, als Begründung genannt. Es ist allerd<strong>in</strong>gs445


wahrsche<strong>in</strong>licher, daß es dem BVD nur darum g<strong>in</strong>g, die Gespräche zwischenmir und me<strong>in</strong>em Mandanten Ronald August<strong>in</strong> abhören zu können. Kurze Zeitzuvor hatte August<strong>in</strong> - wegen Stadtguerillaaktivitäten <strong>in</strong> der BRD verurteiltse<strong>in</strong>esechsjährige Freiheitsstrafe abgesessen und war von der BRD über dieGrenze abgeschoben worden. Es war den westdeutschen und holländischenStaatssicherheitsbehörden offenbar nicht entgangen, daß mich me<strong>in</strong> Mandantnach se<strong>in</strong>er Freilassung regelmäßig besuchte.In e<strong>in</strong>em bewußt erzeugten Klima der Angst und E<strong>in</strong>schüchterungentwickelt der Geheimdienst "e<strong>in</strong>e unkontrollierbare Eigendynamik, dieihn potentiell allzuständig und allanwesend macht und ihm überlegaleLegitimität verleiht,,120. Während die Notstandsgesetze die Funktionhaben, dem Staat <strong>in</strong> "Ausnahmefällen" e<strong>in</strong> offen repressives Auftretenzu ermöglichen, hat der "überverfassungsgesetzliche Notstand" dieFunktion, "das verdeckte Tätigwerden des Staates <strong>in</strong> der Grauzone zulegitimieren, <strong>in</strong> der das Staatsschutzsystem heimlich und flexibel, ohnegesetzliche Grundlage, e<strong>in</strong>zig an Effizienzkriterien orientiert, <strong>in</strong> grundrechtlichgeschützte Freiheitsräume e<strong>in</strong>greift"l21. Immer vorausgesetzt,daß e<strong>in</strong> solches Vorgehen des Staatsschutzsystems <strong>in</strong> der Öffentlichkeitüberhaupt bekannt wird. So lange dies nicht der Fallist, kann die Fiktiondes "Normalzustandes" aufrecht erhalten bleiben, während sich gleichzeitigdie "Ver<strong>in</strong>nerlichung des Ausnahmezustandes" weiter fortentwikkelt.Diese Ver<strong>in</strong>nerlichung als notwendige Voraussetzung für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionalisierteBefriedungsstrategie wurde schon 1974 von Willy Brandtoffen ausgesprochen: "Da wir die politische Krim<strong>in</strong>alität möglichst imKeim ersticken wollen, geht unser Bestreben <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dah<strong>in</strong>, dieGesellschaft zu immunisieren (. .. ) <strong>in</strong> der ruhigen und entschlossenenBehauptung des Normalzustandes"122.Brandts Formulierung liegt <strong>in</strong> deutlicher Nähe zum Anti-Subversions­Konzept des schon erwähnten Counter-Insurgency-Experten Kitson(Kap. VI, 1.3). Der Begriff "Immunisierung der Gesellschaft" f<strong>in</strong>det sichbei Kitson <strong>in</strong> eher positivem Gewand:446"Es ist das Ziel der Regierung, die Loyalität der Bevölkerung, falls notwendig,wiederzugew<strong>in</strong>nen und sie dann zu erhalten. Zu diesem Zweck muß dieRegierung alle, die subversiv tätig s<strong>in</strong>d, elim<strong>in</strong>ieren. Wenn aber die Regierungdie subversive Partei e<strong>in</strong>schließlich ihrer gesamten bewaffneten und unbewaffnetenGefolgschaft ausschalten will,muß sie die Kontrolle über die Bevölkerunggew<strong>in</strong>nen. (. .. ) Wenn die Regierung daher Erfolg haben soll, muß sieihre Kampagne auf den Entschluß gründen, die subversive Bewegung völligzuvernichten, und sie muß diese Tatsache ihrem Volkverständlich rnachen"1233. Die PlädoyersIn Kapitel VII, Punkt 1, wurde schon erwähnt, daß die BAWAnfangOktober 1976 an drei aufe<strong>in</strong>anderfolgenden Tagen ihre Schlußvorträgegehalten hatte. Danach wurde aufgrund neuer Beweisanträge der <strong>Verteidigung</strong>die Beweisaufnahme noch e<strong>in</strong>mal eröffnet. Am 14.4.77 wird dieBeweisaufnahme erneut und nunmehr endgültig geschlossen, nachdemalle übrigen Beweisanträge, unter ihnen die zur Abhöraffäre (s. 2.3.),abgelehnt worden waren. Für die ergänzenden Plädoyers desselbenTages benötigte die BAW gut zehn M<strong>in</strong>utenl24. Am 21. April 1977hielten fünf der sechs Zwangsverteidiger ihre Plädoyers. Die beiden .Rechtsanwälte von Baader sprachen zusammen etwa e<strong>in</strong>e Stunde lang,ebenso die von Raspe. Der nach dem Auszug Künzels noch verbleibende--Zwangsverteidiger von Enssl<strong>in</strong> hatte nach zwei Sätzen schon ausgeredetl25.Die Venn Oberw<strong>in</strong>der Weidenhammerund Schilv hielten ihre "Plädovers" am 27.4.77 auf e<strong>in</strong>er Pressekon e-fenz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stuttgarter Hotel.3.1. Das Plädoyer der Anklage-In se<strong>in</strong>em ergänzenden Schlußvortrag verwies BAW Wunder vorallem auf die ausführlichen Plädoyers von Anfan Oktober 1976. Diesewaren allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong> die Tonban protokolle aufgenommen worden:"Die Bundesanwaltschaft lehnte es überraschend ab, daß ihre Plädoyerswie alle bisherigen Prozeßäußerungen auf e<strong>in</strong>em Tonband aufgezeichnetwerden ,,126.Auf alldie von der <strong>Verteidigung</strong> seitdem <strong>in</strong> ihren Beweisanträgenaufgeworfenen Fragen nach der Glaubwürdigkeit des ZeugenGerhard Müller g<strong>in</strong>g die BAWsomit nicht e<strong>in</strong>.In den Schlußvorträgen vom Oktober, bei denen die vier Vertreter derBAW sich gegenseitig abwechselten, wurde zuerst das Entstehen der"Baader-Mahler-Me<strong>in</strong>hof-Bande" geschildert; dann folgte die Erörterungder Beweisaufnahme zu den Anklagepunkten unter besonderemH<strong>in</strong>weis auf die "stummen Zeugen" und vor allem auf die AussagenGerhard Müllers.E<strong>in</strong> großer Teil dieser Ausführungen war von e<strong>in</strong>em "Thema" geprägt,"von dem man schon vor Beg<strong>in</strong>n des Verfahrens me<strong>in</strong>en durfte,daß es im Baader-Me<strong>in</strong>hof-Prozeß nicht zur Debatte stehe "127.Nicht alseigenständiger Punkt des Plädoyers, sondern durch allerlei Zwischenbemerkungenwiesen die Ankläger immer wieder darauf h<strong>in</strong>, daß es sichbei den Angeklagten ke<strong>in</strong>eswegs um "politische Straftäter" handele. Essei, so Oberstaansanwalt Zeis, der "größte Etikettenschw<strong>in</strong>del des Jahrzehnts",daß die Angeklagten sich als Revolutionäre betrachteten. Nichtssei politisch an diesen Angeklagten - die e<strong>in</strong>zige politische Assoziation,447


die sie hervorrufen könnten, sei die völlige Unmenschlichkeit der Nazi­Verbrecher. Diese <strong>in</strong> verschiedenen Versionen wiederholte Behauptungg<strong>in</strong>g Hand <strong>in</strong> Hand mit "e<strong>in</strong>er Fülle von persönlichen Herabsetzungenund grimmig-ironischen Charakterisierungen der Angeklagten" 128. Dazue<strong>in</strong> kurzer Ausschnitt aus Heldmanns Hotel-Plädoyer:"Da reicht dem Oberstaatsanwalt Holland nicht der Superlativ ,schwerstkrim<strong>in</strong>elleGewaltverbrecher vom Schlage der Gudrun Enssl<strong>in</strong>', da befördert er,auf die tiefste Stufe sittlicher Wertung', l<strong>in</strong>det, noch tiefer, e<strong>in</strong>e, Ges<strong>in</strong>nung, <strong>in</strong>der nichts Menschliches mehr ist', erblickt da ,seelische Abgründe, die auchlangjährige Strafpraktiker erschaudern lassen', gewiß jedenfalls den Zuhörersolcher Tiraden. Als se<strong>in</strong> Amtsbruder Widera mit se<strong>in</strong>en Anklagen unstillbarerMordlust - ,möglichst viele Menschen töten', ,möglichst viele amerikanischeSoldaten (sollten) getötet werden " ,auf niedrigster Stufe', lustmörderisch ,Detonationen(. .. ) e<strong>in</strong>em Orgasmus ähnlich mit s<strong>in</strong>nlicher Freude erlebt' se<strong>in</strong>eKlimax erreicht hatte, kam er auf die Füße zurück und klagte wegen desVerzehrs ,exquisiter Lebensmittel <strong>in</strong> großen Mengen' an sowie des Tragense<strong>in</strong>er ,Lederjacke aus besonders fe<strong>in</strong>em Leder' wegen - um dah<strong>in</strong>ter zuentdecken: den ,Teufelskreis, gedacht, Terror durchzusetzen', um ,für dieBevölkerung als Ganzes die Freiheit (zu) beseitigen'. ,,129Sowohl diese als auch andere Zitate aus den Plädoyers der BAWwurden von den westdeutschen Medien begierig aufgenommen. Vorallem auf Baader hatte es die BAWabgesehen. E<strong>in</strong>leitende Feststellungwar, se<strong>in</strong>e Entwicklung sei dadurch negativ bee<strong>in</strong>flußt worden, "daß nurse<strong>in</strong>e Mutter für se<strong>in</strong>e Erziehung verantwortlich gewesen ist" (Wunder).Deswegen habe er <strong>in</strong> Schule und Berufsausbildung immer wieder versagt.Er sei nur darauf ausgewesen, e<strong>in</strong>e "Terrorgang zu se<strong>in</strong>em Vorteilzu machen" (Widera). <strong>Politische</strong> Ziele habe er nicht besessen, "politischesWissen hat er sich erst <strong>in</strong> der Haft erworben". Die zwei tragendenSäulen von Baaders Persönlichkeit seien Arroganz und Feigheit. DieseFeigheit drücke sich unter anderem dadurch aus, daß er - und Müllerhabe dies bestätigt - andere die Drecksarbeit habe machen lassen.Deshalb f<strong>in</strong>de man bei Baader - so Holland - meistens nur e<strong>in</strong>e "Tatbeteiligung,die kaum noch Raum ließ für persönliches Risiko". Es bleibtundeutlich, wie die BAW diese Feigheit mit dem Verhalten von Me<strong>in</strong>sund Baader <strong>in</strong> der Belagerungssituation vor ihrer Festnahme <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmungbr<strong>in</strong>gen wollte: "Beide lachten und schienen die Situationgeradezu zu genießen" (Zeis).En passant wurde Baader - außerhalb derAnklageschrift - auch noch die Schuld am Tod von Holger Me<strong>in</strong>s zugeschrieben:"Baader hat den Tod von Holger Me<strong>in</strong>s auf dem Gewissen ­wenn er e<strong>in</strong> solches hat!" (Holland). Und auch Ulrike Me<strong>in</strong>hof hättenBaader und Enssl<strong>in</strong> <strong>in</strong>direkt "<strong>in</strong> Verzweiflungund schließlich <strong>in</strong> den Todgetrieben" (Widera). Schon seit dem Frühjahr 1972 habe Me<strong>in</strong>hof e<strong>in</strong>eneue Gruppe aufbauen wollen, "um sich von der Bande zu trennen, umnicht länger Baader und Enssl<strong>in</strong> als Führungsleute anerkennen zu müssen".Me<strong>in</strong>hof sei zu Beg<strong>in</strong>n vielleicht noch wirklich revolutionär gewe-448sen, ihre Tragödie aber sei dar<strong>in</strong> zu sehen, daß sie zu spät e<strong>in</strong>gesehenhabe, "gänzlich apolitischen Krim<strong>in</strong>ellen aufgesessen zu se<strong>in</strong> und alsFeigenblatt mißbraucht zu werden". Die Ausführungen gipfelten "<strong>in</strong> dermoralischen Diskreditierung der Angeklagten, denen von der Bundesanwaltschaftexpressis verbis vorgehalten wurde, wie e<strong>in</strong> richtiges revolutionäresBewußtse<strong>in</strong> auszusehen hätte" - so die "FAZ" am 9. 10.7613°.H<strong>in</strong>sichtlich der Bombenanschläge me<strong>in</strong>te die BAW, die persönlicheMitwirkung jedes e<strong>in</strong>zelnen der Angeklagten sei ausreichend bewiesen.Die Zeugen Müller und Hoff seien dafür nicht e<strong>in</strong>mal nötig gewesen,denn die "stummen Zeugen" hätten ausreichend Beweise für e<strong>in</strong>e Täterschaftder Angeklagten geliefert. Trotzdem führte die BAW (AnfangOktober 1976!) e<strong>in</strong>gehend aus, warum Müller als glaubwürdig anzusehensei; sie bezog sich bei der Bewertung des Beweismaterials fortwährendauf se<strong>in</strong>e Aussagen 131. Die gegenteiligen Zeugenaussagen der Gefangenenaus der RAFseien "hemmungslos gelogen", wenn man ausgehevon ihrer "Verachtung staatlicher Organe - sollen sie staatlichenOrganen die Wahrheit sagen?" (Wunder). Um das noch e<strong>in</strong>mal zuunterstreichen, teilte die BAW mit, daß gegen Brigitte Mohnhaupt e<strong>in</strong>strafrechtliches Ermittlungsverfahren "wegen des Verdachts falscheruneidlicher Aussage vor Gericht und Strafvereitelung" e<strong>in</strong>geleitet wordensei. Sie hatte immerh<strong>in</strong> ausgesagt, Baader und Enssl<strong>in</strong> seien zur Zeitder Münchner. und Augsburger Anschläge <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gewesen "selbstangesichts des erwiesenen Gegenteils" (Holland). Dennoch seien dieRAF-Zeugen nicht völlig nutzlos gewesen: Sie hätten sich <strong>in</strong> bezug aufBaaders Rolle im S<strong>in</strong>ne der Anklage "verplappert".Auch die "sogenannten Vertrauensanwälte der Bande" (Holland)bekamen ihr Fett ab. Die Angriffegegen den Zeugen Müllerwürden demGrundsatz "semper aliquid haeret" folgen, und die Ablehnungsanträgehätten nur dazu gedient, die öffentliche Me<strong>in</strong>ung mit Hilfe der Mediengegen das Gericht aufzuhetzen. Schily habe bezüglich der Anschläge <strong>in</strong>Frankfurt und Heidelberg "mit dem Pathos e<strong>in</strong>es Schauspielers dasHohelied des Angeklagten gesungen", statt sich mit dem Anschlag aufBuddenberg zu beschäftigen - "er hätte an se<strong>in</strong>e Tochter denken sollen"(Widera).Im Zusammenhang mit dem Anklagepunkt "Fortführung der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung aus der Haft heraus" war die vorletzte Stunde derPlädoyers überwiegend den Vertrauensanwälten gewidmet. Seit 1972waren mit Hilfe dieser Konstruktion unter anderem die Isolationshaft, dieersten Zellenrazzien, die "lex RAF", die Fortführung des Prozesses <strong>in</strong>Abwesenheit der Angeklagten und die Ausschließung von Verteidigernals notwendig proklamiert und später gerechtfertigt worden. In der Darlegungdes für die <strong>Verteidigung</strong> so zentralen Teils der Anklage kamen dieAngeklagten selbst kaum vor. Der "Beweis" wurde direkt aus demmehrjährigen Auftreten und den Äußerungen der verschiedenen Ver-449


trauensanwälte vor Gericht abgeleitet. Hier e<strong>in</strong>ige Beispiele für die vonder BAW beanstandeten Äußerungen, die, wie Ankläger Zeis mitteilte,für alle Verteidiger zu Ehrengerichtsverfahren wegen Verunglimpfungder Justiz geführt hatten:Zu Heldmann: "Entmündigungsverfahren", "juristischer Nulltarif", "Verhaltendes Gerichts <strong>in</strong> offenen Rechtsbruch umgeschlagen", "e<strong>in</strong>e Rechtswidrigkeitjagt <strong>in</strong> diesem Saal die andere".Zu von Plottnitz: "Bundeswehrgeneral zum Vorsitzenden machen und Offizierezu Beisitzenden", "<strong>Stammheim</strong>er Landrecht".Zu Schily: "Folter", "faschistische Methode" (zur Festnahme von Stroebele),"militärisches Aufgebot", "zu Unrecht ordentliches Gerichtsverfahren","Sie diffamieren sich selbst", "schon wieder <strong>in</strong> dieser Kle<strong>in</strong>lichkeitsich produzieren".Zu Spangenberg: "Dieser Beschluß ist die Demaskierung dieses Verfahrens","den Mund halten Sie jetzt".Zu Kopp: verlas Erklärung Raspes, e<strong>in</strong> "übles Pamphlet" als eigene, "zynischeMenschenverachtung".Zu Temm<strong>in</strong>g: "Gericht sei der Vorverurteilung voll erlegen", "Vorverurteilungvoll e<strong>in</strong>gestehen".Zu RiedeI: "Vorsitzender sei der Appendix des Staatsschutzes".Heldmann unterbrach Zeis mehrmals; er ersuchte Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong>zugreifen,und wollte wissen, ,,(. .. lob ich hier Angeklagter oder Verteidigerb<strong>in</strong>. Daß die Bundesanwaltschaft das e<strong>in</strong>e mit dem anderen liebendgerne identifiziert, um die <strong>Verteidigung</strong> weiter zu diffamieren, was ihreLiebl<strong>in</strong>gsbeschäftigung ist, wissen wir alle hier. Aber was hat das jetzt mitdem Verfahren gegen Baader, Enssl<strong>in</strong>, Raspe zu tun, frage ich abermals"132.Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gbetrachtete Zeis' Ausführungen als "die Charakterisierungderjenigen Stellen, die Sie (Zeis- BS) für verantwortlich halten, daßdie krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung fortgesetzt werden kann" und wies HeldmannsBeschwerden zurück133.Den Abschluß des Schlußvortrags der BAWbildete der "Strafantrag":1. "Für die bei den Sprengstoffanschlägen <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelbergverübten <strong>in</strong> Tate<strong>in</strong>heit mit der Herbeiführung von Explosionen undMordversuchen stehenden geme<strong>in</strong>schaftlichen Morde schreibt das Gesetz,Paragraph 211 StGB, die absolute, e<strong>in</strong>heitlich und unveränderlichfür jeden Mörder geltende Strafe, e<strong>in</strong>e lebenslange Freiheitsstrafe vor.Diese ersche<strong>in</strong>t auch angemessen für den Mordversuch an dem RichterBuddenberg.Die Angeklagten Baader, Enssl<strong>in</strong> und Raspe haben fürjede dieser dreiStraftaten e<strong>in</strong>e lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt. Ich beantrage, sieschuldig zu sprechen und entsprechend zu verurteilen.2. Daneben ist es erforderlich, auf weitere Strafen zu erkennen:a) Wegen der drei <strong>in</strong> Augsburg, München und Hamburg tate<strong>in</strong>heitlichmit der Herbeiführung von Explosionen verübten geme<strong>in</strong>schaftlichenMordversuche beantrage ich fürjeden der Angeklagten je e<strong>in</strong>e nach dem450Paragraphen 211 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Paragraphen 23, 49 Absatz e<strong>in</strong>sStGB zu entnehmende Freiheitsstrafe von 14 Jahren;b) für die aus Anlaß der Festnahmen der Angeklagten tate<strong>in</strong>heitlichmit Widerstandshandlungen begangenen Mordversuche, wobei dieStrafe wiederum den Paragraphen 211 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Paragraphen23, 49 Absatz e<strong>in</strong>s StGB zu entnehmen ist, beantrage ich, und zwarfür die beiden Handlungen Baaders je e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe von zehnJahren, für den Angeklagten Raspe e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe von zehn Jahrenund für die Angeklagte Enssl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe von acht Jahren; c)diese zeitigen Freiheitsstrafen beantrage ich gemäß Paragraph 54 StGBbei allen Angeklagten auf e<strong>in</strong>e Gesamtstrafe von 15Jahren zurückzuführen"1343.2. Die Plädoyers der <strong>Verteidigung</strong>3.2.1. Die ZwangsverteidigerAm 21.4.77 hielten die Zwangsverteidiger ihre Plädoyers135.Schwarz,der erste für Baader sprechende Verteidiger, plädierte für e<strong>in</strong>e Beendigungdes Prozesses wegen Verfahrensh<strong>in</strong>dernissen. In se<strong>in</strong>er 45 M<strong>in</strong>utendauernden Rede zählte er drei Gründe auf. Erstens habe an diesemProzeß <strong>in</strong>direkt "e<strong>in</strong> offensichtlich befangener Richter" mitgearbeitet;geme<strong>in</strong>t war Albert Mayer. Zweitens habe das Gericht unzureichenduntersucht, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Fortführung desProzesses <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagten auch jedesmal während derGesamtdauer des be<strong>in</strong>ahe zweijährigen Prozesses erfüllt waren. Unddrittens habe die Abhöraktion die <strong>Verteidigung</strong> als Ganzes auf unannehmbareWeise beh<strong>in</strong>dert. Baaders zweiter Verteidiger, Schnabel,schloß sich Schwarz an, forderte das Gericht allerd<strong>in</strong>gs nur auf, "e<strong>in</strong>egerechte Entscheidung zu fällen". Ansonsten kritisierte er vor allem die"schlechte Optik" des Prozesses, die gekennzeichnet war von den Gesetzesänderungenvor Prozeßbeg<strong>in</strong>n, der ungesetzlichen "<strong>in</strong>direkten E<strong>in</strong>führungvon Kronzeugen", der mehrmaligen Weigerung staatlicher Behörden,ihren als Zeugen geladenen Beamten Aussagegenehmigungenzu erteilen, dem Anlegen e<strong>in</strong>er "Geheimakte" mit den Aussagen des"Kronzeugen Müller" und der Bestellung von Sachverständigen, die fastausnahmslos BKA-Bedienstete waren.Auch Schlägel und Grigat, die beiden Verteidiger von Raspe, plädiertenfür e<strong>in</strong>e Beendigung des Prozesses wegen Verfahrensh<strong>in</strong>dernissenund Verfahrensmängeln. Schlägel schilderte die problematische Situationder "Pflichtverteidiger", die ke<strong>in</strong>e Möglichkeit gehabt hätten, mitihren "Mandanten" zu sprechen. Dennoch ersuchte er das Gericht ausdrücklich,Raspe auf ke<strong>in</strong>en Fall wegen des ihm zur Last gelegten Mordversuchs(bei se<strong>in</strong>er Festnahme) zu verurteilen.E<strong>in</strong>er der beiden Verteidiger von Enssl<strong>in</strong>, Künzel, war nicht gekom-451


men. Er hatte e<strong>in</strong>ige Tage zuvor wegen der Abhöraffäre und wegendes schlechten Gesundheitszustands se<strong>in</strong>er "Mandant<strong>in</strong>" um se<strong>in</strong>eEntpflichtung gebeten. Se<strong>in</strong> Gesuch war abgelehnt worden. Fernschriftlichhatte er dem Gericht mitgeteilt, daß er sich aus den gleichenGründen nicht <strong>in</strong> der Lage sehe, an der Verhandlung teilzunehmen136.Wäre Eggler, der zweite Verteidiger von Enssl<strong>in</strong>, ebenso konsequentgewesen wie Künzel, hätte der Prozeß gegen Enssl<strong>in</strong> wiederholt werdenmüssen.Eggler hatte allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en Stellvertreter geschickt. Er beschränktese<strong>in</strong> Plädoyer auf den lapidaren Satz: "Ich schließe mich den Ausführungenme<strong>in</strong>er Herren Vorredner an" und beantragte ebenfalls, denProzeß wegen e<strong>in</strong>es Verfahrensh<strong>in</strong>dernisses zu beenden137.Foth, dem die Verhandlungsleitung oblag, beendete die Sitzung mitdem H<strong>in</strong>weis, daß die Verhandlung am 28.4.77 fortgesetzt werde:"Die Fortsetzung kann <strong>in</strong> der Verkündung e<strong>in</strong>es Urteils bestehen"138.3.2.2. Die VertrauensanwälteE<strong>in</strong>en Tag vor der Urteilsverkündung, am 27.4.77, veranstalteten dieRechtsanwälte Schily, Heldmann, Oberw<strong>in</strong>der und Weidenhammer <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Stuttgarter Hotel e<strong>in</strong>e Pressekonferenz. Schily und Heldmannsprachen über den Prozeß, Oberw<strong>in</strong>der und Weidenhammer über denzu diesem Zeitpunkt schon wieder vier Wochen dauernden und kritischwerdenden Hunger- und teilweisen Durststreik von etwa 60 Gefangenenaus der RAF gegen Isolationshaft und für Zusammenlegung <strong>in</strong> Gruppenvon m<strong>in</strong>destens 15 Personen.Schily analysierte den Prozeß als "e<strong>in</strong> Instrument <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>esgroßangelegten Feldzuges psychologischer Kriegsführung gegen dieRAF" und als Teile<strong>in</strong>er "politisch-militärischen Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischenStaatsapparat und RAF". Er g<strong>in</strong>g auch auf die Rolle der Geheimdienste<strong>in</strong> und um den Prozeß e<strong>in</strong>; auch aus diesem Grund sei <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> "von der rechtsstaatlichen Fassade nichts, aber auch garnichts mehr übriggeblieben". Ausgehend von der Frage "Waren es nichtpolitische Verbrechen, die gegen e<strong>in</strong>e verbrecherische Politik e<strong>in</strong>gesetztwurden?" behandelte er die Anschläge vom Mai 1972 gegen die amerikanischenMilitärbasen <strong>in</strong> der BRD. Es habe sich als unmöglich erwiesen,die politische Motivation der Angeklagten im Prozeß zum Thema zumachen.Heldmann nannte se<strong>in</strong> Plädoyer "e<strong>in</strong>e erste Nachrede auf das Justizverfahren<strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, das fortgesetzter juristischer Auszehrung erlegenist". Alle "Rechtsbrüche" des Prozesses wurden von ihm behandelt,wobei nache<strong>in</strong>ander das Verfahren als "<strong>in</strong>nerstaatliche Fe<strong>in</strong>derklärung",die Gesetzesänderungen, das Sonderrecht und -gericht, der vore<strong>in</strong>genommeneRichter, die Verhandlung trotz Verhandlungsunfähigkeit, die452,Vorurteil als Endurteil" zur Sprache kamen.Zerstörung der <strong>Verteidigung</strong>, die Beweisvereitelungsmethoden und das I4. Das llrteil (28.4.77) ,Die drei Angeklagten werden <strong>in</strong> allen Anklagepunkten für schuldigerklärt: des geme<strong>in</strong>schaftlichen Begehens von sechs Bombenanschlägen<strong>in</strong> Tate<strong>in</strong>heit mit vier Morden und 34 Mordversuchen (bei den Anschlägenverwundete Personen), des Begehens von Mordversuchen wegendes bei der Verhaftung geleisteten Widerstands: Baader und Raspejeweils an zwei Polizisten, Enssl<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>em Polizisten. Alldies <strong>in</strong> Tate<strong>in</strong>heitmit der Gründung e<strong>in</strong>er "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung". In der Urteilsbegründungwurde für jeden strafbaren Sachverhalt das Strafmaß gesondertaufgeführt. Da für Mord aber unter allen Umständen e<strong>in</strong>e lebenslangeFreiheitsstrafe auferlegt werden muß (§ 211 StGB), wurde alle<strong>in</strong>dieses Strafmaß <strong>in</strong> die "Urteilsformel" aufgenommen.Die Urteilsbegründung, <strong>in</strong> der die herangezogenen Beweismittel verarbeitetwaren, bestand aus e<strong>in</strong>er dreistündigen "mündlichen Mitteilungihres wesentlichenInhalts"139.Wegen der Länge des Prozesses gab sich das Gericht sechsMonate Zeit, um das schriftliche Urteil zu verfassenl40. Anfang Oktober lag dasendgültige Urteil auf 319 Seiten vor. Nach der Zustellung des Urteils hatte die<strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>en Monat lang Zeit, die bereits e<strong>in</strong>gelegte Revision schriftlichzu begründenl4l. Dazu sollte es allerd<strong>in</strong>gs nicht mehr kommen, weil derProzeß während dieses Zeitraums durch das "stärkste Verfahrensh<strong>in</strong>dernis"142,denTod aller Angeklagten am 18. Oktoberl977, beendetwurde. Daswar auch die "Lösung" fürjenes Problem, welches die "Süddeutsche Zeitung"schon am 2. 10. 77 angesprochen hatte: "Wer nach dem Urteil auf e<strong>in</strong>egründliche Revision hofft, der wird sich täuschen. Dieser Prozeß ist e<strong>in</strong>fachnicht wiederholbar, auch wenn der Bundesgerichtshof das alles unbefangenund ungerührt betrachten sollte (was er gar nicht kann)".Die <strong>in</strong> der Urteilsbegründung verfolgte Argumentation stimmte häufigmit der <strong>in</strong> der Anklageschrift bis <strong>in</strong>s Detail übere<strong>in</strong>143.Die "Beweiswürdigung"der Indizien (Vgl. Kap. VII, 2) begann mit der Feststellung, dieAngeklagten hätten wiederholt deutlich gemacht, daß sie zur RAFgehörten,und sie hätten sich sogar für die Anschläge vom Mai 1972 verantwortlicherklärt - so Enssl<strong>in</strong> - und zwar "<strong>in</strong>sofern, wie wir <strong>in</strong> der RAF seit1970 organisiert waren, <strong>in</strong> ihr gekämpft haben und am Prozeß derKonzeption ihrer Politik und Struktur beteiligt waren". Das Gericht kommentiertediese Erklärung:"Jedenfalls kommt <strong>in</strong> dieser Erklärung zum Ausdruck, daß sie sich mit denSprengstoff-Anschlägen <strong>in</strong>nerlich identifizieren und daß sie das allgeme<strong>in</strong>eKonzept, solche Anschläge zu begehen, mit entwickelt haben, und sie bestreitenim Rahmen ihrer umfangreichen Teil-E<strong>in</strong>lassung zur Anklage nicht, dieihnen vorgeworfenen Sprengstoff-Anschläge als verantwortliche Urheber begangenzu haben"l44.453


Auf 40 Seiten geht das Gericht dann auf die oben beschriebene Art(vgl. Kap. VII, 2.4.1. und 2.4.1.1.) anhand von Zitaten aus "Kassibern"und Zellenrundbriefen auf die "wichtige Rolle" e<strong>in</strong>, die vor allem Baaderund Enssl<strong>in</strong> gespielt haben sollen, und zwar nicht nur <strong>in</strong>nerhalb derGruppe der Gefangenen aus der RAF, sondern - aufgrund von Dokumenten,die aus der Zeit nach ihrer Festnahme stammten - auch vor ihrerHaft. In der Beweiskette folgt die Feststellung, die Angeklagten hättensich im Frühjahr 1972 <strong>in</strong> Frankfurt aufgehalten (vgl. Kap. VII.2.1.1 und2.1.3). Von allen drei Angeklagten seien <strong>in</strong> der sogenannten RAF­Zentrale und von Raspe und Enssl<strong>in</strong> auch noch <strong>in</strong> anderen FrankfurterUnterkünften F<strong>in</strong>gerabdrücke gefunden worden. Außerdem seien dortNotizen von Enssl<strong>in</strong> gefunden worden; sie selbst habe bei ihrer Festnahmee<strong>in</strong>en Briefkastenschlüssel der "Zentrale" bei sich getragen. RaspesAnwesenheit <strong>in</strong> Frankfurt an verschiedenen Tagen im April und Mai1972 werde auch von Hoff bestätigt. Zwei Lebensmittel-Verkäufer<strong>in</strong>nenwollen Enssl<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser Zeitmehrere Male gesehen haben. Die AnwesenheitBaaders <strong>in</strong> Frankfurt sei für das Gericht noch dadurch bewiesen, daßihn dort kurz nach der Explosion am 11.5.72 die Zeug<strong>in</strong> Siemsen gesehenhabe. Zudem seien Baader und Raspe <strong>in</strong> Frankfurt verhaftet worden.Vor allem auf diesen Indizien und Zeugenaussagen basierte die Feststellungdes Gerichts, die Angeklagten hätten im Frühjahr 1972 <strong>in</strong> derFrankfurter "RAF-Zentrale" gewohnt. Den Beweis dafür, daß dieseWohnung auch wirklich als Zentrale benutzt worden war, leitete dasGericht aus den dort und an anderen Stellen <strong>in</strong> oder nahe Frankfurtgefundenen Materialien zur Herstellung von Bomben und der Nähe zuHoffs Werkstatt ab. Hoff habe die Bomben für alle Anschläge gebaut.Schließlich hätten sich <strong>in</strong> dieser Wohnung verschiedene mit Autokennzeichenzusammenhängende Spuren gefunden, die auf die Anschläge <strong>in</strong>München und Heidelberg verwiesen. Das Gericht nahm die Spurennoch zum Anlaß, um ganz nebenbei die Aussagen der Angeklagten undZeugen über die RAF-Struktur vom Tisch zu wischen, soweit das bei derBeschreibung der "wichtigen Rolle der Angeklagten <strong>in</strong>nerhalb der RAF"noch nicht gelungen war: "Örtlichen Gruppen, die mit der ,autonomen'Ausführung e<strong>in</strong>zelner Anschläge befaßt gewesen wären, hätte es nachAuffassung des Senats leicht fallen müssen, die vergleichsweise e<strong>in</strong>facheAufgabe der Beschaffung und Zubereitung von Tatfahrzeugen selbständigzu bewältigen"145.Für das Gericht war auch erwiesen, daß die Angeklagten alle an denVorbereitungen der Bombenanschläge beteiligt waren. Baader und Raspeseien <strong>in</strong> der Nähe e<strong>in</strong>er Werkstatt, die offensichtlich für den Bau vonBomben benutzt worden sei, festgenommen worden; unter ihren F<strong>in</strong>gernägelnund an ihrer Kleidung hätten sich Spuren von Sprengstoffbestandteilen(Alum<strong>in</strong>iumpulver) gefunden. Raspe sei von Hoff stark bela-454stet worden und Baader durch e<strong>in</strong>en "Kassiber", <strong>in</strong> dem er se<strong>in</strong>e detailliertenKenntnisse über die Herstellung von Bomben fixierthabe. Solcheund ähnliche Anhaltspunkte gab es zwar für die <strong>in</strong> Hamburg festgenommeneEnssl<strong>in</strong> nicht, daher folgerte das Gericht: "Ke<strong>in</strong> Grund ist ersichtlich,warum sie als führendes RAF-Mitglied,das sich nicht nur vorübergehend<strong>in</strong> der Bombenzentrale aufhielt, dort nicht auch <strong>in</strong> das umfassendeBeschaffungs- und Fertigungsprogramm für die Herstellung von Sprengkörperne<strong>in</strong>bezogen werden sollte"l46. Dazu verwies das Gericht nochauf die <strong>in</strong> der Gruppe hoch bewertete "Verb<strong>in</strong>dung von Theorie undPraxis" und auf Enssl<strong>in</strong>s "besonders stark entwickelten Drang, aktiv zuse<strong>in</strong>, sich zu engagieren, etwas zu bewerkstelligen". Auch der sogenannteEnssl<strong>in</strong>-Kassiber wurde abschließend aufgeführt (s. Kap. VII,2.1.4.).Aus alledem zog das Gericht den Schluß auf die tatsächliche Beteiligungaller Angeklagten an den verschiedenen Bombenanschlägen, obwohle<strong>in</strong>e solche Beteiligung "nicht auf jeden Angeklagten <strong>in</strong> jedem Fallzutrifft"147;"Auf die Beteiligung bei der Ausführung der Anschlägekommt es dem Senat im e<strong>in</strong>zelnen nicht an"l48. Konkret kam das Gerichtbei der Bewertung des Beweismaterials auch nicht über e<strong>in</strong>e unterstellteBeteiligung Baaders bei dem Bombenanschlag vom 11.5.72 <strong>in</strong> Frankfurth<strong>in</strong>aus, und dies auch nur aufgrund der Aussage der Zeug<strong>in</strong> Siemsen(vgl. Kap. VII Abs. 2.1.3). Wesentlich war nach Me<strong>in</strong>ung des Gerichts,"daß die drei Angeklagten <strong>in</strong>jedem Falle zu den Urhebern der Anschlägegehören" 149.Immerh<strong>in</strong> handele es sich um die Anführer der Gruppe, diesich im Frühjahr 1972 <strong>in</strong> Frankfurt zur Organisation der Anschläge undHerstellung der dafür benötigten Bomben aufgehalten hätten:"Wenn aber schon die so motivierten Angeklagten die verwendetenSprengkörper unter Mühen und Gefahren, voller E<strong>in</strong>fälle und Initiativen zündfertighergestellt hatten, so liegt es nahe, daß sie dafür sorgten, daß die Taten,die sie auf diese Weise vorbereitet hatten, dann auch ausgeführt wurden"150Bei Absprache und Organisation der Anschläge hätten die drei Angeklagten- "möglicherweise noch mit anderen ,,151- zusammengearbeitet.Wichtig sei auch noch, daß der kollektive Entscheidungsprozeß "e<strong>in</strong>zentrales Anliegen der Gruppe ist", wie diverse Äußerungen und Dokumentedies betonten. Daraus folgerte das Gericht:"Wenn e<strong>in</strong> Bedürfnis für e<strong>in</strong>e Verständigung unter Gruppenmitgliedernbestand, so ist e<strong>in</strong> Grund mehr vorhanden, daß alle drei Angeklagten an den <strong>in</strong>Frankfurt getroffenen Entscheidungen für die e<strong>in</strong>zelnen Anschläge beteiligtwaren. In welchem Umfang die Angeklagten bei dieser Absprache jeweilsmitgewirkt haben - wer Initiativen entwickelte, sich mehr oder weniger ausführlichäußerte oder e<strong>in</strong>fach nur Zustimmung kundgab -, ist im e<strong>in</strong>zelnennicht festzustellen. Darauf kommt es <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch nicht an.Wichtig ist, daß die - wie auch immer geartete - Zustimmung e<strong>in</strong>es jeden derdrei Angeklagten für den Senat feststeht und daß diese Zustimmung zu derdargelegten umfassenden Verständigung führte"152.Damit war das Gericht, nach se<strong>in</strong>en Worten, zu der überzeugung455


gekommen, daß die drei Angeklagten "alle sechs Sprengstoffanschlägeim e<strong>in</strong>zelnen verabredet und mit Hilfe der von ihnen fertiggestelltenSprengkörper organisiert haben"153. Erst jetzt, ab Seite 220, werden <strong>in</strong>der Urteilsbegründung die Aussagen von Gerhard Müller herangezogen:"Das so gewonnene Bild wird durch die Aussagen des früheren ,RAF'­Mitglieds Gerhard Müller bestätigt und abgerundet".Aufgrund der Tatsache, daß Müller zusammen mit Me<strong>in</strong>hof festgenommenworden war, daß se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>gerabdrücke und Handschrift <strong>in</strong> der"RAF-Zentrale" gefunden wurden, ebenso weitere F<strong>in</strong>gerabdrücke <strong>in</strong>anderen Frankfurter Wohnungen - und aufgrund se<strong>in</strong>er Kontakte zuHoff bezeichnete das Gericht ihn als "kompetenten Zeugen", jedoch mitder E<strong>in</strong>schränkung: "Allerd<strong>in</strong>gs ist er ke<strong>in</strong> Unbefangener, er ist e<strong>in</strong> problematischerZeuge", und zwar, so das Gericht weiter, wegen se<strong>in</strong>ertatsächlichen Mitarbeit bei der Vorbereitung der Bombenanschläge undse<strong>in</strong>er eventuellen Vore<strong>in</strong>genommenheit gegenüber den Angeklagten154Die Schlußfolgerung des Gerichts:"Deshalb hat der Senat se<strong>in</strong>e Aussagen mit besonderer Vorsicht gewürdigt.Er verwertet sie zu Lasten der Angeklagten nur dann, wenn sie entweder ime<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> anderen Beweisanzeichen e<strong>in</strong>e für die Oberzeugungsbildunggenügende Stütze f<strong>in</strong>den, oder <strong>in</strong>sofern als sie im Endergebnis ohneh<strong>in</strong> nurbestätigen, was für den Senat anderweitig bereits bewiesen ist; auch dieseAussagen - daß nämlich die drei Angeklagten zu den Urhebern aller sechsSprengstoffanschläge gehören -lassen sich im e<strong>in</strong>zelnen durch Beweisanzeichenvielfach abstützen und auf ihre Glaubwürdigkeit überprüfen"15SAuch nach Müllers Aussagen ,,(soll) nicht jeder Angeklagte bei jedemAnschlag bei der Ausführung am Tatort beteiligt gewesen se<strong>in</strong>". Gleichwohl,das Gericht ficht das nicht an: "Indes kommt es darauf dem Senatim e<strong>in</strong>zelnen nicht an. Entscheidend ist für ihn vielmehr, daß nach denglaubhaften Aussagen Müllers die Absprache, wo, wann und mit welchenSprengkörpern die sechs Sprengstoffanschläge verübt werden sollten,jeweils <strong>in</strong> Frankfurt unter Mitwirkung der drei Angeklagten getroffenund dann mit den von den Angeklagten geme<strong>in</strong>sam fertig- und bereitgestelltenSprengkörpern ausgeführt wurde"156.Abschließend geht das Gericht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er 40 Seiten umfassenden Abhandlungauf die Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller e<strong>in</strong>l57. Zuerst wirdauf die große übere<strong>in</strong>stimmung zwischen Müllers detaillierten Aussagenüber die verschiedenen Bombenmaterialien und dem Bild, das sich dasGericht anhand der "Indizien" machen konnte, verwiesen. Dann betontdas Gericht, daß Müller sich mit se<strong>in</strong>en Aussagen über se<strong>in</strong>e Mifarbeit ander Vorbereitung der Anschläge selbst schwer belastet habe:"Das ist selbst dann beachtlich, wenn er davon ausgegangen se<strong>in</strong> sollte,<strong>in</strong>soweit, nach se<strong>in</strong>er eigenen Verurteilung und da die Staatsanwaltschaft ke<strong>in</strong>Rechtsmittel e<strong>in</strong>gelegt hat, ke<strong>in</strong>e rechtlichen Auswirkungen befürchten zumüssen; rechtskräftig war das Urteil zur Zeit se<strong>in</strong>er Aussagen noch nicht"158.Mit den <strong>in</strong> vielen Punkten anders lautenden Zeugenaussagen der456Gefangenen aus der RAF sei "schlechterd<strong>in</strong>gs nichts anzufangen"159.Deren Aussagen seien "durch Haß, Verzweiflung und die Heilserwartunge<strong>in</strong>es ,neuen Menschen"', "Fe<strong>in</strong>dseligkeit gegen den Rechtsstaat","maßlose Beleidigungen und Verleumdungen" gekennzeichnet. Auchdie vielen anderen von der <strong>Verteidigung</strong> angeführten Belege über dieUnglaubwürdigkeit des Zeugen Müller (vgl. Kap. VII, 3.2.3. 13.2.3.3.)wurden Punkt für Punkt abgetan.Foth, der das Urteil mündlich begründete, schloß mit der Bemerkung,daß e<strong>in</strong>ige Zuhörer sich wahrsche<strong>in</strong>lich fragen würden: "Wo bleibt diePolitik?". Se<strong>in</strong>e Antwort sei: "Dort, wo sie h<strong>in</strong>gehört, nämlich draußenvor der Tür des Gerichtssaales"16o.5. Zwischen Urteil und Tod von Baader, Enssl<strong>in</strong> und Raspe (18. 10. 77)Trotz der mediz<strong>in</strong>ischen Sachverständigen-Gutachten vom Herbst1975 (vgl. Kap. VI, 3.1.5.) hatte sich an den Haftbed<strong>in</strong>gungen der etwa100 Gefangenen aus sozial-revolutionären Bewegungen nichts verändert.Zum Teil befanden sich die Gefangenen immer noch <strong>in</strong> strengerE<strong>in</strong>zelhaft, zum Teil - so wie <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> - <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation, "dievergleichbar ist mit der kle<strong>in</strong>er Gruppen unter Extrembed<strong>in</strong>gungen"(Rasch). Nach Ulrike Me<strong>in</strong>hofs Tod waren die Gefangenen Ingrid Schubertund Irmgard Möller <strong>in</strong> den Hochsicherheitstrakt der siebten Etagedes <strong>Stammheim</strong>er Gefängnisses verlegt worden, so daß dort nun zweiMänner und drei Frauen untergebracht waren.Noch im Juni 1976 hatte Prof. Rasch, Direktor des Instituts für ForensischePsychiatrie an der Freien Universität Berl<strong>in</strong>, diese Haftbed<strong>in</strong>gungen<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wissenschaftlichen Artikel e<strong>in</strong>gehend behandeltl61. NachBeg<strong>in</strong>n des Prozesses waren Rasch und die Internisten Schröder undMüller vom Gericht im Herbst 1975 als Sachverständige mit der Untersuchungbeauftragt. In se<strong>in</strong>er Abhandlung aus 1976 kommt Rasch zufolgender Typisierung der Haftsituation:"Das Gerüst der Sicherheitsvorkehrungen ist wie e<strong>in</strong> Glassturz über dieGefangenen gestülpt und schafft e<strong>in</strong>e Art Extraterritorialität, <strong>in</strong> der sich die zumAusgleich der besonderen Haftbed<strong>in</strong>gungen gedachten ,Vergünstigungen' ­Tischtennis, Fernsehen, Plattenspieler usw. - wie Zufälligkeiten ausnehmen,die mit der realen Situation eigentlich nichts zu tun haben.Diese Grundvoraussetzungen werden auch nicht durch die Gewährungstundenweiser Kontakte e<strong>in</strong>iger Häftl<strong>in</strong>ge untere<strong>in</strong>ander bei der Freistundeoder durch Umschluß aufgehoben"162Die "gesundheitsschädigende Wirkung" war nach Raschs Me<strong>in</strong>ungmit nur e<strong>in</strong>er Maßnahme zu vermeiden, und zwar mit der Zusammenlegungvon "politisch motivierten Tätern" <strong>in</strong> besonderen Abteilungenverschiedener "normaler Gefängnisse": "Durch die Zusammenlegunge<strong>in</strong>er Gruppe von 15 bis 20 Häftl<strong>in</strong>gen würde e<strong>in</strong> soziales Feld angebo-457


ten, das e<strong>in</strong> realisierbares Maß an Interaktion erlaubt,,163.Es handeltesich um dieselbe Empfehlung, die die mediz<strong>in</strong>ischen Sachverständigenschon im Herbst 1975 gegeben hatten, mit deren Verwirklichung aberAnfang 1977 nicht e<strong>in</strong>mal begonnen worden war. Am 14.4.77, e<strong>in</strong>enMonat nach dem Platzen der Abhöraffäre, schrieb der <strong>Stammheim</strong>erAnstaltsarzt Henck e<strong>in</strong>en Brief an das Gericht <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>, <strong>in</strong> dem erse<strong>in</strong>e äußerste Besorgnis über den Gesundheitszustand der Häftl<strong>in</strong>geausdrückte. Se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach hatte sich ihr Allgeme<strong>in</strong>zustand ständigverschlechtert. Ausdrücklich verwies Henck darauf, daß die Sachverständigengutachtennun schon e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre lang vorlägen, und daß"die Fortdauer der Untersuchungshaft unter nahezu gleichbleibendenBed<strong>in</strong>gungen zweifellos ke<strong>in</strong>e Besserung des psychischen Bef<strong>in</strong>dens zurFolge hat". Als Beispiele für die Verschlechterung nannte er unter anderemdrei <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie physische Symptome: weiterer Gewichtsverlust(trotz zusätzlicher Nahrung), viel zu niedriger Blutdruck (und als Folge:große Müdigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen), ernstzunehmendeAugenbeschwerden (u. a. wegen des ständigen Neonlichts).Hencks Schlußfolgerung: "Infolgedessen ist es me<strong>in</strong>es Erachtens dr<strong>in</strong>genderforderlich, die derzeitigen Haftbed<strong>in</strong>gungen zu korrigieren(. .. )".Noch e<strong>in</strong>mal wiederholte er nachdrücklich, daß die Sachverständigene<strong>in</strong>e "Ermöglichung größerer sozialer Interaktion" empfohlen hätten.5.1. Der vierte kollektive HungerstreikWie erwähnt (Absatz 2.3.), erklärte Enssl<strong>in</strong> am 29.3.77 <strong>in</strong>mitten derVerwirrung über die Abhöraffäre, daß sich die Gefangenen von diesemTag an wieder im Hungerstreik befänden:458"angesichts der tatsache, daß der staat die ause<strong>in</strong>andersetzung im rechtsfreienraum des permanenten ausnahmezustands führt und daß sich <strong>in</strong> den sechsjahren staatsschutzjustiz gezeigt hat, daß die menschen- und grundrechte <strong>in</strong>der fahndung, <strong>in</strong> den prozessen gegen uns und <strong>in</strong> den gefängnissen e<strong>in</strong> fetzenpapier s<strong>in</strong>d, fordern wir für gefangene aus den antiimperialistischen widerstandsgruppen,die <strong>in</strong> der bundesrepublik kämpfen, e<strong>in</strong>e behandlung, die denm<strong>in</strong>destgarantien der genfer konvention von 1949 entspricht, im besonderenartikel 3, artikel 4, artikel 13, artikel 17 und artikel 130.wir fordern konkret 1. die abschaffung der isolation und der gruppenisolation<strong>in</strong> den gefängnissen der bundesrepublik und die auflösung der besonderenisolationstrakte, <strong>in</strong> denen gefangene zusammengebracht werden, um ihrekommunikation elektronisch auszuschnüffeln und auszuwerten, was für diepolitischen gefangenen <strong>in</strong> hamburg, kaiserslautern, köln, essen, berl<strong>in</strong>, hannover,straub<strong>in</strong>g, aichach und stammheim zum<strong>in</strong>dest bedeuten würde, daß sienach den forderungen aller von den gerichten <strong>in</strong> den prozessen gegen die rafbestellten gutachter zu <strong>in</strong>teraktionsfähigen gruppen von m<strong>in</strong>destens 15 gefangenenzusammengefaßt werden"l64.Die Gefangenen verlangten also primär e<strong>in</strong>e Verwirklichung der Gut-achterempfehlung. In wenigen Tagen schlossen sich 35 Gefangene demHungerstreik an. Die Zahl erhöhte sich <strong>in</strong> den folgenden Wochen aufetwa 100 (unter ihnen wiederum viele "normale" Gefangene).Am Tag nach Beg<strong>in</strong>n des Hungerstreiks schrieb Anstaltsarzt Henckdem Gericht, daß wegen des Hungerstreiks "mit e<strong>in</strong>er fortschreitendenVerschlechterung des ohneh<strong>in</strong> angegriffenen Gesundheitszustands derGefangenen zu rechnen (ist)", und daß es nicht möglich sei, auch nurannähernd festzustellen, "ab welchem Zeitpunkt bei den Gefangenene<strong>in</strong>e akute Lebensgefahr e<strong>in</strong>tritt". Nochmals wies er nachdrücklich daraufh<strong>in</strong>, daß e<strong>in</strong>e solche Lebensgefahr ausschließlich dadurch zu verh<strong>in</strong>dernsei, "daß die bereits <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Schreiben vom 14.3.77 für erforderlichgehaltenen Veränderungen der Haftbed<strong>in</strong>gungen unverzüglich<strong>in</strong> Angriffgenommen und durchgeführt werden".Am selben Tag erhielt das Gericht e<strong>in</strong> Schreiben des Anstaltsleiterswegen des zu erwartenden Widerstands der Gefangenen gegen e<strong>in</strong>eeventuelle Zwangsernährung: "Aus diesem Grunde sollte für den Falldes Widerstands gegen e<strong>in</strong>e etwaige Zwangsernährung schon jetzt dieFrage der Trennung der Gefangenen geprüft werden". Die Gefangenenreagierten auf diese Anregung mit der Ankündigung, sich sofort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enDurststreik zu begeben, wenn ihnen untere<strong>in</strong>ander ke<strong>in</strong> Kontakt mehrzugestanden würde.E<strong>in</strong>ige Tage danach, am 5.4.77, untersuchten die mediz<strong>in</strong>ischenSachverständigen Rasch, Müller und Schröder die Gefangenen, nachdemdas Gericht e<strong>in</strong> entsprechendes Gesuch Hencks bewilligt hatte.Rasch schreibt am 6.4.: "Objektiv - das heißt aus mediz<strong>in</strong>ischer Sichtistbei den drei Gefangenen e<strong>in</strong>e weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandese<strong>in</strong>getreten". Es folgen weitere alarmierende E<strong>in</strong>zelheiten;Enssl<strong>in</strong> gehe es besonders schlecht. Rasch schreibt weiter: "Nachdem überschaubaren Verlauf ist davon auszugehen, daß die festzustellendeVerschlechterung des Gesundheitszustandes der Untersuchtenunmittelbare Folge der besonderen Haftbed<strong>in</strong>gungen ist, denen sie ausgesetzts<strong>in</strong>d". Er kommt dann zu dem Resultat: "Bei Beibehaltung derjetzigen Haftbed<strong>in</strong>gungen, die nicht das notwendige Maß sozialer Interaktiongewährleisten, ist (... ) e<strong>in</strong> weiteres Fortschreiten der gesundheitlichenSchäden zu erwarten, das schließlich zur Haftunfähigkeit führt".Ebenso lauten die Schlußfolgerungen der Internisten Müller und Schröder,die <strong>in</strong> ihrem Bericht vom 8.4.77 feststellen, "daß e<strong>in</strong>e weitgehendeE<strong>in</strong>gliederung <strong>in</strong> den normalen Strafvollzug wünschenswert wäre".Trotz dieser übere<strong>in</strong>stimmenden mediz<strong>in</strong>ischen Begutachtung verwarfder Gerichtsvorsitzende Foth <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beschluß vom 15.4.77 dieerneuten Anträge der Verteidiger auf Veränderung der Haftbed<strong>in</strong>gungen.In der Begründung schreibt Foth:"Vonden Angeklagten ist e<strong>in</strong>e erhebliche Gefährdung für die Sicherheit undOrdnung der Anstalt und darüber h<strong>in</strong>aus zu befürchten. So verbietet sich459


zunächst der unbeschränkte Umgang der Angeklagten mit anderen Anstalts<strong>in</strong>sassen.Es kommt also von vornhere<strong>in</strong> nur e<strong>in</strong>e abgesonderte Unterbr<strong>in</strong>gungder Angeklagten und e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung des Verkehrs mit anderen Anstalts<strong>in</strong>sassen<strong>in</strong> Betracht"165.Die e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichen Warnungen der Ärzte vor schweren gesundheitlichenSchäden als Folge der Haftbed<strong>in</strong>gungen kommentiert Foth mit derlapidaren Bemerkung: ,,(. .. ) von den bestehenden Haftbed<strong>in</strong>gungengeht ke<strong>in</strong>e Lebensgefahr aus". Heldmann bezeichnete diese Verfügung<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em zwei Wochen später gehaltenen "Hotelplädoyer" als dasTodesurteil für die Gefangenen166.Inzwischen war GBA Buback am 7.4.77 bei e<strong>in</strong>em Anschlag des RAF­Kommandos "Ulrike Me<strong>in</strong>hof" erschossen worden. In e<strong>in</strong>er KommandoerkIärung167bezeichnete die RAF Buback als "direkt verantwortlichfür die Ermordung von Holger Me<strong>in</strong>s, Siegfried Hausner und UlrikeMe<strong>in</strong>hof".Die BAWreagierte unmittelbar darauf mit der telefonischen "Bitte" anden stellvertretenden Gerichtsvorsitzenden, die Angeklagten vollständigvone<strong>in</strong>ander und von der Außenwelt zu isolieren und Anwaltsbesuchezu verbieten. Innerhalb von fünf M<strong>in</strong>uten kam der Richter diesemWunsch nach168 Für das Verbot von Verteidigerbesuchen gab es (damalsnoch) ke<strong>in</strong>e gesetzliche Grundlage - <strong>in</strong> der Verfügung war auch nurvon "Sicherheitsbelangen" die Rede169. Als diese Anordnungen dreiTage später größtenteils wieder zurückgenommen wurden, stellte sichheraus, daß die Angeklagten <strong>in</strong> den Durststreik getreten waren, wie siedas für den Fall verschärfter Isolation angekündigt hatten. Ihnen schlossensich 36 weitere Gefangene aus der RAF an, die <strong>in</strong> anderen Gefängnissensaßen 170. -Es wurde deutlich, welche L<strong>in</strong>ie nunmehr gegen die Gefangenene<strong>in</strong>geschlagen werden sollte. Sie wurde später von dem StrafrechtlerStratenwerth als "Kampfmittel der sich selbst behauptenden Staats- undGesellschaftsordnung, als Notwehr gegen den <strong>in</strong>neren Fe<strong>in</strong>d, als e<strong>in</strong>e ArtKriegsgefangenschaft im <strong>in</strong>neren Krieg" def<strong>in</strong>iert 171.Schon zwei Tage nach Beg<strong>in</strong>n des Hungerstreiks hatte der GerichtsvorsitzendeFoth dem Gefängnisarzt Henck se<strong>in</strong>e Zustimmung zurZwangsernährung erteilt, falls er, Henck, sie für notwendig halte.Am 1.1.77 trat das neue Strafvollzugsgesetz (StrVollzG) <strong>in</strong> Kraft. In § 101 istfestgelegt, wann Zwangsernährung von Gefangenen zulässig und/oder vorgeschriebenist. Die Regelung gilt aufgrund von § 178 auch für Untersuchungshäftl<strong>in</strong>ge.Die letzte Phase der parlamentarischen Debatten über dieses Gesetzbegann unmittelbar nach dem Tod von Holger Me<strong>in</strong>s im November 1974.. Me<strong>in</strong>s war <strong>in</strong>folge unzureichender Zwangsernährung während des drittenkollektiven Hungerstreiks gestorben. Die Arbeit des Parlaments begleitete"e<strong>in</strong>e hitzige und emotional bewegte Debatte der Zwangsernährung"l72 <strong>in</strong> denMassenmedien.460Vor allem die CDU/CSU unter Leitung des späteren Bundespräsidenten,t'li;;.i•,'i'/'I I\ I~!iCarstens argumentierte lautstark, daß Zwangsernährung unmenschlich sei.Sie forderte zu der überlegung auf, "ob es nicht humaner wäre, diejenigengewähren zu lassen, die sich im vollen Besitz ihrer Geisteskräfte entschlossenhätten, sich das Leben zu nehmen"173. Diese und andere Plädoyers für e<strong>in</strong>"Grundrecht auf Selbsttötung"174 ersche<strong>in</strong>en auf den ersten Blickals äußerstliberal. Betrachtet man sie aber <strong>in</strong> ihrem gesellschaftlichen Kontext, so s<strong>in</strong>d sienichts anderes als e<strong>in</strong> Aufruf, Hungerstreiks politischer Gefangener und die mitdiesen Streiks verbundenen Forderungen e<strong>in</strong>fach zu ignorieren, das Problemalso sich selbst "lösen" zu lassen. Zudem konnte bei diesen Hungerstreiks nichtvon Selbstmordversuchen die Rede se<strong>in</strong>, sondern vom genauen Gegenteil: Esg<strong>in</strong>g darum, Haftbed<strong>in</strong>gungen (<strong>in</strong>teraktionsfähige Gruppen) zu erzw<strong>in</strong>gen, diee<strong>in</strong> (über-)Leben ermöglichten.Das Ergebnis der parlamentarischen Ause<strong>in</strong>andersetzung war e<strong>in</strong> Komprorniß,demzufolge "der schwarze Peter prompt beim Arzt liegt"175.Die erste,wichtigste Vorschrift des § 101 StrVollzG lautet: "Mediz<strong>in</strong>ische Untersuchungund Behandlung sowie Ernährung s<strong>in</strong>d zwangsweise nur bei Lebensgefahr,bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder beiGefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig; die Maßnahmen müssenfür die Beteiligten zumutbar und dürfen nicht mit erheblicher Gefahr fürLeben und Gesundheit des Gefangenen verbunden se<strong>in</strong>. Zur Durchführungder Maßnahmen ist die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet, solange von e<strong>in</strong>erfreien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen werden kann, es seidenn, es besteht akute Lebensgefahr".An Foths Verfügung, die Hungerstreikenden nach ärztlichem Ermessenzwangsweise zu ernähren, war formaljuristisch nichts auszusetzen, weil davonausgegangen werden kann, daß - wie <strong>in</strong> den früheren Berichten Hencks undder mediz<strong>in</strong>ischen Sachverständigen schon prognostiziert - e<strong>in</strong>e "schwerwiegende"Gefahr für die Gesundheit der Gefangenen vorlag. Der Gefängnisarztbefand sich jedoch <strong>in</strong> dem Dilemma, daß es ihm nicht möglich war, festzustellen,ob akute Lebensgefahr bestand, da die Gefangenen Untersuchungen vonihm strikt ablehnten. Bei akuter Lebensgefahr wäre er aber nicht nur berechtigt,sondern vielmehr verpflichtet gewesen, zur Zwangsernährung überzugehen,denn die Unterlassung e<strong>in</strong>er solchen Maßnahme könnte beim Tod e<strong>in</strong>esGefangenen für den Arzt möglicherweise e<strong>in</strong> Verfahren wegen "fahrlässigerTötung" zur Folge haben176.Um dieses Risiko zu vermeiden, konnte der Arztzwar unmittelbar Zwangsuntersuchungen und/oder die Zwangsernährungvornehmen,das aber hätte wiederum wegen der Gegenwehr der Gefangenen,mit der zu rechnen war, e<strong>in</strong>e bis dah<strong>in</strong> noch nicht vorhandene akute Lebensgefahrhervorrufen können, womit sich das Mittel <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gegenteil verkehrthätte.Am 20.4.77 wird im Hamburger Gefängnis mit der zwangsweisenUntersuchung und Ernährung der dort e<strong>in</strong>sitzenden sechs weiblichenund drei männlichen Häftl<strong>in</strong>ge begonnen. Die genauen Beschreibungender Gefangenen machen deutlich, warum Zwangsernährung von Gefangenen,die die Forderung ihres Hungerstreiks für gerechtfertigt haltenund deshalb Widerstand gegen die Zwangsernährung leisten, als Foltererfahren wird177. Helmut Pohl:461


----------------- •••••••• ,." •••• "".,.!l!I. _1II~"'I!!.Il!•..~"_,." ••.~lI!I,.,..,.. •.•.. .,.IIT" __-.,.~l'!.",••••• ~"Am frühen Nachmittag läuft die ze (Zwangsernährung _ BS) an.Schröder, der Abteilungsleiter an dem Tag, kommt als erster <strong>in</strong> die Tür,verkündet, tritt zur Seite, und e<strong>in</strong> Haufen Knastbullen - wIeviel, krieg ich garnicht mehr mit - die Zelle ist voll - stürmt und stürzt sich auf mich.Es s<strong>in</strong>d die aus dem Schlägerkommando, Hetris, Wess{e)l<strong>in</strong>g_ der Truppführerund der Killer,und die anderen Fressen, deren Namen ich nicht weiß.Draußen steht alles voll, die ganze Knasthierarchie, Zivile.Sie reißen mir zu viert die Füße weg, je zweian den Armen, und e<strong>in</strong>er nimmtnoch me<strong>in</strong>en Kopf <strong>in</strong> den Schwitzkasten und dreht.Das für 3 Meter, aus der Zelle zur fahrbaren Pritsche, die vor der Tür steht.Sie pressen mich bäuchl<strong>in</strong>gs auf die Pritsche, das Gesicht <strong>in</strong> das Kissen, undverdrehen Arme und Be<strong>in</strong>e auf der Fahrt <strong>in</strong>s zkh (Zentralkrankenhaus - BS).Das s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e ,Haltegriffe', sondern von Anfang an und von allen Bullengezieltes Quälen.Bis man h<strong>in</strong>ten im zkh angekommen ist, ist man physisch halbwegs fertig.Als sie mich vor dem Loch, wo sie es machen wollen, von der Pritschezerren, seh ich noch 5, 6 Zivile vor der Tür, die aussehen, als wären sie vomJustizsenat.8 Bullen werfen mich auf die andere Pritsche und halten mich drauf fest. DieArme nach h<strong>in</strong>ten-unten, die Füße nach außen gedreht, und die Kniegelenkegleichzeitig <strong>in</strong> Gegenrichtung. Immer voller Druck.Zwei andere, e<strong>in</strong> Sani, e<strong>in</strong> Knastbulle, an me<strong>in</strong>em Kopf. Sie drücken denKopf flach zur Seite und Friedland versucht, den Schlauch durch die Nase zustoßen. Nachdem ich alles mit Blut und Rotz vollgespuckt hatte, versuchen siees durch den Mund.Sie nehmen e<strong>in</strong>en Holz- und Hartgummikeil und versuchen durch Hebelnund Schlagen aufs Zahnfleisch, me<strong>in</strong>e Zähne ause<strong>in</strong>anderzukriegen.Dann willFriedland wieder durch die Nase. Reichlich Blut.Wieder Versuch durch den Mund. Sie kugeln mir fast die Arme und dieKniegelenke aus, drücken mit vollem Gewicht mit den Handballen seitlich aufden Unterkiefer und bohren die Daumen h<strong>in</strong>ter die Ohren. Und dabei dauerndmit den Keilen gegen die Zähne und Zahnfleisch.Schließlich kriegen sie irgendwIe den Schlauch <strong>in</strong> den Mund. Friedland jagtihn mit 3, 4 Stößen durch.Ich würge und kotze unwillkürlich während der ganzen Tortur. Und dieBullen verbiegen. weiter mit ganzer Kraft die Knochen.Solche Torturen werden <strong>in</strong> den folgenden Tagen, manchmal zweimaltäglich, wiederholt. Nach fünf Tagen wird die Zwangsernährung e<strong>in</strong>gestellt.Mündlich wird den Gefangenen <strong>in</strong> Hamburg mitgeteilt, daß dieGefängnisleitung aufgrund von § 101 StrVollzG zu dieser Entscheidunggekommen ist, da <strong>in</strong>folge des aktiven Widerstands die Maßnahmen nichtmehr "zumutbar" und außerdem lebensgefährlich seien178. E<strong>in</strong> BerichtIngrid Schuberts über die Situation <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> bestätigt diese Sachlage179.Sie erwähnt e<strong>in</strong> Gespräch der Gefangenen mit dem GefängnisarztHenck vom 26.4.77. Dar<strong>in</strong> habe er ihnen mitgeteilt, daß er, nachtelefonischer Rücksprache mit dem Gefängnisarzt <strong>in</strong> Hamburg wegender dortigen Entwicklung, zu dem Entschluß gekommen sei, ke<strong>in</strong>e462Zwangsernährung vorzunehmen. Der Hamburger Arzthabe ihm erzählt,daß er die Zwangsernährung wegen der teilweise gefährlichen Verwundungen,die dabei entstanden - Blutungen, Lungenverletzungen ausgeschlageneZähne (bei Werner Hoppe) - e<strong>in</strong>stellen wolle.Der Hungerstreik war nun <strong>in</strong> die entscheidende Phase getreten. NachMe<strong>in</strong>ung des mediz<strong>in</strong>ischen Sachverständigen Schröder, von dem GudrunEnssl<strong>in</strong> sich am 26. April hatte untersuchen lassen, konnte dieGefangene <strong>in</strong>nerhalb weniger Tage sterben 180. Die latente Lebensgefahr,<strong>in</strong> der Enssl<strong>in</strong> sich befand, werde durch Zwangsernährung undihren Widerstand dagegen höchstwahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e akute Lebensgefahrumschlagen. Gefängnisarzt Henck weigerte sich deshalb, e<strong>in</strong>esolche Maßnahme zu treffen. Andererseits war zu erwarten, daßZwangsernährung nach E<strong>in</strong>tritt des Komas, wenn ke<strong>in</strong> Widerstand mehrgeleistet werden kann, zu spät kommen würde. Der kritische Zeitpunktwäre dann längst überschritten, und zwar z. B. wegen irreparabler Schädigungdes Rückenmarks und anderer Funktionen, wie die Obduktionder Leiche von Holger Me<strong>in</strong>s ergeben hatte.Wenn die wichtigste Forderung des Hungerstreiks nicht erfüllt werde,so sei zu erwarten, daß Gudrun Enssl<strong>in</strong> <strong>in</strong> Kürze als erste Gefangenesterbe. Mitdieser Botschaft konfrontierte Schröder den Justizm<strong>in</strong>ister desLandes Baden-Württemberg, Traugott Bender.Am 28.4.77 schickte das Executive Comittee von Amnesty International<strong>in</strong> London gleichlautende Telegramme an die Bundesregierung <strong>in</strong>Bonn, den Bundesjustizm<strong>in</strong>ister, den Justizm<strong>in</strong>ister von Baden-Württembergund den Direktor des Gefängnisses <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>. In ihnendrückte Amnesty International se<strong>in</strong>e große Besorgnis aus, verwies aufdie UNO-Bestimmungen über Folter und unmenschliche Behandlungund bat, die Gefangenen gemäß den mediz<strong>in</strong>ischen Gutachten zu behandeln.Schon seit Wochen wurden westdeutsche Persönlichkeiten mitoffenen Briefen überschüttet; Absender waren u. a. 80 Theologen, 128amerikanische Rechtsanwälte, 100 französische und belgische Richterund Anwälte, 23 englische Verteidiger. Sie alle unterstützten die Hungerstreikforderungnach Zusammenlegung. Koord<strong>in</strong>iert wurde diese Kampagnevom Internationalen Komitee zur <strong>Verteidigung</strong> politischer Gefangener<strong>in</strong> West-Europa. Die westdeutsche Sektion dieses Komitees verschicktelaufend Pressemitteilungen, <strong>in</strong> denen detailliert über den Verlaufdes Hungerstreiks und die Reaktionen der Behörden berichtet wurde.Am 30.4. 77 te~te das Justizm<strong>in</strong>isterium von Baden-Württemberg denGefarrgenen <strong>in</strong> Stamm heim mit:"Das Justizm<strong>in</strong>isterium hat sich entschlossen, e<strong>in</strong>e gewisse Konzentrationvon Gefangenen, die wegen Straftaten nach den § 129, 129a StGB verfolgtwerden, <strong>in</strong> Stuttgart-<strong>Stammheim</strong> vorzunehmen. Es ist an Gefangene, die <strong>in</strong>Baden-Württemberg e<strong>in</strong>sitzen, und an solche, um deren übernahme andereLänder uns bitten, gedacht. Die Verlegung e<strong>in</strong>er Gruppe solcher Leute wird <strong>in</strong>463


~ -",_. '.~ .. ~.~._-""" .die Wege geleitet. Vorgesehen ist auch, die hierzu erforderlichen Vergrößerungender Hafträume zu schaffen"181.Der <strong>Stammheim</strong>er Gefängnis-Direktor überbrachte den Gefangenendiese Zusage, die vom M<strong>in</strong>isterialdirektor des Justizm<strong>in</strong>isteriums, KurtRebmann, der wenig später zum Nachfolger von GBA Buback ernanntwurde, ausgearbeitet worden war. Die Gefangenen beendeten daraufh<strong>in</strong>ihren Hungerstreik. Zeitungsberichten zufolge hatte das Justizm<strong>in</strong>isteriummitgeteilt, daß e<strong>in</strong>e Veränderung der Haftbed<strong>in</strong>gungen nun zuverantworten sei, weil im H<strong>in</strong>blick auf das Urteil gegen "Baader u. a. "nun "e<strong>in</strong>e Zäsur" e<strong>in</strong>getreten sei182.Tatsächlich wurde e<strong>in</strong>ige Zeit danachmit dem Umbau des siebten Stockwerks <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> für dieBelegung mit 16 Gefangenen begonnen. Die Verlegung weiterer Gefangeneraus anderen Hattanstalfen <strong>in</strong> diese Abteilung ließ jedoch monatelangauf sich warten, so daß der E<strong>in</strong>druck entstand, die Zusage würdenicht e<strong>in</strong>gehalten. Verschiedene Gefangene außerhalb von <strong>Stammheim</strong>traten deshalb im Mai, Juni und Juli 1977 erneut <strong>in</strong> den Hungerstreik.In <strong>Stammheim</strong> saßen damals auch Sab<strong>in</strong>e Schmitz und Verena Bekkerwegen Straftaten nach §129 bzw. 129a StGB e<strong>in</strong>, allerd<strong>in</strong>gs nicht imsiebten Stock. Sie hatten mite<strong>in</strong>ander Kontakt. Am 24.5.77 wurde Sab<strong>in</strong>eSchmitz ohne Angabe von Gründen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes Gefängnis verlegt;Beckers Verlegung wurde angekündigt. Beide traten daraufh<strong>in</strong> sofortwieder <strong>in</strong> den Hungerstreik. Unter Berufung auf Rebmanns Zusageforderten sie, <strong>in</strong> den siebten Stock zu Enssl<strong>in</strong> und den anderen Gefangenenverlegt zu werden. Sab<strong>in</strong>e Schmitz wurde am 8.6.77 nach <strong>Stammheim</strong>zurückgebracht. Weilbeide aber immer noch nicht <strong>in</strong>s siebte Stockwerkverlegt wurden, setzten sie ihren Hungerstreik fort. Der zuständigeUntersuchungsrichter am BGH gab am 16.6.77, als der Gesundheitszustandder beiden Gefangenen wegen des vorausgegangenen Hungerstreikswieder kritischzu werden drohte, per Beschluß se<strong>in</strong>e Zustimmungzur Unterbr<strong>in</strong>gung von Becker und Schmitz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftszelleund zum Umschluß mit Enssl<strong>in</strong>, Schubert und Möller - aber nicht imsiebten Stock. Die Begründung: "Inzwischen s<strong>in</strong>d die Ermittlungen <strong>in</strong>beiden Verfahren so weit fortgeschritten, daß es zur Verh<strong>in</strong>derung derVerdunklungsgefahr e<strong>in</strong>er strengen E<strong>in</strong>zelhaft nicht mehr bedarf". DieBegründung für die Ablehnung des Umschlusses auch mit Baader lautete:"Es ist gerichtsbekannt, daß der Rädelsführer der unter den Namen,Rote Armee Fraktion' und ,Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande' bekanntgewordenenkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, der <strong>in</strong> erster Instanz verurteilte AndreasBaader, auf Ges<strong>in</strong>nungsgenossen e<strong>in</strong>en starken E<strong>in</strong>fluß ausübt". DieFrauen verweigerten nun den Umschluß außerhalb der Spezialabteilungim siebten Stock, "weil die Gruppe der politischen Gefangenen <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> damit nicht vergrößert wird, sondern gespalten. Das Angebotbedeutet nicht größere Interaktionsmöglichkeiten entsprechend denForderungen der Gutachter, sondern die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es zweiten Isola-464tionstrakts <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> und e<strong>in</strong>e Kanalisierung unserer Kommunikation,die nur den Zweck haben kann, das Verbot des 2. Strafsenatsdes OLG Stuttgart, die Gespräche der Gefangenen abzuhören (malangenommen, es wird überhaupt beachtet), das sich nur auf den 7.Stock bezieht, zu umschiffen,,183.Der Hungerstreik g<strong>in</strong>g weiter.Der (stellvertretende) Generalbundesanwalt entschloß sich daraufh<strong>in</strong>am 21.6. 77 zu e<strong>in</strong>em ungewöhnlichen Schritt: Er erstattete beider Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Verteidiger vonSchmitz und Becker, Arndt Müller und Arm<strong>in</strong> Newerla, wegen "versuchtenMordes" an ihren Mandant<strong>in</strong>nen und deren "Mißhandlung".Müller und Newerla würden, so die Begründung, ihre Mandant<strong>in</strong>nen"<strong>in</strong> dem Vorhaben, die staatlichen Organe zu erpressen oder sich zuTode zu hungern, unterstützen und damit den Tod ihrer Mandantenbilligend <strong>in</strong> Kauf nehmen,,184. Der Pressebericht der BAW über dieseStrafanzeige fand weiträumige Verbreitung <strong>in</strong> den Tageszeitungen185.Entrüstet reagierten die Anwälte mit der Gegenbehauptung, daß nichtsie, sondern die BAW und der zuständige Untersuchungsrichter beimBGH den Tod ihrer Klienten <strong>in</strong> Kauf nähmen. Sie bezeichneten dieAnzeige als "übliche Strategie zur Krim<strong>in</strong>alisierung der Verteidiger".Die Gefangenen Schmitz und Becker entzogen ihren Anwälten sofortdas Mandat, "weil wir nicht wollen, daß unser Tod, der offenbar beschlosseneSache ist, zum Anlaß wird, die wenigen Verteidiger zu krim<strong>in</strong>alisieren,die <strong>in</strong> der BRD noch den Mut haben, Gefangene aus derRAF gegen die Politik des Mordes und der Folter, die die Bundesanwaltschaftseit 1972 <strong>in</strong> Staatsschutzverfahren verfolgt, zu verteidigen"186.Am 26.6.77 wurden Schmitz und Becker <strong>in</strong> den 7. Stock verlegt,allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong> die besonders gesicherte Abteilung von "Baaderu. a. ", aber immerhjn <strong>in</strong> die Nähe. Enssl<strong>in</strong>, Möller und Schubert erhieltendie Erlaubnis, sich bei ihnen aufzuhalten. Daraufh<strong>in</strong> brachen diezwei Frauen ihren Hungerstreik ab. Merkwürdig an dieser Konstruktionwar, daß dadurch, daß man Enssl<strong>in</strong>, Möller und Schubert erlaubte,sich außerhalb der Abteilung bei Schmitz und Becker aufzuhalten,Die Gruppe der fünf Gefangenen <strong>in</strong> der Isolationsabteilung wurdeam 6.7.77 um drei Gefangene aus Hamburg, Helmut Pohl, WolfgangBeer und Werner Hoppe, erweitert. liesudle anderer Gefangenerdas wurden Sicherheitskonzept jedoch systematisch der isolierten abgelehnt Abteilung oder h<strong>in</strong>ausgezögert, Frage gestelltwas wurde. denE<strong>in</strong>druck verstärkte, daß die Behörden nicht beabsichtigten, ihre Zusagevoll e<strong>in</strong>zuhalten. Die Vermutung bestätigte sich, als Bubacks NachfolgerKurt Rebmann Ende Juli auf e<strong>in</strong>er der wöchentlichen Pressekonferenzender BAW die Haftsituation der Gefangenen als "gerechtund human" bezeichnete und behauptete, mit der Vergrößerung der465J


Gruppe <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> sei den mediz<strong>in</strong>ischen Empfehlungen Genügegetan187.5.2. Muß Croissant zum drittenmal <strong>in</strong>s Gefängnis?Während des vierten kollektiven Hungerstreiks und danach wurde derDruck, den die Staatsschutzbehörden bis dah<strong>in</strong> schon auf das AnwaltsbüroCroissant ausgeübt hatten, noch wesentlich verstärkt. In dem Bürobefand sich auch die westdeutsche Sektion des Internationalen Komiteeszur <strong>Verteidigung</strong> politischer Gefangener <strong>in</strong> West-Europa (lVK). Schonder Verfassungsschutzbericht für 1976 kommentiert die Tätigkeit diesesBüros folgendermaßen: "Sie richtet sich wie schon 1975 darauf, dieBundesrepublik Deutschland <strong>in</strong> det <strong>in</strong>ternationalen Öffentlichkeit als,präfaschistischen Polizeistaat' politisch zu diskrim<strong>in</strong>ieren"188. Wahrsche<strong>in</strong>lichwar den Behörden nicht entgangen, daß das IVKwesentlichan der Entscheidung der Lord-Bertrand-Russell-Peace-Foundation InLondon beteiligt war, e<strong>in</strong> Tribunal über die Verletzung der Menschenrechte<strong>in</strong> der BRD abzuhalten. Mir ist bekannt, daß die Anregung, e<strong>in</strong>solches Tribunal zu veranstalten, von den Gefangenen stammte.Ebensowenig wird den Behörden entgangen se<strong>in</strong>, daß die Interventionvon Amnesty International während des Hungerstreiks, die vielen<strong>in</strong>ternationalen Proteste, die äußerst kritische Berichterstattung <strong>in</strong> derliberalen westeuropäischen Presse usw. vor allem von diesem Komitee<strong>in</strong>itiiert waren.Folgt man dem Schema, wie es anläßlich der ersten und zweitenFestnahme Croissants <strong>in</strong> den Sommermonaten 1975 und 1976 beschriebenwurde, so ließ sich absehen, daß die Rechtsanwälte derwestdeutschen Sektion des IVKim Sommer 1977 wiederum mit Verhaftungenzu rechnen hatten. In dieses Bild fügt sich das oben erwähnteErmittlungsverfahren des GBA gegen Müller und Newerla anläßlich desHungerstreiks ihrer Mandant<strong>in</strong>nen nahtlos e<strong>in</strong>.Nachdem das Ehrengericht der Stuttgarter Anwaltskammer sich weigerte,gegen Croissant im <strong>Stammheim</strong>er "Mehrzweckgebäude" e<strong>in</strong>enBerufsverbotsprozeß zu führen, erließ die 12. Strafkammer des LandgerichtsStuttgart (vor der Croissant seit Juli 1976 angeklagt war) auf Antragder Staatsanwaltschaft Ende Juni 1977 e<strong>in</strong> strafrechtliches vorläufigesund teilweises gerufsverbot189. Noch laufende Strafverfahren ausgenommen,war es ihm nicht mehr gestattet, <strong>in</strong> <strong>Strafsachen</strong> nach §§ 129und 129a StGB - Staatsschutzsachen - tätig zu werden. Von daher wares ihm nur noch möglich, im sogenannten Stockholm-Prozeß gegen dieüberlebenden Mitglieder des Kommandos "Holger Me<strong>in</strong>s" aufzutreten.Dieser Prozeß war jedoch so gut wie abgeschlossen.Als Verteidiger <strong>in</strong> Staatsschutzsachen war Croissant damit endgültigausgeschaltet. Er g<strong>in</strong>g davon aus, daß se<strong>in</strong>e dritte Verhaftung kurz466bevorstehe und es äußerst unwahrsche<strong>in</strong>lich sei, e<strong>in</strong> drittesmal vor derUrteilsverkündung <strong>in</strong> dem ihm bevorstehenden Strafverfahren, das langedauern konnte, freigelassen zu werden.Am 7.7.77 setzte sich Croissant über das seit dem Sommer 1975 fürihn bestehende Verbot, die BRD zu verlassen, h<strong>in</strong>weg, reiste nach Parisund gab dort auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz im Büro des Rechtsanwalts J. J.de Felice bekannt, daß er <strong>in</strong> Frankreich politisches Asyl beantragenwerde.5.3. Reaktionen auf die Erschießung von PontoJürgen Ponto, -Qner der e<strong>in</strong>flußreichsten Bankiers <strong>in</strong> der BRD undpersönlicher Ratgeber von Bundeskanzler Helmut Schmidt, wurde am30.7.77 bei e<strong>in</strong>em mißglückten Entführungsversuch von e<strong>in</strong>em RAF-~ommand~ erschossen. Die Täter konnten entkommen. Die Identitäte<strong>in</strong>er Beteiligten stand allerd<strong>in</strong>gs fest: Susanne Albrecht. Ihr Vater undPonto kannten sich vom Studium her, sie selbst war jahrelang mit e<strong>in</strong>erTochter des Ehepaars Ponto befreundet. Frau Ponto hatte Albrecht, dieihr Kommen telefonisch avisiert hatte, zusammen mit "deren Freunden"nichtsahnend e<strong>in</strong>gelassen. Den Staatsschutzbehörden war bekannt, daßAlbrecht seit Jahren unter anderem im Hamburger "Komitee gegenFolter", um menschenwürdige Haftbed<strong>in</strong>gungen für die Gefangenenaus der RAF gekämpft hatte. In diesem Zusammenhang hatte sie auchKontakt mit der westdeutschen Sektion des IVK. Diese Sektion hatteihren Sitz im selben Gebäude wie Croissants Büro. Viele andere L<strong>in</strong>kehatten ebenfalls Kontakte zu diesem Komitee; e<strong>in</strong>ige von ihnen hattenaktiv <strong>in</strong> ihm mitgearbeitet.Mehrere dieser Personen setzten sich 1976/77 ab, und es war anzunehmen,daß sie den Schritt <strong>in</strong> die Illegalitätgetan hatten (was sich <strong>in</strong> dendarauffolgenden Jahren bestätigen sollte). Der Staatsschutz, mit derObservation des Anwaltsbüros und Komitees "rund um die Uhr" beschäftigt,revanchierte sich auf se<strong>in</strong>e Weise. Nach Croissants Flucht nachFrankreich ließ das BKA durch die Medien (<strong>in</strong> diesem Falle "Der Spiegel")mitteilen:"Croissant steuert nicht nur seit Jahren mit trickreicher Des<strong>in</strong>formation überangebliche ,Isolationsfolter' und die ,H<strong>in</strong>richtung politischer Gefangener' e<strong>in</strong>eMitleids- und Rechtfertigungskampagne der Terroristen <strong>in</strong> der Öffentlichkeit,er koord<strong>in</strong>ierte nach der Überzeugung von BKA-Präsident Horst Herold und,TE'-Chef-Fahnder Gerd Boeden auch den ,Zusammenhalt zwischen denKadern <strong>in</strong> den Gefängnissen und <strong>in</strong> Freiheit', sorgt für den ,wachsendenBeistand' e<strong>in</strong>er 5000köpfigen Umfeld-Szene und vermittelt ,Pläne für neueGewalttaten" ,190GBA Rebmann wußte schon unmittelbar nach dem Anschlag aufPonto, wer dafür verantwortlich war: die "Gruppe Croissant", der auch467


e<strong>in</strong>e Anzahl "ehemaliger Mitarbeiter" Croissants - unter ihnen SusanneAlbrecht - angehörte19l. Gleichzeitig wurden überall <strong>in</strong> der BRD wiederwie üblich Wohnungen und Büros durchsucht, selbstverständlich auchCroissants Büro, jene "Informationszentrale der deutschen Terroristen".Ordner, Dokumentationsmaterial, alle Tonbandaufnahmen von Pressekonferenzenund Listen mit Anschriften von Journalisten wurden beschlagnahmt.Dann verbreitete die BAW die Nachricht, <strong>in</strong> CroissantsBüro sei "möglicherweise der Orig<strong>in</strong>al-Bekennerbrief zum Attentat aufBuback gefunden worden", und daß "zu den Autoren möglicherweiseGudrun Enssl<strong>in</strong> gehört" 192. Gefunden hatte man allerd<strong>in</strong>gs nur e<strong>in</strong>eKopie der Kommandoerklärung mit e<strong>in</strong>em abgestempelten Briefumschlag,wie sie an zahlreiche Medien, Anwälte usw. verschickt wordenwaren. Das Durchsuchungsprotokollließ daran auch ke<strong>in</strong>en Zweifel193.Kurz gesagt, es wurden absichtlich falsche Nachrichten verbreitet, um die<strong>in</strong> der Öffentlichkeit geführte Offensive gegen Croissants Büro und dieKonstruktion von e<strong>in</strong>er aus den Zellen geleiteten Stadtguerilla zu untermauern.Gleichzeitig erhöhten sich die Aggressionen des Gefängnispersonalsgegenüber den acht <strong>Stammheim</strong>er Gefangenen194. Der Bericht HelmutPohls stimmt <strong>in</strong>haltlich mit anderen Gefangenenberichten übere<strong>in</strong>:"man konnte es e<strong>in</strong>fach sehen - wie das, was der staatsschutz über diemedien angedreht hatte, direkt <strong>in</strong> den trakt e<strong>in</strong>zog: an den kurzen wortwechselnmit den bullen, an der schärfe, mit der sie die bewegungen jedes e<strong>in</strong>zelnenvon uns beim umschluß verfolgten, am verhalten schreitmüllers, wenn wir mitihm sprechen wollten, usw. also genau den ablauf, wie sich e<strong>in</strong>e zentralgesteuerte kampagne umsetzt <strong>in</strong> aggressivität der bullen".Am Freitag, 5.8.77 P4eignete sich <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> e<strong>in</strong> Vorfall, über dendie Gclangenen Ingrid Schubert, Irmgard Möller, Helmut Pohl, WolfgangBeer, Wemer Hoppe und Jan Carl Raspe ausführlich, sich gegenseitigergänzend und <strong>in</strong> der Kernaussage gleichlautend, berichteten.Schilderungen der Gefangenen Andreas Baader und Gudrun Enssl<strong>in</strong>kenne ich nicht. Ingrid Schubert schreibt:"freitagabend, während gudrun noch beim anwalt ist, geht andreas währendder ausgabe des abendessens <strong>in</strong> gudruns zelle, um irgendwas zu holen,wie es bei allen jeden tag e<strong>in</strong> paarmal läuft. das müssen praktisch alle grünengesehen haben. kurz danach kommt g. und geht <strong>in</strong> ihre zelle, etwas späterkommt gabi (möller), die <strong>in</strong> der zellewar, wo das obst ist, und - das undenkbaremuß hier gedacht werden - a. ist mit zwei ,eiskalt kalkulierenden scharfgedrillten mörderfrauen' (leitartikler zehm) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zelle. die bullen, die dasgesehen haben, schließen die tür abrupt vor me<strong>in</strong>er nase zu. was wir angesichtsdes ärgers, den sie sonst machen, wenn zweivon uns nicht zu sehen s<strong>in</strong>d,ziemlich komisch fanden. ich stand unmittelbar vor der tür, und es war völligklar, daß sie wußten, wo a. ist. es fielmir auf, daß sie alle nervös waren und vordem glaskasten rumtuschelten. die drei <strong>in</strong> der zelle waren offenbar aucherstaunt, denn sofort danach leuchtete die rufanlage auf und die tür wird468wieder aufgeschlossen. gabi kommt raus, geht <strong>in</strong> ihre zelleund holt irgendwas.münz<strong>in</strong>g, oberverwalter, der seit e<strong>in</strong>er woche dienst hat hier, geht vor mir <strong>in</strong> diezelle, quer durch, klopft an beiden fenstern an die stäbe, dreht sich dann umund geht an a., der offensichtlich <strong>in</strong> den mappen vor dem bücherregal gewühlthatte, e<strong>in</strong>en apfel aß und ihn beobachtet, also überhaupt nicht versteckt ist,vorbei und vor mir wieder raus. ich bespreche mit ga. kurz, daß ich nachts zu r.rübergehe, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen teil des stockwerks von uns isoliert wird, diewir aber über mittag und nachts sehen können. dann gehe ich raus zum tisch <strong>in</strong>der mitte des flurs und münz<strong>in</strong>g schließt augenblicklich und wortlos die türh<strong>in</strong>ter mir ab. während sich das sittendrama entfaltet, stehen m<strong>in</strong>destens fünfschließer im trakt. wir haben uns später klargemacht, daß zu dem zeitpunktke<strong>in</strong>er von uns wußte, was das ganze bedeutet. ich habe ke<strong>in</strong>e lust zu erklären,warum wir nach sechs jahren isolation was dafür übrig haben, zusammen zuse<strong>in</strong> - und wenn schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewalt, die jedes gefühl, jeden gedanken undjede bewegung unwirklich oder zu dieser wirklichen qual machen soll, zu derwir folter sagen, weil sie bewußt, beabsichtigt, wissenschaftlich geplant ist.wir waren verblüfft, fandens dann aber auch, weil's nicht unsre sache ist, dasdreckige skopische kalkül, das jede unserer bewegungen verfolgt und registriert,durchzusetzen, ganz witzig.tatsächlich ist es nämlich <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbjahren, <strong>in</strong> denen wir hier zusammen s<strong>in</strong>d, so, daß der schließer, der uns - alle20 m<strong>in</strong>uten abgelöst - ununterbrochen beobachten muß - am anfang warenes drei, die auf drei stühlen nebene<strong>in</strong>ander saßen und stierten - wenn zweivonuns (nicht desselben geschlechts) e<strong>in</strong>en augenblick nicht zu sehen s<strong>in</strong>d, anfängtlaut zu werden und gleichzeitig drei andere, die h<strong>in</strong>ter dem vorhangbereitschaft sitzen, <strong>in</strong> den trakt schickt, um 'unverzüglich e<strong>in</strong>zuschreiten,.außerdem haben die e<strong>in</strong>e strichliste, auf der sie - fallsnur 1 nicht zu sehen istnotieren,<strong>in</strong> welcher der beiden offenen zellen er ist. es ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>fames undperfektes system totaler kontrolle, dem ke<strong>in</strong>e lebensäußerung im trakt entgehenkann.was geme<strong>in</strong>t war, bekamen die anderen 1 stunde später, als sie a. aus derzelle holten, mit und dann am nächsten morgen, samstag. die provokation undaggressivität, die sie seit pontos tod drauf haben, laufen jetzt mit e<strong>in</strong>em fettigengr<strong>in</strong>sen, und sie ziehen jetzt die sache weiter hoch; kündigen an, daß ammontag ,der rest folgt'; die beiden türen, die bisher offen waren, bleibengeschlossen bzw. die grünen bleiben so lange im trakt stehen bis die tür zu ist,mit dem ergebnis, daß während der gesamten umschlußzeit am wochenendemeistens drei, manchmal vier beamte drohend im trakt stehen, außer dem, derim schußsicheren cockpit sitzt.auf die frage, warum sie auf ärger aus s<strong>in</strong>d undwarum sie die sache am freitag e<strong>in</strong>gefädelt haben, reagieren sie drohendaggressiv ,wir werden ja sehen', ,hier wird sich was ändern' (emil)".Auf was dies alles abzielte, wurde am Montag, 8.8.77, deutlich. IrmgardMöller berichtet: ~"am samstag konnten wir dann sehen, worauf die provokation rauslief:erstmal wollten sie durchsetzen, daß alle zellentüren geschlossen bleibenwährend wir umschluß haben, als das nicht lief, standen sie zwei tage lang zudritt im trakt.montag morgen waren sie entschlossen, es mit gewalt durchzusetzen: beimaufschluß um halb 10 kamen nicht wie sonst zwei oder drei grüne <strong>in</strong> den trakt,469


sondern gleich sechs, die sich mit aggressivem gehabe vor a's tür aufbauten,um sie <strong>in</strong> nem günstigen moment zuzuschlagen. nachdem jan ihnen erklärthatte, daß sie abhauen sollen und wir geschlossene türen nicht h<strong>in</strong>nehmenwerden - sie höchstens abends zu zweit <strong>in</strong> ihrer sicherheitskanzel sitzen können,g<strong>in</strong>g münz<strong>in</strong>g nach e<strong>in</strong>iger zeit los, um das schreitmüller auszurichten. wirsaßen dann zu sechst am tisch oder schleppten zeug aus den zellen re<strong>in</strong> undraus, die grünen zogen sich e<strong>in</strong> paar meter zurück.als a. ihnen gerade nochmal klar gemacht hatte, daß sie abhauen sollen undwas für konsequenzen das hat, wenn sie sich weigern, stürmten nusser undschreitmüller mit nem haufen von m<strong>in</strong>destens 40 bis 50 stiernackigen bullen,die wir noch nie gesehen hatten, <strong>in</strong> den trakt - gleich auf die offene tür von i'l'szelle zu. die grünen besetzten den ganzen flur und bauten sich <strong>in</strong> klumpen umdie türen herum auf. nach e<strong>in</strong>igem h<strong>in</strong> und her - wir machten ihnen klar, daßder ärger für sie nicht mehr aufhören würde, wenn sie diese sorte maßnahmennicht lassen - versuchten sie, uns wegzudrängeln. a., der am tisch stand undkaffee trank, warf se<strong>in</strong>e tasse ans gitter, nachdem schreitmüller das kommandofür die grünen gebrüllt hatte, die türen zuzumachen. sie stürzten sich sofort aufig. und jan, die <strong>in</strong> der tür standen, drehten ihnen die arme um, zogen ihnen diebe<strong>in</strong>e weg, e<strong>in</strong>er drückte ig. mit dem ellbogen die brille <strong>in</strong>s gesicht, gleichzeitigpackten sie werner, der n stück weg stand, an armen und be<strong>in</strong>en, schlepptenihn mit fußtritten und fausthieben rüber zu me<strong>in</strong>er zelle und schleuderten ihnre<strong>in</strong>.während die grünen n<strong>in</strong>a und mich an den haaren rissen und <strong>in</strong> die eckedrückten, konnte ich sehen, wie grossmann und fünf andere bullen a. packtenund <strong>in</strong> verschiedene richtungen zerrten. auf der anderen seite schlugen sechsbullen auf leo e<strong>in</strong>. <strong>in</strong> der ecke vor a's zelle konzentrierten sich immer mehrbullen, jan und ig. lagen am boden und über ihnen und um sie rum waren haugund die besonders fetten bullen aus den anderen abteilungen und schlugen aufsie e<strong>in</strong>, während e<strong>in</strong>er von ihnen mit dem absatz ig's brille zertrat.als n<strong>in</strong>a, g und ich uns aus der ecke befreien wollten, stürzten sie sich sofortauf uns, rissen uns an den haaren nach h<strong>in</strong>ten, schlugen uns die be<strong>in</strong>e weg, ichhörte g halb erstickt schreien und konnte sehen, daß e<strong>in</strong> schwarzhaariger bulleihr das gesicht e<strong>in</strong>drückte und sie mit den anderen hand am hals würgte, sie lagam boden und ich wurde auf sie drauf geschleudert. sie schlugen auf uns e<strong>in</strong>und warfen g und mich dann <strong>in</strong> die zelle von a., während n<strong>in</strong>a von sechsschränken an armen und be<strong>in</strong>en auf die andere seite geschleppt und da an denhaaren gerissen wurde, e<strong>in</strong>er hatte ihr ohr. <strong>in</strong> der zelle schien es mir, als sei gbewußtlos nen moment. sie hatte e<strong>in</strong>en krebsroten hals, e<strong>in</strong> angelaufenesgesicht und konnte erst ke<strong>in</strong>e luft kriegen".Beabsichtigt war also, e<strong>in</strong> von den Bewachern <strong>in</strong>szeniertes E<strong>in</strong>schließenBaaders <strong>in</strong> die Zelle von Enssl<strong>in</strong> später als Argument für die E<strong>in</strong>schränkungder Bewegungsfreiheit der Gefangenen benutzen zu können.Zum Beispiel sollte es ihnen nicht mehr möglich se<strong>in</strong>, während desUm schlusses das <strong>in</strong> Leerzellen aufbewahrte Dokumentationsmaterial zubenutzen. Daß sich die Gefangenen e<strong>in</strong>er solchen Willkürmaßnahmewidersetzen würden, stand außer Frage, und darauf spekulierte man.Genau dieser Widerstand wurde dann auch zum Anlaß genommen, die470nur teilweise erfüllte Zusage, Gefangene zu "<strong>in</strong>teraktionsfähigen Gruppen"zusammenzulegen, vollständig rückgängig zu machen.E<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis dafür, daß die Verschärfung der Haftsituation geplant war, iste<strong>in</strong>er Meldung der "Frankfurter Neue Presse" vom 22.8.77 zu entnehmen:"Die jetzigen Entscheidungen der zuständigen Behörden, die Gefangenengruppe<strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> aufzulösen, ist vermutlich nicht nur e<strong>in</strong>e Folge desderzeitigen Hunger- und Durststreiks... Bereits von Ende Juli - also vorBeg<strong>in</strong>n des laufenden Streiks der Häftl<strong>in</strong>ge datie . er oeheimm~hi'lltenesc rel en s an le an esjustizm<strong>in</strong>ister, größere HaftQruooen zuvermeiden~ .---Nachdem die Gefangenen wieder total isoliert waren, traten sie erneutsofort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hunger- und Durststreik. In den folgenden Tagen schlossensich etwa 30 andere Gefangene diesem Streik an. Am 10. Augustbittet der GBA den Präsidenten des Stuttgarter Gerichts, Foth, schriftlichum Ausführung von Diszipl<strong>in</strong>ierungsmaßnahmen gegen die Gefangenen(u. a. Fortsetzung der völligen Isolation) und um die Verlegung e<strong>in</strong>esTeils der <strong>Stammheim</strong>er Gefangenen <strong>in</strong> andere Gefängnisse: "Zu welchenAuswüchsen die von den Ärzten vorgeschlagene Interaktionsmöglichkeitgeführt hat, nämlich zu e<strong>in</strong>er Gefangenenrevolte im 7. Stock derVollzugsanstalt, dürfte spätestens nach diesen Vorfällen jedem E<strong>in</strong>sichtigenklar geworden se<strong>in</strong>". Gleichzeitig wird <strong>in</strong> den Medien genüßlich undmit dicken Schlagzeilen über den Anlaß der "Gefangenenrevolte" berichtet;die Schlagzeile von "Bild" am 11.8.77 lautet: "Terrorist Baaderbei der Enssl<strong>in</strong> im Bett". "Bild am Sonntag" schreibt am 14.8.77: "Revoltenach der Liebesstunde".nach Hamburg ge ogen. Mit Ausnahme von Stamm elm wur en <strong>in</strong> enanderen Die Gefangenen GefängnissenBeer, dIePohl hunger- und Ho und durststreikenden e wurden am 12.8.77 Gefangenen zurück 1zum Teil wieder zwangsernährt. Die Rechtsanwälte Müller und Newerlagaben e<strong>in</strong>e Pressemitteilung heraus, <strong>in</strong> der den Verantwortlichen vorgeworfenwurde, die Gefangenen <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> ermorden zu wollen.GBA Rebmann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit der "Welt" am 14.8.77 zummöglichen Tod e<strong>in</strong>es oder mehrerer Gefangener: ,,(. .. ) das wäre dieKonsequenz, die den Gefangenen und ihren Verteidigern klargemachtwurde und klar ist". Und: "Man sollte sich durch Hunger- und Durststreiksnicht erpressen lassen. Ich weiß, daß die Bevölkerung gar nichtdaran <strong>in</strong>teressiert ist, ob diese Leute Hunger- und Durststreiks begehen.Die Bevölkerung will, daß man diese Leute hart anfaßt, so, wie sie esnach ihren brutalen Taten verdienen". Wie dieses Credo <strong>in</strong> die Praxisumgesetzt wurde, machen die vielen detaillierten Berichte der Gefangenenüber die Zwangsernährung deutlich. Gleichzeitig lief erneut e<strong>in</strong>eKampagne gegen die Zwangsernährung, überwiegend von rechten Medienund Politikern unterstützt, und zwar unter dem Motto: "Gerade <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em liberalen Staat sollte der Wille e<strong>in</strong>es Gefangenen respektiert wer-471


Iden"l95. Auch wurden "die gewaltigen Kosten e<strong>in</strong>es Hungerstreiks","viele Millionen Mark an unseren Steuergeldern", hervorgehobenl96.Während die Gegner der Zwangsernährung manchmal die gleiche Sprachebenutzten wie die Gefangenen, so z. B. der rechte RechtsanwaltJosef Augste<strong>in</strong>: "Die Zwangsernährung wird zur Folter" 197,argumentiertenihre Befürworter, der Staat dürfe "ke<strong>in</strong>e Märtyrer schaffen,,198.Die Rechtsanwälte Müller und Newerla hatten <strong>in</strong>zwischen liberale undkritische Persönlichkeiten und Gruppen mobilisiert. Unter anderem wurden<strong>in</strong> Amsterdam, Brüssel und Paris Pressekonferenzen und demonstrativeVersammlungen veranstaltet, an denen Rechtsanwälte aus derBRD, Vertreter von Amnesty International, der Menschenrechtsliga undder Internationalen Juristenkommission teilnahmen.Hunderte von Hochschullehrern, Rechtsanwälten, Schriftstellern,Künstlern, Theologen, Ärzten, die Bertrand-Russell-Peace-Foundation,Amnesty International appellierten e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich <strong>in</strong> Briefen und Telegrammenan die Verantwortlichen, den Hunger- und Durststreik durch dieErfüllung der Zusage vom 30.4.77, <strong>in</strong>teraktionsfähige Gruppen bilden zuwollen, zu beenden. Abschriften solcher Briefe, an Gefangene adressiert,kamen nicht durch die richterliche Zensur:"Der beanstandete offene Brief ist geeignet, die UntersuchungsgefangeneIrmgard Möller <strong>in</strong> der von ihr ergriffenen Maßnahme des Hungerstreiks zubestärken, was e<strong>in</strong>e weitere Gefährdung der Gesundheit der Untersuchungsgefangenenbefürchten ließe. Die Ordnung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt Stuttgart­Stamm heim erfordert daher, den offenen Brief nicht an die UntersuchungsgefangeneMöller weiterzuleiten" 199.In der Nacht vom 14. zum 15. August 1977 explodierteimAnw Iro von ü er un ewer a, e en Liro Croissantom e, ie as Büro größtenteils zerstörte. Das BKAspielte den Medienle Intormation zu, es bestünden "Vermutungen, nach denen die Bombenexplosionvielleicht nur e<strong>in</strong> ungewollter ,Betriebsunfall' gewesensei", möglicherweise sei die RAF selbst dafür verantwortlich2oo. DieAnwälte dagegen schrieben den Anschlag als "Methode der <strong>in</strong>ternationalenCounter<strong>in</strong>surgency" dem Staatsschutz zu. Die Anspielungen desBKA bezeichneten sie als "Absurdität und Infamie"; sie verwiesen darauf,daß das Büro "Taq und Nacht observiert wird und jeder, der sichihm nähert oder sich entfernt, fotografiert wird"zU1.Der Staatsschutzselbst hatte im Sommer 1976, kurz vor Croissants zweiter Festnahme,bekannt gegeben, daß das Büro Croissant unter völliger Kontrolle stünde.Es ersche<strong>in</strong>t äußerst unwahrsche<strong>in</strong>lich, daß diese Kontrolle ausgerechnetwährend der extremen Zuspitzung der gesamten Situation, imAugust 1977, nicht bestanden haben sollte.Am Abend des 20.8.77 wurden sieben Teilnehmer an e<strong>in</strong>er Arbeitsgruppedes Russell-Tribunals nach ihrem Treffen auf dem Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>eGaststätte von e<strong>in</strong>er Anti-Terror-E<strong>in</strong>heit des BKA festgenommen202.472tE<strong>in</strong>er von ihnen war Rechtsanwalt Newerla. Sie wurden "erkennungsdienstlichbehandelt" (Fotoaufnahmen, F<strong>in</strong>gerabdrücke) und 24 Stundenfestgehalten. In Newerlas Auto, <strong>in</strong> dem zum Zeitpunkt der Festnahmeer und drei andere Versammlungsteilnehmer saßen, fand die Polizei80 Exemplare der l<strong>in</strong>ksradikalen Frankfurter Zeitschrift"MOB". Das Heftenthielt mehrere kurze Artikel, <strong>in</strong> denen mit kaum verhohlener Zustimmungüber das Attentat auf Buback geschrieben und gleichzeitigsuggeriertwurde, se<strong>in</strong>em Nachfolger Rebmann werde dasselbe widerfahren203.Am nächsten Tag teilte die BAW der Presse mit, daß gegenNewerla und se<strong>in</strong>e Mitfahrer aufgrund dieses Fundes e<strong>in</strong> strafrechtlichesErmittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung e<strong>in</strong>er terroristischenVere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>geleitet worden sei. Verschiedene Tageszeitungen,vorneweg "Bild", entrüsteten sich daraufh<strong>in</strong> über NewerlasFreilassung 204.Newerla wird am 30.8.77 erneut festgenommen, und zwar wegen"MOB". Se<strong>in</strong>e Erklärung, er habe von der Zeitung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Auto nichtsgewußt, er kenne nicht e<strong>in</strong>mal ihren Inhalt, zählte ebenso wenig wie dieErklärung e<strong>in</strong>es Mitfahrers, daß er die Zeitungen mit <strong>in</strong>s Auto genommenhabe. Newerla sollte das Gefängnis bis 1981 nicht mehr verlassen. Dieanderen Gründe dafür werden noch erörtert.Inzwischen g<strong>in</strong>g der Hunger- und Durststreik der Gefangenen weiter.Durch Zufall wurde bekannt, daß die westdeutsche Sektion von AmnestyInternational unter Leitung von Bischof Frenz mit Zustimmung vonAmnesty International London den für diese Organisation ungewöhnlichenVersuch unternommen hatte, zwischen den Gefangenen und denverantwortlichen Behörden zu vermitteln. Am 22.8.77 teilte das Justizm<strong>in</strong>isteriumdes Landes Baden-Württemberg der Presse mit, GudrunEnssl<strong>in</strong> habe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit Frenz angekündigt, daß im Fall desTodes e<strong>in</strong>es der Gefangenen mit "terroristischen Aktionen erheblichenAusmaßes" zu rechnen sei. Amnesty reagierte darauf sofort mit e<strong>in</strong>erPresseerklärung, <strong>in</strong> der dem Justizm<strong>in</strong>isterium vorgeworfen wird, dieausdrücklich vere<strong>in</strong>barte Vertraulichkeit des Vermittlungsversuchs verletztzu haben und daß die von ihm veröffentlichten Informationen "<strong>in</strong>aller Form def<strong>in</strong>itiv falsch" seien.Dieser Vorfall ist aus zweierlei Gründen wichtig. Erstens machte derVertrauensbruch gegenüber Amnesty klar, daß die verantwortlichenBehörden nicht beabsichtigten, von der harten L<strong>in</strong>ie des GBA Rebmannabzuweichen. Es istanzunehmen, daß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er derart heiklen Angelegenheitwegen Amnesty International nicht ohne Absprache zwischen Justizm<strong>in</strong>isteriumund Rebmann gehandelt wurde. Schwerwiegender ist derzweite Aspekt. Mit Enssl<strong>in</strong>s "Ankündigung" (Baader soll sich, der Falsch<strong>in</strong>formationaus dem M<strong>in</strong>isterium zufolge, gegenüber Frenz ähnlichgeäußert haben) sollte wieder e<strong>in</strong>mal propagiert werden, daß die Illegalender RAF von <strong>Stammheim</strong> aus, über die Verteidiger, gesteuert wür-473


den. Um dieses Ziel zu erreichen, schreckten die verantwortlichen Behördenalso nicht e<strong>in</strong>mal mehr vor dem Risiko zurück, wegen der Verbreitungvon Falschmeldungen von e<strong>in</strong>er weltweit bekannten Organisationwie Amnesty International blamiert zu werden.Dazu jedoch noch e<strong>in</strong>e Randbemerkung. Das M<strong>in</strong>isterium hatte sichbei se<strong>in</strong>er Berichterstattung über die Gespräche zwischen Gefangenenund Amnesty auf die Berichte der Staatsschutzfunktionäre gestützt, diediese Gespräche überwacht hatten205. Das staatliche Interesse an derVerbreitung e<strong>in</strong>er Falschmeldung liegt auf der Hand. Es bleibt festzustellen,daß es dem Staatsschutz gelungen war, se<strong>in</strong>e falsche Version als"Wahrheit" durchzusetzen. Die zentrale Konstruktion, nämlich daß dieGefangenen <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> die Stadtguerilla mit Hilfe ihrer Verteidigerorganisierten und steuerten, war vom BKA bereits 1972 <strong>in</strong> Umlaufgesetzt worden; nache<strong>in</strong>ander hatten Bundesanwaltschaft, Richterschaft,Regierung und Parlament diese Konstruktion übernommen. DieAusformung der Haftsituation beruhte vollständig auf dieser Konstruktion;ebenso waren die vielen seit Januar 1975 e<strong>in</strong>geführten Anti- Terrorismus-Gesetzesowie die Ausschlüsse der Verteidiger mit dieser Konstruktiongerechtfertigt worden. Polizei, Staatsanwaltschaft, Medien,Richter, Politiker, Gefängnispersonal, Regierungen des Bundes und derLänder wurden auf die Konstruktion e<strong>in</strong>geschworen. Das BKA konntedarauf vertrauen, daß jede dieser Konstruktion Auftrieb gebende Nachricht,auch wenn sie nachweislich noch so falsch war, auf fruchtbarenBoden fallen würde. Nach fünf Jahren gezielter Propaganda war esschließlich undenkbar geworden, die Glaubwürdigkeit dieses BKA-Produktszur Diskussion zu stellen.Am 25.8.77 wird der mißlungene Bombenanschlag e<strong>in</strong>es RAF-Kommandosauf das Gebäude der BAW <strong>in</strong> Karlsruhe entdeckt. Das Kommandohatte sich mit Hilfe e<strong>in</strong>er List Zugang zu e<strong>in</strong>er benachbartenWohnung verschafft und dort, nachdem die beiden Bewohner gefesseltwaren, e<strong>in</strong>e Art Raketenwerfer mit Zeitzünder <strong>in</strong>stalliert. Die Anlagefunktionierte jedoch nicht.Am 2.9.77 brachen die gut 30 Gefangenen ihren Hunger- und Durststreikab. Zuvor hatte Jan earl Raspe über das IVK <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Presseerklärungmitgeteilt:474"Im Lauf der Woche haben wir von e<strong>in</strong>em Mitgliedvon Amnesty Internationalerfahren, daß der VermittIungsversuch, den das International ExecutiveComittee unternommen hat, um humane, d.h. Haftbed<strong>in</strong>gungen, die denForderungen der Ärzte entsprechen, durchzusetzen und den Hungerstreik zubeenden, abgebrochen wurde, weil ,die Situation total verhärtet ist' und ,<strong>in</strong>den Behörden von oben nach unten die L<strong>in</strong>ie durchgesetzt wurde, nach denAnschlägen gegen die Bundesanwaltschaft und Ponto an den Gefangenen e<strong>in</strong>Exempel zu statuieren'.Das entspricht den Ankündigungen Rebmanns. Die Gefangenen habendaraufh<strong>in</strong> - um das Mordkalkül nicht zu erleichtern - am 26. Tag ihren Streikunterbrochen. Sie haben sich dazu entschlossen, nachdem sie damit endlichoffen zu Geiseln des Staatsschutzes erklärt worden s<strong>in</strong>d".5.4. Die Schleyer-EntführungDas RAF-Kommando "Siegfried Hausner" entführte am Montag,5.9.77, Dr. Hanns-Mart<strong>in</strong> Schleyer, "den mächtigsten WirtschaftsführerDeutschlands" (Bild). Vier Personen kamen bei dieser Aktion <strong>in</strong> Kölnums Leben: drei Sicherheitsbeamte Schleyers und se<strong>in</strong> Fahrer. Schleyerwar Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BOI) undder Bundesvere<strong>in</strong>igung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).Se<strong>in</strong>e markante Nazi-Vergangenheit wurde von der westdeutschen Presseverschwiegen oder lapidar als "Jugendtorheit" bezeichne~o6. Schleyerwar zu Ende des Zweiten Weltkriegs 30 Jahre alt. 1976 erschien e<strong>in</strong>esozialwissenschaftliche Untersuchung mit dem Titel "Macht und Herrschaftder Unternehmerverbände BOI, BDA und OIHT,,207. überSchleyer ist dort zu lesen:"Im Alter von 16 Jahren trat er der faschistischen Bewegung bei. Nach demAbitur g<strong>in</strong>g er an die Universität Heidelberg, wo er als Leiter des NS-Studentenwerkesmaßgebend ,an der Gleichschaltung und Re<strong>in</strong>igung der UniversitätenHeidelberg und Freiburg von Nazigegnern, Judenstämml<strong>in</strong>gen und Miesmachern'mitwirkte. Nach dem ,Anschluß' Österreichs an Hitler-Deutschlandnahm er als frischgebackener SS-Untersturmführer (SS-Mitgliedsnummer227014) gleiche Aufgaben als Leiter des NS-Reichsstudentenwerks <strong>in</strong> lnnsbruckwahr. Nach dem überfall auf die Tschechoslowakei siedelte er nach Pragüber, wo er ebenfalls die Leitung des NS-Reichsstudentenwerkes an der altenKarlsuniversität übernahm. 1941 avancierte er als knapp 26jähriger zum Leiterdes Präsidialbüros im Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren.Er war dort u. a. für die rassische und wirtschaftliche E<strong>in</strong>gliederung des tschechoslowakischenIndustriepotentials <strong>in</strong> die deutsche Kriegswirtschaft zuständig.Nach Kriegsende schaffte der Nazi-Manager e<strong>in</strong>en nahtlosen übergang <strong>in</strong>Führungspositionen der westdeutschen Wirtschaft,,208.Am Tag nach der Entführung erhielt das BKA e<strong>in</strong>e Erklärung derEntführer, aus der hervorg<strong>in</strong>g, daß Schleyer freigelassen werde, sobaldelf Gefangene aus der RAF, darunter Baader, Enssl<strong>in</strong> und Raspe, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>Land ihrer Wahl ausgeflogen seien. Wenige Tage später folgte e<strong>in</strong>eVideo-Aufzeichnung, die Schleyer als "Gefangenen der RAF" zeigte undauf der er die Bundesregierung ansprach.Schleyers Entführung hatte "die politische Landschaft grundlegendverändert", wie die "Frankfurter Rundschau" (FR) schon am 8.9.77feststellte; weiter wurde vorausschauend und beipflichtend behauptet:"Die Zeichen stehen (... ) auf Härte. Gefragt ist das gesamte Arsenalstaatlicher Macht,,209. Für die "FR" stand auch außer Frage, wogegen475


dieses Arsenal e<strong>in</strong>zusetzen war: "In der Tat s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Anwälte zumneuralgischen Punkt der gesamten Terrorszene geworden".Der "Krisenstab" unter Leitung von Bundeskanzler Helmut Schmidttraf sofort nach E<strong>in</strong>gang der Erklärung zwei e<strong>in</strong>schneidende Maßnahmen.Ebenso wie nach den Attentaten auf Buback und Ponto wurdenmehr als 100 wegen § 129(a) StGB oder <strong>in</strong> Zusammenhang damitverfolgte Gefangene - also nicht nur diejenigen, deren Freilassung gefordertwurde - e<strong>in</strong>er totalen Kontaktsperre unterworfen: Es gab ke<strong>in</strong>enUmschluß mehr, Radio und Fernseher wurden weggenommen bzw.abgeschaltet, Briefe und Zeitungen zurückgehalten, Verteidigerbesucheverboten. Die zweite Maßnahme bestand erstmals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er totalen Nachrichtensperrefür alle MedienZlO.Die Regierung hüllte sich "<strong>in</strong> strengstesStillschweigen" ("FAZ" vom 8.9.77) über alles, was mit der Schleyer­Entführung <strong>in</strong> Zusammenhang stand oder stehen konnte. Außerdemwandte sie sich auch wiederholt direkt an alle Chefredakteure der TagesundWochenzeitungen, des Rundfunks und Fernsehens sowie der Presseagenturenmit der dr<strong>in</strong>genden Bitte, "nichts zu tun, was die Anstrengungender Sicherheitsorgane des Bundes <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weise bee<strong>in</strong>trächtigenund dazu beitragen könnte, die Gefahrenlage zu verschärfen"Zll.Im Zweifelsfallsolle man mit dem Pressereferat des Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriumsKontakt aufnehmen. Auch der Deutsche Presseratwandte sich mit e<strong>in</strong>em ähnlich lautenden Aufruf an die Medien undersuchte die Redaktionen, "die Maßnahmen der Polizei- und Sicherheitsorganezu unterstützen". Die "FR" vermerkt dazu am 20.9.77:"Und der Generalsekretär des Presserates (... ) verweist auf Paragraph34 des Strafgesetzbuches: den rechtfertigenden Notstand".Die gesamte westdeutsche Presse leistete während des be<strong>in</strong>ahe siebenwöchigenZeitraums der Entführung Selbstzensur. Im Ausland, vorallem <strong>in</strong> Frankreich, lehnten Zeitungen und Presseagenturen e<strong>in</strong>e derartiggravierende Beschneidung ihrer öffentlichen Kontrollfunktion ab. Diefranzösische Zeitung "Liberation" begründet ihre Haltung:"Man erlebt e<strong>in</strong>e seltsame Zeit. Hätte man sich vorstellen können, daß e<strong>in</strong>früherer Nazi, der Chef der deutschen Arbeitgeber geworden ist, ,Liberation'benutzt, um sich an se<strong>in</strong>e Frau zu wenden? Grund dieses Paradoxons ist dieVermittlung der Roten Armee Fraktion, die Hanns-Mart<strong>in</strong> Schleyer heute seit33 Tagen gefangen hält. Es ist das zweitemal, daß sich die Entführer an,Liberation' wenden, um mit deutschen Behörden e<strong>in</strong>e Nachricht auszutauschen,ohne daß ihre Botschaft abgefangen, ganz oder teilweise <strong>in</strong> den Redaktionender geschriebenen Presse zensiert wird, die immer noch, was dieseAffäre angeht, e<strong>in</strong>er direkten Zusammenarbeit mit der Regierung unterworfenist. Diese Situation, die die Information <strong>in</strong> die Abhängigkeit der politischenMacht br<strong>in</strong>gt, untersagt es der Presse jenseits des Rhe<strong>in</strong>s, ihre Rolle zu spielen.Daher haben wir uns völlig frei zur Veröffentlichung dieser Dokumente bezügliche<strong>in</strong>er Sache entschlossen, <strong>in</strong> der die Geheimhaltung e<strong>in</strong>em unblutigenAusgang nur schaden kann. Im Gegenteil, die Verschwiegenheit ist hier wie476anderswo die Waffe all jener, die e<strong>in</strong>e Gewaltlösung wünschen. "(Zitiert nachFAZ, 10. 10. )212Nachträglich stellte sich heraus, daß die Nachrichtensperre als <strong>in</strong>formationspolitischesMittel wirksam funktioniert hatte. Während gegenüberder Öffentlichkeit und den Entführern fortwährend der E<strong>in</strong>druckerweckt wurde, e<strong>in</strong> Austausch werde erwogen, hatten die Verantwortlichen<strong>in</strong> Bonn jedoch schon am 6.9.77, also e<strong>in</strong>en Tag nach der Entführung,beschlossen, die Gefangenen auf ke<strong>in</strong>en Fall freizulassenz13.Sowohldie Nachrichtensperre als auch die Kontaktsperre wurden stets mitdem Schutz des Lebens von Schleyer begründet. Die nachträglich vonder Bundesregierung herausgegebenen Rechenschaftsberichte zeigenjedoch, daß e<strong>in</strong>e ganz andere überlegung Priorität hatte, nämlich "dieHandlungsfähigkeit des Staates und das Vertrauen <strong>in</strong> ihn im In- undAusland nicht zu gefährden; das bedeute auch: die Gefangenen, derenFreilassung erpreßt werden sollte, nicht freizugeben"Z14.Nachrichten- und Kontaktsperre dienten also dem vorläufigen Vertuschendieser harten L<strong>in</strong>ie der Regierung, um Zeit für die Fahndung zugew<strong>in</strong>nen und Schleyers Aufenthaltsort eventuell durch e<strong>in</strong>en Zufallstrefferherauszubekommen. E<strong>in</strong>e Woche nach se<strong>in</strong>er Entführung äußertesich Schleyer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er vielen, erst nach se<strong>in</strong>em Tod veröffentlichtenTonband- und Videoaufnahmen dazu:"Ich habe immer die Entscheidung der Bundesregierung, wie ich ausdrücklichschriftlich mitgeteilt habe, anerkannt. Was sich aber seit Tagen abspielt istMenschenquälerei ohne S<strong>in</strong>n. Es sei denn, man versucht mit naiven Tricksme<strong>in</strong>e Entführer zu fangen. Das wäre zugleich me<strong>in</strong> sicherer Tod und ich kannmir nicht vorstellen, daß man zwar die offizielleAblehnung der Forderungenscheut, aber Vorbereitungen trifft, um mich still um die Ecke zu br<strong>in</strong>gen, dasman dann vielleicht als technische Panne ausgeben könnte. Seit man Tag undNacht berät, ich frage mich eigentlich worüber noch, hat man mir den E<strong>in</strong>druckvermittelt, man würde die Forderungen annehmen. Alles redet zudem vomLeid der Familie und bekundet den Wunsch, me<strong>in</strong> Leben zu erhalten. Manverlangt aber ständig neue Lebenszeichen von mir und verleugnet die vorliegendenoder zweifelt die Authentizität grundlos an"2J5.Zur Zeit der Nachrichtensperre - und sicherlich als Ausgleich gedachtwarendie Medien jedoch eifrig bemüht, "die freigiebig dargebotenenH<strong>in</strong>weise aus Quellen der Geheimdienste und der Polizei"Z16auf dieIllegalen und die sogenannte Sympathisantenszene zu veröffentlichen.In ihrem Buch "E<strong>in</strong> deutscher Herbst" dokumentieren die Herausgeberanschaulich diesen unkritischen und willfährigen Journalismus als "beobachtendeFahndung"217. Vorreiter war "Der Spiegel". Daß die Hexenjagdauf "Sympathisanten" e<strong>in</strong>em Preisschießen ähnelte, wird vonden Antworten auf die Frage "Wer kann schon sicher se<strong>in</strong>, nicht als,Sympathisant' verdächtigt zu werden?" e<strong>in</strong>drucksvoll illustriert:",Sympathisant' kann jeder se<strong>in</strong>: schon wer ,Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe'(statt: ,-Bande') sagt (so Bemhard Vogel, laut FR vom 14.9.); schon wer vom477


Kapitalismus spricht, schaffe damit ,gleitende übergänge' zur Entführung vonWirtschaftsvertretern (so die ,Welt' am 6.9. über Peter von Oertzen). AuchNichtstun schützt vor Sympathisantismus nicht: über die 48 Mescalero-Herausgeberund den Schriftsteller Erich Fried schrieb die FAZ am 2.8.: ,DieseSympathisanten, die nie e<strong>in</strong>em Terroristen Nachtlager und Reisegeld gegebenhaben, s<strong>in</strong>d die wirklich gefährlichen. Sie haben ... ,nichts getan', sie habennur ihre Me<strong>in</strong>ung gesagt, sie haben nur nachgedacht'. Selbst wer gegenGewalt und Terror auftritt, kann e<strong>in</strong> Sympathisant se<strong>in</strong> - und zwar geradedeswegen. So schrieb ,Bild' am 4. 10. über Günter Wallraff:,Ich verabscheueGewalt und Terror - so beg<strong>in</strong>nt Günter Wallraffim modischen Sympathisanten-Stilse<strong>in</strong> teures Taschenbuch (16,80 DM)'''218.5.4.1. Die Kontaktsperre219Noch <strong>in</strong> der Nacht vom 5. zum 6.9.77, nur wenige Stunden nach derEntführung, traf man die Entscheidung, alle wegen Straftaten gegen§ 129 verfolgten Gefangenen e<strong>in</strong>er totalen Isolation zu unterwerfen. Ause<strong>in</strong>er Reihe von Gründen ersche<strong>in</strong>t es mir wichtig, diese Maßnahmennäher zu betrachten. Erstens war die Isolation nun weitaus e<strong>in</strong>schneidenderals alle bis zu diesem Zeitpunkt praktizierten Formen, obwohl diemediz<strong>in</strong>ischen Gutachter zu dem Ergebnis gekommen waren, daß diebis dah<strong>in</strong> bestehenden Haftbed<strong>in</strong>gungen schon zu weitgehender Gesundheitsschädigunggeführt hatten und auf die Dauer den Tod bewirkenkönnten. Im Zusammenhang damit be<strong>in</strong>haltete die Kontaktsperrezweitens, daß den Gefangenen die Grundrechte auf körperliche undgeistige Unversehrtheit, auf Menschenwürde, auf freie <strong>Verteidigung</strong>, aufInformation und Kommunikation entzogen worden waren. Und schließlichist festzustellen, daß nach Ablauf dieser fast siebenwöchigen absolutenIsolation die drei Personen, die als Anführer dieser Gruppe vonGefangenen ausgegeben worden waren, tot <strong>in</strong> ihren Zellen gefundenwurden.Folgende Fragen sollen untersucht werden: Wie ist die Entscheidung,zu totaler Isolation überzugehen, zustande gekommen; auf welcherrechtlichen Grundlage und auf welchen hierfür angeführten Sachverhaltenberuhte die Entscheidung; warum wurde es notwendig, dieser Entscheidungnach e<strong>in</strong>igen Wochen mit Hilfe e<strong>in</strong>es Blitzgesetzes e<strong>in</strong>e legaleGrundlage zu verschaffen?Der im November 1977 erschienenen Dokumentation der Bundesregierungüber die Ereignisse und Entscheidungen während der Zeit derSchleyer-Entführung zufolge wurden die wesentlichen Entscheidungenvon der Regierung selbst vorbereitet und getroffen22o Daneben gab eszwei sogenannte Beratungsgremien: die "Kle<strong>in</strong>e Lage" und der ..moßepolitische Beratungskreis" auch Kle<strong>in</strong>er" bzw. Großer Krisenstab"ann . an 1ge el ne mer der "Kle<strong>in</strong>en Lage" waren der Bundeskanzler,die Bundesm<strong>in</strong>ister des Inneren und der Justiz, Staatsm<strong>in</strong>ister478Wischnewski und Staatssekretär Schüler (Chef des Bundeskanzleramtsund verantwortlich für die Koord<strong>in</strong>ierung der Geheimdienste), HorstHerold (Präsident des BKA)und GBA Rebmann. Die "Kle<strong>in</strong>e Lage" tratmeist zweimal täglich zusammen, und "<strong>in</strong> kritischen Phasen tagte siefortdauernd". Teilnehmer des großen politischen Beratungskreises warenneben den Mitgliedern der "Kle<strong>in</strong>en Lage" und des komplettenKab<strong>in</strong>etts die Fraktions- und Parteivorsitzenden und die M<strong>in</strong>isterpräsidentender Länder, <strong>in</strong> denen Gefangene, deren Freilassung gefordertwurde, saßen. Die Versammlung traf sich e<strong>in</strong>- bis zweimal wöchentlich.H<strong>in</strong>sichtlich des Inhalts der Sitzungen des Kab<strong>in</strong>etts und der beidenBeratungsgremien ist die Regierungsdokumentation wenig <strong>in</strong>formativ.Die Präsentation dieser Informationen, die Permanenz der e<strong>in</strong>anderfolgenden Sitzungen und die Tatsache, daß die Regierung selbst weitausseltener als der große politische Beratungskreis zusammenkam, lassenunmißverständlich erkennen, daß die entscheidenden Beschlüsse ke<strong>in</strong>eswegsvon der Regierung selbst vorbereitet und getroffen wurden. Dertatsächliche Entscheidungsprozeß ist anhand der Kontaktsperre-Maßnahmedeutlich nachzuvollziehen. Sie wurde vorbereitet und entschiedenvom "Kle<strong>in</strong>en Krisenstab", nach ihrer Ausführung vom "GroßenKrisenstab" gebilligt und schließlich von der Bundesregierung als NotstandsaktabgesegnetBereits <strong>in</strong> der Nacht vom 5. zum 6. September 1977 "trifftdie Bundesanwaltschaftstrafprozessuale Eilmaßnahmen, um Kontakte jener Häftl<strong>in</strong>ge,gegen die sie wegen des Verdachts terroristischer Umtriebe Verfahrenführt oder geführt hat, zur Außenwelt zu unterb<strong>in</strong>den"221. DieseEilmaßnahmen bestanden aus dem Antrag an den Ermittlungsrichterdes BGH, e<strong>in</strong>e Kontaktsperre zu erlassen. Das BKA schlug gleichzeitige<strong>in</strong>en direkteren und, wie sich nachträglich erwies, effektiveren Weg e<strong>in</strong>.Aus se<strong>in</strong>er "Beurteilung der Gefahrenlage" folgte, "daß das Bundeskrim<strong>in</strong>alamtim E<strong>in</strong>vernehmen mit dem Bundesm<strong>in</strong>ister des Inneren diebetroffenen Landesjustizverwaltungen am 6. September 1977 fernschriftlichdr<strong>in</strong>gendersucht hat, ab sofort jede Kommunikation zwischenden Häftl<strong>in</strong>gen und ihren Verteidigern zu unterb<strong>in</strong>den"222. Etwa 100Gefangene waren davon betroffen. In der Nacht vom 6. zum 7.9.77 fande<strong>in</strong>e (erste) Sitzung des "Großen Krisenstabs" statt, <strong>in</strong> der man sichdarüber e<strong>in</strong>igte, "daß rechtliche Maßnahmen zur Unterb<strong>in</strong>dung vonKontakten solcher Straf- und Untersuchungsgefangener, die wegen terroristischerAktivitäten rechtskräftig verurteilt oder solcher Straftatendr<strong>in</strong>gend verdächtig s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> der gegenwärtigen Gefahrensituation vordr<strong>in</strong>glichs<strong>in</strong>d,,223. Erst am 7.9. beriet die Regierung selbst über dieSchleyer-Entführung. Der Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister teilte mit, "er habe e<strong>in</strong>ezentrale E<strong>in</strong>satzleitung unter Führung des Präsidenten des Bundeskrim<strong>in</strong>alamtese<strong>in</strong>gerichtet", und der Bundesjustizm<strong>in</strong>ister berichtete über dievon ihm, das heißt: vom GBA/BKAgetroffenen Maßnahmen zur Durch-479


führung e<strong>in</strong>er Kontaktsperre; der folgende Satz <strong>in</strong> der Regierungsdokumentationlautet: "Das Kab<strong>in</strong>ett nimmt von beiden Vorträgen Kenntnisund billigt die getroffenen Maßnahmen"224.So wird schließlich nicht nur deutlich, daß der "Kle<strong>in</strong>e Krisenstab",e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Verfassungsordnung der BRD nicht vorgesehenes politischesOrgan, die Regierungsgewalt übernommen hatte, sondern auch, daß diedort getroffenen Entscheidungen im wesentlichen vom BKA und vomBundeskanzleramt vorprogrammiert waren. Entscheidungen wurden jeweilsnach "Berichten zur Lage" und e<strong>in</strong>er anschließenden "Beurteilungder Lage" getroffen. Die <strong>in</strong> der Regierungsdokumentation aufgezähltenThemen, über die jedes mal Bericht erstattet werden mußte, legen dieVermutung nahe, daß das BKA und das Bundeskanzleramt für dieseBerichterstattung zuständig und somit <strong>in</strong> der Lage waren, den Entscheidungsprozeßwesentlich zu bee<strong>in</strong>flussen22sBei der Untersuchung der Frage nach der Rechtsgrundlage der erlassenentotalen Kontaktsperre fällt als erstes auf, daß die BAW bezüglichdes Kontakts zwischen Gefangenen und Verteidigern offensichtlich e<strong>in</strong>enanderen Kurs verfolgte als ihre Hilfsbehörde, das BKA. Der Ermittlungsrichteram BGH erließ am 6.9.77 e<strong>in</strong>en Kontaktsperrebescheid,fügte aber h<strong>in</strong>zu: "Dies gilt nicht für Verteidigerbesuche". Noch am9.9.77 teilte BAW Kaul, Leiter der ,,Abteilung Terrorismus" bei derBAW, e<strong>in</strong>em Berl<strong>in</strong>er Richter telefonisch mit, daß es ihm nicht um e<strong>in</strong>Verbot von Verteidigerbesuchen gehe, "weil er e<strong>in</strong>e solche Maßnahmefür rechtlich nicht zulässig halte ,,226. Außer <strong>in</strong> West-Berl<strong>in</strong> wurde denVerteidigern jedoch <strong>in</strong>zwischen überall <strong>in</strong>folge des oben erwähnten direktenBKA-Ersuchens von den Gefängnisdirektionen der Besuch beiihren Mandanten verweigert, und zwar im E<strong>in</strong>vernehmen mit dem jeweilszuständigen Landesjustizm<strong>in</strong>ister.Anders als bei den Abhöraffären Traube und <strong>Stammheim</strong> verwiesendie Behörden diesmal zur Rechtfertigung der totalen Kontaktsperre vonAnfang an auf den "Rechtsgedanken des rechtfertigenden Notstandes",wie er <strong>in</strong> § 34 StGB formuliert ist. Am 15.9.77 begründete der Bundesjustizm<strong>in</strong>isterdie Mißachtung des § 148 StGB (Gewährleistung der freien<strong>Verteidigung</strong>) :480"MitRücksicht auf die nach den bisherigen Erkenntnissen bestehende Kommunikationzwischen <strong>in</strong>haftierten terroristischen Gewalttätern und <strong>in</strong> Freiheitbef<strong>in</strong>dlichen Ges<strong>in</strong>nungsgenossen war es nicht nur gerechtfertigt, sondernauch geboten, jegliche Möglichkeite<strong>in</strong>es unerlaubten Kontakts nach außen fürdie Dauer der gegenwärtigen von den Entführern ausgehenden Bedrohung zuverh<strong>in</strong>dern. Die zuständigen staatlichen Stellen erfüllten damit ihre Rechtspflichtzum Schutz des Lebens von H. M. Schleyer und zur verantwortlichenBewältigung der durch den terroristischen Anschlag herbeigeführten außerordentlichenSituation"227.Es ist naheliegend, daß bei diesen "bisherigen Erkenntnissen" wieder-um auf die oben schon mehrfach diskutierte Konstruktion des BKAzurückgegriffen wurde: die Gefangenen leiteten die RAF vom Gefängnisaus weiterh<strong>in</strong> mit Hilfe e<strong>in</strong>iger Verteidiger. Dem BKA gelang es nun mitHilfe dieser Konstruktion, alle Verteidiger von politischen Gefangenenauf e<strong>in</strong>en Schlag auszuschalten. Endgültig hatte sich e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie durchgesetzt,zu der der westdeutsche Historiker Prof. Dr. Golo Mann die Verantwortlichenam 7.9.77 aufgefordert hatte:"Die notwendigen Sofortmaßnahmen: Sämtliche Vertrauensanwälte derTerroristen s<strong>in</strong>d unter dem dr<strong>in</strong>genden Verdacht der Komplizenschaft auszuschließen.Von nun an darf es nur noch Pflichtanwälte geben (. .. ),,228.Da diese Maßnahme aber unangenehme Er<strong>in</strong>nerungen an das "DritteReich" wachrief, bemühte sich die Bundesregierung nach Ablauf derSchleyer-Entführung, ihr Verhalten mit neuen Tatsachenbehauptungenzu legitimieren. Die Regierung führte <strong>in</strong> ihrer Dokumentation deshalbdrei Gegebenheiten an, von der allerd<strong>in</strong>gs nur die erste aus der Zeitunmittelbar vor dem Erlaß der Kontaktsperre stammte. Dieser "Beweis"war e<strong>in</strong>e Handskizze, die am 5.9.77 <strong>in</strong> dem Auto des RechtsanwaltsNewerla gefunden worden se<strong>in</strong> soll: "Sie konnte nach ersten Prüfungenfür e<strong>in</strong>e schematische Darstellung der Zufahrt und der näheren Umgebungder Kölner Wohnung Dr. Schleyers gehalten werden"229. Dieseangebliche Skizze ist übrigens im Verfahren gegen Newerla (siehe Kap.VIII, 5.6.1.) nicht mehr aufgetaucht. Ich er<strong>in</strong>nere daran (siehe 5.3.), daßNewerla schon am 20.8.77 festgenommen und se<strong>in</strong> Auto durchsuchtworden war, wonach er am 30.8.77 erneut festgenommen worden war.Die zweite Gegebenheit datiert zwar erst vom 10.9.77, schien aber aufden ersten Blick stichhaltiger zu se<strong>in</strong>. In der Regierungsdokumentationheißt es: "Die Entführer erklärten an diesem Tag, Baader werde nachFreilassung der Häftl<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong> Codewort sagen, das den Entführern dieErfüllung aller Forderungen signalisiere"23o. Dazu Rechtsanwalt DieterAdler im E<strong>in</strong>stellungsantrag vom 13. 12. 84 im Verfahren gegen BrigitteMohnhaupt und Christian Klar:,Als Beleg wird hierfür der Telefonanruf des Kommandos vom 10.9.77 beiPayot <strong>in</strong> folgender Fassung wiedergegeben (ich zitiere die entsprechendePassage): ,Sobald die Gefangenen sowie Herr Payot und Herr Niemöller ihrFlugziel erreicht haben, wird Andreas Baader ihnen e<strong>in</strong>en Satz sagen, der e<strong>in</strong>Wort enthält, der dem Kommando überbracht wird und diesem erlaubt, zuidentifizieren und zu versichern, daß sie gut angekommen s<strong>in</strong>d, damit Schleyerfreigelassen werden kann. '(Regierungsdokumentation, S. 30 f).Diese angeblich authentische Mitteilung ist nachweisbar e<strong>in</strong>e Fälschung.Es handelt sich um e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation aus zwei Anrufen, e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>deutignicht authentischen Anruf vom 10.9.1977, 11.05 Uhr, beim WDR <strong>in</strong> Köln.Dieser ist auch nie als authentisch behandelt worden, da sich der Anrufer (imGegensatz zu allen anderen Kontakten mit ,Kommando Hausner' (nicht ,KommandoSiegfried Hausner') meldete und ke<strong>in</strong>erlei Identifikation gab, die ihn alsauthentisch qualifiziert hätte. Aber <strong>in</strong> diesem Anruf vom 10.9. heißt es wört-481


lich: ,Code-Wort' (SAO-S-40, 169). Dieses Zitat ,Code-Wort' wurde dann mitText aus der tatsächlichen Mitteilung des Kommandos bei RA Payot umrankt.Diese echte Mitteilung f<strong>in</strong>det sich nicht <strong>in</strong> den beiden angeblich vollständigwiedergegebenen telefonischen Kommunikationen. Für den 10.9. ist dort nurder erwähnte falsche Anruf beim WDR angegeben.Die wirkliche Mitteilung vom 10.9.77 an Payot lautete wie folgt (AuszugSAO-S-53.1I217): ,Sobald die Gefangenen gelandet s<strong>in</strong>d, kommen Payotund Niemöller zurück und geben uns über 1V e<strong>in</strong>en Satz von Andreas bekannt,der e<strong>in</strong>e Assoziation enthalten muß, die für e<strong>in</strong>en aus dem Kommandoidentifizierbar ist.' Diese Fassung der Mitteilung bef<strong>in</strong>det sich bei den Akten imBand SAO-S-53.1, Blatt 217 als Asservat aus e<strong>in</strong>em Depot-Fund und ist soauch an Payot durchgegeben worden.Daran kann es ke<strong>in</strong>en Zweifel geben, denn Payot selbst bezieht sich beispäteren Gesprächen darauf (SAO-S-40, 223 + 255). Aber <strong>in</strong> die Akten ist ernicht gelangt. Auf SAO-S-39, 1 f<strong>in</strong>det sich der H<strong>in</strong>weis, daß sich die für dasErmittlungsverfahren relevante telefonische Kommunikation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Asservatenverzeichnisbef<strong>in</strong>det (SAO - S - 25.2, 341 bis 396). Auch dort f<strong>in</strong>det sichke<strong>in</strong>e Spur dieser telefonischen Mitteilung.Der Text <strong>in</strong> dem Wortlaut, wie er <strong>in</strong> der Regierungsdokumentation unzutreffendals authentisch wiedergegeben ist, f<strong>in</strong>det sich schließlich unter der om<strong>in</strong>ösenRubrik ,Kontakte zu RA Payot' <strong>in</strong> SAO-70, S-45, 25. Dort wird schließlichauch deutlich, daß es sich nicht etwa um die wörtliche Wiedergabe derMitteilung handelt, sondern lediglich um e<strong>in</strong>en Aktenvermerk des KHK Kle<strong>in</strong>vom BKA über die Tatsache e<strong>in</strong>er Mitteilung und deren ungefähren Wortlaut.Aus e<strong>in</strong>em ,Satz, der e<strong>in</strong>e Assoziation enthalten muß', wurde also ,e<strong>in</strong> Satz,der e<strong>in</strong> Wort enthält. .. ' und schließlich ,Code-Wort'. Diese Manipulation warnotwendig, weil nur e<strong>in</strong> bestimmtes Wort e<strong>in</strong>e Absprache zwischen Kommandound den Gefangenen voraussetzt, während e<strong>in</strong>e Identifizierung durch e<strong>in</strong>e,Assoziation' auf die persönlichen Beziehungen zwischen Gefangenen vorihrer Festnahme und Kommandomitgliedern aus jüngerer Vergangenheit abstellte."Die dritte "Tatsachenbehauptung" der Regierung:"Mitteilungen über die Aktivitäten von Terroristen <strong>in</strong> den Niederlandendeuteten auf e<strong>in</strong>e parallel laufende Aktion zur Unterstützung der Entführer h<strong>in</strong>.Zufälligmitgehörte Gespräche von terroristischen Häftl<strong>in</strong>gen beim Hofgang <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er Berl<strong>in</strong>er Vollzugsanstalt ließen den Schluß zu, daß diesen Häftl<strong>in</strong>gendiese Aktion bekannt geworden war"232.Es handelte sich um e<strong>in</strong> am 23.9.77 im Frauengefängnis Berl<strong>in</strong> durchZurufe vom Zellenfenster aus geführtes Gespräch zwischen Ilse Jandtund Monika Berberich. Beamte hätten gehört, wie "die Damen über ihrebaldige Freilassung nach e<strong>in</strong>em neuen Anschlag <strong>in</strong> Holland spekulierten"Z33.Es g<strong>in</strong>g vor allem um die Monika Berberich zugeschriebeneÄußerung: ,,(. .. )nicht daß wir etwa bis zur Grenze gebracht werden undvon der anderen Seite e<strong>in</strong>kassiert werden, dann müßte e<strong>in</strong> Auslieferungsantraggestellt werden "Z34.Die beiden Frauen sagten dazu, e<strong>in</strong>eGefangene habe ihnen vom Hof aus zugerufen, daß Knut Folkerts <strong>in</strong> denNiederlanden verhaftet worden sei, und sie hätten sich daraufh<strong>in</strong> durchs482Fenster über die Frage unterhalten, ob er e<strong>in</strong>fach über die Grenze <strong>in</strong> dieBRD abgeschoben werde oder ob e<strong>in</strong> Auslieferungsprozeß wie bei RolfPohle <strong>in</strong> Griechenland stattf<strong>in</strong>den müsseZ35.Es ersche<strong>in</strong>t völlig unwahrsche<strong>in</strong>lich,daß sich die Frauen, die nicht auf der Liste der Freizulassendenstanden, durch das Fenster über e<strong>in</strong>e Guerillaaktion zu ihrer Befreiungunterhalten würden.Angesichts der Qualität dieser drei "Tatbestände" zur Legitimierungder Kontaktsperre stellt sich die Frage, wie weit die Regierung selbst derBKA-Konstruktion von der Steuerung der Guerillaaktionen aus denZellen Glauben schenkte. Dasselbe gilt für den vom GBA behaupteten"hohen Entwicklungsstand des Informationsflusses, der die <strong>in</strong>haftiertenterroristischen Gewalttäter mit den noch <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Täternverb<strong>in</strong>det"Z36. E<strong>in</strong>ige Aufhellung <strong>in</strong> dieses Zwielicht br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> Interviewdes Bundesjustizm<strong>in</strong>isters Anfang 1978 mit dem italienischen Fernsehen.Auf die Frage, ob die Schleyer-Entführung von den Zellen ausgelenkt worden sei, antwortet der M<strong>in</strong>ister:"Ne<strong>in</strong>. Das haben wir se<strong>in</strong>erzeit schon nicht angenommen, und es hatsich ke<strong>in</strong>e Bestätigung dafür gefunden. Natürlich hat man immer wiederdie Forderung gestellt, daß etwas geschieht, damit man frei wird. Ichkann auch nicht ausschließen, daß bei dem e<strong>in</strong>en oder anderen Gesprächkle<strong>in</strong>ere H<strong>in</strong>weise gegeben wurden, die für e<strong>in</strong>e solche Unternehmungvon Bedeutung se<strong>in</strong> könnten, H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>e konspirativeWohnung, H<strong>in</strong>weise auf Waffen und Material. Aber e<strong>in</strong>e Planung oderüberhaupt e<strong>in</strong>e Steuerung im Detail aus der Zelle heraus, dafür gibt eske<strong>in</strong>e Beweise"z37.Der für die Kontaktsperre angeführte Grund, die Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>esInformationsaustauschs zwischen Gefangenen und Illegalen über dieVerteidiger, um das Leben von Schleyer zu retten, sche<strong>in</strong>t unhaltbar zuse<strong>in</strong>. Wichtig ist die Kontaktsperre jedoch für das "Grundkonzept vonHerolds Verhaltenstaktik, das er sich noch <strong>in</strong> der Nacht nach der Entführungvom Bundeskanzler absegnen läßt: Die Entführer h<strong>in</strong>halten, Antwortenverzögern, auf Zeitgew<strong>in</strong>n arbeiten"z38. Mit dieser Zielsetzungwäre die Kontaktsperre aber öffentlich nicht begründbar gewesen. Bliebnoch der E<strong>in</strong>satz der beliebten "Mehrzweckwaffe für allerlei staatlicheE<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Grundrechte des Bürgers", nämlich der <strong>in</strong> § 34 StGBformulierte "übergesetzliche Notstand", dessen Basis das <strong>in</strong>zwischenunantastbar gewordene BKA-Konstrukt bildete. Es war ke<strong>in</strong>eswegs davonauszugehen, daß die Berufung auf diesen Paragraphen von denInstanzen ohne weiteres akzeptiert würde, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rechtsstaattraditionsgemäß die Exekutive kontrollieren sollen: Parlament, öffentlicheMe<strong>in</strong>ung und richterliche Gewalt. Das Parlament hatte sich aberselbst schon weitgehend ausgeschaltet, <strong>in</strong>dem es den Krisenstäben faktischalle Befugnisse übertrug. Die öffentliche Me<strong>in</strong>ung war durch dieNachrichtensperre ausgeschaltet. Offen blieb lediglich die Frage, ob die483


tchterliche Gewalt die "E<strong>in</strong>schätzungsprärogative der entscheidendenInstanzen" (Schröder) respektieren und dem Regierungsdruck auf Verhängunge<strong>in</strong>er auch für die <strong>Verteidigung</strong> geltenden Kontaktsperre nachkommenwürde. Es zeigte sich, daß dies anfänglich nicht überall der Fallwar. In den ersten Wochen nach der Entführung weigerten sich diemeisten Richter, Verteidigerbesuche zu verbieten, da e<strong>in</strong> solches Verbotdem <strong>in</strong> § 148 StPO formulierten Recht des Gefangenen auf freienUmgang mit se<strong>in</strong>em Verteidiger zuwiderlaufen würde. E<strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>erRichter bemerkte dazu:"E<strong>in</strong>e Verteidigerbesuchssperre kann allenfals mit § 148 StPO dann vere<strong>in</strong>barse<strong>in</strong>, wenn sie sich auf Mißbrauch der Rechte aus § 148 StPO stützen läßt(. .. ). Tatsachen, die auf e<strong>in</strong>en solchen Mißbrauch h<strong>in</strong>deuten, s<strong>in</strong>d dem Haftrichterweder vorgetragen worden, noch s<strong>in</strong>d sie ihm sonstwie bekannt geworden"239E<strong>in</strong>e gleichlautende Argumentation verfolgt das OLG Frankfurt bei se<strong>in</strong>erEntscheidung vom 16.9.77, wobei das Gericht sich zu e<strong>in</strong>er möglichen Anwendbarkeitdes "übergesetzlichen Notstands" nach § 34 StGB nicht äuße~40Wenige Tage später zieht das OLG Frankfurt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen,ähnlich gelagerten Falldiese Möglichkeitzwar <strong>in</strong> Betracht, me<strong>in</strong>t jedoch, daß <strong>in</strong>casu nur unzureichend konkrete H<strong>in</strong>weise für e<strong>in</strong>e "konspirative Tätigkeit"von Gefangenen und Verteidigern vorlägen241.Die Anträge der Verteidigerauf Erlaß e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stweiligen Anordnung hatte das OLG Frankfurt {nach §§21ff E<strong>in</strong>führungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz} für zulässig erklärt,nachdem sich gezeigt hatte, daß der nach § 119 StPO zuständige Haftrichternicht <strong>in</strong> der Lage gewesen war, den Verteidigerbesuch durchzusetzen. AndereOberlandesgerichte (Stuttgart, Hamm) erklärten sich jedoch für nicht zuständig,da alle<strong>in</strong> der Haftrichter befugt sei, darüber zu entscheiden; falls dessenEntscheidung nicht ausgeführt werde, bleibe nur e<strong>in</strong>e Dienstaufsichtsbeschwerdeübrii42.In der "schwersten Krtse des Rechtsstaates seit Bestehen der BRD" ­so Kanzler Schmidt - mußten Rechtsanwälte und Richter feststellen, daßdie meisten Justizm<strong>in</strong>isterten der Länder ganz offen alle richterlichenEntscheidungen ignorterten und die Gefängnisleitungen bei der Ausführungdes "drtngenden" BKA-Ersuchens unterstützten. Selbst der höchsteHaftrtchter der BRD, ErmittIungsrtchter Kuhn am BGH, mußte feststellen,"er könne se<strong>in</strong>e haftrtchterliche Verfügung vom 6.9.77 (neunGefangene betreffend - BS) nicht durchsetzen, er könne ja nicht mite<strong>in</strong>er Gruppe von Justizbeamten gegen die Anstalt vorgehen ,,243.Damithatte die BRD "ihren ersten Staatsstreich erlebt"244.Die Krtsenstruktur im "übergesetzlichen Notstand" war nicht mehrkontroIlierbar, diente nicht dem Zweck, Menschenleben zu retten, sondernsie diente dazu, die außergesetzlichen Maßnahmen zu ermöglichen,die politische Machtfrage zu gew<strong>in</strong>nen. Dem heutigen Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterFrtedrtch Zimmermann zufolge befand sich die BRD damalsim "Krtegszustand" ("Stern" 39/1977). Richter Simon vom 1. Senat des484Bundesverfassungsgertchts rtef die von "Terroraktionen gefährdetenPersonen aus Politik und Wirtschaft" dazu auf, "e<strong>in</strong> begrenztes Risikozutragen - wie wir vom Soldaten im Krteg erwarten, daß er Opfer brtngt"("Stern" 40/1977). Später erklärte Bundeskanzler Schmidt im "Spiegel"(15.1. 79): "Ich kann nur nachträglich den deutschen Jurtsten danken,daß sie das alles nicht verfassungsrechtlich untersucht haben".Weil die meisten Anwälte nicht darüber <strong>in</strong>formiert wurden, daß ihre Mandantene<strong>in</strong>er Kontaktsperre unterlagen, entstanden absurde Situationen. Ofterfuhren sie davon erst - manchmal nach langer Anreise - an der Gefängnispforte.Als e<strong>in</strong>e Rechtsanwält<strong>in</strong> das Risiko e<strong>in</strong>er vergeblichen langen Anreisenicht auf sich nehmen wollte, am Telefon aber vom Richter und vom Gefängnisnur sich widersprechende Auskünfte erhalten hatte, bat sie die Gefängnisleitungschriftlichum e<strong>in</strong>deutige Informationen. Die schriftlicheAntwort lautete,sie müsse sich an das Justizm<strong>in</strong>isterium wenden, da die Gefängnisleitungaufgrund der Nachrichtensperre ke<strong>in</strong>e Auskünfte geben dürfe. "Klartext: DieAuskunft, ob der Gefangene der Kontaktsperre unterliegt, fälltunter die Nachrichtensperre"245.In der Regierungsdokumentation ist über das wegen der Kontaktsperreherrschende jurtstische Chaos die euphemistische Bemerkung zulesen:"Schwierigkeiten bereitete der Umstand, daß nach Anordnung der Kontaktsperrevone<strong>in</strong>ander abweichende gerichtliche Entscheidungen erg<strong>in</strong>gen( ... }Die e<strong>in</strong>heitliche Durchführung der Kontaktsperre und damit das mit ihr verfolgteZiel waren gefährdet"246.Um diesen Schwiertgkeiten begegnen zu können, beschloß der "Kle<strong>in</strong>eKrtsenstab" am 12.9.77 die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Kontaktsperregesetzes247.Nochbevor dieses Gesetz Ende September 1977 "<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sonstganz ungewöhnlichen Eilverfahren" 248vom Bundestag durchgezogenwurde, half der 3. (politische) Senat des BGH dem Krtsenstab mit e<strong>in</strong>eram 23.9.77 gefällten Urteilsentscheiduni49. Diese Entscheidung betrafe<strong>in</strong> von GBA Rebmann e<strong>in</strong>geleitetes Beschwerdeverfahren gegen dieoben erwähnte Entscheidung des BGH-ErmittIungsrtchters Kuhn vom6.9. 77, derzufolge Verteidigerbesuche und -post von der Kontaktsperreauszunehmen waren. Der 3. Senat übernahm ohne E<strong>in</strong>schränkungendie Sichtweise des GBA. Zur Kommunikation zwischen Inhaftierten undIllegale.nmit Hilfe der Anwälte schrteb der GBA:"Es sei <strong>in</strong> diesem Zusammenhang nur an den sog. Enssl<strong>in</strong>-Kassiber, an diezahlreichen Erklärungen und Aufrufe der führenden,RAF'-Angehörigen, <strong>in</strong>sbesonderean die sog. Hungerstreikerklärungen, die ausnahmslos unter Umgehungder Postzensur an die Öffentlichkeit gelangt s<strong>in</strong>d, und nicht zuletztauchan das ersichtlich gegenseitig abgestimmte Verhalten <strong>in</strong>haftierter terroristischerGewalttäter während des geme<strong>in</strong>samen Hungerstreiks er<strong>in</strong>nert".Auf diesen schon erwähnten "hohen Entwicklungsstand des Informationsflusses"zwischen Gefangenen und Illegalen gründete der BGH <strong>in</strong>H<strong>in</strong>blick auf den entführten Schleyer den "rechtfertigenden Notstand".485


Immerh<strong>in</strong> gelte es, der Gefahr entgegenzuwirken, "daß der weiterh<strong>in</strong>freie Zugang der Anwälte zu e<strong>in</strong>er Steigerung der Bedrohun~ für dasEntführungsopfer werden kann. Denn diese Gefahr betrifft das höchsteGut unserer Rechtsordnung, das menschliche Leben, gegenüber demdie zudem nur vorübergehend bee<strong>in</strong>trächtigte freie <strong>Verteidigung</strong> weitausweniger gewichtig ist". Daß dadurch alle betroffenen Verteidiger zueventuellen Mittätern der Guerilla erklärt wären, wurde vom BGH bestritten:"Die Generalisierung liegt im übrigen im wohlverstandenenInteresse der betroffenen Verteidiger. Denn sie führt dazu, daß mit dergetroffenen Maßnahme ke<strong>in</strong> persönliches Werturteil verbunden ist".Dennoch hielt auch der BGH die Konsequenz se<strong>in</strong>er Entscheidung("daß die Beschuldigten völlig ohne rechtlichen Beistand s<strong>in</strong>d") für zuweit gehend. Die von ihm gefundene Lösung könnte direkt aus demArsenal des Nazi-Volksgerichtshofes stammen: "<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situationmuß dem davon betroffenen Beschuldigten auf se<strong>in</strong>en Antrag odervon Amts wegen e<strong>in</strong> anderer Verteidiger bestellt werden". Aber auch mitdiesem Beschluß des BGH, den der GBA noch am selben Tag fernschriftlichan alle Justizbehörden durchgeben ließ, konnte noch ke<strong>in</strong>e<strong>in</strong>heitliches Vorgehen erzieltwerden. Der Justizsenator von West-Berl<strong>in</strong>weigerte sich bis auf weiteres, die <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> die Kontaktsperree<strong>in</strong>zubeziehen, und auch e<strong>in</strong>ige erst<strong>in</strong>stanzliche Gerichte blieben biszumInkrafttreten des angekündigten Kontaktsperregesetzes bei ihrer Entscheiduni50.Das Bundesverfassungsgericht war die letzte Hoffnung der Verteidiger.Verschiedene Anwälte hatten dort am 10.9.77 <strong>in</strong> eigenem und imNamen ihrer Mandanten e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>stweilige Anordnung zur Aufhebungder Kontaktsperre wegen Verfassungswidrigkeit beantragt. Bereits am19.9.77 lagen dem 2. Senat des Verfassungsgerichts die ausführlichenStellungnahmen der Justizm<strong>in</strong>ister des Bundes und des Landes Baden­Württemberg und des GBA vor. Aber erst am 4.10.77, wenige Tagenach dem Inkrafttreten des Kontaktsperregesetzes, traf das Gericht se<strong>in</strong>eEntscheiduni51.486Auf das Gesetz g<strong>in</strong>g das Bundesverfassungsgericht nicht im e<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>;lediglich se<strong>in</strong> Inhalt wurde zusammengefaßt wiedergegeben. Nach bestehenderRechtsprechung des BVerfG war der Senat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Verfahrenauch nicht genötigt, auf die Frage, ob die beanstandete Kontaktsperre demGrundgesetz widerspreche, e<strong>in</strong>zugehen; Aufgabe des Richterkollegiums waralle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Abwägung der Folgen, "die e<strong>in</strong>treten würden, wenn e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>stweiligeAnordnung nicht erg<strong>in</strong>ge, der Antrag <strong>in</strong> der Hauptsache aber Erfolg hätte,gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte e<strong>in</strong>stweiligeAnordnung erlassen würde, dem Antrag <strong>in</strong> der Hauptsache aber der Erfolgzuversagen wäre". Die vom Gericht benutzte Argumentation zur Begründungdieser Entscheidung glich jedoch haargenau der des GBA und des BGH, mitdem Ergebnis, daß das Urteil de facto auf e<strong>in</strong>e Rechtmäßigkeitserklärung fürdie ohne gesetzliche Grundlage getroffenen Kontaktsperremaßnahmen unde<strong>in</strong>e Erklärung, daß das <strong>in</strong>zwischen erlassene Kontaktsperregesetz mit demGrundgesetz vere<strong>in</strong>bar sei, h<strong>in</strong>auslief52.Diese Entscheidung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichtsnahm Gefangenen und Verteidigern die letzte Möglichkeit e<strong>in</strong>er Gegenwehrgegen die Verteidigeraussperrung. Der "Krisenstab" hatte auch diedritte Gewalt auf se<strong>in</strong>e Seite gebracht. Beschleunigt hatte diesen "Anpassungsprozeß"sicherlich das schnelle Zustandekommen des Kontaktsperregesetzes.Der "übergesetzliche Notstand" hatte damit immerh<strong>in</strong>wieder gesetzliche Proportionen angenommen. Mart<strong>in</strong> Hirsch, Mitglieddes 2. Senats am Bundesverfassungsgericht, hatte als SPD-Abgeordneterwährend der zweiten Lesung der Notstandsgesetze am 16.5.68 nochgesagt:"Wir wollen verh<strong>in</strong>dern, daß jemals e<strong>in</strong>e Bundesregierung unter Berufungauf die alliierten Vorbehaltsrechte oder auf den übergesetzlichen Notstand sichzum Diktator aufschw<strong>in</strong>gen kann"253.5.4.2. Das KontaktsperregesetzDer Regierungsdokumentation folgend, ist der Erlaß dieses Gesetzes"weder überhastet noch ohne gründliche Vorbereitung getroffen worden".Diese Bemerkung läßt jeden erstaunen, der sich an die Monateund manchmal Jahre er<strong>in</strong>nert, die <strong>in</strong> der BRD zwischen dem E<strong>in</strong>reichene<strong>in</strong>es Gesetzesentwurfs und der endgültigen Verabschiedung des Gesetzeszu verstreichen pflegen. In diesem Fall benötigte der parlamentarischeApparat für die gesamte Prozedur drei Tage254.Der Gesetzesentwurf wurde am 28.9.77 im Bundestag e<strong>in</strong>gereicht, amselben Tag <strong>in</strong> erster Lesung behandelt und mit ger<strong>in</strong>gfügigen Veränderungsvorschlägenan den Rechtsausschuß weitergeleitet. Der Ausschuß und derRechtsausschuß des Bundesrates berieten auch noch am selben Tag. Schonam nächsten Tag lagen die jeweiligen Beratungsergebnisse dem Bundestagvor; er nahm das Gesetz <strong>in</strong> zweiter und dritter Lesung an. Schon vor dieserletzten parlamentarischen Behandlung war der Entwurf im Bundesgesetzblattabgedruckt worden. Am 30.9.77 nahm der Bundesrat das Gesetz an, und derBundespräsident unterzeichnete es noch am selben Tag. Die amtliche Publikationdes Gesetzes erfolgte im Bundesgesetzblatt vom 1. 10. 77 (Teil1, Nr. 66),am 2. 10. 77 trat es <strong>in</strong> Kraft.Im Gegensatz zur Bundesregierung sprachen die meisten Beobachterfolglich von e<strong>in</strong>em "ausgesprochenen Notstandsgesetz"255, von e<strong>in</strong>em"Kraftakt des Rechtsstaates,,256,welcher "sowohl nach se<strong>in</strong>em Inhalt wienach der Art se<strong>in</strong>es Zustandekommens <strong>in</strong> der Geschichte der Bundesrepublike<strong>in</strong>malig ist,,257.Sogar die Spr<strong>in</strong>gerpresse konnte nicht umh<strong>in</strong>,zuzugeben: "Hier wird <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong> schwerer E<strong>in</strong>griff<strong>in</strong> die Rechte vonBeschuldigten legalisiert, der üblicherweise e<strong>in</strong> Kriterium für Diktaturendarstellt"258.Ausgangspunkt des Gesetzes ist - wie dies aus der Begründung ent-487


nommen werden kann259- die Behauptung, daß "zwischen Gefangenenund <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Mitgliedern terroristischer Vere<strong>in</strong>igungene<strong>in</strong> Kommunikationsnetz besteht, das die Planung und Durchführungvon Anschlägen erleichtert und die Gefahren, die von solchenVere<strong>in</strong>igungen ausgehen, erheblich erhöht"26o. E<strong>in</strong>e vorübergehendeKontaktsperre ist deshalb "aus dem Rechtsgedanken der Güterabwägunggerechtfertigt", nämlich "zur Abwehr von Gefahren für höchsteRechtsgüter <strong>in</strong> besonderen Gefahrenlagen ,,261.In der gesetzlichen Regelunggeht es ausdrücklich "um e<strong>in</strong>e Konkretisierung des Grundgedankensdes § 34 StGB,,262.Der Kernsatz des Gesetzes (OffizielleBezeichnung:§ 31- § 38 des Gesetzes zur Änderung des E<strong>in</strong>führungsgesetzeszum Gerichtsverfassungsgesetz EGGVG vom 30.9.1977), § 31 Satz 1,lautet:"Besteht e<strong>in</strong>e gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit e<strong>in</strong>erPerson, begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß die Gefahr vone<strong>in</strong>er terroristischen Vere<strong>in</strong>igung ausgeht, und ist es zur Abwehr dieser Gefahrgeboten, jedwede Verb<strong>in</strong>dung von Gefangenen untere<strong>in</strong>ander und mit derAußenwelt e<strong>in</strong>schließlich des schriftlichen und mündlichen Verkehrs mit demVerteidiger zu unterbrechen, so kann e<strong>in</strong>e entsprechende Feststellung getroffenwerden".Das Treffen e<strong>in</strong>er solchen "Feststellung" fällt<strong>in</strong> die Zuständigkeit desBundesjustizm<strong>in</strong>isters oder - für den äußerst unwahrsche<strong>in</strong>lichen Fall,der Bundesm<strong>in</strong>ister mache von se<strong>in</strong>er Befugnis ke<strong>in</strong>en Gebrauch - derbetroffenen Länderregierung(en)263. Die Feststellung muß <strong>in</strong>nerhalbvon zwei Wochen von e<strong>in</strong>em BGH-Senat (oder OLG-Senat) bestätigtwerden264.E<strong>in</strong>zigder Bundesjustizm<strong>in</strong>ister ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen "Bestätigungsverfahren"als Prozeßpartei zugelassen, nicht jedoch die von derKontaktsperre alle<strong>in</strong> betroffenen Rechtssubjekte: die Gefangenen undihre Verteidige~65. Weder gegen die "Feststellung" noch gegen die"Bestätigung" stehen Rechtsmittel zur Verfügung. Zwar können der (die)Gefangene und/oder se<strong>in</strong> (ihr) Verteidiger die Rechtmäßigkeit spezifischerAusführungsmodalitäten der Kontaktsperre bei e<strong>in</strong>em OLG undauch über e<strong>in</strong> Amtsgericht anzweifeln (natürlich ohne dazu mite<strong>in</strong>ander<strong>in</strong> Kontakt treten zu können!), sobald aber <strong>in</strong>nerhalb dieses Rahmens die(Un)Rechtmäßigkeit der bestätigten Feststellung zur Sprache kommtund das OLG der Me<strong>in</strong>ung se<strong>in</strong> sollte, daß die Kontaktsperre nicht(mehr) gerechtfertigt sei, istdas OLG verpflichtet, die Sache an den BGHzu verweisen266.Somit wäre der Vorgang wieder bei der Instanz gelandet,die die angefochtene Feststellung anfänglich bestätigt und damit fürrechtmäßig erklärt hat. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>mal festgestellte und bestätigte Kontaktsperrekann ohne zeitliche Begrenzung mit Hilfe derselben Prozedurimmer wieder verlängert werden, "wenn die Voraussetzungen nochvorliegen ,,267.Das Kontaktsperregesetz ist also tatsächlich e<strong>in</strong>e "Konkretisierung"488der Berufung auf § 34 StGB, und zwar <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>n, daß die "offeneGeneralermächtigung" (Böckenförde) mit dem Mantel allgeme<strong>in</strong> geltenderGesetzesvorschriften überdeckt wird. Allgeme<strong>in</strong> geltende Gesetzes<strong>in</strong>d im rechtsstaatlichen S<strong>in</strong>ne immerh<strong>in</strong> auch dadurch gekennzeichnet,daß bestimmte Rechtsfolgen an das Vorhandense<strong>in</strong> bestimmter, genauumschriebener und somit richterlich kontrollierbarer Tatbestandsmerkmaleangebunden werden (können). Die Möglichkeit der richterlichenKontrolle ist vor allem dann von Wichtigkeit, wenn es bei der Handhabungdes Gesetzes zu e<strong>in</strong>em möglichen E<strong>in</strong>griff<strong>in</strong> die Grundrechte dese<strong>in</strong>zelnen Bürgers kommen kann. Funktion des Gesetzes ist, die Bed<strong>in</strong>gungenfür e<strong>in</strong>en solchen E<strong>in</strong>griffund se<strong>in</strong>en Umfang im voraus festzulegen,um so e<strong>in</strong>e richterliche Überprüfung zu ermöglichen. Die <strong>in</strong>haltlicheUnbestimmtheit der im oben zitierten § 31 (Satz 1) benutzten Begriffeführt jedoch dazu, daß e<strong>in</strong>er bestimmten Gruppe von Gefangenen durche<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige "Feststellung" (Rechtsfolge?) die wesentlichsten Grundrechteentzogen werden können, und zwar aufgrund von Gefahrene<strong>in</strong>schätzungendurch bestimmte Behörden und nicht aufgrund von richterlichkontrollierbaren Tatsachengegebenheiten268. Es ist offensichtlich, daßdem BGH <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situation nichts anderes übrig bleibt, als die"E<strong>in</strong>schätzungsprärogative der entscheidenden Instanzen" (Schröder)zu respektieren, da nur sie beim BGH als Prozeßpartei auftreten dürfen.Die im Gesetz benutzte Sprache ist zum<strong>in</strong>dest ehrlich; es ist nicht vone<strong>in</strong>er Rechtmäßigkeitskontrolle die Rede, sondern von der "Bestätigungder Feststellung".Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn der e<strong>in</strong>e und andere Beobachter<strong>in</strong> der BRD der Kontaktsperre e<strong>in</strong>e andere Funktion als die derAbwehr von Gefahren für Leib und Leben oder Freiheit e<strong>in</strong>er Personzuschreibt. E<strong>in</strong>er der Autoren des Buchs "E<strong>in</strong> deutscher Herbst" kommtzu folgender E<strong>in</strong>schätzung:"Es geht trotz aller gegenteiligen Beschwörungen und legislativerFestlegungnicht um das Leben der Geisel, sondern es geht um die Möglichkeit, denstaatlichen Repressionsapparat <strong>in</strong> Aktion treten zu lassen. Gegen die Geiselnahmesetzt der Staat heute die Zwangsgewalt gegen die Gefangenen, dieQual der totalen Isolation, und zwar auch als erpresserische Gegengewaltgegen die Entführer.,Jedem se<strong>in</strong>e Geiseln!' überschrieb damals ,Le Monde' e<strong>in</strong>en Artikel. Dasbeschreibt das repressive Grundmuster, dem alle Seiten aufsitzen oder - ganze<strong>in</strong>fach - entsprechen. Jedenfalls: Das Kontaktsperregesetz ist nicht bloß e<strong>in</strong>Kontaktsperregesetz, auch nicht bloß e<strong>in</strong> Isolationsgesetz; es ist e<strong>in</strong> Gesetz zurGegengeiselnahme.Mit dem Kontaktsperregesetz als Freibrief kann man die Gefangenen wegschaffen,aus dem Blick. Sie treten nicht mehr <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Ke<strong>in</strong>er darfmehr nach ihnen fragen, wie es diese Verteidiger immer tun; die können nichtmehr dazwischenreden. Und man kann ihnen - den Gefangenen und allenanderen - endlich zeigen, daß es nichts nützt, ärztliche Gutachten zur Verfü-489


gung zu haben; daß es nichts nützt, Verteidiger des Vertrauens zu haben; daßes nichts nützt, die <strong>in</strong>ternationale Öffentlichkeit auf sich aufmerksam gemachtzu haben; daß es schließlich aber auch nichts nützt, ihre Freilassung zuverlangen, denn dann geht es denen sofort viel schlimmer, als es denenohneh<strong>in</strong> schon geht.Also sag mir ke<strong>in</strong>er, die Kontaktsperre sei ohne Auswirkungen geblieben,nutzlos: Die Tode von Stamm heim beweisen das Gegenteil. Ohne Kontaktsperrelebten die Gefangenen heute bestimmt noch"269.Noch <strong>in</strong> der Nacht zum 2. Oktober 1977 traf der Bundesjustizm<strong>in</strong>isterdie für 72 Gefangene geltende Feststellung nach §31 EGGVG; sie wurdeelf Tage später vom 3. Senat am BGH für 68 Gefangene bestätigt.Rechtsanwalt Arndt Müller war e<strong>in</strong>er der Gefangenen, für die dieFeststellung Geltung hatte. Dieser letzte Anwalt des Büros Croissant warzwei Tage vorher, am Abend des 30.9.77, verhaftet worden. Anschließendwurde das Büro wieder e<strong>in</strong>mal stundenlang durchsucht. MüllersRechtsanwalt Wolfgang Reder wurde am 1. 10.77 (bevor das Kontaktsperregesetzrechtswirksam war) der Zugang zu se<strong>in</strong>em Mandanten verweigertund auch am Haftprüfungsterm<strong>in</strong> durfte Reder nicht teilnehmen.Ihm wurde lediglich mitgeteilt, se<strong>in</strong> Mandant werde der Unterstützunge<strong>in</strong>er terroristischen Vere<strong>in</strong>igung beschuldigt. Der Ermittlungsrichter amBGH verweigerte Reder die E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> die Haftakte und jedeInformation über die Vorwürfe gegen Müller. Erst drei Wochen später,nach Aufhebung der Kontaktsperre, konnte der Verteidiger dem Haftbefehlentnehmen, daß der Verdacht ausschließlich auf den "Erkenntnissen"beruhte, daß Müller mit Croissant vor dessen Flucht nach Frankreichund mit Newerla vor dessen Inhaftierung zusammengearbeitethatte, und daß sich verschiedene Mitarbeiter des Anwaltsbüros der RAFangeschlossen hätten. "In der Gesamtschau" ergab sich daraus derdr<strong>in</strong>gende Verdacht,"daß das Büro Dr. CroissantlMüller/Newerla <strong>in</strong> Fortsetzung der langjährigenUnterstützungstätigkeit mit Wissen und Wollen der verantwortlichen Anwälteseit Spätsommer 1976 e<strong>in</strong>es der wesentlichen Sammelbecken darstellt, ausdem sich die Mitglieder der neuen terroristischen Vere<strong>in</strong>igung rekrutiert habenund fortlaufend weiter rekrutieren und <strong>in</strong> dem sie unter dem Deckmantel derMitarbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Anwaltsbüro und unter Ausnutzung se<strong>in</strong>er personellen undmateriellen Möglichkeiten ihre Kontakte und Planungen abwickeln konntenund können. - Die verantwortliche Tätigkeit des Beschuldigten im geme<strong>in</strong>schaftlichenAnwaltsbüro schließt se<strong>in</strong>e Arglosigkeit aus,mo.Als "zusätzliche Bestätigung" dieser Verdachtsmomente wurde nochdie Tatsache angeführt, daß Müller am 2.9.77 Newerlas Wagen, <strong>in</strong> demdie oben erwähnte "Handskizze" entdeckt worden se<strong>in</strong> soll, benutzthatte.Durch Müllers Verhaftung war das Rechtsanwaltsbüro Croissant/MüllerlNewerlaendgültig ausgeschaltet und damit auch die deutsche Sektiondes Internationalen Komitees zur <strong>Verteidigung</strong> von politischen Ge-490fangenen <strong>in</strong> West-Europa. Bei der Durchsuchung vom 2. bis 7. 10. 77-wurden die Kanzleiräume weitgehend leergeräumt.5.5. Die "Nacht von Mogadischu"Am 13. 10. 77 wurde die Lufthansa-Boe<strong>in</strong>g 737 "Landshut" mit 86Passagieren an Bord während e<strong>in</strong>es Fluges von Mallorca nach Frankfurtvon e<strong>in</strong>em paläst<strong>in</strong>ensischen Kommando entführt. Bereits <strong>in</strong> der Nachtzum 14. Oktober wurde die Verb<strong>in</strong>dung zur Schleyer-Entführung mitdem E<strong>in</strong>gang des ersten Ultimatums deutlich: das Kommando "MartyrHalimeh" forderte die Freilassung derselben Gefangenen wie das Kommando"Siegfried Hausner", zusätzlich aber noch die Freilassung vonzwei Gefangenen aus der "Front for the Liberation of Palest<strong>in</strong>a" ause<strong>in</strong>em türkischen Gefängnis und e<strong>in</strong> Lösegeld von 15 Millionen US­Dollar an die Freigelassenen. Falls diese Forderung nicht bis Sonntag,16.10.77,8 Uhr, erfülltsei, würden Schleyer, Passagiere und Besatzungder "Landshut" getötet. Nach e<strong>in</strong>er stundenlangen Nachtsitzung des"Kle<strong>in</strong>en Krisenstabs" brauchte die Regierung etwa 45 M<strong>in</strong>uten, um zuder Entscheidung zu f<strong>in</strong>den, die Freilassungen abzulehnen und e<strong>in</strong>enBefreiungsversuch zu riskieren271Für derartige Spezialkommandos war seit 1972 beim Bundesgrenzschutzdie "GSG 9" (Grenzschutzgruppe 9) aufgebaut worden. Anlaßfür die Bildung dieser Anti-Guerilla-E<strong>in</strong>heit war der Anschlag des paläst<strong>in</strong>ensischenKommandos "Schwarzer September" im September 1972auf das israelische Team während der Olympischen Spiele <strong>in</strong> Münchengewesen. Nach dem Gesetz gehört der BGS zwar zur Bundespolizei, <strong>in</strong>der Praxis aber ist er Teil des militärischen Apparats. In diesem Rahmenstellt die 350 Mann starke GSG 9 e<strong>in</strong>e Elite-Truppe zur Guerilla-Bekämpfungdar, die <strong>in</strong>zwischen sogar von israelischen und amerikanischenCounter<strong>in</strong>surgency-Experten als vorbildlich bezeichnet wird272.Das Organisationskonzept der GSG 9 berücksichtigt ausdrücklich dieRatschläge des Brasilianers Carlos Marighela für e<strong>in</strong>e effektive Organisationvon Stadtguerillae<strong>in</strong>heiten273.Nach Zwischenlandungen <strong>in</strong> Rom, Zypern, Bahre<strong>in</strong> und Dubai landetedie "Landshut" schließlich <strong>in</strong> den frühen Morgenstunden des17.10.77 <strong>in</strong> Mogadischu, der Hauptstadt Somalias. Westdeutsche Flugzeuge,<strong>in</strong> denen sich M<strong>in</strong>ister Wischnewski vom Bundeskanzleramt ­vom Krisenstab ausgestattet "mit jeder Summe" und 40 Millionen DMfür sofort fälligwerdende Forderungen bar im Gepäck ("Spiegel" 44/77und "Stern" 52/77) - und die GSG 9 befanden, waren der "Landshut"gefolgt. Wischnewski erreichte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Funkkontakten mit dem paläst<strong>in</strong>ensischenKommando mehrfach e<strong>in</strong>e Verlängerung der abgelaufenenUltimaten, <strong>in</strong>dem er dem Kommando sche<strong>in</strong>bar glaubwürdig versicherte,es sei <strong>in</strong> so kurzer Zeit technisch nicht möglich, die freizulassenden491


Gefangenen auszufliegen. Die Verlängerung des letzten Ultimatums bisDienstag, 1.30 Uhr, verschaffte der westdeutschen Regierung die nötigeZeit, um die Zustimmung der somalischen Regierung zu e<strong>in</strong>er Befreiungsaktionmit deutschen Kräften auf ihrem Boden auszuhandeln.Dazu Rechtsanwält<strong>in</strong> Anke Brenneke-Eggers <strong>in</strong> dem E<strong>in</strong>stellungsantragvom 13. 12.84 im Verfahren gegen Brigitte Mohnhaupt und ChristianKlar:"Nach der Landunq der ,Landshut' <strong>in</strong> MOQadischu<strong>in</strong>terveniertunauroklbritannien <strong>in</strong> Abstimmung mite<strong>in</strong>ander bei iler somalischen Regie­_rung (52, l~. 10. / /, La Kepublica, 20. 10. 77).Außenm<strong>in</strong>ister Owen empf<strong>in</strong>g <strong>in</strong> London den somalischen Botschafter undrichtete an ihn die dr<strong>in</strong>gende Bitte um Zusammenarbeit (La Republica,20.10.77). Präsident Carter schickte dem somalischen StaatspräsidentenSiad Barre mehrere Botschatte~, die diesem vom amerikanischen Botschafterpersönlich überbracht wurden, die letzte wenige Stunden vor dem Sturm derGSG 9 auf die Masch<strong>in</strong>e. In ihnen setzte sich Carter persönlich dafür e<strong>in</strong>, daßdie Aktion stattf<strong>in</strong>den konnte (Welt, 20. 10. 77, La Republica, 20. 10. 77). InRiad <strong>in</strong>tervenierte der CSU-Vorsitzende Strauß bei König Khaled, der mehrmalsden erheblichen E<strong>in</strong>fluß Saudi-Arabiens auf Somalia geltend machte(SZ, Welt, FR, Tsp, FAZ, 18. 10. 77). Somalia, das sich am 14. 10.77 offiziellbereit erklärt hatte, die Gefangenen aufzunehmen (Stern Nr. 2/78, FR,17.10.77) - wie sich schon früher Algerien bei Wischnewskis Reise <strong>in</strong> dieAufnahmeländer entgegen den Verlautbarungen der Bundesregierung (SZ u.FR, 17. 10. 77) aufnahmebereit gezeigt hatte (Stern Nr. 49/77) - gab schließlichder von Schmidt und Wischnewski vorgetragenen Forderung nach E<strong>in</strong>satzder GSG 9 nach.492Andere Bonner Pläne, die Konfrontation unter <strong>in</strong>ternationaler Beteiligungohne Freilassung der Gefangenen zu beenden, brauchten nicht mehr ausgeführtzu werden. So der Plan, die Gefangenen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> befreundetes Landauszufliegen, <strong>in</strong> dem zu ihrer Täuschung die Attrappe e<strong>in</strong>es der gewünschtenZielflughäfen aufgebaut worden wäre, und sie nach der Freilassung Schleyersvom israelischen Geheimdienst Mossad und/oder der CIAliquidieren zu lassen(Spiegel 44/77 und 7/80, Stern 49/77). Gedacht war z. B. an die westafrikanischeRepublik Togo, mit deren Präsidenten Eyadema der CSU-VorsitzendeStrauß enge Freundschaftsbeziehungen pflegte, oder an die damals von Israelbesetzte S<strong>in</strong>ai-Wüste. Israel hatte laut Stern 7 se<strong>in</strong>e Mithilfeund se<strong>in</strong>Territorium an~ebotelJ. un auch ogos Präsident Eyadema, er sic itteeptember 77 zwei Tage lang <strong>in</strong> der BRD aufhielt (SZ 17.9.77), würde, wieWischnewski laut Spiegel (Nr. 7/80) erklärte, mitgespielt haben. Alfred Stümper,damals Stuttgarts Polizeichef, sagte: ,Das Ganze ist durchaus realisierbar'(Stern 49/77). Wie konkret diese Pläne schon vorbereitet waren, zeigt e<strong>in</strong>Vorfall, der sich während Wischnewskis Reisen im September 77 <strong>in</strong> die vonden Gefangenen genannten Aufnahmeländer ereignete. Der Stern (Nr. 49/77)schreibt: ,Bei e<strong>in</strong>er Zwischenlandung auf dem amerikanischen StützpunktGuam sieht er sich plötzlich von GI's, die MP im Anschlag, umz<strong>in</strong>gelt. BeimFemschreib-Verkehr zwischen Bonn und Wash<strong>in</strong>gton muß es e<strong>in</strong> Durche<strong>in</strong>andergegeben haben. Jedenfalls: Die amerikanische Dienststelle <strong>in</strong> Anchoragemeldete fälschlich nach Guam, daß Wischnewski mit elf terroristischen Häftl<strong>in</strong>-gen an Bord landen werde. Der Flughafenoffizier willdeshalb von den Deutschenimmer wieder wissen: "Where are the prisoners? - Wo s<strong>in</strong>d die Gefangenen?",Für das schließliche E<strong>in</strong>verständnis Somalias mit der militärischenAktion der GSG 9 wird dem E<strong>in</strong>fluß Saudi-Arabiens, von dem Somalia damalsf<strong>in</strong>anziell unterstützt wurde, e<strong>in</strong>e wichtige Rolle beigemessen. Am 7.11.77schrieb die Süddeutsche Zeitung: ,Middle East Reporter berichtet: Aus Anerkennungfür die Rolle von Saudi-Arabien im Zusammenhang mit Somalia willdie BRD Saudi-Arabien den Leopard verkaufen'. Für die Lieferung des vomFlick-Konzern hergestellten Panzers an Saudi-Arabien ist später die CSUimmer wieder e<strong>in</strong>getreten; die Vermutung liegt nahe, daß Strauß die lieferungdamals zugesagt hat, um Saudi-Arabien zur E<strong>in</strong>flußnahme zu bewegen.Großbritannien arbeitete nicht nur politisch, sondern auch militärisch mitder BRD zusammen. 2 Offiziere der Soezialtruppe SAS (Special Air ServiceRegiment) der britischen Armee, die schon auf e<strong>in</strong>e Bitte Schmidts um Unterstützungkurz nach der Entführung Schleyers vom Premierm<strong>in</strong>ister Callaghanzum GSG 9-Stü unkt Hangelar entsandt worden waren trafen <strong>in</strong> Dubai mitdem -Kommandanten Wegener un mit Wischnewski zusammen unbeteiligten sich dort und dann <strong>in</strong> Mo adi chu an den operativen Planungen füren ngriff auf die Masch<strong>in</strong>e (Stern 53/77, La Repu icaDer Spiegel (Nr. 44/77) schreibt: ,England schickte mit den SAS-MännernMorrison und Davis vom Besten. Sie gehören zum Jo<strong>in</strong>t Intelligence Committee,e<strong>in</strong>er Gruppierung von Geheimdienstspitzen, die direkt dem PremierCallaghan untersteht'. Es werden Spezialisten gewesen se<strong>in</strong>, die sich im NahenOsten auskennen, vielleicht schon im Südjemen e<strong>in</strong>gesetzt waren, als es nochenglische Kolonie war - die also operative Kenntnisse hatten, die für denKrisenstab bzw. den GSG-E<strong>in</strong>satz nützlich waren.Wie der Figaro (nach SZ 4. 11. 77) schreibt, wurde die Rolle PräsidentCarters dem somalischen Regierungschef gegenüber als entscheidend beschrieben,und laut La Republica (20.10.77) ,gibt (es)... Indizien, daß dieUSA e<strong>in</strong>iges mehr gemacht haben auf dem Gebiet der Unterstützung als manzugeben will'. Anzunehmen ist, daß für Somalia, das sich im Krieg mit Äthiopienbefand, die Zusage militärischer Unterstützung durch die USA den Ausschlaggab, der Aktion der GSG zuzustimmen; diese Militärhilfehatten die USAe<strong>in</strong> halbes Jahr früher versprochen, aber bis dah<strong>in</strong> mit Rücksicht auf dieanderen afrikanischen Staaten h<strong>in</strong>ausgezögert (Spiegel 45/77).Auch für die Durchführung der Aktion der GSG leisteten die USApraktischeHilfe. Bei dem Hear<strong>in</strong>g des US-Senats ,An Act to Combat InternationalTerrorism' erklärte der damalige US-Außenm<strong>in</strong>ister Vance am 23.1. 78:,... während der Entführung der Japan Airl<strong>in</strong>esund des Lufthansaflugzeugs imletzten Herbst haben wir die Richtl<strong>in</strong>ien für den Schutz und die Befreiung derGeiseln geliefert' (Protokolle des Hear<strong>in</strong>gs before the Committee on GovernmentalAffairs United States Senate, ,An Act to Combate International Terrorism',23.1.78)."Der GSG 9 gelang es, das Kommando zu überraschen, se<strong>in</strong>e Mitgliederzu töten bzw. kampfunfähig zu schießen und alle Geiseln zu befreien.Die um Mitternacht begonnene Aktion dauerte nur 12 M<strong>in</strong>uten.493


5.6. Selbstmord oder Mord?Am Morgen nach dieser Nacht wurden die Gefangenen AndreasBaader und Gudrun Enssl<strong>in</strong> tot <strong>in</strong> ihren Zellen gefunden. Jan earl Raspewar schwerverletzt und starb wenige Stunden später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em StuttgarterKrankenhaus. Irmgard Möller hatte Stichwunden <strong>in</strong> der Brust. Währendder Nacht hatten sich nur diese vier Gefangenen im Sicherheitstrakt desGefängnisses befunden. Baader und Raspe waren von Schüssen ausHandfeuerwaffen, die <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe ihrer Körper gefundenwurden, tödlich getroffen worden. Bei Raspe fand man die Waffe- lautAussage des Beamten, der ihn entdeckte274 - <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er rechten Handliegend, e<strong>in</strong> klassisches Schulbeispiel für vorgetäuschten Selbstmord. InBaaders Zelle wurden drei Patronenhülsen sichergestellt. Enssl<strong>in</strong> h<strong>in</strong>gam Gitter des Zellenfensters <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schl<strong>in</strong>ge aus Radiokabel. Innerhalbe<strong>in</strong>er Stunde nach Entdeckung der Leichen ließ das Justizm<strong>in</strong>isteriumvon Baden-Württemberg über dpa mitteilen, Baader und Enssl<strong>in</strong> hättenSelbstmord begangen. Der Sprecher der Bundesregierung bestätigte dieMeldung am Mittag. Die Obduktion fand erst am Abend an e<strong>in</strong>emanderen Ort statt, vorgenommen von den Professoren Mallach undRauschke (der auch Ulrike Me<strong>in</strong>hofs Leiche obduziert hatte).An der Obduktion nahmen die Verteidiger und drei auf Empfehlungder Bundesregierung h<strong>in</strong>zugezogene ausländische Sachverständige teil.Am späten Nachmittag hatten sie alle die Zellen besichtigt, <strong>in</strong> denen nochdie Leichen von Baader und Enssl<strong>in</strong> lagen. Die Leichenschau ergab nachMe<strong>in</strong>ung der Obduzenten ke<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>weise auf Fremdverschulden. Damitwar die schon im voraus verbreitete offizielleSelbstmordthese bestätigt.Erst Mitte 1977 hatte die <strong>in</strong>ternationale und die westdeutsche Presse ausführlichüber geheime ClA-Dokumente berichtet, <strong>in</strong> denen verschiedene Methodenbeschrieben wurden, wie Menschen getötet werden können, ohne daße<strong>in</strong>e gründliche Obduktion nachträglich e<strong>in</strong> Fremdverschulden aufdeckenkann27s Diese Methoden blieben bei den Untersuchungen <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>unberücksichtigt.Die offizielleSelbstmordversion hatte auch zur Folge, daß der parlamentarischeUntersuchungsausschuß des Landes Baden-Württemberg<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit der Frage beschäftigt war, wie sich die Gefangenenselbst hatten umbr<strong>in</strong>gen können. Verständlicherweise lauteten die wichtigstenFragen: 1) Wie hatten Baader und Raspe <strong>in</strong> dem am bestenabgesicherten Gefängnis Westeuropas an Schußwaffen kommen undwie hatten sie diese trotz täglicher Zellendurchsuchungen und regelmäßigerVerlegungen behalten können? 2) Wie hatten sie trotz Kontaktsperrediesen "kollektiven Selbstmord" absprechen können?276 Dieüberlegungen g<strong>in</strong>gen davon aus, daß Baader und die anderen <strong>in</strong> derNacht vom 17. zum 18. Oktober 1977 irgendwie von der geglücktenAktion <strong>in</strong> Mogadischu gehört haben mußten.494Unmittelbar nach dem Tod der Gefangenen folgte e<strong>in</strong> "Wunder von<strong>Stammheim</strong>" dem anderen. Am 20. 10. 77 fand sich, so die Staatsanwaltschaft,<strong>in</strong> Raspes Zelle unter e<strong>in</strong>em Pullover e<strong>in</strong> Taschenradio. Weiterfand sich e<strong>in</strong> Kommunikationssystem, bestehend aus verstecktenElektroleitungen und e<strong>in</strong>em selbstgebastelten Morseapparat mit Batterien.Zwei Tage später kam die Nachricht, h<strong>in</strong>ter der Fußleiste e<strong>in</strong>er seitder Kontaktsperre nicht mehr benutzten Zelle seien 300 Gramm Sprengstoffgefunden worden. Noch e<strong>in</strong>mal zwei Tage später spürte man 400Gramm Sprengstoff und drei Zünder auf. Am 18. 11. 77 fand sich <strong>in</strong> derWand e<strong>in</strong>er seit Mitte August 1977 nicht mehr benutzten Zelle sogar e<strong>in</strong>Revolver mit passender Munition. Selbst im Dezember 1977 und Januar1978 wurde man noch fündig: die Entdeckungen reichten von meterlangenSchwachstromleitungen zwischen e<strong>in</strong>igen Zellen über Munition undSprengstoff bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em als Sender und Empfänger ausgelegtenM<strong>in</strong>i-Lautsprecher.Ebenso wie nach dem Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof ergaben die Obduktionsberichte,die parlamentarische Untersuchung und die Nachforschungender Behörden wichtige und bis heute nicht aufgeklärte Widersprüche277.Zur1. Aufgrund der Illustration Beschaffenheit e<strong>in</strong>ige Be~ on Baaders ßwunden am Kopfund der speziellen Waffenart kamen ie bduzenten zu dem Ergebnis,daß Baader von e<strong>in</strong>em Schuß aus e<strong>in</strong>er direkt am unteren H<strong>in</strong>terkopfaufgesetzten Pistole getötet worden sei. Das Projektil sei schräg nachoben, etwas oberhalb der Stirn, wieder aus dem Kopf ausgetreten.Obwohl es sich um e<strong>in</strong>e komplizierte und bei Selbstmord ungewöhnlicheVorgehensweise handele, habe Baader die Pistole selbst festhalten können,<strong>in</strong>dem er sie mit beiden Händen umgekehrt, also mit dem Griffnachoben, gegen se<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>terkopf drückte. Nachdem alle Untersuchungenoffiziellabgeschlossen waren, gab das BKA im Juli 1978 noch e<strong>in</strong> sogenanntes"Vergleichsschuß-Gutachten" heraus. das besame. der Schußsei a <strong>in</strong>em Abstand von 30 bis 40 Zentimeter abgefeuert worden.Diese Feststellung ergab sich u. a. aus er u ver amp onzentration ander E<strong>in</strong>schußwunde und der Tatsache, daß das Haar um die Wundenicht im ger<strong>in</strong>gsten angesengt war. Damit war die offizielleSelbstmordversionnicht mehr haltbar (die Pistole maß immerh<strong>in</strong> 17 Zentimeter).Folgt man schließlich den Lehrbüchern, dann ist die für e<strong>in</strong>e direktaufgesetzte Pistole zu er<strong>in</strong> e Pulverdam fkonzentration an der E<strong>in</strong>scu stelle nur mit der Benutzung e<strong>in</strong>es Schalldämpfers zu erklärenlJie bei Baader gefundene Pistole trug ke<strong>in</strong>en ::,cnalldämpfer.2. Weiter widersprach e<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>altechnisches Gutachten der Obduktionsversionvon e<strong>in</strong>er beidhändig und umgekehrt aufgesetzten Pistole.Aufgrund der Pulverdampfs uren an Baaders rechter H sowie derLa e der aus ewor enen nenhülsen kommt das Gutachten zu demchlu , Baader, e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>kshänder, müsse die Waffemit der rechten Hand495


1978 (!) datierten Bericht stellt das BKA aber e<strong>in</strong>deutig fest, daß trotzBenutzung aller bekannten wissenschaftlichen Analysemethoden ke<strong>in</strong>e(undPulverdampfspurenmit dem Griff nach an Baaders unten gehalten Hand festzustellen haben. In e<strong>in</strong>em waren. vom 15. Juni~ 3. Die Schlußfolgerung der Obduzenten lautete, das tödliche Projektilhabe erst den Schädel durchschlagen, sei dann gegen die gegenüberliegendeWand geprallt und schließlich rechts neben Baaders Körper aufden Boden gefallen. Dort war tatsächlich e<strong>in</strong>e Kugel gefunden worden.Die ~Abprallstellean der Wand enthielt Gewebeteilchen und/oder Blutund wurde als "Spur 6" bezeichnet. Im krim<strong>in</strong>altechnischen Gutachtenwird jedoch behauptet, das Projektil habe se<strong>in</strong>e Energie beim Durchschlagendes Schädels größtenteils verloren und sei unmittelbar nac€ffi Austritt neben die Leiche efallen ohne die Wand zu berühren.nssli eichnam zeigte zahlreiche leichte Verwundungen unBluter~üsse im • Nacken, an der l<strong>in</strong>ken Brust, an den HandgelellKen;1ner Leiste, am Oberschenkel und an beiden Kniescheiben. Zum Teilwurden diese "Quetschungen" von den Obduzenten damit erklärt, daßder Körper nach der Selbsterhängung <strong>in</strong>folge von Todeskrämpfen heftiggegen harte Gegenstände gestoßen sei. Die meisten Verwundungenließen sich so allerd<strong>in</strong>gs nicht erklären.Bei der Untersuchung von Enssl<strong>in</strong>s Zelle am Nachmittag des18. 10. 77 hatten die Obduzenten vor der am Fenster hängenden Leichee<strong>in</strong>en Stuhl gesehen. Enssl<strong>in</strong> sei, so folgerten sie, von diesem Stuhlheruntergesprungen. Nach dem Sprung muß der Stuhl aber von jemandverschoben worden se<strong>in</strong>, da er zu weit vom Fenster entfernt stand, umvon Enssl<strong>in</strong> benutzt worden zu se<strong>in</strong>. Die vier Gefängnisbeamten, dieEnssl<strong>in</strong> am Morgen als erste gesehen hatten, und der stellvertretendeGefängnisarzt erklärten jedoch, den Stuhl- ohne den Selbsterhängungunmöglich war - nicht gesehen zu haben.5. Bei dem Versuch, die Leiche Gudrun Enssl<strong>in</strong>s aus der Schl<strong>in</strong>ge zuheben, brach das Elektrokabel an der Stelle, an der es durch das Fenstergitterlief. Das Kabel soll vom Plattenspieler stammen. Ob dieses fürZugkräfte naturgemäß nicht ausgelegte Kabel e<strong>in</strong>e so starke Belastunghätte auffangen können, wie sie beim Fall e<strong>in</strong>es menschlichen Körpersentsteht, wurde nicht untersucht ~uch auf die Rout<strong>in</strong>e-Feststellung, obdie Schnittendenaes Kabels mit den Enden am Plattenspieler übere<strong>in</strong>stimmen,wurde verzichtet.6. Ebenso wie bei Ulrike Me<strong>in</strong>hof wurde auch bei Gudrun Enssl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>sogenannter Histam<strong>in</strong>test unterlassen. Als e<strong>in</strong>ziger Test br<strong>in</strong>gt er mit anSicherheit grenzender Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit Auskunft darüber, ob e<strong>in</strong> nochlebender oder bereits toter Mensch aufgehängt wurde.7. Bei der Annahme, die Gefangenen seien ermordet worden, ist esselbstverständlich, davon auszugehen, daß sie vorher betäubt wurden,da ke<strong>in</strong>e Kampfspuren gefunden wurden. Tatsächlich hat Prof. Mallach496e<strong>in</strong>e toxikolo!{ische Untersuchung vorgenommen. Er schreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emBericht aber, daß sich diese Untersuchung nur auf e<strong>in</strong>e hegrenzteZahl von Giftstoffen beschränkte279. In diesem Zusammenhangist der Bericht des Neuropathologen Pfeiffer wichtig, der an allendrei Leichen gewisse Veränderungen <strong>in</strong> den Gehirnen feststellte.Pfeiffer schreibt dazu: "Mit Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit handelt es sich hierbeium Begleitersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>es möglicherweise im Abkl<strong>in</strong>gen begriffenenInfektes. Diese Veränderungen erreichen nicht e<strong>in</strong>en Grad, derdie Diagnose e<strong>in</strong>er Enzephalitis rechtfertigen würde".8. Schließlich noch e<strong>in</strong>e äußerst merkwürdige Beobachtung: E<strong>in</strong>erder ausländischen Sachverständigen entdeckte an Baaders Schuhsohlee<strong>in</strong>e Schicht leichten, fe<strong>in</strong>körnigen Sandes.Die <strong>in</strong>zwischen weitgehend genese~ ~ller bestritt am16.1. 78 vor der parlamentarischen Untersuchungskommission <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erausführlichen Zeugenaussage280 die These von e<strong>in</strong>em Selbstmordkomplott.Ebenso bestritt sie, sich die vier Stichwunden <strong>in</strong> derl<strong>in</strong>ken Brust zugefügt zu haben. Die ärztliche Untersuchung hatte ergeben,daß der efährlic entimeter tief) mit dem abQerundetenGe än nismesser, das neben ihr efun en wurde eführtwor en se<strong>in</strong> mußte . rmgar öler erzählte, daß sie <strong>in</strong> der Nachtis etwa 5 Uhr be( Kerzenlicht gelesen habe. Danach sei sie e<strong>in</strong>gedämmert.Kurz nach 5 Uhr habe sie zweimal "gedämpft" e<strong>in</strong>en Knallgehört und danach "e<strong>in</strong> leises Quietschen". Sie habe sich aber nichtweiter darum gekümmert und sei dann e<strong>in</strong>geschlafen. Das letzte,woran sie sich er<strong>in</strong>nerte, bevor sie verletzt aufwachte, war "e<strong>in</strong> starkesRauschen im Kopf, also e<strong>in</strong> Gefühl von e<strong>in</strong>em unheimlich konzentrierten- von <strong>in</strong>nen heraus, nicht von außen - also e<strong>in</strong> Gefühlvon Rauschen, von - ich weiß nicht was das ist, was das war"282.Möller versicherte, daß während der Kontaktsperre die e<strong>in</strong>zigen Kontaktezwischen den Gefangenen <strong>in</strong> Zurufen durch die Luftspalte unterder Zellentür und gelegentlich bei Begegnungen auf dem Weg vonoder zur "Freistunde" auf dem Dach bestanden hätten. Die pe<strong>in</strong>lichgenauen Protokolle über diese Zurufe wurden während der Untersuchungverlesen.Möller wußte mit Sicherheit, daß weder Raspe noch e<strong>in</strong>er der anderenGefangenen über e<strong>in</strong> Radio oder Waffen verfügt hatten. Siesei die e<strong>in</strong>zige gewesen, die über den Gefängnisfunk Nachrichtenhatte hören können. Die zentrale Radioleitung war schon viel früherauf Antrag der Gefangenen abgeschaltet worden, weil sie fürchteten,über diese Leitung abgehört zu werden. In ihrer Zelle befand sich jedochdie Schnittstelle des Radiokabels, so daß sie den zu ihrem Plattenspielergehörenden Kopfhörer direkt an den noch funktionierendenTeil des Netzes anschließen konnte. Um die Gefängnisleitungnicht aufmerksam zu machen, habe sie den Kopfhörer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em497


!.lHohlraum unter dem Waschbecken versteckt. Da das Gefängnisradiospätabends abgeschaltet wird, hatte sie von der Aktion der GSG 9 <strong>in</strong>Mogadischu nichts erfahren.Diese Aussagen wurden vom Untersuchungsausschuß als "unglaubwürdig"abgetan. Erstens sei bei Haspe e<strong>in</strong> Taschenradio gefundenworden, und zweitens hätten die Gefangenen Untersuchungsberichtenzufolge während der Kontaktsperre mittels e<strong>in</strong>es ausgeklügelten Systemsungeh<strong>in</strong>dert mite<strong>in</strong>ander kommunizieren können. Dieses System habebestanden aus der abgeschnittenen Radioleitung, e<strong>in</strong>er zusätzlichenSchwachstromleitung, Kopfhörern und manipulierten Verstärkern283.So sei auch zu erklären, daß MöHervor der Untersuchungskommissionüber e<strong>in</strong> von ihr durch den Türspalt mitgehörtes Gespräch von etwa zehnM<strong>in</strong>uten Dauer zwischen Baader und Enssl<strong>in</strong> berichtet habe, das nachAussagen der Gefängnisbeamten jedoch nicht länger als e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>utegedauert haben konnte. Die Aussa~e des <strong>Stammheim</strong>er Elektrikers Halovska,er habe die Radioleitung so abgeklemmt, daß sie nicht, wie 1974schon e<strong>in</strong>mal, als Interkommunikationsanlage benutzt werden konnte,wurde von der Kommission nicht weiter berüchirhtiWZ84. Die Tatsache,daß der PuHover, den MöHer trug, nicht von dem Messer durchbohrtworden war, wertete die KommISSionals weiteren H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>enSelbstmordversuch, denn "Selbstmörder pflegen ihre eigenen Kleiderzuschonen"285. Schließlich wurde noch die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagenbestritten, weil e<strong>in</strong> Gefängnispfleger und der steHvertretende Gefängnisarztberichteten, sie hätten MöHer<strong>in</strong> ihrer ZeHebei Bewußtse<strong>in</strong>angetroffen, während sie selbst sich nur daran er<strong>in</strong>nerte, auf dem Rurkurz wach gewesen zu se<strong>in</strong>. MöHers Glaubwürdigkeit wurde nur beisolchen Aussagen nicht angezweifelt, die bestimmte Varianten e<strong>in</strong>erMordtheorie widerlegten. So hatte der Sand an Baaders Schuhen <strong>in</strong> derBRD, vor aHem aber im Ausland, zu der Spekulation Anlaß gegeben,Baader sei nachts nach Mogadischu geflogen worden, um das paläst<strong>in</strong>ensischeKommando <strong>in</strong> die Irre zu führen. MöHererklärte jedoch, siehabe um 23 Uhr gehört, wie Baader se<strong>in</strong>e übliche Abendmediz<strong>in</strong>(Schlaf- und Schmerzmittel) empfangen habe. "Die Spekulationen überBaaders Aufenthalt <strong>in</strong> Mogadischu" waren somit nichtig geworden, vermerkte"Die Zeit" am 27.1. 78. Aus e<strong>in</strong>em anderen Grund war MöHer"absolut sicher, daß er ke<strong>in</strong>en Schritt ohne uns gemacht hätte, eben weiler wußte und davon ausg<strong>in</strong>g, daß sie ihn dann umlegen ,,286.übere<strong>in</strong>stimmende und nicht dementierte Berichte <strong>in</strong> den Wochenzeitschriften"Der Spiegel" und "Stern" Ende 1977 geben Anlaß, Baaders"Wissen" nicht ohne weiteres <strong>in</strong>s Reich der Phantasie zu verweisen287.Indiesen oben schon erwähnten Artikeln wird berichtet, wie aufallerhöchster Regierungsebene "aHe nur denkbaren Möglichkeiten" untersuchtworden waren, um die Schleyer-Entführung "ohne Rücksichtauf außenpolitische Komplikationen, ohne Rücksicht selbst auf das498Grundgesetz" beenden zu können288. Zu den "ernsthaft diskutierten"Plänen gehörte z. B. die Erschießung der ausgetau\,chten Gefangenenim Ausland, direkt nach ihrer Freilassung, eventueH auch mit Hilfe ausländischerGeheimdienste wie dem CIA und des israelischen Mossad289.Schon kurz nach der Entführung Schleyers hatte der SPD-M<strong>in</strong>isterpräsidentvon Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, He<strong>in</strong>z Kühn, gedroht: "Die Terroristenmüssen wissen, daß die Tötung von Hanns-Mart<strong>in</strong> Schleyer auf dasSchicksal der <strong>in</strong>haftierten Gewalttäter, die sie mit ihrer schändlichen Tatbefreien woHen, schwer zurückwirken müßte"290. Im Fernsehmagaz<strong>in</strong>"Panorama" wies der Historiker Prof. Golo Mann am Abend des17.10.77 auf die Möglichkeit h<strong>in</strong>, gefangene "Terroristen" unter Umständenals Geiseln zu exekutieren, e<strong>in</strong> Vorschlag, den CSU-Wortführerschon früher gemacht hatten291.Die FAZ steHtenoch am 18. 10. 77 dieFrage, ob es nicht an der Zeit sei, "über e<strong>in</strong> Notrecht gegen Terroristennachzudenken". Ob dieses Notrecht <strong>in</strong> derselben Nacht schon praktiziertwurde, istniemals gezieltuntersucht worden. BKA-Krim<strong>in</strong>aloberrat GünterTextor, Leiter der "Sonderkommission <strong>Stammheim</strong>", die mit derUntersuchung der TodesfäHe <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> beauftragt wurde, erklärtenoch Ende 1980, für ihn habe von Anfang an festgestanden, daß es sichum Selbstmorde handele. In anderer Richtung "haben wir nie ermittelt,und von der Staatsanwaltschaft haben wir auch ke<strong>in</strong>e entsprechenden,über Selbstmord h<strong>in</strong>ausgehenden Ermittlungsaufträge bekommen ,,292.Bei e<strong>in</strong>er solchen E<strong>in</strong>steHungwundert es nicht, daß Widersprüche, wiesie oben genannt wurden, bei den verantwortlichen Behörden zu vernehmbarenZweifeln am Wert der "äußerst sorgfältigen Aufklärung",wie sie von der Bundesregierung angekündigt worden war, nicht führenkonnten. Widersprüche, die ad libitum ergänzt werden können: - Soschlossen die Behörden von Anfang an die Möglichkeitaus, daß trotz dercomputergesteuerten Video- und Tonüberwachungsanlage, die bei unvorhersehbarenBewegungen im Korridor zwischen den ZeHenautomatischAlarm auslöste, <strong>in</strong>teressierte Dritte unbemerkt durch den (im Berichtüber den Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hof schon erwähnten) Notausgang <strong>in</strong>das 7. Stockwerk hätten e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen können. Diese Haltung war auchnicht durch das Resultat e<strong>in</strong>er Untersuchung vom November 1977 zuerschüttern: die Anlage funktionierte nur unzureichend, war <strong>in</strong> den vorangegangenenMonaten mehrmals defekt gewesen - möglicherweisealso auch <strong>in</strong> der Nacht zum 18. 10. 77293.E<strong>in</strong>mal ganz abgesehen vonden Möglichkeiten, die "Fachleuten" zur Verfügung stehen, um e<strong>in</strong>esolche Anlage bei Bedarf abzuschalten.- So wurde ignoriert, daß Raspe während der Schleyer-Entführungerst am 4..10. 77 <strong>in</strong> die ZeHeNr. 716 verlegt worden war, <strong>in</strong> der er totgefunden wurde. In dieser ZeHe war seit der gründlichen baulichenVeränderung von Mai/Juni 1977 ke<strong>in</strong>er der vier <strong>Stammheim</strong>er Gefangenenmehr untergebracht gewesen294. Es ist aber wohl kaum anzuneh-499I


men, daß Raspe mitse<strong>in</strong>en Sachen auch die Pistole "mitgeliefert" bekam.- So blieb ungeklärt, wie vier Patronen <strong>in</strong> den Fußboden e<strong>in</strong>er vonBaader benutzten Zelle gelangten. Sie waren sauber <strong>in</strong> den Estriche<strong>in</strong>gegossen und stammten nachweislich aus den Beständen der rhe<strong>in</strong>land-pfälzischenPolizei. E<strong>in</strong> Sprecher dieses Bundeslandes me<strong>in</strong>te, sieseien wohl gestohlen worden ... 295Für die Behörden gab es im Grundenur e<strong>in</strong>e Frage, auf die unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e plausible Antwort gefunden werdenmußte: Wiegelangten Waffen, Munition und Sprengstoff<strong>in</strong>s 7. Stockwerkdes <strong>Stammheim</strong>er Gefängnisses?5.6.1. Der WaffenschmuggelSchon Ende November 1977 hatte GBA Rebmann vor der parlamentarischenUntersuchungskommission die Richtung, <strong>in</strong> welcher mannachzuforschen habe, angegeben: die Verteidiger. E<strong>in</strong>e Aufklärung dieseräußerst heiklen Frage schien ihm <strong>in</strong>nerhalb weniger Monate möglich,allerd<strong>in</strong>gs, "die beiden schwachen Stellen seien (. .. ) der Intimbereichund die Prozeßakten,,296. Am 10.1.78 teilte Rebmann dem Kommissionsvorsitzendenschriftlich mit, daß das Rätsel gelöst sei; am 12.1. 78,wenige Tage vor der geplanten Vernehmung Irmgard Möllers, sagteRebmann, der sich mehrmals vergewissert hatte, ob "auch für alle Journalistengenügend Platz vorhanden" sel97, vor der Kommission aus.Verschiedene Fernsehteams waren extra zu Rebmanns spektakuläremAuftritt erschienen.Aufgrund der Aussagen von Informanten, deren Namen geheim bleibenmußten, konnte Rebmann mitteilen, daß der Verteidiger ArndtMüllerdie bei Baader und Raspe gefundenen Faustfeuerwaffen <strong>in</strong> präpariertenAktenordnern im Frühjahr 1977 <strong>in</strong>s "Mehrzweckgebäude", demTagungsort des Gerichts, geschmuggelt habe. Außerdem hätten Müllerund Arm<strong>in</strong> Newerla <strong>in</strong> ihren Unterhosen Sprengstoffstäbe im Format 21x 4 x 2 Zentimeter h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geschaftt298. Im Gerichtsgebäude seien dieGegenstände dann den Angeklagten zugesteckt worden, und die Angeklagtenhätten sie dann ungeh<strong>in</strong>dert <strong>in</strong> ihre Zellen mitnehmen können,da sie bei der Rückkehr <strong>in</strong> den 7. Stock meist nicht durchsucht wurden.Bei der Kontrolle am E<strong>in</strong>gang zum Mehrzweckgebäude hätten die Verteidigerdie Aktenordner selbst <strong>in</strong> der Hand gehalten und vor den Augender kontrollierenden Beamten oberflächlich durchgeblättert. Auch sei esnicht üblich gewesen, die Ordner mit der Metallsonde zu prüfen. SoweitRebmann.Am nächsten Tag brachten so gut wie alle Tageszeitungen die schonam Vorabend ausgestrahlte "Rebmann-Story" als groß aufgemachteTitelgeschichte; die Behauptungen von Rebmanns anonymen Informantenwurden als feststehende Tatsachen präsentiert: "Zwei Anwälteschmuggelten die Waffen" ("Hamburger Morgenpost")299.500Die Verteidiger von Gefangenen aus der RAF staunten. Wir allekannten die Praxis der E<strong>in</strong>gangskontrollen, wie sie seit Jahren überall <strong>in</strong>der BRD geübt wurden, bestens: Tasche mit <strong>Verteidigung</strong>sunterlagenh<strong>in</strong>stellen, alle Jacken- und Hosentaschen ausleeren, Jacke ausziehenund e<strong>in</strong>em der beiden Beamten übergeben, überprüfung der Jacke unddes gesamten Körpers e<strong>in</strong>schließlich des Geschlechtsbereichs mit Hilfee<strong>in</strong>er Metallsonde, Abtasten der Jacke, Abtasten des gesamten Körperse<strong>in</strong>schließlich des Geschlechtsbereichs, überprüfung der ausgezogenenSchuhe mittels Metallsonde und durch Biegen, überprüfung aller losenGegenstände (z.B. bei Kugelschreibern durch Aufschrauben, Zigarettendurch Betasten), danach - oder zwischendurch - überreichen der mitzunehmendenPapiere und Ordner an e<strong>in</strong>en der Beamten, der die Ordnermit dem Rücken nach oben hält (um dem Vorwurf des Lesens vonVerteidigerunterlagen zu entgehen) und sie von unten durchblättert,Prüfung der Ordner mit der Metallsonde.Daß die Kontrolle <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> und dem angebauten "Mehrzweckgebäude"noch strenger war als anderswo, wußte jeder Verteidiger. Eswar unmöglich, mit präparierten Leitz-Ordnern diese Kontrolle ungeh<strong>in</strong>dertzu passieren - <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> schon alle<strong>in</strong> deshalb, weil dort derInhalt normaler Ordner auch noch <strong>in</strong> dünne Gefängnisordner umgeheftetwurde.Die "Öffentlichkeit" jedoch war ke<strong>in</strong>eswegs erstaunt. Immerh<strong>in</strong> warihr seit 1972 das Bild waffenschmuggelnder Verteidiger e<strong>in</strong>gehämmertworden. Endlich wurde dieses Bild nach fast sechs Jahren bestätigt.Außer den Verteidigern schienen aber auch die gut 50 Polizeibeamten,die im Lauf der Jahre mit den Kontrollen im "Mehrzweckgebäude"betraut waren, von Rebmanns Aussagen e<strong>in</strong>igermaßen verblüfft zu se<strong>in</strong>.Stellvertretend für diese Gruppe wurden drei Polizeibeamte e<strong>in</strong>ige Tagenach Rebmanns Auftrittvon der parlamentarischen Untersuchungskommissiongehört300.Sie bestätigten die oben beschriebene überprüfungspraxis<strong>in</strong> allen E<strong>in</strong>zelheiten und schlossen die Möglichkeit ausdrücklichaus - und darum g<strong>in</strong>g es bei der Befragung - daß Verteidiger die Leitz­Ordner auch nur e<strong>in</strong>mal selber hätten durchblättern dürfen301.In ihrem Abschlußbericht kam die parlamentarische Untersuchungskommissionzu dem Ergebnis, daß nicht zu klären sei, wie die Gefangenen<strong>in</strong> den Besitz von Waffen und Sprengstoff gelangten302. Trotzdemhielt die Kommission Rebmanns "Informanten" für glaubwürdig. IhreH<strong>in</strong>weise hätten - so Rebmann - auch zur Entdeckung des Sprengstoffsund der dritten Waffe <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> sowie zur Auff<strong>in</strong>dung von achtWaffenlagern <strong>in</strong> den Wäldern südlich von <strong>Stammheim</strong> geführt.Schon e<strong>in</strong> halbes Jahr später, im Herbst 1978,.standen die "Informanten"Rebmanns als aussagewillige Angeklagte vor Gericht, und zwar vordemselben Staatsschutzsenat, der "Baader u. a." verurteilt hatte und vordem im Frühjahr 1979 der Prozeß gegen die Rechtsanwälte Müller und501


Newerla begann. Die "Informanten" hießen Joachim Dellwo und V,Speitel. Sie gehörten zu den Mitarbeitern des ehemaligen IVKund waren""'"Im'i'Z"Vor bzw. während der Schleyer-Entführung wegen des Verdachtsder Unterstützung e<strong>in</strong>er terroristischen Vere<strong>in</strong>igung festgenommen worden.H<strong>in</strong>sichtlich des Waffenschmuggels ist nur Speiteis Aussage von Interesse.Er selber wollte die Ordner präpariert haben, <strong>in</strong> denen dann zweiPistolen und e<strong>in</strong> Revolver versteckt waren. Arndt Müller habe dieseOrdner im Gerichtssal Gudrun Enssl<strong>in</strong> übergeben, ohne selber etwasvon diesem brisanten Inhalt gewußt zu haben. Den Sprengstoff habeNewerla, so Speitei, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Unterhose e<strong>in</strong>geschmuggelt.Im Prozeß gegen Dellwo und Speitel wurden weder die beiden beschuldigtenAnwälte noch die kontrollierenden Polizeibeamten als Zeugengehört.Mit dem am 14. 12. 78 ausgesprochenen Urteil gegen Speitel undDellwo wurde nicht nur die Selbstmordthese zur aktenkundigen Wahrheit,es stand darüber h<strong>in</strong>aus auch unumstößlich fest, daß Müller undNewerla wegen Waffenschmuggels verurteilt würden. Trotz des auch <strong>in</strong>der "liberalen" Presse ausgesprochenen Verdachts, das milde Urteilgegen Speitel und Dellwo könne nur Ergebnis e<strong>in</strong>es "Deals" zwischenihnen und der BAW se<strong>in</strong>303, sollte genau das geschehen. Im Prozeßgegen die Rechtsanwälte wiederholte Speitel als Zeuge die wesentlichenPunkte se<strong>in</strong>er im eigenen Prozeß gemachten Aussage. Der Senat ließsich von den vielen Beweisanträgen nicht bee<strong>in</strong>drucken, <strong>in</strong> denen Müller,Newerla und ihre Verteidiger die gravierenden Widersprüche <strong>in</strong>Speiteis Aussagen vor dem Ermittlungsrichter, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em eigenen Prozeßund als Zeuge im laufenden Prozeß dokumentierten304. EbensowenigE<strong>in</strong>druck machten die Aussagen der auf Antrag der Verteidiger geladenengut 40 Polizeibeamten (dreiviertel aller Kontrollbeamten aus dem"Mehrzweckgebäude") und der wichtigsten Kontrollbeamten des<strong>Stammheim</strong>er Gefängnisses auf den Senat, obwohl sie die von Speitelgeschilderte Schmuggeltechnik ausnahmslos als unmöglich bezeichneten305.Alle Verteidiger, auch Arndt Müller, hätten immer die Aktenordneraus den Händen geben müssen, und diese Ordner seien stets auf dieübliche genaue Weise durchsucht worden; und Sprengstoffstäbe hättenbeim Abtasten zweifellos entdeckt werden müssen.502Kapitel IX: Die Justiz als Instrument der präventivenKonterrevolution.1. Die Problematik politischer <strong>Verteidigung</strong>In der Berufsgruppe der Rechtsanwälte wird schon bei nicht politischen<strong>Strafsachen</strong> sehr unterschiedlich über die Frage geurteilt, wie weitsich Verteidiger bei der Prozeßvorbereitung und -führung nach denWünschen und Auffassungen ihrer Mandanten richten dürfen oder müssen.Zum Beispiel dann, wenn der Mandant die ihm vorgeworfene Tatabstreitet, der Anwalt aber aufgrund des vorliegenden Beweismaterialsmit e<strong>in</strong>er Verurteilung rechnen muß. Falls der Mandant <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchenFall dem Anwalt gegenüber gesteht, vor Gericht jedoch weiter leugnenwill, kann es für den Anwalt schwierig werden, sich mit überzeugungse<strong>in</strong>er Aufgabe - der kritischen Betrachtung und Auswertung des Beweismaterials- zu widmen. In e<strong>in</strong>em solchen Fall werden viele Anwältedazu neigen, ihre Mandanten davon zu überzeugen, daß es <strong>in</strong> "ihremInteresse" liege, die Tat e<strong>in</strong>zugestehen, um sich wenigstens den Vorteile<strong>in</strong>er milderen Strafe zu verschaffen. Dieses Interesse des Angeklagtengeht übrigens Hand <strong>in</strong> Hand mit dem Interesse des Anwalts, ke<strong>in</strong>e"aussichtslosen" <strong>Strafsachen</strong> verteidigen zu müssen. Es gibt auch Anwälte,die - wenn sie nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, ihren Mandanten zu e<strong>in</strong>emGeständnis vor Gericht zu bewegen - ihr Mandat niederlegen, nachdemsie ihrem Mandanten noch die Empfehlung mit auf den Weg gegebenhaben, dem nächsten Anwalt die Tat nicht e<strong>in</strong>zugestehen, um die <strong>Verteidigung</strong>nicht subjektiv zu erschweren. E<strong>in</strong>ige wenige Anwälte lösen dasProblem, wie ich vor e<strong>in</strong>igen Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er holländischen Strafsacheerlebte, daß sie als Teilihres Plädoyers dem Gericht mitteilen, es sei auchfür sie unbegreiflich, daß ihr Mandant ungeachtet der vorliegendenBeweissituation weiterh<strong>in</strong> leugne.Mit dieser Art von Problemen bef<strong>in</strong>den wir uns bereits mitten auf demschlüpfrigen Gebiet der Berufsethik. Zu der oben skizziertenProblematikf<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der westdeutschen Fachliteratur zahlreiche Veröffentlichungen;schließlich stellte man sich auch seitens der Rechtsprechung undder Ehrengerichte auf den Standpunkt, daß der Rechtsanwalt als Verteidigerberechtigt ist, die <strong>Verteidigung</strong> des schuldigen Angeklagten auchbei Kenntnis der Tatschuld mit dem Ziel des Freispruchs zu führenl. DieArt und Weise, wie e<strong>in</strong> Rechtsanwalt e<strong>in</strong>e solche <strong>Verteidigung</strong> führt,bleibt jedoch ausschlaggebend dafür, ob er ehrengerichtlich belangtwerden kann oder nicht. Diese Rechtslage entspricht der Kompromißformeldes § 68 Abs. 2 der Richtl<strong>in</strong>ien für die Ausübung des Anwaltsbe-503


ufs: "Wenn der Rechtsanwalt, der die Schuld des die Tat oder se<strong>in</strong>eSchuld im Verfahren leugnenden Beschuldigten durch dessen Geständnisoder auf andere Weise kennt oder erfährt, gleichwohl die <strong>Verteidigung</strong>führen will, so legt ihm diese Gewissensentscheidung die Beachtungder Pflichten nach Abs. 1 (Pflicht zur Wahrheit und Verbot derLüge) besonders nahe"2. Im allgeme<strong>in</strong>en läßt sich auch <strong>in</strong> den Niederlandene<strong>in</strong>e vergleichbare Sichtweise dieser Problematik wiederf<strong>in</strong>den3.1.1. Der Prozeß als IntegrationsmechanismusDie meisten Rechtsanwälte betrachten es als ihre Aufgabe, ihren Mandanten,sofern e<strong>in</strong> Freispruch nicht erzielbar ist, mit e<strong>in</strong>er möglichstger<strong>in</strong>gfügigen Strafe davonkommen zu lassen. In fast allen Fällen wirddies mit den Interessen des Mandanten übere<strong>in</strong>stimmen, was für denAnwalt e<strong>in</strong>e permanente Bestätigung se<strong>in</strong>er beruflichen Aufgabe bedeutet.E<strong>in</strong>e solche Sichtweise läßt sich jedoch <strong>in</strong> dem Moment nicht längeraufrecht erhalten, <strong>in</strong> dem der Mandant ausdrücklich erklärt, e<strong>in</strong>e niedrigereStrafe weniger wichtig zu f<strong>in</strong>den als die Verdeutlichung se<strong>in</strong>esE<strong>in</strong>tretens für bestimmte Werte ("me<strong>in</strong> Verhalten war deshalb legitim").Anders gesagt, die <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>es bestimmten (politischen) Standpunkts,der den vom Staat vertretenen Rechtsvorstellungen zuwiderläuft,kann für e<strong>in</strong>en Mandanten angesichts äußerster Strafandrohungenwie lebenslängliche Haft e<strong>in</strong>deutig vorrangig se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e solche Haltungvon Angeklagten ist typisch für die meisten politischen Prozesse.In KapitellII Punkt 1. habe ich schon darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß dieHaltung, die e<strong>in</strong> Rechtsanwalt <strong>in</strong> solchen Prozessen e<strong>in</strong>nehmen wird, <strong>in</strong>direktem Zusammenhang steht mit se<strong>in</strong>er Interpretation des Begriffs"Organ der Rechtspflege" oder auch "Officer of the Court": Geht esprimär um Loyalität gegenüber anerkannten Rechtsgrundsätzen und-werten als fundamentalen Orientierungspunkten der Rechtspflege,oder geht es um Loyalität gegenüber der Rechtspflege als Instrument desStaates, um die von ihm gewünschte Gesellschaftsordnung durchsetzenzu können? An gleicher Stelle habe ich darauf verwiesen (u. a. anhandvon Luhmanns "Legitimation durch Verfahren"), daß vor allem Anwältemit radikal-demokratischen, sozialistischen oder kommunistischen E<strong>in</strong>stellungen,die mehr oder weniger gleichges<strong>in</strong>nte Mandanten <strong>in</strong> politischen<strong>Strafsachen</strong> verteidigen, nicht darum herumkommen, ihrer Verpflichtungzu "streng e<strong>in</strong>seitiger" Interessenvertretung auf spezifischeArtund Weise Ausdruck zu geben. Letzteres kann jedoch - wie gerechtfertigtdie jeweilige Konkretisierung dieser Verpflichtung auch immer se<strong>in</strong>mag - leicht zu erstaunten, ja selbst fe<strong>in</strong>dlichen Reaktionen führen, diemit der Unterstellung e<strong>in</strong>hergehen, die betreffenden Anwälte verstießendabei gegen die Berufsethik.Geht man von e<strong>in</strong>er Situation aus, <strong>in</strong> der das Vertrauensverhältnis504zwischen Anwalt und Mandant durch den oben genannten Konfliktgegensätzlicher Wertvorstellungen zwischen Angeklagtem und Justiz sowenig wie möglich belastet ist, so s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en politisch motiviertenMandanten zwei Typen von Verteidigern denkbar. Der erste ist der anden bürgerlichen Grundrechten orientierte, klassisch liberale Anwalt, derdie politische Mündigkeit se<strong>in</strong>es Mandanten respektiert und ihn als selbständigesProzeßsubjekt bei der Artikulation dieser Mündigkeit unterstützenwird, und zwar auch dann, wenn dies se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung nach zue<strong>in</strong>er Erhöhung des Strafmaßes führen könnte. Insofern e<strong>in</strong> solcherVerteidiger überhaupt bei se<strong>in</strong>en Interventionen oder Plädoyers aufpolitische Zusammenhänge e<strong>in</strong>geht, so werden Sätze gebraucht wie"Me<strong>in</strong> Mandant ist der Me<strong>in</strong>ung, daß ... ". Bei dem zweiten Typ desVerteidigers handelt es sich um den Anwalt, der aufgrund se<strong>in</strong>er eigenenpolitischen E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong> der Lage ist, mehr oder weniger weitgehendVerständnis für die Tatmotive se<strong>in</strong>es Mandanten aufzubr<strong>in</strong>gen - e<strong>in</strong>Verstehen, das selbstverständlich nicht als E<strong>in</strong>verständnis oder Billigungder konkreten Tat zu werten ist, deren der Mandant verdächtig oderangeklagt ist4. E<strong>in</strong> solcher Anwalt wird, zum<strong>in</strong>dest solange es nicht zue<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>schneidenden Diskrepanz zwischen se<strong>in</strong>er eigenen politischenE<strong>in</strong>stellung und der se<strong>in</strong>es Mandanten kommt, selbst aktiv auf die Gestaltungder politischen <strong>Verteidigung</strong> e<strong>in</strong>wirken.Bei beiden Typen von Verteidigern kann dem Interesse des Mandantenan e<strong>in</strong>er politischen <strong>Verteidigung</strong> grundsätzlich genügt werden, fürden Verteidiger können die Probleme jedoch alsbald nach übernahmedes Mandats beg<strong>in</strong>nen, da er sich mit den bereits angedeuteten Reaktionenseitens der staatlichen Behörden - vor allem der Justiz - und derMedien ause<strong>in</strong>anderzusetzen hat. Schließlich istdie Legitimität des Interessengegensatzeszwischen Staat und Angeklagtem zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mehroder weniger stark kontradiktorisch strukturierten Verfahren <strong>in</strong>stitutionalisiert,jedoch <strong>in</strong> den meisten <strong>Strafsachen</strong> auf den oben skizzierten Gegensatzzwischen e<strong>in</strong>er möglicherweise hohen und der üblicherweisegewünschten niederen Strafzumessung reduziert, und zwar mit E<strong>in</strong>verständnisaller Beteiligten. E<strong>in</strong>e solche Reduzierung ist für den Staat,vertreten durch Staatsanwaltschaft und Gericht, durchaus funktional:schließlich be<strong>in</strong>haltet sie, daß die Justitiabilität des sozialen Konfliktsnicht pr<strong>in</strong>zipiell zur Diskussion gestellt wird. Dabei wird das rechtlicheErgebnis gleichsam bereits im voraus akzeptiert, was wiederum e<strong>in</strong>erStärkung der staatlichen Autorität als Ausdruck der herrschenden Machtverhältnissegleichkommt. Anders gesagt: Durch die Reduktion der Gegensätzezwischen Staat und Angeklagtem auf die Frage e<strong>in</strong>es höherenoder niedrigeren Strafmaßes wird e<strong>in</strong> auf möglicherweise unterschiedlichenWertvorstellungen beruhender Konflikt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en handhabbarenInteressenkonflikt umgewandelt, der das Erreichen e<strong>in</strong>es Kompromissespr<strong>in</strong>zipiell möglich macht5. Bei politischen überzeugungstätern jedoch505


kann der Prozeß als Integrationsmechanismus nicht funktionieren: ummit Luhmann zu sprechen, fehlt diesen dazu die notwendige "Lernbereitschaft",also die Bereitschaft, sich, anstatt am eigenen Rechtsempf<strong>in</strong>denfestzuhalten, an dem zu orientieren, was <strong>in</strong>nerhalb des Verfahrensund gemessen an den Begriffen des geltenden Systems möglich undakzeptabel ist. Damit wäre der erste Aspekt der Problematik politischer<strong>Verteidigung</strong> kurz umrissen.1.2. Das "Konzept Rechtsstaat"Der Verteidiger, der sich außerhalb des vertrauten Rahmens des obenbezeichneten Interessenkonflikts begibt, wird schon bald mit Argwohnbeobachtet, da er nicht nur versuchen wird, von der herrschendenRechtsordnung anerkannte Interessen zu vertreten, sondern auch andersgeartetegegensätzlicher Wertesysteme zu verdeutlichen.Dabei wird es mehr von den äußeren Umständen, der politischgesellschaftlichenSituation, als von ihm selbst und se<strong>in</strong>em Auftretenabhängen, ob se<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong> als rechtsstaatliche Konsequenz desmöglichen Bestehens völlig gegensätzlicher Wertvorstellungen auf Seitendes Angeklagten und des Staates (Justiz)wahrgenommen wird, odereher als möglichst schnell abzuwehrende Bedrohung der für selbstverständlichgehaltenen Legitimität des herrschenden Systems. Die äußerenUmstände werden u. a. bestimmt durch das historisch und kulturellbed<strong>in</strong>gte Ausmaß des E<strong>in</strong>gebundense<strong>in</strong>s liberaler Traditionen, das hiermitzusammenhängende Ausmaß der Bereitschaft, Konflikte als e<strong>in</strong>kreatives Element <strong>in</strong>nerhalb der Rechtskultur zu sehen6, den Tolerierungsgradbei der Infragestellung der Legitimität herrschender Machtstrukturendurch e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft sowie der von den e<strong>in</strong>flußreichstenInteressenverbänden (und deren Repräsentanten <strong>in</strong>nerhalb des Staatsapparates)wahrgenommenen Bedrohung derselben und durch das augenblicklichepolitische Klima. Es bedarf wenig E<strong>in</strong>bildungskraft, um sichvorzustellen, daß es für den Verteidiger <strong>in</strong> dem Maß, <strong>in</strong> dem die äußerenUmstände e<strong>in</strong>er politischen <strong>Verteidigung</strong> Fesseln anlegen oder anzulegenversuchen, notwendig wird, sich auf diese Bed<strong>in</strong>gungen bei der<strong>Verteidigung</strong> se<strong>in</strong>es Mandanten - sei es <strong>in</strong>nerhalb oder außerhalb desGerichtssaals - e<strong>in</strong>zustellen.Verliert der Strafprozeß se<strong>in</strong>e Funktion als handhabbarer Interessenkonflikt,so kann die <strong>Verteidigung</strong> auf volle <strong>in</strong>haltliche (politische) Konfrontationausgerichtet werden und versuchen, im Weg des Rollentauschesden Staat selbst oder dessen Organe e<strong>in</strong>schließlich ihrer Ideologieauf die Anklagebank zu zw<strong>in</strong>gen, um zu verdeutlichen, daß das angeklagteHandeln des Mandanten aufgrund bestimmter Umstände verständlich,legitim, gerechtfertigt oder vielleicht sogar gesellschaftlich notwendigwar. E<strong>in</strong>e solche <strong>Verteidigung</strong> läuft jedoch schnell Gefahr, von506Staat, Justiz und Medien zunehmend als Bedrohung der staatlichenSicherheit und Ordnung gesehen zu werden. Die Behandlung des Verteidigers,anfänglich vielleicht noch von spontanem Mißtrauen geprägt,wird sich verändern. Es muß wohl nicht weiter betont werden, daß dasoben Gesagte <strong>in</strong>sbesondere für Verteidiger von Mandanten - wie denMitgliedern der RAF - zutreffen wird, die <strong>in</strong> Wort und Tat, ausgehendvon ihrer politischen Theorie und Praxis, das Gewaltmonopol des Staatesim kapitalistischen System als Herrschafts<strong>in</strong>strument der Bourgeoisiebekämpfen. Verteidiger solcher Mandanten können, wie sich gezeigt hat,<strong>in</strong> kürzester Zeit von staatlichen Behörden und Medien zu "Terroristen <strong>in</strong>Robe" abgestempelt werden.In H<strong>in</strong>blick auf das hier zu behandelnde Thema, die <strong>Verteidigung</strong> vonMitgliedern der RAF, muß an dieser Stelle daran er<strong>in</strong>nert werden (sieheauch Kapitel 11, 3.), daß sich e<strong>in</strong>e solche Diffamierung der Verteidigerschon 1972, noch vor den Verhaftungen der RAF-Kader im Juni, vollzogenhatte. In diesem Fall handelte es sich also nicht um das Ergebnise<strong>in</strong>es langwährenden Strafverfahrens, sondern vielmehr um e<strong>in</strong>e rechtplötzliche Veränderung. In den Kapiteln 11 bis V wurde ausführlich dargelegt,daß die Staatsschutzbehörden, vor allem das BKA, als die Initiatorendieser Diffamierung der Verteidiger gelten müssen. Abwechselndwurden die Verteidiger als "Handlanger" ihrer Mandanten, als "Kuriere"zwischen den <strong>in</strong>haftierten und freien RAF-Mitgliedern oder als "Anführer"der Stadtguerilla <strong>in</strong> der BRD beschrieben. Des weiteren ist <strong>in</strong> denbetreffenden Kapiteln festgehalten, daß den Hetzkampagnen desStaatsschutzes politische Motive zugrunde lagen; ob das von den Anwältengezeichnete Bild mit der Wirklichkeit Bekämpfung der RAF, dieIsolierung, Lähmung und Elim<strong>in</strong>ierung des zu bekämpfenden Gegnerss<strong>in</strong>nvoll oder funktional zu se<strong>in</strong> schien. Ebenso wie bei dem Bild, das vonden Mitgliedern der RAF entworfen wurde, so spekulierte man auch hierauf mögliche Ängste <strong>in</strong> der Bevölkerung, um sie gegen die MitgliederderRAF und deren Verteidiger nutzen zu können. Die Tatsache, daß diewestdeutschen Medien dieses Bild so problemlos übernahmen und zumTeilnoch verstärkten, hat me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach mehr mit kommerziellenals mit politischen Erwägungen zu tun: Sensationsgeschichten lassen sichnun mal gut verkaufen! Die <strong>in</strong>formationsträchtige Verb<strong>in</strong>dung zwischenpolitisch motiviertem Staatsschutz und kommerziell motivierten Medienbewirkt schließlich, daß das planvoll konstruierte Bild zur öffentlichenWahrheit wird. Es dauerte dann auch nicht lange (19721), bis es von denverantwortlichen Politikern übernommen wurde.Es ist nun angebracht, auf e<strong>in</strong>en zweiten Aspekt der Problematikpolitischer <strong>Verteidigung</strong> h<strong>in</strong>zuweisen. In Diktaturen .ist schon e<strong>in</strong>e normalestrafrechtliche <strong>Verteidigung</strong> häufig äußerst problematisch, e<strong>in</strong>epolitische <strong>Verteidigung</strong> jedoch undenkbar. Innerhalb solcher Systeme istausschließlich Platz für die offiziellgültigen Wahrheiten und Werte, e<strong>in</strong>e507


Ause<strong>in</strong>andersetzung um sich widerstreitende Wertesysteme also pr<strong>in</strong>zipiellunmöglich. Demgegenüber ist <strong>in</strong> sogenannten rechtsstaatlichenSystemen im Pr<strong>in</strong>zip sehr wohl Raum für e<strong>in</strong>e politische <strong>Verteidigung</strong>, dadas dort gehandhabte Konzept des "rule of law" den für die Interpretationvon subjektiven Wahrheiten und - eventuell widersprüchlichen ­Werten benötigten Spielraum zum<strong>in</strong>dest pr<strong>in</strong>zipiell zur Verfügung stellt.Die konkreten gesetzlichen Spielräume s<strong>in</strong>d jedoch letztlich nicht immerausschlaggebend, wichtiger s<strong>in</strong>d - zum<strong>in</strong>dest theoretisch - Grundrechteund allgeme<strong>in</strong>e Rechtsgrundsätze, die sich von den gesetzlich festgelegtenVerhaltensregeln durch ihre vielseitigen Interpretationsmöglichkeitensowie ihre eigenen Anwendungskriterien unterscheiden7. In der Praxisbleibt das "Konzept Rechtsstaat" jedoch e<strong>in</strong> unsicheres Ausbalancierenvon Ordnung und Recht. Oder, wie der Utrechter Rechtssoziologe Petersformuliert: E<strong>in</strong>e Rechtsordnung ist nicht irgende<strong>in</strong>e Ordnung, sondernrechtlich genormte Ordnung, "d.h., daß Recht nicht mit Ordnung identischist, sondern vielmehr e<strong>in</strong>e Eigenschaft von Ordnung ist, die letzterehaben kann oder auch nicht"s. Nun gut, <strong>in</strong> dem KonfliktRAF/ BRD wirddas Konzept Rechtsstaat von beiden Parteien gänzlich zur Seite geschoben.Seitens des Staates wird der Umgang mit den Gefangenen aus derRAF auf e<strong>in</strong> "Ordnungs"-Problem reduziert, das e<strong>in</strong>e repressive Vorgehensweiseerfordert. Die Gefangenen selbst proklamieren den totalenKonflikt mit dem Staat, der von ihrer Seite mit ke<strong>in</strong>er Loyalität rechnenkann. Somit geht es auch nicht mehr um unterschiedliche Interpretationenh<strong>in</strong>sichtlich der Möglichkeiten, die das "Konzept Rechtsstaat" bietet;denkbar wäre z. B. e<strong>in</strong>e Situation - wie sie von Nonet und Selznickbeschrieben wird - daß die e<strong>in</strong>e Partei e<strong>in</strong>en "high-risk view of law andorder" handhabt, während die andere Partei offensichtlich mit e<strong>in</strong>em"Iow-risk view" operiert9. Im vorliegenden Fall haben beide Parteiendem Konzept Rechtsstaat e<strong>in</strong>e Absage erteilt, sei es auch mit dem Unterschied,daß dies von der e<strong>in</strong>en Partei offen kundgetan wird, während dieandere dies leugnet, aber gleichwohl ständig die tradierten Regeln desRechtsstaats bricht, bis h<strong>in</strong> zur Schaffung von ad hoc-Gesetzen für diejustitielle Bewältigung des Konflikts.In e<strong>in</strong>er Situation, <strong>in</strong> der sowohl dieStrafverfolgungs<strong>in</strong>stanzen als auch die Angeklagten deutlich werdenlassen, daß sie sich ganz vom "Konzept Rechtsstaat" losgesagt haben, istanzunehmen, daß e<strong>in</strong>e politische <strong>Verteidigung</strong> im klassischen S<strong>in</strong>nkaum noch Erfolgschancen haben kann.1.3. Die Funktion der Diszipl<strong>in</strong>arrechtsprechungOben war von dem Propaganda-Schlagwort der Verteidiger als "Terroristen<strong>in</strong> Robe" die Rede; es wurde festgestellt, daß dieses Bildletztlichzur "öffentlichen Wahrheit" avancierte. Was <strong>in</strong> der Öffentlichkeit alsWahrheit gilt, wird <strong>in</strong> Gesellschaftssystemen wie der BRD oder den508Niederlanden jedoch erst dann als Wahrheit anerkannt, wenn die gerichtlichenInstanzen diese Wahrheit bestätigen. Somit ist es auch imvorliegenden Fall von Bedeutung, ob und, wenn ja, wann dies geschehenist.Die berufsrechtliche Behandlung der Verteidiger von Gefangenen ausder RAFistfolgliche<strong>in</strong> weiterer, dritter Aspekt der Problematik politischer<strong>Verteidigung</strong>. In Kapitel II, 4, wurde schon erwähnt, daß der Vorstandder Bundesrechtsanwaltskammer noch im Dezember 1974 feststellte,daß seitens der Staatsanwaltschaften bis zu diesem Zeitpunkt bei dendafür zuständigen Ehrengerichten noch ke<strong>in</strong> Verfahren auf Ausschlußvon der Anwaltschaft angestrebt worden war, "offenbar weildas Beweismaterialnicht ausreicht". Demgegenüber hatte es schon viele Diszipl<strong>in</strong>arverfahrenunterhalb der Schwelle von Ausschließungsanträgen gegeben.In e<strong>in</strong>er jüngeren Untersuchung zum Thema "Standesrecht und<strong>Politische</strong> Prozesse" 10, die im Auftrag des Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriumsdurchgeführt, aber nie veröffentlicht wurde, s<strong>in</strong>d zahlreiche solcher Diszipl<strong>in</strong>arverfahrenanalysiert worden. Die sich im Zusammenhang mit derDiszipl<strong>in</strong>ierungpolitischer <strong>Verteidigung</strong> ergebende Problematik wird dabeisehr nuanciert beschrieben:"Wegen ihrer beliebigen Ausfüllbarkeit bieten sich die Formeln auch alsInstrumente der rigiden, die Skala von Beliebigkeit bis zur Willkür ausschöpfendenSanktionierung e<strong>in</strong>er jeden Abweichung an, wobei die Def<strong>in</strong>ition desnormgemäßen Verhaltens durchaus von aktuellen politischen oder anderenleitenden Interessen nicht frei zu se<strong>in</strong> braucht. Jedenfalls verfügt das Systemder Ehrengerichtsbarkeit über ke<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternen Mechanismus, der die Instrumentalisierungauch zu politischen Zwecken pr<strong>in</strong>zipiell auszuschließen geeignetwäre"l1E<strong>in</strong>e solche Instrumentalisierung der Ehrengerichtsbarkeit für politischeZwecke wird verfahrensmäßig vor allem dadurch erleichtert, daß <strong>in</strong>der BRD (§ 121 BRAO) nur die Staatsanwaltschaft, also die Instanz, die"als der geborene Widersacher oder Widerpart e<strong>in</strong>er jeden <strong>Verteidigung</strong>und gerade e<strong>in</strong>er Strafverteidigung anzusehen ist"12,e<strong>in</strong> Ehrengerichtsverfahren<strong>in</strong>itiieren kann. Das Spannungsfeld zwischen staatlichen Ordnungs<strong>in</strong>teressenund der Interessenwahrnehmung der <strong>Verteidigung</strong> istalso von e<strong>in</strong>er strukturellen Asymetrie gekennzeichnet. Diese ist u. a.dafür verantwortlich, daß es der Staatsanwaltschaft mit Hilfe der Generalklauseldes § 43 ("Der Rechtsanwalt hat se<strong>in</strong>en Beruf gewissenhaftauszuüben. Er hat sich <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb des Berufs der Achtungund des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert,würdig zu erweisen".) möglich ist, die Ehrengerichtsbarkeit als E<strong>in</strong>schüchterungswaffee<strong>in</strong>zusetzen.Beispielhaft ist der Fallvon Rechtsanwalt Ströbele, der im Zusammenhangmit se<strong>in</strong>er <strong>Verteidigung</strong> von Gefangenen aus der RAF <strong>in</strong> 30 Ehrengerichtsverfahrenangeklagt war. Nur zwei dieser 30 Verfahren wurden509


~überhaupt bis zu Ende geführt; <strong>in</strong> beiden Fällen wurde die kle<strong>in</strong>stmöglicheSanktion, die Verwarnung, ausgesprochen13.Der später von der RAF erschossene Generalbundesanwalt Bubackg<strong>in</strong>g sogar so weit, die durch Entgegennahme e<strong>in</strong>er Blanko-Vollmachterklärte Bereitschaft e<strong>in</strong>es Anwalts, sich als Verteidiger Gefangenen ausder RAF zur Verfügung zu stellen, als standeswidrig zu bezeichnen14.Schon 1974 drohten die Aktivitäten der Verteidiger im Rahmen derBlockverteidigung unter e<strong>in</strong>er Flut von Ehrengerichtsverfahren zu erstikken15.Ausder oben zitierten Studie des Innenm<strong>in</strong>isteriums sowie weiterere<strong>in</strong>schlägiger Literatur16ist zu entnehmen, daß seit 1970 - abgesehenvon e<strong>in</strong>er zahlen mäßig signifikanten Zunahme der Ehrengerichtsverfahren17- zwei Entwicklungstendenzen konstatiert werden können.Zum e<strong>in</strong>en läßt sich feststellen, daß immer mehr Strafverteidiger ehrengerichtlichbelangt werden; zum anderen, daß e<strong>in</strong> Großteil dieser Ehrengerichtsverfahrenauf Tätigkeiten des Verteidigers beruht, die Teil desStrafprozesses selbst waren, also Plädoyers, Beweisanträge, Ablehnungsanträgeusw. Dafür wird immer wieder das aus § 43 BRAG abgeleiteteSachlichkeitsgebot bemüht. Was dies letztlich bedeutet, wurde vonder höchsten Instanz der Ehrengerichtsbarkeit Ende 1978 deutlich gemacht:Jedwede Formulierung oder Erklärung, der e<strong>in</strong>e politische und/oder ideologische Bedeutung zukommt, ist per Def<strong>in</strong>ition "unsachlich"und damit "standeswidrig":"Dem Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege ist es verboten, die <strong>Verteidigung</strong>anders zu führen, als es dem sachlich begründeten Schutz<strong>in</strong>teressese<strong>in</strong>es Auftraggebers entspricht. Der Aufgabe, dem Recht zu dienen, gebührtder unbed<strong>in</strong>gte Vorrang vor sachfremden, politischen oder ideologischenInteressen des Mandanten, die dieser im Strafverfahren vielleicht verfolgenwill"18Jede Darlegung, die die Rechtsstaatlichkeit bestimmter Zustände, vorallem auf Justizebene, <strong>in</strong> Zweifelzieht, läuft Gefahr, als "standeswidrig"etikettiert und damit sanktionierbar zu werden. Die Argumentation dafürgeht aus dem von Juristen so oft bemühten Denkmuster der Gleichsetzungvon "se<strong>in</strong> und sollen" hervor, das heißt, von der Gleichsetzungnormativer Rechtsansprüche (wie sie sich vor allem im Grundgesetzformuliert f<strong>in</strong>den) mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Wer versucht,auf den Widerspruch zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeith<strong>in</strong>zuweisen, läuft Gefahr, ehrengerichtlich belangt zu werden. E<strong>in</strong> Beispiel:"Rechtsanwalt E. hat aber über das Ziel der Unterstützung se<strong>in</strong>es Mandantenh<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> der Öffentlichkeit wider besseres Wissen den E<strong>in</strong>druck zu erwekkenversucht, daß mißliebige Verdächtige im Moabiter Untersuchungsgefängnisrechtswidriger ,psychischer Tortur' ausgesetzt wurden. Diese bewußteVerunglimpfung der Strafrechtspflege verstößt <strong>in</strong> grobem Maße gegen diePflichten e<strong>in</strong>es Rechtsanwalts"19In der oben erwähnten Abhandlung Dreiers zum Thema "Standes-510recht und <strong>Politische</strong> Prozesse" heißt es - und <strong>in</strong> diesem Punkt stimme ichmit dem Verfasser übere<strong>in</strong> - "die Funktion ehrengerichtlicher Verfahren(wie von Standesrecht überhaupt) besteht <strong>in</strong> der Ausfüllung der Lücke,die - soziologisch gesprochen - zwischen Sozial- und System<strong>in</strong>tegrationzo,philosophisch gewendet, zwischen Moralität und Legalität (Kant)liegt". Abgesehen von der "Transformation legaler Freiheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Verpflichtungzum funktionsgemäßen Gebrauch" (Preuß)Z1 geht es vorallem um die "Strategie e<strong>in</strong>er kontrollierbaren E<strong>in</strong>grenzung von sozialenFolgen <strong>in</strong>dividuellen Verhaltens" (Preuß)zz. Das Legalitätssystem desformellen Rechtsstaats verfügt aber nicht über die Mittel, Individuen mitsolchen Verantwortungslasten zu überbürden. Mitder Durchsetzung desProzesses der Internalisierung aber wird es möglich - so Preuß - "denIndividuen ,sozialverantwortIiches' Verhalten im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er bestimmten<strong>in</strong>haltlichen Idee von Geme<strong>in</strong>wesen"z3 abzuverlangen. Standesrecht, soließe sich mit Dreier formulieren, ist e<strong>in</strong>e berufsspezifische Form derInternalisierung. Für Verteidiger <strong>in</strong> politischen <strong>Strafsachen</strong> bedeutet das:"Die leerforrnelhafte Bezugnahme auf das objektive Recht, das als von allenpolitischen Elementen frei gedacht wird und folgerichtigauch gehalten werdenmuß, die Suggerierung der Möglichkeit e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> sachlichen Behandlunge<strong>in</strong>es Prozeßstoffes, <strong>in</strong> dem die Angeklagten aus e<strong>in</strong>deutig politisch/ideologischenMotiven gehandelt haben, führt konsequenterweise dazu, daß scharfeKritik am bestehenden Gesellschaftssystem, <strong>in</strong> Sonderheit der Justiz, als unsachlich,weil nicht den als unpolitisch def<strong>in</strong>ierten Gegenstand des Verfahrensbetreffend, diskreditiert und sanktioniert wird"24So gesehen haben standesrechtliche Repressalien gegen Verteidiger<strong>in</strong> politischen Prozessen wenig oder gar nichts mehr mit der Berufsethikder Anwaltschaft als solcher zu tun, sondern e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> mit demvorrangigen Bedürfnis, den Strafprozeß zu entpolitisieren.1. 4. Der Prozeß als kommunikatives GeschehenE<strong>in</strong> weiterer, vierter Aspekt der Problematik politischer <strong>Verteidigung</strong>bezieht sich auf das, was Watzlawick u. a. "Die pragmatischen Aspektemenschlicher Kommunikation" genannt habenz5. Jegliches Verhalten istKommunikation, und gleichzeitiggiltauch: "Jede menschliche Kommunikationenthält e<strong>in</strong>en Inhalts- und e<strong>in</strong>en Beziehungsaspekt, wobei letztererden erstgenannten klassifiziertund somit e<strong>in</strong>e Form der Meta-Kommunikationist"z6.Der Strafprozeß ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> kommunikatives Geschehen,dessen <strong>in</strong>haltlicher Aspekt durch den Anspruch gekennzeichnet ist, daßzwei e<strong>in</strong>ander gleichgestellte Parteien vor e<strong>in</strong>er unparteilichen richterlichenInstanz anhand allgeme<strong>in</strong>er Regeln ihre Diskussion führen. DerBeziehungsaspekt dieses kommunikativen Geschehens, also die metakommunikativeEbene, ist demgegenüber jedoch eher durch die Un-511


gleichheit der beiden Parteien gekennzeichnet. Diese Spannung zwischenbeanspruchter egalitärer Diskussion und tatsächlichem autoritäremKontext, die im Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> jedem Strafprozeß vorhanden ist, kann <strong>in</strong>politischen <strong>Strafsachen</strong> dann unerträgliche Formen annehmen, wenndie Angeklagten im Rahmen ihrer (politischen) <strong>Verteidigung</strong> - unterstütztvon ihren Verteidigern - gerade die durch e<strong>in</strong>e "egalitäre" Diskussiongegebenen Möglichkeiten nutzen wollen, um den autoritären Kontextderselben zum eigentlichen Thema dieser Diskussion zu machen.Die so entstandene Situation weist nun alle Merkmale e<strong>in</strong>es - soWatzlawick - "pragmatischen Paradoxon" auf: Der strafrechtlicheAspekt des Prozesses be<strong>in</strong>haltet u. a., daß <strong>Verteidigung</strong> zugelassen, <strong>in</strong>gravierenden Strafverfahren sogar gesetzlich für notwendig gehaltenwird, der autoritäre Aspekt des Prozesses macht es aber erforderlich, e<strong>in</strong>epolitische <strong>Verteidigung</strong> im obigen S<strong>in</strong>n im Keim zu ersticken. In e<strong>in</strong>ersolchen Situation ist das Gebot "Sie sollen sich verteidigen lassen"widers<strong>in</strong>nig. Es kommt zu e<strong>in</strong>er sogenannten double-bi nd-Situation, wiesie etwa von Bateson u. a. 1956 im Rahmen e<strong>in</strong>er Untersuchung überschizophrene Kommunikation analysiert wurde27. So be<strong>in</strong>haltet z. B. dasGebot "Sei spontan!", daß dagegen erst verstoßen werden muß, umihm Folge leisten zu können. Charakteristisch ist für "double-b<strong>in</strong>d"­Situationen weiter, daß der Empfänger des unausführbaren Gebots (<strong>in</strong>diesem Fall die Gefangenen aus der RAF) bei dessen Nichterfüllungverstärkt dem Risikoder Bestrafung oder gar der Gefahr ausgesetzt wird,für zurechnungsunfähig erklärt zu werden, wenn der Empfänger <strong>in</strong>direktoder direkt zu erkennen gibt, daß er sich der Widersprüchlichkeiten desGebots (der Gebots-Situation) bewußt ist.In dem hier zur Diskussion stehenden Fall wird das Paradoxe des(<strong>Verteidigung</strong>s-)Gebots quasi dadurch aufgehoben, daß der Gebotsgeber(Legislative und Justiz) den Kraftakt vollbr<strong>in</strong>gt, se<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition vondem, was "<strong>Verteidigung</strong>" be<strong>in</strong>haltet (nämlich, sich nicht politisch zuverteidigen), als allgeme<strong>in</strong> anerkannt durchzusetzen. Im folgenden Abschnittwird noch deutlich werden, daß man <strong>in</strong> den Staatsschutzverfahrengegen die Rechtsanwälte Groenewold und Croissant versucht hat,genau im obigen S<strong>in</strong>ne vorzugehen.1.5; pie deutsche Haltung gegenüber dem Phänomen "Konflikt"In der Behandlung des "Konzepts Rechtsstaat" habe ich auch auf diekulturell unterschiedliche Bedeutung h<strong>in</strong>gewiesen, die dem Phänomen"Konflikt" als kreativem Element des Rechtsgeschehens beigemessenwird. Diesen Punkt möchte ich hier als fünften Aspekt der Problematikpolitischer <strong>Verteidigung</strong> etwas e<strong>in</strong>gehender behandeln, da ich - u. a.aufgrund eigener Erfahrungen als Verteidiger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen westeuropäischenLändern - den E<strong>in</strong>druck habe, daß man <strong>in</strong> deutschen sozialen und512politischen Institutionen das Phänomen "Konflikt" traditionell für bedrohlicherhält als <strong>in</strong> anderen Ländern. Aufschlußreich ist <strong>in</strong> diesemZusammenhang e<strong>in</strong> im Jahr 1962 gehaltener Vortrag von Ralf Dahrendorfüber Konflikt und Freihei~8, <strong>in</strong> dem der sozial-historische Kontextder politischen Kultur <strong>in</strong> Deutschland, die gerade nicht von e<strong>in</strong>er starkenLiberalität gekennzeichnet ist, knapp und prägnant dargelegt wird. Dahrendorfbeg<strong>in</strong>nt se<strong>in</strong>en Aufsatz mit e<strong>in</strong>er kurzen Skizzierung des deutschenStrafprozesses (<strong>in</strong> Gegenüberstellung zum englischen), wobei ihmdie <strong>in</strong> deutschen Juristenkreisen gängige Bezeichnung der Staatsanwaltschaftals "objektivste Behörde der Welt" als Metapher für die Charakterisierungder deutschen Sozialstruktur dient:"Wo immer widersprüchliche Interessen sich <strong>in</strong> der deutschen Gesellschaftbegegnen, gibt es e<strong>in</strong>e Neigung zur Suche nach autoritativen und <strong>in</strong>haltlichenstatt experimenteller und formaler Lösungen. Viele Institutionen der deutschenGesellschaft waren und s<strong>in</strong>d so beschaffen, dass sie implizieren, daß e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zelner oder e<strong>in</strong>e Gruppe von Menschen ,die objektivste Behörde der Welt'und daher <strong>in</strong> der Lage sei, endgültige Lösungen für alle Fragen und Konfliktezu l<strong>in</strong>den"z9Diese These wird von Dahrendorf dann exemplarisch an den gesellschaftlichenInstitutionen des Rechts- und Schulsystems, der Familie, derKirche und des Verhältnisses Arbeitgeber/Arbeitnehmer untersucht.Die deutsche Haltung gegenüber dem Phänomen "Konflikt" weist <strong>in</strong>Bezug auf das hier zur Diskussion stehende Thema "<strong>Politische</strong> <strong>Verteidigung</strong>"teilweise bizarre Formen auf. In e<strong>in</strong>em Festvortrag über "Strafverteidigung"zog e<strong>in</strong> Rechtsanwalt namens Dr. Egon Müller auf dem 41.Deutschen Anwaltstag 1981 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z "vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er heftigenDiskussion um Leitbilder der Strafverteidigung" e<strong>in</strong>e Zwischenbilanz3o.Feststellbar sei u. a.: E<strong>in</strong> verändertes Verteidigerverhalten, e<strong>in</strong>Trend zur Konfliktverteidigung, schikanöse Maßnahmen der Justizorgane,exzessiver Gebrauch, ja sogar gezielter Mißbrauch von Verfahrensrechten,e<strong>in</strong>e Klimaverschlechterung im Gerichtssaal. Leider sei dergesamte H<strong>in</strong>tergrund dieser Entwicklung empirisch "nicht ausgeleuchtet":"Die Gesetzesänderungen der letzten Jahre - zum Beispiel die <strong>in</strong>s Detailgehende Regelung über die Ausschließung des Verteidigers, für die es imAusland ke<strong>in</strong> Gegenstück gibt'l\ überwachung des schriftlichen Verkehrs,Trennscheibe, Kontaktsperre, die Umgestaltung des § 245 StPO, die E<strong>in</strong>führungder Rügepräklusion nach den §§ 222a und b StPO - werden daher vonden e<strong>in</strong>en als Folge, von den anderen als Ursache dieses veränderten Klimas<strong>in</strong>terpretiert'lz"33.Obwohl Müller dies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede mit ke<strong>in</strong>em Wort erwähnt, läßtse<strong>in</strong>e eigene Aufzählung der Gesetzesänderungen doch ke<strong>in</strong>en Zweifeldaran, daß die von ihm bedauerte Klimaverschlechterung e<strong>in</strong>deutig imZusammenhang mit den seit 1970 laufenden Verfahren gegen Gefangeneaus westdeutschen Stadtguerillagruppen stand. Se<strong>in</strong>e gutgeme<strong>in</strong>ten513


Reformvorschläge h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er Stärkung der Verteidigerpositionwaren denn auch nicht mehr als fromme Wünsche, und zwar geradedeshalb, weil er sich nicht an e<strong>in</strong>e (eventuell empirische) Erklärung derseit 1975 immer weiter ausgehöhlten Position der westdeutschen Strafverteidigungheranwagte. Stattdessen me<strong>in</strong>te er, daß die verschiedenenWissenschaftsdiszipl<strong>in</strong>en den Strafverteidiger vernachlässigt hätten unddaß "wir über die Rolle und das Verhalten des Verteidigers <strong>in</strong> derVerfahrenswirklichkeit sehr wenig wissen ,,34.Letzteres ist allgeme<strong>in</strong> e<strong>in</strong>eimmer noch gültige Aussage, dennoch läßt sich jene Verfahrenswirklichkeit,die ausschlaggebend für die von Müller festgestellte Klimaverschlechterung war, sehr wohl benennen und analysieren: Das hier abgehandelteStrafverfahren gegen Andreas Baader, Gudrun Enssl<strong>in</strong>, UlrikeMe<strong>in</strong>hof, Holger Me<strong>in</strong>s und Jan earl Raspe.Dieser Prozeß hatte für alle weiteren Verfahren gegen Gefangene ausder Stadtguerilla Richtl<strong>in</strong>ienfunktion und war ebenfalls ausschlaggebendfür alle von Müller genannten Gesetzesänderungen. Müllers Klage, dieverschiedenen Wissenschaftsdiszipl<strong>in</strong>en hätten e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Beschäftigungmit der konstatierbaren Klimaverschlechterung, der Rolleund des Verhaltens des Verteidigers <strong>in</strong> der Verfahrenswirklichkeit usw.sträflich vernachlässigt, wird damit erklärbar. Schließlich mußte undmuß festgestellt werden, daß gerade diese ausschlaggebende Verfahrenswirklichkeitdes Strafprozesses gegen "Baader u. a. ", e<strong>in</strong>schließlichder Rolle und des Verhaltens der Verteidiger <strong>in</strong> diesem Prozeß, <strong>in</strong> derBRD bisher ke<strong>in</strong> Thema e<strong>in</strong>gehender öffentlicher Reflektion se<strong>in</strong> konnte.Indirekt und unbewußt hat Müller übrigens selbst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede dieTabuisierung dieses Themas zu erklären gewußt, <strong>in</strong>dem er feststellte,"daß <strong>Verteidigung</strong> jene Institution des Strafverfahrens ist, <strong>in</strong> der sich dieAutonomie des Beschuldigten verwirklicht, <strong>in</strong> der sich se<strong>in</strong>e Stellung alsProzeßsubjekt erst konstituiert"35.Gerade letzteres wurde von den westdeutschen Justizbehörden beidem Prozeß gegen "Baader u. a." jedoch als dermaßen bedrohlicherfahren, daß mit allen - <strong>in</strong> der vorliegenden Studie beschriebenen _Mittelnversucht wurde, diese Konstituierung des (antagonistischen) Prozeßsubjektszu verh<strong>in</strong>dern. Der Konflikt zwischen Gefangenen aus derRAF und der BRD wurde nicht nur verdrängt (da er schließlich nichtgelöst werden konnte), sondern selbst die spezielldafür geschaffenen adhoc-Maßnahmen(vom Ausschluß von Verteidigern bis h<strong>in</strong> zur Kontaktsperre)durften oder konnten nicht mehr mit den damit verfolgten Zielen<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht werden. Damit wären wir beim letzten undwichtigsten Aspekt der Problematik politischer <strong>Verteidigung</strong> angelangt.5141.6. Das grundsätzliche Dilemma politischer <strong>Verteidigung</strong>Dieser letzte, sechste Aspekt steht <strong>in</strong> engem Zusammenhang mit denschon behandelten Aspekten (zwischen denen es zahlreiche <strong>in</strong>haltlicheQuerverb<strong>in</strong>dungen gibt), weist jedoch auch e<strong>in</strong>deutig andersartige Merkmaleauf. Es geht um das <strong>in</strong>terne Dilemma e<strong>in</strong>es politischen Verteidigers,also nicht im S<strong>in</strong>ne externer "Systemfunktionen" (vgl. 1.3.), sondernvielmehr ausgehend von se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Position als Verteidiger. Anhandder von Max Weber geprägten Begriffe )lerantwortungsethik"und "Ges<strong>in</strong>nungsethik", die von ihm als die zwei sich grundsätzlichvone<strong>in</strong>ander unterscheidenden und <strong>in</strong> unversöhnlichem Widerspruchzue<strong>in</strong>ander stehenden Formen von Ethik, welche jeglichem ethischenHandeln zugrunde liegen, herausgearbeitet wurden36, läßt sich das <strong>in</strong>terneDilemma des Verteidigers - welche Wahlmöglichkeiten hat er, welcheEntscheidungen muß er treffen? - e<strong>in</strong>gehender untersuchen. Der Begriff,Yerantwortungsethik" be<strong>in</strong>haltet, daß der Handelnde sich selbst gegenüberRechenschaft ablegt über die möglichen und wahrsche<strong>in</strong>lichen,zum<strong>in</strong>dest vorhersehbaren Folgen se<strong>in</strong>es HandeIns; der Begriff "Ges<strong>in</strong>nungsethik"bezieht sich ausschließlich auf die Re<strong>in</strong>heit der Handlungselbst, welche Folgen sie auch immer haben mag.In der Beziehung Verteidiger-Mandant wird der Verteidiger sich immeran Verantwortungsethik orientieren müssen. Schließlich muß erzum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, die folgenden Fragen beantworten zu können:Welche Ziele will der Mandant erreichen; welche Mittel stehen mirals Anwalt zur Verfügung; welche Resultate und/oder Nebeneffekte positiverund negativer Art lassen sich beim E<strong>in</strong>satz dieser Mittel erwarten?Der Mandant muß über die Antworten <strong>in</strong>formiert werden, da er sie beise<strong>in</strong>er Entscheidung für e<strong>in</strong>e bestimmte Art der <strong>Verteidigung</strong> mit e<strong>in</strong>beziehenmuß. Diese Verantwortlichkeit, die normative Richtschnur für dasHandeln des Verteidigers <strong>in</strong> der Beziehung zu se<strong>in</strong>em Mandanten, wirdvon der eigenen Ges<strong>in</strong>nung des Anwalts mehr oder weniger stark bee<strong>in</strong>flußt,zum Beispiel durch Abneigung gegen oder Verständnis für dieHandlungen, die se<strong>in</strong>em Mandanten vorgeworfen werden.Die <strong>in</strong> den Verfahren gegen "Baader u. a." auftretenden Verteidigerbestimmten ihr Handeln primär vom Bewußtse<strong>in</strong> ihrer Verantwortungher für die Folgen, die ihre <strong>Verteidigung</strong> für die Mandanten habenwürde. Die Justiz konnte ihr Handeln jedoch nicht anders denn als re<strong>in</strong>eGes<strong>in</strong>nungsethik wahrnehmen. So behauptete die <strong>Verteidigung</strong> etwa,daß die Gefangenen e<strong>in</strong>er Isolationsfolter unterlägen, währen die Justizden Verteidigern Verleumdung vorwarf, weil es sich bei den Isolationshaftbed<strong>in</strong>gungenum notwendige Sicherheitsmaßnahmen handele;oder die <strong>Verteidigung</strong> vertrat die Auffassung, daß e<strong>in</strong>e politische Strafsacheverhandelt werde, während die Justiz nur e<strong>in</strong> gewöhnliches Strafverfahrensehen wollte.515


Anders gesagt: Der Verteidiger läßt sich <strong>in</strong> den Augen der Justiz für diePropagierung des revolutionären Selbstverständnisses se<strong>in</strong>es Mandanten<strong>in</strong>strumentalisieren, wobei ihm die verheerenden Folgen se<strong>in</strong>es Verhaltensvölliggleichgültig seien, so etwa die "Verunglimpfung" der Justizund die mögliche Wirkung se<strong>in</strong>er Äußerungen auflabile und unzufriedeneGeister. Falls die Verteidiger ihre Angriffe gegen Staat und Justizfortsetzten, könnten Regierung und Justiz nur die Schlußfolgerung ziehen,daß die Anwälte e<strong>in</strong>e Kampagne gegen die Staatsorgane führten,um Sympathisanten für die Guerilla zu gew<strong>in</strong>nen. Damit wäre die Metamorphosevom Verteidiger zum "Terroristen <strong>in</strong> Robe" vollzogen. Imfolgenden wird noch näher darauf e<strong>in</strong>gegangen, wie die Richter <strong>in</strong> denStrafverfahren gegen Croissant und Groenewold diese "Wahrheit" justitiellabsegneten.Zunächst istjedoch der Frage nachzugehen, ob es nicht zur verantwortungsbewußtenAufgabenerfüllung der Verteidiger (als "Organen derRechtspflege") gehört hätte, zu verh<strong>in</strong>dern, daß es überhaupt so weitkommen mußte. Schließlich hatten diese Anwälte schon 1972 bemerkt,wie Staatsschutz und Justiz auf den engagierten E<strong>in</strong>satz für die Mandantenreagierten; ihnen war durchaus klar, daß ihre Angriffe gegen die mitder Strafverfolgung gegen ihre Mandanten befaßten Staatsorgane alsVerstoß gegen bestehende Regeln und Gepflogenheiten wahrgenommenwurden. Die frühere oder spätere Präsentation der Rechnung warfür sie vorhersehbar. Muß es dann nicht als "unverantwortlich" bezeichnetwerden, wenn die Anwälte gleichwohl ihre Prozeßstrategie dergrundsätzlichen Konfrontation zur herrschenden Rechtsordnung unverm<strong>in</strong>dertfortsetzten, obwohl sie doch wußten, daß ihrer Strategie ke<strong>in</strong>Erfolg im herkömmlichen S<strong>in</strong>n beschieden se<strong>in</strong> konnte? Me<strong>in</strong>e Antwortlautet e<strong>in</strong>deutig: Ne<strong>in</strong>. Ausgehend von ihrer Verantwortung für denSchutz der körperlichen und geistigen Integrität ihrer Mandanten, wozuauch die Wahrung der politischen Identität als wesentlicher Bestandteilvon Integrität zählt, gab es für die Verteidiger ke<strong>in</strong>e andere Alternative,als den Konflikt mit Regierung und Justiz zu wagen und - notfalls mitallen Konsequenzen - durchzustehen. Sie waren sich der möglichenFolgen wie Krim<strong>in</strong>alisierung, Ausschließung, Inhaftierung durchaus bewußt,erreichten jedoch den Punkt, an dem auch derjenige, der sichprimär von Verantwortungsethik leiten läßt, sich sagt: Hier stehe ich, ichkann nicht anders.Dies ist nun jene Ausnahmesituation, von der Max Weber sagt, daß"Ges<strong>in</strong>nungsethik" und "Verantwortungsethik" nicht im Widerspruchzue<strong>in</strong>ander stehen, sondern e<strong>in</strong>ander wesentlich ergänzen, und daß ihreGeme<strong>in</strong>samkeit erst den wirklichen Menschen konstituiert.An dieser Stelle muß noch e<strong>in</strong>mal darauf h<strong>in</strong>gewiesen werden, daßdie Verteidiger, die schon seit 1972 von offiziellerSeite ebenso wie vonden Medien als "Terroristen <strong>in</strong> Robe" bezeichnet und geschildert wur-516den, <strong>in</strong> zunehmendem Maße auch standesrechtlich unter Druck standen.Für e<strong>in</strong>en Verteidiger sche<strong>in</strong>t es nur zwei Auswege aus e<strong>in</strong>er solchschwierigen Situation zu geben, die die Erfüllung se<strong>in</strong>er Aufgabe <strong>in</strong>hohem Maße bee<strong>in</strong>trächtigen oder auch unmöglich machen kann. Dieerste wäre der Rückzug, die Niederlegung des Mandats; für ihn selbstmag das die e<strong>in</strong>zige Rettung se<strong>in</strong>, für se<strong>in</strong>en Mandanten käme sie e<strong>in</strong>emVerrat gleich. Die zweite Möglichkeit wäre e<strong>in</strong> öffentliches Bekenntnisdes Inhalts, daß er als Verteidiger nicht nur im Interesse se<strong>in</strong>es Mandantenvon den Möglichkeiten des bürgerlichen Rechtsstaates Gebrauchmache, sondern daß er sich selbst als Person zu dem durch diesenRechtsstaat geschützten "pluralistischen Gesellschaftssystem" bekenne,zum<strong>in</strong>dest jedoch, daß er - ausgehend von der verfassungsmäßig verbürgten"freiheitlich-demokratischen Grundordnung" - der überzeugungsei, für die Selbstbestimmung der Menschen gewähre der bürgerlicheRechtsstaat e<strong>in</strong> ausreichendes Maß an Freiheit. Mit e<strong>in</strong>em solchenTreuebekenntnis kann der Verteidiger jedoch durch e<strong>in</strong>e Problemverschiebungvom Regen <strong>in</strong> die Traufe geraten, da er <strong>in</strong> Gefahr gerät, dasProblem politischer <strong>Verteidigung</strong> zu Lasten se<strong>in</strong>es Mandanten auszutragen.In welcher anderen Strafsache wird der Verteidiger jemals wegense<strong>in</strong>er persönlichen Me<strong>in</strong>ungen zum Staat und zum Rechtssystem sowiewegen der Position se<strong>in</strong>es Mandanten zur Verantwortung gerufen? SolcheEhrenbezeugungen be<strong>in</strong>halten fast unvermeidlich e<strong>in</strong>e Stellungnahmegegen den Mandanten, für den der Rechtsstaat alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Instrumentist, um die bestehenden Macht-und Besitzverhältnisse aufrecht zu erhalten.Infolge derartiger Unterwerfungserklärungen bliebe das Vertrauensverhältniszu dem Mandanten als notwendige Voraussetzung für jedefreie <strong>Verteidigung</strong> (e<strong>in</strong>e der "Säulen" des Rechtsstaats) auf der Strecke.H<strong>in</strong>zu kommt noch, daß e<strong>in</strong> Anwalt, der als Verteidiger ständig rechtsstaatlichenGrundsätzen gegenüber staatspolitischen (Sicherheits- )Interessenzum Durchbruch verhelfen will, jede Loyalitätsbekundung zu e<strong>in</strong>emStaat, der se<strong>in</strong>e eigenen Rechtsgrundsätze im Konfliktsfallmißachtet,als unzumutbar ablehnen wird. Schließlich verficht er gegenüber derübergesetzlichen Staatsraison die grundrechtliche und strafprozessualePosition des Angeklagten, deren fundamentale Bedeutung für e<strong>in</strong>enRechtsstaat niemand anzweifelt, und gerade dieses Handeln wird ihmzum Vorwurf gemacht.So weit die Skizzierung jener Situation, die ich das doppelte Paradoxonder <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> politischen <strong>Strafsachen</strong> nennen möchte: Um <strong>in</strong>politischen <strong>Strafsachen</strong> als Verteidiger weiterh<strong>in</strong> arbeiten zu können,kann es notwendig sche<strong>in</strong>en, e<strong>in</strong> persönliches Glaubensbekenntnis zumStaat als Rechtsstaat abzugeben; das hat höchstwahrsche<strong>in</strong>lich das Endedes Vertrauensverhältnisses zwischen dem Mandanten und ihm zur Folge,was e<strong>in</strong> weiteres Auftreten als Verteidiger <strong>in</strong> politischen <strong>Strafsachen</strong>unmöglich macht, was wiederum das Bekenntnis falsifiziert.Anders ge-517


sagt, weniger paradox und mehr <strong>in</strong> Begriffen, denen e<strong>in</strong>e Akzeptanz des"Konzepts Rechtsstaat" zugrundeliegt: In politischen <strong>Strafsachen</strong> bef<strong>in</strong>detsich der Verteidiger fortwährend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spannungsfeld zwischenLoyalität gegenüber dem System, <strong>in</strong> dem er arbeitet und das er benutztund der Loyalität gegenüber se<strong>in</strong>en Mandanten, die dieses System ganzoder teilweise ablehnen und entsprechende Ziele verfolgen; er willund!oder kann sich aber weder von den Mandanten noch von deren Zielendistanzieren. Dies ist das Dilemma, dem ke<strong>in</strong> Verteidiger <strong>in</strong> politischen<strong>Strafsachen</strong> entkommt.In der vorliegenden Studie habe ich aufzuzeigen versucht, wie dieVerteidiger von Gefangenen aus der RAF von Anfang an und systematischvon Seiten des Staates mit Maßnahmen und Methoden konfrontiertwurden, die im Widerspruch zu Grundrechten, Rechtspr<strong>in</strong>zipien undgesetzlichen Vorschriften standen. Fast alle <strong>in</strong> diesen Strafverfahrentätigen Anwälte s<strong>in</strong>d anfänglich als der Typ des an den Grundrechtenorientierten klassisch-liberalen bis radikaldemokratischen Verteidigersaufgetreten; zumeist beruhte ihre politische Identität auf der Verabscheuungdes Nationalsozialismus, der Ablehnung von gesellschaftlicher Restaurationund Remilitarisierung und - damit <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehend ­auf dem Widerstand gegen die Notstandsgesetzgebung und den Vietnamkrieg.Im Lauf der Staatsschutzverfahren gegen Gefangene aus der RAFhaben sichjedoch e<strong>in</strong>ige der Verteidiger, die den ungleichen Kampf nichtschon früher oder später aufgegeben hatten, mehr <strong>in</strong> Richtung dese<strong>in</strong>deutig politisch engagierten und politisch Position beziehenden Verteidigersentwickelt. Unter dem E<strong>in</strong>druck ihrer konkreten Erfahrungenund Konfrontationen mit dem Staatsapparat kamen sie immer stärker zuder überzeugung, daß die vielgepriesene Rechtsstaatlichkeit nichts anderesals e<strong>in</strong>e Fassade war, h<strong>in</strong>ter der sich, was ihre Mandanten betraf,e<strong>in</strong> brutaler Machtstaat verbarg, der selbst vor der Vernichtung desgefangenen politischen Gegners nicht zurückschreckte. Diese Anwälte,für die Croissant e<strong>in</strong> gutes Beispiel war, taten schließlich genau dasEntgegengesetzte von dem, was dem "doppelten Paradoxon" zufolgevon ihnen zu erwarten gewesen wäre: An Stelle e<strong>in</strong>es Bekenntnisses zumRechtsstaat brachten sie ihre überzeugung auch zum Ausdruck. Diespätere Ausschaltung dieser Anwälte von der <strong>Verteidigung</strong> oder vone<strong>in</strong>er weiteren Berufsausübung überhaupt konnte von ihnen nur als e<strong>in</strong>eweitere Bestätigung der Richtigkeit ihrer Auffassung über den wahrenCharakter des bürgerlichen Rechtsstaates gesehen werden.5182. Die Strafverfahren gegen Groenewold und CroissantDie Ausschließung der Rechtsanwälte Croissant, Groenewold undStröbele von der <strong>Verteidigung</strong> im <strong>Stammheim</strong>er Prozeß ist <strong>in</strong> Kapitel Verörtert worden. Ihre Begründung basierte auf der juristischen Konstruktionvon drei Unterstellungen über die Ges<strong>in</strong>nung der Anwälte bzw. derGefangenen: Die Fortführung der "krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung" RAF ausder Haft heraus; das Abhalten von Hungerstreiks zu diesem Zweck; dieUnterstützung der RAF seitens der Verteidiger durch Versenden vonInformationsmaterial an ihre <strong>in</strong>haftierten Mandanten. Von den seit 1972seitens der Staatsschutzbehörden und Medien fortwährend gegen dieseAnwälte ausgestreuten Verdächtigungen war zum Zeitpunkt ihrer Ausschließungnichts übrig geblieben. Es ist deshalb <strong>in</strong>teressant, zu untersuchen,ob diese Verdächtigungen <strong>in</strong> den Strafprozessen gegen dieseAnwälte substantiiert wurden.2.1. Die Strafsache gegen Kurt GroenewoldDer Prozeß gegen Groenewold begann am 18.1.78 vor dem Staatsschutzsenatdes OLG Hamburg. Wegen der besonderen Bedeutung (§§74a LV.m.142a GVG) hatte die BAWdiese Strafsache nicht abgegeben,sondern die Anklage selbst erhoben und vertreten.Im Juli 1976 wurde bekannt, daß.von Ende April 1975 bis zum Mai1976 alle Kanzlei- und Privattelefonanschlüsse Groenewo dermit ustimmung es rml ungsnc ers des BGH ab ehört w r-en waren:, un e e ongesprac e wur en <strong>in</strong>haltlich festgehalten.Die BAW benutzte diese Informationen (z.B. Gespräche zwischenGroenewold und se<strong>in</strong>en Verteidigern <strong>in</strong> dem damals gegen ihn laufendenBerufsverbotsverfahren) nachweislich noch während dieses Zeitraums,um <strong>in</strong> das Ehrengerichtsverfahren gegen Groenewold e<strong>in</strong>zugreifen.Da Groenewold jedoch schon seit dem März 1975 - nach se<strong>in</strong>emAusschluß von der <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> ke<strong>in</strong>e Gefa Qe""" '" '"er RAF mehr vertei i e, s e SIC le rage, wie diese Abhöraktionwo egrim et wurde. In se<strong>in</strong>em Abhörbeschluß vom 29.4.75 hatte derErmittlungsrichter des BGH als Begründung angeführt, daß "die beweismäßigabgesicherten Verb<strong>in</strong>dungen zwischen den Wahlverteidigern derBaader-Me<strong>in</strong>hof-Vere<strong>in</strong>igung den dr<strong>in</strong>genden Verdacht (begründen),daß der Beschuldigte sich dennoch weiterh<strong>in</strong> für diese krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung<strong>in</strong> strafbarer Weise e<strong>in</strong>setzen wird,m. Wie man sich letzteresvorstellte, nachdem Groenewold ke<strong>in</strong>e Kontakte mehr zu Gefangenenaus der RAF hatte, bleibt offen. Obwohl gegen Groenewold bereits am12.6.75 e<strong>in</strong> vorläufiQesBerufsverbot ausgesprochen worden war, wurde-- bnlsZum Abhören danach dreimal verlängert. Die entsprechen-519


den Beschlüsse wurden damit begründet, daß sich der dr<strong>in</strong>gende Verdacht,Groenewold setze die Versendung von Info-<strong>Verteidigung</strong>spost an"Baader u. a." fort, noch verstärkt habe. Obwohl Groenewold also nichtmehr Verteidiger war, konnte er weiter Verteidigerpost verschicken! PerTelefon vermutlich, denn se<strong>in</strong>e Post wurde nicht kontrolliert.Es liegt nahe, diese recht merkwürdigen Begründungen dah<strong>in</strong>gehendzu <strong>in</strong>terpretieren, daß sie lediglichals Vorwand dienten, um Groenewoldtelefonisch überwachen zu können. Der tatsächliche Grund lag höchstwahrsche<strong>in</strong>lich<strong>in</strong> dem Bemühen, E<strong>in</strong>blick<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Kanzleizu erhalten, <strong>in</strong>ihre Struktur, Klientel und Arbeitsweise. Denn Kanzleipartner Growolds traten noch bis zum Januar 1976 für v r chiedene Gefan ene auser RAF als ertei iger auCErgebnis dieser Aktion war auf jeden Fall,daß für aen Zeitraum e<strong>in</strong>es Jahres jegliche Vertrauensbeziehung zwischenden drei <strong>in</strong> der Kanzlei Groenewold arbeitenden Rechtsanwältenund ihren Mandanten de facto zunichte gemacht worden war. Die BAWnahm von rund 15 000 aufgezeichneten Telefonaten 19 als Beweismittel<strong>in</strong> ihre Anklageschrift auf, und zwar <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie als zusätzliche Beweisefür ihre Behauptung, Groenewold und andere Anwälte hätten Rundbriefean ihre Mandanten verschickt, was niemals bestritten worden war,sowie für die Feststellung, welche Kanzleimitarbeiter daran beteiligt waren."Gesprächs<strong>in</strong>halte, die den normalen Kanzleibetrieb betreffen und die offenkundignicht im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen des Beschuldigtenstehen", sollten laut Abhörbeschluß des Ermittlungsrichters von derAufzeichnung ausgenommen oder sofort gelöscht werden38 Die BAW hattediese richterliche Auflage jedoch schlichtweg mißachtet. Die StrafrechtsprofessorenWelp und Hasserner, die vor dem OLG Hamburg e<strong>in</strong> Gutachten überdie Abhöraktion erstatteten, kamen zu der Schlußfolgerung, daß "auch beiäußerster Anspannung krim<strong>in</strong>alistischer Phantasie nicht vorstellbar" gewesensei, <strong>in</strong> welchem Zusammenhang der überwiegende Teil der aufgezeichnetenGespräche mit der Strafsache Groenewold stehe: "Auch bei außerordentlichvorsichtiger Schätzung dürfte der Anteil der Gespräche mit bedeutungslosemInhalt bei weit über 95 Prozent der <strong>in</strong>sgesamt aufgezeichneten Gesprächeliegen,,39Die 19von der BAWals Beweismittel angeführten Telefongespräche solltenhauptsächlich beweisen, daß Groenewold <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kanzlei e<strong>in</strong> "Infosystem"organisiert hatte. Zu den Telefongesprächen, die von der BAW<strong>in</strong> der Anklageschriftweitergehend <strong>in</strong>terpretiert wurden, me<strong>in</strong>ten die. genannten Sachverständigen,daß die vorgenommene Auslegung "nicht plausibel" sei bzw. daß"nicht ersichtlich (sei), wor<strong>in</strong> deren Beweiswert bestehen soll"4O.Außerdemwaren sie der Auffassung, daß der Großteil dieser Gespräche aus technischjuristischenGründen als Beweismittel "unverwertbar" sei, da es sich umAnwalts- bzw. Mandantengespräche handele (§146 StPO a.F.)41.Im August 1976 reichte die BAW die Anklageschrift gegen Groenewoldbeim J:jliH e<strong>in</strong>, k!,!rzdanach wurden wesentliche Teile ihres Inhalts<strong>in</strong> der Presse veröffentlicht. Gemäß § 353 d Nr. 3 StGB wird bestraft-520(maximal e<strong>in</strong> Jahr Freiheitsstrafe), wer die Anklageschrift "ganz oder <strong>in</strong>wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich" zur Kenntnis gibt, bevor sievom Gericht behandelt wurde. Mit dieser Vorschrift soll "die Unbefangenheitvon Verfahrensbeteiligten (. .. ), aber auch der Schutz vor Bloßstellungender Beteiligten" sichergestellt werden42. Tatsache war jedoch,daß unmittelbar nach Vorlage der Anklageschrift äußerst tendenziöseArtikel über das bevorstehende Strafverfahren gegen Groenewold,das erst e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre später eröffnet wurde, <strong>in</strong> der überregionalenPresse erschienen43. Formulierungen <strong>in</strong> diesen Berichten erlaubtenden Rückschluß, daß die Anklageschrift e<strong>in</strong>igen Journalisten zurVerfügung gestanden haben mußte. Daraufh<strong>in</strong> ersuchte Groenewolddas Bundesjustizm<strong>in</strong>isterium um entsprechende Auskunft. Erst vier Monatespäter, nachdem Groenewold das Verwaltungsgericht e<strong>in</strong>geschaltethatte, da die Hetze gegen ihn unverm<strong>in</strong>dert weiterg<strong>in</strong>g, bestätigtedas M<strong>in</strong>isterium den Verdacht, daß die Anklageschrift Journalisten zurVerfügung gestellt worden war. Das habe sich als notwen'dig erwiesen,"um die Journalisten rechtzeitig <strong>in</strong> die Lage zu versetzen, sich mit dervorauszusehenden öffentlichen Kampagne gegen die Anklage aufgrundvollständiger Informationen ause<strong>in</strong>anderzusetzen,,44. Demnach führtenicht die Justiz e<strong>in</strong>e Kampagne gegen Groenewold - sie reagierte vielmehrnur präventiv auf e<strong>in</strong>e von ihm zu erwartende Kampagne gegendie Justiz 45. E<strong>in</strong>e Auskunft, welche (sechs) Journalisten die Anklageschrifterhalten hatten, verweigerte der Bundesjustizm<strong>in</strong>ister. E<strong>in</strong> Beschlußdes Verwaltungsgerichts Köln vom Mai 197746, das den M<strong>in</strong>isterzur Auskunft verurteilte, blieb ohne Wirkung: Der M<strong>in</strong>ister g<strong>in</strong>g dagegen<strong>in</strong> Berufung, und zum Zeitpunkt der Eröffnung der Hauptverhandlunggegen Groenewold war das Verfahren immer noch nicht abgeschlossen.Die Vorgehensweise des Bundesjustizm<strong>in</strong>isteriums zeigte <strong>in</strong>dessendie gewünschte Wirkung, nämlich, <strong>in</strong> den Worten des VerwaltungsgerichtsKöln, "daß durch Presseberichte, die auf dem H<strong>in</strong>tergrund derAnklage gegen den Kläger entstehen, der Kläger <strong>in</strong> der öffentlichenMe<strong>in</strong>ung - wie er es ausdrückt - ,vorverurteilt' wird,,47.Die <strong>in</strong> Presseartikeln,Radio- und Fernsehsendungen stattf<strong>in</strong>dende Vor-verurteilungg<strong>in</strong>g noch weit über die <strong>in</strong> der Anklageschrift enthaltene Anschuldigungh<strong>in</strong>aus48. Kern der Anklage war, Groenewold habe e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung,die von Gefangenen aus der RAF aus der Haft heraus fortgeführtwürde, durch die Verbreitung schriftlicher, für die <strong>Verteidigung</strong>irrelevanter Informationen zwischen den Gefangenen unterstützt. Inden Medien tauchte jedoch fortwährend die alte Anschuldigung auf,das Info-System diene der Aufrechterhaltung der Verb<strong>in</strong>dungen zwischengefangenen und freien RAF-Mitgliedern. Der GBA wiederholtediese Behauptung noch e<strong>in</strong>mal öffentlich am 21. 12. 77, e<strong>in</strong>en Monatvor Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em sogenannten Jahresbe-521


icht49. Von Groenewold darauf angesprochen, erklärte der GBA, eshabe sich um e<strong>in</strong> "Mißverständnis" gehandelt; die Anschuldigung sollezukünftig nicht wiederholt werden.Sehr wahrsche<strong>in</strong>lich ist, daß mit dieser offensiven Informationspolitik vonGBA, BKAund Bundesjustizm<strong>in</strong>isterium noch e<strong>in</strong> anderes Zielverfolgt wurde.Dies stellte sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch zwischen Groenewold, se<strong>in</strong>em KanzleipartnerRa<strong>in</strong>er Köncke und Gerhard Boeden, dem Leiter der Terrorismus-Abteilungdes BKA, im August 197750 heraus. Groenewold und Köncke waren vonBoeden zu diesem Gespräch e<strong>in</strong>geladen worden, weil sie <strong>in</strong> ihren Beschwerdenüber die gegen Groenewold laufende Pressekampagne auf das BKA alse<strong>in</strong>deutige Quelle für die unwahren Informationen h<strong>in</strong>gewiesen hatten. Währenddieser Unterhaltung bedauerte Boeden die Pressekampagne und sagtezu, daß vom BKA künftig ke<strong>in</strong>e falschen Informationen mehr an die Presseweitergeleitet würden. Schließlich warf Boeden die Frage auf, und dies kannals der eigentliche Grund für die vom BKAgewünschte Unterhaltung gesehenwerden, ob Groenewold und se<strong>in</strong>e Kanzleipartner sich nicht öffentlich von derPolitik ihrer ehemaligen Mandanten distanzieren und die sich <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dendenMitglieder der RAF aufrufen könnten, ihre Aktivitäten e<strong>in</strong>zustellen.Der Prozeß gegen Groenewold wurde <strong>in</strong>ternational aufmerksam verfolgt.So hatte etwa Amnesty International den niederländischen StrafrechtsgelehrtenRüter als Prozeßbeobachter geschickt. Der Prozeß dauertefast sechs Monate; Groenewold und se<strong>in</strong>e vier Verteidiger, unterihnen e<strong>in</strong> französischer Rechtsanwalt, erhielten ausreichend Gelegenheit,auf die Anklageschrift e<strong>in</strong>zugehenSI. Am 10.7.78 verurteilte derStaatsschutzsenat des OLG Hamburg Groenewold schließlich "wegenUnterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em besonders schwerenFall" zu e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe von zweiJahren; die Strafe wurde wegen"mildernder Umstände von besonderem Gewicht (. .. ), die Ausnahmecharakterhaben"s2, zur Bewährung ausgesetzt. Als "Genugtuung für dasbegangene Unrecht" (§ 56b StGB) erhielt Groenewold die Bewährungsauflage,75000 Mark an den Witwen- und Waisenfonds der HamburgerPolizei zu bezahlen.Die 124seitige Urteilsbegründung wurde <strong>in</strong> der westdeutschen Fachpressevon Jürgen Seifert und Heribert Ostendorf äußerst kritisch erörterP3.Dennoch ersche<strong>in</strong>t es mir s<strong>in</strong>nvoll, das Urteil kurz zu kommentieren:1. Ausgangspunkt der Anklageschrift war die Behauptung, "Baaderu. a." hätten ihre krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung "aus der Haft heraus" fortgeführt,<strong>in</strong>dem sie "mit Agitation, Diszipl<strong>in</strong>ierung und Befehlen sowie mitumfangreichen Schulungsprogrammen nicht nur die <strong>in</strong>haftierten Mitgliederorganisatorisch zusammenhielten, sondern auch den krim<strong>in</strong>ellenZweck der Vere<strong>in</strong>igung weiterverfolgten und Zusammengehörigkeitsgefühlund Zukunftspläne der Inhaftierten hierauf ausrichteten".E<strong>in</strong> Ausgangspunkt, der für das Gericht durchaus nicht unproblematischwar. E<strong>in</strong>erseits wird die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung nicht auf die gefan-522genen Mitglieder der RAF beschränkt. Somit soll die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igungaus zwei Untergruppen bestehen, e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haftierten und e<strong>in</strong>er nicht<strong>in</strong>haftierten, andererseits betraf aber das Verhalten, durch das die krim<strong>in</strong>elleVere<strong>in</strong>igung fortgeführt worden se<strong>in</strong> soll, nur den Informationsaustauschzwischen <strong>in</strong>haftierten RAF-Mitgliedern.Die juristischen Sachverständigen Welp und Hassemer g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> ihremdem Gericht vorgelegten Gutachten ausführlich auf diese Problematike<strong>in</strong>. Dar<strong>in</strong> sagen sie, daß "tatsächlicher Zusammenschluß, geme<strong>in</strong>sameWillensbildung, arbeitsteiliges Zusammenwirken, Dauer" <strong>in</strong> Literaturund Rechtsprechung als "die tatbestandlichen Merkmale" des Vere<strong>in</strong>igungsbegriffsgenannt werdens4. Gehe man von diesen Merkmalen aus,so sei e<strong>in</strong>e Fortsetzung der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung "aus der Haft heraus"im Pr<strong>in</strong>zip möglich, und zwar "<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>eller Kollusion mit e<strong>in</strong>errelevanten Teilgruppe der Vere<strong>in</strong>igung, die sich <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>det"ss.Konkret könne dies etwa so aussehen:"Bei entsprechender Nachlässigkeit der Behörden ist es beispielsweise mög-/lich, daß <strong>in</strong>haftierte Mitglieder e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung nicht <strong>in</strong>haftiertenMitgliedern Ratschläge oder Anweisungen zu relevanten Straftaten erteilen. InBezug auf diese konkrete und <strong>in</strong> regelmäßigen Kassibern realisierte Verb<strong>in</strong>dungzwischen Mitgliedern e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung wird letztere ,fortgesetzt',und zwar von den <strong>in</strong>haftierten Mitgliedern ,aus der Haft heraus'. Dabeiversteht es sich, daß die erwähnten Ratschläge oder Anweisungen im konkretenFall noch auf ihre Tathandlungsqualität im Rahmen des § 129 I StGBüberprüft werden müssen ..56Weiter könne ihrer Me<strong>in</strong>ung nach ausgeschlossen werden, daß vone<strong>in</strong>er selbständigen krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung gesprochen werden könne,wenn es sich bei den betreffenden Personen ausschließlich um Gefangenehandele, da die für den Begriffder Vere<strong>in</strong>igung geltenden tatbestandlichenMerkmale <strong>in</strong> der Gefangenschaft unmöglich zu verwirklichenseien. Die gegenteilige Auffassung würde be<strong>in</strong>halten, daß alle<strong>in</strong> dasVorhandense<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>eller Absichten, unabhängig von der "Realisierbarkeitdes krim<strong>in</strong>ellen Zwecks", für die Annahme des Bestehens e<strong>in</strong>erkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung als ausreichend betrachtet werde; e<strong>in</strong>e solcheAuffassung "liefejedoch auf re<strong>in</strong>es Ges<strong>in</strong>nungsstrafrecht h<strong>in</strong>aus"s7. Weiter:"Unter den zugänglichen Entscheidungen und wissenschaftlichenÄußerungen zu § 129 StGB f<strong>in</strong>det sich denn auch ke<strong>in</strong>e, die § 129 I nurauf den krim<strong>in</strong>ellen Zweck stützte"S8.Mitdem Urteil<strong>in</strong> der Strafsache gegen Groenewold hat diese Feststellungjedoch ihre Gültigkeit verloren. Dem OLG Hamburg zufolge hattendie Gefangenen aus der RAF bereits dadurch e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igunggebildet, daß sie an dem "Konzept Stadtguerilla" festhielten. E<strong>in</strong>Musterbeispiel für "re<strong>in</strong>es Ges<strong>in</strong>nungsstrafrecht", wovor die StrafrechtsexpertenWelp und Hassemer im selben Prozeß ausdrücklich gewarnthatten.523


Diese Urteilsf<strong>in</strong>dung des Gerichts kann nur <strong>in</strong> ihrem politischen Zusammenhangverstanden werden: e<strong>in</strong> Freispruch wäre der Verurteilungder Justiz und ihren jahrelangen Verfolgungsmaßnahmen gegen dieVerteidiger gleichgekommen. Zu offenkundig war, daß auf der Grundlageder Anklageschrift und der angeführten Beweismittel e<strong>in</strong>e Verurteilungweder <strong>in</strong> Frage kommen konnte, weil e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung"aus der Haft heraus" fortgeführt worden war, noch - <strong>in</strong> den Worten vonWelp und Hassemer - "für die <strong>in</strong>haftierte Teilgruppe der Vere<strong>in</strong>igungsmitgliedere<strong>in</strong>e weitere, nicht <strong>in</strong>haftierte Teilgruppe als möglicher Kollusionspartnerbereitsteht, mit dessen Hilfe Zwecke oder Tätigkeit derkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung erreichbar bleiben"s9. Die Anklage der BAWwar - um e<strong>in</strong>en vor allem im Zivilrecht gebräuchlichen Ausdruck zuverwenden - von Anfang an unschlüssig. Sie hätte deshalb gar nicht zurHauptverhandlung zugelassen werden dürfen. Für die VerurteilungGroenewolds (und später Croissants) war das Gericht somit auf dieKonstruktion e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung "<strong>in</strong> der Haft" angewiesen.2. Der nächste vom Gericht vorzunehmende Schritt, der Nachweis derstrafbaren Unterstützung dieser krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung "<strong>in</strong> der Haft"durch Groenewold, war dann relativ e<strong>in</strong>fach. Das Gericht verne<strong>in</strong>teke<strong>in</strong>eswegs, daß die Blockverteidigung und das hierfür nötige Infosystemfür sich betrachtet rechtlich nicht zu beanstanden waren. Weiter gabes zu, daß das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es solchen Infosystems es unvermeidlichmache, daß "dadurch automatisch e<strong>in</strong> gewisses Zusammengehörigkeitsgefühlder ehemaligen Mandanten des Angeklagten bestärkt (wird)und wenn sie <strong>in</strong> ihrer krim<strong>in</strong>ellen Haltung aufrechterhalten werden"60.Der nächste Schritt war dann logischerweise die Ause<strong>in</strong>andersetzung mitdem Konzept der <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>. Schließlich mußte dasGericht zwecks Beurteilung der Frage, ob Groenewold sich e<strong>in</strong>er strafbarenUnterstützung dieser krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung schuldig gemacht hatte,genau untersuchen, welche der vielen Infomaterialien "nicht mehrder <strong>Verteidigung</strong>, sondern der Aufrechterhaltung und Förderung derkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung (dienten)"61. Dabei g<strong>in</strong>g es um die von Februar1973 bis zur Ausschließung Groenewolds von der <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> (Mai 1975) verschickten und von der BAWbei Zellenrazzienund Kanzleidurchsuchungen beschlagnahmten Rundbriefe. 13 dieserRundbriefe konnten dem Gericht zufolge e<strong>in</strong>er entsprechendenüberprüfung nicht standhalten, wobei das Gericht das zugrunde gelegteKriterium so umschreibt:524"Es ist weder Pflicht noch Recht e<strong>in</strong>es Anwalts, e<strong>in</strong> Selbstverständnis (als"Stadtguertlla" - BS) und e<strong>in</strong>e politische Identität zu unterstützen und aufrechtzu erhalten, die verfassungs fe<strong>in</strong>dlich und auf künftige Gewalt gertchtet ist. DieDarstellung e<strong>in</strong>es solchen Selbstverständnisses vor Gertcht ist ke<strong>in</strong>e <strong>Verteidigung</strong>,sondern dient nur der Urnfunktionierung e<strong>in</strong>es Prozesses <strong>in</strong> staatsfe<strong>in</strong>dlichePropaganda und Aufruf zur Gewalt. Als unabhängiges Organ der Rechts-pflege soll der Verteidiger mithelfen, das Recht zu verwirklichen. Damit trttter an die Seite der Gertchte und der Staatsanwaltschaft (... ). Dem Angeklagtenist zuzugeben, daß er nicht verpflichtet ist, gegen das ,Selbstverständnis'se<strong>in</strong>er Mandanten e<strong>in</strong>zuschreiten und ihr Zensor zu se<strong>in</strong>. Er durftesie aber nicht durch Weiterleitung ihrer ,Selbstverständnispapiere' unterstützen"62.Die Sprache des Gerichts ist e<strong>in</strong>deutig. Erstens habe e<strong>in</strong> Verteidigernicht das Recht, se<strong>in</strong>em Mandanten bei der Vorbereitung e<strong>in</strong>er politischen<strong>Verteidigung</strong> behilflich zu se<strong>in</strong>, wenn sie auf den Versuch derRechtfertigung revolutionärer Gewalt h<strong>in</strong>auslaufe und sich daraus e<strong>in</strong>eauch <strong>in</strong> Zukunft unveränderte Haltung des Mandanten ableiten lasse.Zweitens dürfe e<strong>in</strong> Verteidiger das politische Selbstverständnis se<strong>in</strong>esMandanten nur dann unterstützen, wenn dieses Selbstverständnis nichtals verfassungsfe<strong>in</strong>dlich betrachtet werden könne.E<strong>in</strong> solches Kriterium läuft darauf h<strong>in</strong>aus, daß nicht der Verteidiger,sondern die Justiz über Inhalt und Grenzen der (politischen) <strong>Verteidigung</strong>bestimmen (können) soll.I3. Diesem Kriterium zufolge ist es e<strong>in</strong>igermaßen erstaunlich, daß dasGericht nur 13 der mehrere Tausende zählenden Info-Schriftstücke alsBeweisurkunden für den Groenewold gemachten Vorwurf der Unterstützunge<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung heranzog. Um welche Papierehandelte es sich? Die ersten fünf Dokumente weisen, so das Gericht, "<strong>in</strong>die Zukunft und dienen nicht der <strong>Verteidigung</strong>, sondern nur noch demSelbstverständnis der ehemaligen Mandanten als ,Stadtguerilla'''63. Eshandelte sich um die von Ulrike Me<strong>in</strong>hof verlesene Hungerstreikerklärungvom September 1974 und das zugehörige sogenannte Kampfprogramm,das "die Selbstorganisation kollektiver Gegenrnacht <strong>in</strong> den Gefängnissen"sowie e<strong>in</strong>e revolutionäre "Gefängnisbewegung im Knast"zum Thema hatte. Des weiteren g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>en kurzen, im Telegrammstilabgefaßten Kommentar e<strong>in</strong>es Gefangenen zu diesem "Kampfprogramm"und e<strong>in</strong>ige ebenso kürzelhafte Zeilen e<strong>in</strong>es anderen Gefangenenzur "dialektik von faschistischer sozialisation und revolutionärererziehung" (Mai 1975). Und schließlich um zwei kurze Papiere vonGefangenen über die Aktion <strong>in</strong> Stockholm (wiederum im Telegrammstilvon zusammen nicht mehr als 33 Zeilen); daraus e<strong>in</strong> Ausschnitt:"die erklärung stg. (Prozeßerklärung Stuttgart-<strong>Stammheim</strong> - BS) muß dieanalyse stockholm se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem rahmen alles, was wir uns vorgenommenhaben; moment harn wir weder zeitungen noch radio; trotzdem war es ke<strong>in</strong>eniederlage, stärkste antiimpertalistische aktion des deutschen proletartats überhaupt.aus den erniedrtgungen und beleidigungen durch faschismus, us-impertalismus,krteg und sozialdemokratie hat das deutsche proletartat <strong>in</strong> stockholmse<strong>in</strong>e ehre, se<strong>in</strong>e revolutionäre identität als klasse, die den imperialismusstürzen wird, wiedergefunden"64.Dieses Zitat kann als repräsentativ für die Art der Info-Beiträge gelten,die das Gericht als nicht verteidigungskonform beanstandete, obwohl525


aus diesem Zitat der Zusammenhang mit der <strong>Verteidigung</strong> im <strong>Stammheim</strong>erProzeß deutlich wird.In se<strong>in</strong>em Artikel über das Groenewold-Urteil beendet Heribert Ostendorf,Richter von Beruf, se<strong>in</strong>e Betrachtung der beanstandeten Info­Schriftstücke mit der Bemerkung: "Derartige Positionspapiere haben beipolitisch motivierten Delikten <strong>Verteidigung</strong>scharakter, der nicht dadurchwegfällt, daß sie gleichzeitig den Kampfwillen und die Solidarität derGruppenmitglieder bestärken ,,65.Weitere vier Dokumente beschäftigen sich mit Sprengtechnik, Bomben,Polizei und Grenzschutz66 Dem Gericht zufolge waren diese vonGefangenen erstellten Papiere nur als "re<strong>in</strong>e Schulungspapiere zur Vorbereitungkünftiger Gewaltakte" zu betrachten67 Verschiedene Gefangenehatten sich <strong>in</strong> diesen Papieren mit allgeme<strong>in</strong> zugänglichen Quellenentnommenen Fachartikeln über neue Techniken auf dem Gebiet vonZündmechanismen sowie über die Organisation von Polizei und Bundesgrenzschutzause<strong>in</strong>andergesetzt.Die entsprechende Fachliteratur war nicht nur allgeme<strong>in</strong> zugänglich, sondernden Gefangenen auch direkt über die Justizbehörden zugestellt worden.Im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Prozeßvorbereitung hatten verschiedeneGefangene die Gerichte oder Haftanstalten um Erlaubnis für den Bezugdieser Fachzeitschriften und Fachbücher gebeten. Den Gefangenen war esgestattet, <strong>in</strong>sgesamt 41 ausgesprochen technische Fachzeitschriften (Wehrtechnik,Waffenrevue, Militärtechnik, Krim<strong>in</strong>alistik,Innere Sicherheit, Die Polizei,Funktechnik, Funkschau, Electronik, usw) zu abonnieren68. Auch wurdenBücher mit militärtechnischen, polizei- oder geheim dienstlichen Themen überdie Justizbehörden selbst bestellt und an die Gefangenen weitergeleitet69In den Jahren 1973 bis 1975 hatten Staats- und Bundesanwaltschaftverschiedentlich versucht, per Gerichtsbeschluß zu erreichen, daß denGefangenen der Bezug derartigen technischen Informationsmaterialsuntersagt würde7o. Diese Anträge waren jedoch stets mit der Begründung,solche Materialien könnten für die Vorbereitung der <strong>Verteidigung</strong>von Bedeutung se<strong>in</strong>, zurückgewiesen worden. Deshalb konnten Groenewoldund se<strong>in</strong>e Verteidiger auch auf die im <strong>Stammheim</strong>er Prozeße<strong>in</strong>gebrachten Beweisanträge verweisen, <strong>in</strong> denen solche Materialienverarbeitet worden waren; vor allem der von Baader am 29.3.77 e<strong>in</strong>gebrachteAntrag auf Vorladung der ehemaligen bzw. amtierenden BundeskanzlerBrandt und Schmidt als Zeugen beruhte auch auf derartigemInformationsmaterial. Dessen Verarbeitung für die <strong>Verteidigung</strong> im Prozeßsollte mit Hilfe des Infosystems arbeitsteilig ermöglicht werden.Die beanstandeten vier technischen Dokumente befaßten sich mitden Möglichkeiten der Umsetzung von akustischer <strong>in</strong> elektrische Energieund ihrer Anwendung für Zündmechanismen, weiter mit den Eigenschaftene<strong>in</strong>es bestimmten Transistorradios, der organisatorischen undpersonellen Zusammensetzung verschiedener Polizei- und Geheimdien-526ste, und schließlich g<strong>in</strong>g es auch noch um Zeitungsausschnitte über denBundesgrenzschutz, Teile des Verfassungsschutzberichts 1973 über "paläst<strong>in</strong>ensischeTerroristen" und die von ihnen benutzten Bomben. Ke<strong>in</strong>emdieser Papiere war auch bei äußerster Anspannung krim<strong>in</strong>alistischerPhantasie e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf die konkrete Planung strafbarer Handlungenzu entnehmen. Ober e<strong>in</strong>ige dieser Dokumente ließe sich höchstenssagen, daß die dar<strong>in</strong> vermittelten Informationen von Gefangenennach ihrer eventuellen Freilassung für die Planung konkreter Straftatenbenutzt werden könnten. Dennoch behauptete das Gericht schlichtweg:"Sie (die Dokumente - BS) enthalten ke<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzungen mitAnklagepunkten, sondern s<strong>in</strong>d re<strong>in</strong>e Schulungspapiere zur Vorbereitungkünftiger Gewaltakte".Die Sachverständigen Welp und Hassemer hatten <strong>in</strong> ihrem Gutachtenschon auf die "absurde Konsequenz" e<strong>in</strong>er solchen Beweisführung verwiesen7l.Mit dem Versand solcher Informationsmaterialien hätten dieVerteidiger e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung "<strong>in</strong> der Haft" unterstützt, obwohlsie nicht davon ausgegangen waren und aufgrund der entsprechendenFachliteratur und Jurisprudenz auch nicht davon ausgehen mußten, daßes e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n überhaupt geben könnte.Hatten nicht die Justizbehörden, die die Auffassung vertraten, daß dieGefangenen e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung "aus der Haft heraus" fortsetzenwürden, den Bezug der Fachlektüre erlaubt und sich damit <strong>in</strong> weithöherem Ausmaß der Unterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igungschuldig gemacht? Letzteres gilt nicht zuletzt auch für jene richterlichenBeschlüsse, die den Gefangenen erlaubten, täglich für mehrere Stundenmite<strong>in</strong>ander Kontakt zu haben. Berücksichtigt man den mehrmals etwavom OLG Stuttgart oder dem BGH formulierten Verdacht auf Fortsetzunge<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung "aus der Haft heraus", so hätten diebetreffenden Richter doch konsequenterweise annehmen müssen, daßdie von ihnen gutgeheißenen täglichen Treffen der Gefangenen "zurVorbereitung künftiger Gewaltakte" mißbraucht würden.Im Gegensatz zu Welp und Hassemer72 vertritt Osten dorf die Auffassung,daß die Verschickung der Papiere zum<strong>in</strong>dest objektiv als strafbareUnterstützungshandlung bewertet werden konnte. Er bezweifelte jedoch,ob Groenewold auch den "subjektiven Tatbestand" strafbarenVerhaltens erfüllt habe, anders gesagt, daß er mit Vorsatz oder bed<strong>in</strong>gtemVorsatz gehandelt habe. Ostendorf weiter:"Das muß jedoch nachgewiesen und darf nicht auf Vermutungen gestütztwerden. Das Gericht selbst billigt dem Angeklagten se<strong>in</strong> Bemühen zu, ,nurverteidigungsrelevante Papiere <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ,Info-System' umlaufen zu lassenund Papiere, die er für bedenklich hielt oder nicht für verteidigungsrelevantzuruckzuhalten


,gewaltigen E<strong>in</strong>satz' der ,Großteil rechtmäßig' war. Das ,Gesamtmosaikbild',von dem nach Presseberichten74 <strong>in</strong> der mündlichen Urteilsbegründung dieRede war, spricht gegen die gerichtliche Würdigung. Dabei wird von demGericht das Bild e<strong>in</strong>er ansonsten <strong>in</strong>tegeren Gesamtpersönlichkeit gezeichnet,und es wird von e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>satzfreudigen, engagierten Rechtsanwalt, der neueWege gesucht hat, gesprochen. Die übernahme der <strong>Verteidigung</strong> wird alsehrenwert charakterisiert. Weiterh<strong>in</strong> hat das Gericht mit dankenswert deutlichenWorten die schwierige psychische Situation herausgehoben, die aufgrunde<strong>in</strong>er Vorverurteilung durch die veröffentlichte Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>getretenwar. Für den Verfasser bleibt es unschlüssig, wie unter diesen Prämissen e<strong>in</strong>Wissen und Wollen bzw.e<strong>in</strong> Fürmöglichhalten herauszu<strong>in</strong>terpretieren ist"75.In den letzten vier beanstandeten Dokumenten geht es um die Hungerstreiks,die von Gefangenen geäußerte Befürchtung, daß dabei jemandsterben könne ("man muß sich darüber klar se<strong>in</strong>, daß bei diesemHungerstreik e<strong>in</strong>er oder zwei sterben können ... ") 76sowie um die Ergebnissee<strong>in</strong>er über das Infosystem gelaufenen schriftlichen Diskussion überdas geme<strong>in</strong>same Vorgehen während e<strong>in</strong>em der Hungerstreiks ("Niemandsoll sich gegen Zwangsernährung wehren - es sei denn, e<strong>in</strong>heitlich")77.Nach Me<strong>in</strong>ung des Gerichts dienten solche Texte "nicht mehrder <strong>Verteidigung</strong> oder e<strong>in</strong>er berechtigten Sorge um die Gesundheitse<strong>in</strong>er Mandanten. Es handelte sich vielmehr um e<strong>in</strong>en Beitrag, der derFörderung des Gruppenzusammenhalts dient". Oder auch: "Das revolutionäreGruppenbewußtse<strong>in</strong> wird durch den H<strong>in</strong>weis auf den Tod undden bewaffneten Kampf (siehe Erklärung von Ulrike Me<strong>in</strong>hof) gestärkt,,78.Sowohl Seifert als auch Ostendorf geben <strong>in</strong> ihren jeweiligen Besprechungendes Urteils deutlich zu erkennen, daß sie e<strong>in</strong>e solche Argumentation,die darauf h<strong>in</strong>ausläuft, daß die Unterstützung e<strong>in</strong>es an sich nichtstrafbaren Hungerstreiks strafbar wird, rechtlich für verfehlt halten. Ostendorf:"Der Hungerstreik ist <strong>in</strong> der Geschichte als politisches Kampfmittel anerkanne9.Er gehört als ultima ratio zu den Selbstschutzrechten des Menschenund ist zugleich e<strong>in</strong> Ausfluß des Autonomiepr<strong>in</strong>zipsso"slWeiter verweist er auf e<strong>in</strong>en Widerspruch <strong>in</strong> der Argumentation desGerichts. Schließlich hatte es ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> Abrede gestellt, daß dieGefangenen sich mit ihren Hungerstreiks "gegen diese besonderen Haftbed<strong>in</strong>gungen"wandten, sei es auch mit dem Zusatz, daß die Gefangenen"gleichzeitig aber auch darüber h<strong>in</strong>ausgehende politische Ziele (verfolgten)".Wie schon erwähnt, hatte das Gericht jedoch zum Info-Systemfestgestellt, daß es "h<strong>in</strong>zunehmen (ist), wenn dadurch automatisch e<strong>in</strong>gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl der ehemaligen Mandanten desAngeklagten bestärkt und wenn sie <strong>in</strong> ihrer krim<strong>in</strong>ellen Haltung aufrechterhaltenwerden". Wieso <strong>in</strong> Bezug auf die Hungerstreiks diese "automatische"Bestärkung des revolutionären Bewußtse<strong>in</strong>s nun plötzlich nichtmehr "h<strong>in</strong>zunehmen ist", bleibt unverständlich.5284. Zusätzlich zu der Weiterleitung der 13 Dokumente kreidete dasGericht Groenewold auch noch "die übernahme der Wortwahl derGefangenen durch den Angeklagten (Isolationsfolter, Vernichtungshaft,Bullen, Schwe<strong>in</strong> etc.) "82 als strafbares Verhalten an. E<strong>in</strong>e solcheWortwahl sei geeignet, die Gefangenen "<strong>in</strong> ihrer Ges<strong>in</strong>nung zu bestärkenund zu unterstützen, da sie sich <strong>in</strong> ihrer Haltung und Ansichtnicht alle<strong>in</strong>gelassen fühlten". Ostendorf ist demgegenüber der Me<strong>in</strong>ung,daß "ernsthaft nicht behauptet werden (kann)", mit dieserWortwahl sei e<strong>in</strong>e strafbare Unterstützungshandlung im S<strong>in</strong>ne der"Stärkung der krim<strong>in</strong>ellen Gefährlichkeit" erfüllt. Außerdem stellt erfest:"Indirekt wird damit von Seiten des Gerichts e<strong>in</strong>e Abgrenzung des Verteidigersvom Mandanten gefordert (. .. ). Vom rechtlichen Standort kannsie nicht verlangt werden. Im Gegenteil, wenn Rachestreben und Hysterieum sich greifen, ist es gerade auch e<strong>in</strong>e Aufgabe des Verteidigers, demMandanten psychische Unterstützung zu gewähren"s3Me<strong>in</strong>es Erachtens enthält dieser Kommentar Osten dorfs schon diepolitische Erklärung für das ungewöhnliche Strafmaß von zwei Jahren:die Grenze für Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werdenkönnen. Ausgehend von dem dargelegten "doppelten Paradoxon politischer<strong>Verteidigung</strong>" wird (angeklagten) Verteidigern von Gefangenenaus sozialrevolutionären Bewegungen mittelbar abverlangt, daß sie sichöffentlich von der Ges<strong>in</strong>nung ihrer Mandanten distanzieren. Erfüllen siediese Forderung nicht, so werden sie als Unterstützer ihrer Mandanten,die selbst noch <strong>in</strong> der Haft e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung darstellen, angeklagtund verurteilt. Groenewold war für das Gericht die Schlüsselfigurfür die "Unterstützung" e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ern "besondersschweren Fall". In ihrem Abschlußplädoyer g<strong>in</strong>g die BAW sogar soweit, zu behaupten, ohne Groenewold "wäre die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igungRAF ause<strong>in</strong>andergebrochen"84. E<strong>in</strong>e nicht mehr auf Bewährung aussetzbareFreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren schien damit unvermeidbarzu se<strong>in</strong>. Der Umstand, daß das Urteil gegen Groenewold dennochunterhalb dieser Grenze blieb, ist me<strong>in</strong>es Erachtens nur damit zuerklären, daß er sich während der Hauptverhandlung doch noch ausdrücklichvon der Ges<strong>in</strong>nung se<strong>in</strong>er ehemaligen Mandanten distanzierte.Das Gericht selbst führte als Begründung für das Aussetzen der Gefängnisstrafezur Bewährung "besondere Umstände <strong>in</strong> der Person und <strong>in</strong> derTat des Angeklagten" 85 an: Er habe sich "bei der <strong>Verteidigung</strong> se<strong>in</strong>erehemaligen Mandanten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ausnahmesituation" befunden, verstärktdurch den "Verurteilungsdruck (von der Öffentlichkeit und denMassenmedien)" sowie e<strong>in</strong>er "sehr schlechten körperlichen Verfassung";es habe sich um e<strong>in</strong>e "außergewöhnlich umfangreiche <strong>Verteidigung</strong>"gehandelt, wobei Blockverteidigung und Info-System als "erlaubt"anzusehen waren. Die anschließenden Ausführungen des Ge-529


ichts enthalten die für die Festsetzung des Strafmaßes und die Strafaussetzungzur Bewährung wesentlichen Gründe:"Es ist mit nahezu völliger Sicherheit zu erwarten, daß der Angeklagte sichschon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ke<strong>in</strong>e Straftatenmehr begehen wird. Der Angeklagte steht den Mandanten und Aktivitäten derdamaligen Zeit seit Jahren fem"86Diesem Zitat gehen die Erwägungen des Gerichts voran, die für dieStrafmilderung ausschlaggebend waren87:"Schließlich war zu bedenken, daß sich der Angeklagte <strong>in</strong> der Hauptverhandlungvon den Ansichten se<strong>in</strong>er ehemaligen Mandanten deutlich distanzierthat, sich als bürgerlichen Anwalt bezeichnet hatte und daß e<strong>in</strong> Kontaktzwischen ihm und der ,Anarchistenszene' , wie ihm zu glauben ist, seit Jahrennicht mehr besteht"ss.Obwohl Groenewolds öffentliche Distanzierung von den Ansichtense<strong>in</strong>er ehemaligen Mandanten <strong>in</strong> der Begründung des Gerichts nur alse<strong>in</strong> Argument unter anderen für die Strafmilderung angeführt wird, somacht der Vergleich mit dem Urteil, das <strong>in</strong> der späteren Verhandlunggegen Croissant gefällt wurde, deutlich, daß genau diese Distanzierungserklärungals tragender, wenn nicht gar alle<strong>in</strong>iger Grund für e<strong>in</strong> Urteilanzusehen ist, das im Vergleich mit dem Ausmaß der öffentlichen Vorverurteilungskampagnee<strong>in</strong>em verkappten Freispruch ~leichkommt.5. Abschließend muß darauf hmgewlesen werden, daß dem Ham6urgerStaatsschutzsenat - politisch gesehen - für e<strong>in</strong>en Freispruch ke<strong>in</strong>Spielraum zur Verfügung stand. E<strong>in</strong> Freispruch hätte be<strong>in</strong>haltet, daß dieseit 1972 laufende, von staatlicher Seite gesteuerte oder unterstützteKampagne gegen die Gefangenen und ihre Verteidiger jeder strafrechtlichenFundierung entbehrte; weiter, daß die für die e<strong>in</strong>schneidendenGesetzesänderungen vom Januar 1975 ("Lex RAF") angeführten Gründeohne tatsächliche Grundlage waren, daß man "Baader u. a." zuUnrecht ihrer gewählten Verteidiger beraubt hatte, daß Groenewold zuUnrecht e<strong>in</strong> (vorläufiges) Berufsverbot auferlegt worden war, daß Croissantund Ströbele zu Unrecht festgenommen worden waren und ebenfallsfreigesprochen werden mußten.In diesem Zusammenhang wird verständlich, warum Groenewoldgegen das Urteil nicht <strong>in</strong> Berufung g<strong>in</strong>g - wie Seifert dazu bemerkt"vermutlich <strong>in</strong> richtiger E<strong>in</strong>schätzung des BGH,,89. E<strong>in</strong>e verständlicheEntscheidung, jedoch sicherlich nicht konsequent, weil dieses Urteilnichts anderes als "e<strong>in</strong>e Preisgabe des durch def<strong>in</strong>ierte Tatbestandsmerkmalebestimmten Strafprozesses" (Seifert}9o bedeutete, also genaudie Art von Pervertierung der Strafrechtspflege, die Groenewold jahrelangbekämpft hatte. Die <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht unbeugsame HaltungCroissants hatte neben e<strong>in</strong>em vierjährigen Berufsverbot e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafevon zweie<strong>in</strong>halb Jahren zur Folge, die er bis auf den letzten Tag <strong>in</strong><strong>Stammheim</strong> h<strong>in</strong>ter sich br<strong>in</strong>gen mußte.5302.2. Die Strafsache gegen Klaus CroissantWie <strong>in</strong> Kapitel VI, 3.2.4, ausführlich geschildert, war Croissant am23.6.75 aufgrund e<strong>in</strong>es Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart verhaftetund am 12.8.75 durch Beschluß des LG Stuttgart wieder gegen Auflagen(80000 Mark Kaution, H<strong>in</strong>terlegung des Reisepasses und Personalausweises,Meldung zweimal wöchentlich bei der Polizei) freigelassenworden. Am 16.7.76 war (s. Kapitel VII, 4.2.1) der Haftbefehl im Beschwerdeverfahrendurch Beschluß der Staatsschutzkammer des LGStuttgart wieder <strong>in</strong> Vollzug gesetzt und Croissant am selben Tag erneutverhaftet worden; nach mündlicher Haftprüfung setzte ihn die Staatsschutzkammeram 19.8.76 unter denselben Auflagen wie früher wiederauf freien Fuß. Inzwischen hatte die Staatsanwaltschaft die Anklageschriftvom 16.7.76 gegen Croissant bei der Staatsschutzkammer des LGStuttgart e<strong>in</strong>gereicht. Zur Last gelegt wurden ihm die Unterstützung e<strong>in</strong>erkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em besonders schweren Fall gemäß § 129Abs. 1 und 4 StGB. Die Anklageschrift umfaßte 263 Seiten, von denennur vier auf die eigentliche Anklage91 und der Rest auf die "wesentlichenErmittlungsergebnisse" entfielen. Diese Ermittlungsergebnisse s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>eAne<strong>in</strong>anderreihung von Zitaten aus Zellenrundbriefen und Diskussionspapieren.Ebenso wie bei Groenewold bestand auch <strong>in</strong> diesem Fall derHauptanklagepunkt <strong>in</strong> dem Vorwurf, Croissant habe "vor allem zusammenmit den Rechtsanwälten Groenewold und Ströbele" für die krim<strong>in</strong>elleVere<strong>in</strong>igung "Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande" geworben und sie durchse<strong>in</strong>e Mitarbeit an dem sogenannten Info-System unterstützt. Des weiterenhabe er sich deshalb strafbarer Unterstützungshandlungen schuldiggemacht, weil er an "Baader u. a. " wenige Monate vor ihrer FestnahmeInformationen über geplante polizeiliche Maßnahmen weitergeleitet haben.Und schließlich habe er sich, wiederum zusammen mit Groenewoldund Ströbele, dadurch schuldig gemacht, daß er entscheidendmitgearbeitethatte"an der sogenannten Öffentlichkeitsarbeit der Bande, <strong>in</strong>dem er öffentlicheVeranstaltungen und Interviews vorbereitete und abhielt, deren Gegenständesich lediglich zum Teil auf die <strong>Verteidigung</strong> bezogen und <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dazubestimmt waren, das Interesse der Öffentlichkeit an den angeblich politischenZielen der Vere<strong>in</strong>igung zu wecken und Mitglieder und Unterstützer der Bandeanzuwerben, wozu er u. a. auch Schriften der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande ansympathisierende Personen weiterleitete"93Nach E<strong>in</strong>reichung der Anklageschrift vom 16.7.76 (und der zweitenVerhaftung Croissants) ersuchte die Staatsanwaltschaft die Staatsschutzkammer,Croissant die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs vorläufig zuuntersagen (§ 132 a StPO LV. m. § 70 StGB). Fast e<strong>in</strong> Jahr später, am27.6.77, traf die Staatsschutzkammer ihre Entscheidung94. Croissant531


erhielt e<strong>in</strong> Teil-Berufsverbot auferlegt, das sich auf "Ermittlungs- undStrafverfahren, die Straftaten im S<strong>in</strong>ne der §§ 74a, 120 GVG zumGegenstand haben", beschränkte. Croissant durfte als Verteidiger nichtmehr <strong>in</strong> Staatsschutzsachen, also <strong>in</strong> allen politischen Prozessen, die zurZuständigkeit von Staatsschutzkammern bei Landgerichten oder Staatsschutzsenatenbei Oberlandesgerichten gehörten, auftreten.Anfang Juli 1977 wird Croissant das gegen ihn verfügte Teil-Berufsverbotvom 27.6.77 zugestellt. Gleichzeitig teilt die Staatsschutzkammerihm mit, daß sie den Antrag der Staatsanwaltschaft, ihn erneut zu verhaften,abgelehnt habe. Croissant geht daraufh<strong>in</strong> zum Vorsitzenden derStaatsschutzkammer, um zu erfahren, ob die Staatsanwaltschaft nun imBeschwerdeweg versucht, se<strong>in</strong>e dritte Verhaftung zu erreichen. Die Auskunftfällt unklar aus. Croissant ist fest entschlossen, sich nicht zumdrittenmal verhaften zu lassen. Se<strong>in</strong>e wiederholt abgegebene Erklärung,er werde der Staatsanwaltschaft den Prozeß nicht ersparen, hatte zurselbstverständlichen Voraussetzung, daß er sich <strong>in</strong> der Hauptverhandlungals freier Mann verteidigen könne95.Ich habe <strong>in</strong> dieser akuten Situation mit Croissant über die Möglichkeitgesprochen, <strong>in</strong> den Niederlanden politisches Asyl zu beantragen. DieErfolgschancen schienen uns <strong>in</strong> den Niederlanden jedoch ger<strong>in</strong>ger zuse<strong>in</strong> als <strong>in</strong> Frankreich; se<strong>in</strong>e vielen Kontakte und die Beherrschung derLandessprache würden ihm dort zusätzlich von Nutzen se<strong>in</strong>. Croissantbegibt sich deshalb am 8. Juli 1977 nach Frankreich.In Paris hält Croissant am 12.7.77 e<strong>in</strong>e Pressekonferenz ab, <strong>in</strong> der erse<strong>in</strong>en Antrag auf politisches Asyl begründet. Unmittelbar danach ersuchtdie BRD Frankreich, Croissant sofort <strong>in</strong> Auslieferungshaft zu nehmen.Im nächsten Abschnitt wird kurz auf das Auslieferungsverfahren e<strong>in</strong>gegangen.Anschließend werden die <strong>Strafsachen</strong> gegen Croissant undGroenewold auf Geme<strong>in</strong>samkeiten und Unterschiede h<strong>in</strong> untersucht.2.2.1. Die Auslieferung CroissantsNach fast drei Monaten Aufenthalt <strong>in</strong> Frankreich wird Croissant am30.9.77 bei Freunden <strong>in</strong> Paris verhaftet. Während dieser Zeit hatte erverschiedenen Zeitungen und dem französischen Fernsehen Interviewsgegeben, <strong>in</strong> denen er auf die politische Entwicklung <strong>in</strong> der BRD, dieHaftsituation se<strong>in</strong>er ehemaligen Mandanten und die Position der <strong>Verteidigung</strong><strong>in</strong> der BRD e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g. Zur selben Zeit nahm die Hetzkampagnegegen Croissant und se<strong>in</strong> ehemaliges Anwaltsbüro <strong>in</strong> Stuttgart e<strong>in</strong>ebisher noch nicht erlebte Intensität an96. Der <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dliche Teilder RAF hatte am 30.7.77 den Generaldirektor der Dresdner Bank,Jürgen Ponto, erschossen und am 5.9.77 den Präsidenten des Bundesverbandesder Deutschen Industrie, Hanns-Mart<strong>in</strong> Schleyer, entführt. In532e<strong>in</strong>em Fernschreiben an die französischen Behörden bezeichnete dasBKA Croissant "als e<strong>in</strong>e Zentralfigur des <strong>in</strong>ternationalen Terrorismus".Die westdeutschen Medien warfen den französischen Behörden faste<strong>in</strong>hellig e<strong>in</strong> zu laxes Vorgehen vor97. Sie unterstellten, daß Croissantwahrsche<strong>in</strong>lich von dem damaligen Oppositionsführer Mitterand protegiertwerde98; weiter herrschte große Empörung über das <strong>in</strong> Frankreichvorhandene "verzerrte Deutschland-Bild,,99 und über Croissants Beurteilungals "Freiheitsheld" 100.Nachdem der "gesuchte" Croissant, umdas Maß voll zu machen, auch noch wenige Tage nach der Schleyer­Entführung vom französischen Staatsfernsehen zur Situation <strong>in</strong> der BRDund den Gründen für die Entstehung der RAF <strong>in</strong>terviewt worden war(und <strong>in</strong> diesem Interview wegen der Kontaktsperre se<strong>in</strong>e Furcht um dasLeben se<strong>in</strong>er ehemaligen Mandanten ausgedrückt hatte), erklärte diewestdeutsche Regierung über ihren Pressesprecher Klaus Böll<strong>in</strong>g, "sehrirritiert,


ganisationen (Syndicat de la Magistrature/Richtergewerkschaft, ConfederationSyndicale des Avocats/Anwaltsgewerkschaft, Jeunes Avocats/Vere<strong>in</strong>igung Junger Anwälte, Mouvement d'action Judicaire/BewegungJustizaktion, Association Francaise des Juristes DemocratesNere<strong>in</strong>igungDemokratischer Juristen, usw.) auf der juristischen Ebene zu CroissantsNachteil entschieden worden. Dennoch dauerte die Diskussion darübernoch monatelang an; der damalige französische Justizm<strong>in</strong>ister Ala<strong>in</strong>Peyrefitte mußte se<strong>in</strong>e Amtsführung immer wieder gegen die starkeKritikverteidigen104.Unmittelbar nach Croissants Auftauchen <strong>in</strong> Frankreich war zwar deralte Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 23.6.75 durch Beschlußder Staatsschutzkammer des LG Stuttgartvom 12.7.77 wieder <strong>in</strong> Vollzuggesetzt worden. Interessanterweise beruhte der Antrag auf Auslieferungvon Croissant jedoch nicht auf diesem Haftbefehl, sondern auf e<strong>in</strong>emzweiten, neuen Haftbefehl des LG Stuttgart, der vom 15.7.77 datierte,also schon drei Tage nach der Wieder<strong>in</strong>vollzugsetzung des alten Haftbefehlserlassen worden war105.Der wesentliche Unterschied gegenüberdem alten Haftbefehl bestand dar<strong>in</strong>, daß Croissant nun auch wegense<strong>in</strong>er Mitarbeit am Info-System strafrechtlich belangt werden sollte, weiler "jenen Häftl<strong>in</strong>gen die heimliche, ungeh<strong>in</strong>derte Kommunikation untere<strong>in</strong>anderund mit <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Mitgliedem der Vere<strong>in</strong>igung"(Hervorhebung: BS) ermöglicht habe. E<strong>in</strong> Vorwurf, der bis dah<strong>in</strong> gegenCroissant nie erhoben worden war und offenbar alle<strong>in</strong> dazu dienensollte, se<strong>in</strong>e Auslieferung zu erreichen. In der Anklageschrift gegen Croissantsowie <strong>in</strong> dem späteren Urteil der Staatsschutzkammer des LGStuttgart vom 16.2.79 war von dieser Anschuldigung auch nichts mehrzu f<strong>in</strong>den. Das Urteil enthält sogar e<strong>in</strong>e genau gegenteilige Erwägung:"Insbesondere ist nicht davon auszugehen, daß <strong>in</strong> Freiheit lebendeTerroristen nach e<strong>in</strong>em Verteiler Infomaterial erhalten hätten,,106.Entsprechend der Entscheidung der Anklagekammer des AppelationshofesParis, der Auslieferungsantrag sei nur bed<strong>in</strong>gt zulässig, lautetedas Auslieferungsdekret:"Die Auslieferung von Klaus Croissant wird den bundesdeutschen Behördenzur Vollstreckung des Haftbefehls vom 15. Juli 1977 bewilligt, wobei dieWirkungen der Auslieferung auf den Vorwurf beschränkt s<strong>in</strong>d, Croissant habezum Aufbau und Funktionieren e<strong>in</strong>es Informationssystems ,INFO' durch Broschüren,Bücher, Notizen, Anweisungen und Unterlagen aller Art beigetratenund durch Lieferung von Korrespondenz die Handlungen e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung begünstigt"j07Die <strong>Verteidigung</strong> war aus mehreren Gründen der Ansicht, daß Artikel16 Abs. 1 Satz 1 des Auslieferungsvertrags zwischen der BRD undFrankreich vom 29. 11. 51108e<strong>in</strong>er strafrechtlichen Verurteilung Croissantsentgegenstehen würde. Nach dieser Vorschriftdarf e<strong>in</strong> Ausgelieferterwegen e<strong>in</strong>er Tat, die vor der Auslieferung begangen und nicht Gegen-534stand des Auslieferungsersuchens ist, weder verfolgt noch verurteilt werden.Die Vorschrift betrifft s<strong>in</strong>ngemäß auch die Verfolgung wegen e<strong>in</strong>erTat, auf die sich das Auslieferungsersuchen erfolglos erstreckt109.In ihrer Revisionsbegründung beim BGH erhob die <strong>Verteidigung</strong>denn auch die Rüge, die Auslieferung sei erschlichen worden. Der imHaftbefehl enthaltene H<strong>in</strong>weis, Croissant habe "jenen Häftl<strong>in</strong>gen dieheimliche, ungeh<strong>in</strong>derte Kommunikation untere<strong>in</strong>ander und mit <strong>in</strong> Freiheitbef<strong>in</strong>dlichen Mitglidem der Vere<strong>in</strong>igung ermöglicht, sei durch dasErmittIungsergebnis nicht gedeckt gewesen und habe nur dem Zweckgedient, fälschlich e<strong>in</strong> tatbestandsmäßiges Verhalten nach Artikel 367code penal darzulegen11o. Diese Vorschrift stellt unter anderem dasZurverfügungstellen von Kommunikationsmitteln an Mitglieder e<strong>in</strong>er,~ere<strong>in</strong>igung von übeltätern" im S<strong>in</strong>ne des Artikels 265 code penal111("association de malfaiteurs" = Krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung) unter Strafe.Aber auch Frankreich kennt ebenso wie die BRD bis zum Groenewold­Urteil ke<strong>in</strong>e ausschließlich aus Gefangenen bestehende "association demalfaiteurs" .Durch Urteil vom 14.11.79 wies der BGH die Revision Croissantsgegen das Urteil der Stuttgarter Staatsschutzkammer zurück. In derUrteilsbegründung erklärte der BGH demgegenüber jedoch, Croissanthabe die Voraussetzungen des Artikels 367 code penal schon dadurcherfüllt, daß er "nicht der <strong>Verteidigung</strong> dienende Materialien an <strong>in</strong>haftierteMitglieder der ,RAF' weiterleitete" 112.Offensichtlich hielt der BGH diesimple strafrechtliche Subsumption doch für etwas zweifelhaft, weil unmittelbardanach e<strong>in</strong>e Passage folgt, <strong>in</strong> der der Versuch unternommenwird, die umstrittene Anschuldigung, Croissant habe die heimliche Kommunikationmit <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Mitglieder der Vere<strong>in</strong>igung "ermöglicht",wenigstens als mittelbar verursachten Beitrag zu e<strong>in</strong>er solchenKommunikation darzustellen:"Durch diesen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Informationssystems, dengeleistet zu haben der Angeklagte schon bei der Stellung des Auslieferungsersuchensdr<strong>in</strong>gend verdächtig war, ,ermöglichte' er auch den Kontakt der<strong>in</strong>haftierten Mitglieder der ,RAF' mit den <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Anhängern;denn die ,RAF' war <strong>in</strong> der Lage, die ,<strong>in</strong> der Haft über das ,<strong>in</strong>fo'-Systemerarbeiteten Grundsatzpapiere zu veröffentlichen und damit die Verb<strong>in</strong>dungzu den <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Gruppen aufrechtzuerhalten",jBDer vom BGH am Ende der Passage zitierte Satzausschnitt ist derUrteilsbegründung der Staatsschutzkammer des LG Stuttgart <strong>in</strong> derStrafsache Croissant entnommen. Dieser Urteilsbegründung zufolge (S.247) g<strong>in</strong>g es bei den über das Infosystem erarbeiteten "Grundsatzpapieren"zum Beispiel um Ulrike Me<strong>in</strong>hofs Prozeßerklärung vom 13.9.74 imBaader-Befreiungsprozeß sowie um das "Spiegel"-Interview vom Januar1975. Bei dem Versuch des BGH, die Revisionsrüge zu entkräften, diefranzösischen Richter und Behörden im Auslieferungsverfahren seien535


ewußt irregeführt worden, verstieg der BGH-Senat sich somit <strong>in</strong> derbizarren Konstruktion, den Croissant gemachten Vorwurf der "heimlichen"Kommunikation mit den <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen RAF-Mitgliedernaus der Veröffentlichung von Prozeßerklärungen und e<strong>in</strong>em Zeitungs<strong>in</strong>terviewabzuleiten. Abgesehen von dem hier offensichtlich vorliegendenWiderspruch zwischen "heimlich" und "öffentlich" bleibt zu berücksichtigen,daß die Anklagekammer des Appelationshofes Paris ausdrücklichbetont hatte, daß Artikel 365 LV.m.Artikel 367 code penal"es nicht zulassen, e<strong>in</strong>en strafbaren Tatbestand nach französischem Rechtweder <strong>in</strong> den Initiativen zu sehen, die Croissant auf dem Gebiet der Hungerstreiksergriffen hat, noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Propaganda anläßlich öffentlicher Versammlungenzu Gunsten der RAF, noch <strong>in</strong> der recht mysteriösen Affaire desBaader-Interviews durch den ,Spiegel', <strong>in</strong> welcher Croissant ansche<strong>in</strong>endentgegen e<strong>in</strong>er gerichtlichen Entscheidung gehandelt hat, die ihm diese Veröffentlichunguntersagte, was ihm jedoch <strong>in</strong> strafrechtlicher H<strong>in</strong>sicht ansche<strong>in</strong>endnicht entgegengehalten werden kann, unter anderem aus dem unbestrittenenGrund, daß die Zeitschrift bei dieser Veröffentlichung ke<strong>in</strong>e Schwierigkeitengehabt hätte"1l4Obwohl die Anklagekammer des Appelationshofes Paris also zu demUrteil gekommen war, daß e<strong>in</strong>e eventuelle Mitarbeit Croissants bei derVeröffentlichung von "Grundsatzpapieren" nach französischem Rechtnicht strafbar war, war der BGH-Senat der Auffassung, daß alle<strong>in</strong> schondie Tatsache, daß solche Grundsatzpapiere veröffentlicht worden waren(ohne daß von e<strong>in</strong>er Mitwirkung Croissants auch nur die Rede gewesenwäre), schon ausreiche, um zu beweisen, daß Croissant durch se<strong>in</strong>eMitarbeit an dem Info-System die heimliche Kommunikation mit den <strong>in</strong>Freiheit bef<strong>in</strong>dlichen Mitgliedern der Vere<strong>in</strong>igung "ermöglicht" hatte.Das französische Gericht hatte übrigens auch wegen des im Auslieferungsantragaufgeführten Anklagepunktes, Croissant habe Anfang 1972"Baader u. a. " vor deren Festnahme Informationen über geplante polizeilicheMaßnahmen zukommen lassen (vgl.Abschnitt 2.2) "wegen desFehlens genauerer E<strong>in</strong>zelheiten" für unzulässig erklärt.Damit war von den im Haftbefehl vom 15.7.77 genannten Anschuldigungennur noch Croissants Mitwirkung am Info-System übrig geblieben.Bleibt noch zu erwähnen, daß die BAWüber den ErmittIungsrichterbeim BGH den Versuch unternahm, mit e<strong>in</strong>em ausführlichen und gänzlichneuen Haftbefehl vom 30.9.77 der begehrten Auslieferung e<strong>in</strong>ezweite, stabilere Basis zu verschaffen 115. Dieser Haftbefehl war noch amTag der Verhaftung Croissants erlassen und sofort von e<strong>in</strong>em Bundesanwaltals Sonderkurier nach Paris gebracht worden. Croissant wurde <strong>in</strong>diesem Haftbefehl beschuldigt, die terroristische Vere<strong>in</strong>igung "Haag­Mayer-Bande" (RAF- BS) unterstützt zu haben. Mit Hilfe von Beschuldigungengegen ehemalige Mitarbeiter des Internationalen Komitees zur536~I<strong>Verteidigung</strong> politischer Gefangener <strong>in</strong> Westeuropa und regelmäßigeBesucher der KanzleiCroissants versuchte die Strafverfolgungsbehörde,Croissant mit den Anschlägen auf Buback und Ponto sowie mit derEntführung Schleyers <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu br<strong>in</strong>gen. Die äußerst vagenFormulierungen der entsprechenden Passagen des Haftbefehls veranlaßtendas Pariser Appelationsgericht dann auch zu dem Ausspruch,"daß der deutsche Untersuchungsrichter sich vielfach entweder im Konditionalisausdrückt oder aber die Verben ,sche<strong>in</strong>t' oder ,soll' verwendet".Der zweite Haftbefehl wurde von diesem Gericht <strong>in</strong> vollem Umfang fürunzureichend erklärt, der darauf gestützte zusätzliche Auslieferungsantragverworfen116.2.2.2. Die <strong>Strafsachen</strong> gegen Croissant und Groenewold im VergleichE<strong>in</strong> wesentlicher strafprozessualer Unterschied zwischen den Staatsschutzsachengegen Groenewold und Croissant besteht dar<strong>in</strong>, daß dieBAW im Fall Groenewold noch e<strong>in</strong>e "besondere Bedeutung" (§§ 74aLV.m. 142a GVG) gesehen, das Verfahren deshalb übernommen undvor dem Hamburger Oberlandesgericht angeklagt hatte. Der Croissant­Prozeß wurde "<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bedeutung e<strong>in</strong>e Etage niedriger gehängt, derörtlichen Justiz überlassen und kann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kaliber nun wohl schwerlichnoch e<strong>in</strong>mal aufgebläht werden", kommentierte der "Spiegel" 117.Schon im September 1974 hatte die BAWdas Verfahren gegen Croissantan die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit der Begründung abgegeben,e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung des Falles liege nicht vor (§ 142a Abs. 4GVG).Aber auch <strong>in</strong>haltlich waren die Anklagepunkte gegen Croissant vonerheblich leichterer Art als die gegen Groenewold. Erstens durfte das LGStuttgart wegen der Entscheidung des Pariser Appelationsgerichts dieCroissant vorgeworfene Unterstützung der Hungerstreiks se<strong>in</strong>er ehemaligenMandanten strafrechtlich nicht mehr berücksichtigen; es tat diesdann auch tatsächlich nicht118. Zweitens g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> dem Verfahren gegenCroissant nur um e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen Teil der <strong>in</strong>sgesamt über das Info­System gelaufenen Schriftstücke, da ihm im Gegensatz zu Groenewoldnur vorgeworfen werden konnte, von mehr als 30 Gefangenen nure<strong>in</strong>en, Bernhard Braun, mit Info-Material versorgt zu haben, und auchdies nur während e<strong>in</strong>es relativ kurzen Zeitraums von Juni 1973 bisDezember 1974.Schließlich - und dies ist sicherlich der wesentlichste Unterschied ­war von Anfang an deutlich gewesen, daß der Beitrag Croissants zumInfo-System <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis stand zu dem se<strong>in</strong>er getrennt angeklagtenKollegen. So wird im Croissant-Urteil denn auch als strafmildernderGrund vermerkt,537


"daß der Beitrag des Angeklagten deutlich unter den Tatbeiträgen se<strong>in</strong>erMittäter Rechtsanwalt Groenewold und Ströbele blieb. Im Gegensatz zudiesen hat er beim Aufbau des ,1nfo'-Systems ke<strong>in</strong>e führende Rolle gespielt.Während diese die Diskussion koord<strong>in</strong>ierten und die Durchführungder von den ,RAF'-Gefangenen geplanten Projekte besorgten, beschränktesich die Tätigkeit des Angeklagten auf die Weiterleitung von Zellenzirkularenan e<strong>in</strong>en von über 30 ,RAF'-Gefangenen. Nach Errichtung des ,Info'­Systems befand sich die ,Info'-Zentrale im Büro des Rechtsanwalts Groenewold(... ). Nach Errichtung des ,In fo'-Systems war der Angeklagte bisEnde 1974 im wesentlichen auch nur für das <strong>in</strong>haftierte ,RAF'-MitgliedBemhard Braun zuständig, das zudem nicht zu den Rädelsführern der,RAF' zählte"119Gleichwohl wurde Croissant während der gesamten Dauer des gegenihn laufenden Verfahrens <strong>in</strong> Untersuchungshaft gehalten, während esGroenewold möglich gewesen war, se<strong>in</strong>en Prozeß <strong>in</strong> Freiheit vorzubereitenund abzuwickeln. Nicht zuletzt ist dies als Grund dafür anzusehen,daß der Croissant-Prozeß nach Abschluß des Pilotverfahrens gegenGroenewold kaum noch nennenswertes <strong>in</strong>ternationales Interesse wekkenkonnte. Weiter hatte die Inhaftierung Croissants <strong>in</strong> Stamm heim zurFolge, daß er nicht von ausländischen Rechtsanwälten verteidigt wurde.Zwei französische Rechtsanwälte hatten um die Zulassung als Verteidigergebeten, was ihnen auch von der zuständigen Staatsschutzkammer gestattetworden war. Vor Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung am 9.3.78 erließder Vorsitzende der Kammer jedoch e<strong>in</strong>e sitzungspolizeiliche Verfügung,wonach die Verteidiger vor Betreten des "Mehrzweckgebäudes" zudurchsuchen waren120. Aufgrund der Verteidigerproteste ließ der Gerichtsvorsitzendee<strong>in</strong> Gutachten der Stuttgarter Rechtsanwaltskammere<strong>in</strong>holen. In diesem ausführlichen Gutachten121 heißt es u. a.:"Das bei Verwendung der Metallsonde nahezu immer <strong>in</strong>dizierte Öffnen des,Hosenladens' (weil nahezu jede Hose am Verschluß vorne Reißverschlußoder Haken und Öse, also Metallteile enthält - BS) männlicher Personenbedeutet - jedenfalls nach der jetzigen Regelung - daß sich der Verteidiger ­Organ der Rechtspflege - dem Kontrollpersonal ohne Schuhwerk, im Genitalbereichnur mit der Unterhose bekleidet, präsentieren muß. Dies ist entwürdigend".Der Vorstand der Anwaltskammer kommt dann zu e<strong>in</strong>em Kompromißvorschlag:man solle sämtliche Prozeßbeteiligten mit Ausnahme derMitglieder des erkennenden Gerichts diesen sitzungspolizeilichen Maßnahmenunterwerfen. Dennoch änderte der Vorsitzende diesen sogenanntenHosenladenerlaß nicht ab. Die Staatsanwaltschaft hatte <strong>in</strong>zwischenerklärt, daß sie sich auf ke<strong>in</strong>en Fall durchsuchen lassen werde,e<strong>in</strong>e Haltung, die am 7.4.78 durch e<strong>in</strong>en entsprechenden Beschluß desBundesverfassungsgerichts gutgeheißen wurde122. Zu der Verfassungsbeschwerdeder Verteidiger, die umstrittene Verfügung verletze sie imGegensatz zu anderen prozeßbeteiligten Organen der Rechtspflege "<strong>in</strong>538tihrem Anspruch auf Gleichbehandlung" (Artikel 3 Abs. 1GG), stellte dasVerfassungsgericht fest:"Von prozeßbeteiligten Vertretern des Staates, die nicht nur zur Verfolgungund Wahrung des staatlichen Strafanspruchs im Rahmen rechtsstaatlicherVerfahrensregeln berufen, sondern zugleich kraft ihres Amtes zur Fürsorge fürdie Angeklagten verpflichtet s<strong>in</strong>d, geht ke<strong>in</strong>e Gefahr für die Ordnung <strong>in</strong> strafgerichtlichenHauptverhandlungen aus. Dies behaupten auch die Beschwerdeführernicht. Die Vorstellung, die prozeßbeteiligten Richter oder Staatsanwältemüßten sich e<strong>in</strong>er Durchsuchung unterziehen, ist abwegig".Die betroffenen deutschen Verteidiger mußten sich dieser Entscheidungbeugen, die französischen Anwälte, unter ihnen der spätere französischeJustizm<strong>in</strong>ister Robert Bad<strong>in</strong>ter, hielten jedoch im E<strong>in</strong>vernehmenmit den Empfehlungen der Pariser Anwaltskammer an dem Standpunktfest, nicht unter Bed<strong>in</strong>gungen aufzutreten, die die <strong>Verteidigung</strong> diskrim<strong>in</strong>ieren.Der Prozeß gegen Croissant dauerte vom 9.3.78 bis zum16.2.79, also fast doppelt so lange wie der Prozeß gegen Groenewold.Die juristischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Bedeutung des Auslieferungsdekretskönnen dafür nur teilweise verantwortlich gemacht werden.Im Gegensatz zum Groenewold-Verfahren legte die Staatsschutzkammerim Prozeß gegen Croissant großen Wert auf das Verlesen e<strong>in</strong>ererheblich größeren Anzahl von Dokumenten aus dem beschlagnahmtenInfo-Material.In der Urteilsbegründung (359 Seiten) folgte die StaatsschutzkammerStuttgart weitgehend der vom Staatsschutzsenat Hamburg beim Groenewold-Urteilaufgestellten juristischen Argumentation. Auch das zentraleKriterium für die Beurteilung des strafbaren Charakters der MitarbeitCroissants am Info-System war weitgehend mit dem <strong>in</strong> Hamburg benutztenKriterium identisch:"Durch die Weiterleitung der angeführten Zellenzirkulare und Info-Schriftstückeüberschritt der Angeklagte die Grenzen rechtlich zulässiger <strong>Verteidigung</strong>.E<strong>in</strong> Verteidiger ist nicht nur zur Wahrung der Interessen se<strong>in</strong>er Mandantenmit allen legalen Mitteln verpflichtet, sondern auch zur Wahrung derverfassungsmäßigen Ordnung und zur gewissenhaften Erfüllung se<strong>in</strong>er Pflichtenals Rechtsanwalt. Es gehört deshalb nicht zu den Pflichten und Rechtene<strong>in</strong>es Verteidigers, e<strong>in</strong> Selbstverständnis und e<strong>in</strong>e politische Identität vonMandanten zu unterstützen und aufrechtzuerhalten, die gegen die bestehendeRechtsordnung und auf künftige Gewalt gerichtet s<strong>in</strong>d. Dies gilt auch, soweitdie weitergeleiteten Schriftstücke bei der Vorbereitung von Prozeßreden Verwendungfanden oder f<strong>in</strong>den sollten, <strong>in</strong> denen die angeklagten ,RAF'-Mitgliederihr Selbstverständnis als Stadtguerilla mit dem Ziel e<strong>in</strong>er Propaganda fürdie Fortsetzung des bewaffneten Kampfes nach dem ,Konzept Stadtguerilla'darstellen wollten. Es gehört zu den fundamentalen Rechten e<strong>in</strong>es Angeklagten,sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhaltvor Gericht frei zu äußern (Art. 103 Abs. 1 GG). Dieses Recht haben dieGefangenen mit der E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gung ihrer "Selbstverständnis"-Erklärungen, dielediglich der Propaganda für die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes dienen539


sollten,jedochmißbraucht.DemAngeklagtenwarbekannt,daß geradediesePropagandadasvon den AngeklagtenmitihrenProzeßredenangestrebteZielwar. Wennse<strong>in</strong>e Mandantenvon ihm auch <strong>in</strong>soweite<strong>in</strong>e Unterstützungverlangten,wareralsRechtsanwaltverpflichtet,se<strong>in</strong>eMitarbeitzuverweigernundSchriftstücke,<strong>in</strong> denen es ausschließlichum die Festigungder <strong>in</strong> der Haftbestehenden Guerillaorganisationund um die Fortsetzungder krim<strong>in</strong>ellenTätigkeitender ,RAF'g<strong>in</strong>g,nichtweiterzuleiten"123Der bis zur Willkür dehnbare Charakter dieses Kriteriums zeigte sichschließlich bei der Anwendung auf das beanstandete Info-Material. Inder mündlichen Urteilsbegründung hatte die Staatsschutzkammer schonmitgeteilt, daß sie <strong>in</strong> Bezug auf zahlreiche Info-Schriftstücke zu e<strong>in</strong>eranderen E<strong>in</strong>schätzung gekommen sei als der Hamburger Senat. NachAuffassung der Staatsschutzkammer seien etwa 100 Dokumente zunennen, die nicht dem <strong>Verteidigung</strong>s<strong>in</strong>teresse gedient hätten, sondern"ausschließlich dem Zusammenhalt der Vere<strong>in</strong>igung und der Fortsetzungihrer krim<strong>in</strong>ellen Bestrebungen". Selbstverständlich zählten dazuauch die Info-Schriftstücke, deren übermittlung an die Gefangenenbereits im Groenewold-Prozeß als strafbare Unterstützungshandlungengewertet worden waren, mit Ausnahme - als Folge der Auslieferungsentscheidung- der Hungerstreikpapiere. Die übrigen etwa 90 Dokumente,die der Staatsschutzsenat Hamburg nicht beanstandet hatte, bestandenzum großen Teil aus Zellenzirkularen, die die politischen Diskussionender Gefangenen untere<strong>in</strong>ander über Imperialismus, Guerilla, die Positionder RAF, die politische Haltung der Gefangenen und ähnlicheThemen enthielten, ebenso wie die dazugehörige, oft schonungsloseKritikund Selbstkritik. Des weiteren g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>e Reihe von Zellenzirkularenmit sogenanntem Schulungsmaterial, das heißt Besprechungen,Ausarbeitungen, Zeitschriftenartikel oder Bücher, welche die Gefangenendirekt über die richterliche oder anstalts<strong>in</strong>terne Zensur erhaltenhatten. Ste<strong>in</strong> des Anstoßes war hier zum Beispiel e<strong>in</strong>e Rezension desBuches "Im Vorfeld des Krieges" von Frank Kitson. Diese Lektüregehörte aber zum Kernbereich politischer <strong>Verteidigung</strong>, da der Autor sichmit dem Thema der Aufstandsbekämpfung befaßte, zu der die Gefangenen- auch unter E<strong>in</strong>schaltung der Justiz - e<strong>in</strong>iges zu sagen hatten.Nach alledem ist die hohe Strafe für Croissant nur damit zu erklären,daß er es - im Gegensatz zu Groenewold - nicht nur ablehnte, sich vonse<strong>in</strong>en ehemaligen Mandanten und deren politischen Vorstellungen zudistanzieren, sondern selbst se<strong>in</strong>e eigene <strong>Verteidigung</strong> noch dazu benutzte,die Rechtsbrüche des Gesetzgebers, von Regierung und Justiz beider Verfolgung se<strong>in</strong>er Mandanten öffentlich anzuprangern. So f<strong>in</strong>det sichdann auch <strong>in</strong> der Urteilsbegründung folgender Strafverschärfungsgrund:540"Fernerkonntenichtunberücksichtigtbleiben,daß derAngeklagte<strong>in</strong>ke<strong>in</strong>erWeiseDistanzzuse<strong>in</strong>erTatoder gar Reue hat erkennenlassen;sondernausdrücklicherklärthat,daß er sichkünftignichtandersverhaltenwerde" 124Mit e<strong>in</strong>er ähnlich lautenden Erwägung begründete die Staatsschutzkammerauch ihr vierjähriges Berufsverbot für Croissant.Croissants konsequente Haltung wurde noch e<strong>in</strong>mal im Juni 1979,also vier Monate nach dem Urteilsspruch, deutlich, als er sich für e<strong>in</strong>igeWochen dem fünften kollektiven Hungerstreik der Gefangenen aus derRAF gegen die fortgesetzte und <strong>in</strong>zwischen noch verschärfte Isolationshaftanschloß, um ihn als ehemaliger Verteidiger solidarisch zu unterstützen.Diese "erhebliche Une<strong>in</strong>sichtigkeit", die die StaatsschutzkammerCroissant <strong>in</strong> ihrem Urteil vorwarf, hatte für ihn zur Folge, daß er imGegensatz zu der allgeme<strong>in</strong> üblichen Regelung, gefangene "Ersttäter"nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer Haft auf Bewährung zu entlassen,die gesamte Strafzeit <strong>in</strong> Haft gehalten wurde.In se<strong>in</strong>er für Croissant negativen Revisionsentscheidung vom14.11.79 betonte der BGH, daß es unbedeutend sei, "ob der Vere<strong>in</strong>igungdurch die Weiterleitung von Schriftstücken im Rahmen des vomAngeklagten mitbetriebenen Informationssystems meßbarer Nutzenentstanden ist". Ausreichend sei vielmehr, "daß die Hilfe der Vere<strong>in</strong>igungirgendwie vorteilhaft war oder die Mitglieder <strong>in</strong> dem Entschlußstärkte, die von der Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Aussicht genommenen Straftaten zubegehen".In der Berichterstattung der Medien über das Urteil gegen Croissantläßt sich das gleiche Phänomen feststellen, das schon bei den Verteidigerausschlüssenvon Croissant, Groenewold und Ströbele im Frühjahr1975 zu beobachten gewesen war (vgl. auch Kapitel II, 4.4): Die Ausschlußentscheidungenwurden <strong>in</strong> der Presse nicht mit den Begründungender Gerichtsbeschlüsse gerechtfertigt, sondern mit dem <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<strong>in</strong>zwischen fest verankerten, vorprogrammierten Bild, dasman von der Tätigkeit dieser Anwälte hatte. So wurde auch <strong>in</strong> derBerichterstattung über das Croissant-Urteil fast e<strong>in</strong>stimmig behauptet,Croissant sei wegen Unterstützung der RAF verurteilt worden, da erunter dem Deckmantel des sogenannten Info-Systems für den 'Informationsflußzwischen den gefangenen und den <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong>dlichenMitgliedern der RAF gesorgt habe. Auch hier also wieder e<strong>in</strong> nahtloserübergang zwischen der aktuellen Berichterstattung und e<strong>in</strong>er seit 1972systematisch betriebenen Diffamierungskampagne, mit der die Anwälteals Verb<strong>in</strong>dungsleute zwischen der RAF "dr<strong>in</strong>nen und draußen" dargestelltwurden. Das diese hartnäckige "Berichterstattung" durch das Urteilnicht bestätigt wurde - wen kümmerte das noch? Selbst <strong>in</strong> den allgeme<strong>in</strong>als "ernstzunehmend" betrachteten holländischen Medien wie NOS-TVjournaal,"NRC-Handelsblad" und "Volkskrant" (vom 17.2.79) oder <strong>in</strong>der französischen Tageszeitung "Le Monde" war der vorherrschendeTenor der Berichterstattung über das Urteil falsch. Der Mythos vom"Terroristen <strong>in</strong> Robe", vom Botschafter zwischen Legalen (Gefangenen)und Illegalen, war unzerstörbar geworden.541


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"'''''''''''' .-,.."-,,,,AnmerkungenE<strong>in</strong>leitung1Tilman Fichter/Siegwald Lönnendonker, Kle<strong>in</strong>e Geschichte des SDS, Rotbuch,Berl<strong>in</strong> 1977; Hans Manfred Bock, Geschichte des l<strong>in</strong>ken Radikalismus <strong>in</strong>Deutschland, Suhrkamp, Frankfurt 1976; Booudewijn Chorus, Als op ons geschotenwordt. .. , Pamflet, Gron<strong>in</strong>gen 1978; Dieter Claesens/Kar<strong>in</strong> de Ahna, DasMilieu der Westberl<strong>in</strong>er "Szene" und die Bewegung 2. Juni, <strong>in</strong> Analysen zumTerrorismus, Bd. 3, W. von Baeyer-Katte u, a" Gruppenprozesse, WestdeutscherVerlag, Opladen 1982; Fritz Sack, Die Reaktion von Gesellschaft, Politik undStaat auf die Studentenbewegung, <strong>in</strong>: Analysen zum Terrorismus, Bd, 4/2, F.Sack u. a., Protest und Reaktion, Westdeutscher Verlag, Opladen 1984.2 Diether Posser, <strong>Politische</strong> Strafjustiz- Aus der Sicht des Verteidigers, Müller­Verlag, Karlsruhe 1961, S, 15. Posser entnimmt se<strong>in</strong>e Angaben "verschiedenenVeröffentlichungen <strong>in</strong> den Jahren 1959/1960 unter Vorlage exakten Materials"und verweist (Anm. 50) auf: Polizei im Lande Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, Mitteilungsblattder Bezirksfachabteilung Polizei, Heft Februar 1960, S. 4, Hg. GewerkschaftÖffentliche Dienste, Transport und Verkehr - Polizeifachabteilung. Posser wardamals Verteidiger <strong>in</strong> vielen politischen Strafverfahren, später wurde er Justizm<strong>in</strong>isterdes Landes Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen.3 Alexander von Brünneck, <strong>Politische</strong> Justiz gegen Kommunisten <strong>in</strong> der BundesrepublikDeutschland 1949 - 1968, Suhrkamp, Frankfurt 1978.4 Neuer Vorwärts vom 3.12.54; Quellenangabe bei Jürgen Kuczynski, Dasgroße Geschäft, Berl<strong>in</strong> 1967, S. 176.5 Vgl. Gehlen, Der Dienst, 1971; Zoll<strong>in</strong>g/Höhne, Pullach Intern, Mohn 1971;Walde, ND-Report, Piper 1971.6 Konkret 18/1960; Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Dokumente e<strong>in</strong>er Rebellion, Hamburg1972, Seite 13 - In diesem Buch s<strong>in</strong>d Kolummnen von Ulrike Me<strong>in</strong>hof gesammelt,die sie als Mitarbeiter<strong>in</strong> der Zeitschrift "Konkret" schrieb.7 Claessens/de Ahna, a, a. O.8 Konkret 5/1968; Dokumente a. a. 0., S. 81- siehe zu Osterunruhen auch:Wolfgang Kraushaar, Notizen zu e<strong>in</strong>er Chronologie der Studentenbewegung.über die Gebrauchsschwierigkeiten e<strong>in</strong>er Chronologie, <strong>in</strong>: P. Mosler, Was wirwollten, was wir wurden, Re<strong>in</strong>bek 1977, S. 249-295.9 Ebenda, S. 8710 Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Bambule, RotbuchlWagenbach, Berl<strong>in</strong> 1971.11 Sozialistisches Patientenkollektiv, Aus der Krankheit e<strong>in</strong>e Waffe machen,Trikont, München 1972.12 Ala<strong>in</strong> Labrousse, Les Tupamaros - Guerilla Urba<strong>in</strong>e en Uruguay, Seuil,Paris 1971.13 Harold Jacobs Ed., Weathermen, Ramparts Press 1970.14 D. B. Rjazanov, Zur Frage des Verhältnisses von Marx zu BIanqui, van544Houden, Utrecht 1973, S, 22-44; RAF, Texte, Bo Cavefors, Malmö 1977, S,337-367,15 Rjazanov, a, a, 0" S, 25; RAF a. a, 0" S, 340-341. Der <strong>in</strong> diesem Zitaterwähnte "Mordversuch" bezieht sich vermutlich auf den Verdacht, daß RAF­Mitglieder bei mißlungenen Festnahmeversuchen an Schußwechseln mit derPolizei beteiligt gewesen seien,16 a, a. 0., S. 32 resp, S. 35117 Ebenda18 Ebenda, S. 35 resp. S. 35519 Ebenda, S, 38 resp. S. 35920 Ebenda, S. 37 resp. S. 35721 Ebenda, S. 36 resp. S. 35622 Ebenda23 Ebenda, S, 26 resp. S. 34224 Ebenda, S. 37 resp, S. 35825 Ebenda, S, 40 resp. S. 36226 Ebenda, S. 43 resp, S. 36527 Ebenda, S, 43 resp. S. 36628 Rjazanov, a. a. 0., S. 45-11229 Ebenda, S. 113-173; RAF, a. a. 0., S. 368-410,30 Rjazanov, a. a. 0., S. 254-279; RAF, a. a, 0., S. 411-447.31 A. A. G, Peters, lndividuele vryheid en de positie van verdachten <strong>in</strong> hetstrafproces, Praesidium Libertatis, Kluwer, Deventer 1975, S. 175-203(198-199).32 Otto Kirchheimer, <strong>Politische</strong> Justiz, Luchterhand, Neuwied und Berl<strong>in</strong>1965.33 Kirchheimer, a, a, 0., S, 8434 Rechtsanwalt Dr. Egon Müller <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Festvortrag über "Strafverteidigung"auf dem 41. Deutschen Anwaltstag 1981 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z, NJW 1981, S.1801-1807 (1804).35 Die Juristische Fakultät der Rijksuniversiteit Utrecht hat die Protokolle überdie Verteidiger im <strong>Stammheim</strong>er Verfahren gegen "Baader u. a," beschaffenkönnen, Dafür b<strong>in</strong> ich Verteidigern, Fakultätsrat und Fakultätsvorstand dankbar.Die Protokolle s<strong>in</strong>d zugänglich <strong>in</strong> der Bibliothek des Willem Pompe Instituut voorStrafrechtswetenschappen, Janskerkhof 16, Utrecht.36 Peter L. BergerfThomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion derWirklichkeit, e<strong>in</strong>e Theorie der Wissenssoziologie, Fischer, Frankfurt 1970.Kapitel I1 RAF, Texte, Bo Cavefors, Malmö 1977, S. 4482 Ebenda, S. 496-5023 Aus der Kommandoerklärung vom 20.5.72; RAF, a. a. 0., S. 449: "(,,,)Buddenberg, das Schwe<strong>in</strong>, hat Grashof zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt vom Krankenhaus <strong>in</strong>die Zelle verlegen lassen, als der Transport und die Infektionsgefahr im Gefängnis545


" ,-~"-",noch lebensgefährlich für ihn waren. Er hat den Mordversuch an Grashof der denBullen nicht gelungen ist, an dem wehrlosen Grashof wiederholt Buddenberg,das Schwe<strong>in</strong>, ist dafür verantwortlich, daß Carmen Roll narkotisiert worden ist,um sie zum Reden zu br<strong>in</strong>gen, Der voraussehbare Verlauf der Narkose hatbewiesen, daß das e<strong>in</strong> Mordversuch waL Buddenberg, das Schwe<strong>in</strong>, kümmertsich e<strong>in</strong>en Dreck um geltende Gesetze und Konventionen, Die strenge Isolation, <strong>in</strong>der die Gefangenen gehalten werden, um sie psychisch fertig zu machen: E<strong>in</strong>zelhaft,E<strong>in</strong>zelhofgang, Redeverbot mit Mitgefangenen, permanente Verlegungen,Arreststrafen, Beobachtungszelle, Briefzensur, Unterschlagung von Briefen, Büchern,Zeitschriften, die Maßnahmen, mit denen sie physisch fertiggemacht werden:grelle Zellenbeleuchtung nachts, häufiges Wecken und Durchsuchen Fesselungbeim Hofgang, körperliche Mißhandlungen - das s<strong>in</strong>d nicht die Schikanenvon kle<strong>in</strong>en, frustrierten Gefängniswärtern, das s<strong>in</strong>d Buddenbergs Anordnungen,um die Gefangenen zur Aussage zu erpressen, Das ist der bereits <strong>in</strong>stitutionalisierteFaschismus <strong>in</strong> der Justiz, Das ist der Anfang von Folter eH)'"4 RAF, a. a, 0" S, 450: "Gestem, am Freitag den 19, Mai um 15 Uhr 55 s<strong>in</strong>dzwei Bomben im Spr<strong>in</strong>gerhochhaus <strong>in</strong> Hamburg explodiert, Weil trotz rechtzeitigerund e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glicher Warnungen das Haus nicht geräumt worden ist, s<strong>in</strong>d dabei17 Menschen verletzt worden, Um 15 Uhr 29 ist unter der Nummer 3471 die ersteWarnung durchgegeben worden mit der Aufforderung, das Haus wegen Bombenalarmb<strong>in</strong>nen 15 M<strong>in</strong>uten zu räumen, Die Antwort war: Hören Sie auf mit demBlöds<strong>in</strong>n, Es wurde aufgelegt Zweiter Anruf um 15 Uhr 31: Wenn Sie nicht soforträumen, passiert etwas Fürchterliches, Aber die Telefonist<strong>in</strong>nen hatten offenbarAnweisung, solche Anrufe nicht zu beachten, Der dritte Anruf um 15 Uhr 36 g<strong>in</strong>gan die Bullen: Sorgen Sie, verdammt nochmal, dafür, daß endlich geräumt wird,Weil der Spr<strong>in</strong>gerkonzern die Tatsache, daß er gewarnt worden ist, nicht unterschlagenkann, verdreht er die Nachricht: Es sei nur e<strong>in</strong> Anruf gewesen und der seizu spät gekommen, Zwei Telefonist<strong>in</strong>nen und die Bullen können bestätigen daßdie Spr<strong>in</strong>gerpresse e<strong>in</strong>mal mehr lügt Spr<strong>in</strong>ger g<strong>in</strong>g lieber das Risikoe<strong>in</strong>, daß se<strong>in</strong>eArbeiter und Angestellten durch Bomben verletzt werden als das Risiko, e<strong>in</strong> paarStunden Arbeitszeit, also Profit durch Fehlalarm zu verlieren, Für die Kapitalistenist der Profit alles, s<strong>in</strong>d die Menschen, die ihn schaffen, Dreck - Wir bedauern,daß Arbeiter und Angestellte verletzt worden s<strong>in</strong>d,"5 Nicht veröffentlicht6 RAF, a, a, 0" S, 503-5057 Peter Brückner, UlrikeMe<strong>in</strong>hof und die deutschen Verhältnisse, Wagenbach,Berl<strong>in</strong> 1977, S, 154,Kapitel 111 Th, Kle<strong>in</strong>knecht, Strafprozeßordnung mit GVG und Nebengesetze, C H,Beck, München 1975; Anm. 5 zu § 74a GVG,2 Ebenda, Anm 3 zu § 74a GVG3 Ausschluß der Verteidiger - wie und warum?; Merve Arbeitspapiere NL 17,Berl<strong>in</strong> 1975; S. 57,5464 Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetzmit Nebengesetzen, Groß-Kommentar, Berl<strong>in</strong> 1973; Anm, 3a zu § 74a GVG;Anm, zu § 120 Abs, 1 GVG,5 So ist das OLG Hamburg zuständig für Hamburg und Bremen, das OLGKoblenz für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz und Saarland,6 BGBll, S, 7397 Carl Nedelmann, Die Gewalt des politischen Staatsschutzes und ihre Instanzen,<strong>in</strong>: G, Schäfer/C Nedelmann (Hg,), Der CDU-Staat, Bd, 1, Frankfurt 1969,S, 75: "Se<strong>in</strong>e Entscheidungen haben faktisch Gesetzeskraft, denn er besitzt e<strong>in</strong>Rechtsprechungsmonopol, das <strong>in</strong> der übrigen Strafjustiz ohne Beispiel ist", VgLDiether Posser, Erfahrungen aus Vorverfahren, Hauptverhandlungen und Strafvollzugbei politischen überzeugungstätern, <strong>in</strong>: Veröffentlichung der L Arbeitstagungdes erweiterten Initiativ-Ausschusses für die Amnestie und der Verteidiger <strong>in</strong>politischen <strong>Strafsachen</strong>, verantw, Walter Ammann, Heidelberg 1957,8 Löwe-Rosenberg, a, a, 0" Anm 2 zu § 120 Abs, 1 GVG: "Praktisch zw<strong>in</strong>gtder der Zuständigkeitskonzentration zugrunde liegende Gedanke, daß Richter mitbesonderer Sachkunde und breiter Erfahrung auf dem Gebiet der Staatsschutzstrafsachenzur Aburteilung zur Verfügung stehen sollen, auch zu e<strong>in</strong>er Konzentrationim Wege der Geschäftsverteilung",9 Ebenda,10 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar, 1960; Anm 4 zu § 74a GVG,11 Ludwig Mart<strong>in</strong>, Zur allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es zweiten Rechtszugs <strong>in</strong>Staatsschutzstrafsachen, NJW 1969, S, 713 ff, (718),12 Mart<strong>in</strong>, a, a, 0" S, 71813 Kle<strong>in</strong>knecht, a, a, 0, •14 Niederlande: Artikel 17 Grundgesetz; BRD: Artikel 101 Abs, 1 GG Lv'mArtikel 16 GVG; E Schmidt, a, a, 0" Anm, 3 zu § 16 GVG: "Der Kampf um dengesetzlichen Richter richtet sich ja gerade dagegen, daß nach der Tatbegehungunter Umgehung der ordentlichen Zuständigkeitsregelung <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf <strong>in</strong>dividuelleBesonderheiten der Tat oder des Angeklagten durch Exekutivordnung adhoc die Spruchkörper überhaupt <strong>in</strong> ihrer konkreten Zusammensetzung gebildetwerden; denn erfahrungsgemäß s<strong>in</strong>d solche ad hoc gebildeten Spruch körperdem sie bildenden Exekutivorgan willfährig", - VgL Kühnert, Recht und Gesellschaft,1971/1972, S, 322,15 Kle<strong>in</strong>knecht, a, a, 0" Anm. 2 zu § 169 StPO16 Auch der damalige Präsident des BGH, Fischer, nahm - wenn zum Teilauch aus anderen Gründen - scharf Stellung gegen die Verteilung der richterlichenZuständigkeit <strong>in</strong> Staatsschutzsachen der ersten Instanz (NJW 1969, S, 445ff),17 § 162 Abs, 3 StPO: "Der Richter hat zu prüfen, ob die beantragte Handlungnach den Umständen des Falles gesetzlich zulässig ist",18 Mart<strong>in</strong>, a, a, 0" S. 715-71719 Bundesanwalt Kohlhaas (Zulässigkeit, Brauchbarkeit und Preisgabe vertraulicherGewährsleute im Strafverfahren, JR 1957, S, 42): "über die Problematikder agent provokateur soll hier genau so wenig gesprochen werden, wie e<strong>in</strong>eKritikan gewissen Methoden ausgedrückt werden soll, Daß es V-Männer, untergetauchtePolizeibeamte, Agenten, Doppelagenten usw, gibt, muß h<strong>in</strong>genommenwerden",547


-........••,-....--...-•..•....20 BVerfGE 8, 174, 18221 BGHSt 13, 37922 P. H. Bakker Schut, Politieke Justitie <strong>in</strong> de BRD, <strong>in</strong> NJB 1975 S. 203 ff.(207). '23 C. F. Rüter, Een "Lex Baader-Me<strong>in</strong>hof", <strong>in</strong> Delikt en Del<strong>in</strong>kwent, 1975, S.329.24 Wolfgang Idel, Die Sondergerichte für politische <strong>Strafsachen</strong>, Diss. Freiburg1935, S. 39 bzw. 36; Idel war nach 1945 Landgerichtsdirektor <strong>in</strong> Düsseldorf(Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher <strong>in</strong> der BRD, Berl<strong>in</strong> 1965, S. 111).25 Crohne, Deutsche Justiz, Jg. 1933, S. 384.26 Deutscher Bundestag, Verhandlungen,!. Wahlperiode, 1949, StenografischerBericht, Bd. 8, Sitzung 158, S. 6303.27 Von Brünneck, <strong>Politische</strong> Justiz gegen Kommunisten <strong>in</strong> der BundesrepublikDeutschland 1949-1968, Suhrkamp, Frankfurt 1978. - Siehe zur Funktion derAnwendung von § 129 StGB <strong>in</strong> dieser Bekämpfung auch: Rote Hilfe Nr. 1, Dez.71; gekürzter Nachdruck daraus <strong>in</strong>: Rote Robe, Jg. 3, Nr. 1 (1972), Heidelberg.28 Werner Johe, Die gleichgeschaltete Justiz, EVA,Frankfurt 1967, S. 8229 Von Weber, MDR 1951, S. 64530 Johe, a. a. 0., S. 10631 § 3 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, RGBL I, S.188: "Personen, die sich im kommunistischen S<strong>in</strong>ne betätigt haben, s<strong>in</strong>d von derZulassung zur Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen. Bereits erteilte Zulassungens<strong>in</strong>d zurückzunehmen".32 Verordnung vom 20. Juli 1933: "Die <strong>Verteidigung</strong> oder Vertretung vonAngehörigen der kommunistischen Partei ist nur dann als Betätigung im kommunistischenS<strong>in</strong>ne anzusehen, wenn dies nach den besonderen Verhältnissen,<strong>in</strong>sbesondere der Häufigkeit derartiger <strong>Verteidigung</strong> oder Vertretung, der Art ihrerFührung oder den Umständen, unter denen die <strong>Verteidigung</strong> oder Vertretungübernommen wurde, gerechtfertigt ist".33 Erw<strong>in</strong> Noack, Kommentar zur Reichs-Rechtsanwaltsordnung <strong>in</strong> der Fassungvom 21.2.36, Leipzig 1937, § 1 Anm. 2 C.34 So Prof. Ehmke (SPD), als Kanzleramtsm<strong>in</strong>ister zuständig für die Koord<strong>in</strong>ationder Geheimdienste, am 7. Juni 1972 im Bundestag.35 Das BKA ist sozusagen der hauseigene Ermittlungs- und Geheimdienstapparatdes Generalbundesanwalts. Vgl.auch § 4 IIINr. 3, § 7 des Gesetzes über dieE<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Bundeskrim<strong>in</strong>alpolizeiamtes vom 29.6.73 (BGBL I 704, III21901); Änderungsgesetz vom 19.12.74 (BGBL I 3393); Sartorius I Nr. 450.36 Bei e<strong>in</strong>er nicht-<strong>in</strong>haltlichen Änderung des § 81 StGB <strong>in</strong> 1974 wurden dieWörter "wegen Hochverrats gegen den Bund" vor "mit lebenslanger Freiheitsstrafe"gestrichen.37 Dreher, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen und Verordnungen, C. H.Beck, München 1977, Anm. 6 und 7 zu § 81 StGB; weitere Jurisprudenz undLiteratur dort angegeben.38 a. a. 0., Anm. 8 zu § 81 StGB39 Ebenda, Anm. 2 zu § 83 StGB40 Ebenda, Anm. 3 zu § 83 StGB41 So der BGH (LMNr. 1); Zitat nach Dreher, a. a. 0., Anm. 4 zu § 83 StGB.42 Beschluß des Landgerichts Kaiserslautern vom 12.12.74, Az. 1 AK 34/74,<strong>in</strong> der Strafsache gegen Klaus Jünschke u. a., s. Fotokopie der zitierten Stellen <strong>in</strong>den <strong>Stammheim</strong>er Protokollen S. 11733 u. 11734.43 Joachim Wagner, Terrorismus, Hochverrat und Abhörgesetz, NJW 1980, S.914.44 BGHSt 7, 11 ff = NJW 1955, 110.45 Friedrich-Christian Schröder, Moabiter Landrecht oder Hamburger juristischeSpökenkiekerei?, NJW 1980, S. 920.46 Schröder, a. a. O.47 Ebenda, S. 92148 Mart<strong>in</strong>, Juristenzeitung 1975, S. 31349 G.P.M.F. Mols, Strafbare samenspann<strong>in</strong>g - een rechtshistorisch en rechtsvergelykendonderzoek (diss), Gouda Qu<strong>in</strong>t, Arnhem 1982, S. 108-142.50 Notes: Development <strong>in</strong> the law - Crim<strong>in</strong>al Conspiracy, Harvard LawReview, 1959, S. 920-1008.51 L. Hand, Harrison vs. USA, 7 F. 2d 259,263 (2d Cir. 1925).52 Notes: The Conspiracy Dilemma: Prosecution of Group Crime or Protectionof Individual Defendants, Harvard Law Review, 1948, S. 277.53 Abraham S. Goldste<strong>in</strong>, Conspiracy to Defraud the United States, The YaleLaw Journal, 1959, S. 409.54 Philip E. Johnston, The Unnecessary Crime of Conspiracy, California LawReview, 1973, S. 1139.55 Mols, a. a. 0., S. 1O~10756 Siehe Anmerkung 3857 "Der Spiegel" Nr. 19/1977 zum Urteil des OLG Stuttgart gegen "Baaderu. a.": ,,(...)Zu den Sprengstoffanschlägen <strong>in</strong> Frankfurt und Heidelberg (vierTote)hatten sich die <strong>Stammheim</strong>er drei sogar selber bekannt - allerd<strong>in</strong>gs auf ihre Art:durch 'Übernahme der politischen Verantwortung'. Was die Ankläger darüberh<strong>in</strong>aus als Beweismaterial präsentierten, war nicht viel mehr, als schon <strong>in</strong> derAnklageschrift stand - ausreichend für den e<strong>in</strong>deutigen Nachweis, daß die langeLatte schwerer Straftaten zum<strong>in</strong>dest pauschal auf BM-Konto geht. Doch werjeweils wo, auf welche Weise und durch welchen konkreten Tatbeitrag an welchenVerbrechen beteiligt war oder auch nicht, stand schon damals nicht imPapier und blieb bis zum Schluß noch weitgehend im dunkeln. 'Unser Rechtkennt ke<strong>in</strong>e Kollektivschuld', notierte auch die lokale Stuttgarter Zeitung, 'jedeme<strong>in</strong>zelnen muß se<strong>in</strong>e Tatbeteiligung nachgewiesen werden'. Doch <strong>Stammheim</strong>blieb eben e<strong>in</strong> Sonderfall (... ) Das '<strong>Stammheim</strong>er Landrecht', wie die StuttgarterArt des eher großflächigen Schuldnachweises bespöttelt wurde, legte mitunterden E<strong>in</strong>druck nahe, als verführen die Richter hier nach der Devise 'Augen zu unddurch' (...)".58 Die Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe, Walter de Gruyter, Berl<strong>in</strong> 1973, S. 29 ff.; hierbegründet Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Genscher auch die Benutzung des seit Mai 1970offiziell für die Fahndung nach der RAF benutzten Begriff "Baader-Me<strong>in</strong>hof­Bande"; Helmut Schmidt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Regierungserklärung vom 31.3.75: "Dieseund andere Vorkehrungen haben damals zur Festnahme des sogenannten hartenKerns der Baader Me<strong>in</strong>hof-Terroristen geführt", Deutscher Bundestag, StenografischerBericht, 155. Sitzung, 13.3.75, S. 10733.59 Wagner, a. a. 0., S. 91460 Dr. Posser, SPD-Justizm<strong>in</strong>ister von Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, <strong>in</strong> "Der Spiegel"548549


--~~ ..vom 24.1. 72: "Der Weg der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe führt von sche<strong>in</strong>-revolutionärenPhrasen über e<strong>in</strong>en bl<strong>in</strong>den Aktionismus <strong>in</strong> die - mühsam, aber vergeblichpolitisch frisierte - Krim<strong>in</strong>alität,,; Generalstaatsanwalt Günther We<strong>in</strong>mann vonBaden-Württemberg betont <strong>in</strong> "Die Polizei-Zeitung Baden-Württemberg", April1974, daß "wir es hier nicht mit e<strong>in</strong>em politischen Prozeß zu tun haben werden,sondern daß es um re<strong>in</strong> krim<strong>in</strong>elle Handlungen geht". We<strong>in</strong>mann zufolge solltedas auch <strong>in</strong> der Öffentlichkeit im Rahmen e<strong>in</strong>er aktiven Medienpolitik immerwieder klargestellt werden, um "Akzentverschiebungen" <strong>in</strong> der Beurteilung desBaader-Me<strong>in</strong>hof-Komplexes zu verh<strong>in</strong>dern. - Helmut Schmidt, Regierungserklärungvom 133.75, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 155. Sitzung,133.75, S. 10737: "Dies muß auch denjenigen gesagt werden, die es ja auch gibt- es s<strong>in</strong>d nicht so ganz viele Menschen <strong>in</strong> unserem Lande - die immer nochglauben, daß die Terroristen eigentlich e<strong>in</strong>en politischen Anspruch erheben könnten,daß sie leider nur die falschen Mittelwählten. Es muß Schluß se<strong>in</strong> mit solcherArt von versteckter Sympathie. Wer da liebäugelt, macht sich mitschuldig".61 Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Genscher laut "Süddeutsche Zeitung" vom 15.2.71.62 Z.n.: Kurt Groenewold, Angeklagt als Verteidiger, Attica, Hamburg 1978, S.19-20. - Horst Herold, Präsident des BKA, im "Stern" Nr 27/1972, S. 132, aufdie Frage, ob "das Problem Baader-Me<strong>in</strong>hof" gelöst sei, wenn alle Mitglieder derGruppe festgenommen wären: "Ne<strong>in</strong>, wir haben es hier mit e<strong>in</strong>em gesellschaftspolitischenProblem zu tun. Wir müssen dem Anarchismus den Boden entziehen.Und dies wird nur dann gel<strong>in</strong>gen, wenn längst fällige Reformen <strong>in</strong> der BRDdurchgesetzt werden. Wenn die Revolution <strong>in</strong> nächster Zeit nicht von obenkommt, dann kommt sie mit Sicherheit <strong>in</strong> nächster Zeit von unten".63 Z.n.: Groenewold, a. a. 0., S. 2064 Keppl<strong>in</strong>ger, Die Sympathisanten der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe, Kölner Zeitschriftfür Soziologie und Sozialpsychologie, Nr 4/1974; Institut für Demoskopie,Allensbach, Bericht Nr 18/1971.65 CDU-Abgeordneter Carl Carstens, Bundestagsdebatte vom 25.4. 75: Eskomme darauf an, "e<strong>in</strong>e scharfe, unzweideutige, klare Trennung zwischen denMitgliedern dieser Bande und der gesamten übrigen Bevölkerung" zu ziehen. ­Bundeskanzler Schmidt, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 155.Sitzung, 13.3.75, S. 10733: "Es kommt - ich spreche es aus - auf<strong>in</strong>filtration <strong>in</strong> dieSympathisantengruppen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> an". - BKA-Präsident Horst Herold im Januar1972 während der Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterkonferenz (vgL Anmerkungen123-126): "Aktionen gegen die RAF müssen immer so abgewickelt werden, daßSympathisantenpositionen abgedrückt werden".66 Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention. - Art. 84 Abs. 2der UN-Standard M<strong>in</strong>imum Rules for the Treatment of Prisoners: "Unconvictedprisoners are presumed to be <strong>in</strong>nocent and shall be treated as such".67 Art. 1 Abs. 1 GG: "Die Würde des Menschen ist unantastbar Sie zu achtenund zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt"; Art. 104 Abs. 1 GG:"Die Freiheit der Person kann nur aufgrund e<strong>in</strong>es Gesetzes und unter Beachtungder dar<strong>in</strong> vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personendürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden".68 § 119 StPO: L Der Verhaftete darf nicht mit anderen Gefangenen <strong>in</strong>demselben Raum untergebracht werden. Er ist auch sonst von Strafgefangenen,soweit möglich, getrennt zu halten. 11. Mit anderen Untersuchungsgefangenen550darf er <strong>in</strong> demselben Raum untergebracht werden, wenn er es ausdrücklichschriftlich beantragt. Der Antrag kann jederzeit <strong>in</strong> gleicher Weise zurückgenommenwerden. Der Verhaftete darf auch dann mit anderen Gefangenen <strong>in</strong>demselben Raum untergebracht werden, wenn se<strong>in</strong> körperlicher oder geistigerZustand es erfordert. IIL Dem Verhafteten dürfen nur solche Beschränkungenauferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung <strong>in</strong>der Vollzugsanstalt erfordert. IV Bequemlichkeiten und Beschäftigungen darfer sich auf se<strong>in</strong>e Kosten verschaffen, soweit sie mit dem Zweck der Haft vere<strong>in</strong>bars<strong>in</strong>d und nicht die Ordnung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt stören. V Der Verhaftetedarf gefesselt werden, wenn 1. die Gefahr besteht, daß er Gewalt gegenPersonen oder Sachen anwendet, oder wenn er Widerstand leistet, 2. erzu fliehen versucht oder wenn bei Würdigung der Umstände des E<strong>in</strong>zelfalles,namentlich der Verhältnisse des Beschuldigten und der Umstände, die e<strong>in</strong>erFlucht entgegenstehen, die Gefahr besteht, daß er sich aus dem Gewahrsambefreien wird, 3. die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstbeschädigungbesteht und wenn die Gefahr durch ke<strong>in</strong>e andere, weniger e<strong>in</strong>schneidendeMaßnahme abgewendet werden kann. Bei der Hauptverhandlung soll er ungefesseltse<strong>in</strong>. VI. Die nach diesen Vorschriften erforderlichen Maßnahmenordnet der Richter an. In dr<strong>in</strong>genden Fällen kann der Staatsanwalt, der Anstaltsleiteroder e<strong>in</strong> anderer Beamter, unter dessen Aufsicht der Verhaftetesteht, vorläufige Maßnahmen treffen. Sie bedürfen der Genehmigung desRichters.69 Theodor Grunau, Kommentar zur Untersuchungshaftvollzugsordnung(UVollzO), Carl Heymanns, 1972, S. 22; der <strong>in</strong>zwischen veraltete Kommentargalt <strong>in</strong> der Zeit der Inhaftierung von "Baader u. a." als Standardwerk70 Die Untersuchungshaftvollzugsordnung kam zustande als Vere<strong>in</strong>barungzwischen den Justizm<strong>in</strong>istern der Länder und ist folglich ke<strong>in</strong> Bundesgesetz. Sietrat am 1.5.53 <strong>in</strong> Kraftals Richtl<strong>in</strong>iefür richterliche Beschlüsse über die Gestaltungder U-Haft. Am 1. Januar 1966 wurde die Verordnung erheblich abgeändert ­Grunau, a. a. 0., S. V, VI, 21 ff., Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1 zu § 119 StPO.71 BVerfG, NJW 74, S. 26, 27; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 4 zu § 119 StPO.72 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm 2 zu § 58 GVG.73 § 125, 126 StPO iVm § 162, 169StPO. -Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1 zu§ 125 StPO, Anm 1 zu § 126 StPO, Anm 3 zu § 162 StPO, Anm 1-5 zu § 169StPO; aus Anm. 4 zu § 169 StPO: "Der Ermittlungsrichter des AG (§162) wirdnach dem S<strong>in</strong>n des § 169 im allgeme<strong>in</strong>en nur e<strong>in</strong>geschaltet, wenn zur Ausführungdes Ersuchens ke<strong>in</strong>e besondere Erfahrung <strong>in</strong> Staatsschutzsachen notwendig ist".74 Kursbuch 32, Folter <strong>in</strong> der BRD, Zur Situation der politischen Gefangenen,Hsg. Hans Magnus Enzensberger/Karl Markus Michel, Kursbuch, Berl<strong>in</strong> 1973.75 Ausführliche Dokumentation <strong>in</strong> Kursbuch 32, a. a. 0., S. 12 ff.; He<strong>in</strong>richHannover, Klassenherrschaft und <strong>Politische</strong> Justiz, VSA, Hamburg 1978, S. 22ff.; Hannover spricht hier von "terroristischen Haftbed<strong>in</strong>gungen".76 Grunau, a. a. 0., S. 131-13377 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 25, 2678 Ebenda, S. 32, 3379 Ebenda, S. 3180 Spiegel-Gespräch "Der Rechtsstaat auf dem Hackklotz", <strong>in</strong> "Der Spiegel" 8/551


76: " Wir s<strong>in</strong>d auch nicht erst durch die Arzte dazu gebracht worden, Hafterleichterungenzu schaffen" (Hervorhebung - BS).81 Dokumentation: Vorbereitung der RAF-Prozesse durch Presse, Polizei undJustiz, Rote Hilfe Berl<strong>in</strong>, 1972, S. 62-66. Die Rote Hilfe von 1972 war e<strong>in</strong>e nichtparteigebundene l<strong>in</strong>ke Organisation mit Arbeitsgruppen <strong>in</strong> fast allen größerenStädten. Jura-Studenten, ehemalige Gefangene und Intellektuelle halfen - nichtnur politischen - Gefangenen mit Lebensmittel- und Büchersendungen, Zeitungsabonnementsund Öffentlichkeitsarbeit z. B. über ihre Verfahren und Haftbed<strong>in</strong>gungen.82 § 336 StGB: "E<strong>in</strong> Richter, e<strong>in</strong> anderer Amtsträger oder e<strong>in</strong> Schiedsrichter,welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung e<strong>in</strong>er Rechtssache zugunsten oderzum Nachteil e<strong>in</strong>er Partei e<strong>in</strong>er Beugung des Rechts schuldig macht, wird mitFreiheitsstrafe von e<strong>in</strong>em Jahr bis zu fünf Jahren bestraft". Auch wurde Anzeigeerstattet wegen § 340 StGB (Körperverletzung im Amt), § 239 StGB (Freiheitsberaubung)und § 343 StGB (Aussagenerpressung).83 Am 27.4.72 berichtete die FR über das Strafverfahren gegen e<strong>in</strong>en HamburgerHafenarbeiter. In e<strong>in</strong>em Brief an den Polizeipräsidenten von Hamburghatte er die Ereignisse auf der Pressekonferenz mit Gestapomethoden verglichen.Wegen Beleidigung der Polizei wurde er zu 150 DM Geldstrafe verurteilt. - Überdie Pressekonferenz berichtete die FR,,(. ..) Diese junge Frau war nach ihrerFestnahme im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>er Schießerei mit der Baader-Me<strong>in</strong>hof­Gruppe (bei der e<strong>in</strong> Polizeibeamter erschossen worden war) gewaltsam vor e<strong>in</strong>ePressekonferenz gezerrt worden. Fernsehkameras filmten den Vorgang, undabends zeigte die ARD-Tagesschau die pe<strong>in</strong>liche Vorführszene mit der sich wehrendenGefangenen <strong>in</strong> aller Deutlichkeit... Der Hamburger Sozialdemokrat undPublizist Achim von Borries nannte die Vorführung der Student<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emoffenen Brief e<strong>in</strong>en 'eklatanten Verstoß gegen Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit'."84 § 119 Abs. 1 Satz 2 StPO, ausgearbeitet <strong>in</strong> Nr. 22 und 23 der UVollzO;Vgl.Grunau, a. a. 0., S. 58-63; konform mit Artikel 85 der UN-Standard M<strong>in</strong>imumRules.85 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 2 zu § 119 StPO: "Das ist als Vorzug gedacht,den der Strafgefangene nicht hat. Der 'Raum' <strong>in</strong> I S. 1 ist die Wohnzelle. S. 2('auch sonst') bezieht sich auf die Wohnzelle und den Tagesablauf". Konform mitArtikel 86 der UN-Standard M<strong>in</strong>imum Rules.86 UVollzONr. 2287 Grunau, a. a. 0., Anm. 6 zu Nr. 22 UVollzO:"Dafür, daß die Haftgewohntennicht mit erstmalig Inhaftierten, gefährliche oder gewalttätige Gefangene nichtmit harmlosen, möglicherweise geistigGestörte nicht mit geistigGesunden zusammengelegtund Homosexuelle überhaupt <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelhaft gehalten werden, trägt (...)die Vollzugsgeschäftsstelle die Verantwortung (...)".88 Grunau, a. a. 0., S. 111-112, 122-12489 Ebenda, Anm. 2 zu Nr. 60 UVollzO90 Ebenda, Anm. 1 zu Nr. 60 UVollzO91 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 20, 23-2592 Ebenda, S. 18-2093 <strong>Politische</strong> Prozesse ohne <strong>Verteidigung</strong>?, Wagenbach, Berl<strong>in</strong> 1976, S. 29.94 "Die Untersuchungsgefangene Me<strong>in</strong>hof wurde am 16. Juni 1972 ausSicherheitsgründen <strong>in</strong> dem von der Untersuchungsgefangenen Proll geräumtenHaftraum <strong>in</strong> der Psychiatrischen Untersuchungsabteilung für weibliche Gefangeneuntergebracht". So Justizm<strong>in</strong>ister Posser am 18.2.74 im Landtag von Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen,zitiert nach: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, Hsg. Komiteesgegen Folter an politischen Gefangenen <strong>in</strong> der BRD, 1975, S. 177, 183, 184.95 Ebenda, S. 17796 Peter Brückner, Ulrike Me<strong>in</strong>hof und die deutschen Verhältnisse, Wagenbach,Berl<strong>in</strong> 1975, S. 154, 155. - Mit "Mandant<strong>in</strong>nen" me<strong>in</strong>t Preuss UlrikeMe<strong>in</strong>hof und Astrid Proll. Der Brief von Preuss ist auch veröffentlicht <strong>in</strong>: DerKampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 168-174.97 "Die Zellenwände und das Mobilar (...) s<strong>in</strong>d aus hygienischen Gründen hellgestrichen", so Oberstaatsanwalt Eulencamp, Köln, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aktenvermerk vom28.3.74 zu e<strong>in</strong>er Anzeige von Preuss gegen Posser und Bücker (Anstaltsleiter <strong>in</strong>Köln-Ossendorf) wegen Mißhandlung; zitiertnach: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft,a. a. 0., S. 179.98 "Es trifftzu, daß die Fenster von außen mit 'Fliegendraht' bespannt s<strong>in</strong>d";aus e<strong>in</strong>em Bericht des Anstaltsleiters Bücker vom 27.8. 73, zitiertnach: Der Kampfgegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 179.99 "Die Anordnung der Anstaltsleitung, die Zellenbeleuchtung nachts durchgehendbrennen zu lassen, beruhte auf der Erwägung, e<strong>in</strong>e jederzeitige Beobachtungder Gefangenen zu gewährleisten. Diese war erforderlich, um der bei derGefangenen Me<strong>in</strong>hof <strong>in</strong> besonders starkem Maße gegebenen Fluchtgefahr wirksambegegnen zu können"; Bericht des Oberstaatsanwalts Eulencamp, zitiertnach: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 176.100 "Außerdem ist die Zelle zu kalt"; aus e<strong>in</strong>em Bericht des GefängnisarztesAllies vom 23.1. 73 an die Anstaltsleitung, zitiert nach: Der Kampf gegen dieVernichtungshaft, a. a. 0., S. 179.101 Mehr darüber Kap. IV, 4.2.102 Die Verordnung ist vollständig abgedruckt <strong>in</strong>: Der Kampf gegen dieVernichtungshaft, a. a. 0., S. 65.103 Grunau, a. a. 0., Anm. 1 zu Nr. 21 UVollzO104 Ebenda, Anm. 1 zu Nr. 21 UVollzO105 Ebenda, Anm. 1 zu Nr. 6 UVollzO: "Bemerkenswert ist die (die VorschriftNr. 6 - BS) vor allem, weil sie feststellt, daß dem Richter e<strong>in</strong>e Aufgabe dervollziehenden Gewalt obliegt".106 Ebenda, Anm. 2 zu Nr. 8 UVollzO107 Ebenda, S. 64-93108 Ebenda, S. 97-102109 Ebenda, Anm. 2 zu Nr. 25 UVollzO110 Ebenda, Anm. 2 zu Nr. 27 UVollzO111 Ebenda, Anm. 2 zu Nr. 28 UVollzO112 Ebenda, Anm. 3 zu Nr. 31 UVollzO und Anm. 1-4 zu Nr. 34 UVollzO;Grunau bestreitet die Me<strong>in</strong>ung Baumanns (DRiZ 59, 379), die Ordnung <strong>in</strong> derAnstalt könne durch Briefe nicht gestört werden, und behauptet, "daß unwahreoder grob übertriebene Mitteilungen <strong>in</strong> ausgehenden Briefen über Vorkommnisseoder Verhältnisse <strong>in</strong> der Anstalt e<strong>in</strong>e auf das Leben <strong>in</strong> der Anstalt zurückstrahlendeBeunruhigung der Öffentlichkeit verursachen können". Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>gehender Postkönnten "ebenfalls alarmierende Nachrichten, die den Anstaltsbetrieb betreffen,552553


mitgeteilt werden oder Geldnoten enthalten se<strong>in</strong>, mit deren Besitz ernstlicheStörungen der Ordnung <strong>in</strong> der Anstalt bewirkt werden können".113 z. B. Erklärung der Mutter des RAF-MitgliedsManfred Grashof (<strong>in</strong>haftiertseit dem 3.3.72) auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 7.4.74 <strong>in</strong> Düsseldorf; zitiert nach:Der Kampf gegen die Vernichtungs haft, a. a. 0., S. 206-207.114 Das Gutachten von Prof. Witter ist näher analysiert <strong>in</strong>: Ulrike Me<strong>in</strong>hof e<strong>in</strong>Selbstmord?, Antifaschistisches Komitee, Marburg 1976, S. 13-19; an mehrerenStellen bezieht sich das Gutachten unmittelbar auf "Vermerke, die von denüberwachenden Justizbeamten über diese Gespräche niedergelegt wurden ..." (S.22 des Gutachtens).115 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 51-67: Hier wird die politische Zensur vonPostsendungen an und von politische(n) Gefangene(n) anhand 16 richterlicherBeschlüsse dokumentiert.116 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 56117 Nach § 94 StPO ist die Beschlagnahmung von Gegenständen, die alsBeweismittel für die Untersuchung von Bedeutung se<strong>in</strong> können, zulässig. Nach §98 StPO dürfen Beschlagnahmungen nur von e<strong>in</strong>em Richter angeordnet werden.Die e<strong>in</strong>zige Ausnahme: bei "Gefahr im Verzuge" können auch die Staatsanwaltschaftund ihre Hilfsbeamten (die Polizei;vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1-5 zu §152 GVG) beschlagnahmen; der Betroffene kann aber jederzeit e<strong>in</strong>e richterlicheEntscheidung beantragen.118 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 53; es geht um e<strong>in</strong>en Briefvon BrigitteAsdonk anMonika Berberich (beide am 8.10.70 wegen Verdachts der Beteiligung an e<strong>in</strong>erkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung und an e<strong>in</strong>em Bankraub verhaftet).119 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 55120 Ebenda, S. 65121 Ebenda, S. 74122 siehe auch: Frank Rühmann, Anwaltsverfolgung <strong>in</strong> der Bundesrepublik1971-1976, Neue Politik, Hamburg 1977, S. 12-25.123 Am 27.1. 72 berichtete BKA-Präsident Herold vor der Konferenz derInnenm<strong>in</strong>ister der Länder über Verteidiger <strong>in</strong> §-129-Verfahren. Bruno Merk,Innenm<strong>in</strong>ister von Bayern, berichtet über diese Konferenz (anläßlich der Bundestagsdebattevom 13.3.75 über die Entführung des CDU-Politikers Lorenz): "Inder Innenm<strong>in</strong>isterkonferenz vom Januar 1972 wurde das Bundeskrim<strong>in</strong>alamtnoch deutlicher und stellte fest, daß die Kommunikation <strong>in</strong>nerhalb der Bande undmit Dritten weitgehend von l<strong>in</strong>ksradikalen Anwälten vermittelt und getragen wird.Er hat z. B. festgestellt, daß sie Zeugen präparieren, den Transport von Gegenständenübernehmen, die der Ausübung von Straftaten dienen, Nachrichten ausden Gefängnissen transportieren, Kassiber vermitteln, Nachrichten über Polizeibeamteund Richter sammeln usw."; Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht,13.3.75, S. 1075310754.124 Der Wortlaut ist zum Teil identisch mit dem Bericht von Merk am 13.3.75im Bundestag, s. Anmerkung 123.125 Herolds Referat sickerte zu e<strong>in</strong>em günstigen Zeitpunkt aus der Innenm<strong>in</strong>isterkonferenz<strong>in</strong> "Bild am Sonntag" durch. BKA und Innenm<strong>in</strong>ister hatten imJanuar auch darüber beraten, wann e<strong>in</strong>e Großfahndung nach RAF-Mitgliederns<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong> könnte. Genscher zufolge schien der Januar nicht dazu geeignet zuse<strong>in</strong>, denn "diese öffentliche Fahndung müsse vielmehr, um ausreichende Beach-tung zu f<strong>in</strong>den, an e<strong>in</strong> spektakuläres Ereignis angeknüpft werden" (DeutscherBundestag, Stenografischer Bericht, 13.3.75, S. 10758). Das "spektakuläre Ereignis"der Mai-Offensive der RAF 1972 wurde dann als Anlaß für die ersteGroßfahndung genommen; später, im November 1974, wurde die "Aktion W<strong>in</strong>terreise"(s. Kapitel V, 1) mit der Erschießung des Berl<strong>in</strong>er Richters von Drenckmannbegründet.126 In der Bundestagsdebatte am 13.3.75 bestätigt der ehemalige Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterGenscher, daß Merk "den Bericht zitiert (hat), den Herr PräsidentHerold vor der Innenm<strong>in</strong>isterkonferenz der Länder über Kontakte und überBewegungsmöglichkeiten der <strong>in</strong> Untersuchungshaft bef<strong>in</strong>dlichen Angehörigender Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande gegeben hat" (Deutscher Bundestag, StenografischerBericht, 13.3.75, S. 10759).127 Vgl. He<strong>in</strong>rich Hannover, Strafanzeige gegen Spr<strong>in</strong>ger wegen Volksverhetzung,KritischeJustiz, 1972, S. 278 ff., e<strong>in</strong>e ausführliche Dokumentation über dieHetzkampagne der Spr<strong>in</strong>ger-Presse gegen l<strong>in</strong>ke Anwälte; siehe auch: Rühmann,a.a.O.128 Vgl. Hannover, Ausschließung von Verteidigern wegen Teilnahmeverdachts,Kritische Justiz, 1974, S. 135 ff. (140).129 Vgl. Hannover, Kritische Justiz, 1972, S. 278 ff.130 "Presseerklärung: Strafanzeige gegen Generalbundesanwalt Ludwig Mart<strong>in</strong>.Was sich Generalbundesanwalt Mart<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>er Presseerklärung über dieTätigkeiten von Anwaltskollektiven und ihre 'organisatorischen Zusammenhänge'mit der RAF geleistet hat, ist e<strong>in</strong>e böswillige Verleumdung und nichts anderesals e<strong>in</strong>e bereitwillige Erfüllung der Verfolgungsforderungen der Spr<strong>in</strong>ger-Presse.Se<strong>in</strong>e Denunziation ist zugleich e<strong>in</strong>e Vorwärtsverteidigung gegen unsere Strafanzeigegegen Spr<strong>in</strong>ger, Boenisch und Beamte des BKA (Bundeskrim<strong>in</strong>alamts)wegen der Verleumdung, Verteidiger von RAF-Mitgliedem transportiertenSprengstoff und präparierten Zeugen. Bereits <strong>in</strong> unserer Strafanzeige vom24.5.72 haben wir vorausgesagt: In der jetzigen Situation bedeutet die Verbreitungsolcher Lügen und Behauptungen die Freigabe von Rechtsanwälten zuröffentlichen Verurteilung. Das ist schlicht Hetze, die zum Ziel hat, die Bereitschaftvon Strafverfolgungsbehörden zu provozieren, unter Mißachtung gesetzlicherVorschriften oder unter Benutzung von fadensche<strong>in</strong>igen Vorwänden Rechtsanwältezu krim<strong>in</strong>alisieren und von der <strong>Verteidigung</strong> politisch verfolgter Personenauszuschalten. Generalbundesanwalt Mart<strong>in</strong> hat mit se<strong>in</strong>er Presseerklärung dieErwartungen erfüllt, die die Spr<strong>in</strong>ger-Presse an die Justiz stellt. Da der Posten desGeneralbundesanwalts nur von e<strong>in</strong>em Volljuristen besetzt se<strong>in</strong> darf, weiß Mart<strong>in</strong>genau, daß sich Strafverteidiger weder durch die Beratung noch durch dieAnnahme von Vollmachten von Personen, gegen die e<strong>in</strong> Haftbefehl besteht,strafbar machen. Im Gegenteil: Das gehört zu ihren Berufspflichten. Wie RARe<strong>in</strong>hard bereits gegenüber der Deutschen Presse Agentur erklärt hat, lassenMart<strong>in</strong>s Behauptungen nur die Interpretation zu, daß er e<strong>in</strong> gestörtes Verhältniszuden im Strafverfahrensrecht und im Grundgesetz enthaltenen Rechtsgarantien fürBeschuldigte hat. Tatsächlich ist GBA Mart<strong>in</strong> nicht der e<strong>in</strong>zige, der sich zumVollstrecker der Verfolgungsstrategie der Spr<strong>in</strong>ger-Presse macht. Bereits vor zehnTagen hat die Hamburger Polizei das Haus, <strong>in</strong> dem Frau und K<strong>in</strong>der von RAGroenewold wohnen, umstellt und unter Bedrohung mit Masch<strong>in</strong>engewehrenvon jedem, der das Haus verließ, Personal- und Kfz-Papiere kontrolliert. Ebenso554555


hat die Bildzeitung die Anschrift Hochallee 21, die sich aus den Papieren vonGudrun Enssl<strong>in</strong> ergeben soll, verleumderisch als "Anwaltsadresse" bezeichnet,obwohl sie weiß, daß sich das Anwaltsbüro seit 1965 <strong>in</strong> der Osterstraße 120bef<strong>in</strong>det und Groenewold nur Miteigentümer des Hauses Hochallee 21 ist, ohnedort zu wohnen oder je gewohnt zu haben. Die jetzigen Verfolgungsmaßnahmengegen Rechtsanwälte unterscheiden sich nicht von den Verfolgungsmaßnahmengegen Rechtsanwälte <strong>in</strong> der Nazizeit. Wer damals politisch Verfolgte, Kommunistenoder Sozialdemokraten, verteidigte, wurde selbst als Staatsfe<strong>in</strong>d verfolgt.Gegen Generalbundesanwalt Mart<strong>in</strong> haben wir Strafanzeige erstattet." - Dokumentation:Vorbereitung der RAF-Prozesse..., a. a. 0., S. 11131 Hannover, Kritische Justiz, 1974, S. 140.132 Mit "Banden begünstigung" ist hier die Begünstigung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung (§ 129 StGB) geme<strong>in</strong>t. Bis 1975 machte sich e<strong>in</strong>er "Begünstigung"(§ 257 StGB alte Fassung) strafbar, wer "nach Begehung e<strong>in</strong>es Verbrechens oderVergehens dem Täter oder Teilnehmer wissentlich Beistand leistet, um denselbender Bestrafung zu entziehen oder um ihm die Vorteile des Verbrechens oderVergehens zu sichern". Die Leistung wissentlichen Beistands, um jemanden derBestrafung zu entziehen, ist nach § 258 StGB als "Strafvereitelung" gesondertstrafbar durch das E<strong>in</strong>führungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2.3. 74(Art. 19 Nr. 131-133), BGBL I 469.133 Hannover, Kritische Justiz, 1974, S. 140134 Vgl. Anmerkungen 123, 124, 126135 Hannover, Kritische Justiz, 1974, S. 140.136 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 13.3.75, S. 10759.137 Vgl. Wochenzeitschrift Accent vom 8.10.77, Leitartikel mit dem Titel "mr.P. H. Bakker Schut: 'Een terrorist <strong>in</strong> toga'''.138 So Prof. Dr. Uwe Wesei, Verteidiger von Otto Schily, <strong>in</strong> der gegen dieAusschließung Schilys gerichteten Beschwerde vom 26.6.72, vollständig veröffentlicht<strong>in</strong> Dokumentation: Vorbereitung der RAF-Prozesse..., a. a. 0., S. 8-41.Nach § 33 Abs. 3 StPO ist vor jeder richterlichen Entscheidung, die außerhalbe<strong>in</strong>er Hauptverhandlung ergeht, "e<strong>in</strong> anderer Beteiligter" anzuhören, bevor zuse<strong>in</strong>em Nachteil Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet werden. E<strong>in</strong>e Ausnahmeist nur möglich (Abs. 4), wenn die vorherige Anhörung den Zweck derEntscheidung gefährden würde; z. B. bei Anordnung der Untersuchungshaft.139 Der Beschluß, <strong>in</strong> Fotokopie veröffentlicht <strong>in</strong> Dokumentation: Vorbereitungder RAF-Prozesse ..., a. a. 0., S. 6 und 7, lautet: "Nach dem Ergebnis derbisher durchgeführten Ermittlungen besteht der dr<strong>in</strong>gende Verdacht, daß RechtsanwaltSchily, den die Beschuldigte Gudrun Enssl<strong>in</strong> mit ihrer <strong>Verteidigung</strong> beauftragthat, sich an der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, der die Beschuldigte angehört, alsMitglied beteiligt oder diese zum<strong>in</strong>dest unterstützt und sich damit der Mittäterschaftgemäß § 129 Abs. 1, 47 StGB schuldig gemacht hat. Dieser Verdachtgründet sich auf den Umstand, daß bei der Festnahme der MitbeschuldigtenMe<strong>in</strong>hof e<strong>in</strong>e umfangreiche Mitteilung der Beschuldigten Enssl<strong>in</strong> mit Anweisungenfür die weitere verbrecherische Tätigkeit der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung sichergestelltworden ist, die - wie die Ermittlungen ergeben haben - nur durchRechtsanwalt Schily, der als e<strong>in</strong>ziger Besucher der Beschuldigten Enssl<strong>in</strong> Gelegenheitgehabt hat, diese unbeaufsichtigt zu sprechen, aus der Haftanstalt herausgeschmuggeltund der Beschuldigten Me<strong>in</strong>hof übermittelt worden se<strong>in</strong> kann.Rechtsanwalt Schily muß deshalb wegen des dr<strong>in</strong>genden Verdachts der Beteiligungan der der Beschuldigten Enssl<strong>in</strong> zur Last gelegten Tat als Verteidigerausgeschlossen werden".140 BGH NJW, 1972, S. 2140; vgl. Wuttke, NJW, 1972, S. 1884 ff undSeebode, NJW, 1972, S. 2257 ff.141 Palmström ist e<strong>in</strong>e Fantasiegestalt des Dichters Christian Morgenstern.Geme<strong>in</strong>t ist hier das Gedicht "Die unmögliche Tatsache" aus den "Galgenliedern",Insel, Leipzig 1940, S. 165:Palmström, etwas schon an Jahren,wird an e<strong>in</strong>er Straßen beugeund von e<strong>in</strong>em Kraftfahrzeugeüberfahren."Wie war" (spricht er, sich erhebendund entschlossen weiterlebend)"möglich, wie dies Unglück, ja - :daß es überhaupt geschah?Ist die Staatskunst anzuklagen<strong>in</strong> bezug auf Kraftfahrwagen?Gab die Polizeivorschrifthier dem Fahrer freie Trift?Oder war vielmehr verboten,hier Lebendige zu Totenumzuwandeln - kurz und schlicht:Durfte hier der Kutscher nicht?"E<strong>in</strong>gehüllt <strong>in</strong> feuchte Tücherprüft er die Gesetzesbücherund ist also bald im klaren:Wagen durften dort nicht fahren.Und er kommt zu dem Ergebnis:Nur e<strong>in</strong> Traum war das Erlebnis.Weil, so schließt er messerscharf,nicht se<strong>in</strong> kann, was nicht se<strong>in</strong> darf.142 "Der Spiegel" (Nr. 40/1972) kommentierte diese Argumentation: "Derforsche Pauschalverdacht <strong>in</strong> l<strong>in</strong>ke Richtung, der hier mit Schily e<strong>in</strong>en Strafverteidigereher liberaler Prägung trifft, kann kaum überraschen. Denn maßgeblichbeteiligt an dem Richterspruch des Dreierkollegiums ist mit Bundesrichter AlbrechtMayer, dem stellvertretenden Senatsvorsitzenden, e<strong>in</strong> Mann, der se<strong>in</strong>errechten Ges<strong>in</strong>nung kaum richterliche Zurückhaltung anlegte. Als überzeugterAnhänger des unverhüllt rechts-reaktionären ,Deutschland-Magaz<strong>in</strong>s' gab er sich<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Leserbrief selber zu erkennen:,Da ich das Deutschland-Magaz<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e Zeitschrift halte, der weiteste Verbrei-556557


tung zu wünschen ist und die tatkräftige Unterstützung verdient habe ich mirweitere Exemplare kommen lassen und sie an Freunde versandt und verteilt.Bundesrichter Albrecht Mayer'."143 Juristische Wochenschrift, 1926, S. 275(r.2757; Deutsche Richter Zeitung,1928, S. 470-472.144 Strafverfolgungen wegen "literarischen Hochverrats" waren <strong>in</strong> der WeimarerRepublik gang und gäbe; Autoren, Buchhändler, Verleger und Druckerwurden wegen "seelischer Vorbereitung der Revolution" von e<strong>in</strong>er offenen Ges<strong>in</strong>nungsjustizverurteilt. - Seltsame Beispiele dieser Form politischer Justiz s<strong>in</strong>dausführlich beschrieben <strong>in</strong>: Traditionen deutscher Justiz, <strong>Politische</strong> Prozesse1914-1932, Wagenbach, Berl<strong>in</strong> 1978, S. 237 ff.; He<strong>in</strong>rich Hannover/ElisabethHannover-Drück, <strong>Politische</strong> Justiz 1918-1933, Attica, Hamburg 1977, S. 238 ff.145 Zitat aus e<strong>in</strong>em Kommentar des Rechtsanwalts Dr. Erich Ehck <strong>in</strong> der"Vossischen Zeitung" vom 18.7.28, zitiert nach: Deutsche Richter Zeitung 1928,S.472.146 siehe Kap. I, 3.2.3.147 BVerfGE 34, S. 293 ff.148 He<strong>in</strong>rich Hannover <strong>in</strong>: Ausschließung von Verteidigern wegen Teilnahmeverdachts,KritischeJustiz, 1974, S. 135 ff.: "Alleüberlieferten Fälle, <strong>in</strong> denen sichGerichte das Recht, e<strong>in</strong>en Verteidiger wegen Teilnahmeverdachts auszuschließen,ohne gesetzliche Grundlage angemaßt hatten, betreffen politische <strong>Strafsachen</strong>,und immer wurde der angebliche Teilnahmeverdacht damit begründet,daß der Verteidiger e<strong>in</strong>e politische Organisation oder - um es <strong>in</strong> der Sprache derHerrschenden zu sagen: - e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung unterstützt habe oder vondieser abhängig sei". - Schmidt-Leichner, Der Ausschluß des Verteidigers, NJW1973, S. 969 ff.: "Es handelte sich auch <strong>in</strong> der Weimarer Zeit durchweg nicht umAlltagsfälleder <strong>Verteidigung</strong>, sondern um solche, <strong>in</strong> denen politische oder zum<strong>in</strong>destrechtspolitische Brisanz lag".149 Rechtsprechung und Literatur angegeben <strong>in</strong>: Ulsenheimer, Zur Regelungdes Verteidigerausschlusses <strong>in</strong> §§ 138a-d, 146 n.F. StPO, Goltdammer Archiv,1975, S. 103 ff (Anmerkung 3). - Vgl. Hannover, KritischeJustiz 1974, S. 136.150 Rechtsprechung und Literatur angegeben <strong>in</strong>: Ulsenheimer, a. a. 0., S. 104(Anmerkung 4). - Vgl. Schmidt-Leichner, Der Ausschluß des Verteidigers, NJW,1973, S. 969 (Anmerkung 23) - Vgl. Hannover, Kritische Justiz 1974, S.137-139.151. BVerfGE 22, 114 = NJW 67, S.2051; BVerfGE 15, 226; 16,214 = NJW63 S. 1771 - In der letztgenannten Entscheidung war das Bundesverfassungsgerichtnoch der Me<strong>in</strong>ung: "Da e<strong>in</strong> rechtzeitiges E<strong>in</strong>greifen des Ehrengerichts bei dergegenwärtigen Rechtslage nicht gewährleistet ist, muß das Prozeßgericht dieMöglichkeit haben, den Verteidiger auszuschließen( ...)" (!).152 "Wäre schon <strong>in</strong> der ersten Entscheidung des BVerfG von 1961 festgestelltworden, daß es e<strong>in</strong> 'Gesetz' im S<strong>in</strong>ne von Art. 12 GG - auch <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es'vorkonstitutionellen Gewohnheitsrechts' - schlechterd<strong>in</strong>gs nicht gibt, wie es jetztheißt, wären wir heute weiter"; Schmidt-Leichner, a. a. 0., S. 971.153 Schmidt-Leichner, a. a. 0., S. 972.154 Wuttke, NJW, 1972, S. 1884, spricht von e<strong>in</strong>em "e<strong>in</strong>e gewisse Pat<strong>in</strong>atragenden Problem", Gross, ZRP 1974, S. 25, von e<strong>in</strong>em "nicht gerade taufrischenThema".155 Nach § 97 StPO gehören <strong>Verteidigung</strong>sunterlagen zu den sogenanntenbeschlagnahmefreien Gegenständen. Das gilt nicht, wenn der Verteidiger e<strong>in</strong>erTeilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig ist oder wenn es sich umGegenstände handelt, die durch e<strong>in</strong> Verbrechen oder Vergehen hervorgebrachtoder bestimmt s<strong>in</strong>d oder die aus e<strong>in</strong>er solchen Straftat herrühren.156 Die Strafanzeige von Croissant, das Gutachten des Ärztlichen Direktors derAnästhesieabteilung des Stuttgarter Kathar<strong>in</strong>en-Hospitals und der ausführlichbegründete E<strong>in</strong>stellungsbeschluß der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Augsburgs<strong>in</strong>d veröffentlicht <strong>in</strong>: Kursbuch 32, a. a. 0., S. 83 ff.157 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 86.158 Dokumentation: Vorbereitung der RAF-Prozesse..., a. a. 0., S. 66.159 FR, 18.3.72.160 Dokumentation: Vorbereitung der RAF-Prozesse..., a. a. 0., S. 68.161 E<strong>in</strong> Schöffengericht besteht aus e<strong>in</strong>em Berufslichter bei e<strong>in</strong>em Amtsgerichtund zwei Laienrichtern; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., §§ 29-58 GVG mit Anmerkungen.E<strong>in</strong> Schöffengericht darf bis zu drei Jahre Freiheitsentzug aussprechen (§ 24 Abs.11GVG).162 Urteilvom 16.6.75 (AK115/197431 LS3/1974-nichtveröffentlicht). DieTagespresse versah die 400 DM Geldstrafe durchgängig mit e<strong>in</strong>er zusätzlichenNull (z.B. FAZ vom 19.6.75, Augsburger Tagblatt vom 29.6.75, AugsburgerAllgeme<strong>in</strong>e vom 6.7.75).163 Die Akten des Strafverfahrens gegen Croissants und das Gutachten erhieltich zur E<strong>in</strong>sichtnahme von Croissants Verteidiger Dr. H. H. Heldmann. DieAugsburger Allgeme<strong>in</strong>e (2. und 6.7.75) belichtete ebenfalls, daß der Sachverständigeder Universität Ulm, Prof. Dr. Ahnefeld, die Zwangsnarkose bei Roll als"schwer kunstlehlerhaft" und "lebensgefährlich" bezeichnet habe.164 Beschluß des Landgerichts Augsburg vom 2.3.78 (Ns 31 Ls 3/74), mitdem das Verfahren vorläufig e<strong>in</strong>gestellt wurde unter H<strong>in</strong>weis auf das nach CroissantsAuslieferung Ende 1977 vor dem Landgericht Stuttgart laufende Verfahren(Siehe Kap. VII,4.2.1 und Kap. IX, 2). Gemäß § 154 StPO kann das Gericht aufAntrag der Staatsanwaltschaft e<strong>in</strong> Verfahren <strong>in</strong> jeder Lage vorläufig e<strong>in</strong>stellen,wenn das zu erwartende Strafmaß gegenüber e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Verfahrenzu erwartenden Strafe "nicht <strong>in</strong>s Gewicht fällt".165 Vgl. Berichterstattung <strong>in</strong> Neue Württembergische Zeitung und Bildzeitungvom 13.5.72, Fotokopie <strong>in</strong> Dokumentation: Vorbereitung der RAF-Prozesse...,a. a. 0., S. 70-71. Schon im Oktober 1971 waren Büro und Wohnung e<strong>in</strong>esHeidelberger Rechtsanwalts wegen des Verdachts der Unterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung durchsucht worden. Diese Vere<strong>in</strong>igung war benannt mit "InnererKreis des Sozialistischen Patienten-Kollektivs" (SPK). Der Anwalt soll diesem"Kreis" e<strong>in</strong>e Mappe mit Fotos von Heidelberger Polizeibeamten zur Verfügunggestellt haben, lautete die Beschuldigung.166 Neue Württembergische Zeitung vom 13.5.72, zitiert <strong>in</strong>: Dokumentation:Vorbereitung der RAF-Prozesse ..., a. a. 0., S. 71; der Dokumentation s<strong>in</strong>d auchdie übrigen Zitate entnommen.167 "Der Spiegel", Nr. 31/1972168 "Rote Robe", Nr. 4/1972, zitiert nach: Dokumentation: Vorbereitung derRAF-Prozesse ..., a. a. 0., S. 76.169 Frank Rühmann, a. a. 0., S. 21.558559


170 Vgl. Robert K. Merton, Sodal Theory and Sodal Structure, Free Press,New York 1968, S. 475 ff. zur "self-fulfill<strong>in</strong>gprophecy".171 Rühmann, a. a. 0., S. 29-32172 Merton, a. a. 0., S. 477173 KraftBundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)vom 1.8.59 (BGBLI S. 98) istdie westdeutsche Advokatur - wie die niederländische - korporativ organisiert.Die im Bereich e<strong>in</strong>es OLG oder beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte bildengeme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>e Rechtsanwaltskammer (RAK).Die RAK haben öffentlichrechtlicheKompetenzen. Die größten RAKMünchen und Hamburg haben beide mehrals 3 000 Mitglieder (<strong>in</strong> den Niederlanden gibt es <strong>in</strong>sgesamt rund 4 000 Rechtsanwälte).Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) wird gebildet aus Vertreternaller RAK. Der BRAK obliegt u. a. (§ 177 BRAO):- <strong>in</strong> Fragen, welche die Gesarntheit der Rechtsanwaltskammern angehen, dieAuffassung der e<strong>in</strong>zelnen Kammern zu ermitteln und im Wege gerne<strong>in</strong>schaftlicherAussprache die Auffassung der Mehrheit festzustellen;- die Gesamtheit der Rechtsanwaltskamrnern gegenüber Behörden und Organisationenzu vertreten;- die allgeme<strong>in</strong>e Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs <strong>in</strong>Richtl<strong>in</strong>ien festzustellen.Die neuesten Richtl<strong>in</strong>ien, derzeit als "Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts"bezeichnet, s<strong>in</strong>d festgestellt am 21. Juni 1973. Sie s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> Gesetz, aber sie stellene<strong>in</strong>e "Sammlung der Grundsätze dar, die sich herausgebildet haben. Auch <strong>in</strong> derRechtsprechung s<strong>in</strong>d die Richtl<strong>in</strong>ien stets nur als Erkenntnisquelle dafür, was irnE<strong>in</strong>zelfalle nach der Auffassung angesehener und erfahrener Standesgenossender Me<strong>in</strong>ung aller anständigen und rechtdenkenden Anwälte und der Würde desAnwalts entspricht, angesehen werden" (BGH <strong>in</strong> AnwBl. 1963,51-1. X. 1962).Ausführlich zu Organisation und Standesrecht(sprechung) der westdeutschenRechtsanwaltschaft: Isele, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, JuristischerFachbuchverlag, Essen 1976.174 Ausschluß der Verteidiger..., a. a. 0., S. 68.KapitelIII1 Ausschluß der Verteidiger - wie und warum?, Merve Arbeitspapiere Nr. 17,Berl<strong>in</strong> 1975, S. 732 § 1 BRAO: "Der Rechtsanwalt ist e<strong>in</strong> unabhängiges Organ der Rechtspflege".Vgl. Isele, Kornmentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, Juristischer Fachbuchverlag,Essen 1976, S. 2 ff.; Dr. Wolfgang Knapp, Der Verteidiger - e<strong>in</strong> Organ derRechtspflege?, Saarbrücken, 1974; Dr. Rolf Schneider, Der Rechtsanwalt, e<strong>in</strong>unabhängiges Organ der Rechtspflege, Duncker und Hurnboldt, Berl<strong>in</strong> 1976; Dr.Hans Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Dr. Otto Schrnidt KG, Köln 1977, S.19 ff. rnit Verweis auf Literatur.3 Dahs, a. a. 0., S. 8; Th. Kle<strong>in</strong>knecht, Strafprozeßordnung mit GVG undNebengesetze, C. H. Beck, München 1975, S. 429.4 In dieser Auffassung be<strong>in</strong>haltet der Begriff "Organ der Rechtspflege" nichts560weiter als e<strong>in</strong>e Erläuterung und Wiedergabe se<strong>in</strong>er prozessualen Position. So auchEb. Schmidt: "Läßt sich somit die Stellung des Verteidigers weder vom Gerichther noch vom Beschuldigten her prozeßrechtlich erfassen, so muß festgestelltwerden, daß der Verteidiger im Interesse der Wahrheitsermittlung und der Justizförmlichkeitdes Verfahrens e<strong>in</strong>e eigene, selbständige Aufgabe und Funktion hat:Als Beistand des Beschuldigten ist er e<strong>in</strong> selbständiges Organ der Rechtspflege",zitiert nach: Gross, Zeitschrift für Rechtspolitik, 1974, S. 29.5 Schneider, a. a. 0., S. 63 ff.6 In Deutschland ausgearbeitet von Otto von Gierke, Die Grundbegriffe desStaatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien, Tüb<strong>in</strong>gen 1915, S. 94 ff.;Schneider, a. a. 0., S. 64.7 § 2 Abs. 1 BRAO: "Der Rechtsanwalt übt e<strong>in</strong>en freien Beruf aus".8 Schneider, a. a. 0., S. 76, Anm. 94 rnit weiterer Rechtsprechung und literatur.9 BVerfGE 38, 105 (119); kritisch Krämer, Der Rechtsanwalt - e<strong>in</strong> staatlichgebundener Vertrauensberuf?, NJW 1975, S. 849 ff.10 Schneider, a. a. 0., S 35 ff.,63 ff.; Knapp, a. a. 0., S. 44ff.; Krämer, a. a. 0.,S. 850, dazu: "Der von Knapp vermittelte überblick über die Entwicklung dieserFormel bestätigt die Vermutung, daß der Begriff<strong>in</strong> der Tatje nach dern konkretenBegründungszusammenhang beliebig verwendbar ist, wenn er auch meist dazudiente, die Pflichtenb<strong>in</strong>dung des Anwalts zu charakterisieren".11 Schneider, a. a. 0., S. 3612 Ebenda, S. 63; EGH I, 140 ff.13 Ebenda, S. 39 ff.; Hanssen, DR 1944, 355: "Der Rechtsanwalt erfüllt <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er gesamten beruflichen Tätigkeit staatlicher Aufgaben", er steht gegenüberdem Staat "<strong>in</strong> demselben besonderen Treueverhältnis, das die Stellung desBeamten charakterisiert".14 Vgl. die Stellungnahme e<strong>in</strong>es Frankfurter Anwaltskollektivs <strong>in</strong>: KritischeJustiz, 1972, S. 274 ff.15 Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Luchterhand, NeuwiedJBerl<strong>in</strong> 1969, S. 114 H.16 Luhrnann, a. a. 0., S. 11617 Ebenda, S. 12118 Abraham S. Blumberg, The practise of law as confidence game, <strong>in</strong> Band:Sociology of Law, Pengu<strong>in</strong> Books, 1972, S. 321 H.19 Ebenda, S. 32220 Talcott Parsons, The Law and Sodal Control, <strong>in</strong>: WilliamM. Evan, LawandSociology, The Free Press of Glencoe, New York 1962, S. 56 ff.21 David Sudnov, Normal Crimes: Sodological Features of the Penal Code <strong>in</strong> aPublic Defender Office, <strong>in</strong> der Zeitschrift: Sodal Problems, 1964, S. 255ff.22 Blumberg, a. a. 0., S. 32223 Ebenda, S. 32124 Dahs, a. a. 0., S. 129-131, 177-178, 227-228, 272, 433-436; Kle<strong>in</strong>knecht,a. a. 0., E<strong>in</strong>l. 1 E und 7 A, i.v.m. Anm. 9 Art. 6 MRK,Anm. 4 § 119 StPOi.v.m. Anm. 1 C Art. 3 MRK.25 BVerfGE 9, 89, 95, 26, 66, 71; Kohlmann, Waffengleichheit im Strafprozeß,Festschrift für Karl Peters z. 70. Geburtstag, 1974, S. 311 H.26 Dahs, a. a. 0., S. 74561


27 Siehe Traditionen deutscher Justiz: Große politische Prozesse <strong>in</strong> der WeimarerZeit, Wagenbach, Berl<strong>in</strong> 1978; Alexander von Brünneck, <strong>Politische</strong> Justizgegen Kommunisten <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Suhrkamp,Frankfurt 1978, S. 258 ff, 313 ff; He<strong>in</strong>rich Hannover, Klassenherrschaftund <strong>Politische</strong> Justiz, VSA, Hamburg 1978, S. 30 ff, 92 ff.28 siehe Kap. IV, 6.1.29 Dokumentation: Vorbereitung der RAF-Prozesse durch Presse, Polizei undJustiz, Rote Hilfe Berl<strong>in</strong>, 1972, S. 185 ff.30 Dom<strong>in</strong>ique Poncet, La protection de l'accuse par la Convention Europeennedes Droits de I'Homme, Etudes de droit compare, Georg, Geneve 1977.31 Art. 285 Abs. 2 WvSv.32 Art. 298 LV.m.299 WvSv.33 Art. 311 WvSv.34 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 8 zu § 243 StPO.35 § 257 StPO36 Vgl. Prozeßerklärung von Croissant <strong>in</strong>: Der Prozeß gegen Klaus Croissant,Fantasia, Stuttgart 1979, S. 9.37 Mitte 1974 erklärten Beamte des BKA gegenüber der Illustrierten "DerStern" (Nr. 20/1974, S. 29) und als Zeugen vor der Staatsschutzkammer des LGStuttgart (25.6.74), daß mehr als 1800 Ordner mit Ermittlungsmaterial gefülltseien. Zu Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung gegen "Baader u. a." standen Richternund Anwälten aber "nur" 134 Ordner zur Verfügung. Anhand der Durchnummerierungder ihnen zur Verfügung stehenden Dokumente wiesen die Verteidigernach, daß etwa 90 Prozent des Materials fehlte. Vgl. dazu der Antrag zur E<strong>in</strong>sichtnahme<strong>in</strong> dieses Material, <strong>in</strong>: Ulf Stuberger, In der Strafsache gegen AndreasBaader, Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Jan Carl Raspe, Gudrun Enssl<strong>in</strong> wegen Mordes u. a.,Dokumente aus dem Prozeß, Syndicat, Frankfurt 1977, S. 145 ff.38 Soziale Isolation = Erhebliche bzw. totale Beschränkung normaler Kontaktezu anderen Menschen.39 Sensorische Deprivation = Unterb<strong>in</strong>dung s<strong>in</strong>nlicher Wahrnehmungendurch E<strong>in</strong>schränkung aller äußerlichen Reize.40 Peter Brückner, Ulrike Me<strong>in</strong>hof und die deutschen Verhältnisse, Wagenbach,Berl<strong>in</strong> 1976. S. 156 ff.41 C. Kelk, Recht voor gedet<strong>in</strong>eerden, Samsom, Alphen aan de Rijn 1978, S.166, 182 ff.-Im Abschlußbericht vom 30.4.71 (DPC/CEPC Vlll-70-3-F<strong>in</strong>al) desSub-Comittee Nr. Vlll des European Committee on Crime Problems, zur Vorbereitungder Anpassung dieser Rechtsregeln an die europäischen Verhältnissebemerkt diese Kommission u. a. zu Artikel91 : "These provision is designed purelyto enable an untried prisoner, who is entitled under artic1e84 to the same rights asa free man, to choose his own doctor"; dieser Paragraph "does not imply a lack ofconfidence <strong>in</strong> prison medical and dental staff".42 Der Anstaltsarzt untersteht dem Anstaltsleiter. Der Anstaltsleiter hat zwar immediz<strong>in</strong>ischen Bereich ke<strong>in</strong>e Weisungsbefugnis, er kann aber vom AnstaltsarztAuskünfte fordern und ihm "Anregungen" geben; der Anstaltsarzt ist gegenüberdem Anstaltspersonal nicht an se<strong>in</strong>e Schweigepflicht gebunden. Theodor Grunau,Kommentar zur Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO),Carl Heymanns,1972, S. 124 ff.43 RAF, Texte, Bo Cavefors, Malmö 1977, S. 155/156.56244 Henck: Anstaltsarzt <strong>in</strong> Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>.45 Die Informationen über den Fall Hammerschmidt stammen aus RechtsanwaltSchilys Anzeige gegen die Anstaltsärzte vom 9.1. 74, se<strong>in</strong>er Pressemitteilungvom 10.1.74, dem Gutachten des Internisten Neubauer, der Notiz über e<strong>in</strong>Gespräch zwischen Hammerschmidt und Anwalt Sträbele vom 2.1. 74 und ergänzendenNotizen vom 21.1. 74, dem Heidelberger Tageblatt und der SüddeutschenZeitungvom12.1.74, der Illustrierten "Stern" vom 17.1. 74; vgl. Der Kampfgegen die Vernichtungshaft, Hsg. Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen<strong>in</strong> der BRD, 1975, S. 144-146.46 Vgl. zum Fall ProlI: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 147ff., <strong>in</strong> dem die wichtigsten Passagen des Gutachtens von Internist Dr. SchmidtVoigt zitiert s<strong>in</strong>d.47 Folter durch sensorische Deprivation, Komitee gegen Folter, Hamburg1973, S. 50.48 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 85.49 Ebenda, S. 86.Kapitel IV1 Vgl. zum Begriff "Spätkapitalismus": Claus Offe, Strukturprobleme deskapitalistischen Staates, Suhrkamp, Frankfurt 1973, S. 7 ff.; Jürgen Habermas,Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Suhrkamp, Frankfurt 1973.2 Isaac D. Balbus, The Dialectics of Legal Repression, Russell Sage Foundation,New York 1973, S. 3.3 Siehe Kap. ll, Anm. 684 Der Kampf gegen die Vernichtungs haft, Hsg. Komitees gegen Folter anpolitischen Gefanggnen <strong>in</strong> der BRD, 1975, S. 180.5 Kursbuch 32, Folter <strong>in</strong> der BRD, Zur Situation der politischen Gefangenen,Hsg. Hans Magnus Enzensberger/Karl Markus Michel, Kursbuch, Berl<strong>in</strong> 1973, S.118 ff.6 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 137 ff7 Die Hungerstreikerklärung ist vollständig abgedruckt <strong>in</strong>: Kursbuch 32,a. a. 0., S. 175 ff.8 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 107 ff.9 Ebenda, S. 109.10 Ebenda, S. 109.11 Vgl. HR 6 februari 1951, NJ 1951, Nr. 475.12 Vgl. zum Begriff "bed<strong>in</strong>gter Vorsatz": Dreher, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzenund Verordnungen, C. H. Beck, München 1977, Anm. 9-11 zu § 15StGB, mit weiteren Verweisen.13 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 116; mit diesem Beschlußwurde e<strong>in</strong> ablehnender Beschluß des Amtsgerichts (nicht veröffentlicht)aufgehoben.14 Vgl. zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als allgeme<strong>in</strong>em Rechtspr<strong>in</strong>zip:BVerfGE 16, 302; NJW 66, 244; 68, 979; BGH 20, 232; NJW 75, 1232. - Th.563


Kle<strong>in</strong>knecht, Strafprozeßordnung mit GVG und Nebengesetze, C. H. Beck,München 1975, S. 5: "Aus dem Rechtsstaatspr<strong>in</strong>zip, namentlich aus dem Wesender Grundrechte, ergibt sich mit Verfassungsrang der Grundsatz der Verhältnismäßigkeitvon Mittel und Zweck (im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Berechtigungsgrundes), Methodeund Ziel, Stärke des Zugriffs und Geme<strong>in</strong>wohlnutzen (...) Dieses 'Verbot desübermaßes' setzt die Zulässigkeit e<strong>in</strong>es sonst zulässigen E<strong>in</strong>griffs bei dessenAnordnung, Vollziehung und Fortdauer e<strong>in</strong>e Grenze (...)".15 Aus der Pressemitteilung e<strong>in</strong>iger Anwaltskollektive vom 2.7.73, zitiertnach:Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 118-119: ,,(...) In zwei Fällen,nämlich gegenüber Carmen Roll und Siegfried Hausner, hat e<strong>in</strong> Gericht, das LGKarlsruhe, unmittelbar als Folge des Hungerstreiks, die Aufhebung der Isoliermaßnahmenangeordnet (Hausner wog schließlich nur noch 36 kg). Der BGHund die anderen Gerichte dagegen haben sich geweigert, die Isolierhaft aufzuheben.Das LG Hamburg weigerte sich sogar, die seit über zweiJahren bestehendeFesselung von Wemer Hoppe während des Hofgangs aufzuheben (...)".16 Dieses Rundschreiben vom 16.6.73 ist wiedergegeben <strong>in</strong>: Dokumentationüber Aktivitäten anarchistischer Gewalttäter <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland,Hsg. Bundesm<strong>in</strong>ister des Inneren, Bonn 1974 (sog. Maihofer-Dokumentation), S.30 ff. Im Antrag des GBA an den Ermittlungsrichter des BGH auf Genehmigunge<strong>in</strong>er Zellendurchsuchung wurde behauptet, das Rundschreiben sei am 21.6.73<strong>in</strong> der Vorbergstraße, Berl<strong>in</strong>, gefunden worden. Die Verteidiger waren dagegender Me<strong>in</strong>ung, das Schreiben sei von den Staatsschutzbehörden auf illegale Weisebeschafft worden, um die Anwälte belasten zu können. Gefangene und Anwälteg<strong>in</strong>gen schon früher davon aus, daß die Anwaltspost von der Polizei mitgelesenwurde. Am 7.7.73 (bevor also bekannt wurde, daß se<strong>in</strong> Rundschreiben vom16.6.73 "gefunden" worden war) erwähnte Ströbele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Briefan die Gefangenene<strong>in</strong>en Artikel <strong>in</strong> der FR, <strong>in</strong> dem über neue technische Geräte berichtetwurde, mit denen Briefe ungeöffnet gelesen werden könnten: "Aus der FR wissenwir ja jetzt, wie die die Briefe lesen, ohne Mühe auf das Öffnen des Umschlagesverwenden zu müssen. Deshalb können wir uns das besondere Zukleben wohlsparen. Ich überlege, ob wir der Sicherungsgruppe nicht gleich von jedem Briefe<strong>in</strong>en Durchschlag schicken, dann erreicht euch die Post wenigstens schneller.Dagegen spricht, daß wir wenigstens im Prozeß noch auf Anwaltsgeheimnis undUnverwertbarkeit pochen können (...)"; zitiertnach: Berufsverbot gegen Verteidiger?,Hsg. Rechtsanwalt Henn<strong>in</strong>g Spangenberg, Berl<strong>in</strong> 1977, S. 66.17 Nach § 102 StPO kann beim Verdächtigen "e<strong>in</strong>e Durchsuchung der Wohnungund anderer Räume sowie se<strong>in</strong>er Person und der ihm gehörenden Sachensowohl zum Zweck se<strong>in</strong>er Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wennzu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auff<strong>in</strong>dung von Beweismitteln führenwerde". § 105 StPO regelt die Zuständigkeit für Durchsuchungshandlungen. §168a StPO besagt, daß über jede richterliche Untersuchungshandlung e<strong>in</strong> Protokollaufzunehmen ist und regelt die Modalitäten.18 Kursbuch 32, a. a. 0., S. 78.19 Urteil des BGH vom 13.8.73; NJW 73, S. 2035 ff.; dazu kritisch RechtsanwaltDr.GerhardSpecht<strong>in</strong>: NJW 1974, S. 65ff.; vgl. die Anmerkung von Prof. Dr.Jürgen Welp <strong>in</strong>: Juristenzeitung 1974, S. 423 ff. Die Verfassungsbeschwerdewurde vom Bundesverfassungsgericht nicht behandelt, "weil offensichtlich unbegründet".20 Berufsverbot gegen Verteidiger?, a. a. 0., S. 173.21 Vgl. se<strong>in</strong>e Erklärung vom 2.7.75 zu se<strong>in</strong>er Verhaftung, veröffentlicht <strong>in</strong>:Berufsverbot gegen Verteidiger?, a. a. 0., S. 172 ff.22 So ausdrücklich der BGH <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em bestätigenden Beschluß: NJW 73, S.2035 ff.: "Die Tätigkeit der Rechtsanwälte S., G. und B., wie sie sich nach demRundbrief darstellt, diente nicht der <strong>Verteidigung</strong>, sondern dem umfassendenAustausch von Mitteilungen und Instruktionen zur Fortsetzung des gewaltsamenKampfes gegen die bestehende, grundgesetzlich geschützte Ordnung und derAufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der Roten-Armee-Fraktionals e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung".23 Oriana Fallaci, A man, Simon and Schuster, New York 1981, S. 83.24 Veröffentlicht <strong>in</strong>: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 168 ff.25 Die Erklärung der Ärzte und Psychologen aus Frankfurt, Hamburg, Heidelberg,Köln, Münster, München und den Niederlanden über diese Demonstrationist veröffentlicht <strong>in</strong>: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 186-187.26 Les Temps Modemes, März 1974; vgl. den Bericht über totale Isolation undsensorische Deprivation <strong>in</strong>: Le Monde Diplomatique, 4.6.74.27 Das Protokoll der Pressekonferenz istveröffentlicht <strong>in</strong>: Der Kampf gegen dieVernichtungshaft, a. a. 0., S. 193 ff.28 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 217-218, 220 ff.mit denNamen der Unterzeichner.29 Die Anordnung des Anstaltsleiters vom 2.5.74 und der bestätigende Beschlußdes Richters Haakmann am Amtsgericht vom 8.5.74 s<strong>in</strong>d veröffentlicht <strong>in</strong>der Broschüre: Folter an dem politischen Gefangenen Ronald August<strong>in</strong>, Komiteegegen Folter an politischen Gefangenen <strong>in</strong> der BRD, Hamburg 1974, S. 13 ff.30 Der Antrag von Croissant und der ablehnende Beschluß des Haftrichterss<strong>in</strong>d veröffentlicht <strong>in</strong>: Folter an dem politischen Gefangenen ..., a. a. 0., S. 18 ff.31 Folter an dem politischen Gefangenen ..., a. a. 0., S. 236-237.32 Ebenda, S. 2333 Brief mit den Namen der Unterzeichner, u. a. Peter O. Choljewitz, DorotheeSölle, Gerhard Zwerenz, <strong>in</strong>: Folter an dem politischen Gefangenen ..., a. a. 0.,S.2734 Folter an dem politischen Gefangenen ..., a. a. 0., S. 28-29.35 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 240.36 Ebenda, S. 240.37 Offener Brief mit ausführlicher Anlage <strong>in</strong>: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft,a. a. 0., S. 243 ff.38 Ebenda, S. 242-243.39 Berichte der FR vom 13. und 14.9.74, abgedruckt <strong>in</strong>: Der Kampf gegen dieVernichtungshaft, a. a. 0., S. 251.40 Die Daten der 1972 im SFB 115 und den Teilbereichen A 7 und A 8geplanten Untersuchungen, die wegen der Haftbed<strong>in</strong>gungen am meisten <strong>in</strong>teressierten,s<strong>in</strong>d entnommen: Folter durch sensorische Deprivation, Komitee gegenFolter, Hamburg 1974. Siehe auch: I. Gross, P. Kempe, Ch. C. Reimer, Wahn beisensorischer Deprivation und Isolierung, <strong>in</strong>: Psychiatrische Universitätskl<strong>in</strong>ikHamburg, Vortrag, gehalten auf der Robert-Gaupp-Gedächtnistagung <strong>in</strong> Tüb<strong>in</strong>gen1971; I. Gross, I. M. Burchard, P. Kempe, Sensorische Deprivation, e<strong>in</strong>espezielle Form der Verhaltensforschung, <strong>in</strong>: Psychiatria, Neurologia, Neurochirur-564565


gia, Bd. 73 (1970), S. 189 ff.; P. Kempe, Bed<strong>in</strong>gungen haluc<strong>in</strong>atorischer Phänomenebei Experimenten mit sensorischer Deprivation, Habilitationsschrift, Kiel1973, S. 29 ff., 36 ff.; aufschlußreich ist die Studie: H. Hansen und H. Pe<strong>in</strong>ecke,Reizentzug und Gehirnwäsche <strong>in</strong> der BRD, Libertäre Assoziation, Hamburg 1982,<strong>in</strong> der das Projekt SFB 115 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en historischen Zusammenhang von der Isolationshaft1972 bis zur Haft <strong>in</strong> Hochsicherheitstrakten 1982 gesetzt wird.41 Hugo Kükelhaus, Organisation und Technik, Walter, 1971, S. 34; Kükelhausbeschreibt diesen Prozeß am Beispiel e<strong>in</strong>es Raumfahrt-Experiments, <strong>in</strong> demVersuchspersonen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "camera silens" s<strong>in</strong>nlich absolut isoliert wurde. DieExperimente mußten jeweils nach 10 bis 15 M<strong>in</strong>uten abgebrochen werden, weilder Organismus der Versuchspersonen die Belastung nicht aushielt. Kükelhausfolgert daraus, daß der Mensch e<strong>in</strong>deutig abhängig ist von der s<strong>in</strong>nlichen Wechselwirkungder ihn umgebenden Außenwelt.42 lan Gross und Ludwig Svab, Soziale Isolation und sensorische Deprivationund ihre gerichtspsychologischen Aspekte, Prag 1967, <strong>in</strong>: Folter durch sensorischeDeprivation, a. a. 0., S. 53 ff.- Die für das hier behandelte Thema wichtigstePassage (Gross/Svab, a. a. 0., S. 68 ff.):"In der zweiten Hälfte der sechsstündigen Versuchsdauer kam es zu e<strong>in</strong>er Veränderung:die stärker sozial isolierte Gruppe äußerte e<strong>in</strong>e bedeutende Senkung derguten Stimmung, es kam zum Auftreten von Unruhe, von Angstlichkeitsgefühlenund bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad auch zu aggressiven Affekten: <strong>in</strong> der jetztempfundenen sozialen Isolation hat wahrsche<strong>in</strong>lich der Aspekt der verm<strong>in</strong>dertenMöglichkeit, e<strong>in</strong>e unmittelbare Hilfe von außen zu gew<strong>in</strong>nen, überwogen. Ausdieser und aus der Erfahrung anderer Autoren kann man schließen, daß unterden Bed<strong>in</strong>gungen der begrenzten sensorischen Stimulation das Moment dersozialen Isolation respektive der Möglichkeit e<strong>in</strong>es sozialen Kontaktes e<strong>in</strong>e besondereBedeutung gew<strong>in</strong>nt. Der Mangel an Möglichkeiten, die Realität selbst zuprüfen, macht die sensorisch deprivierte Person <strong>in</strong> erhöhtem Maße von derPerson des Experimentators abhängig, und die Bedeutung der sozialen Kommunikationals e<strong>in</strong>es Trägers der gesellschaftlich vermittelten Information und Tatsachen- auch <strong>in</strong> der rudimentären Form der <strong>in</strong>terkommunikativen Mitteilungen ­gew<strong>in</strong>nt für sie an Wichtigkeit. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch notwendig,die Bedeutung der erleichterten Bee<strong>in</strong>flußbarkeit und Suggestibilität der Versuchspersonenzu verstehen, wie es die Versuche von Hebb und Scott mit derspiritistischen Propaganda gezeigt haben, und wie es auch die späteren Versuchevon Südfeld 1964 bestätigten. Dieses Moment kann sicher e<strong>in</strong>e positive Rolle <strong>in</strong>der Poenologie spielen, und zwar dort, wo es um die Umerziehung des E<strong>in</strong>zelnenoder e<strong>in</strong>er Gruppe geht, und wo die empf<strong>in</strong>dliche Ausnutzung derartiger Abhängigkeitenund die Manipulation mit solchen Zuständen wirksam den Prozeß derUmerziehung bee<strong>in</strong>flussen können. Auch <strong>in</strong> der Krim<strong>in</strong>alistik bei der Untersuchungvon Angeklagten oder Zeugen gehört die Ausnutzung der Abhängigkeitvon dem Untersucher beim Gew<strong>in</strong>n des Schuldgeständnisses oder für das Erreichender Mitteilung verschwiegener Tatsachen zur traditionellen Untersuchungstechnik.Hier jedoch machen die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Experimentenmit sensorischer Deprivation auf ernste Gefahren aufmerksam, die ause<strong>in</strong>er sehr willkürlichen Ausnutzung solcher Praktiken hervorgehen. ErhöhteSuggestibilität e<strong>in</strong>es isolierten Individuums kann e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis bezüglich desWahrheitsgehalts se<strong>in</strong>er Mitteilungen se<strong>in</strong>, und es kann passieren, daß der Unter-suchende eher das feststellt, was er hören will,als das, was geschah. Dabei muß esüberhaupt nicht um e<strong>in</strong>e bewußte Bemühung des Untersuchenden gehen, e<strong>in</strong>unwahres Geständnis oder e<strong>in</strong>e Selbstbeschuldigung des Untersuchten zu gew<strong>in</strong>nen,wie es <strong>in</strong> den Fällen der ungesetzlichen Untersuchungsmethoden <strong>in</strong> derVergangenheit war (...). Solche Erfahrungen aus den Experimenten weisen aufgefährliche Klippen <strong>in</strong> der Untersuchungspraxis h<strong>in</strong>, die an der Verifizierungihrereigenen Hypothesen <strong>in</strong>teressiert ist und die trotz Voraussetzung guten Willensseitens des Untersuchenden und des Bemühens um Feststellung objektiver Datenzu unerwünschten Ergebnissen führen kann. Das s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige der möglichenAnwendungsmöglichkeiten der Ergebnisse aus Experimenten mit sensorischerDeprivation und sozialer Isolation für die Problematik der Krim<strong>in</strong>ologie undPoenologie. Weitere Forschung über diese Fragen kann jedoch viel <strong>in</strong>teressanteund nützliche Anregung br<strong>in</strong>gen".43 Folter durch sensorische Deprivation, a. a. 0., S. 98.44 Ebenda, S. 105.45 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 141-142.46 J. H. Schultz, Das autogene Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1950.47 Der sogenannte Beigeherbeschluß ist veröffentlicht <strong>in</strong>: Kursbuch 32,a. a. 0., S. 111 ff.48 Weitere Informationen ebenda, a. a. 0., S. 115-116.49 Weitere Informationen, vor allem die wichtigsten Passagen aus dem Briefwechselzwischen BAW, Anstaltspsychiater Dr. Bernd Götte <strong>in</strong> Köln-Ossendorfund dem Direktor des Instituts für Gerichtsmediz<strong>in</strong> und Psychiatrie an der UniversitätHomburgiSaar, Prof. Dr. K. W. Witter, zwischen Januar und September1973, siehe Dokumentation: Ulrike Me<strong>in</strong>hof, e<strong>in</strong> Selbstmord?, Hsg. AntifaschistischesKomitee, Hamburg 1977.50 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 129.51 Ebenda, S. 132 ff.52 "lch glaube deshalb nicht, daß sich von den 27 000 Fachärzten für Anästhesie<strong>in</strong> der Welt (und nur e<strong>in</strong> Anästhesist dürfte nach heutiger Auffassung e<strong>in</strong>esolche Risikonarkose durchführen) e<strong>in</strong>er bereitf<strong>in</strong>den wird, e<strong>in</strong>e 'Zwangsnarkose'vorzunehmen", so Prof. Dr. Frey <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gutachten vom 22.8.73, zitiert nach:Ulrike Me<strong>in</strong>hof, e<strong>in</strong> Selbstmord?, a. a. 0., S. 12; vgl. die Me<strong>in</strong>ung von Prof. Dr.Erich Wulff<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gutachten vom 29.7.73, abgedruckt <strong>in</strong>: UlrikeMe<strong>in</strong>hof, e<strong>in</strong>Selbstmord?, a. a. 0., S. 10.53 Der Briefvom 9.8.73 ist abgedruckt <strong>in</strong>: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft,a. a. 0., S. 133--134.54 Hungerstreikerklärung, <strong>in</strong>: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0.,S. 14 ff.55 UlfStuberger, In der Strafsache gegen Andreas Baader, UlrikeMe<strong>in</strong>hof, Janearl Raspe, Gudrun Enssl<strong>in</strong> wegen Mordes u. a., Dokumente aus dem Prozeß,Syndicat, Frankfurt 1977, S. 174.56 Ebenda, S. 154 ff., dort s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige dieser Anträge wiedergegeben.57 Ebenda, S. 161.58 Ebenda, S. 162-163, die wichtigste Passage aus dieser Strafanzeige.59 Ebenda, S. 160-161, die wichtigsten Passagen aus dem Antrag vom7.10.74.60 Ebenda, S. 163.566567


61 Ebenda, S. 164, volIständige Begründung.62 Ebenda, S. 165.63 Ebenda.64 Ebenda, S. 167 ff., e<strong>in</strong> detaillierter Bericht über die Ereignisse am 8. und9.11.74; vgl. die Wiedergabe der Pressekonferenz der Anwälte am 10.11.74anläßlich des Todes von Holger Me<strong>in</strong>s, <strong>in</strong>: Der Kampf gegen die Vernichtungshaft,a.a.O., S. 275 ff.65 Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, a. a. 0., S. 275 ff.- Siehe auch denBeschluß des OLG Koblenzvom 2.6.77 <strong>in</strong>: NJW 1977, S. 1461, mit AnmerkungJoachim Wagner <strong>in</strong>: Juristische Rundschau 1977, S. 471; Rolf Dietrich Herzberg,Zur Strafbarkeit der Beteiligung am frei gewählten Selbstmord, dargestelIt amBeispiel des Gefangenen-Suizids und der strafrechtlichen Verantwortung derVolIzugsbediensteten, <strong>in</strong>: Zeitschriftfür die gesamte Strafrechtswissenschaft 1979,S.557.66 Stuberger, a. a. 0., S. 172ff., die wichtigsten Passagen aus dieser Anzeige.67 E<strong>in</strong>e komplizierte RolIe spielt <strong>in</strong> diesem Komplex der Anstaltsarzt, der imwesentlichen darüber entscheidet, wann und <strong>in</strong> welcher Form die (Zwangs)­Ernährung angewendet werden soll; vgl. van Geuns/Lach<strong>in</strong>sky/Menges/Smeulers,Hongerstak<strong>in</strong>g, Wereldvenster, Baarn 1977. Die World Medical Associationhat auf ihrer Jahrestagung im Oktober 1975 folgende Bestimmung zur künstlichenErnährung bei Hungerstreiks gebilligt:"Where a prisoner refuses nourishment and isconsidered by the doctor as capableof form<strong>in</strong>g an unimpaired and rational judgement concern<strong>in</strong>g the consequencesof such a voluntary refusal of nourishment, he or she shalI not be fed artificially.The decision as to the capacity of the prisoner to form such a judgement should beconfirmed by at least one other <strong>in</strong>dependent doctor. The consequences of therefusal of nourishment shall be expla<strong>in</strong>ed by the doctor to the prisoner".68 Diese Situation ist für die Behörden problematisch, weil sie - wie sie auchentscheiden - immer e<strong>in</strong>e "falsche" Entscheidung treffen, so lange sie die Forderungennicht erfülIen. Andererseits sollte die problematische Situation e<strong>in</strong>e Anregungfür die Behörden bedeuten, die Motive der Hungerstreikenden besonders zubeachten. Dazu Van Geuns u. a., a. a. 0., S. 17-18: "Um e<strong>in</strong>e lange Ernährungsverweigerungdurchhalten zu können, muß nicht nur die Motivation e<strong>in</strong>es Hungerstreikendensehr stark se<strong>in</strong>, auch die Umstände, die ihn dazu veranlassen,müssen oft unerträglich se<strong>in</strong>. Im allgeme<strong>in</strong>en handelt es sich um e<strong>in</strong>en Beschlußvon jemanden, der über ke<strong>in</strong>e anderen Mittel mehr verfügt, um sich zu verteidigen(...), der den Hungertod gegenüber dem geistigen Tod als Folge der E<strong>in</strong>zelhaftbevorzugt (Moroz). Auch die Zwangsernährung wird meistens als Folter erfahren,weil sie das Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unerträglichen Situation verlängert, während dieUmstände, die den Hungerstreik ausgelöst haben, nicht oder kaum beachtetwerden. Der über lange Zeit Hungerstreikende geht durch die HölIe, oft <strong>in</strong>absoluter E<strong>in</strong>samkeit". (Obers. BS)69 FalIaci, a. a. 0., S. 137.70 Vgl. zur Problematik unechter Unterlassungsdelikte: Dreher, a. a. 0., § 13StGB und Anmerkungen mit weiteren Verweisen; vgl. zum "bed<strong>in</strong>gten Vorsatz"Anmerkung 12.71 Vgl. zum Begriff "prozessuale Fürsorgepflicht": Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., S. 37ff. mit weiteren Verweisen.56872 In Anbetracht der später erwähnten Ergebnisse der Obduktionen sche<strong>in</strong>tder letzte Satz nicht haltbar zu se<strong>in</strong>.73 Siehe Anmerkung 6574 Joachim Wagner, Selbstmord und Selbstmordverh<strong>in</strong>derung. Zugleich e<strong>in</strong>Beitrag zur Verfassungsmäßigkeit der Zwangsernährung, C. F. MülIer,JuristischerVerlag, Karlsruhe 1976.75 Wagner, Anmerkung zum Beschluß des OLG Koblenz vom 2.6.77, JuristischeRundschau 1977, S. 475.76 Stuberger, a. a. 0., S. 172.Kapitel V1 Zitiert nach: Holger, der Kampf geht weiter, Dokumente und Diskussionsbeiträgezum Konzept StadtguerilIa, Politladen Verlagsgesellschaft, GaiganziOberfranken,1975, S. 106.2 Diese Entscheidung traf die Bundesregierung am 27.11.74 im Anschluß ane<strong>in</strong>e Konferenz der Justizm<strong>in</strong>ister des Bundes und der Länder am 15.11.74 <strong>in</strong>Stuttgart; Bullet<strong>in</strong> der Bundesregierung Nr. 144 vom 29.11. 74, S. 1445/1446.3 Den aus der Nazi-Zeit bekannten Begriff"Razzia" für größere Fahndungsaktionenmit Durchsuchungen und Personenüberprüfungen haben die Behörden <strong>in</strong>der BRD für denselben Zweck übernommen. BKA-Chef Herold z. B. benutzt denBegriff <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n (FR vom 3.5.79 1 "Krise des Sicherheitsgefühls, nicht derSicherheitslage"): "Desgleichen bleiben Razzien, massierten Kontrollen oder <strong>in</strong>tensivenFahndungse<strong>in</strong>sätzen der vom großen Aufwand her eigentlich zu erwartendedurchschlagende Erfolg meist versagt, die positive Bee<strong>in</strong>druckung derBevölkerung ist jedoch meßbar".4 Der Text der Pressemitteilung:"am 16. september 1974 soll vor der staatsschutzkammer stuttgart e<strong>in</strong> prozeßgegen mich wegen sogenannter unterstützung e<strong>in</strong>er 'krim<strong>in</strong>ellen vere<strong>in</strong>igung' <strong>in</strong>szene gesetzt werden.an diesem prozeß werde ich nicht teilnehmen.der prozeß gegen mich ist bestandteil der psychologischen kriegsführung, mitder der staatsschutzapparat der brd die widerlichen schauprozesse gegen die rotearmee fraktion (raf) vorbereitet. e<strong>in</strong>er der verteidiger soll vorab exemplarischabgeschossen, die übrigen damit diszipl<strong>in</strong>iertwerden.- deshalb jetzt der prozeß gegen e<strong>in</strong>en anwalt, zweie<strong>in</strong>halb jahre nach demanlaß der verlogenen anklage.- deshalb ausschließlich belastungszeugen, die unter dem druck der polizeistehen und sich selbst dadurch straflosigkeit erkaufen müssen, daß sie mitwirken,den dreck der polizei auf andere abzuladen.- deshalb e<strong>in</strong>mal mehr gez<strong>in</strong>kte akten, <strong>in</strong> denen sämtliche aussagen zur agententätigkeitdes hauptbelastungszeugen unterschlagen s<strong>in</strong>d.- deshalb dieselbe staatsschutzkammer, deren richter sich bereits dadurch alsfiguren der politischen polizeibewährt haben, daß sie den prozeß gegen den kilIerdes ermordeten macleod schon im vorverfahren abgewürgt haben.569


daß die justiz der brd als herrschafts<strong>in</strong>strument des kapitals funktioniert, zeigtschon ihr alltag:die teuren parteistreitigkeiten, <strong>in</strong> denen das kapital die justiz und ihre pufferbenutzt, um h<strong>in</strong>ter aller juristischer begriffshuberei per saldo stets se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressendurchzusetzen;der strafprozeß, wo im namen des volkes das volk selbst unter die ausbeutungsund eigentumsordnung diszipl<strong>in</strong>iertwird;der 'reform' strafvollzug, wo <strong>in</strong> den vollzugs- und psychiatrtschen anstaltenjeder rest von widerstand und leben erstickt oder abgespritzt wird und alle isoliertwerden, die sich nicht abrichten lassen; die klassenmentalität der richter undstaatsanwälte;ihr opportunismus; ihr zynismus, wo es darum geht, menschen auf jahre zu<strong>in</strong>ternieren und zu vernichten; die käuflichkeit der anwälte; ihre abhängigkeit; ihrefurcht; ihre geldschneiderei.diese volksfe<strong>in</strong>dliche justiz beweist <strong>in</strong> den verfahren gegen die gefangenen ausder raf, daß ihre faschistische kont<strong>in</strong>uität ungebrochen ist.es ist dieselbe justiz. sie spricht ihren eigenen angehörigen, den blutrtchter amvolksgerichtshof rehse von se<strong>in</strong>en mordtaten frei, weil- nicht obwohl- er freislernie zu widersprechen gewagt hat. sie deckt heute die morde der mobilen e<strong>in</strong>satzkommandos.sie vollstreckt die vernichtungsstrategie der politischen polizei gegenüberden antiimperialistischen kämpfern der raf mit beispiellosen terrorurteilen.es ist dieselbe konterrevolutionäre justiz. sie hat es für rechtens erklärt, daß derkommunistische arbeiter und antifaschist fiete schulz <strong>in</strong> der brd als mörder beschimpftwerden darf, sie verhetzt heute die revolutionäre raf als krim<strong>in</strong>ellebande.es ist dieselbe braune justiz. der bundesgerichtshof dieses staates hat jetzt den'euthanasie'arzt borm vom mord an unzähligen menschen freigesprochen, da erdie vergasung für e<strong>in</strong>en akt der barmherzigkeit gehalten und <strong>in</strong> guter absicht an ihrmitgewirkt habe. dieser bundesgerichtshof, dieser braune gansterhaufen, ist verantwortlichfür die hunderte von gerichtsbeschlüssen, aufgrund derer die sonderkommissionender politischen polizei und ihre handlanger das programm vonisolationsfolter, gehirnwäsche und vernichtung an politischen gefangenen durchführen.e<strong>in</strong>e solche justiz, nicht die raf, ist e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle vere<strong>in</strong>igung.die rote armee fraktion hat mit ihren wirkungsvollen schlägen <strong>in</strong> die zentren derus-militärbasen <strong>in</strong> west-europa die e<strong>in</strong>zige moralisch und strategisch angemesseneantwort unseres volkes auf den unvorstellbar grausamen vernichtungskrieggefunden, den der imperialismus seit jahren gegen das volk von vietnam unddamit gegen alle völker führt und führen läßt. der kampf der raf hat nicht nur <strong>in</strong> derdritten welt und ihren befreiungsbewegungen, sondern auch <strong>in</strong> den metropolenoffen und <strong>in</strong>sgeheim achtung und anerkennung gefunden.die beispiellose hetze, mit der der staatsapparat der brd, die geheimdienste, dieregierung, die krisenstäbe und sonderkommissionen, sicherungsgruppen undbgs-e<strong>in</strong>satzkommandos, die gesamte kapitalistische presse den antiimperialistischenkampf der raf verfolgt haben und verfolgen, beweist nur, daß dieser staatselbst e<strong>in</strong>e vom us-irnperialismus besetzte kolonie und se<strong>in</strong>e diener und bossedessen agenten s<strong>in</strong>d.das konzept der perfekten jahrelangen isolationsfolter gegen die politischengefangenen; die isolations-, konzentrations-, gehirnwäschetrakts, die heute <strong>in</strong> diegefängnisse e<strong>in</strong>gebaut werden; das als gerichtsgebäude getarnte konzentrationslager<strong>in</strong> stuttgart-stammheim beweisen nur, daß der faschismus nicht nur dasrezept des imperialismus zur ausbeutung und unterdrückung der völker der drittenwelt ist; daß der faschismus auch das programm ist für den bürgerkrieg gegen dasvolk hier.<strong>in</strong> den immer zahlreicheren politischen prozessen haben die justizorgane diefunktion von bloßen schaltstellen, von marionetten des staatsschutzapparatsübernommen. dieser ist der herr des verfahrens. der justiz verbleibt die aufgabe,die strategie der gewalt als recht zu verbrämen, machtpolitik <strong>in</strong> urteilen undgerichtsbeschlüssen mit brief und siegel e<strong>in</strong>zurahmen. der untaugliche juristischepomp, die gefälschten aktenberge dienen lediglich der rechtsstaatlichen tarnung,der täuschung des volkes.die maßnahmen, die diese politik der justiz <strong>in</strong> willfähriger unterwerfung unterdie politik des imperialismus anordnet, die rechtfertigungsideologie, die sie ihrliefern muß, stehen an unmenschlichkeit der vernichtungsstrategie der altenfaschisten gegen juden und kommunisten <strong>in</strong> nichts nach. aufrüstung, gleichschaltung,sozialhygiene, manipulation des rechts, folter und mord s<strong>in</strong>d nur wissenschaftlichund technisch perfektioniert.im rahmen e<strong>in</strong>er justiz, die sich dem imperialismus und se<strong>in</strong>er polizei verschriebenhat, wird die position nichtkorrupter verteidiger, die auf dem boden desrechtsstaats für das leben und die rechte ihrer mandanten kämpfen, krim<strong>in</strong>alisiertund liquidiert.das gesetzliche recht auf aktene<strong>in</strong>sicht wird dadurch zur farce, daß die staatsschutzorganelediglich bruchstücke der akten vorlegen. die verteidigerpost wirdgeöffnet, zensiert, beschlagnahmt. ihr <strong>in</strong>halt dient der konstruktion neuer anklagen.nahezu sämtliche anwälte der raf-gefangenen werden <strong>in</strong>zwischen selbststrafrechtlich verfolgt. alles wird unternommen, um die anwälte von den gefangenenzu trennen. ronald august<strong>in</strong> werden seit märz 1974 selbst die besuche se<strong>in</strong>erverteidiger abgeschnitten, damit er perfekter isoliert und gefoltert werden kann.den zugang zu andreas baader konnten sich die anwälte e<strong>in</strong>e zeitlang nur dadurcherkaufen, daß sie sich vor kz-wärtern nackt auszogen.<strong>in</strong>zwischen liegen faschistische gesetze 'zum schutz der rechtspflege' im entwurfvor, die es erlauben, den anwälten <strong>in</strong> politischen prozessen das wort zu verbietenoder sie e<strong>in</strong>fach von der verteidigung auszuschließen.kooperation mit dieser justiz heißt kollaboration. wo e<strong>in</strong>e rechtsstaatliche verteidigungunmöglich geworden ist, dienen der anwalt und se<strong>in</strong>e robe als lächerlichesdekor.die konsequenz heißt:zwischen sich und der politischen justiz den trennungsstrtch ziehen.- die rechtlosigkeit und unmenschlichkeit dieses staates begreifen.- erkennen, daß dieses ganze system von ausbeutung/profit/konsumlbestechung/lüge/rüstung/gewaltke<strong>in</strong>e zukunft hat.- den antifaschistischen kampf fortführen, den imperialismus angreifen.- dem volke dienen.FREIHEIT FÜR DIE RAF".5 § 353d StGB: Mit Freiheitsstrafe bis zu e<strong>in</strong>em Jahr oder mit Geldstrafe wirdbestraft, wer (...) 3. die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke e<strong>in</strong>es570571


Strafverfahrens, e<strong>in</strong>es Bußgeldverfahrens oder e<strong>in</strong>es Diszipl<strong>in</strong>arverfahrens, ganzoder <strong>in</strong> wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie <strong>in</strong> öffentlicherVerhandlung erörtert worden s<strong>in</strong>d oder das Verfahren abgeschlossen ist.6 BGBll, S. 3686 ff.7 E<strong>in</strong> "...geradezu amtemberaubender parlamentarischer Parforceritt ...", soUlsenheimer, Zur Regelung des Verteidigerausschlusses <strong>in</strong> §§ 138a-d, 146 n. F.StPO, Goltdammer Archiv 1975, S. 103 ff;Dahs (NJW 1975, 1385) kommentiertähnlich: "Die <strong>in</strong> großer Hektik konzipierten (...) Vorschriften des Ergänzungsgesetzeszum 1. St.VRG ...".8 § 138a. (Ausschluß des Verteidigers)(1) E<strong>in</strong> Verteidiger ist von der Mitwirkung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verfahren auszuschließen,wenn er dr<strong>in</strong>gend oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigendenGrade verdächtig ist, an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchungbildet, beteiligt zu se<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>e Handlung begangen zu haben, die für den Fallder Verurteilung des Beschuldigten Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlereiwäre.(2) E<strong>in</strong> Verteidiger ist von der Mitwirkung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verfahren auszuschließen,wenn er1. dr<strong>in</strong>gend verdächtig ist, daß er den Verkehr mit dem nicht auf freien Fußbef<strong>in</strong>dlichen Beschuldigten dazu mißbraucht, Straftaten, die im Höchstmaß mitm<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em Jahr Freiheitsstrafe bedroht s<strong>in</strong>d, zu begehen, oder2. den Verkehr mit dem nicht auf freiem Fuß bef<strong>in</strong>dlichen Beschuldigten dazumißbraucht, die Sicherheit e<strong>in</strong>er Vollzugsanstalt erheblich zu gefährden. Solangee<strong>in</strong> Verteidiger nach Satz 1 ausgeschlossen ist, kann er den Beschuldigten, der sichnicht auf freiem Fuß bef<strong>in</strong>det, auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen gesetzlich angeordnetenVerfahren nicht verteidigen.(3) Die Ausschließung ist aufzuheben, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehrvorliegen.§ 138b (Ausschluß wegen Gefährdung der Staatssicherheit) Von der Mitwirkung<strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Verfahren, das e<strong>in</strong>e der<strong>in</strong> § 74aAbs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 Nr. 3 desGerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten oder die Nichterfüllung derPflichten nach § 138 des Strafgesetzbuches h<strong>in</strong>sichtlich der Straftaten des Landesverratesoder e<strong>in</strong>er Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den §§ 94 bis 96,97a, 100 des Strafgesetzbuches zum Gegenstand hat, ist e<strong>in</strong> Verteidiger auchdann auszuschließen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahmebegründet ist, daß se<strong>in</strong>e Mitwirkung e<strong>in</strong>e Gefahr für die Sicherheit der BundesrepublikDeutschland herbeiführen würde. § 138a Abs. 3 gilt entsprechend.§ 138c (Verfahrensregelung für den Verteidigerausschluß)(1) Die Entscheidungen nach §§ 138a, 138b trifft das Oberlandesgericht.Werden im vorbereitenden Verfahren die Ermittlungen vom Generalbundesanwaltgeführt oder ist das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig, soentscheidet der Bundesgerichtshof. Ist das Verfahren vor e<strong>in</strong>em Senat e<strong>in</strong>esOberlandesgerichtes oder des Bundesgerichtshofes anhängig, so entscheidet e<strong>in</strong>anderer Senat.(2) Das nach Absatz 1 zuständige Gericht entscheidet im vorbereitenden Verfahrenauf Antrag der Staatsanwaltschaft, nach Erhebung der öffentlichen Klageauf Vorlage des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist. Die Vorlage erfolgtauf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen durch Vermittlung derStaatsanwaltschaft. Soll e<strong>in</strong> Verteidiger ausgeschlossen werden, der Rechtsanwaltist, so ist e<strong>in</strong>e Abschrift des Antrages der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 oder dieVorlage des Gerichts dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer mitzuteilen, derder Rechtsanwalt angehört. Er kann sich im Verfahren äußern.(3) Das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, kann anordnen, daß dieRechte des Verteidigers aus den § § 147, 148 bis zur Entscheidung des nach Absatz1 zuständigen Gerichts über die Ausschließung ruhen. Vor Erhebung der öffentlichenKlage trifftdie Anordnung nach Satz 1 das Gericht, das über die Ausschließungdes Verteidigers zu entscheiden hat. Die Anordnung ergeht durch unanfechtbarenBeschluß. Für die Dauer der Anordnung hat das Gericht zur Wahrnehmungder Rechte aus den §§ 147, 148 e<strong>in</strong>en anderen Verteidiger zu bestellen. §142 gilt entsprechend.(4) Legt das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, gemäß Absatz 2während der Hauptverhandlung vor, so hat es zugleich mit der Vorlage dieHauptverhandlung bis zur Entscheidung durch das nach Absatz 1 zuständigeGericht zu unterbrechen oder auszusetzen. Die Hauptverhandlung kann bis zudreißig Tagen unterbrochen werden.(5) Ist der Verteidiger von der Mitwirkung <strong>in</strong> dem Verfahren ausgeschlossenworden, so können ihm die durch die Aussetzung verursachten Kosten auferlegtwerden. Die Entscheidung hierüber trifft das Gericht, bei dem das Verfahrenanhängig ist.§ 138d (Mündliche Verhandlung; sofortige Beschwerde)(1) Ober die Ausschließung des Verteidigers wird nach mündlicher Verhandlungentschieden.(2) Der Verteidiger ist zu dem Term<strong>in</strong> der mündlichen Verhandlung zu laden.Die Ladungsfrist beträgt e<strong>in</strong>e Woche; sie kann auf drei Tage verkürzt werden. DieStaatsanwaltschaft, der Beschuldigte und <strong>in</strong> den Fällen des § 138 c Abs. 2 Satz 3der Vorstand der Rechtsanwaltskammer s<strong>in</strong>d von dem Term<strong>in</strong> zur mündlichenVerhandlung zu benachrichtigen.(3) Die mündliche Verhandlung kann ohne den Verteidiger durchgeführt werden,wenn er ordnungsgemäß geladen und <strong>in</strong> der Ladung darauf h<strong>in</strong>gewiesenworden ist, daß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abwesenheit verhandelt werden kann.(4) In der mündlichen Verhandlung s<strong>in</strong>d die anwesenden Beteiligten zu hören.Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßemErmessen. Ober die Verhandlung ist e<strong>in</strong>e Niederschrift aufzunehmen; die §§ 271bis 273 gelten entsprechend.(5) Die Entscheidung ist am Schluß der mündlichen Verhandlung zu verkünden.Ist dies nicht möglich, so ist die Entscheidung spätestens b<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>er Wochezu erlassen.(6) Gegen die Entscheidung, durch die e<strong>in</strong> Verteidiger aus den <strong>in</strong> § 138agenannten Gründen ausgeschlossen wird oder die e<strong>in</strong>en Fall des § 138b betrifft,ist sofortige Beschwerde zulässig. Dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer stehte<strong>in</strong> Beschwerderecht nicht zu. E<strong>in</strong>e die Ausschließung des Verteidigers nach §138a ablehnende Entscheidung ist nicht anfechtbar.9 § 137 (Wahl e<strong>in</strong>es Verteidigers)(1) Der Beschuldigte kann sich <strong>in</strong> jeder Lage des Verfahrens des Beistandese<strong>in</strong>es Verteidigers bedienen. Die Zahl der gewählten Verteidiger darf drei nichtübersteigen.572573


(2) Hat der Beschuldigte e<strong>in</strong>en gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieserselbständig e<strong>in</strong>en Verteidiger wählen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.10 § 146 (Geme<strong>in</strong>schaftlicher Verteidiger) Die <strong>Verteidigung</strong> mehrerer Beschuldigterdurch e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>schaftlichen Verteidiger ist unzulässig.11 § 231a (Abwesenheit des Angeklagten wegen Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit)(1) Hat sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>e Verhandlungsfähigkeitausschließenden Zustand versetzt und verh<strong>in</strong>dert er dadurch wissentlichdie ordnungsmäßige Durchführung oder Fortsetzung der Hauptverhandlung<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gegenwart, so wird die Hauptverhandlung, wenn er noch nicht überdie Anklage vernommen war, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abwesenheit durchgeführt oder fortgesetzt,soweit das Gericht se<strong>in</strong>e Anwesenheit nicht für unerläßlich hält. Nach Satz 1ist nur zu verfahren, wenn der Angeklagte nach Eröffnung des HauptverfahrensGelegenheit gehabt hat, sich vor dem Gericht oder e<strong>in</strong>em beauftragten Richter zurAnklage zu äußern.(2) Sobald der Angeklagte wieder verhandlungsfähig ist, hat ihn der Vorsitzende,solange mit der Verkündung des Urteils noch nicht begonnen worden ist, vondem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abwesenheitverhandelt worden ist.(3) Die Verhandlung <strong>in</strong> Abwesenheit des Angeklagten nach Absatz 1 beschließtdas Gericht nach Anhörung e<strong>in</strong>es Arztes als Sachverständigen. Der Beschlußkann bereits vor Beg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung gefaßt werden. Gegen denBeschluß ist sofortige Beschwerde zulässig; sie hat aufschiebende Wirkung. E<strong>in</strong>ebereits begonnene Hauptverhandlung ist bis zur Entscheidung über die sofortigeBeschwerde zu unterbrechen; die Unterbrechung darf, auch wenn die Voraussetzungendes § 229 Abs. 2 nicht vorliegen, bis zu dreißig Tagen dauern.(4) Dem Angeklagten, der ke<strong>in</strong>en Verteidiger hat, ist e<strong>in</strong> Verteidiger zu bestellen,sobald e<strong>in</strong>e Verhandlung ohne den Angeklagten nach Absatz 1 <strong>in</strong> Betrachtkommt.12 Als sog. "Formulierungsvorschläge für e<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung der Ausschließungdes Strafverteidigers", veröffentlicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufsatz von Lantzke(Juristische Rundschau 1973, S. 357 ff.).13 Auch schon vorgeschlagen von Rudolph (Deutsche Richter Zeitung 1973,S. 257 ff.) und Gross (Zeitschriftfür Rechtspolitik, 1974, S. 25 ff.) <strong>in</strong> ihren sehrkritischen Betrachtungen über e<strong>in</strong>e eventuelle gesetzliche Regelung des Ausschlussesvon Verteidigern.14 Vgl. DAV<strong>in</strong> Anwaltsblatt 1973, S. 89 ff. (Schmidt-Leichner <strong>in</strong> NJW 1973, S.969, Anmerkung 6 zufolge stimmte die nichtveröffentIichte Stellungnahme derBRAK damit übere<strong>in</strong>); Schmidt-Leichner, NJW 1973, S. 973; Schumann, JZ1973, S. 316 ff.; Lantzke, JR 1973, S. 357 ff.; Holtz, JR 1973, S. 362 ff.15 AlsTeil (Art. 1 Nr. 57 d) des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts(1. StVRG) vom 9.12. 74, am 11.12. 74<strong>in</strong> BGBl!. 3393 (Nr. 132) veröffentlichtund am 1.1. 75 <strong>in</strong> Kraft getreten; vgl. Lampe, Ermittlungszuständigkeit vonRichter und Staatsanwaltschaft nach dem 1. StVRG, NJW 1975, 195 ff.;vg!.auchHerrmann, Die Strafprozeßreform vom 1.1.1975, Juristische Schulung 1976, S.413 ff. mit weiterer Literatur; der Kritik,daß weder Beschuldigter noch Verteidigerdas Recht haben, bei der Anhörung von Zeugen und Gutachtern anwesend zuse<strong>in</strong>, begegnet Herrmann mit dem Argument, die Staatsanwaltschaft würde dieKrim<strong>in</strong>alpolizei mit der Anhörung beauftragen, wenn e<strong>in</strong> Anwesenheitsrecht gegebenwäre, "auch für polizeiliche Vernehmungen e<strong>in</strong> Anwesenheitsrecht zufordern, g<strong>in</strong>ge aber wegen der damit verbundenen Belastung der Ermittlungstätigkeitzu weit" (!), S.414.16 Als Teile des Entwurfs e<strong>in</strong>es Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts,Bundestagsdrucksache 7/2526.17 Hermann V<strong>in</strong>ke und Gabriele Witt, Die Anti-Terror-Debatten im Parlament,Protokolle 1974-1978, Rowohlt, Re<strong>in</strong>bek 1978, S. 20.18 MdB Dr. Lenz (CDU/CSU) im Bundestag am 18.12.74, zitiert nach V<strong>in</strong>keund Witt, a. a. 0., S. 53.19 Der Spiegel 48/74.20 V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 5321 C. F. Rüter, "Een Lex Baader-Me<strong>in</strong>hof"?, <strong>in</strong>: Delikten Del<strong>in</strong>kwent, 1975, S.335 und 345/346; Bundesjustizm<strong>in</strong>ister Vogel bestätigte diese Erklärung 1979 <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Vortrag vor dem 40. Deutschen Anwaltstag, Anw.BI. 1979, S. 294.22 Das sog. Anti-Terrorismus-Gesetz vom 18.8.76 (BGBII,S. 2181 ff.)änderte§ 148 StPO und verordnete die im neuen § 148a StPO ausgearbeitete richterlicheüberwachung des schriftlichen Verkehrs zwischen e<strong>in</strong>em wegen Verdachts e<strong>in</strong>erStraftat nach § 129a StGB Inhaftierten und se<strong>in</strong>em Verteidiger. Der neue Straftatbestand§ 129a StGB (terroristische Vere<strong>in</strong>igung) wurde mit demselben Gesetze<strong>in</strong>geführt; kraft übergangsregelung sollte die überwachungsregelung auch <strong>in</strong>schon wegen § 129a e<strong>in</strong>geleiteten Verfahren angewendet werden.23 vgl. zum Recht auf <strong>Verteidigung</strong> als Teildes Fundaments e<strong>in</strong>es "rechtsstaatlichenStrafverfahrens" BVerfGE 26,66 (71) = NJW 69, S. 1423.24 Rüter, a. a. 0., S. 335.25 V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 43.26 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 138. Sitzung, Stenografischer Bericht,18.12.74, S. 9500; V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 62.27 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 138. Sitzung, Stenografischer Bericht,18.12.74, S. 9515; V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 52.28 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 138. Sitzung, Stenografischer Bericht,18.12.74, S. 9517; V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 56.29 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 253. Sitzung, Stenografischer Bericht,24.6.76, S. 17990; siehe auch 3. Internationales Russell-Tribunal, Bd. 4,Rotbuch, Berl<strong>in</strong> 1979, S. 40.30 Siehe Anmerkung 8.31 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 138. Sitzung, Stenografischer Bericht,18.12.74, S. 9513.32 Rüter, a. a. 0., S. 34533 BVerfG 4.7.75, NJW 1975, S. 2341; zu Croissant.34 Den auch <strong>in</strong>haltlichen ad-hoc-Charakter e<strong>in</strong>iger Ausschließungsgründebestätigt ohne Umschweife Prof. Dr. Joachim Herrmann <strong>in</strong>: Juristische Schulung,1976, S. 418 ("...teils eigens für die Baader-Me<strong>in</strong>hof-Verfahren geschaffeneAusschlußgründe").35 Rüter, a. a. 0., verweist namentlich auf K. H. Gross, Der erweiterte Verteidigerausschlußnach § 138a II StPO - e<strong>in</strong>e Fehlentscheidung des Gesetzgebers,NJW 1975, S. 422 ff. und E. Schmidt-Leichner, Strafverfahrensrecht 1975 ­Fortschritt oder Rückschritt?, NJW 1975, S. 417 ff., beide schon früher von F. W.574575


Grosheide <strong>in</strong>: Advocatenblad 1975, S. 203 ff., zitiert. In der westdeutschenFachpresse erschienen später Abhandlungen über die Verteidigerausschließungu. a. von Klaus Ulsenheimer, Goltdammer Archiv 1975, S. 103 ff.; Hans Dahs,NJW 1975, S. 1385 ff.; Knapp, Anwaltsblatt 1975, S. 371 ff.; Lampe, MDR1975, S. 529 ff; Dünnebier, NJW 1976, S. 2 ff.; Herrmann, Juristische Schulung1976, S. 413 ff.36 Siehe Kap. 11, Anm. 149 und 150. Veröffentlichungen seit der Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts vom 14.2.73 im Fall Schily u. a.: Schumann,Juristen Zeitung 1973, S. 314 ff.; Schmidt-Leichner, NJW 1973, S. 969ff.; Rudolph, Deutsche Richter Zeitung 1973, S. 257 ff.; Lantzke, JuristischeRundschau 1973, S. 357 ff.; Holtz, Juristische Rundschau 1973, S. 362 ff.;Knapp, Juristische Schulung 1974, S. 20 ff.; Friedrichs, Juristische Rundschau1974, 5.177 ff.; Hannover, Kritische Justiz 1974, 5.135 ff.; Waller, DeutscheRichter Zeitung 1974, S. 177 ff.; Gross, Zeitschrift für Rechtspolitik 1974, S. 25ff.37 BVerfGE 34, 293, 302: "Der Ausschluß von der <strong>Verteidigung</strong> ist dieschärfste Maßnahme, die im Strafverfahren gegenüber dem Anwalt des Beschuldigtenüberhaupt <strong>in</strong> Betracht kommt".38 "Der Strafverteidiger ist damit - wenn auch nicht alle<strong>in</strong> - e<strong>in</strong>e Art Garantder Unschuldsvermutung des Art. 6 11MRK, der Rechtssicherheit und mittelbare<strong>in</strong> Förderer des gerechten Urteils", Dahs, Ausschließung und überwachungdes Strafverteidigers - Bilanz und Vorschau, NJW 1975, S. 1385 ff (1386);auch: Kern-Rox<strong>in</strong>, Strafverfahrensrecht, 14. Aufl. 1976, S. 83.39 BVerfG E 34, 30740 Ronald Dwork<strong>in</strong>, Tak<strong>in</strong>g Rights Seriously, <strong>in</strong> N. Y. Review of Books XV,11 (17.12.70), S. 23 ff.; ders.: Tak<strong>in</strong>g Rights Seriously, Harvard UniversityPress, Cambridge/Massachusetts, 1977 - <strong>in</strong> dieses wichtige Buch ist der zuvorgenannte Aufsatz als Kapitel 7 aufgenommen worden.41 Dwork<strong>in</strong>, a. a. 0., S. 28; ders., a. a. 0., S. 20042 a. a. 0., S. 29, ders., a. a. 0., S. 20043 Müller, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Strafverfahren, NJW 1976,S. 1063; vgl. Schmidt-Leichner, NJW 1975, S. 47 ff, und Jung, JuS 1975,S. 261 ff.44 Dahs, NJW 1975, S. 1385 ff (1389).45 Baumann, ZRP 1975, S. 38 ff (39).46 Rüter, a. a. 0., S. 345.47 a. a. 0., S. 346: "Ausschließung <strong>in</strong> solchen Fällen wird noch merkwürdiger,wenn man bedenkt, daß der westdeutsche Legalitätsgrundsatz nicht aufrechterhaltenwird und die Strafverfolgung e<strong>in</strong>gestellt werden kann, wenn demTäter z. B. beim Delikt Strafvereitelung oder Unterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Schuldvorwurf gemacht werden kann (§ 153StPO)".48 § 257 Abs. 1 StGB: "Wer e<strong>in</strong>em anderen, der e<strong>in</strong>e rechtswidrige Tatbegangen hat, <strong>in</strong> der Absicht Hilfe leistet, ihm die Vorteile der Tat zu sichern,wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft".49 Ause<strong>in</strong>andergenommen und Text <strong>in</strong>haltlich verändert durch das E<strong>in</strong>führungsgesetzzum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2.3.74 (Art. 9 Nr. 131 bis133); BGBll 469.50 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Dr. 000 Schmidt, Köln 1977, S. 34.Siehe auch: Wolfgang Strzyz, Die Abgrenzung von Strafverteidigung und Strafvereitelung,M<strong>in</strong>erva, München 1983.51 Vgl. Holtz, JR 1973, S. 362; auch schon Scanzoni, JW 1932, S. 3583: ,,§257 StGB schwebt dauernd wie das Schwert des Damokles über dem Kopf desVerteidigers".52 Gallas, Grenzen zulässiger <strong>Verteidigung</strong> im Strafprozeß, ZStW 1934,S.256ff.53 JW 1929, S. 568.54 Dahs, a. a. 0., S. 34: "Der Verteidiger bef<strong>in</strong>det sich ständig <strong>in</strong> der Nähestrafbarer Strafvereitelung" .55 a. a. 0., S. 34 ff.56 Bizarr ist, daß Rüter (a. a. 0., S. 347/348) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Betrachtung der Ausschließungvon Croissant durch das OLG Stuttgart zwar die Frage aufwirft, "obhier nicht zu leichtfertig e<strong>in</strong> 'unterstützen von' e<strong>in</strong>er oder 'werben für' e<strong>in</strong>ekrim<strong>in</strong>elle(n) Vere<strong>in</strong>igung angenommen wurde", die Beantwortung dieser Frageaber nicht im Zusammenhang mit den "Konsequenzen der Formulierung des §138 a, 1" sieht. Gerade um diesen Zusammenhang geht es aber!57 Vgl. Anmerkung 36.58 Rudolph, Deutsche Richter Zeitung 1973, S. 257 ff.59 Schmidt-Leichner, NJW 1973, S. 969 ff;die vorgeschlagene Generalklauseilautet: "Der Rechtsanwalt ist als Verteidiger ausgeschlossen, wenn gegen ihn aufGrund bestimmter Tatsachen der dr<strong>in</strong>gende Verdacht besteh~ daß er an der Tatdes Angeklagten oder ihren Folgen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise beteiligt war oder ist, die se<strong>in</strong>eUnabhängigkeit als Organ der Rechtspflege <strong>in</strong> dieser Sache so bee<strong>in</strong>trächtigt, daßauch se<strong>in</strong>e Berufspflicht e<strong>in</strong>e weitere Tätigkeit als Verteidiger <strong>in</strong> dieser Sacheverbietet" (S. 973).60 Gross, ZRP 1974, S. 25 ff (31).61 Rüter, a. a. 0., S. 346, 349.62 F. W. Grosheide, Onder verdenk<strong>in</strong>g, Advokatenblad 1975, S. 58 ff.63 a. a. 0., S. 63.64 P. H. Bakker Schut, Lex Baader-Me<strong>in</strong>hof, Advokatenblad 1975, S. 67 ff(77).65 So auch SPD-Abgeordnete während der Debatten über die Problematik desVerteidigerausschlusses im Bundestag 1959 und 1963, vgl. (zustimmend)Schmidt-Leichner, NJW 1973, S. 969 ff. Vgl. Ado1fArndt, Umwelt und Recht,NJW 1964, S. 2146 ff. Seebode, NJW 1972, S. 2258/59, weist auf die Möglichkeite<strong>in</strong>es "bereits mehrfach vorgeschlagenen und diskutierten ehrengerichtlichenSchnellverfahrens" h<strong>in</strong>. Auch Knapp, <strong>Verteidigung</strong> des Rechtsstaats durch Bekämpfungdes Verteidigers?, Anwaltsblatt 1975, S. 371 ff., hält "mittlerweile dieAusschlußkompetenz des ordentlichen statt des anwaltlichen Berufsgerichts füre<strong>in</strong> übel". Die herrschende Auffassung war aber dem immer entgegengesetzt.Literatur seit 1925 bei Ulsenheimer, a. a. 0., 5.119 (se<strong>in</strong>e Anmerkungen 104 und106).66 S. Anm. 967 Vgl. Rüter, a. a. 0., S. 339.68 Grosheide, a. a. 0., 5.60.69 Rüter, a. a. 0., S. 340.576577


70 Ablehnend auch Dahs, NJW 1975, S. 1387; Quack, S<strong>in</strong>n und GrenzenAnwaltlicher Unabhängigkeit heute, NJW 1975, S. 1337 ff. (1339) und <strong>in</strong>den Niederlanden: Veegens, Grensproblemen van de verdedig<strong>in</strong>g <strong>in</strong> strafzaken,NJB 1975, S. 809 ff. (812). übrige Autoren zustimmend, wobei meistdie Begründung des Gesetzgebers wiederholt wird; so z. B. J. Herrmann, JuS1976, S. 417: "Die Beschränkung der Zahl der Verteidiger auf drei (...) ware<strong>in</strong>e unmittelbare Antwort des Gesetzgebers auf die Schwierigkeiten <strong>in</strong> denBaader-Me<strong>in</strong>hof-Verfahren, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>zelne Beschuldigte zwischen zehnund sechzehn Verteidiger beauftragt hatten. Hierdurch s<strong>in</strong>d nicht nur die Vorverfahren<strong>in</strong> die Länge gezogen worden, sondern es war auch abzusehen,daß es <strong>in</strong> den Hauptverhandlungen zu Verzögerungen kommen würde, ja dieProzeßverschleppung war von den Beschuldigten geradezu beabsichtigt.71 Schmidt-Leichner, NJW 1975, S. 419,420.72 S. Anm. 1073 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 138. Sitzung, StenografischerBericht, 18. 12. 74, S. 9499-9519.74 In der Begründung wird weiter noch als Argument aufgeführt, es könnefür den Richter im E<strong>in</strong>zelfall schwierig se<strong>in</strong>, zu beurteilen, ob e<strong>in</strong> Ausschließungsgrundvorliegt und ob e<strong>in</strong>e spätere Ausschließung zu prozessualenKomplikationen führen kann; e<strong>in</strong> vollständiges Verbot der geme<strong>in</strong>schaftlichen<strong>Verteidigung</strong> sei deshalb e<strong>in</strong>deutiger als es e<strong>in</strong> Ausschließungsgrund se<strong>in</strong> könne.75 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 138. Sitzung, StenografischerBericht, 18.12.74, S. 8234; V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 27.76 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 138. Sitzung, StenografischerBericht, 18.12.74, S. 8234; V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 32.77 Nach § 14 Abs. 1 BRAO s<strong>in</strong>d ehrengerichtliche Maßnahmen: 1. Warnung,2. Verweis, 3. Geldbuße bis DM 20.000, 4. Ausschließung aus derRechtsanwaltschaft. Nach Abs. 2 können die Maßnahmen des Verweises undder Geldbuße nebene<strong>in</strong>ander verhängt werden. Nach § 45 BRAO darf e<strong>in</strong>Rechtsanwalt nicht tätig werden (u. a.), ,,2. wenn er e<strong>in</strong>e andere Partei <strong>in</strong> derselbenRechtssache bereits im entgegengesetzten Interesse beraten oder vertretenhat". Nach Isele (Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, JuristischerFachbuchverlag, Essen 1976, S. 848) bleibt davon unberührt: "der sicherlichbedeutsamste und schlimmste Fall, daß e<strong>in</strong> Rechtsanwalt gleichzeitigfür die e<strong>in</strong>e und die andere Partei im entgegengesetzten Interesse tätig ist".Dieser Fall verstößt gegen die "Generalklausel" des § 43 BRAO: "DerRechtsanwalt hat se<strong>in</strong>en Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich <strong>in</strong>nerhalbund außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellungdes Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen". Vgl. dazu: Isele, "EntgegengesetzteInteressen" (S. 563-575) und "<strong>Verteidigung</strong>" (S. 756-759:"Der Advocatus <strong>in</strong>habilis").78 § 356 StGB: ,,1. E<strong>in</strong> Anwalt oder e<strong>in</strong> anderer Rechtsbeistand, welcherbei den ihm <strong>in</strong> dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten <strong>in</strong> derselbenRechtssache beiden Parteien durch Tat oder Beistand pflichtwidrig dient, wirdmit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft." Vgl. Geppert,Der strafrechtliche Parteiverrat, Darmstadt 1961, S. 78 ff., zur Beziehungzwischen den §§ 356 StGB und 45/43 BRAO.79 Rüter, a. a. 0., S. 343.80 Dokumentation über Aktivitäten anarchistischer Gewalttäter <strong>in</strong> der BRD,Bonn 1974, S. 153.81 Hans Dahs jun., Das rechtliche Gehör im Strafprozeß, München 1965, S.53.82 Peters, Der neue Strafprozeß, Darstellung und Würdigung, Müller, Karlsruhe1975, S. 103.83 Herrmann, Die Strafprozeßreform vom 1.1.1975, JS 1976, S. 418, Anm.83.84 OLG Düsseldorf, MDR 76, 687 Nr. 78; LG Hannover, AnwBI 75, 405; LGKrefeld, NJW 1976, S. 1415 = MDR 76,600. Vgl. Krämer, Die geme<strong>in</strong>schaftliche<strong>Verteidigung</strong> 1.S. des § 146 StPO, NJW 1976, S. 1664 ff (1667).85 BVerfG NJW 1977, S. 99 = AnwBI1977, S. 32.86 Isele, a. a. 0., S. 757.87 LG Düsseldorf, AnwB11975, S. 1366.88 Vgl. auch Isele, a. a. 0., S. 757: "Schon die Beratung mehrerer Beschuldigterist nicht gestattet, denn sie bedeutet bereits, wenn auch zunächst nach außennicht erkennbar, e<strong>in</strong> Verteidigen. Der Beg<strong>in</strong>n des Verbotes ist letztlichnur vorverlegtund sollverh<strong>in</strong>dern, daß die <strong>in</strong> allen solchen Fällen gegebene Kollisionsgefahrgar nicht erst auftritt".89 Mitteilung des Rechtsanwalts an das Gericht, daß er e<strong>in</strong>en bestimmtenMandanten vertritt.90 E<strong>in</strong> Pflichtverteidiger ist e<strong>in</strong> vom Vorsitzenden des Gerichts beigeordneterVerteidiger. Die Rechtsfigur ist vergleichbar mit dem niederländischen "toegevoegderaadsman" (beigeordneter Verteidiger), obwohl letzterer, anders als <strong>in</strong> derBRD, gleich nach der Festnahme e<strong>in</strong>es Verdächtigen, also bereits bei der E<strong>in</strong>lieferung<strong>in</strong> Polizeigewahrsam, von der öffentlichrechtlichen Institution Bureau voorRechtshulp (Büro für Rechtshilfe) beigeordnet wird. In den Niederlanden ist e<strong>in</strong>Verdächtigter aber nie verpflichtet, sich verteidigen zu lassen. Das westdeutscheStrafverfahrensrecht kennt dagegen <strong>in</strong> § 140 Abs. 1 StPO acht Fälle von "notwendiger<strong>Verteidigung</strong>"; <strong>in</strong> § 140 Abs. 2 StPO werden weitere Fälle genannt, <strong>in</strong> denender Vorsitzende e<strong>in</strong>es Gerichts entscheiden kann, ob <strong>Verteidigung</strong> "notwendigist". Notwendige <strong>Verteidigung</strong> ist z. B. dann gegeben, wenn die Hauptverhandlungim ersten Rechtszug vor e<strong>in</strong>em OLG oder LG stattf<strong>in</strong>det, wenn dem Beschuldigtene<strong>in</strong> Verbrechen (Delikt mit Strafandrohung von e<strong>in</strong>em Jahr oder mehrFreiheitsstrafe) zur Last gelegt wird oder wenn der Beschuldigte sich m<strong>in</strong>destensdrei Monate lang <strong>in</strong> Untersuchungshaft oder e<strong>in</strong>er Heil- und Pflegeanstalt befundenhat. E<strong>in</strong> Pflichtverteidiger wird nur dann beigeordnet, wenn noch ke<strong>in</strong> Wahlverteidigerauftritt. Wie <strong>in</strong> den Niederlanden ist es auch <strong>in</strong> der BRD üblich, daß e<strong>in</strong>schon auftretender gewählter Verteidiger e<strong>in</strong>em Angeklagten, der das Honorar fürse<strong>in</strong>en Anwalt nicht zahlen kann, als Pflichtverteidiger beigeordnet wird (wie <strong>in</strong>diesem Fall Heldmann); der Verteidiger erhält dann se<strong>in</strong> Honorar vom Staat (<strong>in</strong>der BRD erheblich mehr als <strong>in</strong> den Niederlanden) und der Angeklagte verfügtüber e<strong>in</strong>en Rechtsanwalt se<strong>in</strong>es Vertrauens. Wird der Angeklagte ganz oderteilweise schuldig gesprochen, holt sich der Staat von ihm - sofern er Vermögenhat - den Honorarvorschuß vom Verurteilten ganz oder teilweise zurück. In derBRD muß der Pflichtverteidiger - anders als <strong>in</strong> den Niederlanden - während derganzen Dauer der Hauptverhandlung anwesend se<strong>in</strong>. Auch wenn ke<strong>in</strong> Vertrau-578579


ensverhältnis besteht, soll der Pflichtverteidiger die Interessen des Angeklagtengegen dessen Willen vertreten.91 Heldmann, Von neue m Strafprozeß und altem Grundgesetz, Demokratieund Recht Nr. 3/1975, S. 315 ff. (dasselbe <strong>in</strong>: Vorgänge Nr. 15/1975, S. 15 ff.).92 BVerwGE 10, 282 = NJW 1960, S. 1588.93 BVerfGE 18, 429, 439; 30, 250, 267; 31, 222, 226; 36,73,82.94 BVerfGE 39,156 = NJW 1975, S. 1013.95 Herrmann, JuS 1976, S. 413 ff. (418).96 Dahs, NJW 1975, S. 1385 ff. (1387).97 Krämer, NJW 1976, S. 1665.98 Schmidt-Leichner, NJW 1975, S. 417 ff. (419).99 Herrmann, JuS 1976, S. 413 ff (418).100 Dahs, NJW 1975, S. 1385 ff (1387).101 Ulsenheimer, GA 1975, S. 103 ff (115). - Kritisch auch Roesen, AnwBI1975, S. 132; Zuck, NJW 1975, S. 434 ff.;Quack, NJW 1975, S. 1339; Jung, JuS1975, S. 263; Dünnebier, NJW 1976, S. 7; Kogel, MDR 1976, S. 686; Löwe­Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Groß­Kommentar, Bd. 2 §§ 112 bis 212 b / Bearb.: Dünnebier, 23. Aufl., Berl<strong>in</strong>/NewYork, de Gruyter 1978, Anm. 1 zu § 146 StPO.102 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache7/2526, S. 11.103 Bakker Schut, Lex Baader-Me<strong>in</strong>hof, Adv. blad 1975, S. 67 ff (76); ders.,Politieke Justitie <strong>in</strong> de Bondsrepubliek Duitsland, NJB 1975, S. 203 ff.104 Wie z. B. der CDUlCSU-Abgeordnete Dr. Lenz am 18.12.74; vgl. V<strong>in</strong>keund Witt, a. a. 0., S. 49 ff.105 So der SPD-Abgeordnete Dürr; vgl. V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 56.106 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Anm. 5 zu § 146 StPO.107 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Bd. 3, §§ 213-358 / Bearb.: Gollwitzer;Meyer,23. Aufl. 1978, Anm. 3 zu § 264 StPO (1. Gegenstand der Urteilsf<strong>in</strong>dung ist die <strong>in</strong>der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlungdarstellt).108 a. a. 0., Anm. 4 zu § 264 StPO.109 Siehe Kap. VIII,5.2.2. und 5.4.1.110 RAF, Texte, Bo Cavefors, Malmö 1977.111 Über dieses Gesetz schrieb ich den Aufsatz "Een Muilkorfwet" <strong>in</strong>: Recht,Macht en Manipulatie, Het Spektrum, UtrechtiAntwerpen 1976, S. 230 ff.112 AH.J. Swart, Die Auslieferung von Folkerts, Wackernagel und Schneider,Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 1979, S. 773 ff; Siehe auch:Bullet<strong>in</strong> Nr. 11 des Medisch-Juridisch Comite voor Politieke Gevangenen, Utrecht.113 Ausführlich dazu: Bullet<strong>in</strong> Nr. 13 des Medisch-Juridisch Comite voorPolitieke Gevangenen, Utrecht.114 Vgl. L'Affaire Croissant, Maspero, Paris 1977, S. 153 ff; siehe Kap. IX,2.2.1.115 BVerfG (Dreierbeschluß - I BvR 883/75), NJW 1976, S. 231.116 OLG München (28.11.75 -1 WS 1304/75), NJW 1976, S. 252.117 Vertretung durch e<strong>in</strong>en sogenannten unterbevollmächtigten Vertfidiger istdann möglich, wenn die Verh<strong>in</strong>derung des eigentlichen Verteidigers "ohne weite-res erkennbar oder bewiesen" ist. E<strong>in</strong> unterbevollmächtigter Verteidiger wird vonder Beschränkung der Wahlverteidigerzahl auf drei nicht betroffen. Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht,a. a. 0., Anm. 6 vor und Anm. 2 B zu § 137 StPO.118 Kritisch dazu, Krämer, NJW 1976, S. 1665.119 Vgl. Anm. 90120 Näheres bei Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Anm. 72 bis 95 zu § 338 StPO.121 V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 66. Bundesjustizm<strong>in</strong>isterJochen Vogel äußertesich am selben Tag ähnlich, vgl. V<strong>in</strong>ke und Witt, a. a. 0., S. 44. Herrmann <strong>in</strong> JuS1976, S. 419: "Wegen dieser E<strong>in</strong>schränkungen drohte der Hungerstreik <strong>in</strong> denBaader-Me<strong>in</strong>hof-Verfahren die Gerichte <strong>in</strong> Schwierigkeiten zu br<strong>in</strong>gen, denn eswar zu befürchten, daß die Angeklagten schon vor ihrer Vernehmung zur Anklagenicht verhandlungsfähig se<strong>in</strong> würden. Hier wurde Abhilfe durch § 231a geschaffen,der die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten auch für den Fallvorsieht,daß er noch nicht über die Anklage vernommen ist". Kritisch Rudolphi, ZRP1976, S. 165 ff. (172-173).122 Johan van M<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der holländischen Wochenzeitung "VrijNederland"vom 1.2.75: "Oe lex Baader-Me<strong>in</strong>hof <strong>in</strong> premiere bij een Keuls zigeunerproces";"Der Spiegel", 27.1.75: "Zwar sollte der Gesetzeszusatz vor allem verdächtigteAnwälte der Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe treffen, erstmals angewandt worden ist er ­nun allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unpolitischen Prozeß ...".123 Es handelte sich um e<strong>in</strong>en heftigen Streit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zigeunerfamilie; Nachbarnhatten die Polizei wegen Belästigung gerufen. Vgl. OLG Köln, NJW 1975,459.124 Richter Victor Henry de Somoskeoy hatte schon Mitte 1974 als VorsitzenderRichter im Strafverfahren gegen Beate Klarsfeld wegen se<strong>in</strong>es rüden Verhaltensu.a. gegenüber Zeugen aus Frankreich <strong>in</strong>ternational Schlagzeilen gemacht.Beate Klarsfeld war damals angeklagt wegen ihrer Aktionen gegen den KölnerBananenkaufmann Kurt Lischka, der wegen se<strong>in</strong>er maßgeblichen Beteiligung amTerror der nationalsozialistischen Besetzer von der französischen Justiz nach 1945<strong>in</strong> Abwesenheit zum Tod verurteilt worden war.125 Dazu Schmidt-Leichner, NJW 1975, S. 420, 421: "Wie verlautet, soll ermit Zeugen 'gesprochen haben', die er selbst <strong>in</strong> das Verfahren e<strong>in</strong>führen wollte.Dies wäre nicht nur se<strong>in</strong> Recht, sondern se<strong>in</strong>e Pflicht gewesen, denn der Verteidigerhat se<strong>in</strong> 'eigenes Ermittlungsverfahren' zu führen und muß - wenn dies mitlauteren Mitteln geschieht - das überkommene Mißtrauen von Richtern undStaatsanwälten ignorieren". Vgl. Dahs, Handbuch, a. a. 0., S. 114-117.126 OLG Köln, NJW 1975, S. 459 ff.127 AnwBI 1975, S. 98; vgl. dazu Quack, S<strong>in</strong>n und Grenzen anwaltlicherUnabhängigkeit heute, NJW 1975, S. 1339.128 BGH, NJW 1973, S. 2035 ff (2036).129 Kurz<strong>in</strong>formation zu den Ausschlußanträgen gegen die Verteidiger vonAndreas Baader Rechtsanwälte Klaus Croissant und Kurt Groenewold im StuttgarterVerfahren gegen Mitglieder der RAF vom 20.3.75, Ausgabe des AnwaltsbürosGroenewold, Hamburg, S. 11.130 § 148 StPO (alte Fassung): "Dem Beschuldigten ist, auch wenn er sichnicht auf freiem Fuß bef<strong>in</strong>det, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit demVerteidiger gestattet".131 Michael Empell, Zur Kampagne für das Verteidigerausschlußgesetz und580581


gegen die <strong>Verteidigung</strong> von Gefangenen aus der RAF,Ausgabe des AnwaltsbürosGroenewold, Hamburg 1975, S. 23.132 Vgl.Ausschaltung <strong>Politische</strong>r <strong>Verteidigung</strong>, Broschüre der Regional<strong>in</strong>itiative<strong>Politische</strong>r Verteidiger und Asta Universität Frankfurt, Frankfurt 1977, S. 18.Vgl. auch BVerfGE 39,238 = NJW 1975, S. 1015 = AnwB11975, S. 212.133 § 138c Abs. 2 StPO: "Das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist,kann anordnen, daß die Rechte des Verteidigers aus den §§ 147, 148 bis zurEntscheidung des nach Absatz 1 zuständigen Gerichts über die Ausschließungruhen".134 <strong>Politische</strong> Prozesse ohne <strong>Verteidigung</strong>, Wagenbach, Berl<strong>in</strong> 1976, S. 25;OLG Stuttgart, 12.3.75,2 ARS 81/75.135 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 135. Sitzung, StenografischerBericht, 13.3.75, S. 10734.136 a. a. 0., S. 10735.137 OLG Stuttgart, 9.4.75, NJW 1975, S. 1669.138 "Der Spiegel" vom 21.4.75 zitiert<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht über das "Geheimverfahrenh<strong>in</strong>ter Sicherheitsschleusen und verschlossenen Türen" mehrere prom<strong>in</strong>entewestdeutsche Anwälte (darunter den Vorsitzenden des Deutschen Anwaltsvere<strong>in</strong>s),die sich ebenfalls geweigert hätten, an e<strong>in</strong>em derartigen Verfahrenteilzunehmen. Den Antrag Croissants vom 29.4.75, ihm mitzuteilen, auf welcherGrundlage die Durchsuchungsanordnung beruhe, beantwortete der Präsidentdes OLG am 9.5.75: "Auf Ihre obengenannte Anfrage teile ich Ihnen mit, daß fürdas Mehrzweckgebäude <strong>in</strong> Stuttgart-<strong>Stammheim</strong> e<strong>in</strong>e schriftliche Hausordnungnicht besteht. Am 14. April 1975 habe ich folgende Anordnung getroffen: ,ImE<strong>in</strong>vernehmen mit dem Justizm<strong>in</strong>isterium (Telefongespräch mit M<strong>in</strong>isterialdirektorDr. Rebmann am 14.4.1975) bleibt es auch während der mündlichen Verhandlungim Ausschlußverfahren gegen Rechtsanwalt Dr. Croissant bei der Anordnung,daß sämtliche Personen, die das Mehrzweckgebäude <strong>in</strong> Stuttgart­<strong>Stammheim</strong> betreten, von der Polizei zu durchsuchen s<strong>in</strong>d, sofern die Polizei e<strong>in</strong>Sicherheitsrisiko nicht ausschließen kann'." Wegen der architektonischen undorganisatorischen Komb<strong>in</strong>ation von Vollzugsanstalt und Gerichtsgebäude("Mehrzweckgebäude") verschiebt sich die Verfügungsgewalt der richterlichenInstanzen über die Benutzung ihrer eigenen Räume zwangsläufig zur Exekutive,zur Polizei. E<strong>in</strong> solcher Präzedenzfall fördert e<strong>in</strong>e derartige Verschiebung, so daßnach e<strong>in</strong>iger Zeit derartige Maßnahmen auch für Gerichtsgebäude ohne Vollzugsfunktionengetroffen werden. Das ist <strong>in</strong>zwischen tatsächlich der Fall.139" 1. Mith<strong>in</strong>reichender Deutlichkeit ergibt sichjedenfalls aus dem Schreibendes Verteidigers vom 2. November 1974 an den Angeklagten Baader (BI. 74;Anlage 12 der Antragsschrift), daß Rechtsanwalt Dr. Croissant das <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><strong>in</strong>haftierte Mitglied Braun der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung wegen des Aufgebens imHungerstreik durch Vorenthalten von Informationsmaterial diszipl<strong>in</strong>ierte, dafürdie Zustimmung des als Rädelsführer beschuldigten Angeklagten Baader nachsuchteund weitere Maßnahmen gegen Braun vorschlug. In Anbetracht derBedeutung sowohl des Informationsmaterials (z.B. BI. 32 ff; Anlage 6 der Antragsschrift),das alle <strong>in</strong>haftierten Mitgliederder krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung durch ihreVerteidiger erhielten, als auch wegen der Bedeutung des Hungerstreiks (z.B. BI.37-52; Anlagen 7 und 8 der Antragsschrift), der nicht nur dem vordergründigenZiel diente, Hafterleichterungen durchzusetzen, sondern überdies selbst auf dieGefahr der Aufopferung e<strong>in</strong>zelner Mitglieder den Zusammenhalt der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> der Haft stärken, evident und so zum öffentlichen Werbefaktor fürihre gewaltpolitischen Zielsetzungen machen sollte, stellt das Vorgehen des Verteidigersgegen Braun e<strong>in</strong> Unterstützen der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung im S<strong>in</strong>ne des §129 Abs. 1 Strafgesetzbuch dar.2. Gleiches gilt für das Auftreten des Verteidigers am 8. November 1974 aufe<strong>in</strong>em Gesprächsabend der 'Kirchlichen Bruderschaft <strong>in</strong> Württemberg' (Bl.121;Anlage 27 der Antragsschrift). Rechtsanwalt Dr. Croissant forderte die Anwesendenauf, durch e<strong>in</strong>en dreitägigen 'Sympathiehungerstreik' die Forderungen der'RAF-Gefangenen' zu unterstützen. Bezeichnend für diese E<strong>in</strong>stellung des Verteidigersist es, daß er bei dieser Gelegenheit von 'Vernichtungsmasch<strong>in</strong>erie " 'Isolationsfolter','Vernichtungshaft' und 'Vernichtungs<strong>in</strong>teresse der Bundesanwaltschaftund der Staatsschutzbehörden' sprach. Er hat sich <strong>in</strong> Form und Inhalt se<strong>in</strong>erÄußerungen (Vorwurf des Mordes am Bandenmitglied Me<strong>in</strong>s gegenüber demVorsitzenden des 2. Strafsenats und dem Generalbundesanwalt) der Ausdrucksweiseder Mitglieder der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung angeglichen (BI. 89; Anlage 18der Antragsschrift), die er mit 'Du' und dem Vornamen anzuschreiben pflegt(B1.32und 74; Anlage 6 und 12 der Antragsschrift). Dabei war Rechtsanwalt Dr.Croissant bei se<strong>in</strong>em fast täglichen schriftlichen und persönlichen Umgang mitden von ihm vertretenen Angeklagten klar, daß es sich bei diesen haltlosen undvon ihm übernommenen Vorwürfen des Mordes an Holger Me<strong>in</strong>s nur darumhandelt, von der Verantwortung der Rädelsführer der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung,die nicht nur die Parole zum Hungerstreik selbst auf die Gefahr des Todes e<strong>in</strong>esMitglieds ausgegeben hatten, sondern auch Beg<strong>in</strong>n urid Dauer desselben bestimmten,abzulenken. Hierdurch sollte die beherrschende Position der Rädelsführernach <strong>in</strong>nen und außen bei den wegen der rigorosen Vorgehensweisemißtrauisch und unsicher gewordenen übrigen Mitgliedern wiederhergestellt oderzum<strong>in</strong>dest erhalten werden. - Durch das Auffordern zum 'Sympathiehungerstreik'für die Mitglieder der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung hat sich der Verteidiger e<strong>in</strong>weiteres Mal dem dr<strong>in</strong>genden Verdacht der Unterstützung dieser Vere<strong>in</strong>igungausgesetzt, vg1.BGHSt 20, 89f.3. Rechtsanwalt Dr. Croissant bestreitet nicht, das sogenannte 'Spiegel-Interview'des Angeklagten Baader und anderer Mitangeklagter (die schriftlicheBeantwortungvon 13 Fragen e<strong>in</strong>es Journalisten) unter Umgehung der Zensur desHaftrichters vermittelt und an der Abfassung der entsprechenden Verträge mitdem Verlag maßgebend mitgewirkt zu haben (BI. 76-120; Anlagen 14-26 derAntragsschrift). Auch deshalb steht er im dr<strong>in</strong>genden Verdacht, e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elleVere<strong>in</strong>igung unterstützt oder zum<strong>in</strong>dest für diese geworben zu haben. Zwar dürftedieses Interview auf den Großteil der Leser eher abstoßend und erschreckendgewirkt haben, jedoch zielte die Veröffentlichung <strong>in</strong>sbesondere auf die 'Sympathisantenszene'und war darauf abgestellt, dort und im Verbreitungsgebiet derZeitschrift außerhalb der Bundesrepublik Ges<strong>in</strong>nungsgenossen anzusprechenund zu bee<strong>in</strong>drucken (BI. 119; Anlage 26 der Antragsschrift; '<strong>in</strong>ternationalerMultiplikator'). Die Privilegien des Verteidigers und das Recht auf freie Me<strong>in</strong>ungsäußerungvermögen die Unterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung auch aufdiese Weise nicht zu rechtfertigen (Art. 5 Abs. 2 GG). § 129 Abs. 1 StGB stelltausdrücklich dts Werben für e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung neben das Unterstützenals besondere Form der verselbständigten Beihilfe. Es spricht nichts dafür, daß die582583


wirksamste Art der Werbung, nämlich diejenige durch Massenmedien, davonausgenommen se<strong>in</strong> sollte.Es steht daher mit h<strong>in</strong>reichender Sicherheit fest, daß Rechtsanwalt Dr. Croissantdr<strong>in</strong>gend verdächtig ist, wiederholt die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung des AngeklagtenBaader und anderer Mitangeklagter unterstützt zu haben; er hat deshalbwegen dieses dr<strong>in</strong>genden Verdachts der Beteiligung an e<strong>in</strong>er Tat, die den Gegenstandder Untersuchung bildet, den Tatbestand des § 138 a Abs. 1 StPO verwirklicht.Zugleich liegt auch der Ausschlußgrund des § 138a Abs. 2 Nr. 1 StPO vor, dader Verteidiger dr<strong>in</strong>gend verdächtig ist, den Verkehr mit dem nicht auf freiem Fußbef<strong>in</strong>dlichen Angeklagten Baader durch die Vermittlung des 'Spiegel-Interviews'zur Unterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung mißbraucht zu haben, Verdachte<strong>in</strong>es Vergehens, das im Höchstmaß mit fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndetwerden kann". AnwB1.1975, S. 213 ff.140 BGH 20.5.75, AnwB11975, S. 243.141 "Da es sich <strong>in</strong>soweit um e<strong>in</strong> Dauerdelikt handelt, s<strong>in</strong>d Gegenstand desanhängigen Strafverfahrens nicht nur die Zeitabschnitte vor der Anklage, sondernauch alle weiteren Tatbestandsverwirklichungen bis zum Ende der letzten Tatsachenverhandlung".142 "E<strong>in</strong> Fall unzulässiger Rückwirkung liegt nicht vor. Insbesondere greift derRechtsgedanke des Vertrauensschutzes gegenüber der 'unechten' Rückwirkunge<strong>in</strong>es Gesetzes nicht durch; abgesehen davon, daß die Möglichkeit des Verteidigerausschlussesbis zum Erlaß des Gesetzes vom 20. Dezember 1974 zum<strong>in</strong>destumstritten war, stand nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom14. Februar 1973 (BVerfGE 34, 293 ff, 306/7) e<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung desAusschlusses unmittelbar bevor".143 Zitiert nach dem Antrag des GBA vom 3.3.75 auf Ausschließung vonCroissant.144 Vg1.me<strong>in</strong>e Bemerkung Kap. V, 2 zu Rüters Reaktion auf e<strong>in</strong> Rundschreibenvon Groenewold.145 Kritischauch Rüter, a. a. 0., S. 348. Veegens, a. a. 0., S. 813, billigtunterUmständen sogar den selbständigen Aufruf von Verteidigern an ihre Mandanten,e<strong>in</strong>en Hungerstreik zu beg<strong>in</strong>nen, jedoch: "Das Ausüben von Druck auf e<strong>in</strong>enGefangenen, bis zum Tode durchzuhalten, g<strong>in</strong>ge aber - wenn es tatsächlich sogeschehen ist - zu weit".146 Veegens, wie <strong>in</strong> obiger Anmerkung angegeben. Kritisch auch Rüter,a. a. 0., S. 348.147 Rüter, a. a. 0., S. 348.148 Veegens, a. a. 0., S. 812.149 BVerfG 4.7.75, NJW 1975, S. 2341. Die Beschwerde von Croissant istnicht veröffentlicht.150 OLG Stuttgart, 27.3.75, 2 ARs 90/75, nicht veröffentlicht.15111. Rechtsanwalt Groenewold ist von der Mitwirkung im Verfahren gegenden Angeklagten Baader auszuschließen, § 138 a Abs. 1 und 2 Nr. 1 StPO.1) Zum<strong>in</strong>dest seit Februar 1973 hat der Verteidiger durch umfassende Kommunikationunter den der "RAF" zugerechneten Gefangenen <strong>in</strong> verschiedenenHaftanstalten der Bundesrepublik - teilweise als Verteidigerpost getarnt - für denorganisatorischen Zusammenhalt der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung gesorgt und damitderen Ziele gefördert. Er hat Diskussionsbeiträge, Anfragen, Pläne und Befehle,die mit Fragen der <strong>Verteidigung</strong> wenig oder nichts zu tun hatten, unter Mißbrauchse<strong>in</strong>er privilegierten VerteidigersteIlung weitergeleitet.,,7. und als Befehl: ke<strong>in</strong>er spricht mit bullen. Ke<strong>in</strong> wort. Ke<strong>in</strong>er spricht mitJournalisten. Wenn sie sprechsche<strong>in</strong>e haben, weigern wir uns, sie zu sehen. Wenne<strong>in</strong> Interview, läuft das so: wir suchen über das <strong>in</strong>fo e<strong>in</strong>en aus, es wird e<strong>in</strong> vertragüber die anwälte gemacht, die fragen s<strong>in</strong>d schriftlich zu stellen und werdenschriftlich beantwortet. Das manuskript fragen/antworten läuft über das <strong>in</strong>fo.Wenn nur e<strong>in</strong>er was dagegen hat, wird es nicht veröffentlicht. Wie <strong>in</strong> dem letztenPapier: ke<strong>in</strong>er nimmt an e<strong>in</strong>em prozeß teil. Es gibt e<strong>in</strong>e erklärung am tag zur raf,justiz, anklage, haftbed<strong>in</strong>gungen.Danach bleiben wir <strong>in</strong> der kiste.Das manuskript läuft m<strong>in</strong>destens 4 wochen vorher über das <strong>in</strong>fo. Ke<strong>in</strong>er machtzeugenaussagen. Wenn das von den anwälten dem gericht vermittelte nichtgenügt, um die vorführung, den transport zu verh<strong>in</strong>dern, genügt e<strong>in</strong> satz vor demtisch. Zieht das unbeteiligt ab, ist scheiße, denen das tier zu zeigen, das sievorführen wollen." (An1.16, BI. 48/9).überdies hat er nicht nur demonstrativ an e<strong>in</strong>em sogenannten "Sympathiehungerstreik"vor dem Bundesgerichtshof <strong>in</strong> Karlsruhe teilgenommen, sondernhat Anfang und Ende e<strong>in</strong>es weiteren "Hungerstreiks", mit dem die Justiz erpreßtwerden sollte, den Untersuchungshäftl<strong>in</strong>gen bekanntgegeben (An1.6, BI.20, undAn1.12, BI. 37, Nr. 4: "Mit Freitag, den 29.6.73 ist der Hungerstreik beendet. Wirerklären das. Wer kann - und unterbrochen hat - sollte bis Freitag nochmalanfangen. Die <strong>in</strong> Hamburg machen es so.")Zugleich hat er für die Synchronisierung dieses Hungerstreiks mit e<strong>in</strong>er entsprechendenPressekonferenz <strong>in</strong> Paris am 29. Juni 1973 gesorgt (An1.13 - 15, BI.38ff).Im Zuge der Vorbereitung der planmäßigen Verteilung von Informationen undSchulungsmaterial an die <strong>in</strong>haftierten Mitglieder der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung hatRechtsanwalt Groenewold e<strong>in</strong>e von ihm selbst oder von e<strong>in</strong>em Rädelsführerausgedachte konspirative "vertrauliche Nummerierung" der Häftl<strong>in</strong>ge bekanntgemacht (An1.16, BI. 51) und die Auswertung des Informations- und Schulungsmaterialsunter den Untersuchungsgefangenen nach Sprach- und Fachkenntnissenaufgeteilt, sowie monatliche Arbeitsberichte erbeten (An1.27, BI.95 - 98; An1.49, BI. 174).2) Das Informationsmaterial, das auf diese Art über das Büro des Verteidigersbis <strong>in</strong> die jüngste Zeit ("tütenweise", An1. 57, BI. 225) verteilt wurde, enthieltaußer programmatischen Beiträgen der Angeklagten Baader, Enssl<strong>in</strong>, Hoppe undanderer Berichte über den Stand verschiedener Prozesse und über Beteiligungarn Hungerstreik auch Auszüge, Ablichtungen und Zusammenfassungen vonArtikeln aus Militär-und Polizeifachzeitschriften, zum Beispiel über Flammenwerferund neue Pistolen (An1.28, BI.99 ff),Untergrundkampf <strong>in</strong> der Großstadt (An1.31, BI. 111), M<strong>in</strong>ispione (An1.41/2, BI. 147 ff), Gliederung des Bundesgrenzschutzes(An1.46, BI. 168) und die Verh<strong>in</strong>derung des Entschärfens von Bombenmit thermo-elektrischen Methoden (An1.51, BI. 212 f): ,,(zu thermoelektrisch fälltmir noch e<strong>in</strong>, wenn die anfangen die d<strong>in</strong>ger (geme<strong>in</strong>t si'lf' offensichtlich Sprengladungen)e<strong>in</strong>zufrieren, um sie so besser zu entschärfen, dann kann man auch ebenmit diesen thermowiderständen operieren, d.h. bei nem bestimmten kältegradschließt sich der stromkreis, bevor das alles richtig e<strong>in</strong>gefroren ist - man könnte584585


eventuell auch mit den neuen siemens-relais <strong>in</strong> dem neuen fernsprechsystemoperieren, die kontakte bei diesem relais s<strong>in</strong>d wie bei ner radioröhre <strong>in</strong> nerglasröhre das mit nem bestimmten gas gefüllt ist.) In erster l<strong>in</strong>ieist die ganze chosewohl <strong>in</strong>teressant, um ne entschärfung der d<strong>in</strong>ger zu verh<strong>in</strong>dern (ist doch immerschade um die arbeit und den e<strong>in</strong>satz) und <strong>in</strong> zweiter l<strong>in</strong>ie halt für spezielle,besondere anwendungszwecke. ").Wenn es auch nicht auszuschließen ist, daß waffentechnische Informationennicht <strong>in</strong> dem Umfang vom Büro des Verteidigers versandt werden sollten, wie esansche<strong>in</strong>end versehentlich der Fall war (vgl. das Schreiben von RechtsanwaltGroenewold vom 27.8.1974 <strong>in</strong> Anl. 57, BI.225, als Antwort auf e<strong>in</strong> Schreiben desUntersuchungsgefangenen Hoppe vom 23.8.1974: "zu Waffenprospekten warnicht klar warum sie vervielfältigt u. übers <strong>in</strong>fo laufen müssen. Wenn dazu jetzte<strong>in</strong>er schreibt, es sei eh egal, so haben wir das bisher so nicht bestimmt. GrußKG"), so ergibt sich doch aus den beschlagnahmten Unterlagen, daß der Verteidigerüber Inhalt und Umfang des versandten Materials unterrichtet war (Anl.56, BI.223; Anl. 57, BI. 224).3) Rechtsanwalt Groenewold ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stellung als Verteidiger gegenüberdem Angeklagten Baader nicht mehr unabhängig, sondern an Weisungen gebunden.Dies zeigt, wie weit sich Rechtsanwalt Groenewold von se<strong>in</strong>er Verteidigerpositionentfernt hat und sich <strong>in</strong> das kollektive Unterordnungsgefüge der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>bauen ließ. Mit der Stellung des Verteidigers als unabhängigemOrgan der Rechtspflege ist es nicht zu vere<strong>in</strong>baren, daß dem Verteidiger die Artder Prozeßführung von Mitgliedern der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung vorgeschriebenwird, wie die aus programmatischen Erklärungen des Angeklagten Baader undanderer Mitangeklagter hervorgeht, vgl. Anl. 53, BI. 216/17; Baader am 16.Januar 1974: "koch also auch das frankfurter anwaltskollektiv weiß jetzt daß auchdiese mandate entzogen werden - wenigstens bis klar ist ob die angeklagtenanwälte ausgeschlossen werden oder <strong>in</strong> der hauptverhandlung (und nicht nur <strong>in</strong>stuttgart sondern auch carl. e.t.c. und harry/gaby) verteidigen können.Der grund:die bundesanwaltschaft zu zw<strong>in</strong>gen die verteidiger die unsere mandate dr<strong>in</strong> habendr<strong>in</strong>zulassen oder den skandal (denn das ist <strong>in</strong> dem stuttgarter mammutprozeßganz sicher e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationaler skandal) von bullenverteidigern <strong>in</strong> kauf zu nehmen.Ich habe mit ihm auch über die politischen differenzen geredet - also das ganzeprogramm:1) die gefangenen bestimmen + zwar kollektivüber das <strong>in</strong>fo - oder anders - dieprozeßstrategie. Wenn sie es für richtig halten legen die verteidiger demonstrativdie verteidigung im prozeß nieder - auch wenn das bedeutet, daß ihnen diekosten aufgehängt werden. Dem hat er zugestimmt.2) die l<strong>in</strong>ie der verteidigung (faschismusanalyse z.B.) und der gefangenen zurpropaganda <strong>in</strong> den prozessen (wir: dazu z. B. dialektik bewaffneter politik) ergänzensich. Darüber laufen diskussionen mit ihnen vor und während der prozesse. 3)der schutz - die verteidigung der gefangenen läuft IN ERSTER LINIE über denaußerprozessualen job der anwälte: mobilisierung, kampagne, und das überlebensprogramm:<strong>in</strong>fo, kommunikation, kollektive schulung, <strong>in</strong>formation. "; (s.auch Anl. 21, BI. 70 ff;Anl. 24, BI. 77 ff.).Nach der Entscheidung des Senats überden Ausschluß des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Croissant hat auch RechtsanwaltGroenewold <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Ausschlußverfahren weder e<strong>in</strong>e Erklärung abgegeben,noch ist er <strong>in</strong> der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aufgetreten.Bezeichnend ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch der Umgangston, <strong>in</strong> dem Angeklagtegelegentlich mit Rechtsanwalt Groenewold und anderen Verteidigern verkehren(Anl. 56, BI. 223 "KG - Du Arschloch" ...; Anl. 61 BI. 247 "Christian (dasist Rechtsanwalt Ströbele), Du bist wirklich 'ne Sau ..."). Für die E<strong>in</strong>stellung desVerteidigers zu den dem Angeklagten Baader zur Last gelegten Straftaten und denentsprechenden Sicherheitsrnaßnahmen spricht ferner die Art, wie er <strong>in</strong> Robe den"Hungerstreik" der Angeklagten vor dem Bundesgerichtshof zu unterstützenversuchte (Anl. 5, BI. 15 ff). Ähnliches gilt für den Vorwurf des Mordes und desMordversuchs (Anl. 58, BI. 226: "Info v. 23.10.74 ... und es ist immer aktuell, dermord, ..."), den der Verteidiger nach dem Tod des Angeklagten Me<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Presse<strong>in</strong>formationenund <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schriftsatz im Strafverfahren gegen August<strong>in</strong> vor demSchwurgericht Osnabrück gegen Richter, Staatsanwälte und Anstaltsärzte erhebt,obwohl er den Hungerstreik, dessen Opfer Me<strong>in</strong>s geworden ist, selbst mitorganisierthat (Anl. 62, BI. 248; Anl. 63, BI. 250, 251; Anl. 66, BI. 254, 270).IIl. Rechtsanwalt Groenewold ist daher dr<strong>in</strong>gend verdächtig, sich an der Tat,die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt zu haben, <strong>in</strong>dem er nachder Verhaftung des Angeklagten Baader unter weitgehender Aufgabe se<strong>in</strong>erPosition als Verteidiger die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung des Angeklagten und andererMittäter durch die Organisation der Verteilung von Informations- und Schulungsmaterialsowie auf andere Weise unterstützt und den Zusammenhalt der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung gestärkt hat. Er hat damit den Tatbestand des § 138 aAbs. 1 StPOverwirklicht und ist von der Mitwirkung als Verteidiger im Strafverfahren gegenden Angeklagten Baader auszuschließen. Zugleich liegtauch der Ausschlußgrunddes § 138 a Abs. 2 Nr. 1 StPO vor, da der Verteidiger dr<strong>in</strong>gend verdächtig ist, denVerkehr mit dem nicht auf freiem Fuß bef<strong>in</strong>dlichen Angeklagten Baader zurUnterstützung e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung mißbraucht zu haben, Verdachte<strong>in</strong>es Vergehens, das im Höchstmaß mit fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndetwerden kann".Nicht veröffentlicht.152 entfällt153 OLG Stuttgart, 6.5.75, 2 ARs 148/75. - Nicht veröffentlicht.154 II. Rechtsanwalt Ströbele ist von der Mitwirkung im Verfahren gegen denAngeklagten Baader gemäß § 138 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StPO auszuschließen,weil die von der Bundesanwaltschaft vorgelegten Beweismittel den dr<strong>in</strong>gendenVerdacht begründen, daß Rechtsanwalt Ströbele die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igungdes Angeklagten Baader u. a., die sog. Rote Armee Fraktion (RAF), jedenfallsnach dessen Festnahme m<strong>in</strong>destens unterstützt hat.1. Seit dem 5. Februar 1973 hat der Verteidiger durch wenigstens 19 Rundbriefe,die er verfaßt und <strong>in</strong> der Regel als Verteidigerpost getarnt an Gefangene, dieder "RAF" zugerechnet werden, versandt hat, mit für den organisatorischenZusammenhalt dieser krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung gesorgt und dadurch deren Zielegefördert. Zentrales Thema e<strong>in</strong>es Teils dieser Rundbriefe, die mit Fragen der<strong>Verteidigung</strong> wenig oder gar nichts mehr zu tun haben, ist der von diesenGefangenen durchgeführte Hungerstreik und dessen erwartete Auswirkungen atlfdie Behörden und die öffentliche Me<strong>in</strong>ung. Zweck des Hungerstreiks war nichtetwa das vordergründige Bestreben, Hafterleichterungen, legitime Ziele, wie derVerteidiger <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schriftsatz vom 4. Mai 1975 me<strong>in</strong>t, durchzusetzen. Vielmehrdiente der Hungerstreik <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dem Ziel, den Zusammenhalt der krim<strong>in</strong>el-586587


len Vere<strong>in</strong>igung auch <strong>in</strong> der Haft zu dokumentieren und dadurch <strong>in</strong> der Öffentlichkeit,zu der auch die Insassen der Vollzugsanstaltzu zählen s<strong>in</strong>d, für die gewaltpolitischenZielsetzungen der Bande zu werben und ihren Mitgliedern die Möglichkeitzur Agitation <strong>in</strong> den Vollzugsanstalten zu eröffnen. Dies ergibt sich klar aus e<strong>in</strong>erbereits am 9. März 1973 vom Angeklagten Baader verfaßten und <strong>in</strong>sbesondereRechtsanwalt Ströbele zur Kenntnis gelangten schriftlichen Äußerung (Anlage 24der Antragsschrift), <strong>in</strong> der der Angeklagte Baader u. a. ausführt:"<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>schätzung die sich nicht ändert hat dieser streik nur e<strong>in</strong>en zweck:er soll die typen aus der isolation befreien, damit sie e<strong>in</strong>e möglichkeit zu agi tation,organisation und aktion im knast haben. die e<strong>in</strong>zige chance außer büchern undakten war zu lernen und zu politischer arbeit zu kommen. wenn das unmöglich ist,zu warten ohne kaputt zu gehen. und sage nicht sofort, daß das e<strong>in</strong>fach ist. nachdem was ich <strong>in</strong> zehn gefängnissen begriffen habe hörst du besser erst mal e<strong>in</strong>halbes jahr zu. Du sprichst nie über die raf. du brauchst m<strong>in</strong>destens soviel schläue<strong>in</strong>formation diszipl<strong>in</strong> geduld identität wie <strong>in</strong> der stadt. der hungerstreik ist als, wiewir gesagt haben, kampfmaßnahme schwach, immer defensiv. wenn er waserreicht dann immer noch durch unsere verkäuflichkeit <strong>in</strong> den medien. "So war auch der Verteidiger bemüht, den Hungerstreik "halbwegs gut" <strong>in</strong> derÖffentlichkeit zu "verkaufen"; das geht aus e<strong>in</strong>em "an die Genossen" gerichtetenRundbrief vom 22. Februar 1973 hervor, <strong>in</strong> welchem Rechtsanwalt Ströbele u. a.folgendes ausführt (Anlage 7 der Anklageschrift):"Der Abbruch des Hungerstreiks wurde von uns nicht befürwortet und entsprechendesweitergeleitet, weil der Erfolg da war, sondern die kle<strong>in</strong>en Teilerfolgebeiwahrsche<strong>in</strong>lich 3, 4 Leuten wurden genommen, um den Abbruch halbwegs gutverkaufen zu können. Es soll doch ke<strong>in</strong>er so tun, als wäre nach wenigen weiterenTagen e<strong>in</strong> umfassender Sieg über die Klassenjustiz erfolgt. Die wären doch froh,wenn sie Euch auf diese Weise ausschalten könnten. Vor dem Verhungern hättendie Euch ke<strong>in</strong>er bewahrt, aber Dauerschäden wären nicht zu vermeiden gewesen.Das hätten die mit e<strong>in</strong> paar Erklärungen der Justizpressestelle schon richtigverkauft und wenn gar nicht anders möglich hätten die eben e<strong>in</strong>em Anstaltsbeamtenoder Arzt alles zugeschoben. Haben wir doch alles schon gehabt! Außerdemdie ,Front' war schon am zusammenbrechen. Hauptsächlich wegen der Gesundheite<strong>in</strong>zelner. Dazu näheres aber nicht per Post. Recht habt Ihr dar<strong>in</strong>, daß dieSache endgültig geklärt werden muß. Wir beg<strong>in</strong>nen nun auch schon, uns <strong>in</strong>Fraktionskämpfen aufzureiben. Vielleichtmacht Ihr Euch bis zu me<strong>in</strong>em nächstenBesuch im Lauf der nächsten Woche auch mal grundsätzliche Gedanken zurFunktion der Anwälte, Eurer Anwälte <strong>in</strong> den kommenden Verfahren und überhaupt.Aber bitte realistische! Die Anwälte als Speerspitze der Revolution oder derRAF oder als der verlängerte Arm der RAF-Genossen, die <strong>in</strong>haftiert s<strong>in</strong>d? Wohlkaum! Oder dann eben ke<strong>in</strong>e juristische Hilfen mehr! übrigens e<strong>in</strong> eigenartigesKämpfen: Selbstzerfleischung!".Mit diesen 19 Rundbriefen, die der Verteidiger zwischen dem 5. Februar 1973und dem 25. März 1974 an e<strong>in</strong>e wechselnde Zahl von RAF-Gefangenen, zum Teilauch an deren Verteidiger versandt hat und von denen sich die meisten mit demHungerstreik und dessen Werbewert für die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung befassen, hatder Verteidiger, se<strong>in</strong>en Absichten entsprechend, e<strong>in</strong>en gewichtigen Beitrag fürden Zusammenhalt der Vere<strong>in</strong>igung und der vom Angeklagten Baader <strong>in</strong> demerwähnten Schriftstück vom 9. März 1973 beschworenen Solidarisierung derMitglieder der Vere<strong>in</strong>igung ("unerträglich ist, daß nicht jeder typ <strong>in</strong> der letzten zellehungert wenn wir sagen: e<strong>in</strong> hungerstreik. sie sollen das erklären: jahn, vodoo,hilde und so weiter. zum kotzen".) geleistet. Diese Tätigkeit des Verteidigers, derübrigens an dem Sympathiehungerstreik von Rechtsanwälten vor dem Gebäudedes Bundesgerichtshofs <strong>in</strong> Karlsruhe <strong>in</strong> Robe teilgenommen hat, wie er im Rundbriefvom 22. Februar 1973 (Anlage 7 der Antragsschrift) selbst mitteilt,begründetsonach den dr<strong>in</strong>genden Verdacht der Unterstützung der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igungim S<strong>in</strong>ne des § 129 Abs. 1 StGB.2. Darüber h<strong>in</strong>aus hat der Verteidiger etwa seit Februar 1973 am Aufbau e<strong>in</strong>es"Info-Systems" der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung maßgeblich mitgewirkt, wie sich ausse<strong>in</strong>em Rundbrief vom 2. März 1973 (Anlage 9 der Antragsschrift), <strong>in</strong> welchem erübrigens auch auf Grund eigener Initiative oder nach Absprache mit Rädelsführernauf den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen Hungerstreiks im April 1973 h<strong>in</strong>weist, ergibt:"E<strong>in</strong>heitlich wird an den Anwälten kritisiert,daß sie 3 Wochen lang nichts wesentlichesgetan haben, um den Hungerstreik öffentlich zu machen; schlechte Kommunikationund Koord<strong>in</strong>ation unter den Anwälten. Um Abhilfe zu schaffen, sollüber das Büro der Hamburger Anwälte e<strong>in</strong>e regelmäßige ständige Kommunikation<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es kurzen Rundschreibens mit entsprechenden Anlagen geschaffenwerden. Außerdem soll verstärkt Kontakt mit l<strong>in</strong>ken Gruppen aufgenommenwerden, um diese über die Situation der politischen Gefangenen besser zu<strong>in</strong>formieren und Anstöße zu Aktivitäten zu geben".Dieses Info-System, dessen Betrieb Rechtsanwalt Groenewold aus Hamburgübernommen hatte (vgl. den allen Beteiligten bekannten Beschluß des Senatsvom 2. Mai 1975), diente e<strong>in</strong>er umfassenden Kommunikation aller der "RAF"zugerechneten Gefangenen, die <strong>in</strong> verschiedenen Haftanstalten der Bundesrepublike<strong>in</strong>sitzen. Mit den im Rahmen dieses Systems versandten Rundschreibenwurden u. a. Diskussionsbeiträge, Anfragen, aber auch Befehle <strong>in</strong>sbesondere desAngeklagten Baader an alle Gefangenen unter Mißbrauch der Verteidigerrechteübermittelt. Auf diesem Wege gelangten nicht nur programmatische überlegungenvon Mitgliedern der Vere<strong>in</strong>igung, sog. Zellenzirkulare, die e<strong>in</strong>e Vielzahl vonVorschlägen für die Fortführung der - auch Gewaltmaßnahmen umfassenden ­Aktivitäten der Vere<strong>in</strong>igung enthielten, zur Kenntnis der Häftl<strong>in</strong>ge und derenVerteidiger, sondern auch Schriftstücke, die sich mit der von den Verteidigernerwarteten Tätigkeit und möglichen Diszipl<strong>in</strong>ierungen befassen. So wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emderartigen Zirkular (Anlage 27 der Antragsschrift) von den Anwälten verlangt, daßdiese <strong>in</strong> den Komitees mitarbeiten, während <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Schriftstück dieserArt (Anlage 41 der Antragsschrift) die Prozeßstrategie und die Forderungen, diedie Rädelsführer der Vere<strong>in</strong>igung an ihre Verteidiger stellen, - mehrfach - wiefolgt festgelegt s<strong>in</strong>d:" 1.) die gefangenen bestimmen die prozeßstrategie und zwar kollektiv.2.) auch wenn das bedeutet, daß bei bestimmten entwicklungen die anwältekollektiv die verteidigung für unmöglich erklären und rausgehen. Diese möglichkeitenlegen wir vorher <strong>in</strong> der diskussion mit allen anwälten, die verteidigenwerden, fest. "3.) alle anwälte die besuche machen und verteidigen arbeiten an dem <strong>in</strong>fo mitdas heißt, füttern es und verteilen es.4.) falls e<strong>in</strong> legitimierter verteidiger ausgeschlossen wird legen alle verteidigersofort die mandate nieder. Dazu e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same erklärung. "588589


Im übrigen br<strong>in</strong>gt dieses Zirkular zum Ausdruck, daß der Verteidiger, der sichnicht an dieses Programm hält, das Mandat verliert.Dieses Informationssystem gewann alsbald tragende Bedeutung für den Zusammenhaltder krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung und die Fortführung ihrer Bestrebungenaus der Haft heraus. Da sich der Verteidiger, den Weisungen des AngeklagtenBaader folgend (Anlage 41 der Antragsschrift), an diesem System beteiligt hat - erhat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Rundbriefen mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß "Info-Treffen"mit anderen Verteidigern stattf<strong>in</strong>den (z.B. Anlage 9, 17, 18 der Antragsschrift),auch ist davon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rundschreiben von Rechtsanwalt Groenewold (Anlage39 der Antragsschrift) die Rede - und er überdies selbst Info-Materialan Mitgliederder krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung - z. B. an die Mitglieder Braun und Möller (Anlage 26der Antragsschrift) sowie Asdonk (,,= kararneh", Anlage 71 der Antragsschrift)weitergegeben hat, besteht der dr<strong>in</strong>gende Verdacht, daß der Verteidiger auch<strong>in</strong>soweit unter Mißbrauch se<strong>in</strong>er privilegierten VerteidigersteIlung die krim<strong>in</strong>elleVere<strong>in</strong>igung unterstützt hat.Gleiches hat für den Zeitraum zu gelten, <strong>in</strong> welchem der Schwerpunkt der aufdiese Weise übermittelten Informationen nicht rnehr bei Berichten über denHungerstreik und der Beurteilung von dessen Auswirkungen auf die öffentlicheMe<strong>in</strong>ung lag, sondern e<strong>in</strong> Schulungsprogramm für die Mitglieder der Vere<strong>in</strong>igungund die Zusammenstellung e<strong>in</strong>er Dokumentation mit Hilfedes Info-Systems <strong>in</strong> dieWege geleitet wurde. Rechtsanwalt Ströbele kündigt dieses neue Programm <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Rundbrief vom 16. Juni 1973 (Anlage 14 der Antragsschrift) an, nachdemer zuvor den Entschluß des Angeklagten Baader gegeben hatte:"Baader ist für Abbruch,1. weil draußen nichts wesentliches mehr läuft2. weil ohne Druck von außen ke<strong>in</strong>e Reaktion der zuständigen Stellen bezüglichder Forderungen zu erwarten s<strong>in</strong>d3. weil der Kopf während des H-Streiks leer ist, produktive Arbeit nur sehrbeschränkt möglich4. Info bzw. Schulungsprojekt viel wichtiger ist. Großes neues Projekt, dasArbeit für alle für Monate und Jahre br<strong>in</strong>gt: Info-Zentrale <strong>in</strong> HH und Erstellung vonAnalysen und konkrete Gruppenschulung. Nach e<strong>in</strong>er ganzen Reihe gleichlautenderAnregungen Plan mit E<strong>in</strong>zelheiten aus Schwalmstadt. Dort soll noch genauesSchema erstellt werden. Außerdem soll ich mich mit Gr. + Be. treffen undnäheres besprechen, eigentlich schon an diesem Wochenende. Aber ich f<strong>in</strong>de dieTypen nicht. Vielleicht klappt es doch noch. Aufjeden Fallgibt es dann ausführlicheNachricht vom Ergebnis unserer Besprechung".Das nunmehr im Rahmen des Info-Systems zur Verteilung gekommene Informationsmaterialenthielt außer programmatischen Beiträgen von Mitgliedern derkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung, Berichten über den Stand verschiedener Prozesse, <strong>in</strong>sbesondereAuszüge, Ablichtungen oder Zusammenfassungen von Artikeln ausMilitär-und Polizeifachzeitschriften, die von Mitgliedern der Vere<strong>in</strong>igung aus dendiesen zuvor zugewiesenen Arbeitsgebieten ausgewählt und für das Info bestimmtworden waren. Darunter bef<strong>in</strong>den sich z. B. neben Artikeln über Flammenwerfer,automatische Gewehre und neue Pistolen (Anlage 43), über den Spähpanzer XIII800 (Anlage 44), über militärische Befehlssysterne (Anlage 45), Kriegführung <strong>in</strong>der Stadt (Anlage 46), Sperrenbau mit technischen Gerät (Anlage 49), Funküberwachungund Funkaufklärung (Anlage 55), über M<strong>in</strong>ispione (Anlage 56), denAufbau des Grenzschutzes und der Länderpolizeien (Anlage 60,61 und 63), überAlarmanlagen und Werkschutz (Anlage 63), auch die von e<strong>in</strong>em Mitglied derkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung gefertigte Zusammenstellung der Verwendungsmöglichkeitenvon Meßwandlern und Relais bei der elektrischen Zündung von Sprengladungen(Anlage 66), <strong>in</strong> der u. a. folgendes ausgeführt wird:,,(zuthermoelektrisch fälltmir noch e<strong>in</strong>, wenn die anfangen die d<strong>in</strong>ger (geme<strong>in</strong>ts<strong>in</strong>d offensichtlich Sprengladungen) e<strong>in</strong>zufrieren, um sie so besser zu entschärfen,dann kann man auch eben mit diesen thermowiderständen operieren, d.h. be<strong>in</strong>em bestimmten kältegrad schließt sich der stromkreis, bevor das alles richtige<strong>in</strong>gefroren ist - man könnte eventuell auch mit den neuen siemens-relais <strong>in</strong> demneuen fernsprechsystem operieren, die kontakte bei diesem relais s<strong>in</strong>d wie bei nerradioröhre <strong>in</strong> ner glasröhre das mit nem bestimmten gas gefülltist.) In erster l<strong>in</strong>ieistdie ganze chose wohl <strong>in</strong>teressant, um ne entschärfung der d<strong>in</strong>ger zu verh<strong>in</strong>dern(ist doch immer schade um die arbeit und den e<strong>in</strong>satz) und <strong>in</strong> zweiter l<strong>in</strong>ie halt fürspezielle, besondere anwendungszwecke. ""Die im Schriftsatz des Verteidigers vom 4. Mai 1975 geäußerte Me<strong>in</strong>ung, dieBeschaffung dieser Informationen sei zur Vorbereitung der <strong>Verteidigung</strong> gebotengewesen, vermag der Senat nicht zu teilen.4. Schließlich geht aus e<strong>in</strong>em Rundschreiben des Rechtsanwalts Groenewoldvom 27. August 1974 (Anlage 72), das auch an den Verteidiger gerichtet ist,hervor, daß Rechtsanwalt Ströbele bis <strong>in</strong> die jüngste Zeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> die Mitgliederderkrim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung neben den über das Info-System fließenden Nachrichtenunter Mißbrauch se<strong>in</strong>er Verteidigerstellung laufend mit weiteren Informationenversorgt hat. Rechtsanwalt Groenewold führt dazu aus:,,4. das Zeug anderer Anwälte wird verschickt. Das stand nicht <strong>in</strong> Frage undauch nicht im Brief, sondern es geht um Rundbriefe an alle. Wenn die über michgehen, kriegen e<strong>in</strong>ige sie Tage später. Die Diskussion darüber zwischen den RAenentstand, weil e<strong>in</strong>ige Gef. Stroe Briefe mal bekamen, mal nicht. Cr. schreibt jakaum welche u. die anderen sachen: Beschlüsse laufen. Ich habe zuletztmit Stroebesprochen (Stg.PK), daß er solche Briefe direkt wie früher an alle schickt, soweiter kann."E<strong>in</strong>ige dieser bereits erwähnten m<strong>in</strong>destens 19 Rundschreiben des Verteidigersbefassen sich nicht nur mit dem unter Abschnitt 11, 1 dargelegten Thema Hungerstreik,vielmehr geht der Verteidiger, der auch über se<strong>in</strong>e Arbeit <strong>in</strong> den Komiteesund über von ihm und Agnoli gehaltene "Agitationsreden" berichtet (Anlage 13),auf die im Aufbau begriffene Dokumentation und das herauszugebende "Kursbuch"der Vere<strong>in</strong>igung (Anlage 11) e<strong>in</strong>, auch gibt er die Anregung der AngeklagtenMe<strong>in</strong>hof, die letzte Hungerstreikerklärung als Plakat drucken zu lassen (Anlage12), weiter. In se<strong>in</strong>em Rundschreiben vom 28. Juni 1973 (Anlage 16) weist erdarauf h<strong>in</strong>, daß das Ende des Hungerstreiks mit e<strong>in</strong>er entsprechenden Pressekonferenz<strong>in</strong> Paris am 29. Juni 1973 synchronisiert werden müsse, während er <strong>in</strong> demRundschreiben vom 21. Juni 1973 (Anlage) nicht nur bekannt gibt, daß dieVorschläge des Angeklagten Baader für das Info bei den Mitgliedern der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung angekommen s<strong>in</strong>d, sondern auch die folgende Anweisung desAngeklagten Baader h<strong>in</strong>sichtlich des Verkehrs mit Journalisten den Mi!jlliedernder Vere<strong>in</strong>igung zur Kenntnis br<strong>in</strong>gt:"Zu Journalisten: Ba.: Ke<strong>in</strong>er spricht e<strong>in</strong> Wort mit denen oder empfängt auchnur. EnßI. und Gra. grundsätzlich selbe, me<strong>in</strong>en aber, man könne vielleicht was590591tII


••über H-Str. und Iso. unterbr<strong>in</strong>gen. Halte ich für abwegig. Die Gefahr besteht, daßsie aus bloßem Empfang auch ohne Sprechen schon was machen. Wie abgemagert,verzweifelt, haßerfüllt oder reuig ihr ausgesehen hättet usw. Me<strong>in</strong>h. hat dpa­Typ und Busche durch Seibert an Becker verweisen lassen. Also nichts vonE<strong>in</strong>verständnis mit Besuch! Ba.: Schweigen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und gegenüber Journ. alsBefehl."Auch dieser Teilder Tätigkeit des Verteidigers diente nicht der Vorbereitung der<strong>Verteidigung</strong>, sondern der Kommunikation der Mitgliederder krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung.Da dadurch der organisatorische Zusammenhalt der Vere<strong>in</strong>igung und damitauch deren Zielsetzung gefördert wurde, besteht der dr<strong>in</strong>gende Verdacht, daß derVerteidiger auch hierdurch absichtsgemäß die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung unterstützthat.5. Rechtsanwalt Ströbele läßt sich unter Androhung des Mandatsentzugs dieProzeßstrategie von den Mitgliedern der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung vorschreiben(vgl.Anlage 41); er gebraucht die Sprache und Schlagworte der Angeklagten, dieer <strong>in</strong> vielen Rundbriefen mit "liebe Genossen" anzureden pflegt, und läßt sichBeleidigungen gefallen ("Christian - Du bist wirklich ne Sau", Anlage 75), erüberläßt ihm zugängliche Gerichtsakten (Abschriften) den Mitgliedern der krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung (z.B. Anlage 22) und bietet im Rundschreiben vom 12. Juli1973 (Anlage 18) den Angeklagten an, von der Zensur entfernte Zeitungsausschnittezu beschaffen und zu übersenden. Dies alles zeigt, daß sich RechtsanwaltStröbele von se<strong>in</strong>er unabhängigen Verteidigerposition distanziert hat und daß ersich <strong>in</strong> das kollektive Unterordnungsgefüge der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung hat e<strong>in</strong>bauenlassen.IIl. Rechtsanwalt Ströbele ist deshalb dr<strong>in</strong>gend verdächtig, sich dadurch an derTat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt zu haben, daß er nachder Verhaftung des angeklagten Baader unter weitgehender Aufgabe se<strong>in</strong>erVerteidigerposition die krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung des Angeklagten durch se<strong>in</strong>e Beiträgezur Schaffung e<strong>in</strong>er umfassenden Kommunikation der Gefangenen sowieauf andere Weise unterstützt und hierdurch den Zusammenhalt der Vere<strong>in</strong>igunggefördert hat. Auf Grund der genannten Tätigkeiten des Verteidigers ist dieserauch dr<strong>in</strong>gend verdächtig, den Verkehr mit dem nicht auf freiem Fuße bef<strong>in</strong>dlichenAngeklagten Baader zur Unterstützung der krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung mißbrauchtzu haben. Der Verteidiger ist daher gemäß § 138 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1StPO von der <strong>Verteidigung</strong> des Angeklagten Baader auszuschließen".- Nicht veröffentlicht.155 Otto Kirchheimer, Political Justice, Pr<strong>in</strong>ceton University Press, Pr<strong>in</strong>ceton1961, deutsche Ausgabe: <strong>Politische</strong> Justiz, Luchterhand, Neuwied und Berl<strong>in</strong>1965, S. 89.156 a. a. 0., S. 264.157 Ebenda, S. 265.158 Ebenda, S. 266.592Kapitel VI1 Bertolt Brecht zum Gespenst des Faschismus am Ende se<strong>in</strong>es Theaterstücks"Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" (1941).2 Vgl. Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention.3 Vgl. Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention.4 Protokolle (des <strong>Stammheim</strong>er Verfahrens) S. 2013-20305 a. a. 0., S. 2012, 20316 a. a. 0., S. 2062, 20637 a. a. 0., S. 2031-20388 BGHE 22, S. 2509 Den Vorwurf, e<strong>in</strong>en gesetzeswidrigen Beschluß erlassen zu haben, widerlegteder Präsident mit der Bemerkung, "daß den Bestimmungen des Art. 50Abs. 1 des Gesetzes über die Richterliche Organisation, demzufolge Bezirksgerichte(...) ihre Sitzungen <strong>in</strong> der Hauptstadt des Bezirks abhalten, Genüge getanist" (übersetzung BS).10 Dieses und das folgende ausführliche Zitat s<strong>in</strong>d dem Protokoll nach Artikel25 ff. des holländischen Auslieferungsgesetzes entnommen.11 Eigene Beobachtung12 Eigene Beobachtung13 Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung, 7.3.7514 Der Spiegel 38/7115 Dagegen könnte e<strong>in</strong>gewendet werden, daß doch auch die Hauptverhandlungim Strafverfahren gegen me<strong>in</strong>en damaligen Mandanten Ronald August<strong>in</strong>im Frühjahr 1975 unter ähnlichen Umständen stattgefunden habe: In e<strong>in</strong>emeigens dafür gebauten Gefängnisflügel <strong>in</strong> Bückeburg statt im normalen Gerichtsgebäude<strong>in</strong> Osnabrück, umgeben von Sperren und Nato-Stacheldraht, bewachtvon Hunden und berittener Polizei, Richter, die täglich mit Hubschraubern "e<strong>in</strong>geflogen"wurden, usw. Dieser "Aufwand" muß aber me<strong>in</strong>es Erachtens eher alsGeneralprobe für das bevorstehende große Verfahren <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> bewertetwerden.16 Anklageschrift vom 26.9.74, S. 1517 Damaliger Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Genscher; Welt am Sonntag, Februar 71;Der Spiegel 10.5. 71, S. 93.18 Horst Ehmcke, als damaliger M<strong>in</strong>ister des Bundeskanzleramts Koord<strong>in</strong>atorder drei Geheimdienste; Der Spiegel 9/72 S. 76.19 Der damalige Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister Werner Maihofer arn 12.6.75 im Bundestag:"Die Bundesregierung räumt <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>stimmung mit den Ländern derBekämpfung des Terrorismus erste Priorität (...) e<strong>in</strong>".20 Zitat von Kanzleramtsm<strong>in</strong>ister Ehmke am 7.6.72 im Bundestag.21 Vgl. Kap. ll, Anm. 6022 Otto Kirchheimer, <strong>Politische</strong> Justiz, Luchterhand, NeuwiedlBerl<strong>in</strong> 1965.23 a. a. 0., S. 51-7924 a. a. 0., S. 6725 Vgl. Schmidt, zitiert nach FAZ vom 21.1. 75: "Im H<strong>in</strong>blick auf das atlanti-593


sche Bündnis müsse jedes Land im Auge behalten, daß es <strong>in</strong>nenpolitisch fähigbleibt, se<strong>in</strong>e aussenpolitischen Verpflichtungen zu erfüllen".26 M. Ancel, Le Crime Politique et le Droit Penal du V<strong>in</strong>gtieme Siede, Revued'Histoire Politique et Constitutionelle, Vol. 2 (1938), S. 82 ff.27 Kirchheimer, a. a. 0., S. 74. Auf Seite 71 behauptet Kirchheimer, daß dieNeigung überwiegt, daß "die frühesten Äußerungen e<strong>in</strong>er fe<strong>in</strong>dlichen Haltung,die <strong>in</strong> sich vielleicht gar ke<strong>in</strong>e Folgen e<strong>in</strong>schließen, im Keime (erstickt werdensollen)".28 a. a. 0., S. 7829 a.a. O.30 a. a. 0., S. 8431 a. a. 0., S. 8532 Vgl. Kap. Il, 1.1.33 Kirchheimer, a. a. 0., S. 2634 a. a. 0., S. 2735 a. a. 0., S. 103. Das Zitat bezieht sich auf die AffaireCaillaux <strong>in</strong> den Jahren1917/1918; der französische Staatspräsident Po<strong>in</strong>care und der RegierungschefClemenceau erreichten damals die Entfernung des Kriegsgegners Caillaux aus derÖffentlichkeit mit e<strong>in</strong>er äußerst fragwürdigen Verfolgung wegen Landesverrats.Während im Zitat die "Sache der Kriegsführung" auf die Rolle Frankreichs imersten Weltkrieg verweist, me<strong>in</strong>e ich <strong>in</strong> diesem Zusammenhang den "Krieg"gegen die RAF.36 Frank Kitson, Low Intensity Operations: Subversion, Insurgency and Peacekeep<strong>in</strong>g, Faber and Faber, London 1971; deutsche Ausgabe: Im Vorfeld desKrieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Seewald, Stuttgart-Degerloch1974.37 Kitson, a. a. 0., deutsche Ausgabe, S. 3338 a. a. 0., S. 1639 Ebenda, S. 1840 Ebenda41 Ebenda, S. 7942 Ebenda43 Ebenda, S. 101-102.44 BGHE 2, 1445 BGHE 21, 10846 BGHE 21, 85, 90 = JR 67, 228 Anm. Hanack47 BVerfGE 9,36,3848 Vgl. Kap. V, 4.249 "Sachdienliche <strong>Verteidigung</strong> setzt auch voraus, daß der Angeklagte demVerteidiger Vertrauen entgegenbr<strong>in</strong>gt", Th. Kle<strong>in</strong>knech~ Strafprozeßordnung mitGVG und Nebengesetze, C. H. Beck, München 1977, Anm. 1 zu § 142 StPO. Vgl.BVerfGE 9,36,38.50 Erstmals: BGHSt 15, 306, 309; siehe auch Römer, ZRP 1977,92,95 ff.undWelp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 1978, 101, 122 ff.51 BGH, NJW 73,198552 Die Benutzung dieses Wortes durch Anwälte gilt als "standeswidrig" undkann zur Anwendung von Diszipl<strong>in</strong>armaßnahmen gemäß § 18 Abs. 1 und 3 derGrundsätze des anwaltlichen Standesrechts führen:§ 18 (1) Der Rechtsanwalt hat sich kollegial zu verhalten und auf die berechtigtenInteressen der Kollegen die gebotene Rücksicht zu nehmen.§ 18 (3) Unsachliche Angriffe gegen die Person e<strong>in</strong>es Kollegen <strong>in</strong> Wort oderSchrift s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Verstoß gegen die Pflichten zur Kollegialität.Allerd<strong>in</strong>gs hat das Wort "Zwangsverteidiger" <strong>in</strong> der juristischen FachpresseE<strong>in</strong>gang gefunden; vgl. Welp, a. a. 0., S. 122 ff.53 Die Aufnahme e<strong>in</strong>es Protokolls von e<strong>in</strong>er Hauptverhandlung ist geregelt <strong>in</strong>den §§ 271-273 StPO. E<strong>in</strong>e wörtliche Niederschrift (und Verlesung) ist nach §273 Abs. 111 nur erforderlich, wenn es "auf die Feststellung e<strong>in</strong>es Vorgangs <strong>in</strong> derHauptverhandlung oder des Wortlauts e<strong>in</strong>er Aussage oder e<strong>in</strong>er Äußerung an­(kommt)", mit anderen Worten (so Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 7 A zu § 273StPO): wenn daran "e<strong>in</strong> von der Rechtsordnung anerkanntes Interesse" besteht.Der Inhalt e<strong>in</strong>es Verhandlungsprotokolls ist besonders wichtig, wenn die Strafsachevon e<strong>in</strong>er höheren richterlichen Instanz behandelt werden soll. Obwohl die<strong>Stammheim</strong>er Verhandlung komplett auf Tonband mitgeschnitten wurde und dieRe<strong>in</strong>schrift nach drei Tagen vorlag, war der Anspruch gemäß § 273 Abs. 111 StPOnach wie vor wichtig, weil erst später zu entdeckende technische Störungen nichtausgeschlossen werden konnten.54 Vgl. Kap. V, Anm. 1555 Die Ausnahme ist das sogenannte beschleunigte Verfahren (§ 212-212 bStPO), wobei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fachen <strong>Strafsachen</strong> e<strong>in</strong>e Anklageschrift nicht erforderlich ist. Inderartigen Fällen kann e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe bis zu e<strong>in</strong>em Jahr ausgesprochenwerden.56 BGH 23,304,306. Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 2 zu § 203 StPO.57 Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz,Groß-Kommentar, Bd. 1 E<strong>in</strong>leitung; §§ 1 bis 111 n / Bearb.: Schäfer, 23.Aufl., Berl<strong>in</strong>/New York, de Gruyter 1976, E<strong>in</strong>l. Kap. 13 Rdn. 6-7.58 Protokolle, 2155-216659 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., E<strong>in</strong>l. 4 B <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit E<strong>in</strong>l. 7 C, vgl. auch dieAnmerkungen zu §§ 205 und 206a; Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>l. Kap. 6 Rdn.21-24, Kap. 12 Rdn. 97-101, vgl. auch die Anmerkungen zu § 205 (u. a. Rdn. 9)und § 206a (E<strong>in</strong>l. Kap. 10, B 6, Prot. 1255, Anm. 72).60 §§ 24-29 StPO. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 2 zu § 24 StPO: "Entscheidendist ausschließlich, ob e<strong>in</strong> am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigungaller Umstände Anlaß hat, an der Unvore<strong>in</strong>genommenheit und objektiven E<strong>in</strong>stellungdes Richters zu zweifeln (BVerfGE32, 288, 290; BGH 24, 336, 338; A~Der befangene Strafrichter, Tüb<strong>in</strong>gen, 1969)".61 Vgl. Kap. IV, 6.162 Vgl. Kap. 111, 3.2.163 § 260 Abs. 3 StPO: "Die E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen,wenn e<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis besteht". "Verhandlungsunfähigkeit" wirdals absolutes "Verfahrensh<strong>in</strong>dernis" betrachtet; vgl. Anm. 59.64 UlfStuberger, In der Strafsache gegen Andreas Baader, UlrikeMe<strong>in</strong>hof, Janearl Raspe, Gudrun Enssl<strong>in</strong> wegen Mordes u. a., Dokumente aus dem Prozeß,Syndicat, Frankfurt 1977, S. 161.65 Vgl. Stuberger, a. a. 0., S. 15766 RAF, Texte, Bo Cavefors, Malmö 1977, S. 89 ff.67 Europäische Kommission für Menschenrechte, Beschwerden Nr. 7572/76,594595


7586/76, 7587/76; übersetzung <strong>in</strong> holländischer Sprache: Baader, Enssl<strong>in</strong>, Haspe<strong>in</strong> Straatsburg, Informatiebullet<strong>in</strong> Nr. 10, Medisch-Juridisch Comite PolitiekeGevangenen, Utrecht, Februar 1978. In diesen Beschwerden wurde die Isolationshaftals Verletzung des Verbots der Folter (Art.3 MRK)gerügt; weiter wurdengerügt, die Grundsätze der Unschuldsvermutung, des fair trial und des Rechts aufunbeh<strong>in</strong>derte <strong>Verteidigung</strong> seien verletzt. Die Kommission wies am 8.7.78 alleRügen als offensichtlich unbegründet zurück: European Commission of HumanRights, Decisions and Reports, 14, 1979, S. 64 ff.Seitdem benutzt die Bundesregierungdiese Entscheidung dazu, die Aufrechterhaltung und Verschärfung derIsolationshaft zu rechtfertigen. Zum Beweis ihrer Behauptung, <strong>in</strong> der BRD gebe eske<strong>in</strong>e Folter, beriefen sich die Vertreter der Bundesregierung mehrfach vor demMenschenrechtsausschuß der Vere<strong>in</strong>ten Nationen auf diese Entscheidung:CCPR/C/SR. 92, para. 4 u. 7; 96, para. 19; A/33/196/Add. I, S. 25, para. 2(4.10.78). Die Entscheidung der Kommission istjedoch weder tatsächlich zutreffendnoch rechtlich haltbar, wie diese Studie zeigen soll. Zum Foltervorwurf: u. a.Kap. VI, 4, 4.1. und 4.2. Siehe auch die Kritikan der Entscheidung der Kommission<strong>in</strong>: Todesschüsse, Isolationshaft, E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong>s <strong>Verteidigung</strong>srecht, Hg. Rambert/B<strong>in</strong>swanger/BakkerSchut, 2. Auf!. 1985, S. 14 ff.68 Protokolle, 324-327, 334-338, 346-35069 Protokolle, 325-32670 Erich Koch, Starreporter für Strafverfahren bei der Bild-ähnlichen größtenholländischen Tageszeitung "De Telegraaf", berichtete am 12.6.75 aus <strong>Stammheim</strong>nicht nur ausführlich über das "üble Verhalten" der Anwälte als "Verzögerungsspezialisten",sondern verfälschte auch den Grund für "das Weglaufen ausder Sitzung" ;er gibt Verzögerungstaktik an, <strong>in</strong>dem die <strong>Verteidigung</strong> "wiederAufschub der Verhandlung erzw<strong>in</strong>gt", angeblich als Protest gegen die Nichtaushändigungvon Akten.71 Protokolle, 3772 Vgl. Anm. 59. Siehe auch Hans Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Dr.Otto Schrnidt KG, Köln 1977, Rz. 788.73 Dahs, a. a. 0., Rz. 78874 Protokolle, 35875 Protokolle, 36376 Protokolle, 39077 Protokolle, 38478 Protokolle, 48379 Vgl. § 74 StPO80 Protokolle, 517-52281 Protokolle, 535-53682 Protokolle, 538-53983 Protokolle, 58984 Protokolle, 589-59085 Protokolle, 61186 Protokolle, 40087 Protokolle, 964-96588 Protokolle, 906-91189 Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 5 zu § 245 StPO LV.m.Anm. 3 B zu § 244StPO90 Protokolle, 91191 Protokolle, 98292 Protokolle, 994-99693 Protokolle, 96194 Protokolle, 1103-111395 Protokolle, 112196 Protokolle, 112797 Protokolle, 1247-124998 Protokolle, 1320-1325, 1328-132999 Protokolle, 1379-1387100 Vgl. Kap. IV, 2.1101 Vgl. Kap. V, 2102 Protokolle, 1399103 Vgl. Kap. IV, 4.3 (Anm. 47)104 Protokolle, 1380105 Vgl. Kap. IV, 4.1106 Ebenda107 Protokolle, 1385108 Protokolle, 1397109 Protokolle, 1397; vgl. Kap. IV, 4.3110 Protokolle, 509: "Ne<strong>in</strong>. Es istja auch nicht nur e<strong>in</strong> psychiatrisches oder e<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>isches Problem; es ist ja e<strong>in</strong> gemischtes Problem. Das geht bis <strong>in</strong> dasPsychologische oder gar Tiefenpsychologische h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, wie Sie selbst schon feststellten".111 Protokolle, 1127112 Vgl. Protokolle, 1517-1522, 1551-1552113 Vgl. Protokolle, 2548-2562, 2595-2602114 Protokolle, 2559115 Protokolle, 2560-2562116 Protokolle, 2597117 Protokolle, 2597-2599118 Protokolle, 1602119 Protokolle, 2729-2730120 Protokolle, 1571121 Vgl. § 243 Abs. 2 StPO. Die Vernehmung des Angeklagten "über se<strong>in</strong>epersönlichen Verhältnisse" hat <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Identitätsfeststellung zum Zweck.Außerdem geht es noch um die Klärung von Prozeßvoraussetzungen, die <strong>in</strong> derPerson des Angeklagten begründet s<strong>in</strong>d (Istder Angeklagte verhandlungsfähig?).Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 5 zu § 243 StPO.122 Vgl. § 231 StPO123 Vgl. § 231 b StPO124 Protokolle, 2147-2153. Der Dialog ist auch - wörtlich - nachzuschlagen<strong>in</strong>: Stuberger, a. a. 0., S.201-205; das angegebene Datum (11.11.75) stimmtaber nicht.125 Protokolle, 2169-2170126 Vgl. Kap. V, Anm. 11127 Gutachten vom 17.9.75. Nicht veröffentlicht.128 Gutachten vom 15.9.75. Nicht veröffentlicht.•596597


129 Gutachten vom 10.9.75. Nicht veröffentlicht.130 Gutachten vom 16.9.75 von Dr. med. W. Naeve. Nicht veröffentlicht.131 Gutachten vom 11.12.75 von Volker Stöwsand. Nicht veröffentlicht.132 Vgl. Kap. V, 4.2 und Kap. VI, 2.1 unter "D"133 "Am 10.5.75 hat Richter WOESNER vom BGH den Erlaß e<strong>in</strong>es Haftbefehlsgegen Rechtsanwalt Siegfried Haag aus Heidelberg abgelehnt.Während der 4-stündigen Verhandlung vor dem BGH <strong>in</strong> Karlsruhe war dasGebäude von etwa 40 schwerbewaffneten Beamten umstellt. Rechtsanwalt Haagist der e<strong>in</strong>zige Verteidiger, der Andreas Baader nach dem Ausschluß der RechtsanwälteKlaus Croissant (Stuttgart) und Kurt Groenewold (Hamburg) verbliebenist. Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele (Berl<strong>in</strong>), der nach diesen Ausschlüssenvon Andreas Baader als Verteidiger gewählt worden war, wurde schon wenigeTage später ebenfalls mit e<strong>in</strong>em Ausschlußantrag überzogen, se<strong>in</strong>e Verteidigerrechtesuspendiert. Der Vorwurf gegen Rechtsanwalt Haag, der zur Durchsuchungse<strong>in</strong>er Wohn- und Büroräume führte, stützt sich auf die angeblichenAngaben e<strong>in</strong>es anonym gebliebenen Zeugen, Rechtsanwalt Haag habe am 4./5.3.1975 <strong>in</strong> Waldshut von Personen, die dem anarchistischen Kreis um die RAFzuzuordnen seien, e<strong>in</strong>e Reisetasche mit e<strong>in</strong>er Masch<strong>in</strong>enpistole, 3 Handgranatenund e<strong>in</strong>er Sprengpatrone übernommen. Es bestehe "auf Grund der Gesamtumstände"der erhebliche Verdacht, daß er dieses Waffenmaterial e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung zur Verfügung gestellt oder es jedenfalls für derartige Zwecke beschaffthabe.Der fehlgeschlagene Versuch von Generalbundesanwalt Buback und derStaatsschutzabteilung des Bundeskrim<strong>in</strong>alamts, Rechtsanwalt Haag aufgrund angeblicherBekundungen e<strong>in</strong>es anonymen Zeugen zu verhaften, wurde aus propagandistischenGründen nach e<strong>in</strong>em Feuergefecht <strong>in</strong> Köln unternommen, <strong>in</strong>dessen Verlauf e<strong>in</strong> Polizeibeamter und e<strong>in</strong> 'Terrorist' erschossen wurden. Mitdiesem Trick sollte die Öffentlichkeit darüber h<strong>in</strong>weggetäuscht werden, daß dieVerhaftung alle<strong>in</strong> zu dem Zweck erfolgen sollte, Andreas Baader auf diesem Wegese<strong>in</strong>es letzten Verteidigers zu berauben.Die Staatsschutzpolizei hat neben den Handakten anderer Gefangener aus derRAF, so Klaus Jünschke, Wolfgang Grundmann, Margrit Schiller und HelmutPohl, auch die Verteidigerakte für Andreas Baader durchgelesen und alle handschriftlichenAufzeichnungen und den gesamten Schriftwechsel daraus mitgenommen.Die Durchsuchungsaktion wurde von dem - mit e<strong>in</strong>er Pistole bewaffneten- Bundesanwalt Zeis geleitet, der <strong>in</strong> dem unmittelbar bevorstehenden StuttgarterProzeß die Anklage vertreten soll.Am gleichen Tag drangen gegen 13 Uhr sechs männliche und weiblicheKrim<strong>in</strong>albeamte plötzlich <strong>in</strong> die Anwaltssprechzelle der JVA Bochum e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> derRechtsanwält<strong>in</strong> Marie Louise Becker aus Heidelberg mit der UntersuchungsgefangenenHanna Krabbe das erste Verteidigergespräch nach den Ereignissen <strong>in</strong>Stockholm führte. Rechtsanwält<strong>in</strong> Becker wurde eröffnet, sie und Hanna Krabbemüßten auf Grund e<strong>in</strong>er Anweisung aus Karlsruhe körperlich durchsucht werden,alle Aufzeichnungen und Unterlagen auf dem Besprechungstisch und <strong>in</strong> derAktentasche müßten durchgesehen werden. Die weitere Forderung der weiblichenKrim<strong>in</strong>albeamten, sich vollständig zu entkleiden, lehnte Rechtsanwält<strong>in</strong>Becker ab.Darauf drohten ihr die Beamt<strong>in</strong>nen, die männlichen Beamten zu holen und siemit Gewalt auszuziehen. Nachdem Rechtsanwält<strong>in</strong> Becker sich dieser Nötigunggebeugt hatte, durchsuchten die Krim<strong>in</strong>albeamten ihre Handakten und nahmengegen ihren Protest sämtliche handschriftlichen Aufzeichnungen über die Verteidigerbesprechungmit Hanna Krabbe sowie alle Notizen über Verteidigerbesprechungenaus Handakten <strong>in</strong> anderen Strafverfahren an sich. Hanna Krabbe wurdenbei der Durchsuchung selbst ihre Wundverbände an Brust, Oberschenkel,Wade und Fuß abgenommen.Die vom Generalbundesanwalt angeordneten Maßnahmen der Staatsschutzpolizeihaben durch diese Rechtsbrüche die Qualität faschistischer Akte erreicht.Die vorsätzliche Zerstörung des Anwaltsgeheimnisses, die zynische Mißachtungdes elementaren Rechts auf Achtung e<strong>in</strong>es letzten Vertrauensbereichs - dem zuse<strong>in</strong>em Verteidiger - würde <strong>in</strong> Rechtsstaaten mit e<strong>in</strong>er gefestigten demokratischenTradition e<strong>in</strong>en Prozeß gegen die betroffenen Angeklagten unmöglich machen.Rechtsanwälte: Siegfried Haag, Heidelberg, Marielouise Becker, Heidelberg,Klaus Croissant, Stuttgart, Kurt Groenewold, Hamburg, Ra<strong>in</strong>er Köncke, Hamburg,Jürgen Laubscher, Heidelberg, Rupert von Plottnitz, Frankfurt, HelmutRiedei, Frankfurt, Petra Rogge, Hamburg. "134 Vgl. Kap. II, 3.3135 RAF, Texte, a. a. 0., S. 140-143136 z. B. NRZ, 6.6.75137 Protokolle, 148138 Protokolle, 167139 §§ 137 und 138 StPO; Art. 6 Europäische Menschenrechtskonvention;BVerfG 8.10.74, NJW 75, S. 103.140 BGH 25.6.65, NJW 65, S. 2165141 § 145 Abs. 3 LVm. § 265 Abs. 4 StPO; BVerfGE 13,190; BGH 25.6.65,NJW 65, S. 2164.142 Protokolle, 292143 BVerfGE 9,36144 Vgl. Der Spiegel Nr. 25/1975145 De Volkskrant, 6.6.75; De Waarheid, 7.6.75.146 Der Stern Nr. 24/1975, S. 128147 Art. 12 Abs. 1 GG148 BVerfG 23.7.75,2 BvR 557/75; Protokolle, 1566-1568149 Protokolle, 1565150 Protokolle, 1576151 Protokolle, 825152 Protokolle, 205153 §§ 231 LVm. 231 b StPO; siehe 3.1.4 dieses Kapitels.154 Protokolle, 216155 Protokolle, 835-836156 Protokolle, 922-923157 Protokolle, 923158 Vgl. Kap. V, Anm. 78159 Hierzu Dahs, a. a. 0., Rdz. 63: ,,'Rechtssache' ist vielmehr jedes e<strong>in</strong>heitlicheLebensverhältnis".160 Protokolle, 925161 Protokolle, 930-931 •598599


162 Dahs, a. a. 0., Reiz.60163 Vgl. § 356 StGB, § 45 Nr. 2 BRAO und § 46 der Grundsätze desanwaltlichen Standesrechts.164 Protokolle, 939165 S. Kap. V, Anm. 8166 Vgl. Baumann <strong>in</strong>: Stuttgarter Zeitung vom 5.6.76, Bundesjustizm<strong>in</strong>isterVogel <strong>in</strong>: Der Spiegel 22/1975, S. 81 und 23/1975, S. 162, Beschluß der 45.Konferenz der Länderjustizm<strong>in</strong>ister vom 7.5.75 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z,zitiert<strong>in</strong> Protokolle, 113.167 Vgl.Protokolle, 114; durch Art. 2 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung desStrafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes,der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18.8.76(BGBI I 2181) wurde Absatz 5 angefügt an § 138a StPO. Dadurch sollten"Zweifel, die bei der Anwendung <strong>in</strong> der Praxis aufgetreten s<strong>in</strong>d, ausgeräumtwerden" (Bericht des BTRAusschusses, BTDrucks. 7/5401 zu Nummer 1 [§ 138]StPO Abs. 3 Satz 2, S. 71). Abs. 5: ,,1) E<strong>in</strong> Verteidiger, der nach Absatz 1ausgeschlossen worden ist, kann <strong>in</strong> demselben Verfahren auch andere Beschuldigtenicht verteidigen; das gleiche gilt für e<strong>in</strong>en Verteidiger, der nach Absatz 2ausgeschlossen worden ist, h<strong>in</strong>sichtlich der Beschuldigten, die sich nicht auffreiem Fuß bef<strong>in</strong>den. 2) E<strong>in</strong> Verteidiger, der nach Absatz 2 ausgeschlossenworden is~ kann <strong>in</strong> anderen Verfahren, die e<strong>in</strong>e Straftat nach § 129a des Strafgesetzbucheszum Gegenstand haben und die im Zeitpunkt der Ausschließungbereits e<strong>in</strong>geleitet worden s<strong>in</strong>d, Beschuldigte, die sich nicht auf freiem Fuß bef<strong>in</strong>den,nicht verteidigen. 3) Absatz 4 gilt entsprechend.168 Vgl. Protokolle, 120-121169 Protokolle, 121170 Vgl. Kap. IVAbs. 1, Die Problematik der rechtlichen Repression, zu demdieser Vorgang e<strong>in</strong> schönes Beispiel bietet.171 Protokolle, 77fr.-777172 Vgl. StPO § 112 ff.173 § 112 Abs. 2 Satz 2 StPO174 § 112 Abs. 2 Satz 3 StPO175 § 112 a StPO176 Beschluß AG Tiergarten (Haftrichter), Berl<strong>in</strong>, vom 18.7.75,352 Gs 1255/75.177 Die Beschwerde wurde am Tag der Aufhebung der Untersuchungshaft(18.7.75) e<strong>in</strong>gereicht, aber erst am 21. 7.75 begründet.178 Beschluß LG Stuttgart vom 8.8.75, VII QS 71/75179 Beschluß OLG Stuttgart vom 22.8.75, 2a WS 2/75180 Haftbefehl vom 23.6.75, Richter am AG Stuttgart (gez. Hause!), B 21 Gs1140/75.181 Vgl. § 117-118 b StPO. Der Beschuldigte, der <strong>in</strong> Untersuchungshaft ist,kann jederzeit die gerichtliche Prüfung beantragen, ob der Haftbefehl aufzuhebenoder dessen Vollzugauszusetzen ist.182 Beschluß AG Stuttgart (Haftrichter, gez. Dr. Onnen), vom 2.7.75 (ke<strong>in</strong>Aktenzeichen auf me<strong>in</strong>er Kopie).183 Vgl. Anm. 178184 Beschluß LG Berl<strong>in</strong> vom 22.7.75, 502 Qs 7/75185 Vgl. Kap. V, 4.3 und 4.4186 Vgl. Dahs, a. a. 0., Reiz.35-40, vor allem 39, und § 203 Abs. 1 Satz 3StGB.187 § 138 a Abs. 3 LV.m. § 138 c Abs. 2 Satz 2 (analog angewendet) StPO.188 Vgl. Protokolle, 1448-1449189 Vgl. § 33 Abs. 3 StPO, der vorschreibt, daß "e<strong>in</strong> anderer Beteiligter zuhören (ist),bevor zu se<strong>in</strong>em Nachteil Tatsachen oder Beweisergebnisse, zu denener noch nicht gehört worden ist, verwertet werden". Abs. 4 benennt als Ausnahme,"wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde. "190 Protokolle, 2244-2255, 2275-2300, 232fr.-2330, 2335-2345.191 Prof. Dr. Carl Carstens, Chef der CDU/CSU-Opposition im DeutschenBundestag (im Dritten Reich Mitglied der NSDAP, später Bundespräsident) <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Interview mit der "Berl<strong>in</strong>er Morgenpost" vom 23.11.74. Vgl. Protokolle,2250-2255,22772288.192 Zitiert nach FAZ, 22.2.75193 Vgl. Protokolle, 2251-2255, 227fr.-2277194 Die Androhung e<strong>in</strong>es Anschlags vom 28.5.75 wurde von der RAF am29.5.75 mit e<strong>in</strong>er von BKA-Experten als authentisch bezeichneten Erklärungdementiert: "Die beiden aus Buchstaben zusammengestückelten Bombendrohungenfür den 2. Juni, für den nächsten Freitag <strong>in</strong> Stuttgart, stammen nicht vonder Roten Armee Fraktion. Die echten Erklärungen der Kommandos der Stadtguerillas<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrem Inhalt und ihren Formulierungen nach bei e<strong>in</strong>em Vergleichmit anderen Veröffentlichungen der Roten Armee Fraktion leicht als authentischzu identifizieren. Sie s<strong>in</strong>d auf Schreibmasch<strong>in</strong>en geschrieben worden, die dieBullen schon kennen. Die falschen Erklärungen stammen ihrem Inhalt, ihrerAbsicht, ihrem Geist, ihrer Machart nach eher von den Bullen selber. Das wissensie, das wissen die Spr<strong>in</strong>gerjoumalisten die sie vorbehaltlos publiziert haben, daswissen Filb<strong>in</strong>ger, Krause und Klett. Die treffen ihre vorsorglichen Maßnahmen nurzum Sche<strong>in</strong>, um neue Polizeiaktionen vorzubereiten, um den Nervenkrieg auf dieSpitze zu treiben. Weil die Fahndungsbehörden ke<strong>in</strong>e Resonanz f<strong>in</strong>den, greifensie jetzt zum Mittel faschistischer Provokation. Man muß ihnen zutrauen, daß,wenn sie bis Freitag ke<strong>in</strong>e Fahndungserfolge haben, sie die Verbrechen, die sieangekündigt haben, auch durchführen werden". Vgl. Protokolle, 2253.195 Protokolle, 2387-2388196 Siehe Kap. 5, Anm. 5197 Adol! Amdt, NJW 1961, S. 900198 Protokolle, 2390199 Alles ausführlich im Antrag dokumentiert; vgl. Protokolle, 2288-2300,2335-2341,2388-2394.200 Vgl. Stuttgarter Zeitung, 30.7.75; Protokolle, 2394201 Protokolle, 2373202 BGHE 24, S. 239 (25.6.74,1 StR 607173).203 Protokolle, 2375204 Protokolle, 2377205 Protokolle, 2373, 2412206 Protokolle, 2374, 2377207 Vgl. Protokolle, 2436208 Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., E<strong>in</strong>l. 6 Anm. 6 zu § 260 StPO.600601


209 Vgl. BVerfGE 32, 288, 290; BGH 24, 336, 338; Arzt: Der befangeneStrafrichter, Tüb<strong>in</strong>gen 1969.210 Art. 512 WvSv211 Melai, Wetboek van Strafvorder<strong>in</strong>g, Gouda Qu<strong>in</strong>t, Arnhem, Anm. 2 zuartt. 512-524212 Art. 516 WvSv213 Vgl. A. A. G. Peters, Individuele vryheid en de positie von verdachten <strong>in</strong>het Strafproces, <strong>in</strong>: Praesidium Libertatis, K1uwer,Deventer 1975, S. 175 ff.214 Vgl. Dahs, a. a. 0., Rdz. 141 ff mit Literaturverweis.215 § 24 Abs. 2 StPO216 Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 2 zu § 24 StPO; Dahs, a. a. 0., Rdz.143.217 BGHSt 4, 264 = NJW 1953, S. 1358 = JZ 1954, S. 50218 BGH, Gold A 62, 282219 BGH, LM § 24 StPO Nr. 4220 OVG Lüneburg, AnwBI 1974, S 132; kritisch Redeker/v. Oertzen,VwGO, § 54 Rdz. 10; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 2 zu § 24 StPO.221 Dahs, a. a. 0., Rdz. 145222 a. a. 0., Rdz. 141223 § 25 1.Vm. § 26 a Abs. 1 Satz 1 StPO224 § 26 Abs. 2 i.Vm. § 26 a Abs. 1 Satz 2 StPO225 § 26 a Abs. 1 Satz 3 StPO. In diesem Fall muß der Beschluß gemäß §26 a Abs. 2 StPO e<strong>in</strong>stimmig gefaßt werden.226 § 26 a Abs. 2 StPO227 § 27 StPO; vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1 und 2 zu § 27 StPO228 Dahs, a. a. 0., Rdz. 141229 Stuberger, a. a. 0., S. 154-180; Protokolle 620-668 (mit Anlagen)230 Protokolle, 677-683; § 26 Abs. 3 StPO: "Der abgelehnte Richter hatsich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern".231 Protokolle, 706-707232 Zitiert <strong>in</strong> Protokolle, 631 (a). In diesem Brief teilt Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g auf CroissantsAnfrage vom 7.11. 74 mit, daß Baader zwischenzeitlich nach <strong>Stammheim</strong> verlegtwurde; "auch Me<strong>in</strong>s und Raspe werden <strong>in</strong> absehbarer Zeit folgen". Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>gfügt h<strong>in</strong>zu: "Da die Voraussetzungen der ärztlichen Versorgung <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt<strong>Stammheim</strong> anders liegen, als <strong>in</strong> Schwalmstadt u.s.w., geht der Senatdavon aus, daß Ihre Anträge vom 7.11. 74 überholt s<strong>in</strong>d". Die Anträgevom 7.11. be<strong>in</strong>halteten die Forderungen nach sofortiger Verlegung von Baader,Me<strong>in</strong>s und Raspe nach <strong>Stammheim</strong> und zum soundsovielten Male aufUntersuchung von Baader durch e<strong>in</strong>en Arzt se<strong>in</strong>es Vertrauens, diesmal wegender am 4.11. 74 beendeten Zwangsernährung.233 Aus der "eidesstattlichen Erklärung" Croissants vom 19.6.75 (Protokolle,702-704):Ich habe Herrn Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß es se<strong>in</strong>e Pflicht sei und<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Verantwortung liege, daß er sofort durch e<strong>in</strong>en Anruf <strong>in</strong> der JustizvollzugsanstaltWittlich den Besuch von Rechtsanwalt Haag bei Holger Me<strong>in</strong>s sicherstelleund außerdem anordne, daß e<strong>in</strong> Arzt des Vertrauens sofort zu HolgerMe<strong>in</strong>s vorgelassen werde.Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g erklärte mir, es sei ja bereits beschlossen, daß Ärzte desVertrauens für die fünf Angeklagten nicht zugelassen werden, dabei müsse esbleiben; ich möge Holger Me<strong>in</strong>s doch zuraten, den Hungerstreik abzubrechenund zu essen. Auf me<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis, daß die Situation bei Holger Me<strong>in</strong>s dochdadurch gekennzeichnet sei, daß der Anstaltsarzt bereits wegen gefährlicherKörperverletzung und grober Verletzung se<strong>in</strong>er ärztlichen Pflichten angezeigtworden sei, daß ihm diese Strafanzeige vorliege, daß es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Hand liege, denBeschluß auch wieder abzuändern, erklärte Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, das könne er nichtalle<strong>in</strong>e tun, das könne nur der Senat, dieser sei aber jetzt nicht zusammenzutrommeln,ich möge versuchen, mich an den Bereitschaftsrichter zu wenden. Aufme<strong>in</strong>e erneuten H<strong>in</strong>weise, daß niemand anders als er zuständig und zu raschemund effektivem Handeln <strong>in</strong> der Lage sei, versprach Herr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, die JustizvollzugsanstaltWittlich anzurufen.234 Protokolle, 628 (a)235 Protokolle, 706236 Protokolle, 692237 Protokolle, 722238 Stuberger, a. a. 0., S. 153239 Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i.Vm. § 16 GVG; vgl. BVerfGE4,416; 17,299;21, 145240 Protokolle, 681-683241 Vgl. BGHSt 21,346242 "Das Parlament", 23.2.74243 Protokolle, 1861-1865244 Vgl. Protokolle, 1939-1940245 Vgl. Protokolle, 1659-1698246 Protokolle, 1953-1954247 Protokolle, 1927248 Protokolle, 1941249 Protokolle, 1956250 RAF, Texte, a. a. 0., S. 112; vgl. Ausschluß der Verteidiger - wie undwarum?, Merve Arbeitspapiere Nr. 17, Berl<strong>in</strong> 1975, S. 86, 93.251 Art. 1 Nr. 14 Ges. z. Erg. der 1. StVRG v. 20.12.74 (BGBI 1,3688)252 Rudolphi, ZRP 1976, S. 167253 Daraus folgert Eberhardt Schmidt, daß e<strong>in</strong>e solche Freiheit für Verteidigerebensowenig auf § 257 a StPO gegründet werden kann; Eb. Schmidt, Lehrkommentarzur Strafprozeßordnung, Nachtragsband I zu Teil 11, Gött<strong>in</strong>gen 1967,Anm. 1-7 zu § 257 a. Anders Kle<strong>in</strong>knecht, JZ 1965, S. 159; Schwarz-Kle<strong>in</strong>knecht,Strafprozeß ordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzendeBestimmungen, 26. Auflage 1966, § 257 a, Anm. 2; Müller-Sax, Kommentar zurStrafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz und Ordnungswidrigkeitengesetz,6. Aufl. 1966, § 257 a Anm. 2.254 Schmidt-Leichner, NJW 1975, S. 420, Anm. 36255 RAF, Texte, a. a. 0., S. 121-127256 § 205 StPO: "Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheitdes Angeschuldigten oder e<strong>in</strong> anderes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Person liegendes H<strong>in</strong>dernisentgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig e<strong>in</strong>stellen(...)".257 § 260 StPO: "Die E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen,602603


wenn e<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis vorliegt". Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 6 zu §260 i.v.m. E<strong>in</strong>l. 4 B a, E<strong>in</strong>l. 6 C a, Anm. 1 zu § 205, Anm. 1 zu § 206 a.258 Protokolle, 3124-3140259 Protokolle, 3171-3173260 Vgl. § 35 StPO261 Vgl. § 244 ff. StPO262 Vgl. Kap. V, 2, zur selben Problematik für die <strong>Verteidigung</strong> bezüglich der"Maihofer-Dokumentation".263 BGHSt 26, 228; NJW 1976, 116 ff. und JZ 1976, S. 766-773, mitkritischen Anmerkungen von Gerald Grünwald. Siehe auch H. H. Heldmann <strong>in</strong>KJ 1977, S. 193 ff. (197 ff., 202 ff.).264 Grünwald, JZ 1976, S. 767265 a. a. 0., S. 767266 So auch fast wörtlich Grünwald, a. a. 0., S. 768267 Vgl. das Gutachten "Strafprozeß und Staatsraison" von Sebastian Cobler,e<strong>in</strong>gereicht Anfang Januar 1978 beim Dritten Internationalen Russell-Tribunalzum Thema "Menschenrechte <strong>in</strong> der BRD"; 3. Internationales Russell-Tribunal,Bd. 4, S. 42, Rotbuch, Berl<strong>in</strong> 1979.268 Astrid Proll mußte schon drei Monate nach ihrer Festnahme am 6. Mai1971 wegen der Folgen der Isolationshaft mediz<strong>in</strong>isch behandelt werden. Trotzdemwurde sie weitere drei Monate später <strong>in</strong> den Toten Trakt des GefängnissesKöln-Ossendorf verlegt. Ihre "Gefährlichkeit" konnte nicht der Grund dafür se<strong>in</strong>,denn weder <strong>in</strong>nerhalb noch außer halb der Anstalt hatte sich etwas ereignet, dasmit ihr <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht werden konnte.269 A. Lehn<strong>in</strong>g, H. Wielek, P. H. Bakker Schut, Duitsland: voorbeeld of waarschuw<strong>in</strong>g?, Wereldvenster, Baarn 1976, S. 69.270 Siehe aber Anm. 67 dieses Kapitels271 Vgl. Amnesty International, Bericht über die Folter, Fischer, Frankfurt1975, S. 34-40; siehe auch Art. 1 der "Convention aga<strong>in</strong>st torture and othercruel, <strong>in</strong>human or degrad<strong>in</strong>g treatment or punishment" vom 10.12.84, GeneralAssembly of the United Nations, GA Res. 39/46.272 Vg!. Kap. IV, 2.3. und Anm. 12273 Europarat, Europäische Menschenrechtskommission, Der Fall Griechenland,Bericht der Kommission, Bd. 2, Teil 1, S. 1. Vgl. Amnesty International,Bericht über die Folter, a. a. 0., Frankfurt 1975, S. 36-37.274 Prof. Dr. W. Rasch <strong>in</strong> "Der Stern" vom 20.5.76 zur glasglockenähnlichenSituation der Gefangenen aus der RAF <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>.275 Stuberger, a. a. 0., S. 98276 a. a. 0., S. 98277 Der Spiegel 19/1975278 Bonner Perspektiven, 27.4.75: "Da gilt für mich der alte Polizeigrundsatzauch als Innenm<strong>in</strong>ister: (...) das Äußerste dagegen zu unternehmen".279 Das sogenannte Fünfte Hessenforum wurde am 27.5.75 <strong>in</strong> Darmstadt zumThema "Terrorismus und Gewaltkrim<strong>in</strong>alität, Herausforderung an den Rechtsstaat"veranstaltet. Teilnehmer waren U. a. Herold (BKA), Hübner (PolizeipräsidentWestberl<strong>in</strong>), Schwarz (Innenm<strong>in</strong>ister Baden-Württemberg), Vogel (CDU­MdB), Horchern (Präsident Verfassungsschutz Hamburg) und e<strong>in</strong>ige Journali-604steno E<strong>in</strong>e Niederschrift der Tonbandaufnahme, die, soweit ich <strong>in</strong>formiert b<strong>in</strong>, nieveröffentlicht wurde, ist <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Besitz.280 Bericht von Herold auf der Innenm<strong>in</strong>isterkonferenz, Januar 1972, schonerwähnt <strong>in</strong> Kap. 11, 3.1. (Anm. 123, 125, 126).281 Z. B. Protokolle, 3247; vgl. Protokolle, 3197-3274282 BVerfGE 41,246283 Grünwald, a. a. 0., S. 770-773284 Vgl. die Argumentationsl<strong>in</strong>ie von Dwork<strong>in</strong>, wiedergegeben <strong>in</strong> Kap. V.3.2.1.; <strong>in</strong> den Niederlanden: A. A. G. Peters, Hetrechtskaraktervan hetstrafrecht,Kluwer, Deventer 1972.Kapitel VII1 Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz,Groß-Kommentar, 23. Aufl., Berl<strong>in</strong>lNew York, de Gruyter 1976/1978,Anm. 1 und 2 zu § 244 StPO; Th. Kle<strong>in</strong>knecht, Strafprozeßordnung mit GVG undNebengesetze, C. H. Beck, München 1975, Anm. 3 zu § 244 StPO.2 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>!. Kap. 13, Rdn. 56-67, Anm. 1-6 zu § 250StPO; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1 zu § 250 StPO, Anm. 2 B zu § 261 StPO.3 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>l. Kap. 13, Rdn. 64; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm.1B zu § 250 StPO, für Ausnahmen siehe § 251 StPO.4 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>!. Kap. 13, Rdn. 65, Anm. 5 zu § 250 StPO;Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1 B-D zu § 250 StPO.5 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>!. Kap. 13, Rdn. 65 Fn. 44, E<strong>in</strong>!.Kap. 14, Rdn.58 Fn. 10 und Anm. 5 b zu § 250 StPO; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 10 zu § 250StPO.6 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>!. Kap. 13, Anm. 1; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm.2B zu § 261 StPO.7 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1 zu § 250 StPO und Anm. 3 zu § 261 StPO; vg!.Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 55-111 zu § 261 StPO.8 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 4 zu § 244 StPO.9 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>!. Kap. 6, Rdn. 21-24; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0.,E<strong>in</strong>!. 7 A-F.10 M<strong>in</strong>kenhof, Oe Nederlandse Strafvorder<strong>in</strong>g, Tjeenk Will<strong>in</strong>k,Haarlern 1967,S. 184; Van Bemmelen, Ons Strafrecht 4, Tjeenk Will<strong>in</strong>k,Alphen a. d. Rijn 1977,S.72-74.11 Art. 344 Abs. 2 WvSv.12 Art. 167 Abs. 2 und Art. 242 Abs. 2 WvSv.13 § 152 Abs. 2 StPO; Löwe-Rosenberg, a. a. 0., E<strong>in</strong>!. Kap. 13, Rdn. 26-40,Anm. zu §§ 152-154 c StPO; Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., E<strong>in</strong>!. I Bc, Anm. zu §§152-154 c StPO.14 Vg!. §§ 153-153 c und §§ 15~154 c StPO.15 § 12 StGB16 Protokolle, S. 9859-986117 Protokolle, S. 9861605


18 Protokolle, S. 986719 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 3-9 zu § 258 StPO ("Der Schluß derBeweisaufnahme hat stets nur vorläufigen Charakter (".)").20 Protokolle, S. 5079-508821 Vgl. Kap. IV, Anm. 14; zum § 116 StPO: BVerfGE 19, 342; vgl. dieniederländischen Artikel 80 ff. WvSv.22 BVerfGE 19, 342 (347)23 Protokolle, S. 508324 Protokolle, S. 5219-522125 Vgl. § 455 StPO26 Zum Beispiel berichtete die FR am 17.12.75 über die Ablehnung desAntrags: "Der Senat kann nach Angaben se<strong>in</strong>es Vorsitzenden Theodor Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g,nur hoffen, daß die Angeklagten davon absehen, aus der Krankheit e<strong>in</strong>e Waffezumachen'. Das Gericht habe ke<strong>in</strong>e Möglichkeit, sie zu e<strong>in</strong>er ärztlichen Behandlungzu zw<strong>in</strong>gen. Die Angeklagten weigerten sich darüber h<strong>in</strong>aus auch, geme<strong>in</strong>sam mitzehn bis 14 anderen Häftl<strong>in</strong>gen im Hof der Haftanstalt <strong>Stammheim</strong> ihre sogenannteFreistunde zu nehmen. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g teilte mit, daß die Angeklagten zumAusgleich für die aus Sicherheitsgründen notwendigen besonders harten Haftbed<strong>in</strong>gungennach Geschlechtern getrennt täglich acht Stunden geme<strong>in</strong>sam verbr<strong>in</strong>genund zusätzlichzu viertjeden Tag zweie<strong>in</strong>halb Stunden geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erZelle verbr<strong>in</strong>gen könnten".27 Protokolle, S. 5369-538028 Protokolle, S. 538229 Vgl. Hans Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Dr. Otto Schmidt KG,Köln 1977, Rdz. 21, 346, 384.30 Vgl. Kap. V, 3.2.331 Vgl. Ebenda32 Protokolle, S. 316433 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 3 zu § 238 StPO.34 Protokolle, S. 317535 Protokolle, S. 3177-317936 Protokolle, S. 318237 Siehe Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 28 zu § 25 StPO: "Da die Hauptverhandlunge<strong>in</strong> mündliches Verfahren ist (Schäfer, E<strong>in</strong>l., Kap. 13,56), wird man denBeteiligten, obwohl die Ablehnung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werdenkann (§ 26 Abs. 1, 2. Halbsatz), <strong>in</strong> der Regel zugestehen müssen, daß sieAblehnungsanträge <strong>in</strong> der Hauptverhandlung vorbr<strong>in</strong>gen. Daher ist die Ablehnungregelmäßig auch dann noch unverzüglich, wenn der Beteiligte währende<strong>in</strong>er Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht zur Geschäftsstelle geht, sondernwartet, bis die Hauptverhandlung wieder begonnen hat [2].". Anmerkung 2besagt: "In e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>zelfallist bei e<strong>in</strong>er größeren Unterbrechung (zehn Tage) unde<strong>in</strong>er Häufung von Anträgen, die das Verfahren schwierig machten, weil derAblehnungsantrag erst bei Wiederbeg<strong>in</strong>n der Hauptverhandlung angebracht wurde,die Unverzüglichkeit verne<strong>in</strong>t worden (BGHSt. 21 344). Solche Fälle werdenselten vorliegen, der besonders gelagerte E<strong>in</strong>zelfall darf nicht verallgeme<strong>in</strong>ertwerden".38 Vgl. Kap. VI, 2.1, E39 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 33 zu § 145 StPO.40 Vgl. Kap. V, 4.2 und Kap. VI, 2.1, D41 BVerfGE 39,238 = NJW 1975,1015 = AnwB11975, 212.42 So die (nicht veröffentlichte) Verfügung vom 7.11. 75 von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g zuPlottnitz.43 Aufgrund § 53 Abs. 8 und 4 i.V.m. § 7 BRAO i.V.m. ZifferV 1 Satz 1 der AVdes Justizm<strong>in</strong>isteriums Baden-Württemberg vom 1.12.59 (Die Justiz 1959, S.260).44 Vgl. Protokolle, S. 8054---806545 So Oberw<strong>in</strong>der, Wahlverteidiger von Me<strong>in</strong>hof, am 23.3.76; Vgl.Protokolle,S.8057.46 Protokolle, S. 805947 Protokolle, S. 806248 Zitat aus e<strong>in</strong>em Interview mit GBA Buback im "Interview der Woche" desDeutschlandfunks am 27.6.76, 11.30 Uhr.49 Vgl. Anm. 1350 Vgl. Kap. 11,151 Siehe Kap. 11,1.152 Der Spiegel 8/76, Seite 34.53 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 7 zu § 261 StPO; vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0.,Rdn. 74--n54 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 7 zu § 261 StPO.55 Der Spiegel 8/76, Seite 31.56 Diese Strafen werden erwähnt <strong>in</strong> den "Urteilsgründen" (S. 309) des nichtveröffentlichten Urteils vom 28.4.77, 2 StE (OLG Stuttgart) 1/74. In clie"Urteilsformel"istunter Anwendung von § 260 Abs. IVSatz 5 nur die für die Anschläge <strong>in</strong>Heidelberg und Frankfurt auferlegte lebenslängliche Gefängnisstrafe aufgenommen.57 Protokolle, S. 3745-3746, 3844-384858 Protokolle, S. 4208-4212 (u. a. 4209)59 Protokolle, S. 8244---837260 Protokolle, S. 836261 Protokolle, S. 424662 Protokolle, S. 424563 Protokolle, S. 4255MDas Urteilvom 28.4.77, 2 StE (OLG Stuttgart) 1/74 ist319 Seiten stark und,wie die Protokolle der Hauptverhandlung, im Besitz der Bibliothek des WillemPompe Instituut voor Strafrechtswetenschappen der Universität Utrecht.65 siehe Protokolle, S. 9524 ff. zur Vernehmung Prachts66 siehe Protokolle, S. 7345 ff. zur Vernehmung Sauers67 siehe Protokolle, S. 8446 ff. zur Vernehmung der Verkäufer<strong>in</strong>nen68 siehe Protokolle, S. 6994 ff. zur Vernehmung der Zeugen69 siehe Protokolle, S. 7938 ff. zur Vernehmung des Eierverkäufers70 siehe Protokolle, S. 7376 ff. zur Vernehmung der Mutter und Tochter71 Der Zeuge Kühn, siehe Protokolle, S. 688672 Protokolle, S. 6938-693973 Verbotene Vernehmungsmittel / 136 a I Die Freiheit der Willensentschließungund der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht bee<strong>in</strong>trächtigt werdendurch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen E<strong>in</strong>griff, durch606607


Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose.Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dieszuläßt. Die Drohung mit e<strong>in</strong>er nach ee<strong>in</strong>en Vorschriften unzulässigen Maßnahmeund das Versprechen e<strong>in</strong>es gesetzlich nicht gesehenen Vorteils s<strong>in</strong>d verboten.11 Maßnahmen, die das Er<strong>in</strong>nerungsvermögen oder die E<strong>in</strong>sichtsfähigkeit desBeschuldigten bee<strong>in</strong>trächtigen, s<strong>in</strong>d nicht gestattet.IIIDas Verbot der Absätze 1 und 2 giltohne Rücksicht auf die E<strong>in</strong>willigungdesBeschuldigten. Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommens<strong>in</strong>d, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte derVerwertung zustimmt.74 So der Zeuge Boieck, Krim<strong>in</strong>alhauptkommissar beim BKA, Protokolle, S.5845.75 Siehe Protokolle, S. 6880 ff., S. 6970 ff. und vor allem 7545-7546bezüglich des Zeugen Kühn.76 Das Interview ist veröffentlicht im Novemberheft 1980 der Zeitschrift"Transatlantik", herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, Gaston Salvatoreund Karl Markus Michel, als Wiedergabe e<strong>in</strong>es Teils der stundenlangenGespräche zwischen Herold und dem Autor Sebastian Cobler. Das Interviewsollte ursprünglich <strong>in</strong> "Kursbuch 61" veröffentlicht werden; der Verlag lehntee<strong>in</strong>e Veröffentlichung ab, weil Herold das vom Tonband abgetippte Manuskriptso gründlich umformuliert hatte, daß nur noch e<strong>in</strong>e "Mischung aus amtlicherVerlautbarung, Fahndungsblatt und schlechtem Feuilleton" übrig blieb. Das <strong>in</strong>"Transatlantik" veröffentlichte Interview (auch <strong>in</strong> "Blatt - Stadtzeitung für München",Nr. 184, S. 12 ff.) ist also die nicht von Herold umformulierte Version.77 Carlos Marighela, M<strong>in</strong>ihandbuch der Stadtguerilla78 Siehe § 249 StPO79 RAF, Texte, Bo Cavefors, Malmö 1977, S. 65.80 Protokolle, S. 990881 Protokolle, S. 9853-54, 989882 Entwürfe des Landes Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen (BT-Drucksache 7/3734), derBundesregierung (BT-Drucksache 7/4005) und der Bundestagsfraktionen vonSPD und FDP (BT-Drucksache 7/3729).83 Z. B. Meyer, Brauchen wir den Kronzeugen?, ZRP Februar 1976, S. 25 ff.84 Middendorf, ZStW (1973), S. 1102 ff.85 Jung, Straffreiheit für den Kronzeugen?, Schriftenreihe Annales UniversitatisSaraviensis, Rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Abteilung, Bd. 77, CarlHeymans, Köln 1974.86 Vgl. Meyer, a. a. 0., S. 2787 Ebenda, S. 2688 Der Spiegel 10/76, S. 3689 Mit Ruhland <strong>in</strong> "Der Spiegel" Nr. 10/76; mit Konieczny <strong>in</strong> "Der Spiegel"41/76. Siehe zu Ruhland auch die Interviewserie <strong>in</strong> "Die Welt" 20.5. bis 9.6.75.90 Im Baader-Befreiungsprozeß November 1974 sagte Ruhland als Zeuge,nach se<strong>in</strong>er Haftentlassung sei er dem ehemaligen Nazi-General Re<strong>in</strong>hard Gehlenbegegnet (Gehlen: Generalleutnant, Leiter der Abteilung "Fremde HeereOst" im Generalstab der Wehrmacht, die später <strong>in</strong> die geheime Abwehr überg<strong>in</strong>gund 1945 von den US ohne Entnazifizierung unter dem Namen "Organisa-tion Gehlen" als westdeutsche Filiale des CIA <strong>in</strong>stalliert wurde; Vorgänger desBND - vgl. Thomas Walde, ND-Report, Piper, München 1971, vor allem S.60-68).91 Vgl. Anm. 7392 Vgl. Ziffer 3.2.3.3.93 Vgl. Protokolle, S. 12326 ff., vor allem 12338-12339.94 Vgl. Protokolle, S. 12501 ff., 12569 ff.95 Vgl. Protokolle, S. 12530 ff., 12544 ff., 12557 ff.96 Vgl. Protokolle, S. 12361 und 12368 LV.m. 12607; 12369 LV.m.12607-12611.97 Protokolle, S. 4540, 4548-454998 Protokolle, S. 4792 ff., 4949 ff.99 Protokolle, S. 5051 ff.100 Protokolle, S. 5091 ff.101 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 101-105 zu § 265 StPO; vgl. Kle<strong>in</strong>knecht,a.a.O., Anm. 10 A zu § 265 StPO.102 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 3 zu § 246 StPO.103 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 2 zu § 246 StPO.104 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 5 zu § 246 StPO.105 Protokolle, S. 5095106 Protokolle, S. 5166107 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 3 zu § 246 StPO; vgl. OLG Hamburg16.12.65, NJW 1966, S. 844; BGH 24.5.55, MDR 1955, S. 530; Maunz-Dürig­Herzog, Anm. 65 und 70 zu Art. 103 GG; BGH 28.4.58, NJW 1958, S. 1186:"Die Versagung e<strong>in</strong>er Vertagung bedeutet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Falle (Akte von rund350 Seiten - BS) praktisch die Versagung des rechtlichen Gehörs".108 Protokolle, S. 5604-5606109 Protokolle, S. 5632-5633110 Protokolle, S. 5982111 Protokolle, S. 6066-6067112 Protokolle, S. 8840113 Protokolle, S. 6481-6482114 Protokolle, S. 6180115 Protokolle, S. 6070116 § 129 Abs. 6 StGB: "Das Gericht kann die Strafe nach se<strong>in</strong>em Ermessenmildem (§ 49 Abs. 2) oder von e<strong>in</strong>er Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen,wenn der Täter 1. sich freiwilligund ernsthaft bemüht, das Fortbestehen derVere<strong>in</strong>igung oder die Begehung e<strong>in</strong>er ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verh<strong>in</strong>dern, oder 2. freiwilligse<strong>in</strong> Wissen so rechtzeitig e<strong>in</strong>er Dienststelle offenbart,daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verh<strong>in</strong>dert werden können; erreichtder Täter se<strong>in</strong> Ziel, das Fortbestehen der Vere<strong>in</strong>igung zu verh<strong>in</strong>dern, oder wird esohne se<strong>in</strong> Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft".117 Protokolle, S. 8745118 Protokolle, S. 6183119 Protokolle, S. 7468 ff.120 Protokolle, S. 6262 ff.121 Protokolle, S. 8709 ff.122 Protokolle, S. 8720608609


123 Protokolle, S. 9313-9314124 Protokolle, S. 10035 ff.125 Protokolle, S. 10038 ff.126 Protokolle, S. 10041127 Vgl. Protokolle, S. 10200-20201128 Vgl. Protokolle, S. 10475129 Protokolle, S. 10201130 Protokolle, S. 10200-10205131 Protokolle, S. 10209132 Vgl. Protokolle, S. 10208, 10211 und 10214-10215; die sog. Sperrerklärungbasiert auf § 96 StPO.133 Protokolle, S. 10209134 Protokolle, S. 10215 ff.135 Protokolle, S. 10405 ff.136 Protokolle, S. 10437 ff.137 Der Spiegel 30/76138 Vgl. Protokolle, S. 10497-10502139 Der Spiegel 30/76140 Vgl. Kapitel VI, 3.2.1141 Siehe Kap. 5, Anm. 154142 Dokumentation über Aktivitäten anarchistischer Gewalttäter <strong>in</strong> der BundesrepublikDeutschland, Bundesm<strong>in</strong>isterium des Inneren, Bonn 1974 (sog.Maihofer-Dokumentation, s. Kap. V, 2), S. 115-116.143 RAF, a. a. 0., S. 533-534144 a. a. 0., S. 535145 a. a. 0., S. 546-547146 a. a. 0., S. 547147 a. a. O.148 Dieser Text stammt aus e<strong>in</strong>em Kommentar Baaders anläßlich der Verhaftungenvon Croissant und Ströbele im Juni 1975. Während der Erklärung Baadersam 1.7.75 wurde ihm wegen Beleidigung ("...die Ermordung von HolgerMe<strong>in</strong>s...") das Wort entzogen; vgl. Protokolle, S. 896.149 Protokolle, S. 9379-9380150 Protokolle, S. 7296151 Protokolle, S. 9383-9389; zum Teil <strong>in</strong> Ulf Stuberger, In der Strafsachegegen Andreas Baader, Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Enssl<strong>in</strong> wegenMordes u. a., Dokumente aus dem Prozeß, Syndicat, Frankfurt 1977, S. 243 ff.152 siehe z. B. Ton Regtien/Maarten van Dullemen, Het Vietnam-tribunalStockholm-Roskilde 1967, Polak en Van Gennep, Amsterdam 1968.153 Protokolle, S. 9390-9393154 Protokolle, S. 9394-9396; <strong>in</strong> dem Antrag wurden sieben dieser Foltermethodendetailliert beschrieben.155 Protokolle, S. 9397-9400156 Protokolle, S. 9402157 Protokolle, S. 9403-9416; Stuberger, a. a. 0., S. 244-250.158 Protokolle, S. 9418-9420159 Protokolle, S. 9420160 Protokolle, S. 9421-9424610161 Protokolle, S. 9424162 Protokolle, S. 9434-9443163 Protokolle, S. 9443164 Protokolle, S. 9425-9433; Stuberger, a. a. 0., S. 251-255165 Zitiert nach: Protokolle, S. 9426-9427166 Siehe Anm. 152 und Qu<strong>in</strong>cy Wright, Legal Aspects of the Viet-NamSituation, AJIL 60 (1960), S. 750 ff; auch <strong>in</strong>: The Vietnam War an InternationalLaw, Vol. I, Ed. Richard A. Falk, Pr<strong>in</strong>ceton University Press, Pr<strong>in</strong>ceton, NewJersey, 1968, S. 272 ff. Siehe auch: Walter Rudolf, Völkerrechtliche Aspekte desVietnam-Konflikts, Völkerrecht und Außenpolitik I, Gehlen, Berl<strong>in</strong> 1967.167 entfällt168 Fritz Bauer, Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Staatsbürgers(1963), <strong>in</strong>: Widerstandsrecht, Hsg. Arthur Kaufmann, Darmstadt 1972, S. 494.169 Protokolle, S. 9449-9450170 Protokolle, S. 9865-9866171 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 1 zu § 245 StPO.172 Kle<strong>in</strong>knecht, a. a. 0., Anm. 1 zu § 220 StPO.173 Siehe Anm. 171174 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 151-182 zu § 244 StPO.175 Protokolle, S. 10127176 Protokolle, S. 10137 i.v.m. 10152177 Protokolle, S. 10152178 Protokolle, S. 10137179 Protokolle, S. 10138-10140180 Protokolle, S. 10157181 Mit diesem Zitat des verstorbenen Sir Hersch Lauterpacht, ehemaligerRichter am Internationalen Gerichtshof, begann G. I. A. D. Draper am 2.8.79 vore<strong>in</strong>em Sem<strong>in</strong>ar der Haagse Academie voor Internationaal Recht e<strong>in</strong>en Vortragzum Thema "The implementation of the Geneva Conventions of 1949 and thetwo additional Protocols of 1977".182 Vgl. Protokolle, S. 5673-5699183 Protokolle, S. 5702184 Protokolle, S. 5782185 R. Bierzanek, Le status juridique des partisans et des mouvements deresistance armee: evolution historique et aspects actuels, <strong>in</strong>: Melanges, offerts 11Juraj Andrassy, Nijhoff, La Haye 1968, S. 54-77.186 Ebenda, S. 74: "Par suite du developpment des armees regulieres et sousl'<strong>in</strong>fluence de !'ideologie de la Sa<strong>in</strong>te Alliance".187 Zum Unterschied zwischen diesen Begriffen und ihrem Zusammenhangsiehe: G. I. A. D. Draper, The legal classificationof belligerent <strong>in</strong>dividuals, Centrede Droit International de I'Universite de Bruxelles, 1970, Doc. R/3, S. 12.188 Vgl. H. Fujita, La guerre de liberation nationale et le droit <strong>in</strong>ternationalhumanitaire, <strong>in</strong>: Revue de droit <strong>in</strong>ternational, 1975, S. 81-142, vor allem S.108-109 und se<strong>in</strong>e Anmerkung 90.189 Vgl. Ebenda, se<strong>in</strong>e Anmerkung 96: die Teilnehmer an der Haager Konferenzwaren 13 europäische Staaten, die USA, Ch<strong>in</strong>a, Japan, Persien und Siam.190 Ebenda, S. 109: "le doma<strong>in</strong>e du droit de gens ecrit"; vgl.auch Georges AbiSaab, Wars of National Liberation and the Laws of War, <strong>in</strong>: Annales d'Etudes611


Internationales, 1972, S. 93-117, vor allem S. 109; F. Kalshoven, 8 NYIL(1977), S. 119-120.191 Vgl. Fujita, a. a. 0., S. 109; Bierzanek, a. a. 0., S. 61-64.192 Im gleichen S<strong>in</strong>ne Fujita, a. a. 0., namentlich S. 110.193 H. W. Tromp, Politiek terrorisme, <strong>in</strong>: Transaktie, Jg. 7, Nr. 1, 1978.194 Tom Farer, Def<strong>in</strong>ition of International Armed Conflict, <strong>in</strong>: Revue BeIgede Droit International, 7, 1971, S. 31: "that full application of the Conventionsto domestic corrflictmight seriously erode the state' s capacity to rna<strong>in</strong>ta<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternalorder".195 Ebenda, S. 32: "for forms of disorder, anarchy or brigandage to claimthe protection of the Convention under a mask or politics an any other pretext".196 J. P. A. Francois, I'Annuaire de I' I. D. P., 195711, S. 355: "La conventionde 1949 ... ne donne aucune solution".197 Baxter, So-ca lied unprivileged belligerency: spies, guerillas and saboteurs,BYIL, 1957, S. 327: "have, however, <strong>in</strong>stead of clarify<strong>in</strong>g the status ofthese <strong>in</strong>dividuals, destroyed what littIe certa<strong>in</strong>ty existed <strong>in</strong> law... the Conventionsare at their weakest <strong>in</strong> del<strong>in</strong>eat<strong>in</strong>g the various categories of persons, whobenefit frorn the protection of each".198 Fujita, a. a. 0., S. 94: "comme crim<strong>in</strong>els a cause de leurs actes contrel'ordre public".199 Tom Farer, a. a. 0., S. 35: "moved that em<strong>in</strong>ent authority on the lawsof war, Colonel G. I. A. D. Draper, to remark with characteristic English restra<strong>in</strong>tthat ,The refusal of France and the United K<strong>in</strong>gdom to recognize thatthese conflicts fall with<strong>in</strong> Article 3 has, it is thought, been determ<strong>in</strong>ed by politicalconsiderations and not by any objective assessment of law"'.200 Vgl. George G<strong>in</strong>sbergs, Wars of National liberation and the modern law ofnations - the Soviet thesis, <strong>in</strong>: Law and Contemporary Problems, Vol. 29, 1964,S.910-942.201 Fujita, a. a. 0., S. 120; auch nachfolgende Angaben zu Vietnam s<strong>in</strong>dFujitas Aufsatz entnommen.202 Wie angegeben <strong>in</strong> Fujita, a. a. 0., Anm. 144: H. S. Levie, Maltreatment ofprisoners of war <strong>in</strong> Vietnam, <strong>in</strong>: The Vietnam war and International War, ed. R. A.Falk, Vol. 2, S. 361; The Geneva Convention and the treatment of prisoners ofwar <strong>in</strong> Vietnam, Harvard Law Review, 80 (1), 1966-1967, S. 851-852.203 Zitiertnach Fujita, a. a. 0., S. 139 (se<strong>in</strong>e Anm. 144): "Au sujet de la gueredu Vietnam. .. les Conventions de Geneve, qui accordent leur protection a latotalite du personnel combattant america<strong>in</strong> et sudvietnamien, laissent en fait sansprotection pratiquement les neuf dixiemes des combattant du Front. Das cesconditions, Saigon et Wash<strong>in</strong>gton ne s'exposaient guere en declarant applicablesles Conventions de Geneve".204 Friedrich Engels, Persia and Ch<strong>in</strong>a, New York DailyTribune, 5.6.1857: "Ina popular war the means used by the <strong>in</strong>surgent nation cannot be measured by thecommonly recognized rules of regular warfare, nor by any other abstract standard,but by the degree of civilisation only atta<strong>in</strong>ed by that <strong>in</strong>surgent nation".205 Vgl. G<strong>in</strong>sbergs, a. a. 0., S. 920 und 932-938.206 So USSR-Välkerrechtsexperte Sharmanazashvili <strong>in</strong> 1957, zitiert nachG<strong>in</strong>sbergs, a. a. 0., S. 914: "At any moment the oppressed people, liv<strong>in</strong>g on theterritory annexed by the imperialist state, have the right to launch anationalliberation struggle aga<strong>in</strong>st this imperialist state".207 So der USSR-Välkerrechtsexperte Baratashvili, zitiert nach G<strong>in</strong>sbergs,a.a.O., S. 926: "armed <strong>in</strong>tervention aimed at prevent<strong>in</strong>g a people from realiz<strong>in</strong>gthe right to self-determ<strong>in</strong>ation is aggression, that is, the gravest <strong>in</strong>ternationalcrime",208 Resolution 1514 (XV), Resolutions adopted by the General Assemblydur<strong>in</strong>g its 15th Session, Vol. I, Supplement No. 16 (A/4684), S. 66 (1961).209 Vgl. G<strong>in</strong>sbergs, a. a. 0., S. 940-941, die diese Entwicklung aber scharfablehnt und als e<strong>in</strong>e "Travestie des Rechts" (travesty of law) bezeichnet.210 G<strong>in</strong>sbergs, a. a. 0., S. 942; vgl. Fujita, a. a. 0., S. 83-87, vor allem Anm. 4,13 und 14.211 Vgl. Fujita, a. a. 0., S. 85212 Jean A. Salm on, La Conference Diplomatique sur le reaffirmation et ledeveloppement du droit <strong>in</strong>ternational humanitaire et les guerres de liberationnationale, <strong>in</strong>: Revue beige de droit <strong>in</strong>ternational, Vol. XII(1976), S. 27-52, nennt(S. 33, Anm. 3) folgende Resolutionen: 2383 (XXlll)du 7 novembre 1968; 2508(XXIV)du 21 novembre 1969; 2547 (XXIV)du 11 decembre 1969; 2652 (XXV)du 3 decembre 1970; 2678 (XXV) du 9 decembre 1970; 2707 (XXV)du 14decembre 1970; 2795 (XXVI)ou 2796 (XXVI)du 10 decembre 1971 et 2871(XXVI)du 20 decembre 1971.213 So F. Kalshoven, Zwijgthet recht als de wapens spreken, <strong>in</strong>: Vredesvraagstukken,Oe Bezige Bij,Amsterdam 1974, S. 86.214 Vgl. Salmon, a. a. 0., S. 34215 So der italienische Delegierte Prof. Cassese, zitiert nach Salmon, a. a. 0.,S. 39: ,,(il)ne croit pas que les luttes menees pourles peuples dans I'exercise de cedroit (des peuples a disposer d'eux-memes) soient des conflits <strong>in</strong>ternationaux ...car a en juger objectivement ce sont des conflits <strong>in</strong>ternes".216 Zitiert nach Salmon, a. a. 0., S. 39: "Qualifier le terrorisme <strong>in</strong>terieur deconflit <strong>in</strong>ternational ne saurait le legitimer pour autaunt. Des notions comme cellesde ,dom<strong>in</strong>ation etrangere' et de ,regime raciste' attendent toujours d'etre def<strong>in</strong>ies".217 Vgl. Salmon, a. a. 0., S. 4()..L44218 F. Kalshoven, 8 NYIL (1977), S. 108: "after a prolonged and bitter fight".219 Zitiert nach Salmon, a. a. 0., S. 42, Anm. 25.: "S'il faut amenager lesregles, c'est en fonction des conditions particulieres de la guerre de guerilla et nonparce que les parties sont ou non des Etats".220 So Salmon, a. a. 0., S. 42-43.221 Ebenda, S. 43222 Ebenda, S. 48-49; vgl. Kalshoven, Zwijgt het recht als de wapens spreken?,a. a. 0., S. 87.223 Vgl. Salmon, a. a. 0., S. 48-49; Fujita, a. a. 0., vor allem S. 117-124.224 Vgl.Salmon, a. a. 0., S. 48; GeorgesAbiSaab, a. a. 0., S. 110; Bierzanek,a. a. 0., S. 70-71.225 Ch. de Rousseau, L'Annuaire de L' I. D. P., 1957, S. 428, zitiert nachBierzanek, a. a. 0., S. 71: "De nombreux techniciens militaires voient dans lesactivites des guerillas et des mouvements de resistance l'une des formes les plusvraisemblables de la guerre future".612613


226 Vgl. Salmon, a. a. 0., S. 49; Fujita, a. a. 0., S. 122.227 Vgl. Kalshoven, Zwijgthet recht ..., a. a. 0., S. 87228 Vgl. Salmon, a. a. 0., S. 44-47229 G<strong>in</strong>sbergs, a. a. 0., S. 939: "The door willthen aga<strong>in</strong> stand wide open forevery government and every political movement to appeal to heaven, figurativelyspeak<strong>in</strong>g, and, firmly bear<strong>in</strong>g aloft a banner <strong>in</strong>scribed with an appropriately<strong>in</strong>spirational message, be it 'Gott mit Uns' or 'Dialectical Historical Materialism ison Our Side', proceed to spread by the sword the advantages of its superiorculture and fulfillits civiliz<strong>in</strong>gmission among its benighted neighbairs".230 Salmon, a. a. 0., S. 44-47; Fujita, a. a. 0., S. 117-122; anders F. Kalshoven,8 NYIL (1977), S. 122.231 Vgl. Salmon, a. a. 0., S. 45232 Vgl. Fujita, a. a. 0., S. 122233 A. Cassese, Current trends <strong>in</strong> the development of the law of armed conflict,<strong>in</strong>: Rivistatrimestriale di diritto publico, XXIV,No. 4, 1974, S. 1411 ff.,zitiertnachSalmon, a. a. 0., S. 45: "Governments are much less, ifat all, <strong>in</strong>terested <strong>in</strong> hav<strong>in</strong>grebellions with<strong>in</strong> their territory governed by <strong>in</strong>ternationallaw. Their ma<strong>in</strong>concernis to reta<strong>in</strong> enough freedorn to crush promptly any form of <strong>in</strong>surrection".234 Sitzung der Diplomatischen Konferenz vom 22.3.74; 70 Ja-Stimmen, 21Ne<strong>in</strong>-Stimmen, 13 Enthaltungen. Ne<strong>in</strong>-Stimmen: Südafrika, Belgien, Kanada,Dänemark, Spanien, USA, Frankreich, Israel, Italien, Japan, Liechtenste<strong>in</strong>, Luxemburg,Monaco, Neuseeland, Niederlande, Portugal, Südkorea, BRD, England,Schweiz, Uruguay. Enthaltungen: Australien, Österreich, Birma, Brasilien,Chile, Kolumbien, Griechenland, Guatemala, Irland, Philipp<strong>in</strong>en, Vatikan,Schweden, Türkei. In der Schlußsitzung der Konferenz 1977 wurde der Textangenommen mit 87 Ja-Stimmen, e<strong>in</strong>er Ne<strong>in</strong>-Stimme (Israel) und elf Enthaltungen,"mostly from Western countries (who <strong>in</strong> the meantime had 'learned to live'with the idea)" - F. Kalshoven, 8 NYIL (1977), S 115, Anm. 17.235 Vgl. Kalshoven, 8 NYIL (1977), S. 121-122.236 Salmon, a. a. 0., S. 49-50: "ä souvrir dans l'avenir ä des nouvellessituations conflictuelles que l'histoire n'arrete pas".237 Ebenda, S. 49: "en menant un combat d'arriere-garde cache derriere undiscours juridico-humaniste".238 Kalshoven, 8 NYIL (1977), S. 123: "long, complicated, confus<strong>in</strong>g and attimes acrimonious".239 Ebenda, S. 123240 Ebenda, S. 125: "the most delicate issue of all".241 1. Tout cornbattant, au sens de l'article 43, qui tombe au pouvoir d'unePartie adverse est prisonnier de guerre.2. Bien que tous les combattants soient tenus de respecter les regles du droit<strong>in</strong>ternational applicable dans les conflits armes, les violations de ces regles neprivent pas un combattant de son droit d'etre considere comme combattant ou,s'il tombe au pouvoir d'une Partie adverse, de son droit d'etre considere commeprisonnier de guerre, sauf dans les cas prevus aux paragraphes 3 et 4.3. Pour que la protection de la population civile contre les effets des hostilitessoit renforcee, les combattants sont tenus de se dist<strong>in</strong>guer de la population civilelorsqu'ils prennent part ä une attaque ou ä une operation militaire preparatoired'une attaque. Etant donne, toutefois, qu'il y a des situations dans les conflitsarmes ou, en raison de la nature des hostilite's, un combattant arme ne peut sedist<strong>in</strong>guer de la population civile,ilconserve son statut de combattant ä conditionque, dans de telles situations, il porte ses armes ouvertement: a) pendant chaqueengagement militaire;et b) pendant le temps 0 ilest expose ä la vue de I'aaversairealors qu'il prend part ä un deploiement militaire qui precede le lancement d'uneattaque ä laquelle il doit participer. Les actes qui repondent aux conditionsprevues par present paragraphe ne sont pas consideres comme perfides au sensde l'article 37, paragraphe 1, al<strong>in</strong>ea c.4. Tout combattant qui tombe au pouvoir d'une Partie adverse, alors qu'il neremplit pas les conditions prevues ä la deUldeme phrase du paragraphe 3, perdson droit ä etre considere comme prisonnier de guerre, mais beneficie neanmo<strong>in</strong>sde protections equivalentes ä tous egards ä celles qui sont accordees aux prisonniersde guerre par la IIIeConvention et par le present Protocole. Cette protectioncomprend des protections equivalentes ä celles qui sont accordees prisonniers deguerre par la IIIe Convention dans le cas ou une telle person ne est jugee etcondamnee pour toutes <strong>in</strong>fractions qu'elle aura commises.5. Le combattant qui tombe au pouvoir d'une Partie adverse alors qu'il neparticipe pas ä une attaque ou ä une operation militaire preparatoire d'uneattaque ne perd pas, en raison de ses activites anterieures, le droit d' etre considerecomme combattant et prisonnier de guerre.6. Le present article ne prive personne du drait d'etre considere commeprisonnier de guerre aux termes de I'article 4 de la IIIe Convention.7. Le present article n'a pas pour objet de modifier la pratique des Etats,generalement acceptee, concernant le port de l'uniforme par des combattantsaffectes aux unites armees regulieres en uniforme d'une Partie au conflit.8. Outre les categories de personnes visees ä l'article 13 des Ire et HeConventions,tous les membres des forces armees d'une Partie au conflit, tels qu' ils sontdef<strong>in</strong>is ä l'article 43 du present Protocole, ont droit ä la protection accordee parlesdites Conventions s'ils sont blesses ou malades, ou dans le cas de la HeConvention, s'ils sont naufrages en mer ou en d'autres eaux.242 Kalshoven, 8 NYIL (1977), S. 126243 Siehe Jean A. Salmon, La Conference Diplomatique sur la reaffirmation etle developpement du drait <strong>in</strong>ternational humanitaire et les guerres de libe'rationnationale; Deuxieme Partie: Le Statut Combattant legitime dans les GuerresLiberation Nationale, <strong>in</strong>: Revue beige de droit <strong>in</strong>ternational, Vol. XIII(1977), S.353-378.244 Dazu Georges Abi Saab, a. a. 0., S. 109-110.245 Pictet (ed.), Commentary, III,S. 57, zitiertnach GeorgesAbi Saab, a.a.O.,S. 110: "It may f<strong>in</strong>d expression merely by tacit agreement, if the operations aresuch as to <strong>in</strong>dicate clearly for which side the resistance organization is fight<strong>in</strong>g".246 Georges Abi Saab, a. a. 0., S. 110: "it was clearly po<strong>in</strong>ted out that the l<strong>in</strong>kwith the party to the conflict should be assessed as a question of fact and notaccord<strong>in</strong>g to formal criteria".247 F. Kalshoven, 9 NYIL (1978), S. 110: "...troops open to attack comprisenot only those enemy units <strong>in</strong> the front l<strong>in</strong>e which are engaged <strong>in</strong> - or poised foractual battle, but also concentrations of enemy soldiers <strong>in</strong> the rear, wether on theroad or <strong>in</strong> camp".248 Vgl. L. C. Green, Double Standards <strong>in</strong> the United Nations: The Legaliza-614615


tion of Terrorism, <strong>in</strong>: Archiv für Völkerrecht 1979, S. 129-148. Dieser Professorfür Internationales Recht an der University of Alberta <strong>in</strong>terpretiert die e<strong>in</strong>schlägigenBestimmungen des Ergänzungsprotokolls ähnlich wie ich, hält sie aber geradedeswegen für abwegig: "Once aga<strong>in</strong>, we have the situation where <strong>in</strong>ternationallaw has granted legal status to terrorists and legalized their terrorist activities" (S.46). Als (erstmals gescheiterte) "apparent implication" dieser Bestimmungenerwähnt er dann "the Folkerts Case before the DistrictCourt of Utrecht <strong>in</strong> 1977",<strong>in</strong> dem ich mich als Verteidiger Knut Folkerts' <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Strafverfahren (Greenverwechselt es mit dem Auslieferungsverfahren) auf die Ergänzungsprotokolleberufen hatte.249 Tromp, a. a. O. (Obers. BS)250 Protokolle, S. 10510-10513251 Protokolle, S. 10562-10563252 Der Spiegel 8/76253 Vgl. Protokolle, S. 10537254 RAF, a. a. 0., S. 209-210; vgl. Protokolle, S. 10712-10714.255 Ebenda, S. 211; vgl. Protokolle, S. 10715256 Ebenda, S. 212; vgl. Protokolle, S. 10716257 Ebenda, S. 213; vgl. Protokolle, S. 10716-10717258 Ebenda, S. 219-220; vgl. Protokolle, S. 10735-10736259 Protokolle, S. 10748260 RAF, a. a. 0., S. 228-230; vgl. Protokolle, S. 10753-10754261 Protokolle, S. 11486-11489262 Protokolle, S. 11047263 Protokolle, S. 11374 H.264 Protokolle, S. 11801 H.265 Protokolle, S. 11024 H.; der größte Teil der Aussage Schillers ist nicht <strong>in</strong>den Protokollen enthalten, weil die Zeug<strong>in</strong> es ablehnte, ihre Aussage aufTonbandaufnehmen zu lassen.266 Protokolle, S. 12795-12801267 Protokolle, S. 10784-10786268 Protokolle, S. 10789269 Protokolle, S. 10790-10910270 Protokolle, S. 10793271 Vgl. Protokolle, S. 10882272 Vgl. Protokolle, S. 12311-12312273 Vgl. Protokolle, S. 10463-10467274 Vgl. Protokolle, S. 10793-10798275 Vgl. Protokolle, S. 11213276 Vgl. Protokolle, S. 11210-11211277 Vgl. Protokolle, S. 10879278 Vgl. Protokolle, S. 10791-10792279 Protokolle, S. 10879280 Protokolle, S. 10880281 Protokolle, S. 10800282 Vgl. Protokolle, S. 10800-10801283 Vgl. Protokolle, S. 10790 und 10801284 Protokolle, S. 10792285 Vgl. Protokolle, S. 10798 und 10883286 Vgl. Protokolle, S. 10802 und 10884 H.287 Protokolle, S. 10888288 Vgl. Protokolle, S. 10895 und 10899289 Protokolle, S. 10902290 Protokolle, S. 10907291 Vgl. Protokolle, S. 10761 H.; 10937 H.; 11109 H.292 Protokolle, S. 10211-10212293 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 1-17 zu § 54 StPO; Kle<strong>in</strong>knecht,a. a. 0., Anm. 1-3 zu § 54 StPO.294 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 7 und 16 zu § 54 StPO; Kle<strong>in</strong>knecht,a.a.O., Anm. 3 zu § 54 StPO.295 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdn. 22-25 zu § 54 StPO; Kle<strong>in</strong>knecht,a. a. 0., Anm. 4 zu § 54 StPO.296 Protokolle, S. 11425297 Ebenda298 Protokolle, S. 10649299 Protokolle, S. 11398-11399300 Protokolle, S. 11400; 11444-11449; 11452-11458; 11461-11465;11473301 Protokolle, S. 11450-11451302 Protokolle, S. 11480-11481303 Protokolle, S. 11473 und 11482-11483304 Vgl. Protokolle, S. 11426-11440305 Vgl. Protokolle, S. 11697-11703306 Protokolle, S. 11701307 Ebenda308 Protokolle, S. 11704-11705309 Protokolle, S. 11753-11754310 Protokolle, S. 11849 H.311 Der Spiegel 43/76, S. 124.312 Vgl. Protokolle, S. 11874-12018313 Vgl. Protokolle, S. 13268-13269; 13296-13299314 Protokolle, S. 11881-11882; 11959315 Interview im Deutschlandfunk, 27.10.74; Vgl. Protokolle, S. 11888.316 Protokolle, S. 11874317 Protokolle, S. 11882-11906; 11933-11934318 Protokolle, S. 11904-11906319 Protokolle, S. 11876320 Protokolle, S. 11876-11877321 Protokolle, S. 12216322 Protokolle, S. 12305-12306323 Protokolle, S. 12782324 Vgl. Protokolle, S. 12942-12944325 Ebenda326 Ebenda327 Protokolle, S. 12762328 Vgl. Protokolle, S. 12385 H., 12788 H., 12942616617


•329 Vgl. Protokolle, S. 10267 H.330 Der Spiegel 20/79, S. 105331 Vgl. Protokolle, S. 12412, 12423332 Protokolle, S. 12435-12436333 Protokolle, S. 12438-12440334 Protokolle, S. 12419335 FAZ, 27.11. 76; Vgl. Protokolle, S. 12456-12457.336 Vgl. Protokolle, S. 12285 H., 12383 H.337 Vgl. Protokolle, S. 13307 H.338 Vgl. Protokolle, S. 11539, 11632, 11795-11796339 Protokolle, S. 13036340 Protokolle, S. 12762341 Protokolle, S. 12763342 Protokolle, S. 13036343 Protokolle, S. 13034344 Protokolle, S. 12785-12786345 Protokolle, S. 12925346 Protokolle, S. 12672-12675, 12889347 Protokolle, S. 12676348 Protokolle, S. 12892349 Protokolle, S. 12677; vgl. S. 12927350 Vgl. Protokolle, S. 11855-11869351 Protokolle, S. 11869-11870352 Vgl. Protokolle, S. 12354-12361353 Protokolle, S. 12660354 Vgl. Protokolle, S. 13073-13074; 13102-13103355 Vgl. Protokolle, S. 12803-12808356 Vgl. Protokolle, S. 13444-13463357 Vgl. Protokolle, S. 11870358 Vgl. Protokolle, S. 13672-13691359 Vgl. Protokolle, S. 13424-13427360 Protokolle, S. 13617-13657361 Vgl. Protokolle, S. 13272-13273362 Protokolle, S. 13617-13618363 Protokolle, S. 13621364 Protokolle, S. 13623365 Der Spiegel 20/79, S. 114366 Vgl. Protokolle, S. 13354-13358367 Der Spiegel 20/79, S. 97368 Der Spiegel, 21/79, S. 10369 Ebenda370 Urteil vom 2.6.77 des LG Kaiserslautern, Ks 2/75, LS. Grundmann; Urteilvom 31.5.79 des LG Heidelberg, Ks 1/77 LS. Braun.371 Der Spiegel 20/79, S. 114372 Die Erklärung zur Sache ist nicht <strong>in</strong> den Protokollen enthalten, weil dieAngeklagten die gerichtliche Tonbandaufnahme ablehnten. Nach mehreren negativenErfahrungen mit ihren aufgezeichneten und abgetippten Erklärungeng<strong>in</strong>gen sie davon aus, daß die Wiedergabe nicht korrekt se<strong>in</strong> würde. Die Erklärungzur Sache ist von Anwaltsgehilfen aufgenommen und abgetippt worden; siewurde mir zur Verfügung gestellt.373 Andre Beaufre, La guerre revolutionnaire, Artheme Fayard, Paris 1972;deutsche Ausgabe: Die Revolutionierung des Kriegsbildes, Neue Formen derGewaltanwendung, Seewald, Stuttgart 1973.374 Der Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, Bericht der Internationalen Untersuchungskomrnission,IVATüb<strong>in</strong>gen 1979, S. 71375 Der Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, a. a. 0., S. 79-80376 So Justizm<strong>in</strong>ister Bender der abgetippten Tonbandaufnahme von derPressekonferenz zufolge.377 Zitiert nach e<strong>in</strong>em Gedenkposter zu Ulrike Me<strong>in</strong>hof; vgl. Protokolle, S.9609-9613378 Protokolle, S. 9614-9619379 Prof. Lelio Basso, Rome; Rechtsanwält<strong>in</strong> Micheie Beauvillard, Paris; Simonede Beauvoir, Paris; Prof. Georges Casalis, Antoni; Pastor Robert Cavezies,'Paris; Rechtsanwält<strong>in</strong> Jacquel<strong>in</strong>e de Cumont, Brüssel; Schriftsteller John McGuff<strong>in</strong>,Belfast; Prof. Joachim Israel, Kopenhagen; Rechtsanwalt Panayotis Kanelakis,Athen; Journalist Henrik Kaufholz, Aarhus; Journalist Johan van M<strong>in</strong>nen, Breukelen;Prof. Lolle Nauta, Gron<strong>in</strong>gen; Rechtsanwalt Denis Payot, Geneve; Regisseur<strong>in</strong>Margarethe von Trotta, München. - Wegen überlastung, organisatorischerProbleme und Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten über die Arbeit des dänischen Sekretariatszogen e<strong>in</strong>ige Mitglieder, darunter die niederländischen, sich im zweiten Jahrder Kommissionsarbeit zurück.380 Vgl. Der Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, a. a. 0., S. 8-9.381 La Mort d'Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Maspero, Paris 1979; Der Tod UlrikeMe<strong>in</strong>hofs,a. a. 0., ist die deutsche übersetzung.382 Der Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, a. a. 0., S. 5-6.383 Ebenda, S. 20384 Ebenda, S. 23-25385 Ebenda, S. 27-28386 Ebenda, S. 29-32387 Ingrid Schubert, Gefangene aus der RAF (die am 12.11.77 <strong>in</strong> der JVAMünchen Stadelheim angeblich Selbstmord verübte), bestätigte am 27.5.77 (DerTod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, a. a. 0., S. 36-37), daß alle Handtücher <strong>in</strong> der JVA<strong>Stammheim</strong>die gleiche Größe hatten; sie berichtete weiter über e<strong>in</strong>e selbst angestellteUntersuchung, die e<strong>in</strong>e unzureichende Tragfähigkeit und Länge des aus diesenHandtüchern hergestellten Stranges ergaben - Anm. BS.388 Jürgen Saupe, Fakten zum Vorwurf "Mord", <strong>in</strong>: Monatszeitschrift Konkret9/76, S. 9 H.389 Der Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, a. a. 0., S. 39-40.390 Ebenda, S. 41, Anm. 6: Staatsanwaltsakte, Schreiben des Krim<strong>in</strong>alhauptkommissarsV<strong>in</strong>nai vom 25.5.76 an BKA-KTUWiesbaden.391 Ebenda, S. 41, Anm. 5: Staatsanwaltsakte, Vernehmungsprotokoll vom9.5.76, Schreiben der Landespolizeidirektion Stuttgart Il an die StaatsanwaltschaftStuttgart.392 Ebenda, S. 33393 Ebenda, S. 42, Anm. 7: Staatsanwaltsakte, Schreiben des BKA an dasLKA Baden-Württemberg vom 10.6.76.618619


394 Ebenda, S. 42395 Ebenda, S. 43, Anm. 10: Urteil des OLG Karlsruhe, 14. Zivilsenat <strong>in</strong>Freiburg, vom 11.2.77, Az: 14 U 136/76 - 20 395/76.396 Ebenda, S. 43397 Ebenda, S. 45-48398 Der Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, a. a. 0., S. 49.399 Ebenda, S. 49400 Der Spiegel 10/77, S. 19-34.401 Vgl. u. a. FR vom 7.3.77,9.3.77, 16.3.77; FAZvom 2.3.77; Der Spiegel10/77, 11/77 (dar<strong>in</strong> Pressestimmen aus 13 Tageszeitungen) und 12/77.402 Protokolle, S. 13658403 Protokolle, S. 13661404 Vgl. Der Spiegel 13/77, S. 26405 Vgl. Der Spiegel vom 14.3.77, wor<strong>in</strong> behauptet wird, daß Maihofer <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Telefongespräch aus se<strong>in</strong>em Ferienort erklärt habe, daß "er sich damalsbewußt gewesen sei, daß zu äußersten nachrichtendienstlichen Mitteln auch derE<strong>in</strong>satz von Lauschmitteln gezählt habe ..." In der Bundestagsdebatte vom16.3.77 über Traube wiederholte Maihofer: "Wenn wir damals nicht das Äußersteunternommen hätten ..."; so hatte er sich auch schon am 29.12.75 se<strong>in</strong>emStaatssekretär Fröhlich gegenüber geäußert: "...nunmehr im Fall Traube dasÄußerste unternommen werden müsste, um zu e<strong>in</strong>er schnellen Aufklärung zugelangen ..." (zitiertnach FAZ vom 9.3.77).406 Vgl. Bonner Perspektiven vom 27.4.75.407 Vgl.FR vom 10.3.77 mit dem wörtlichen Protokoll dieser Pressekonferenz.408 Siehe die ausführlich dokumentierende Studie "CIA - Geheime Machtoder modernes Regierungs<strong>in</strong>strument", Geo-Verlag, Düsseldorf 1976, Kap. 6,"Die Ausführung": Der <strong>in</strong>stitutionalisierte Mord, S. 311 ff.409 Ebenda, S. 311410 Ebenda, S. 327411 Interview mit Oliver Todd (übersetzung BS) <strong>in</strong>: Le Nouvel Observateurvom 17.3.75.412 CIA - Geheime Macht..., a. a. 0., S. 327413 Ebenda, S. 326414 Gehlen, der Dienst, 1971; Zoll<strong>in</strong>g/Höhne, Pullach Intern, Mohn, 1971;Walde, ND-Report, Piper, 1971.415 Vgl. Helmut Schmidt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Regierungserklärung vom 24.4.75 zurAktion des RAF-Kommandos <strong>in</strong> Stockholm: "...diese Gruppe zu tilgen...", "...mitaller Härte ..." und "...alle Mittel..." anzuwenden; Schmidt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Regierungserklärungvom 13.3.75 zur Lorenz-Entführung: "...härtestes Durchgreifen e<strong>in</strong>esStaates, der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Verteidigung</strong>sposition nicht scheuen kann, selbst zutöten ..."416 Der Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hofs, a. a. 0., S. 69-70.417 Beschluß des LG Stuttgart vom 16.7.76, Az: XIIKLs 97/76, S. 3.418 Beschluß des OLG Stuttgart vom 3.9.76, Az: 2 aWs 5/76.620Kapitel VIII1 Protokolle, S. 13156-13157; UlfStuberger, In der Strafsache gegen AndreasBaader, Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Enssl<strong>in</strong> wegen Mordes u. a.,Dokumente aus dem Prozeß, Syndicat, Frankfurt 1977, S. 206-207.2 DRiG § 39: Der Richter hat sich <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb se<strong>in</strong>es Amtes, auchbei politischer Betätigung, so zu verhalten, daß das Vertrauen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Unabhängigkeitnicht gefährdet wird.3 § 353 d StGB: Mit Freiheitsstrafe bis zu e<strong>in</strong>em Jahr oder mit Geldstrafe wirdbestraft, wer (1)..., (2) , (3) die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstückee<strong>in</strong>es Strafverfahrens ( ) ganz oder <strong>in</strong> wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlichmitteilt, bevor sie <strong>in</strong> öffentlicher Verhandlung erörtert worden s<strong>in</strong>d oder dasVerfahren abgeschlossen ist.4 Protokolle, S. 13135-13141; Stuberger, a. a. 0., S. 209-212.5 Protokolle,S. 2912-29146 Vgl. Protokolle, S. 10984ff.7Vgl. Protokolle, S. 13198-131998Protokolle, S. 11000-110019 Protokolle, S. 11002-1100810 Protokolle, S. 1101111 Protokolle, S. 13142-13145; Stuberger, a. a. 0., S. 212-214.12 Protokolle, S. 13148-1315513 Protokolle, S. 13146-1314714 Protokolle, S. 13162-1316415 Protokolle, S. 9210-921116 FR vom 21.7.7617 Protokolle, S. 13172-1317418 Protokolle, S. 1317419 Protokolle, S. 13171-1317620 Protokolle, S. 13178-1317921 Der Spiegel 5/77, S. 72.22 Protokolle, S. 1322323 Protokolle, S. 13188-1318924 Vgl. FR vom 22.1. 77: "Gefangen im Gestrüpp der Aktenaffäre um Mayer,nahm Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g ganz offensichtlich Rache an ,jenen' (...) Diese als Strafe gedachteSanktion (...)".25 Protokolle, S. 13209-13210; Stuberger, a. a. 0., S. 219-220.26 Protokolle, S. 13223-13225; Stuberger, a. a. 0., S. 224-225.27 Vgl. Protokolle, S. 13221-13222; Stuberger, a. a. 0., S. 223.28 Protokolle, S. 13243-13244; Stuberger, a. a. 0., S. 225-226.29 FR vom 22.1.77.30 Protokolle, S. 13261-13262; Stuberger, a. a. 0., S. 227.31 FR vom 21.2.77.32 Der Spiegel 5/77, S. 72.33 Vgl. Kirchheimer, wie zitiert <strong>in</strong> Kap. VI, 1.3.34 Siehe dazu: Kritische Justiz, Heft 3, 1978, S. 301-306.35 Az: 2StE 1/74 - zur Strafsache gegen Andreas Baader: beantrage ich, dasVerfahren nach § 206 a StPO wegen e<strong>in</strong>es Verfahrensh<strong>in</strong>dernisses e<strong>in</strong>zustellen.621


1. Die Blätter 13156 und 13157 der Tonbandniederschrift beweisen, daßBundesrichter Mayer gegenüber den Angeklagten <strong>in</strong> diesem Verfahren und denvon ihnen gewählten Verteidigern befangen war (se<strong>in</strong> Schreiben vom 20.7.1976an Dr. Kremp); auch und gerade als Beschwerderichter am 3. Strafsenat desBGH. Als stellvertretender Senatsvorsitzender und Berichterstatter war BundesrichterMayer maßgeblich beteiligt an dem Beschluß vom 22.10.1975, nach §231 a StPO die Hauptverhandlung <strong>in</strong> diesem Verfahren ohne die Angeklagtenfortzusetzen (vgl. oben S. 119-129).1.1 In jenem Beschluß f<strong>in</strong>den sich u. a. die folgenden Ausführungen: "Bed<strong>in</strong>gtdurch zahlreiche - auch die angebliche Befangenheit der Mitglieder des Gerichtsbetreffende - Verfahrensanträge und schwere Störungen der Hauptverhandlungseitens der Angeklagten hat die Beweisaufnahme bisher nicht begonnen."(Blatt 2)"Se<strong>in</strong>e Auslegung (§ 231 aStPO) darf nicht dazu führen, daß die Absicht desGesetzgebers vereitelt wird, dem Tatrichter die Durchführung der Hauptverhandlungauch gegen solche Beschuldigte zu ermöglichen, die den staatlichen Organenjede Achtung versagen und mit allen Mitteln den geordneten Ablauf e<strong>in</strong>es Verfahrenszu stören suchen." (Blatt 4)"Sie (die Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen) ergeben auf alleFälle, daß die Hauptursachen des Zustandes der Angeklagten <strong>in</strong> deren eigenemVerantwortungsbereich liegen." (Blatt 12) (Anmerkung hierzu: Jeder, der dieseGutachten kennt, weiß, daß diese Behauptung e<strong>in</strong>e völlige Umkehrung derTatsachen ist.)"Die Beschwerdeführer leben unter anderen Haftbed<strong>in</strong>gungen. Sie müssenBeschränkungen auf sich nehmen, die nach dem Urteilvon Prof. Rasch durch dieihnen gewährten 'Privilegien' nicht aufgewogen werden. Indes haben sie dieseihre Verhandlungsunfähigkeit mitbed<strong>in</strong>genden Umstände selbst zu verantworten.Die Beschwerdeführer gehören e<strong>in</strong>er zahlenmäßig verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>genGruppe der Bevölkerung an, die es im Gegensatz zu dieser für unerläßlich hält,den gewiß <strong>in</strong> mancherlei H<strong>in</strong>sicht verbesserungsbedürftigen Zustand der Gesellschaft<strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland - wie übrigens jeder Gesellschaft ­nicht mit dem demokratischen Mittel der überzeugung der Wähler, sonderngegen deren Willen unter Anwendung rücksichtsloser Waffengewalt zu verändern.Ihr augensche<strong>in</strong>lich durch nichts zu bee<strong>in</strong>flussendes realitätsfernes Bildvonden gesellschaftlichen Verhältnissen und von den tatsächlichen Möglichkeiten,auf sie e<strong>in</strong>zuwirken, verführt sie zu e<strong>in</strong>er fanatischen Verfolgung ihrer Ziele auchaus der Untersuchungshaft heraus ...Aus dieser Haltung heraus haben sie <strong>in</strong> der Haft nicht nur mit Hilfe durchRechtsanwälte verbreiteter Zellenzirkulare zum Zwecke der Aufrechterhaltung desZusammenhalts ihrer Vere<strong>in</strong>igung den Kontakt zu <strong>in</strong>haftierten Ges<strong>in</strong>nungsgenossenaufrechterhalten, sondern es auch verstanden, Kampfanweisungen an <strong>in</strong>Freiheit bef<strong>in</strong>dliche Terroristen gelangen zu lassen." (Blatt 13)"Die Gefährlichkeit der Beschwerdeführer, die <strong>in</strong> den genannten Umständenzum Ausdruck kommt, ließ den für die Gestaltung der Untersuchungshaft verantwortlichenStellen ke<strong>in</strong>e andere Wahl als die, dem durch e<strong>in</strong>e entsprechendeVerschärfung der Haftbed<strong>in</strong>gungen Rechnung zu tragen ...Wenn sie gleichwohl seit Jahren das Verhalten fortsetzen, das die staatlichenOrgane zur Anwendung dieser Haftbed<strong>in</strong>gungen zw<strong>in</strong>gt, so haben sie somit dieHerbeiführung ihrer Verhandlungsunfähigkeit <strong>in</strong> Kauf genommen. Das genügtzur Annahme vorsätzlichen Verhaltens im S<strong>in</strong>ne des § 231 a Abs. 1 StPO." (Blatt15)"Die Beschwerdeführer müssen sich wie jeder Rechtsunterworfene mit unanfechtbarenEntscheidungen abf<strong>in</strong>den. Daß sie es nicht tun, liegt an ihrer grundsätzlichenNichtachtung rechtsstaatlicher Entscheidungsprozesse und deren unterrechtstreuen Bürgern friedenstiftenden Funktion und ist ihnen daher zuzurechnen.Die Argumentation der <strong>Verteidigung</strong>, die diesen Zusammenhang leugnet,läuft auf die Zumutung h<strong>in</strong>aus, den Angeklagten entweder durch entsprechendeHaftbed<strong>in</strong>gungen die Fortsetzung ihrer krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>schließlich derVorbereitung ihrer Befreiung zu erleichtern oder auf die Durchführung e<strong>in</strong>erHauptverhandlung gegen sie zu verzichten. Das kann nicht rechtens se<strong>in</strong>." (Blatt16)Diese TextsteIlen s<strong>in</strong>d als Bestandteile e<strong>in</strong>er richterlichen Zwischenentscheidungnoch vor Beg<strong>in</strong>n der Beweisaufnahme <strong>in</strong> der Hauptverhandlung e<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>zigartige Dokumentation richterlicher Vore<strong>in</strong>genommenheit. Der BGH-Beschlußvom 22.10.1975 zu § 231 a StPO heißt, zusammengefaßt, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emKern: Wegen der besonderen Gefährlichkeit dieser Angeklagten, <strong>in</strong>sbesonderewegen der Fortführung krim<strong>in</strong>eller Vere<strong>in</strong>igung aus der Haft heraus mit HilfevonVerteidigern, haben sie Haftbed<strong>in</strong>gungen zu erleiden, welche für ihre Verhandlungsunfähigkeitzum<strong>in</strong>dest mit-ursächlich s<strong>in</strong>d.Daß diese Haftbed<strong>in</strong>gungen vom jeweils ersten Tag der Haft an bereits exekutiertworden waren, verschweigt jener Beschluß, führt damit irre über das wahreVerhältnis von Ursache und Wirkung.Vore<strong>in</strong>genommenheit gegen die Angeklagten und ihre une<strong>in</strong>geschränkte Vorverurteilungdurch die beteiligten Richter ist dem Beschluß vom 22.10.1975 derBundesrichter Scharpenseel, Mayer, Schauenburg unmittelbar abzulesen. VorKenntnis der Beschlußgründe war den Angeklagten <strong>in</strong> diesem Verfahren die am10.1.1977 offenkundig gewordene Befangenheit des Bundesrichters Mayer nichtmit e<strong>in</strong>er für die Richterablehnung h<strong>in</strong>reichenden Bestimmtheit bewußt. Der Briefvom 20.7.1976 von Bundesrichter Mayer an Welt-Chefredakteur Kremp belegtnunmehr dessen Befangenheit gegenüber den Angeklagten <strong>in</strong> diesem Verfahrenund Verteidigern ihrer Wahl:"In derselben Sache wende ich mich heute wiederum an Dich. Vorige Wocheist <strong>in</strong> Stgt.-<strong>Stammheim</strong> das frühere Bandenmitglied Gerhard Müller als Zeugevernommen worden. Ich übersende Dir als Anlagen1. auszugsweise Ablichtungen der krim<strong>in</strong>alpolizeilichen Vernehmung Müllers(S. 46, 95, 180),2. Auszug aus dem (vom Tonband übertragenen) Wortprotokoll vom 13. Juli76. Der 'kle<strong>in</strong>e Dicke' ist der <strong>in</strong> Entebbe getötete Wilfried Böse. Daß es sich beidem von ihm übergebenen Papier um den wenige Tage später der Me<strong>in</strong>hofabgenommenen Enssl<strong>in</strong>-Kassiber handelte, hat sich <strong>in</strong> der Verhandlung klarergeben. Möchte sich die 'Welt' nicht unter dem Aspekt dieser neuen Erkenntnissenoch e<strong>in</strong>mal mit dem Aufsatz im 'Spiegel' vom 4.9.72 (Nr. 37) befassen? Nichtum me<strong>in</strong>etwillen, sondern um e<strong>in</strong>mal wieder die Haltung und die Praktiken diesesBlattes deutlich werden zu lassen, das sich se<strong>in</strong>erzeit mit eilfertigerBereitwilligkeitdie - wie sich nun zeigt - von Ströbele und Müllerausgeheckte Entlastungslegendezu eigen machte und das den Baader-Me<strong>in</strong>hof-Leuten soviel publizistische,622623


•gelegentlich sogar materielle Unterstützung (Honorare für Interviews aus derUntersuchungshaft) zuteil werden ließ. Vielleicht könnte diese Aufgabe sogare<strong>in</strong>en Chefredakteur reizen?Zum - etwa noch nötigen - besseren Verständnis der Zusammenhänge fügeich e<strong>in</strong>e Abschrift des damaligen Beschlusses des Bundesgerichtshofs bei. Derhandschriftliche Vermerk auf dem Wortprotokollauszug stammt übrigens vomVorsitzenden und bezieht sich eben auf Schily."1.2 § 206 a StPO sieht die Verfahrense<strong>in</strong>stellung durch Beschluß vor, wennsich nach Eröffnung des Hauptverfahrens e<strong>in</strong> Verfahrensh<strong>in</strong>dernis herausstellt.Verfahrensh<strong>in</strong>dernis ist e<strong>in</strong> Umstand, welcher den Erlaß e<strong>in</strong>es Sachurteils, aberauch schon, sobald dieser Umstand erkannt ist, das weitere Prozedieren mit demZiel e<strong>in</strong>es Sachurteils ausschließt. Es liegt dann vor, wenn e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung dafürfehlt, daß es zulässig ist, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten Verfahren zu e<strong>in</strong>em Sachurteil <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er bestimmten Sache zu gelangen. Inhaltlich gehört zum Begriffder Prozeßvoraussetzung,daß es sich um e<strong>in</strong>en Umstand handelt, der nach dem ausdrücklicherklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes für dasStrafverfahren so schwer wiegt, daß von se<strong>in</strong>em Vorhandense<strong>in</strong> oder Nichtvorhandense<strong>in</strong>die Zulässigkeit des Verfahrens im ganzen abhängig gemacht werdenmuß. (Schäfer <strong>in</strong>: Löwe/Rosenberg, 23. Aufl. 1976, E<strong>in</strong>leitg. Kap. 11, Rz. 5und 6.)(Anmerkung aus Eberhard Schmidt, Lehrkommentar, I,2. Aufl. 1964, Rz. 127:"Wenn nun auch im allgeme<strong>in</strong>en beim Fehlen von Prozeßvoraussetzungen dieE<strong>in</strong>stellung des Verfahrens die gebotene gerichtliche Entscheidung ist, so ist dochnicht gesagt, daß die StPO nicht <strong>in</strong> besonderen Fällen e<strong>in</strong>e andere Maßnahmevorschreiben kann, zumal dann, wenn das Verfahren nicht völlig unzulässigüberhaupt ist, sondern es sich nur darum handelt, es noch 'auf die richtige Bahn'zu br<strong>in</strong>gen. In diesem S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d die §§ 16-18, 269, 270 StPO zu verstehen. Esdürfte also kaum e<strong>in</strong> zw<strong>in</strong>gender Grund bestehen, die sachliche und örtlicheZuständigkeit den Prozeßvoraussetzungen nicht zuzuzählen. Gerade diese Prozeßvoraussetzungens<strong>in</strong>d von um so größerer Bedeutung, als es von ihremGegebense<strong>in</strong> abhängt, ob im konkreten Fall dem rechtsstaatlichen Grundpr<strong>in</strong>zipdes GG Art. 101 Abs. 1 S. 2 ('Niemand darf se<strong>in</strong>em gesetzlichen Richter entzogenwerden') Rechnung getragen wird.")1.3 Prozeßh<strong>in</strong>dernis: ungesetzlicher Richter Kriterium also, <strong>in</strong> Anlehnung anEberhard Schmidts Formulierung, für die E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens: wenn nachder Qualität des Verfahrensmangels der Stand des Verfahrens nicht möglichmacht, dies noch auf die richtige Bahn zu br<strong>in</strong>gen. Die StPO hat als e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zip dasVerbot des Prozedierens vor dem ungesetzlichen Richter - verschieden normiert,als Pr<strong>in</strong>zip geschlossen: sachliche, örtliche, funktionale Unzuständigkeit, Richterausschlußkraft Gesetzes. Ausnahmen davon Fristenversäumung, Verwirkungknüpfenan E<strong>in</strong>verständnis oder dessen Fiktion: volenti non fit <strong>in</strong>iuria. DiesemPr<strong>in</strong>zip ist ohne Unterschied <strong>in</strong> der juristischen Qualität das Ablehnungsrechtgegenüber dem befangenen Richter zuzurechnen. Es wird erhärtet zum Schutzdes Angeklagten durch die Selbstablehnungspflicht des befangenen (oder alsbefangen zu besorgenden) Richters, wobei der Richter alle<strong>in</strong> bereits auf dieMöglichkeit e<strong>in</strong>er Besorgnis der Befangenheit abzustellen hat (Dünnebier <strong>in</strong>:Löwe/Rosenberg, 23. Aufl. 1976, Rz. 9-11 zu § 30 StPO). Zwar ist Richterablehnungwegen Befangenheit nach der richterlichen Entscheidung ausgeschlossen.Ob die unanfechtbar gewordene Zwischenentscheidung unter Mitwirkung desbefangenen Richters revisibel ist, also zusammen mit dem Urteil durch Revisionanfecht~ar, kann hier dah<strong>in</strong>stehen. Der Rechtsmangel des § 231a-Beschwerdebeschlussesist jedenfalls nicht durch formelle Rechtskraft geheilt. Vielmehr wirktdieser Beschluß durch weitere Verhandlung <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagten fort.Er ist auch nicht etwa, wie rechtsirrtümlich schon e<strong>in</strong>mal gesagt worden ist, vomBundesverfassungsgericht "bestätigt" worden. In se<strong>in</strong>em Beschluß vom21.1.1976 hat das Bundesverfassungsgericht lediglich festgestellt, daß § 231 aStPO verfassungsgemäß sei und daß se<strong>in</strong>e Auslegung durch den BGH ke<strong>in</strong>enVerfassungsverstoß erkennen lasse. In jenem Verfahren allerd<strong>in</strong>gs hatten dieBeschwerdeführer nicht gerügt, weil sie Tatsachen für e<strong>in</strong>e solche Rüge nichtgekannt hatten: daß e<strong>in</strong> befangener Richter am BGH-Beschluß mitgewirkt hat.2. Der befangene Richter: ungesetzlicher RichterRichterliche Unbefangenheit ist Essentiale des gesetzlichen Richters, ist, alsspezifisch richterliche Verhandlungsfähigkeit, Prozeßvoraussetzung. Alssolche istsie im Zweifel <strong>in</strong> jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Fehltsie, so ist der Richter nicht mehr gesetzlicher Richter im S<strong>in</strong>ne des Art. 10112 GG.Richterliche Unbefangenheit hat Verfassungsrang. In e<strong>in</strong>er Reihe von Entscheidungenhat gerade das das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben:Band 21, 146: Nach dem Grundsatz des gesetzlichen Richters muß auchgewährleistet se<strong>in</strong>, daß der Rechtssuchende nicht vor e<strong>in</strong>em Richter steht, der diegebotene Neutralität und Distanz vermissen läßt - ich er<strong>in</strong>nere hierzu an den'Cartellbruder-Brief', wo die Rede ist von der 'von Ströbele und Müller ausgeheckteEntlastungslegende': Neutralität und Distanz?Band 30, 152 f.: "Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtssoll Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, daß die rechtsprechendenOrgane durch Manipulierung sachfremden E<strong>in</strong>flüssen ausgesetzt werden,gleichgültig von welcher Seite die Manipulierung ausgeht, ob von außerhalboder <strong>in</strong>nerhalb der Justiz. Deshalb gilt der Grundsatz, daß sich der für denE<strong>in</strong>zelfall zuständige Richter möglichst e<strong>in</strong>deutig aus e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Normergeben muß (BVerfGE 22, 254 (258) mit weiteren Nachweisen).Zu den allgeme<strong>in</strong>en Normen gehören die gesetzlichen Vorschriften, die bestimmen,unter welchen Voraussetzungen e<strong>in</strong> Richter von der Ausübung se<strong>in</strong>esRichteramtes ausgeschlossen ist. Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG muß gewährleistetse<strong>in</strong>, daß der Rechtsuchende nicht vor e<strong>in</strong>em Richter steht, der aus bestimmtenGründen die gebotene Neutralität und Distanz vermissen läßt. Im System dernormativen Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters muß deshalb Vorsorgedafür getroffen se<strong>in</strong>, daß im E<strong>in</strong>zelfall e<strong>in</strong> Richter, der nicht die Gewähr derUnparteilichkeit bietet, von der Ausübung se<strong>in</strong>es Amtes ausgeschlossen ist oderim Ablehnungsverfahren ausgeschlossen werden kann."In der Begründung ihrer vom Senatsbeschluß abweichenden Me<strong>in</strong>ung def<strong>in</strong>ierendie Verfassungsrichter Leibholz, Geiger, R<strong>in</strong>ck als das "Ziel" der Ablehnungsbestimmungen,"das Strafverfahren nicht nur gegen Vore<strong>in</strong>genommenheitzu schützen, sondern mit Rücksicht auf das Ansehen der Strafrechtspflege schonden Ansche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Verdachts der Parteilichkeit zu vermeiden" (E 30, 164).Aus E 40, 271: "Ziel der ... Ausschließungsgründe ist es daher (nämlich,a. a. 0.: nach "dem verfassungsrechtlichen Gebot..., daß der Richter die Gewährder Unparteilichkeit bieten muß und nicht die erforderliche Neutralität und Di-624625


•stanz gegenüber den Beteiligten vermissen lassen darf"), den - wenn auchmöglicherweise objektiv unbegründeten - Verdacht der Parteilichkeit bei demBetroffenen auszuräumen".Aus E 42, 78: "Die richterliche Unabhängigkeit ist ke<strong>in</strong> wertfreies Pr<strong>in</strong>zip,sondern an den Grundwerten der Verfassung orientiert. "Aus E 24, 61: "Der Beschwerdeführer kann nicht darauf verwiesen werden,zunächst das Verfahren vor e<strong>in</strong>em Richter fortzusetzen, dessen Zuständigkeitmöglicherweise auf verfassungswidrigen Entscheidungen über Ablehnungsgesucheberuht."Ergebnis:Der Beschluß des BGH zur Fortsetzung der Hauptverhandlung <strong>in</strong> Abwesenheitder Angeklagten ist ungesetzlich zustande gekommen, weil Bundesrichter Mayerse<strong>in</strong>er Pf!icht zur Selbstablehnung nicht nachgekommen ist (§ 30 StPO). DerBeschluß verletzt Verfassungsrecht: den grundrechtsgleichen Anspruch der Angeklagtenauf den gesetzlichen Richter (Art. 101 12 GG).Der Beschluß wirkt fort; die Hauptverhandlung <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagtengeht weiter.Die Zwischenentscheidung nach § 231 a StPO ist unanfechtbar geworden. Wosie als Grundlage dieser Hauptverhandlung <strong>in</strong> Abwesenheit der Angeklagten alsrechtswidrig erkannt ist, ist, weil dieser Rechtsmangel <strong>in</strong> diesem Verfahren nichtmehr geheilt werden kann, das Verfahren wegen fortwirkenden Verfahrensh<strong>in</strong>dernissese<strong>in</strong>zustellen.Auch veröffentlicht <strong>in</strong> Stuberger, a. a. 0., S. 228-233.36 Kritische Justiz, Heft 3, 1978, S. 303.37 Protokolle, S. 1274-127738 Protokolle, S. 127439 Protokolle, S. 127640 So Regierungssprecher Klaus Böll<strong>in</strong>g am 18.3.77 laut FR vom 19.3.77.41 Brief vom 18.3.77 von Dr. Bender an Dr. Foth, Protokolle, S. 13725.42 Siehe Anm. 4043 Siehe Anm. 41 und Pressemitteilung Nr. 61/1977 des Innenm<strong>in</strong>isteriumsBadenWürttemberg.44 u.a. Protokolle, S. 1373245 Vgl. Der Spiegel 12/77, S. 21-3346 Der Spiegel 13/77, S. 2647 Vgl. Seifert, Die Abhöraffäre und der überverfassungsgesetzliche Notstand,KritischeJustiz 1977,105 ff.; weiter: De Lazzer/Rohlf, Der Lauschangriff, JuristenZeitung 1977, 207 ff.; Borgs-Maciejewski, Parlament und Nachrichtendienste, <strong>in</strong>:Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/77 vom 12.2.77, 12 ff.; Rossnagel, Deralltägliche Notstand, Kritische Justiz 1977, 257 ff.; Dahs, Wehrhafter Rechtsstaatund freie <strong>Verteidigung</strong> - e<strong>in</strong> Widerspruch?, Zeitschriftfür Rechtspolitik 1977, 164ff. (derselbe, Anw.Bl. 1977,362 ff.); Amelung, Erweitern allgeme<strong>in</strong>e Rechtfertigungsgründe,<strong>in</strong>sbesondere § 34 StGB, hoheitliche E<strong>in</strong>griffsbefugnisse des Staates,NJW 1977, 833 ff; derselbe, Nochmals § 34 StGB als öffentlichrechtlicheE<strong>in</strong>griffsnorm, NJW 1978, 623 ff.; Schwabe, Zur Geltung von Rechtfertigungsgründendes StGB für Hoheitshandeln, NJW 1977, 1902 ff.; Lange, Terrorismuske<strong>in</strong> Notstandsfall?, Zur Anwendung des § 34 StGB im öffentlichen Recht, NJW1978, 784 ff.; Sydow, Forum: § 34 StGB - ke<strong>in</strong> neues Ermächtigungsgesetz,Juristische Schulung 1978, 222 ff.; Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand,NJW 1978, 1~1 ff.; Schröder, Staatsrecht an den Grenzen des Rechtsstaates,Archiv für öffentliches Recht 103 (78), 121 ff.48 Pressemitteilung 61/1977 vom 17.3.77 des Innnenm<strong>in</strong>isteriums Baden­Württemberg; vgl. Seifert, a. a. 0., S. 113.49 Vgl. Sydow, a. a. 0., S. 22250 Dreher, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen und Verordnungen, C. H.Beck, München 1977, Rdn. 20 zu § 34 StGB.51 Vgl. Seifert, a. a. 0., S. 107-11252 Z.B. Der Spiegel 10/1977, S. 30, mit e<strong>in</strong>em Auszug aus dem Artikel vonArndt, Der Rechtsstaat und se<strong>in</strong> polizeilicher Verfassungsschutz, <strong>in</strong>: NJW 1961,897 ff. (900).53 Adolf Arndt, Demokratie - Wertsystem des Rechts, <strong>in</strong>: Arndt und Freund,Notstandsgesetze - aber wie?, Köln 1962, S. 13, zitiert nach Seifert, a. a. 0., S.107.54 Vgl. Rudolf Wassermann, Rechtsstaat aber ist wie das tägliche Brot..., <strong>in</strong>:FR vom 8.6.77, S. 10; Richard Schmid, Im Quadrat der Heimlichkeit, <strong>in</strong>: DerSpiegel 15/77, S. 70; Sydow, a. a. O.55 Wassermann, Interview mit Panorama, ARD, 21.3.77, 20.15 Uhr, zitiertnach Seifert, a. a. 0., S. 118.56 Böckenförde, a. a. 0., S. 1883; Seifert hatte schon anderthalb Jahre zuvorbedauert, daß e<strong>in</strong>e öffentliche Stellungnahme Böckenfördes zum "übergesetzlichenNotstand" bis dah<strong>in</strong> ausgeblieben war (a. a. 0., S. 121).57 Vgl. Anm. 47; von den erwähnten Autoren ünterstützten den Rechtsbegriff"übergesetzlicher" oder "überverfassungsgesetzlicher Notstand"; Schwabe,Lange und Schröder. Die meisten Kommentierungen zum StGB gehen seit1977 von der Möglichkeit für Staatsorgane aus, sich zur Rechtfertigung vonHandeln <strong>in</strong> gefährlichen Situationen auf den § 34 StPO zu berufen, so z. B.Lenckner <strong>in</strong>: Schönke-Schröder, 20. Auf!. 1980, § 34 Rdnr. 7 (ausführlich),Dreher, a. a. 0., Rdn. 2, 22 (ohne Begründung), Maurach-Zipf, Strafrecht, 5.Auf!. 1977, AT Bd. 1, S. 402 (ohne Begründung). In der Rechtsprechung habeich bis 1977 nur zwei Fälle entdecken können, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e Berufung aufrechtfertigenden Notstand angenommen wurde <strong>in</strong> Situationen, die mit den hierdiskutierten e<strong>in</strong>igermaßen vergleichbar waren: OLG München, NJW 1972,2275 ff (mit Anm. Otto, NJW 1973, 667, und Bespr. von Amelung/Schall, JuS1975, 565): e<strong>in</strong> mittels Täuschung bewirktes E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen von amerikanischenCID-Beamten (als Kontaktpersonen der Polizei) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Rauschgiftdealer-Wohnung(= Hausfriedensbruch) zur Aufklärung e<strong>in</strong>es Rauschgifthandels wird fürgerechtfertigt erklärt; OLG Frankfurt, NJW 1975, 271 ff. (mit Anm. Geilen <strong>in</strong>JZ 1975, 375 ff. und Bespr. von Martens, NJW 1975, 1668 ff. und von Rox<strong>in</strong>,JuS 1976, 505 ff.): e<strong>in</strong>e Rechtfertigung nach § 34 StGB wurde angenommen,"als e<strong>in</strong>e Rentenversicherungsanstalt am Leichnam e<strong>in</strong>es tödlich verunglücktenVersicherten zwecks Prüfung e<strong>in</strong>es möglichen Ausschlusses von Ansprüchenauf H<strong>in</strong>terbliebenenrente e<strong>in</strong>e Blutabnahme veranlasste, ohne hierzu (...) berechtigtzu se<strong>in</strong>" (zitiertnach Sydow, a. a. 0., S. 223). Siehe auch: Krey-Meyer,ZRP 1973, 2 ff.; Schwabe, JZ 1974, 639 ff.; Blei, JA 1975, 445 ff.; Krey, ZRP1975, 97 ff.; Gössel, JuS 1979, 164 ff.; Röhmel, JA 1978, 308 ff. Zum<strong>in</strong>destseit dem Beschluß des 3. Senats des BGH vom 23.9.77 zur Kontaktsperre626627


I"kann gesagt werden, daß der "herrschenden Me<strong>in</strong>ung" zufolge § 34 StGBgrundsätzlich auch auf "staatliches Handeln" anwendbar ist.58 Pressemitteilung 61/1977 des Innenm<strong>in</strong>isteriums Baden-Württemberg59 Vgl. Seifert, a. a. 0., S. 11360 Der Spiegel 13/1977, S. 2861 Schröder, a. a. 0., S. 13862 Ebenda, S. 138-13963 Stuttgarter Zeitung vom 25.3.77, zitiert nach Seifert, a. a. 0., S. 11464Schröder, a. a. 0., S. 13765 Der Spiegel 14/1977, S. 22-2366 Vgl. § 170 Abs. 2 StPO67 Az: 8 Zs 428/7868 Das sogenannte Klageerzw<strong>in</strong>gungsverfahren nach § 172 Abs. 2 StPO69 Beschluß vom 8.2.79, Az: 25428/78, S. 170 Protokolle, S. 13712-1371371 Protokolle, S. 1371772 Protokolle, S. 1372473 Protokolle, S. 13725-1374074 Protokolle, S. 1372575 Protokolle, S. 1373976 Protokolle, S. 13739-1374077 Protokolle, S. 13727; Presse mitteilung 61/1977 des Innenm<strong>in</strong>isteriumsBaden-Württemberg.78 Der Text dieses Gesprächs ist enthalten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em richterlichen Protokoll, dasmir von den Verteidigern Croissants übergeben wurde.79 "Beweisaufnahmev. 14.9.1977 (vertraulich), B21 GS 2023/77, Richter amAmtsgericht - Hauser".80 Protokolle, S. 1372681 Protokolle, S. 13855-1386182 Wir beantragen - übrigens zum erstenmal - Brandt und Schmidt alsRegierungschefs der Regierungen Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher zu ladenzum Beweis, daß1. die RAF seit 1972 nach e<strong>in</strong>er grundgesetzwidrigen und grundgesetzfe<strong>in</strong>dlichenKonzeption der antisubversiven Kriegsführung verfolgt wird, die technisch,methodisch und organisatorisch dem <strong>in</strong>ternationalen Standard der amerikanischenCounter<strong>in</strong>surgency entspricht und diea) die repressive und manipulative "Immunisierung" (Brandt) der Gesellschaftgegen antikapitalistische Fundamentalopposition bezweckt undb) durch e<strong>in</strong>e komplexe Strategie politischer, wirtschaftlicher, militärpolitischerund juristischer Initiativen auf die Integration der Apparate der "<strong>in</strong>neren undäußeren Sicherheit" und der staatlichen Datenverarbeitungssysteme <strong>in</strong>nerhalbder Nato-Staaten zielt, um die permanente E<strong>in</strong>mischung der amerikanischenAußenpolitik <strong>in</strong> die <strong>in</strong>neren Angelegenheiten der westeuropäischen Länder zu<strong>in</strong>stitutionalisieren,c) daß <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die Bundesrepublik sich z. B. <strong>in</strong> die <strong>in</strong>nerenAngelegenheiten Griechenlands e<strong>in</strong>gemischt hat, <strong>in</strong>dem sie den EG-Beitritt Griechenlandsund die Gewährleistung e<strong>in</strong>es Millionenkredits mit e<strong>in</strong>em Auslieferungsbegehrengegen Pohle verbunden hat,628':1~~,j~! I\.J,!J(d) unmittelbar den Zweck hat, die kommunistischen und radikaldemokratischenWiderstandsgruppen :iU neutralisieren und zu vernichten, die sich seit demZerfall der legalen Vietnamopposition clandest<strong>in</strong> organisiert und bewaffnet haben,um gegen die amerikanische Strategie gegenüber dem Süden, dem Ostenund den Arbeitern Westeuropas, die die Innen- und Außenpolitik der Bundesrepublikdirekt bestimmt, zu kämpfen.2. über Counter<strong>in</strong>surgency Beratungen mit amerikanischen Regierungsstellenstattgefunden haben und daß <strong>in</strong> die Entscheidungsabläufe der antisubversivenAktion- der Stab des Oberkommandierenden der US-Armee <strong>in</strong> der Bundesrepublik,amerikanische Regierungspolitiker, Diplomaten und Geheimdienstbeamte,- das NATO-Generalsekretariat <strong>in</strong> Brüssel und- das Action Committee der NATO (AC-46), <strong>in</strong> das seit 1971/72 die Führungsebeneder Nachrichtendienste der Bundesrepublik <strong>in</strong>tegriert ist, und- das PSV-Referat <strong>in</strong> der Stabsabteilung IIIdes Führungsstabs der Streitkräfte(FüS) e<strong>in</strong>bezogen waren; daß3. amerikanische Speziale<strong>in</strong>heiten für Counter<strong>in</strong>surgency <strong>in</strong> der Bundesrepublikoperieren, unter anderem die offiziellseit August 1975 als Mar<strong>in</strong>eattaches derUS-Botschaft <strong>in</strong> Bad Godesberg zugeteilten Spezialisten für "Gegenaktionen,z. B. Entführungen"; daß4. über Counter<strong>in</strong>surgency im europäischen Rat, <strong>in</strong> der europäischen InnenundJustizm<strong>in</strong>isterkonferenz und den entsprechenden politischen und militärischenGremien der NATO e<strong>in</strong> Konsens hergestellt wurde, an dessen Zustandekommendie Bundesrepublik <strong>in</strong>itiativ beteiligt war; daß5. a) im Rahmen der Konzeption der antisubversiven Aktion auf Initiative deramerikanischen Regierung und Armee über die Bundesrepublik zuerst bilateralgegenüber westeuropäischen Staaten, dann <strong>in</strong>nerhalb der militärischen und politischenMetaorganismen - der NATO und der EG - durchgesetzt wurde, Speziale<strong>in</strong>heitenaufzustellen, die nach e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Doktr<strong>in</strong> und nach e<strong>in</strong>heitlichentechnischen und strategischen Gesichtspunkten e<strong>in</strong>gesetzt werden, und daßb) <strong>in</strong> der Bundesrepublik die Antiterrore<strong>in</strong>heiten - GSG 9, MEK's, <strong>in</strong> Baden­Württemberg die OEG's usw. - und die Umwandlung des Bundesgrenzschutzes<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Bundespolizei <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit amerikanischen Dienststellen konzipiertwurden; daß6. leitende und ausführende Angehörige dieser E<strong>in</strong>heiten an amerikanischenSpecial Warfare Schulen <strong>in</strong> den USA von der Armee und Geheimdiensten <strong>in</strong>Strategie und Taktik der antisubversiven Kriegsführung ausgebildet worden s<strong>in</strong>dund daß sie dort <strong>in</strong> der Anwendung von Techniken der psychologischen Kampfführunggeschult wurden, zu denen wissenschaftlich entwickelte Methoden derManipulation von Mas senkommunikation und Me<strong>in</strong>ungsbildung gehören; daß7. im Rahmen der antisubversiven Aktion Kampagnen <strong>in</strong> den Massenmediennach den Strategien der psychologischen Kriegsführung zentral beschlossen undgesteuert werden und daß Falschmeldungen wiea) die RAF hätte geplant, <strong>in</strong> der Stuttgarter Innenstadt drei Bomben zu zünden(Juni 1972)b) die RAF hätte geplant, während der Fußballweltrneisterschaft Raketenangriffeauf besetzte Fußballstadien durchzuführen (Sommer 74)c) die RAF hätte geplant, das Tr<strong>in</strong>kwasser e<strong>in</strong>er Großstadt zu vergiften (Sommer74)629


d) die RAF hätte Senfgas gestohlen und geplant, das Gas e<strong>in</strong>zusetzen (Sommer75)e) das Kommando Holger Me<strong>in</strong>s hätte das Botschaftsgebäude <strong>in</strong> Stockholmselbst gesprengt (April 75)f) es gäbe "Spannungen" <strong>in</strong>nerhalb der Gruppe der Angeklagten (Feb. 72, undseit Ulrike Me<strong>in</strong>hofs Tod)g) die RAF hätte e<strong>in</strong>en Überfall auf e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>derspielplatz und die Geiselnahmevon K<strong>in</strong>dern geplant (März 77)h) die RAF hätte Angriffe auf Kernkraftwerke und den E<strong>in</strong>satz nuklearer,chemischer und bakteriologischer Waffen geplant (seit Januar 76)i) die RAF hätte geplant, den Bodensee mit atomarem Müll zu verseuchen(Spiegel Nr. 39/75) und Provokationen von Nachrichtendiensten wiej) Sprengstoffanschläge auf Hauptbahnhöfe (Bremen Dezember 74, HamburgSeptember 75, Nürnberg, Augsburg, München, Köln)k) Sprengstoff- bzw. Brandanschläge auf die gerichtlich bestellten ZwangsverteidigerLangner <strong>in</strong> Hamburg (19. Juni 76), Peters <strong>in</strong> Düsseldorf (16.2.77) imZusammenhang der Fahndung und der Prozesse <strong>in</strong>itiiert worden s<strong>in</strong>d, um"diese Gruppen völligzu entsolidarisieren, sie von all dem zu isolieren, was essonst an radikalen Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> diesem Lande auch geben mag. Das ist e<strong>in</strong>e derwichtigsten Aufgaben." (Ehmke, als Chef des Kanzleramts Koord<strong>in</strong>ator der Geheimdienste,Bundestag, 7.6.72)"den Sumpf aus(zu)trocknen - und ich sage es ganz hart - aus dem die Blütender Baader-Me<strong>in</strong>hof-Bande emporgestiegen s<strong>in</strong>d." (Kohl, Fernseh<strong>in</strong>terview,25.4.75)"...e<strong>in</strong>e scharfe, unzweideutige, klare Trennung zwischen den Mitgliedern dieserBande und der gesamten übrigen Bevölkerung" zu ziehen. (Carstens, am25.4.75 im Bundestag)"es kommt - ich spreche es aus - auf Infiltration<strong>in</strong> die Sympathisantengruppenh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> an." (Schmidt, Regierungserklärung 13.3.75)"Aktionen gegen die RAF müssen immer so abgewickelt werden, daß Sympathisantenpositionenabgedrückt werden." (Herold, Chef des BKA, während derInnenm<strong>in</strong>isterkonferenz, Januar 72)"die Nervenknoten des Gegners heraus(zu)isolieren und sie dann gezielt mitMaßnahmen an(zu)gehen, sie (zu) paralysieren, (zu) neutralisieren." (Herold,Hessenforum, Mai 1975)und daß1) Planung und E<strong>in</strong>satz dieser Kampagnen den im ISC-Report vom Mai 1975für den Natobereich festgestellten Richtl<strong>in</strong>ien zur "Entsolidarisierung, Isolationund Elim<strong>in</strong>ierung" der illegalen Gruppen entspricht.8. daß <strong>in</strong>nerhalb der antisubversiven Aktion die Justiz nicht nach ihrem imGrundgesetz postulierten Auftrag e<strong>in</strong>gesetzt wird, nicht dritte Gewalt und unabhängigist, sondern als e<strong>in</strong> geschlossener Instanzenzug handelt, der den Direktivender Regierung unmittelbar unterliegt und über e<strong>in</strong> Netz von Sondergerichten undbesonderen Abteilungen bei den Staatsanwaltschaften, an deren Aufbau, Personalführungund Indoktr<strong>in</strong>ation der Generalbundesanwalt und das Bundeskrim<strong>in</strong>alamtunmittelbar beteiligt s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>er umfassenden Planung im Rahmen derCouter<strong>in</strong>surgency unterliegt; daß9. zu diesem Zwecka) <strong>in</strong> der Justizpressekonferenz Karlsruhe e<strong>in</strong> Netz von Staatsschutzjournalisten<strong>in</strong>stitutionalisiert wurde, das die Funktion hat, die Rezeption der Prozesse übere<strong>in</strong>e homogene Berichterstattung zu steuern, undb) versucht wurde, über die Chefredakteurskonferenz die Prozeßberichterstatternach der Direktive des Generalbundesanwalts, :'das die Journalisten sichdarauf beschränken, Mittler se<strong>in</strong> zu wollen zwischen Polizei, Staatsanwaltschaftund Bevölkerung" (Buback <strong>in</strong> Kennzeichen D, 6.5.75) zu strukturieren; daß10. die Vorverurteilung der Gefangenen durch gezielte Falschmeldungen,Indiskretionen, lancierte Gerüchte und die Veröffentlichung von Prozeßaktennach Methoden der psychologischen Kriegsführung vorbereitet und gesteuertwurde, daß zu diesem Zweck11. die Erhebung der Anklage 3 1/2 Jahre verschleppt und das Verfahrengegen die RAF <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne Prozesse aufgespalten worden ist, die nach politischpropagandistischen Gesichtspunkten term<strong>in</strong>iert wurden, und daß12. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er koord<strong>in</strong>ierten Maßnahmea) e<strong>in</strong> Gesetz zum Ausschluß von Verteidigern, zur Beschränkung der Zahl derVerteidiger auf drei und zum Verbot der Kollektiwerteidigung verabschiedetwurde,b) der Ausschluß Croissants, Groenewolds und Ströbeles aus dem <strong>Stammheim</strong>erProzeß von der Bundesanwaltschaft zum "taktisch günstigsten Zeitpunkt"(Buback) veranlaßt und durchgesetzt wurde,c) durch e<strong>in</strong>e gezielte Personalpolitik die Ehrengerichte der Anwaltskammern <strong>in</strong>Hamburg und Frankfurt neu besetzt wurden,d) Zwangsverteidiger bestellt wurden, an deren Auswahl die Anklagebhörde z.T. unmittelbar beteiligt war, um e<strong>in</strong>e effektive oder auch nur auf den Prozeßvorbereitete <strong>Verteidigung</strong> zu ver h<strong>in</strong>dern, und daße) Gespräche zwischen Vertrauensverteidigern und Angeklagten und die Kanzleien,Wohnungen und Telefone der Anwälte abgehört worden s<strong>in</strong>d, um Initiativender <strong>Verteidigung</strong> <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb des Prozesses unterlaufen zukönnen, und daß nach den Erkenntnissen der abgehörten Gespräche 1. Zeugenaussagenbee<strong>in</strong>flußt bzw. Entlastungszeugen aus dem Prozeß femgehaltenwurden (Müller, Schiller) und 2. Freunde, Bekannte und Angestellte von Rechtsanwältenvon Nachrichtendiensten angesprochen wurden, um sie anzuwerben(Wolfgang Pfeiffer, Natascha Zerrer, Ingrid Doctors), und daßf) Croissant und Ströbele gezieltverhaftet wurden, um e<strong>in</strong>e Reihe <strong>in</strong>ternationalerPressekonferenzen zu verh<strong>in</strong>dern, die sie organisiert hatten, um die Öffentlichkeitder westeuropäischen Staaten über die Staatsschutzprozesse <strong>in</strong> der Bundesrepublikund die Verantwortlichkeit der Bundesanwaltschaft für den Tod vonHolger Me<strong>in</strong>s und Siegfried Hausner zu <strong>in</strong>formieren; daß13. <strong>in</strong>folge der Beweisnot im <strong>Stammheim</strong>er Verfahren auf Initiative des Bundeskrim<strong>in</strong>alamtse<strong>in</strong> Kronzeugengesetz nach Müllers Bed<strong>in</strong>gungen projektiertwurde, das erst mit der E<strong>in</strong>sicht des Generalbundesanwalts, daß im Rahmen derStaatsschutzjustiz ke<strong>in</strong>e Notwendigkeit für e<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung besteht, weiles e<strong>in</strong>facher schien, mit Hilfenachrichten dienstlicher Mittelungesetzlich Kronzeugenzu produzieren, wieder verworfen wurde; daß14. auf Weisung des Generalbundesanwalts dem Hamburger Gericht dieAkten über das Geständnis Müllers vorenthalten und von Bundesjustizm<strong>in</strong>isterVogel mit e<strong>in</strong>em Sperrvermerk versehen wurde, um e<strong>in</strong>en Freispruch Müllersvon630631


der Anklage des Mordes, den er zur Bed<strong>in</strong>gung se<strong>in</strong>er Aussage <strong>in</strong> Stamm heimgemacht hatte, zu ermöglichen; daß15. die Bundesanwaltschaft als die Schaltstelle, die die justitiell-öffentlicheVerwertung nachrichten dienstlicher Aktionen mit der Regierungspolitik koord<strong>in</strong>iert,über die Abhöraktion und ihre wesentlichen Ergebnisse von Anfang an<strong>in</strong>formiert war, und zwara) unmittelbar durch die Berichte des Bundesnachrichtendienstes und desVerfassungsschutzes,b) durch die Informationspolitik des Bundeskrim<strong>in</strong>alamts, demgegenüber e<strong>in</strong>eInformationspflicht der Landeskrim<strong>in</strong>alämter besteht,c) über die Lagebesprechung, die monatlich zwischen dem Generalbundesanwaltund den Leitern der drei westdeutschen Nachrichtendienste stattf<strong>in</strong>det;16. daß im Rahmen der Fahndung und der Vorbereitung öffentlicher Hauptverhandlungena) Gefangene zur Informationsbeschaffung Methoden der psychischen, medikamentösenund physischen Aussageerpressung unterworfen wurden,b) Programme der sensorischen Deprivation, der Isolation, der Gruppenisolation,der Streßmanipulation mit dem Ziel e<strong>in</strong>gesetzt wurden, die Angeklagtenpsychisch und <strong>in</strong>tellektuell zu brechen,c) diese Programme durch e<strong>in</strong>e vollständige Oberwachungjeder Lebensäußerungund aller Kontakte der Gefangenen <strong>in</strong>nerhalb ihrer Zellen, <strong>in</strong> den AnwaltsundBesuchszellen, aber auch <strong>in</strong> den Käfigen, <strong>in</strong> denen sie sich im Freien bewegenkönnen, von Psychiatern und besonders ausgebildeten Staatsschutzbeamtenausgewertet und gesteuert wurden und daß die Konzeption, Auswertung undWeiterentwicklung dieser Programme und e<strong>in</strong> Austausch der Ergebnisse mitwissenschaftlichen Forschungsprojekten - wie z. B. des Sonderforschungsbereichs14 der Universität <strong>in</strong> Hamburg-Eppendorf - abgestimmt wird, daßd) beispielsweise die Unterbr<strong>in</strong>gung von Ulrike Me<strong>in</strong>hof und später UlrikeMe<strong>in</strong>hof und Gudrun Enssl<strong>in</strong> im Toten Trakt <strong>in</strong> Köln-Ossendorf von e<strong>in</strong>emForschungsprojekt an der Hamburger Universitätskl<strong>in</strong>ikbegleitet wurde ("ProjektA8: soziale Interaktion <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er modellhaften <strong>in</strong>kompatiblen Gruppensituationunter besonderer Berücksichtigung der Aggressivität"), <strong>in</strong> dem die Lebens- undInteraktionsbed<strong>in</strong>gungen der beiden Gefangenen exakt simuliert wurden; daß imbesonderen Ulrike Me<strong>in</strong>hof wegen ihrer Orientierungsfunktion <strong>in</strong>nerhalb deraußerparlamentarischen Opposition seit der Antiatombewegung und wegen ihrerFunktion <strong>in</strong>nerhalb der Gruppe nach ihrer Verhaftung auf Veranlassung derBundesanwaltschaft 8 Monate lang im akustisch isolierten Trakt psychiatrischerFolter unterworfen wurde, um sie zu brechen und zu psychiatrisieren, und daß ihrBewußtse<strong>in</strong>, als dieses Projekt an ihrem Widerstand und den Anwälten scheiterte,durch e<strong>in</strong>e stereotaktische Gehimoperation zerstört werden sollte; daß17. die E<strong>in</strong>führung des § 231 a, der es ermöglicht, <strong>in</strong> Zukunft die Hauptverhandlung<strong>in</strong> Abwesenheit des Angeklagten nach e<strong>in</strong>em nichtöffentlichen, sogenannten"Anhörungsterm<strong>in</strong>" durchzuführen, und die Sondergesetze § 138 und §146, die es ermöglichen, Verteidiger auf bloßen Verdacht h<strong>in</strong> auszuschließen,den Zweck haben, diese Methoden des Staatsschutzes nicht öffentlich werden zulassen; daß18. Formulierungen wie"das Äußerste dagegen unternehmen""bis an die Grenzen des Rechtsstaats""mit allen Mitteln""tilgen""härtestes Durchgreifen des Staates, der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Verteidigung</strong>spositionnicht scheuen kann, selbst zu töten" (Schmidt, Regierungserklärung13.3.1975)die Entscheidung und den Konsens auf höchster Regierungsebene ausdrükken,<strong>in</strong>nerhalb der antisubversiven Aktion Mitglieder illegaler Gruppen im InundAusland und Gefangene gezielt und verdeckt zu töten; und daß19. der Tod von Ulrike Me<strong>in</strong>hofHolger Me<strong>in</strong>sSiegfried Hausner undUllrich Wesseie<strong>in</strong>e Konsequenz dieser Entscheidung ist; daß20. für die Dramaturgie des Todeszeitpunkts Ulrike Me<strong>in</strong>hofs maßgebendwara) e<strong>in</strong>e bevorstehende Kommandoaktion zur Befreiung der <strong>Stammheim</strong>erGefangenen, über die die Nachrichtendienste <strong>in</strong>formiert waren,b) der Austausch der <strong>Stammheim</strong>er Gefangenen, um den sich die DDR bemühthatte,c) der Druckerstreik,d) die unmittelbar davor von den Gefangenen im Prozeß gestellten Beweisanträgeund die Zeugenladungen der ehemaligen amerikanischen GeheimdienstmitgliederAgee, Peck, Osborne, Thomas, die- die begrenzte Souveränität der Bundesrepublik im Verhältnis zu den USA,- die Durchdr<strong>in</strong>gung von Regierung, Parteien und Gewerkschaften durchamerikanische Geheimdienste und- die Rolle der Bundesrepublik im Rahmen der amerikanischen Globalstrategieim allgeme<strong>in</strong>en und im besonderen während des Vietnamkriegs zum Themahatten; daß21. die Entscheidung, neben der gesamten über das BKA und die Sonderkommissionenzentral geführten Polizei, dem BGS, den Speziale<strong>in</strong>heiten derBundeswehr und den Medien auch die Justiz, Teile der amerikanischen Armee(Stgt. Ztg. 30.5.1972 und 3.6.1972 und Stgt. Nachr. 3.6.72 und 5.6.72), alledeutschen und amerikanischen Nachrichtendienste und alle oder "äußerste"nachrichtendienstliche Mittel im Rahmen von <strong>in</strong>ternational organisierter Counter<strong>in</strong>surgencye<strong>in</strong>zusetzen, die Maßnahmen der Regierung gegen die Gruppeals e<strong>in</strong>e verdeckte, menschenrechtswidrige Kriegshandlung def<strong>in</strong>iert, gegen die,weil <strong>in</strong> ihr die Verfassung der Bundesrepublik beseitigt ist, Widerstand legitimist.Dieser Antrag ist auch enthalten <strong>in</strong>: Stuberger, a. a. 0., S. 263-269 (Abschnitt16 d ist dort jedoch unvollständig).83 Protokolle, S. 13763-1383084 Protokolle, S. 13833-1383485 Protokolle, S. 13838-1383986 Protokolle, S. 1383987 Protokolle, S. 13841-1384288 Protokolle, S. 13846-13848632633


89 Vgl. Protokolle, S. 11040-1104190 Vgl. Protokolle, S. 13866-1387291 Brief Benders: Protokolle, S. 13904-13905; Ablehnung der Anträge: ProtokolleS. 13911 und 13922-13925.92 2. In der Hauptverhandlung am 22.3. hat der Vorsitzende Richter erklärt:"Prozessual freilich ist der geschehene Verstoß gegen den § 148 StPO nicht ausder Welt zu schaffen." (BI. 13722 der Tonbandniederschrift)Richtig ist, daß dieser Verfahrensverstoß irreparabel ist.Richtig ist darüber h<strong>in</strong>aus, daß er für diese Hauptverhandlung fortwirkt. Wichtigist ferner, daß die Gefahr jederzeitiger Wiederholung offen und mehrfachangezeigt worden ist (1.3, 1.9, 1.10, 1.11).Als unstreitig ist anzunehmen, daß der H<strong>in</strong>weis des zuständigen Haftrichters andie Justizverwaltung auf die Fortgeltung des § 148 StPO auch <strong>in</strong> diesem Verfahrennicht mehr als deklamatorischen Charakter hat. Die Abhörm<strong>in</strong>ister haben niegeleugnet, § 148 StPO schon im März 1975 als geltendes Recht gekannt zu haben.Sowohl das vergangene Abhören von Verteidigergesprächen als auch die se<strong>in</strong>eWiederholung unverblümt anzeigende Programmvorschau (1.3, 1.9, 1.10, 1.11)begründet Verfahrensh<strong>in</strong>dernis gegenüber der Fortführung dieser Hauptverhandlung.2.1. Die notwendige Verteidigertätigkeit<strong>in</strong> diesem Verfahren (§ 140 StPO, Art.6 MRK, Art. 14 des Internationalen Pakts über Bürgerliche und <strong>Politische</strong> Rechteim folgenden: UN-Pakt) ist nach Maßgabe der §§ 147, 148 StPO privilegiert.Diese <strong>Verteidigung</strong>srechte der Angeklagten haben den Rang <strong>in</strong>stitutioneller Garantien,wie speziell für § 147 das Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> E 18,399 ausgesprochenhat, wie generell das Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> E 26,71 und <strong>in</strong> E38,111 hervorgehoben hat:"Das Recht auf <strong>Verteidigung</strong> und das Recht auf e<strong>in</strong> faires Verfahren gehören zuden wesentlichen Grundsätzen e<strong>in</strong>es rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Der Angeklagtedarf nicht nur Objekt des Verfahrens se<strong>in</strong>; ihm muß vielmehr die Möglichkeitgegeben werden, zur Wahrung se<strong>in</strong>er Rechte auf den Gang und das Ergebnisdes Verfahrens E<strong>in</strong>fluß zu nehmen ...""Zu den wesentlichen Grundsätzen e<strong>in</strong>es rechtsstaatlichen Verfahrens zählt dasRecht auf e<strong>in</strong> faires Verfahren ... Es erschöpft sich nicht <strong>in</strong> der Selbstbeschränkungstaatlicher Mittelgegenüber beschränkten Möglichkeiten des E<strong>in</strong>zelnen, die sich <strong>in</strong>der Verpflichtung niederschlägt, daß staatliche Organe korrekt und fair zu verfahrenhaben ... Der Anspruch auf e<strong>in</strong> faires Verfahren ist durch das Verlangen nachverfahrensrechtlicher 'Waffengleichheit' von Ankläger und Beschuldigten gekennzeichnetund dient damit <strong>in</strong> besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten,für den bis zur Verurteilung die Vermutung se<strong>in</strong>er Unschuld streitet." Dasheimliche Abhören von Verteidigergesprächen von Beg<strong>in</strong>n dieser Hauptverhandlungan ist unzulässige Beschränkung der <strong>Verteidigung</strong> von Anfang an. DerRechtsmangel ist nicht heilbar. Der Verfahrensverstoß wäre wegen des e<strong>in</strong>schränkendenWortlauts des § 338 Nr. 8 StPO nicht revisibel. Jedoch erweist dieAufnahme des Tatbestands 'unzulässige Beschränkung der <strong>Verteidigung</strong>' <strong>in</strong> dieEnumeration absoluter Revisionsgründe se<strong>in</strong>e rechtliche Qualität als Verfahrensh<strong>in</strong>dernisentsprechend den anderen dort genannten Tatbeständen ("Grundsatzder Unbeschränkbarkeit der <strong>Verteidigung</strong>": Löwe/Rosenberg, 22. Aufl., § 338Anm. VIII 1; KMR, § 338 Anm. 9).Darüberh<strong>in</strong>aus verstößt das verfassungs- und gesetzeswidrige heimliche Abhörenvon Verteidigergesprächen (heimliches Abhören verletzt die Art. 1 und 2 GG)gegen das Rechtsstaatspr<strong>in</strong>zip, das im Strafprozeß als "Recht auf e<strong>in</strong> faires Verfahren"und als Anspruch auf verfahrensrechtliche "Waffengleichheit" konkretisiertist (Bundesverfassungsgericht). (Ich bitte das Gericht zu erwägen, welche Rechtsfolgenes wohl an die Entdeckung geknüpft hätte, se<strong>in</strong>e geheimen Beratungenwären abgelauscht worden!)2.2. Das heimliche Abhören von Gesprächen der Angeklagten mit ihren Verteidigernverletzt zugleich weiteres prozessuales Grundrecht der Angeklagten: ihrRecht zu schweigen. ("Ihm soll und darf die Rolle e<strong>in</strong>es Beweismittels gegen sichselbst nicht zufallen." BGH NJW 1957, 231.)Das Schweigerecht wurzelt <strong>in</strong> der Unschuldsvermutung, verbürgt dem Angeklagten,"daß er nicht se<strong>in</strong>em freien Willen zuwider zum Beweismittel gegen sichselber gemacht werden darf" (AdolfArndt NJW 1966, 870); istAusdruck zugleichdes materiellen Hauptgrundrechts unserer Verfassung: Art. 11 GG (Kunert MDR1967,539). Als Menschenrecht f<strong>in</strong>det es sich <strong>in</strong> Art. 14 IIIg des UN-Pakts, wirdhier gerade als Essentiale des "fair trial" verstanden (Bundesrats-Drucksache 304/73 vom 13.4.1973 S. 57).Daß die Rüge dieses Rechtsbruchs handfest praktische Bedeutung hat, hatJustizm<strong>in</strong>ister Bender überdeutlich gemacht: Er hat mit Schreiben vom 28.3.1977an dieses Gericht - wie schon vorher <strong>in</strong> aller Öffentlichkeit - behauptet, diemitangeklagte Ulrike Me<strong>in</strong>hof hätte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verteidigergespräch "die Möglichkeitder Geiselnahme e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des erwähnt" (s.a. die Pressemeldungen vom18.3.1977).Damit hat er unmittelbar illegalen E<strong>in</strong>fluß auf die diesem Gericht zustehendeEntscheidung genommen: Verdächtigung von Angeklagten und Verteidigern,e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung aus der Haftanstalt betrieben oder fortgeführt zuhaben! Ferner (Zit. aus Spiegel Nr. 13 vom 21.3.1977, S. 27): "Ob sich Schießund Bender überhaupt mit dem Paragraphen 34 rechtfertigen können, ist offen.Denn ihre Befürchtungen gründen die M<strong>in</strong>isterauf e<strong>in</strong>e Aufzählung von Terrorakten,Anarcho-Morden und Geiselnahmen der Jahre 1974 und 1975. Die M<strong>in</strong>isterbehaupten "mit letzter Gewißheit", daß diese Aktionen über <strong>Stammheim</strong>erKontakte ("Verkehr dieser Gefangenen mit Besuchern") <strong>in</strong> Szene gesetzt wordens<strong>in</strong>d...Beispielsweise "ergab sich" für sie, daß die <strong>Stammheim</strong>er mit dem terror­Verdächtigen Ex-Rechtsanwalt Siegfried Haag über die Vertrauensanwälte <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung gestanden habe. Beweis: Bei der als Haag-Helfer<strong>in</strong> verdächtigenElisabeth van Dyck fanden sich Fotos, die wahrsche<strong>in</strong>lich aus <strong>Stammheim</strong> herausgeschmuggelts<strong>in</strong>d. Beweis? Oder: Die Anwälte hätten e<strong>in</strong>e Absprache zwischenden <strong>Stammheim</strong>ern und den Stockholm- Terroristen vermittelt. Beweis: Es "mußtedavon ausgegangen werden"."Und dazu (Zitataus Spiegel a. a. 0., S. 26): "Daß Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister WernerMaihofer etwas gewußt haben könnte, wollte der Innenm<strong>in</strong>ister "nicht ausschließen";Generalbundesanwalt Siegfried Buback habe "womöglich" auch etwaserfahren." Diese <strong>in</strong> den öffentlichen Umlauf gebrachten Denunziationen derAngeklagten (auch, wenn nur festgemacht an den Namen der toten UlrikeMe<strong>in</strong>hof)s<strong>in</strong>d ihrem Inhalt nach schwerste strafrechtliche Belastungen im S<strong>in</strong>ne derAnklage <strong>in</strong> dieser Hauptverhandlung; jedenfalls geeignet, richterliche Urteilsbil-634635


dung zu bee<strong>in</strong>flussen; ohne daß da strafprozessuale Verwertungsverbote nochabhelfen könnten.Die Vorenthaltung des angeblichen Tonbands macht die Angeklagten <strong>in</strong> diesemVerfahren weitergehend rechtsschutzlos! (Gegen die Art. 1 I, 2 I, 20 III, 103 IGG macht sie die betroffenen Angeklagten weitergehend zum "Objekt".)Alle<strong>in</strong> schon darum verbietet dieser illegale E<strong>in</strong>bruch der Exekutive <strong>in</strong> diesesVerfahren dessen Fortführung. Das Verfassungspr<strong>in</strong>zip des fairen Verfahrens istunheilbar verletzt.2.3. Verletzts<strong>in</strong>d die betroffenen Verteidiger <strong>in</strong> eigenem Recht: <strong>in</strong> ihrer ProzeßsubjektsteIlungals Vertreter der abwesenden Angeklagten <strong>in</strong> der Hauptverhandlung(§§ 231 a IV, 234 StPO; vgl. Löwe/Rosenberg, 23. Aufl., 1976, E<strong>in</strong>leitungKap. 9 Rz. 7).Abgesehen von diesem Prozeßrechtsverstoß greift das illegale Ablauschenihrer Mandantengespräche <strong>in</strong> die Freiheit ihrer Berufsausübung (Art. 12 IGG) e<strong>in</strong>,welche <strong>in</strong>soweit gerade nicht gesetzlich beschränkt ist.Die von unzulässiger Beschränkung freie <strong>Verteidigung</strong> zählt zu den grundlegendenProzeßmaximen (vgl. Peters, Der Neue Strafprozeß, 1975, S. 72); zu denzw<strong>in</strong>genden Grundnormen des Verfahrensrechts, wo ke<strong>in</strong> Raum für Ermessen ist(Kle<strong>in</strong>knecht, StPO, 33. Aufl. 1977, § 338 Rz. 1).S<strong>in</strong>d, wie hier, die verfassungsrechtlichen Postulate des Strafprozesses <strong>in</strong> ihremWesensgehalt verletzt und ist durch Fortführen der Hauptverhandlung die Rechtsverletzungnicht zu heilen, ist <strong>in</strong>sbesondere ihr Fortwirken <strong>in</strong> diesem Verfahrennicht auszuschließen: dann liegt Prozeßh<strong>in</strong>dernis i.S.d. §§ 206 a, 260 III StPOvor.3.1. Für die zw<strong>in</strong>gende Rechtsfolge hieraus, die E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens, istunerheblich, ob das Gericht oder e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er Mitglieder Kenntnis von den Abhörvorgängenschon vor deren Aufdeckung gehabt hat - wiewohl für die <strong>Verteidigung</strong>von großem Interesse wäre, die Herren NUSSER und Dr. PRINZING alsZeugen hierzu zu hören, was zu bewirken dem Senat ja frei stünde. (NachdemHerr Dr. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g als Vorsitzender Richter wiederholt angebliche Aussprüche derGefangenen zue<strong>in</strong>ander aus anonymer Quelle <strong>in</strong> die Hauptverhandlung e<strong>in</strong>geführthat, vermag sicher ke<strong>in</strong>en Prozeßbeteiligten zu befriedigen, was als se<strong>in</strong>eErklärung <strong>in</strong> dieser Sache die Stuttgarter Nachrichten vom 25.3. (unter anderem)wiedergeben: "Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g... bezeichnete e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen se<strong>in</strong>erPerson und der Abhöraktion als 'gekleistert'. ")3.2. Andererseits reicht, ohne daß es noch auf die <strong>in</strong> der Vergangenheitliegenden Rechtsbrüche ankäme, die Ankündigung der M<strong>in</strong>ister Schieß, Benderund Filb<strong>in</strong>ger aus, Verteidigergespräche nach eigenem Bef<strong>in</strong>den auch <strong>in</strong> Zukunftabhören zu lassen (1.3, 1.9, 1.10, 1.11): um dieses Verfahren e<strong>in</strong>zustellen, weildas Gericht weder rechtlich noch faktisch <strong>in</strong> der Lage ist, die Wiederholung dergerügten Rechtsbrüche abzuwenden.In dieser prozessualen "Gefahrenlage" ist den Angeklagten, aber auch ihrenVerteidigern, die Fortsetzung dieses Verfahrens nicht zumutbar (i.S.v. BVerfGE24,61).93 Urteil vom 28.4.77, S. 31894 Vgl. u. a. Politik der <strong>in</strong>neren Sicherheit, Hsg. E. Blankenburg, Neue FolgeBd. 16, Suhrkamp, Frankfurt 1980.95 Vgl. zur BRD: Rossnagel, a. a. 0., S. 26463696 Poulantzas, Klassen im Kapitalismus heute, VSA, Westberl<strong>in</strong> 1975, S. 76.97 Ebenda, S. 7898 Johannes Agnoli, überlegungen zum bürgerlichen Staat, Wagenbach, Berl<strong>in</strong>1975, S. 84; siehe auch: Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie,<strong>in</strong>: Agnoli/Brückner, Die Transformation der Demokratie, Berl<strong>in</strong> 1967, S.3-87.99 Vgl.Günter Frankenberg, Angst im Rechtsstaat, <strong>in</strong>: KritischeJustiz, 1977, S.353 ff.100 Vgl. dazu u. a. Abendroth, Azzola u. a., Schutz oder Beugung der Verfassung?,Hefte zu politischen Gegenwartsfragen 25, Pahl Rugenste<strong>in</strong>, Köln 1975; 3.Internationales Russell-Tribunal, Bd. 1 und 2, Rotbuch, Berl<strong>in</strong> 1978.101 Abendroth, Das Problem des Berufsverbots für Marxisten, Sozialisten undradikale Demokraten <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland und die Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts, <strong>in</strong>: Schutz und Beugung der Verfassung?,a. a. 0., S. 8.102 BVerfGE 39,334 ff.103 BVerwG NJW 1975, 1135 ff., im Fall Anne Lenhart; vgl. dazu BernhardBlanke, "Staatsraison " und demokratischer Rechtsstaat, <strong>in</strong>: Leviathan, Zeitschriftfür Sozialwissenschaft, 1975/2, S. 153 ff.1043. Internationales Russell-Tribunal, Bd. 2, a. a. 0., S. 39.105 Ebenda, S. 39106 Zitiert nach Frankenberg, a. a. 0., S. 366; siehe auch: Ulrich K. Preuß,Gesellschaftliche Bed<strong>in</strong>gungen der Legalität, <strong>in</strong>: ders., Legalität und Pluralismus,Frankfurt 1973, S. 9.107 Ulrich K. Preuß, <strong>in</strong>: 'Radikale' im öffentlichen Dienst? - E<strong>in</strong>e Dokumentation,Hsg. Knirsch/NagelNoegeli, Frankfurt 1973, S. 122; zitiert nach Frankenberg,a. a. 0., S. 366.108 Frankenberg, a. a. 0., S. 366-367.109 Vgl. Johannes Lameyer, Streitbare Demokratie, E<strong>in</strong>e VerfassungshermeneutischeUntersuchung, Berl<strong>in</strong> 1978, S. 47f.110 Alle Zitate nach Frankenberg, a. a. 0., S. 370.111 Ebenda, S. 370112 Abendroth, Das Problem des Berufsverbots ..., a. a. 0., S. 13.113 Ebenda, S. 151143. Internationales Russell-Tribunal, Bd. 2, a. a. 0., S. 94-101.115 Böckenförde, a. a. 0., S. 1886.116 Adolf Nemeskal, Bekämpfung von Stadtguerilla, <strong>in</strong>: Krim<strong>in</strong>alist7/1975.117 Ebenda118 Tweede Kamerstukken '81-'82 = 17363, nos. 1-3; MvT.S. 14.119 Vgl. BVD-lessen aan de politie, <strong>in</strong>: KRI, Juni 1982, Monatszeitschrift derVerenig<strong>in</strong>g van Reklasser<strong>in</strong>gs<strong>in</strong>stell<strong>in</strong>gen.120 Rossnagel, a. a. 0., S. 262121 Ebenda, S. 268122 Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief vom 9.12.74 an diedamalige Vorsitzende der PvdA (holländische sozialdemokratische Partei), Ienvan den Heuvel, als Antwort auf ihren Brief vom 27.11.74, <strong>in</strong> dem sie ihreBesorgnis über die geplante "Lex RAF" ausgesprochen hatte.123 Frank Kitson, Low Intensity Operations: Subversion, Insurgency and637,


Peacekeep<strong>in</strong>g, Faber and Faber, London 1971; deutsche Ausgabe: Im Vorfelddes Krieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Seewald, Stuttgart-Degerloch1974, S. 79.124 Protokolle, S. 13929125 Protokolle, S. 13931-13933; Siehe 3.2.1.126 FR vom 6.10.76; me<strong>in</strong>e Wiedergabe der BAW-Plädoyers beruht auf denAufzeichnungen der Verteidiger und auf Presseberichten.127 Jürgen Busche, Bei diesen Angeklagten ist nichts politisch, <strong>in</strong>: FAZ vom9.10.76128 Ebenda129 Das "Hotelplädoyer" ist veröffentlicht <strong>in</strong>: KritischeJustiz 1977, S. 193207130 Vgl. Anm. 127131 FAZvom 8.10.76: "Deshalb war es überraschend, daß das Plädoyer derAnklage sich <strong>in</strong> wesentlichen Teilen auf die Zeugenaussage des ehemaligenBaader-Me<strong>in</strong>hof Mitglieds Gerhard Müller stützte".132 Protokolle, S. 11784-11787133 Protokolle, S. 11785134 Protokolle, S. 11789-11790; auch FR vom 9.10.76.135 In den Protokollen (S. 13931-13933) ist nur erwähnt, welche Verteidigerwie lange redeten und welche Anträge sie stellten. Bezüglich der Inhalte bezieheich mich vor allem auf die Berichterstattung von Stuberger <strong>in</strong> der FrankfurterRundschau vom 22.4.77.136 Protokolle, S. 13934137 Protokolle, S. 13933; vgl. Werner Birkenmaier, E<strong>in</strong> Alptraum ist zu Ende,<strong>in</strong>: Deutsches Allgeme<strong>in</strong>es Sonntagsblatt vom 8.5.77.138 Protokolle, S. 13936139 Vgl. § 268 StPO140 Vgl. § 275 StPO141 Vgl. § 341 LV.m.345 StPO142 Vgl. Kle<strong>in</strong>knecht, Strafprozeßordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz undNebengesetzen, C. H. Beck, München 1975, Anm. 1 E zu § 206a StPO.143 Vgl. die Kommentierung <strong>in</strong> der FR vom 29.4.77: "Die Darstellung entsprachim wesentlichen den Ausführungen der Bundesanwaltschaft <strong>in</strong> ihrer mehrals dreihundert Seiten starken Anklageschrift".144 Urteil, S. 149145 Urteil, S. 196146 Urteil, S. 208147 Urteil, S. 71148 Urteil, S. 240149 Ebenda150 Urteil, S. 211151 Urteil, S. 215152 Urteil, S. 218153 Urteil, S. 220154 Urteil, S. 223-224155 Urteil, S. 224156 Urteil, S. 225-226157 Urteil, S. 226-267638158 Urteil, S. 236159 Urteil, S. 244160 Vgl. FR vom 29.4.77.161 WilfriedRasch, Die Gestaltung der Haftbed<strong>in</strong>gungen für politisch motivierteTäter <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland, <strong>in</strong>: Monatsschrift für Krim<strong>in</strong>ologieund Strafrechtsreforrn, Juni 1976, S. 61 ff.162 Ebenda, S. 67163 Ebenda, S. 68164 In der Hungerstreikerklärung wird weiter gefordert:,,2. die untersuchung des todes von holger me<strong>in</strong>s, siegfried hausner und ulrikeme<strong>in</strong>hof durch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale untersuchungskommission, die unterstützungder arbeit dieser kommission und die veröffentlichung ihrer ergebnisse <strong>in</strong> derbundesrepublik.3. daß von der regierung öffentlich deutlich gemacht wird, daß die meldungen- die RAF hätte geplant, <strong>in</strong> der stuttgarter <strong>in</strong>nenstadt drei bomben zu zünden(6/72)- die RAF hätte geplant, während der fußballweltrneisterschaft raketenangriffeauf besetzte fußballstadien durchzuführen (sommer 74)- die RAF hätte geplant, das tr<strong>in</strong>kwasser e<strong>in</strong>er großstadt zu vergiftensommer 74)- die RAF hätte senfgas gestohlen und geplant, das gas e<strong>in</strong>zusetzensommer 75)- das kommando holger me<strong>in</strong>s hätte das botschaftsgebäude <strong>in</strong> stockholmselbst gesprengt (4/75)- die RAF hätte geplant, den bodensee mit atomarem müll zu verseuchen(9/75)- die RAF hätte angriffe auf kernkraftwerke und den e<strong>in</strong>satz nuklearer, chemischerund bakteriologischer waffen geplant (seit januar 76)- die RAF hätte e<strong>in</strong>en überfall auf e<strong>in</strong>en k<strong>in</strong>derspielplatz und die geiselnahmevon k<strong>in</strong>dern geplant (3/77)produkte der psychologischen kriegsführung s<strong>in</strong>d und daß sie lanciert wurden,um das fortschreitende polizei- und staatsapparat legitimieren,um solidarität mit den widerstandsgruppen zu verh<strong>in</strong>dern, um sie zu isolierenund vernichten zu können; daß alle diese meldungen falsch s<strong>in</strong>d und daß diepolizeiliche, nachrichtendienstliche und justizielle aufkiärung nichts ergeben hat,was sie begründen könnte.der hungerstreik ist ausdruck unserer solidarität- mit dem hungerstreik der gefangenen aus dem paläst<strong>in</strong>ensischen widerstandfür den kriegsgefangenenstatus,- mit dem hungerstreik der gefangenen aus der lRA<strong>in</strong> irischen und englischengefängnissen für den politischen status, der ihnen als folge der anti-terrorismusgesetze,die die bundesrepublik auf europäischer ebene <strong>in</strong>itiiert und durchgesetzthat, aberkannt worden ist,- mit der forderung der gefangenen aus der ETA und anderen antifaschistischengruppen nach e<strong>in</strong>er amnestie <strong>in</strong> spanien,- mit allen, die im kampf für soziale revolution und nationale selbstbestimmunggefangen genommen worden s<strong>in</strong>d, und- mit allen, die angefangen haben, sich gegen die verletzung der menschen-639•


echte, das elend und die brutale ausbeutung <strong>in</strong> den gefängnissen der bundesrepublikzu wehren.den widerstand bewaffnendie illegalität organisierenden antiimperialistischen kampf offensiv führenstammheim, am 29. märz 1977für die gefangenen aus der RAF165 Vgl. Kritische Justiz 1977, S. 204166 Ebenda167 für 'akteure des systems selbst' wie buback f<strong>in</strong>det die geschichte immere<strong>in</strong>en weg.am 7.4.77 hat das KOMMANDO ULRIKE MEINHOF generalbundesanwaltsiegfrled buback h<strong>in</strong>gerichtet.buback war direkt verantwortlich für die ermordung von holger me<strong>in</strong>s, siegfriedhausner und ulrike me<strong>in</strong> hof.er hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er funktion als generalbundesanwalt - als zentrale schalt- undkoord<strong>in</strong>ationsstelle zwischen justiz und den westdeutschen nachrichtendiensten<strong>in</strong> enger kooperation mit der da und dem nato-security-committee - ihreermordung <strong>in</strong>szeniert und geleitet.unter bubacks regie wurdeholger am 9.11. 74 durch systematische unterernährung und bewußte manipulationdes transportzeitpunkts von wittlich nach stammheim gezielt ermordet.das kalkül der bundesanwaltschaft war, durch die exekution e<strong>in</strong>es kadersden kollektiven hungerstreik der gefangenen gegen die vernichtungshaft zubrechen, nachdem der versuch, andreas durch e<strong>in</strong>stellung der zwangsernährungumzubr<strong>in</strong>gen, durch die mobilisierung der öffentlichkeit gescheitert war.unter bubacks regie wurdesiegfried, der das kommando holger me<strong>in</strong>s geleitet hat und der die sprengungder deutschen botschaft <strong>in</strong> stockholm durch westdeutsche mek-e<strong>in</strong>heitenhätte nachweisen können, am 4.5.75 ermordet. während er unter der ausschließlichenverfügungsgewalt der bundesanwaltschaft und des bka stand,wurde se<strong>in</strong>e auslieferung <strong>in</strong> die brd und der lebensgefährliche transport <strong>in</strong> dasgefängnis von stuttgart stammheim durchgeführt, was se<strong>in</strong>en sicheren tod bedeutete.unter bubacks regie wurdeulrike am 9.5.76 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er aktion des staatsschutzes exekutiert. ihr tod wurdeals selbstmord <strong>in</strong>szeniert, um die s<strong>in</strong>nlosigkeit der politik, für die ulrike gekämpfthat, zu demonstrieren. der mord war die eskalation nach dem versuchder bundesanwaltschaft, ulrike durch e<strong>in</strong>en neurochirurgischen zwangse<strong>in</strong>griffzu kret<strong>in</strong>isieren, um sie - zerstört - im stammheimer prozeß vorführen undbewaffneten widerstand als krankheit denunzieren zu können. dieses projektwurde durch <strong>in</strong>ternationalen protest verh<strong>in</strong>dert.der zeitpunkt ihrer ermordung war präzise kalkuliert: vor der entscheidenden<strong>in</strong>itiative im prozeß, den anträgen der verteidigung, die an den angriffender RAF gegen die us-headquarters <strong>in</strong> frankfurt und heidelberg 1972 die be­·teiligung der brd an der völkerrechtswidrigen aggression der usa <strong>in</strong> vietnam<strong>in</strong>terpretieren sollten;vor ulrikes zeugenvernehmung im prozeß <strong>in</strong> düsseldorf gegen das kommando640holger me<strong>in</strong>s, wo sie authentisch über die äußerste form der folter, die an ihr <strong>in</strong> 8monaten toten trakts vollstreckt worden war, hätte aussagen können;vor ihrer verurteilung - da die kritische <strong>in</strong>ternationale öffentlichkeit, die sich andem schauprozeß <strong>in</strong> stammheim und se<strong>in</strong>er zynischen darstellung imperialistischergewalt entwickelt hat, von der bundesregierung begriffen worden war, weilsie dabei war, ihnen auf die füße zu fallen.ulrikes geschichte ist deutlicher als die vieler kämpfer die geschichte der kont<strong>in</strong>uitätvon widerstandsie verkörpert für die revolutionäre bewegung e<strong>in</strong>e ideologische avantgardefunktion,auf die bubacks konstruktion des f<strong>in</strong>gierten selbstmords zielte: ihr todvon der bundesanwaltschaft als 'e<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> das scheitern' bewaffneter politikpropagandistisch verwertet - sollte die gruppe, ihren kampf und die spur ihrerwirkung moralisch vernichten.die konzeption der bundesanwaltschaft, die seit 71 fahndung und verfahrengegen die RAF an sich gezogen hat, läuft nach der l<strong>in</strong>ie der im security committeeder nato konzipierten antisubversionsstrategie: krim<strong>in</strong>alisierung revolutionärenwiderstands - deren taktische schritte <strong>in</strong>filtration,entsolidarisierung und isolierungder guerilla und elim<strong>in</strong>ierung ihrer leader s<strong>in</strong>d.im rahmen der counterstrategie der imperialistischen brd gegen die guerilla istdie justiz kriegsführendes <strong>in</strong>strument - <strong>in</strong> der verfolgung der aus der illegalitätoperierenden guerilla und <strong>in</strong> der vollstreckung der vernichtung der kriegsgefangenen.buback - wie schmidt sagt' e<strong>in</strong> tatkräftiger kämpfer' für diesen staat - hat dieause<strong>in</strong>andersetzung mit uns als krieg begriffen und geführt: 'ich habe den kriegüberstanden. dies ist e<strong>in</strong> krieg mit anderen mitteln.' was revolutionärer krieg istunddas werden die bullen wie buback nie begreifen - ist die kont<strong>in</strong>uität, diesolidarität, die liebe, die die aktion der guerilla ist.wir werden verh<strong>in</strong>dern, daß unsere fighter <strong>in</strong> westdeutschen gefängnissenermordet werden, weil die bundesanwaltschaft das problem, daß die gefangenennicht aufhören zu kämpfen, nicht anders als durch ihre liquidierung lösen kann.wir werden verh<strong>in</strong>dern, daß bundesanwaltschaft und staatsschutzorgane sich anden gefangenen fightern rächen für die aktionen der guerilla draußen.wir werden verh<strong>in</strong>dern, daß die bundesanwaltschaft den vierten kollektivenhungerstreik der gefangenen um die m<strong>in</strong>imalen menschenrechte benutzt, umandreas, gudrun und jan zu ermorden, wie es die psychologische Kriegsführungseit ulrikes tod offen propagiert.KOMMANDO ULRIKE MEINHOFROTE ARMEE FRAKTIONDEN BEWAFFNETEN WIDERSTAND UND DIE ANTlIMPERIALISTISCHEFRONT IN WESTEUROPA ORGANISIERENDEN KRIEG IN DEN METROPOLEN IM RAHMEN DES INTERNATIONA-LEN BEFREIUNGSKAMPFS FÜHREN168 Kritische Justiz, 1977, S. 193169 Ebenda170 Presseerklärung vom 9.4.77 der Sektion BRD des Internationalen Komiteeszur <strong>Verteidigung</strong> <strong>Politische</strong>r Gefangener <strong>in</strong> Westeuropa.171 G. Stratenwerth, Strafrecht und Sozialtherapie, <strong>in</strong>: Festschrift für P. Bokkelmann,1979, S. 9.641,


172 Herzberg, Zur Strafbarkeit der Beteiligung am freigewählten Selbstmord,dargestellt am Beispiel des Gefangenensuizids und der strafrechtlichen Verantwortungder Vollzugsbediensteten, <strong>in</strong>: ZStW, 1979, S. 555 ff.173 Hanno Kühnert, Wann das Recht zum Selbstmord respektiert werdenmuß, <strong>in</strong>: Süddeutsche Zeitung vom 10.4.76174 Vgl.Joachim Wagner, Selbstmord und Selbstmordverh<strong>in</strong>derung. Zugleiche<strong>in</strong> Beitrag zur Verfassungsmäßigkeit der Zwangsernährung, C. F. Müller,JuristischerVerlag, Karlsruhe 1976.175 Anstaltsarzt Dr. Henck, zitiert nach: Der Spiegel 16/1977, S. 32176 Vgl. Herzberg, a. a. 0., S. 560.177 Berichte der Gefangenen BrigitteAsdonk, Annerose Reiche, Margit Schiller,Christa Eckes, Inga Hochste<strong>in</strong>, llse Stachowiak, Wolfgang Beer, Helmut Pohlund Werner Hoppe s<strong>in</strong>d teilweise veröffentlicht <strong>in</strong>: Info Hamburger UndogmatischerGruppen, Nr. 16 (Juni/Juli 1977), Info Hug Vertrieb, Hamburg, S. 3-4.178 Ebenda, S. 4179 Ebenda, S. 5-6180 Ebenda, S. 5181 Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 7/3200, S. 49-50.182 Stuttgarter Nachrichten vom 2.5.77183 Presseerklärung vom 22.6.77 von Gudrun Enssl<strong>in</strong>, Ingrid Schubert undIrmgard Möller.184 Süddeutsche Zeitung vom 22.6.77.185 Vgl. z. B. Bild, Stuttgarter Zeitung, FAZ, FR und Stuttgarter Nachrichtenvom 22.6.77.186 Presseerklärung vom 22.6.77 von Verena Becker und Sab<strong>in</strong>e Schmitz.187 FR vom 28.7.77.188 Verfassungsschutzbericht 1976, Hsg. Der Bundesm<strong>in</strong>ister des Innern,Bonn, Juli 1977, S. 122-123.189 Aufgrund § 132a StPO LVm. § 70 StGB.190 Vgl. Toby der Bär und die Breppelzitsche, <strong>in</strong>: Der Spiegel vom 1.8.77(gedruckt vor dem Anschlag auf Ponto); auf suggestive Weise und unkritisch gibtdas Wochenmagaz<strong>in</strong> re<strong>in</strong>e Vermutungen des BKAals mehr oder weniger feststehendeFakten wieder.191 Vgl. Wie Croissant die neue Zentrale der Terroristen schuf, <strong>in</strong>: Die Weltvom 2.8.77.192 Presseerklärungen vom 1., 5. und 9.8. 77 der Rechtsanwälte Arndt Müllerund Arm<strong>in</strong> Newerla; vgl. FAZvom 2.8.77, Stuttgarter Nachrichten und Die Weltvom 5.8.77.193 Protokoll vom 31. 7.77, unter Position 42: 1 Briefumschlag mit BekennerschreibenL S. Buback.194 In den Niederlanden veröffentlicht <strong>in</strong> der Broschüre: Berichten van degevangenen, Hsg. Rood Verzetsfront, Hoogeveen, Sept. 1977; die nachfolgendenZitate s<strong>in</strong>d den ursprünglichen Berichten der Gefangenen entnommen.195 So Carl-Dietrich Spranger, e<strong>in</strong>flußreicher Jurist der CDU/CSU-Bundestagsfraktion(seit 1983 parlamentarischer Staatssekretär im Außenm<strong>in</strong>isterium),<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit Bildam Sonntag vom 21.8.77 (Schlagzeile "Schluß mit derzwangsernährung" ).196 Ebenda642197 Die Welt vom 27.8.77.198 Hamburger Justizsenator Gerhard M. Meyer (FDP) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interviewmit der Stuttgarter Zeitung vom 27.8.77.199 Beschluß vom 29.8.77 des Richters am Landgericht Heidelberg, Ehlkes(4 KS 1/77) bezüglich des Briefes e<strong>in</strong>iger Hamburger Pfarrer (aufgrundvon § 119 Abs. 3, 6 StPO).200 Die Welt vom 16.8.77 und ZDF-Nachrichtensendung "Heute" vom17.8.77; vgl. auch FAZ vom 16.8.77 mit der Mitteilung der StaatsanwaltschaftStuttgart "ermittle <strong>in</strong> alle Richtungen".201 Presse mitteilung vom 18.8.77 von Müller und Newerla.202 Siehe: Dokumentation zum Hunger- und Durststreik der politischenGefangenen, 28.8.77, Red. Russell-Arbeitsgruppe "Haftbed<strong>in</strong>gungen politischerGefangener", Kommunistischer Bund, Gruppe Frankfurt.203 Die Passage über Rebmann zitiert nach FR vom 23.8.77: "Er wirdnoch e<strong>in</strong>iges lernen können, wenn ihm die Zeit dazu bleiben sollte. Es gibt dae<strong>in</strong> altes deutsches Sprichwort: ,Kommt Zeit, kommt RAF'. In diesem S<strong>in</strong>newünschen wir Rebmann e<strong>in</strong>e erfolgreiche berufliche (Erdum-)Laufbahn".204 Bild vom 23.8.77: "Rechtlich ist die Freilassung sicherlich <strong>in</strong> Ordnung.Aber: Ist das Recht noch <strong>in</strong> Ordnung?"; Münchner Merkur vom 23.8.77;"CSU: Freilassung Newerlas völlig unverständlich".205 Vgl. FR vom 24.8.77: "...nach der Aussage von Polizeibeamten ..." <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Bericht mit dem Titel "Amnesty beklagt Bruch der Vertraulichkeitdurch Stuttgart".206 FR vom 6.9.77, S. 2, <strong>in</strong>: "Das Portrait: Hanns-Mart<strong>in</strong> Schleyer".207 Walter Simon, Macht und Herrschaft der Unternehmerverbände BDI,BDA und DIHT, Pahl-Rugenste<strong>in</strong>, Köln, 1976.208 Ebenda, S. 115-116209 Roderich Reifenrath, Die Zeichen stehen auf Härte, <strong>in</strong>: FR vom8.9.77.210 Vgl. die Dokumentation dazu <strong>in</strong>: E<strong>in</strong> deutscher Herbst, Verlag NeueKritik, Frankfurt 1978, S. 45-70.211 Ebenda, S. 51-52; vgl. Dokumentation zu den Ereignissen und Entscheidungenim Zusammenhang mit der Entführung von Hanns-Mart<strong>in</strong>Schleyer und der Lufthansa-Masch<strong>in</strong>e "Landshut", Presse- und Informationsamtder Bundesregierung (im folgenden als "Regierungsdokumentation" bezeichnet),November 1977, unter "Materialien", S. 7 und 40.212 E<strong>in</strong> deutscher Herbst, a. a. 0., S. 54-55.213 Regierungsdokumentation (Anm. 211), a. a. 0., S. 18.214 a. a. O.215 Ebenda, S. 36216 E<strong>in</strong> deutscher Herbst, a. a. 0., S. 66217 Ebenda, S. 62-71218 Aus dem Vorwort von He<strong>in</strong>rich Boehncke und Dieter Richter als Redakteuredes Buches "Nicht heimlich und nicht kühl", Verlag Ästhetik undKommunikation, Berl<strong>in</strong> 1977, S. 5.219 Die Daten dieses Abschnitts s<strong>in</strong>d folgenden Quellen entnommen: Regierungsdokumentation(s. Anm. 211); Dokumente und Materialien zur Kontaktsperrefür Verteidiger, <strong>in</strong>: Kritische Justiz 1977, S. 395-412; Dokumente,643


zur Kontaktsperre, Hsg. Rechtsanwalt Ra<strong>in</strong>er Elfferd<strong>in</strong>g, Berl<strong>in</strong> 1977; eigeneDokumenten-Sammlung.220 Regierungsdokumentation, a. a. 0., S. 19221 Ebenda, S. 14222 So das Justizm<strong>in</strong>isterium Baden-Württemberg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stellungnahmevom 16.9.77 an den Vorsitzenden des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts i.S. Dellwo, Thimme und Enssl<strong>in</strong>, Az: 1004a-VI1443.223 Regierungsdokumentation, a. a. 0., S. 18224 Ebenda, S. 21225 Ebenda, S. 20; vgl. Russell-Reihe Nr. 5, Reents Verlag, Hamburg 1978, S.184-186.226 Dokumentation von Elfferd<strong>in</strong>g, a. a. 0., S. 5-6.227 Stellungnahme des Bundesjustizm<strong>in</strong>isters an den Vorsitzenden des 2.Senats des BVerfG i. S. Dellwo, Thimme und Enssl<strong>in</strong>; Az: 1004 E (2856) - 367/77, 1004 E (2858) - 369/77, 1004 E (2859) - 370/77.228 In Die Welt vom 7.9.77, Titelzeile "Quousque tandem?"229 Regierungsdokumentation, a. a. 0., S. 9 der "Materialien".230 Ebenda231 Dokumentation zum Verfahren gegen Brigitte Mohnhaupt und ChristianKlar vor dem OLG Stuttgart, E<strong>in</strong>stellungsantrag der <strong>Verteidigung</strong> - 13.12.84 -,Hsg. von den Verteidigern Dieter Adler (Hannover), Elard Biskamp (Frankfurt),Anke Brenneke-Eggers (Stuttgart), Michael Schubert (Freiburg), Freiburg 1985.232 Regierungsdokumentation, a. a. 0., S. 9 der "Materialien".233 So Der Spiegel vom 31.10.77 "aus zuverlässigen Quellen".234 Aus der Anzeige vom 31.10.77 von Ilse Jandt bei der StaatsanwaltschaftBerl<strong>in</strong> "gegen noch Unbekannt, wegen wissentlich falscher amtlicher Aussageund falscher Beschuldigung".235 Ebenda236 Stellungnahme vom 15.9.77 an den Vorsitzenden des 2. Senats desBVerfG i. S. Dellwo, Thimme und Enssl<strong>in</strong>, Az: 1004/1 E - SH'e 23,24, 25).237 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte Arndt Müller und Arrn<strong>in</strong> Newerla,Dokumentation, Hsg. N<strong>in</strong>a Baader, Ilse Enssl<strong>in</strong>, Helmut Enssl<strong>in</strong>, Verlag FantasiaDruck, Stuttgart 1980, S. 163; schon am 15.9.77 sagte der psychologischeBerater der GSG 9, Re<strong>in</strong>er Zeller, im "Stern": "Diese Steuerung wird überschätzt...Gegen die Steuerung aus Stamm heim spricht auch der Hungerstreik.Wenn ich weiß, daß ich <strong>in</strong> vier Wochen <strong>in</strong> den gewaltigen Streß der Befreiungsaktionkomme, sorge ich doch dafür, daß ich geistig und körperlich fit b<strong>in</strong>. GudrunEnssl<strong>in</strong>, die andere der beiden Symbolfiguren, ist so kaputt, daß sie wahrsche<strong>in</strong>lichdie Befreiung kaum überleben wird ohne ständige ärztliche Hilfe".238 Der Stern 49/77.239 Dokumente ..., Kritische Justiz, a. a. 0., S. 396.240 OLG Frankfurt, 16.9.77, NJW 1977, 2177.241 Vgl. Dokumente ..., Kritische Justiz, a. a. 0., S. 399.242 Ebenda243 So Rechtsanwalt Oberw<strong>in</strong>der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Antrag an das Bundesverfassungsgericht;vgl. KonkretNr. 12/1977, S. 9; Dokumentation von Elfferd<strong>in</strong>g,a. a. 0., S.8-9.244 Konkret Nr. 12/1977, S. 8644245 Ebenda246 Regierungsdokumentation, a. a. 0., S. 9-10 der "Materialien".247 Ebenda, S. 37248 Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz,23. Auflage, Rdz. 7 vor § 31 EGGVG.249 BGH NJW 1977, 2172250 Vgl. Dokumente ..., KritischeJustiz, a. a. 0., S. 400.251 BVerfG NJW 1977, 2157252 Vgl. BVerfG (v. 8.8.78), JZ 1978, 601.253 Zitiert nach: Konkret Nr. 12/1977, S. 8.254 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdz. 8 zu § 31 EGGVG; Dokumentationvon Elfferd<strong>in</strong>g, a. a. 0., S. 18-19; Dokumente ..., KritischeJustiz, a. a. 0., S. 401.255 Schmidt-Leichner, zitiert nach: Die Anti-Terror-Debatte im Parlament,Rowohlt, Hamburg 1978, S. 268.256 Lothar Tönsdorf, <strong>in</strong>: Berl<strong>in</strong>er Morgenpost vom 2.10.77.257 Hans Schüler, <strong>in</strong>: Die Zeit vom 7.10.77.258 S. Anm. 256259 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdz. 9 vor § 31 EGGVG.260 BT-Drucksache, 8-943.261 BT-Drucksache, 8-945, S. 1262 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Fn. 2 <strong>in</strong> Rdz. 11 zu § 31 EGGVG.263 Vgl. § 32 EGGVG. Der Bundesjustizm<strong>in</strong>ister ist zuständig, wenn mehrereLänder beteiligt s<strong>in</strong>d; das wird fast immer bei e<strong>in</strong>er Befreiungsaktion von Gefangenenaus der RAF der Fall se<strong>in</strong>, weil diese Gefangenen (noch immer) über dieganze Bundesrepublik verteilt s<strong>in</strong>d.264 Vgl. § 35 EGGVG265 Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdz. 3 zu § 35 EGGVG266 Vgl. Löwe-Rosenberg, a. a. 0., Rdz. 1 und 5 zu § 37 EGGVG.267 Vgl. § 36 EGGVG268 Vgl. Peter Lister <strong>in</strong>: E<strong>in</strong> deutscher Herbst, a. a. 0., S. 143-146.269 E<strong>in</strong> deutscher Herbst, a. a. 0., S. 142.270 Haftbefehl vom 30.9.77 des Errnittlungsrichters Kuhn beim BGH, Az: 1BJs 105/77.271 Regierungsdokumentation, a. a. 0., S. 92-95272 Vgl. Rolf Tophoven, GSG 9 - Operation Mogadischu, Feuertaufe derSpeziale<strong>in</strong>heit, <strong>in</strong>: Wehrtechnik Nr. 11/77.273 Ebenda274 Landtag Baden-Württemberg, Drucksache 7/3200: Bericht und Antragdes Untersuchungsausschusses Vorfälle <strong>in</strong> der Vollzugsanstalt Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>,vom 9.3.78, S. 15; im folgenden "Drucksache 7/3200".275 Vgl. International Herald Tribune vom 21.7.77; Die Zeit vom 19.8.77;Konkret Nr. 9/1977.276 Vgl. Drucksache 7/3200277 Vgl.: Von all dem haben wir nichts gewußt..., Dokumentation über den17.118.10.77 <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> und Mogadischu, Errnittlungs<strong>in</strong>itiative Frankfurt,Frankfurt 1978; Die Wunder von <strong>Stammheim</strong> vor Gericht - Wir glauben immernoch nicht an Selbstmord, Reents Verlag, Hamburg 1979; Der Spiegel 11/1980,S. 88-112; Der Stern 45/1980, S. 20-38, und 47/1980, S. 272-273.,645


278 K. Sellier, <strong>in</strong>: Berthold Mueller, Gerichtliche Mediz<strong>in</strong>, Teil 1, 2. Auflage,Spr<strong>in</strong>ger Verlag, Berl<strong>in</strong>-Heidelberg-New York 1975, S. 594.279 Mallach nennt folgende nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Untersuchung e<strong>in</strong>bezogene Gifte:"Anorganische Verb<strong>in</strong>dungen, tierische und pflanzliche Giftstoffe, die meistenPflanzenschutzmittel und Schädl<strong>in</strong>gsbekämpfungsmittel sowie viele als Pharmakaverwendete nicht organische Verb<strong>in</strong>dungen". Der schweizerische Prof. Hartmann,der von der Regierung e<strong>in</strong>geladen worden war, der Obduktion beizuwohnen,sagte vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Landes Baden-Württembergaus: "Es gibt so und soviele Gifte, daß man, wenn man nichtgerichtet auf e<strong>in</strong> bestimmtes Gift sucht, unter Umständen e<strong>in</strong>es übersieht, vorallem die komplizierten organischen Gifte. Nehmen Sie Digitalisoder nehmen SieInsul<strong>in</strong>. Wenn man nicht darauf gerichtet untersucht, wird man es nicht f<strong>in</strong>den".Dennoch me<strong>in</strong>te der Untersuchungsausschuß (Drucksache 7/3200, S. 41): "Stoffe,die e<strong>in</strong>e Bewußtlosigkeit hervorrufen können, im Körper aber anschließendnicht festgestellt werden können, gibt es mit an Sicherheit grenzender Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitnicht".28013. Sitzung, Pro!., S. 102-163; auch veröffentlicht <strong>in</strong>: Hamburger Info Nr.19, April 1978.281 Zu Unrecht erwähnt der Bericht des Untersuchungsausschusses (Drucksache7/3200, S. 46) e<strong>in</strong>e Tiefe von 4 Zentimeter.282 Drucksache 7/3200, S. 15283 Vgl. Drucksache 7/3200 S. 95-982849. Sitzung, Pro!., S. 185-226285 Drucksache 7/3200 S. 46286 Irmgard Möller berichtet, Dokumentation, Hsg. Rechtsanwält<strong>in</strong>nen JuttaBahr-Jendges, Alexandra Goy, Rechtsanwälte He<strong>in</strong>z Heldmann, Ra<strong>in</strong>er Fromann,Berl<strong>in</strong>, Februar 1978, S. 19.287 Der Spiegel 44/1977; Stern 49/1977288 Der Spiegel, a. a. O.289 Der Spiegel, a. a. 0.; Stern, a. a. O.290 Die Welt vom 14.9.77; Stern 46/1977.291 Vgl. Der Spiegel Nr. 38 und 39/1977; Süddeutsche Zeitung vom 10.9.77.292 Stern Nr. 45/1980293 Der Spiegel 6/1978; Stern 45/1980; vgl. Drucksache 7/3200, S. 13.294 Vgl. Vorläufiger Bericht vom 26.10.77 der Landesregierung Baden-Württemberg,Drucksache 7/2500, S. 2.295 FR vom 13.3.78296 FAZund Süddeutsche Zeitung vom 1.12.77, zitiertnach: Arbeiterkampf v.23.1.78.297 Hannoversche Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung vom 13.1. 78; Stern vom 19.1. 78;Arbeiterkampf vom 23.1.78.298 12. Sitzung, Pro!., S. 6-26.299 Vgl. übersicht der Berichterstattung <strong>in</strong>: Arbeiterkampf vom 23.1. 78.30013. Sitzung, Pro!., S. 35-54, 54--62 und 62-73.301 Vgl. Drucksache 7/3200, S. 91302 Ebenda646303 Vgl. Der Spiegel 48/1978, S. 133 ff.304 Vgl. Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte ..., a. a. 0., S. 11-13,22-59.305 Ebenda, S. 13-22, 151-165, 215-264.Kapitel IX1 RGS!. 66, 326; BGHS!. 2, 377 = NJW 1952, 894 (896); BGH bei Dall<strong>in</strong>ger,MDR 1957, 267. Siehe: Hans Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, O. Schmidt,Köln 1977, S. 43-47, mit Angaben von Literatur und Beispielen. Jetzt noch a.M.z. B. Werner Beulke (Der Verteidiger irn Strafverfahren, Frankfurt a.M. 1980, S.150), der sogar die Auffassung vertritt, daß e<strong>in</strong> Verteidiger e<strong>in</strong>e Strafvereitelung (§258 StGB) begehe, wenn er "von der Schuld des Angeklagten fest überzeugt istund glaubt, daß sich der Schuldvorwurf auch irn Strafprozeß bestätigt habe";Wolfgang Strzyz (Die Abgrenzung von Strafverteidigung und Strafvereitelung,M<strong>in</strong>erva, München 1983, S. 147) dazu: "Um die prekäre Lage, <strong>in</strong> die Beulke denVerteidiger - ansche<strong>in</strong>end auch nach se<strong>in</strong>er Auffassung, da es ansonsten desfolgenden H<strong>in</strong>weises nicht bedurfte - hier br<strong>in</strong>gt, abzurnildern, empfiehlt er, derVerteidiger müsse private Geständnisse möglichst verh<strong>in</strong>dern, ,um weiterh<strong>in</strong>unbefangen für die Sache se<strong>in</strong>es Klienten e<strong>in</strong>treten zu können'."2 Aufgrund § 177 Abs. 2 Satz 2 der BHAO vom 1.8.59 ist die Bundesrechtsanwaltskammerverpflichtet, "die allgeme<strong>in</strong>e Auffassung über die Fragen der Ausübungdes Anwaltsberufs <strong>in</strong> Richtl<strong>in</strong>ien festzustellen". Die neuesten Richtl<strong>in</strong>ien,derzeit als "Grundsätze des Anwaltlichen Standesrechts" bezeichnet, festgestelltam 21.6.73, s<strong>in</strong>d abgedruckt <strong>in</strong>: Dr. Walter Isele, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung,Juristischer Fachbuchverlag, Essen 1976, S. 1760--1780.3 Das zeigte sich noch im Novernber 1983 während des "Jonge Balie Congres"(jährlicher Kongreß junger niederländischer Rechtsanwälte), der u. a. der Berufsethikgewidmet war. An dieser Tagung nahmen 600 von <strong>in</strong>sgesamt etwa 4000niederländischen Anwälten teil. Die zwölf Teilnehmer der Podiumsdiskussion,Rechtsanwälte (darunter ich) und der Präsident des Bezirksgerichts Amsterdam,konnten sich über e<strong>in</strong> anderes berufsrechtliches Problem nicht e<strong>in</strong>igen: E<strong>in</strong>igeAnwälte fühlten sich zur aktiven Brechung des Anwaltsgeheirnnisses berechtigt,wenn sie erführen, daß e<strong>in</strong> Mandant bestimmte (schwere) strafbare Handlungenvorbereiten oder planen würde; <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ern solchen Fallwürden sie Behörden oderamtliche Stellen <strong>in</strong>formieren.4 Vgl.Traditionen deutscher Justiz, Hsg. Kurt Kreiler, Klaus Wagenbach, Berl<strong>in</strong>1978.5 Proeven van rechtssociologie - uit het werk van Wilhelm Aubert, red. BramPeper und Kees Schuyt, Universitaire Pers, Rotterdam/Antwerpen 1971, Kap. 6,aus: W. Aubert, The Hidden Society, The Bedm<strong>in</strong>ster Press Inc., Totowa 1965.6 Vgl. R. Dahrendorf, Konfliktund Freiheit, Piper, Munchen 1972, S. 166184.7 Vgl. A. A. G. Peters, Het rechtskarakter van het Strafrecht, Kluwer, Deventer1972, S. 13-14.8 Ebenda, S. 12-139 Philippe Nonet und Philip Selznick, Law and Society <strong>in</strong> Transition: TowardResponsive Law, Harper & Row, New York 1978, S. 4--8.,10 Horst Dreier, Standesrecht und <strong>Politische</strong> Prozesse, Zum Zusammenhang647


von <strong>Verteidigung</strong>sstrategie und anwaltlicher Ehrengerichtsbarkeit bei Strafverfahrengegen terroristische Gewalttäter, Oktober 1981, wahrsche<strong>in</strong>lich geplant alsTeiluntersuchung für: Analysen zum Terrorismus, Bd. 4/2, Fritz Sack/He<strong>in</strong>z Ste<strong>in</strong>ertu. a., Protest und Reaktion, Westdeutscher Verlag, Opladen 1984.11 a.a.O., S. 712 Ebenda, S. 813 Kusserov, Die Würde des Advokaten ist bekleckert, <strong>in</strong>: Der Stern vom14.2.8014 Buback war damals (1972!) noch Pressesprecher der Bundesanwaltschaft;vgl. F. Rühmann, Anwaltsverfolgung <strong>in</strong> der Bundesrepublik 1971-1976, Hamburg1977, S. 13.15 He<strong>in</strong>rich Hannover, Ausschließung von Verteidigern wegen Teilnahmeverdacht,<strong>in</strong>: Kritische Justiz 1974, S. 135 (141).16 Dreier, a. a. 0., S. 12; Isele, a. a. 0., S. 497; 3. Strafverteidigertag. Referate,Diskussionen, Ergebnisse. Hsg. Hamburger Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für Strafverteidigere. V. u. a., Berl<strong>in</strong> 1979.17 Die E<strong>in</strong>schränkung der Verteidiger im Strafprozeß. E<strong>in</strong>e DokumentationHamburger Juristen. Hrsg. von Werner BaufeIt u. a., Hamburg 1976; Die <strong>Verteidigung</strong>auf der Anklagebank, Hrsg. von Werner Baufeit, Hamburg 1977; RaimundKusserov, Die Ehre des Anwalts ist unantastbar, Sendemanuskript, <strong>in</strong> InfoNr. 6, S. 29-38 des Republikanischen Anwaltsvere<strong>in</strong>s; 3. Strafverteidigertag,a. a. 0., S. 105.18 BGH 5.12.78 (Hoffmann)/ Anw. StR (R) 5/77/S. 9.19 EGH Berl<strong>in</strong>, 29.5.78 (Elfferd<strong>in</strong>g) II EGH 16/77/S. 10.20 Vgl. Claus Offe, Unregierbarkeit. Zur Renaissance konservativer Krisentheorien,<strong>in</strong>: J. Haberrnas (red.), Stichwort zur 'Geistigen Situation der Zeit', 1.Band, Frankfurt 1979, S. 294-318.21 Ulrich K. Preuß, Die Aufrüstung der Normalität, <strong>in</strong>: Kursbuch 56, Juni 1979,S.29.22 Ulrich K. Preuß, Die Internalisierung des Subjekts, Frankfurt 1977, S. 246.23 Ebenda, S. 25024 Dreier, a. a. 0., S. 2325 Paul Watzlawick, Janet Heirnick Beav<strong>in</strong>, Don D. Jackson, Oe pragmatischeaspecten van de menselijke communicatie, Van Loghum Slaterus, Deventer 1970(Ursprünglich: Pragmatics of Human Communications, Norton, New York 1967;deutsche Ausgabe: Menschliche Kommunikation. Huber, Bem/Stuttgart 1969).26 Ebenda, S. 47 (Übersetzung BS)27 Gregory Bateson, Don D. Jackson, Jay Haley, John Weakland, Toward aTheory of Schizophrenia, <strong>in</strong>: Behavioral Science, 1956, 1., S. 251-264.28 Siehe Anm. 6; unter dem Titel: "Conflict and Liberty: Some remarks on the<strong>Social</strong> Structure of Gerrnan Politics" war dies der Text des Sidney Ball MemorialLecture der Universitat Oxford, das R. Dahrendorf am 2.11.1962 gehalten hat.E<strong>in</strong>e Veröffentlichung unter demselben Titel erfolgte im British Journal of SociologyXIV/3 (September 1963).29 R. Dahrendorf, a.a.o., S. 16730 Dr. Egon Müller, Strafverteidigung, NJW 1981, S. 1801-1807.31 So wörtlich Jescheck, <strong>in</strong>: Jescheck-Lüttger, <strong>in</strong>: Festschrift Eduard Dreher,1977, S. 783; vgl. auch Driendl, JZ 1980, 457 ff. (Anmerkung von Egon Müller).32 Vgl. auch Hasserner, ZRP 1980, 327 (Anmerkung von Egon Müller).33 Egon Müller, a. a. 0., S. 180134 Ebenda, S. 180335 Ebenda, S. 180436 Max Weber, Politik als Beruf, <strong>in</strong>: Gesammelte <strong>Politische</strong> Schriften, München1971, S. 396-450.37 Rechtsanwält<strong>in</strong> Petra Rogge (Büro Groenewold) auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenzam 15.12.76; Gutachten A (nicht veröffentlicht) von Prof. Dr. W<strong>in</strong>fried Hassemerund Prof. Dr. Jürgen Welp am 10.11.77 vor dem OLG Hamburg, S. 4-11.38 Gutachten A, a. a. 0., (Fn. 4) S. 5.39 Ebenda, S. 88-8940 Ebenda, S. 75-77 und 22-32, wor<strong>in</strong> der Inhalt von 19 Gesprächen und dieInterpretation des GBA wiedergegeben s<strong>in</strong>d.41 Ebenda, S. 62-7742 Dreher, StGB, 37. Aufl., Rdz. 1 zu § 353 d; siehe auch J. Bornkamm,Pressefreiheit und Fairness des Strafverfahrens. Die Grenzen der Berichterstattungüber schwebende Strafverfahren im englischen, amerikanischen und deutschenRecht, Nomos Verlagsgesellschaft, Reihe: Rechtsvergleichende Untersuchungenzur gesamten Strafrechtswissenschaft, hrsg. vom Max-Planck-Institut fürausländisches und <strong>in</strong>ternationales Strafrecht <strong>in</strong> Freiburg/Breisgau, 3. Folge, Band10, Baden-Baden 1980.43 Vgl. u. a. FAZ vom 18.8.76; Bild vom 19.8.76.44 So das Verwaltungsgericht Köln im Urteil vom 25.5.77 gegen die BRD, Az: 8K 3327/76.45 Vgl. Stern vom 27.1.77 (Titel "Rettet den Rechtsstaat") und 10.2.77.46 Siehe Anm. 4447 Urteil (Anm. 44), S. 1448 Vgl. Kurt Groenewold, Angeklagt als Verteidiger, Attica, Hamburg 1978, S.151-162.49 Ebenda, S. 16250 Nach persönlicher Information von RA Ra<strong>in</strong>er Köncke.51 Vgl. Kurt Groenewold, Angeklagt als ... , a. a. 0., mit der ausführlichenProzeßerklärung von Groenewold, vielen Anträgen se<strong>in</strong>er Rechtsanwälte, Beschlüssendes OLG, Analysen zum Prozeß und umfangreichem Pressespiegel;siehe auch: Plädoyers <strong>in</strong> der Strafsache gegen Kurt Groenewold - Erik von Bagge,Roland Houver, Ulrich K. Preuß, Re<strong>in</strong>hard Zimmermann, Attica, Hamburg 1978.52 Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 10.7.78, <strong>in</strong>:Juristenzeitung 1979, 275 ff. und Kritische Justiz 1979, 72 ff.; vgl. § 56 StGB.53 Jürgen Seifert, Anmerkungen zum Groenewold-Urteil, <strong>in</strong>: Kritische Justiz1979, S. 80-86; Heribert Osten dorf, <strong>Verteidigung</strong> am Scheideweg, Juristenzeitung1979, S. 252-256.54 Gutachten C (nicht veröffentlicht), S. 34-53; vgl. Richard Sturm, ZurBekämpfung terroristischer Vere<strong>in</strong>igungen. E<strong>in</strong> Beitrag zum Gesetz vom 18.August 1976, <strong>in</strong>: MDR 1977, S. 6.55 Gutachten c., S. 49.56 a. a. 0., S. 3757 Ebenda, S. 4458 Ebenda648649~


59 Ebenda, S. 3960 Groenewold-Urteil S. 113; Juristenzeitung 1979, S. 276 und Kritische Justiz1979, S. 74.61 a. a. O.62 Urteil, S. 114; Juristenzeitung 1979, S. 276; Kritische Justiz 1979, S. 75.63 Urteil, S. 114; dieser Satz ist nicht <strong>in</strong> der Juristenzeitung enthalten; KritischeJustiz 1979, S. 75.64 Urteil, S. 46: nicht enthalten <strong>in</strong> Juristenzeitung und Kritische Justiz.65 Ostendorf, a. a. 0., S. 25566 Urteil, S. 114; Juristenzeitung 1979, S. 276; Kritische Justiz 1979, S. 75.67 Urteil, S. 115; Juristenzeitung 1979, S. 276; Kritische Justiz 1979, S. 75.68 Vgl. Kurt Groenewold, Angeklagt als Verteidiger, a. a. 0., S. 110-111.69 Vgl. ebenda, S. 111-11370 Vgl. ebenda, S. 113-11671 Gutachten C, S. 46-4772 Ebenda, S. 90-9173 Urteil, S. 104 (Anm. von Ostendorf).74 FR vom 10.7.78, S. 1 (Anm. von Ostendorf).75 Ostendorf, a. a. 0., S. 25676 Urteil, S. 61; vgl. Kritische Justiz 1979, S. 75, Fn. 5.77 Urteil, S. 71; vgl. Kritische Justiz 1979, S. 76, Fn. 6.78 Urteil, S. 115; Juristenzeitung 1979, S. 276-277, Kritische Justiz, S. 76.79 Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1970 klassifiziert <strong>in</strong> diesem Zusammenhangden Hungerstreik als "das erste und natürliche Recht des Gefangenen",Der Archipel Gulag, 1974, S. 448 (Anm. von Ostendorf)80 Hierzu Rox<strong>in</strong>, Juristische Schulung 1964, 377 (Anm. von Ostendorf).81 Ostendorf, a. a. 0., S. 25682 Urteil, S. 116; Juristenzeitung 1979, S. 277; Kritische Justiz 1979, S. 76.83 Ostendorf, a. a. 0., S. 25584 Plädoyers <strong>in</strong> der Strafsache gegen Kurt Groenewold, a. a. 0., S. 22085 Urteil, S. 120-121; Kritische Justiz 1979, S. 7886 Urteil, S. 121; Kritische Justiz 1979, S. 7987 Vgl. §§ 17 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB88 Urteil, S. 120; Kritische Justiz 1979, S. 7889 Seifert, a. a. 0., S. 8690 Ebenda91 In: Der Prozeß gegen Klaus Croissant, Fantasia-Druck, Stuttgart 1979, S.15-20.92 Vgl. Kap. 11, 3.3.93 Der Prozeß gegen Klaus Croissant, a. a. 0., S. 1894 LG Stuttgart, XII KLs 97/76, nicht veröffentlicht95 Der Prozeß gegen Klaus Croissant, a. a. 0., S. 2096 Vgl. Der Spiegel vom 1.8.77 und vor allem vom 10.10.77 (zweiter Teil e<strong>in</strong>erSerie über "Sympathisanten" mit e<strong>in</strong>em Foto Croissants auf der Titelseite unterder Schlagzeile "Terroristen-Anwälte"); siehe z. B. auch die FR-Kommentare vom2. und 4.8.77 und die FAZ vom 1.8.77 mit der Schlagzeile "Betreiben dieTerroristen <strong>in</strong> diesem Land e<strong>in</strong>e Strategie der verbrannten Erde?", Unterzeile"Das Büro Croissant <strong>in</strong> Stuttgart 1 Das '<strong>in</strong>fo'-System/Stützpunkte im Ausland".65097 Vgl. den Artikel "Wir wußten wirklich nicht wo er war", <strong>in</strong>: Der Spiegel 4011977, S. 139-145.98 Z.B. Badische Neueste Nachrichten vom 10.9.77, S. 2, Schlagzeile "DecktMitterand Terroristenanwalt Croissant?"99 Vgl. taz vom 10.9.77, S. 3100 Z.B. Rhe<strong>in</strong>ische Post vom 10.9.77, S. 2, Schlagzeile "In Frankreich e<strong>in</strong>Freiheitsheld", Unterzeile "Verhalten der Pariser Behörden gegenüber Croissantist e<strong>in</strong> Skandal".101 FAZ vom 10.9.77, S. 3102 Vgl. Neue Zürcher Zeitung v. 24.9.77 und Der Spiegel vom 26.9.77, S.143.103 Der Spiegel v. 26.9.77, S. 142104 Z.B. <strong>in</strong>: "Sur I'Extradiction de Me. Croissant", Le Monde vom 26.11.77105 Dieser neue Haftbefehl ist veröffentlicht <strong>in</strong>: Der Prozeß gegen KlausCroissant, a. a. 0., S. 22-32.106 Urteil des LG Stuttgart vom 16.2.79, Geschäfts-Nr. XII KLS 97/76 (nichtveröffentlicht), S. 75.107 Der Prozeß gegen Klaus Croissant, a. a. 0., auf Seiten 54-57 sowohl derfranzösische Orig<strong>in</strong>altext als auch die beglaubigte übersetzung des Auslieferungsdekrets<strong>in</strong> Fotokopie.108 BGBI1953 11,151, 155; 195911,1251109 BGH, Beschluß vom 28.9.78, Az: 1 BJS 89/77 1St B 197/78.110 Article 267 Code Penal: Sera puni de la reclusion quiconque aura sciemmentet volontairement favorise les auteurs des crimes prevus a I'article 265, enleur fournissant des <strong>in</strong>struments de crime, moyens de correspondence, logementou lieu de reunion.111 Article 265 Code Penal: Toute association formee, quelle que soit sa dureeou le nombre de ses membres, toute entente etablie dans le but de preparer ou decommettre des crimes contre les personnes ou les proprietes constituent un crimecontre la paix publique.112 BGH vom 14.11.79, 3 StR 323/79 (S), S. 5113 Ebenda, S. 5114 Croissant-Urteil (Anm. 106), S. 330115 Dieser Haftbefehl ist <strong>in</strong> Fotokopie veröffentlicht <strong>in</strong> "Der Prozeß gegenKlaus Croissant", a. a. 0., S. 34--41.116 Vgl. Der Prozeß gegen Klaus Croissant, a. a. 0., S. 47-51117 Der Spiegel vom 12.2.79, S. 36118 Sei es auch nach ausführlicher Diskussion se<strong>in</strong>er eventuellen Rolle beidiesen Streiks im Zusammenhang mit dem Info-System; vgl. Croissant-Urteil, S.339-344.119 Ebenda, S. 351-352120 Vgl. den schon <strong>in</strong> Kap. VIII, 1 erwähnten "Hosenladenerlaß"; dazu auch:Die Vollstreckung der Entkleidungsordnung - Verteidigerausschluß durch Sitzungspolizei,Hg. Rechtsanwält<strong>in</strong>ie Jutta Bahr-Jendges, Ra<strong>in</strong>er Fromann, HansHe<strong>in</strong>z Heldmann, Bremen 1978.121 Gutachten vom 17.3.78, 11 Seiten, nicht veröffentlicht122 vgl. Der Prozeß gegen Klaus Croissant, a. a. 0., S. 61123 Croissant-Urteil, S. 348--349651;


124 Ebenda, S. 353-354Literaturverzeichnis(Auswahl)Abendroth, Wolfgang: Arbeiterklasse, Staat und Verfassung, EVA, Frankfurt­Köln 1975Abendroth/Azzola u. a.: Schutz oder Beugung der Verfassung?, Hefte zu politischenGegenwartsfragen 25, Pahl-Rugenste<strong>in</strong>, Köln 1975L' Affaire Croissant, Maspero, Paris 1977Agit-Druckerei: Das Urteil vom Agit-Prozeß, Agit-Druck, Berl<strong>in</strong> 1979Agnoli, Johannes: Die Transformation der Demokratie, <strong>in</strong> AgnolilBrückner: DieTransformation der Demokratie, Berl<strong>in</strong> 1967Agnoli, Johannes: überlegungen zum Bürgerlichen Staat, Wagenbach, Berl<strong>in</strong>1975Amelung, Knut: Erweitern allgeme<strong>in</strong>e Rechtfertigungsgründe, <strong>in</strong>sbesondere § 34StGB, hoheitliche E<strong>in</strong>griffsbefugnisse des Staates?, NJW 1977, S. 833Amelung, Knut: Nochmals § 34 StGB als öffentlichrechtliche E<strong>in</strong>griffsnorm?, NJW1978,S. 623Analysen zum Terrorismus, Bd. I: I. Fetcher u. a., Ideologien und Strategien,1981; Bd. 2: H. Jäger u. a., Lebenslaufanalysen, 1981; Bd. 3: W. von Baeyer­Katte u. a., Gruppenprozesse, 1982; Bd. 4/1: U. Matz u. a., Gewalt und Legitimität,1983; Bd. 4/2, F. Sack u. a., Protest und Reaktion, 1984 - West deutscherVerlag, Opladen.Ancel, Marc: Le Crime Politique et le Droit Penal du V<strong>in</strong>gtieme Siede, Revued'Histoire Politique et Constitutionelle, Vol. 2 (1938), S. 82.Amdt, Adolf: Der Rechtsstaat und se<strong>in</strong> polizeilicher Verfassungsschutz, NJW1961, S. 897Amdt, Adolf: Umwelt und Recht, NJW 1964, S. 2146Ausschaltung politischer <strong>Verteidigung</strong>, Dokumentation zu den Ehrengerichtsverfahrengegen Rechtsanwälte aus dem Raum Frankfurt a. M., Darmstadt undHeidelberg, Hg. Regional<strong>in</strong>itiative politischer Verteidiger und AStA Uni Ffm.,Frankfurt 1977Ausschluß der Verteidiger - wie und warum?, Merve Arbeitspapiere Nr. 17, Berl<strong>in</strong>1975652Die Baader-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe, Walter de Gruyter, Berl<strong>in</strong> 1973Bakker Schut, P. H.: Een Muilkorfwet, <strong>in</strong>: Recht, Macht en Manipulatie, HetSpektrum, UtrechtlAntwerpen 1976, S. 230Balbus, Isaac D.: The Dialectics of Legal Repression, Russel Sage Foundation,New York 1973Bateson, Gregory/Don D. Jackson/Jay Haley/John Weakland: Toward a Theoryof Schizophrenia, <strong>in</strong>: Behavioral Science, 1956, 1, S. 251Bauer, Fritz:Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Staatsbürgers (1963),<strong>in</strong>: Widerstandsrecht, Hg. Arthur Kaufmann, Darmstadt 1972Beaufre, Andre: La guerre revolutionnaire, Artheme Fayard, Paris 1972; deutscheAusgabe: Die Revolutionierung der Kriegsbilder, Neue Formen der Gewaltanwendung,Seewald, Stuttgart 1973653 ,


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Johan Niez<strong>in</strong>g, Rotterdam University Press, Rotterdam 1974Veegens, D.J.: Grensproblemen van de verdedig<strong>in</strong>g <strong>in</strong> strafzaken, NJB 1975, S.809Die <strong>Verteidigung</strong> auf der Anklagebank, Hg. Werner Baufeit, Hamburg 1977The Vietnam Wars and International Law, Ed. Richard A. Falk (4 Volumes),Pr<strong>in</strong>ceton, New Jersey 1968-1976V<strong>in</strong>ke, Hermann/Gabriele Witt: Die Anti-Terror-Debatten im Parlament, Protokolle1974-1978, Rowohlt, Re<strong>in</strong>bek 1978Die Vollstreckung der Entkleidungsordnung - Verteidigerausschluß durch Sitzungspolizei- Zum 2. Prozeß gegen Irmgard Möller, Hg. Rechtsanwält<strong>in</strong> JuttaBahr- Jendges, Rechtsanwälte Ra<strong>in</strong>er Fromann und Hans He<strong>in</strong>z Heldmann,Bremen 1978Von all dem haben wir nichts gewußt..., Dokumentation über den 17./18.10.77660661


<strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> und Mogadischu, Ermittlungs<strong>in</strong>itiative Frankfurt, Frankfurt1978Von der Zwangsernährung zur "Koma-Lösung", Methoden des Staatsschutzesgegen die Gefangenen im kollektiven Hungerstreik 1984/85. Die "saubere"L<strong>in</strong>ie, erprobt am Gefangenen aus der RAF, Knut Folkerts - Berichte, Analysen,Dokumente - Hg. Anwält<strong>in</strong>nen und Anwälte Dieter Adler u. a., Hannover1985Vorläufiger Bericht vom 26.10.77 der Landesregierung Baden-Württemberg,Drucksache 7/2500Wagner, Joachim: Anmerkungen zum Beschluß des OLG Koblenz vom 2.6.77,JR 1977, S. 471Wagner, Joachim: Selbstmord und Selbstmordverh<strong>in</strong>derung. Zugleich e<strong>in</strong> Beitragzur Verfassungsmäßigkeit der Zwangsernährung, Müller, Karlsruhe 1976Wagner, Joachim: Terrorismus, Hochverrat und Abhörgesetz, NJW 1980, S. 913Walde, Thomas: ND-Report, Piper 1971Watzlawick, PauVJanet Heirnick Beav<strong>in</strong>/Don D. Jackson: Oe pragmatische aspectenvan de menselijke communicatie, Van Loghum Slaterus, Deventer 1970(Ursprünglich: Pragmatics of Human Communications, Norton, New York1967; deutsche Ausgabe: Menschliche Kommunikation, Huber, Bem/Stuttgart1969)Weathermen, Ed. Harold Jacobs, Ramparts Press 1970Weber, Max: Politik als Beruf, <strong>in</strong>: Gesammelte <strong>Politische</strong> Schriften, München1971,S. 396Welp, Jürgen: Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 1978, S. 101" ... Wenn Sie dennoch von Isolation sprechen, dann trifft dies objektiv zu ... " DerVollzug der Vernichtungs haft am Beispiel des Gefangenen aus der RAF, GünterSonnenberg. Chronologie e<strong>in</strong>es Programms, Hg. Anwält<strong>in</strong>nen und AnwalteDieter Adler u. a., Hannover, August 1985Wilk<strong>in</strong>son, Paul: Terrorism and the liberal State, Macmillan, London 1977Die Wunder von <strong>Stammheim</strong> vor Gericht - Wir glauben immer noch nicht anSelbstmord, Reents Verlag, Hamburg 1979Zoll<strong>in</strong>g/Hohne, Pullach Intern, Mohn 1971662AbkürzungenaAa.a.O.abI.Abs.Abschn.Adv.Blada.E.a.F.AGAJlLa.M.Anm.AnwBlAöRAPOARDArt.Aufl.AVAzBaaderu. a.BAWBBGBd.BOABOIBfBNBGBIBGHBGHEBGHStBGSBKABM(-Gruppe)BNDBRAKBRAOanderer Ansichtam angegebenen OrtablehnendAbsatzAbschnittAdvocatenblad (niederländisches Anwaltsblatt)am Endealte FassungAmtsgerichtAmerican Journal for International Lawanderer Me<strong>in</strong>ungAnmerkungAnwaltsblattArchiv des öffentlichen RechtsAußerparlamentarische OppositionArbeitsgeme<strong>in</strong>schaft der Rundfunkanstalten Deutschlands(1. Fernsehprogramm)ArtikelAuflageAnwaltsverordnungAktenzeichenAmtlich verwendete Abkürzung im Schriftverkehr desStrafverfahrensgegen Baader, Enssl<strong>in</strong>, Me<strong>in</strong>hof, Me<strong>in</strong>s, Raspe.Bundesanwaltschaft 1 s<strong>in</strong>ngemäß: BundesanwaltBundesbeamtengesetzBandBundesvere<strong>in</strong>igung der Deutschen ArbeitgeberverbändeBundesverband der Deutschen IndustrieBeschwerdeführerBundesamt für VerfassungsschutzBundesgesetzblattBundesgerichtshofEntscheidungen des BGHEntscheidungen des BGH <strong>in</strong> <strong>Strafsachen</strong>BundesgrenzschutzBundeskrim<strong>in</strong>alamtBaader-Me<strong>in</strong>hof(-Gruppe); Anfang der 70er Jahre populäreBezeichnung für die Rote Armee Fraktion (RAF)Bundesnachrichtendienst (vorm. "Organisation Gehlen")BundesrechtsanwaltskammerBundesrechtsanwaltsordnung663,


BRDBSBT( -Drucks.)BVDBVerfG/BVGBVerfGEBVerwGBVerwGEBYILBZCDUCIAClCRCSUDAVD. enD.DFGDlHTdpa/DPADRDRiZBundesrepublik DeutschlandBakker Schut (Anmerkungen des Autors)Bundestags( -Drucksache)B<strong>in</strong>nenlandse Veiligheids Dienst (niederländisches Amt für­Staatsschutz)BundesverfassungsgerichtEntscheidungen des BundesverfassungsgerichtsBundesverwaltungsgerichtEntscheidungen des BundesverwaltungsgerichtsBelgian Yearbook of International LawBerl<strong>in</strong>er ZeitungChristlich-Demokratische UnionCentrallntelligence AgencyComite International de la Croix Rouge / Internationales Komiteevom Roten KreuzChristlich-Soziale UnionDeutscher AnwaIts- Vere<strong>in</strong>Delikt en Del<strong>in</strong>kwent (niederländische Monatsschrift für Strafrechtswissenschaften)Delitsche Forschungsgeme<strong>in</strong>schaftDeutscher Industrie- und Handelstag: Zusammenschluß derIndustrie- und Handelskammern <strong>in</strong> der BRDDeutsche PresseagenturDeutsches RechtDeutsche Richter ZeitunghMHRHS/hsLd.F.IG Farben-HausIKRKIsoIVKLV.m.LS.v.JAJg.JRJuS/JSJVAJWJZKGKHKKJKOKherrschende Me<strong>in</strong>ungHoge Raar der Nederlanden (höchste niederländische Gerichts<strong>in</strong>stanz)Hungerstreik<strong>in</strong> der FassungBis 1945 Sitz der "Interessengeme<strong>in</strong>schaft Farben<strong>in</strong>dustrieAG"; größter deutscher Chemiekonzern mit <strong>in</strong>ternationalenAblegern u. a. <strong>in</strong> den USA und der SchweizInternationales Komitee vom Roten Kreuz (s. CICR)IsolationInternationales Komitee zur <strong>Verteidigung</strong> politischer Gefangener<strong>in</strong>Westeuropa<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mitim S<strong>in</strong>ne vonJuristische ArbeitsblätterJahrgangJuristische RundschauJuristische SchulungJustizvollzugsanstaltJuristische WochenschriftJuristenzeitungKammergerichtKrim<strong>in</strong>alhauptkommissarKritische JustizKrim<strong>in</strong>aloberkommissarEGGVGEGHE<strong>in</strong>!.E<strong>in</strong>führungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)Ehrengerichtshof für RechtsanwälteE<strong>in</strong>leitungLGLKALMLandgerichtLandeskrim<strong>in</strong>alamtL<strong>in</strong>denmaier-Möhr<strong>in</strong>g; Nachschlagewerk des BGHFAZFDPFnFNLFRFrelimoFrankfurter Allgeme<strong>in</strong>e ZeitungFreie Demokratische ParteiFußnoteNationale Befreiungsfront von Südvietnarn (Vietcong)Frankfurter RundschauFrente de Libertacao de Mocambique: Befreiungsfront vonMosambiqueMdBMdLMDRMEKMossadMRKMitglied des BundestagsMitglied des LandtagsMonatsschrift für Deutsches RechtMobiles E<strong>in</strong>satz-Kommando; Antiterrorismus-E<strong>in</strong>heit derBundesländerIsraelischer Geheimdienst, vergleichbar mit CIAEuropäische MenschenrechtskonventionGAGBAGGGSG9GStAGVGGoldammers Archiv für StrafrechtGeneralbundesanwaltGrundgesetzGrenzschutzgruppe 9: Antiterrore<strong>in</strong>heit des BundesgrenzschutzesGeneralstaatsanwaltGerichtsverfassungsgesetzn. F.NJNJBNJWNRZNSAneue FassungNederlandse Jurisprudentie (wichtigste Sammlung holländischerGerichtsurteile )Nederlands Juristenblad (die niederländische NJW)Neue Juristische WochenschriftNeue Ruhr-ZeitungNational Security Agency664665


NYILOLGOStAOVGPAIGCPKPLONetherlands Yearbook of International LawOberlandesgerichtOberstaatsanwaltOberverwaltungsgerichtBefreiungsfrontPressekonferenzPaläst<strong>in</strong>ensischevon Gu<strong>in</strong>ea-BissauBefreiungs-OrganisationVAVGVol.VwGOWDRWRVWvSrWvSvVollzugsanstaltVerwaltungsgerichtVolume (englisch und französisch für Band)VerwaltungsgerichtsordnungWestdeutscher RundfunkWeimarer ReichsverfassungWetboek van Strafrecht (niederländisches StGB)Wetboek van Strafvorder<strong>in</strong>g (niederländische StPO)RA(e)RAFRAKRdnRGRGBIRGStRzRechtsanwalt(anwälte)Rote Armee FraktionRechtsanwaltskammerRandnummerReichsgerichtReichsgesetzblattEntscheidungen des Reichsgerichts <strong>in</strong> <strong>Strafsachen</strong>RandzifferzezkhZ.n. / z.n.ZRPZStWZwangsernährungZentralkrankenhaus (JVA Hamburg)Zitiert nach."Zeitschrift für RechtspolitikZeitschrift für die gesamten StrafrechtswissenschaftenS.SAOSartoriuslSASSFB (115)SPDSPKStAStgStGBStPOStVollzGStVRErgGStVRGSrSvSZSatz/SeiteSammelordnerVerfassungs- und Verwaltungsgesetze der BRD, LoseblattsammlungSpecial Air Service Regiment, englische Anti-Terror-E<strong>in</strong>heit,vergleichbar mit GSG 9; zwei SAS-Angehörige waren als Beraterder GSG 9 <strong>in</strong> Mogadischu anwesendSonderforschungsbereich (115)Soziademokratische Partei DeutschlandsSozialistisches Patienten-KollektivStaatsanwalt! -schaftStuttgartStrafgesetzbuchStrafprozeßordnungStrafvollzugsgesetzGesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform desStrafverfahrensrechts v. 20.12.74 (BGBI I 3686)Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts v. 9.12.74(BGB! I 3393)siehe WvSrsiehe WvSvSüddeutsche Zeitungtaztageszeitung(Berl<strong>in</strong>)u. a.U-HaftUNOIUNUVollzOunter anderemUntersuchungshaftVere<strong>in</strong>te NationenUntersuchungshaftvollzugsordnung666667


NamensverzeichnisAbrams, CreightonAdenauer, KonradAdler, DieterAdomo, Theodor W.Agee, PhilipAnderson, WilliamAugust<strong>in</strong>, RonaldAzzola,. AxelBarz, IngeborgBeauvoir, Simone deBebeI, AugustBecker, Marie-LuiseBeer, WolfgangBender, TraugottBenjam<strong>in</strong>, WalterBerberich, MonikaBerroth, UlrichBöll<strong>in</strong>g, KlausBoenisch, PeterBrandt, He<strong>in</strong>zBrandt, WillyBraun, BemhardBrenneke-Eggers, AnkeBreucker, KurtBuback, Siegfried668Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte <strong>in</strong> Vietnam1876-1967; 1945 Mitbegründer der CDU, 1949Bundesvorsitzender der CDU; 1949-1963 Bundeskanzler(1951-1955 <strong>in</strong> Personalunion Außenm<strong>in</strong>ister)Rechtsanwalt <strong>in</strong> Hannover1903-1969; Philosoph und SoziologeEhemaliger CIA-AgentMitglied US-KongressEhemaliger Gefangener aus der RAFHochschullehrer für Öffentliches Recht und ehemaligerVerteidiger von Ulrike Me<strong>in</strong>hofEhemaliges Mitglied der RAF1908-1986; Französische Schriftsteller<strong>in</strong>1840-1913; 1869 Mitbegründer der sozialdemokratischenArbeiterparteiRechtsanwält<strong>in</strong> <strong>in</strong> HeidelbergMitglied der RAFehemaliger Justizm<strong>in</strong>ister Baden-Württemberg(Rücktritt)1892-1940; marxistischer SchriftstellerGefangene aus der RAFRichter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>* 1928; 1974-1980, April-Okt. 1982 Regierungssprecher* 1927; Chefredakteur "Bildzeitung" und "DieWelt"; 1983-1985 Sprecher der Bundesregierung,Rücktritt wegen Vorwurfs der Steuerh<strong>in</strong>terziehung1934-1945 Zuchthaus und KZ; 1958 RedakteurIG Metall; 1961 <strong>in</strong> die DDR verschleppt, 1964 auf<strong>in</strong>ternationalen Protest h<strong>in</strong> freigelassen; bis 1974Gewerkschaftsfunktionär* 1913; seit 1964 SPD-Vorsitzender; 1966-1969Außenm<strong>in</strong>ister und Vizekanzlerder Großen Koalition,1969-1974 Bundeskanzler; seit 1976 Vorsitzenderder Sozialistischen InternationaleEhemaliger Gefangener aus der RAFRechtsanwält<strong>in</strong>Richter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>1920-1977; 1959 Erster Staatsanwalt beim BGH,1963 Oberstaatsanwalt, 1971 Bundesanwalt,Buddenberg, WolfgangBuschelbusche, JürgenBückIer, GeorgCallaghan, JamesCasselmann,Carstens, KarlCarter, JimmyCavefors, BoCheCroissant, KlausColby, William E.DavisDavison, Michael S.Degenhardt, Franz-JosefDehler, ThomasDellwo, Karl-He<strong>in</strong>zDrenckmann, Günther vonDutschke, RudiDürr, HerrnannEgglerEhmke, HorstEisenhower, Dwight D.Engelhard, Hans A.Engels, FriedrichErhardtErhardt, LudwigEyadema, Gnass<strong>in</strong>gbeFalk, RichardFanon, FrantzPressesprecher des BGH; leitete Fahndung nach"Baader u.a.", 1974 GBA; am 7.4.77 von derRAF erschossen* 1911, BGH-Richter* 1944, Redakteur FAZDirektor JVA Köln-Ossendorf* 1912; 1976-1979 britischer Premierm<strong>in</strong>isterArzt* 1914; 1972-1979CDU-MdB; 1979-1983 Bundespräsident* 1924; 1976-1980 Präsident der USASchwedischer Verlegers. GuevaraRechtsanwaltEhemaliger CIA-DirektorSAS-AgentGeneral; Oberbefehlshaber US-Armee <strong>in</strong> EuropaLiedermacher und Rechtsanwalt1897-1967; 1945 Mitbegründer der FDP;1949-1953 Bundesjustizm<strong>in</strong>isterGefangener aus der RAFKammergerichtspräsident <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>; am 10.11.74von e<strong>in</strong>em Kommando der Bewegung 2. Juni erschossen1940-1979; führender Theoretiker der außerpar ­lamentarischen Opposition (APO); 11.4.68 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>angeschossen, 24.12.79 an den Folgen gestorben* 1925; 1957-1965FDP-MdB, 1969-1980SPD­MdB, Mitglieddes Rechtsausschusses des BundestagsZwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>* 1927; 1969 Bundesjustizm<strong>in</strong>ister, 1969-1972Leiter des Bundeskanzleramts, 1972-1974 PostundForschungsm<strong>in</strong>isterUS-Präsident* 1934; seit 1982 Bundesjustizm<strong>in</strong>ister (FDP)1820-1895; Philosoph, Politiker; mit Karl Marx1847 Verfasser des Kommunistischen Manifests;sozialpolitische, geschichtliche und militärwissenschaftIicheForschungen und SchriftenPsychologe, Gutachter <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>1897-1977; 1949-1963 Bundeswirtschaftsm<strong>in</strong>ister("Vater des Wirtschaftswunders");1963-1966 BundeskanzlerSeit 1967 Präsident von TogoVölkerrechtler Pr<strong>in</strong>ceton1925-1961; Algerischer Arztund Psychiater; afro-669


Filb<strong>in</strong>ger, HansFolkerts, KnutFoth, EberhardFoucault, MichelFreuerFriedlandFröhlich, SiegfriedGaltung, JohanGehlen, Re<strong>in</strong>hardGenscher, Hans-DietrichGnäd<strong>in</strong>ger, Fritz-JoachimGoette, BemdGolzem, Arm<strong>in</strong>Grashof, GünterGrigatGroenewold, KurtGross,lanGrundmann, WolfgangGuevara, Emesto "Che"Haag, SiegfriedHabermas, JürgenHaig, AlexanderHammerschmidt, Kathar<strong>in</strong>aHannover, He<strong>in</strong>richamerikanischer Schriftsteller ("Die Verdammtendieser Erde")* 1913; 1966-1978 M<strong>in</strong>isterpräsident Baden­Württemberg, Rücktritt wegen Aufdeckung se<strong>in</strong>erUrteile als Mar<strong>in</strong>erichter 1945Gefangener aus der RAFRichter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>1926-1984; französischer Philosoph und SchriftsteilerErsatzrichter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Vollzugsarztunter Maihofer Staatsekretär Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriumFriedensforscher, Stockholm International PeaceResearch Institute (SIPRI)1902-1979; 1942-1943 Leiter der Abteilung"Fremde Heere Ost" Generalstab des Heeres; ab1945 im Auftrag der amerikanischen Besatzer Aufbauder "Organisation Gehlen", seit 1956 Bundesnachrichtendienst(BND), dessen erster PräsidentGehlen war.* 1927; 1969-1974 Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister, seit1974 Bundesaußenm<strong>in</strong>ister und Stellvertreter desBundeskanzlers; FDP-Bundesvorsitzender* 1938; Staatsanwalt a.D.; 1969-1975 SPD-MdBPsychiater <strong>in</strong> der JVA Köln-OssendorfRechtsanwaltEhemaliger Gefangener aus der RAFZwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>RechtsanwaltPsychiaterEhemaliger Gefangener aus der RAF1928-1955; late<strong>in</strong>amerikanischer Revolutionär,PolitikerRechtsanwalt, später Mitglied der RAF, jetzt Gefangener* 1929; Philosoph; 1971 Direktor am Max-Planck­Inst.* 1924; Berufsmilitär; E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Vietnam, Sicherheitsberaterunter Präsident Richard M. Nixon;1974 Oberbefehlshaber der NATOund der amerikanischenTruppen <strong>in</strong> Europa; nach mißlungenemAttentat der RAF im Juni 1979 aus demaktiven Militärdienst geschieden; 1980-1982 US­Außenm<strong>in</strong>ister (Rücktritt)1943-1975; Mitglied der RAF; starb an e<strong>in</strong>em imGefängnis nicht behandelten TumorRechtsanwaltHausner, SiegfriedHawk<strong>in</strong>s, AugustusHe<strong>in</strong>emann, GustavHeldmann, Hans-He<strong>in</strong>zHelms, RichardHenderson, OberstHemfler, KarlHenck, HelmutHerold, HorstHoff, DierkHoffmann, DieterHolland, KlausHoppe, WernerHorkheimer, MaxHorowitz, DavidHuber, WolfgangHänle, JosefIgnatius, PaulJacobsJames, DanielJaroschJohnsonJünschke, KlausKaul, FelixKennedy, John F.KhaledKies<strong>in</strong>ger, Kurt GeorgKiesl, ErichKirchheimer, OttoKitson, FrankKlar, ChristianKlug, UlrichMitglied der RAF; <strong>in</strong> der Botschaft der BRD <strong>in</strong>Stockholm lebensgefährlich verletzt; ohne ausreichendeärztliche Versorgung ausgeflogen undam 4.5.75 <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> gestorbenMitglied US-KongreßRechtsanwalt; 1949-1950 Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister(CDUl; Rücktritt wegen Remilitarisierung; Mai,1957 SPD-Mitglied; 1957-1966 MdB; 1966 bis1969 Bundesjustizm<strong>in</strong>ister; 1969-1974 BundespräsidentRechtsanwaltEhern. ClA-DirektorKommandeur 11. Brigade der US-Armee <strong>in</strong>Vietnam, verantwortlich für das Massaker vonMy Lai* 1915; 1969-1974 Justizm<strong>in</strong>ister HessenArzt und Psychiater JVA <strong>Stammheim</strong>* 1923; 1967-1971 Polizeipräsident Nürnberg;1971-1980 Präsident Bundeskrim<strong>in</strong>alamt Wiesbaden"Kronzeuge "RechtsanwaltStaatsanwalt <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Ehemaliger Gefangener aus der RAFPhilosoph und Soziologeals Zeuge zu Vietnam-Beweisanträgen benanntMitbegründer des Sozialistischen Patienten-Kollektivs(SPK), Heidelberg1973 von Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g abgelöster Vorsitzender des 2.Strafsenats am OLG StuttgartMitarbeiter im PentagonZeugeStellvertr. US-<strong>Verteidigung</strong>sm<strong>in</strong>isterGutachter (Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hof)US-PräsidentEhemaliger Gefangener aus der RAF* 1920, BundesanwaltUS-Präsident1913-1982 König von Saudi-ArabienBundeskanzler* 1930; 1970-1978 Staatssekretär Innenm<strong>in</strong>isteriumBayernVerfasser des Standardwerkes "<strong>Politische</strong> Justiz"Englischer Counter<strong>in</strong>surgency-Stratege, Brigadegeneral<strong>in</strong> Kenia, Malaysia, Zypern und Irland,Autor des Buchs "Im Vorfeld des Krieges"Gefangener aus der RAF* 1913; 1971-1974 FDP-Staatssekretär Justiz-670671


Koch, BerndKoch, Ra<strong>in</strong>erKöncke, Ra<strong>in</strong>erKönigKosalkoKrügerKrumm/krumm, Karl-He<strong>in</strong>zKühn, He<strong>in</strong>zKünzelLaird, Melv<strong>in</strong>Lang, JörgLaubscher,JürgenLen<strong>in</strong>/len<strong>in</strong>, Wladimir lljitsch(Uljanow)Lenz, Carl O.L<strong>in</strong>keL<strong>in</strong>ke, GeorgLorenz, PeterMahler, HorstMaier, AlbrechtMaier, HubertMaier-Tasch,Maihofer, WernerMallach, Hans-JoachimMao Tse-tungMarchetti, Victorm<strong>in</strong>isterium Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, 1974-1977 lnnensenatorHamburgRechtsanwaltRechtsanwaltRechtsanwaltZwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Angehöriger der US-Armeeals Zeuge gehörter BundesanwaltRedakteur FR* 1912; 1966-1978 M<strong>in</strong>isterpräsident Nordrhe<strong>in</strong>­WestfalenZwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Ehemaliger US-<strong>Verteidigung</strong>sm<strong>in</strong>isterRechtsanwaltRechtsanwalt1878-1924; Revolutionär; entwickelte aus denLehren von Marx und Engels die theoretischenGrundlagen e<strong>in</strong>es revolutionären Programms;führte mit anderen die russische Oktoberrevolution1917 zum Erfolg*1930; 1965-1984 CDU-MdB, 1969-1980 Vorsitzenderdes Rechtsausschusses des BundestagsZwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Bei der Baader-Befreiung angeschossener Angestellterdes Zentral<strong>in</strong>stituts für soziale Fragen <strong>in</strong>Berl<strong>in</strong>1954-1975 Mitglied und 1975-1980 Präsidentdes Berl<strong>in</strong>er Abgeordnetenhauses; Februar 1975entführt* 1936; Rechtsanwalt; 1970 Festnahme, 197414Jahre Freiheitsstrafe wegen RAF-Zugehörigkeitund Banküberfalls; nach Distanzierung von derRAF 1980 Haftentlassung auf BewährungBundesrichterRichter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Völkerrechtler* 1918; 1972-1978 FDP-Bundesm<strong>in</strong>ister für besondereAufgaben, Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister (Rücktrittnach "Fall Traube" und "FahndungspanneSchleyer")Gutachter Todesermittlungsverfahren UlrikeMe<strong>in</strong>hof1893-1976; Revolutionär, Philosoph und Schriftsteller;Mitbegründer der KP Ch<strong>in</strong>as; organisierteseit 1925 Bauernaufstände bis zum Sieg der Revolution1949; erster Vorsitzender des Zentralrats derVolksrepublik Ch<strong>in</strong>aEhemaliger ClA-AgentMarcuse, HerbertMarighela, CarlosMart<strong>in</strong>, LudwigMarx/marx, KarlMe<strong>in</strong>hold, WernerMendeMe<strong>in</strong>s, HolgerMerk, BrunoMeyer, H. J.Mohnhaupt, BrigitteMorrisonMöller, IrmgardMüllerMüller, ArndtMüller, EgonMüller/müller, GerhardMüller, Hermann-JosefMüllerNerlich, He<strong>in</strong>zNewerla, Arm<strong>in</strong>Niemöller, Mart<strong>in</strong>Nixon, RichardNordmann, JoeOberw<strong>in</strong>der, MichaelOhnesorg, BennoOsborne, BartonOwen, DavidPapandreou, AndreasPartsch, Dr. Karl-JosefPayot, DenisPeck, W<strong>in</strong>slowPepper, WilliamPlottnitz, Ruppert von1898-1979; Soziologe und PhilosophVerfasser der Schrift "Kle<strong>in</strong>es Handbuch der brasilianischenStadtguerilla"; 1969 ermordet* 1909; 1952 Bundesanwalt, 1958 Bundesrichter,1963-1974 (Pensionierung) GBA1818-1883; Begründer des MarxismusErsatzrichter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Psychiater, Gutachter <strong>in</strong> Stamm heim1941-1974; Mitglied der RAF; Festnahme 2.6.72<strong>in</strong> Frankfurt; am 9.11.74 im Gefängnis Wittlichgestorben* 1922; 1966-1977 Innenm<strong>in</strong>ister BayernGutachter (Tod Ulrike Me<strong>in</strong>hof)Gefangene aus der RAFSAS-AgentGefangene aus der RAFInternist, Gutachter <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Ehern. Rechtsanwalt <strong>in</strong> StuttgartRechtsanwaltRAF-Mitglied; Festnahme 1972; ab 1976 "Kronzeuge"Senatspräsident OLG DüsseldorfHaftrlchterErsatzrichter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>EhemaligerRechtsanwalt <strong>in</strong> Stuttgart1892-1984; 1934 Mitglied der "BekennendenKirche"; 1938-1945 KZ;nach 1945 KirchenpräsidentHessen, Mitglied des Weltkirchenrats,1948-1961 Präsident der Deutschen FriedensgesellschaftUS-PräsidentGeneralsekretär der Internationalen Vere<strong>in</strong>igungDemokratischer Juristen (AIJD) <strong>in</strong> ParisRechtsanwaltStudent; am 2. Juni 1967 bei e<strong>in</strong>er Demonstrationgegen den Besuch des persischen Schahs RezaPahlevi vom Polizeibeamten Kurras erschossenEhemaliger ClA-Agent* 1930; 1976-1979 britischer Außenm<strong>in</strong>ister* 1919; 1967 nach Militärputsch Emigration undAufbau der Panhellenischen AntidiktatorischenBewegung (PAK - später PASOK), seit 1981 Regierungschef<strong>in</strong> AthenVölkerrechtlerRechtsanwalt <strong>in</strong> GenfEhemaliger NSA-AgentJournalistRechtsanwalt672673


Ponto, JürgenPosser, DietherPreuß, Ulrich K.Pr<strong>in</strong>~ng, Dr. TheodorProlI, AstridProlI, ThorwaldRasch, WilfriedRauch, Georg vonRauschke, Joachim, Prof.Rebmann, KurtRe<strong>in</strong>hard, Wolf-DietrichRiedei, HelmutRidenhour, RonaldRoll, CarmenRudolf, WalterRuhland, Karl-He<strong>in</strong>zRuch/ruch, FranzSartre, Jean PaulSaupe, JürgenSchäferScheel, WalterSchelm, PetraSchiller, MargritSchily,OooSchleyer, Hanns-Mart<strong>in</strong>SchlägelSchmid, RichardSchmidt, HelmutVorstandsvorsitzender der Dresdner Bank; am30.7.77 bei e<strong>in</strong>em mißglückten Entführungsver ­such von der RAF erschossen.* 1922; 1972-1978 SPD-Justizm<strong>in</strong>ister Nordrhe<strong>in</strong>-WestfalenProf. <strong>in</strong> BremenVorsitzender des 2. Strafsenats <strong>in</strong> Stamm heimehern. RAF-Mitglied;erste Festnahme 6.5.71"Kaufhausbrandstifter" vom 3.4.68 <strong>in</strong> Frankfurt(mit A. Baader, G. Enssl<strong>in</strong> und H. Söhnle<strong>in</strong>)Psychiater, Leiter des Instituts für forensische Psychiatriean der Freien Universität Berl<strong>in</strong>, Gutachter<strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>1947-1971; bei RAF-Fahndung am 4.12.71 <strong>in</strong>Berl<strong>in</strong> von der Polizei erschossenObduzent bei Ulrike Me<strong>in</strong>hof und Siegfried Hausner* 1924; 1965-1977 M<strong>in</strong>isterialdirektor und stellvertretenderJustizm<strong>in</strong>ister Baden-Württemberg;1977 Nachfolger von GBA BubackRechtsanwalt <strong>in</strong> HamburgRechtsanwalt <strong>in</strong> FrankfurtAngehöriger US-Armee <strong>in</strong> VietnamEhemalige Gefangene aus der RAFVölkerrechtlerMitglied der RAF; nach se<strong>in</strong>er Festnahme 1970erster "Kronzeuge" <strong>in</strong> Verfahren nach § 129 StPOJournalistFranzösischer PhilosophJournalist "Konkret"Niedersächsischer Justizm<strong>in</strong>isterBundesaußenm<strong>in</strong>ister und Bundespräsident1950-1971; RAF-Mitglied;am 15.7.71 bei Fahndungvon der Polizei erschossenEhemalige GefangeneRechtsanwalt; 1983 Grüne-MdB1915-1977; 1942 Chef des Präsidialbüros im"Zentralverband der Industrie für Böhmen undMähren"; 1945 bis 1948 Haft; seit 1951 bei Daimler-Benz,1959 Vorstandsmitglied; 1973 Präsidentder Bundesvere<strong>in</strong>igung der Deutschen Arbeitgeberverbände(BDA), 1976 <strong>in</strong> Personal Union Präsidentdes Bundesverbands der deutschen Industrie(BDI)Zwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Präsident des OLG Stuttgart* 1918; 1961-1965 Innensenator Hamburg;1969 - 1972 Bundesverteidigungsm<strong>in</strong>ister, 1972Schmidt-Voigt, JörgenSchmitz, Sab<strong>in</strong>eSchnabelSchröder, M.SchröderSchröderSchubert, IngridSchüler, ManfredSchulz, AdelheidSchwarz, He<strong>in</strong>zSchwarzSenghaas, DieterSiad BarreSigrist, ChristianSöhnle<strong>in</strong>, HorstSpangenberg, Henn<strong>in</strong>gSpeiteI, AngelikaSpr<strong>in</strong>ger/spr<strong>in</strong>ger, AxelStövsand, VolkerStrauß, Franz-JosefStröbele, ChristianStümper, AlfredTemm<strong>in</strong>g, GerdTerrel,lreneTeuns, SjefThornas, GaryTräger, ErnstTratter, LoisTraubeUrbach, PeterVance, Cyrus RobertsVogel, Hans-JochenVötsch, Ottobis 1974 Bundeswirtschafts- und F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister,1974-1982 BundeskanzlerChefarzt der Inneren Abteilung des KreiskrankenhausesMa<strong>in</strong>-Taunus <strong>in</strong> Bad SodenEhemalige GefangeneZwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Strafrechtslehrer "ArchJ. öfft!.Recht"Abteilungsleiter <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Internist, Gutachter <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong> (Gudrun Enssl<strong>in</strong>)1944-1977; Mitglied der RAF (+12.11.77 JVAStadelheim)* 1932; 1974-1980 Staatssekretär, Chef des BundeskanzleramtesGefangene aus der RAF* 1928; 1971-1976 Innenm<strong>in</strong>ister Rhe<strong>in</strong>land­PfalzZwangsverteidiger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Institut für Friedensforschung FrankfurtStaatspräsident von Somalia* 1935; 1971 Direktor des Instituts für So~alwissenschaftender Uni Münster; seit 1978 Beraterdes kapverdischen Entwicklungsm<strong>in</strong>isteriums"Kaufhausbrandstifter" <strong>in</strong> Frankfurt vom 3.4.68(mit A. Baader, G. Enssl<strong>in</strong> und Th. ProlI)RechtsanwaltEhemalige Gefangene aus der RAFGrößter konservativer Zeitungsverleger der BRDGerichtsmedi~ner* 1915; 1949-1979CSU-MdB; 1953-1969 Bundesm<strong>in</strong>ister(für besondere Aufgaben, Atomfragen,<strong>Verteidigung</strong>, F<strong>in</strong>anzen); seit 1978 M<strong>in</strong>isterpräsidentvon BayernRechtsanwalt; seit 1985 Grüne-MdBPolizeipräsident von Stuttgart, M<strong>in</strong>isterialdirektorInnenm<strong>in</strong>isterium Baden- Württem bergRechtsanwalt <strong>in</strong> FrankfurtJournalist<strong>in</strong>, "Quotidien de Paris"Holländischer PsychiaterEhemaliger CIA-AgentBundesrichterZeugeAtomwissenschaft!erBis 1970 Polizeispitzel und Agent provocateur,Berl<strong>in</strong>1977-1980 US-Außenm<strong>in</strong>ister* 1926; 1974-1981 Bundesjustizm<strong>in</strong>ister (SPD)Ersatzrichter im 2. Strafsenat <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>674675


Wackernagel, ChristophWeiden hammer, Karl-He<strong>in</strong>zWeisbecker, ThomasWeseI, UweWidera, WemerWillems, A. W. M.WilpertWischnewski, Hans-JürgenWitter,HermannWright, Qu<strong>in</strong>cyWulff, ErichWunder, He<strong>in</strong>richZeis, PeterZimmermann, FriedrichZitzlaff, WienkeEhemaliger Gefangener aus der RAFRechtsanwalt*1949; bei RAF-Fahndung am 2.3.72 <strong>in</strong> Augsburgvon der Polizei erschossen* 1933; Professor für Römisches, Bürgerliches undZivilprozeßrecht <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>Regierungsdirektor, Ankläger <strong>in</strong> <strong>Stammheim</strong>Holländischer RechtsanwaltRechtsanwalt* 1922; 1966-1968 Bundesm<strong>in</strong>ister für wirtschaftlicheZusammenarbeit (Spitzname "BenWisch"), 1974-1976 Parlamentarischer Staatssekretärim Auswärtigen Amt, 1976-1980 und 1982Staatsm<strong>in</strong>ister im Bundeskanzleramt* 1916; Direktor des Instituts für Gerichtsmediz<strong>in</strong>und Psychiatrie an der Universität Homburg/SaarVölkerrechtlerPsychiaterBundesanwaltOberstaatsanwalt* 1925; seit 1957 CSU-MdB; 1965-1972 Vorsitzenderdes <strong>Verteidigung</strong>sausschusses, 1982 Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterLehrer<strong>in</strong>, Schwester von Ulrike Me<strong>in</strong>hofPOLITIEKE VERDEDIGINGIN STRAFZAKENeen case-study van het <strong>in</strong> deBondsrepubliek Duitsland van1972 tot 1977 gevoerde strafprocestegen Andreas Baader, Gudrun Enssl<strong>in</strong>,Ulrike Me<strong>in</strong>hof, Holger Me<strong>in</strong>sen Jan earl Haspe.(samenvatt<strong>in</strong>g)676677


Op 21 mei 1975 begon voor het Oberlandesgericht te Stuttgart<strong>in</strong> eenspeciaal daartoe gebouwd zogenaamd Mehrzweckgebäude, naast degevangenis <strong>in</strong> Stuttgart-<strong>Stammheim</strong>, de openbare terechtzitt<strong>in</strong>g tegenAndreas Baader, Gudrun Enssl<strong>in</strong>, Ulrike Me<strong>in</strong>hof en Jan earl Raspe,medio 1972 gearresteerde leden van de s<strong>in</strong>ds 1970 <strong>in</strong> de BondsrepubliekDuitsland aktieve stadguerrilla-organisatie "Rote Armee Fraktion"(RAF). Hen was telastegelegd het oprichten en aanvoeren van de RAFals krim<strong>in</strong>ele verenig<strong>in</strong>g, zoals strafbaar gesteid <strong>in</strong> § 129 van het Westduitsewetboek van strafrecht. Volgens de telastelegg<strong>in</strong>g had deze verenig<strong>in</strong>gzieh ten doel gesteid de maatschappelijke verhoud<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> deBondsrepubliek Duitsland naar het voorbeeld van de Latijnsamerikaansestadguerrilla's met alle middelen, vooral geweld, te bestrijden,waardoor de voorwaarden voor verdere revolutionaire aktiviteiten moestenworden geschapen. Meer konkrete delikten, die hen tevens werdentelastegelegd, betroffen een aantal <strong>in</strong> mei 1972 gepleegde bomaanslagen,met name op Amerikaanse leger<strong>in</strong>richt<strong>in</strong>gen, waarbij vier dodenwaren gevallen, welke bomaanslagen zijzouden hebben gepland, voorbereiden uitgevoerd.Na een proces van twee jaar werden Baader, Enssl<strong>in</strong> en Raspe op 28april 1977 ter zake van de telastegelegde feiten veroordeeld tot levenslangegevangenisstraf. Ulrike Me<strong>in</strong>hof was <strong>in</strong>middels op 9 mei 1976 <strong>in</strong>haar cel gestorven. Nog voordat het door de verdachten <strong>in</strong>gesteldeberoep <strong>in</strong> cassatie kon worden behandeld, von den ook zij,op 18 oktober1977, tijdens een ontvoer<strong>in</strong>g door de RAF van de Westduitse werkgeversvoorzitterH. M. Schleyer, ondem omen om de bevrijd<strong>in</strong>g van eenaantal gevangenen uit de RAFte bewerkstelligen, <strong>in</strong> hun cellen de dood.Deze case-study van het strafproces tegen Baader c. s. (de offieieieaanduid<strong>in</strong>g van het proces was "Baader u. a. ") beoogt een bijdrage televeren tot <strong>in</strong>zicht<strong>in</strong> de problematiek van politieke verdedig<strong>in</strong>g <strong>in</strong> strafzaken.Daarbij is uitgegaan van Otto Kirchheimers begrip ,politieke justitie':het gebruik van juridische middelen voor politieke doelen. Toegespitstop de onderhavige casus luidde de vraag, hoe partijen middels hetproces de maatschappelijke machtsverhoud<strong>in</strong>gen hebben trachten tebe"<strong>in</strong>vloeden. Toegespitst op de positie van de verdachten: welke warende mogelijkheden en grenzen van politieke verdedig<strong>in</strong>g?In de <strong>in</strong>leid<strong>in</strong>g wordt summier <strong>in</strong>gegaan op de ontstaansgeschiedenisen politieke konseptie van de RAF, voomamelijk aan de hand van deeerste geschriften van de RAFzeU.Daama volgt een verantwoord<strong>in</strong>g vande probleemstell<strong>in</strong>g en de gevolgde onderzoeksmethode.Hoofdstuk Ibehandelt de eerste politiek-militaire akties van de RAF <strong>in</strong>mei 1972, na haar opbouwfase vanaf 1970.678In de hoofdstukken II tot en met V wordt de gang van zaken <strong>in</strong> enbetreffende de eerste fase van het proces tegen Baader c. s. vanaf dearrestatie van de verdachten tot aan de terechtzitt<strong>in</strong>g geanalyseerd.In hoofdstuk II wordt onderzocht welke de opstell<strong>in</strong>g was van deverantwoordelijke autoriteiten, met name het vervolgende federaleOpenbaar M<strong>in</strong>isterie, jegens de enkele tientallen s<strong>in</strong>ds 1970 gearresteerdeleden van de RAF en hun advokaten. Daaruit blijkt dat doordeze autoriteiten van meet af aan werd geloochend dat deze gevangenen,<strong>in</strong> een politieke kontekst konden of zeUs mochten worden gezien.Beschreven wordt hoe deze gevangenen allen vanaf hun arrestatie aaneen tot dan toe ongekend scherp en isolerend detentie-regime warenonderworpen. Oe voor hun gezondheid nadelige gevolgen hiervanwerden spoedig duidelijk. Tenslotte wordt uiteengezet hoe de advokatenvan deze gevangenen al medio 1972 gezamenlijk en publiekelijkdoor media, bestuurders en Openbaar M<strong>in</strong>isterie ervan werdenbeschuldigd dat zij zieh samen met hun klienten aan emstige strafbarefeiten, zoals het vervoeren van explosieven, <strong>in</strong> het kader van de RAFschuldig maakten.In hoofdstuk IIIworden, na een korte typer<strong>in</strong>g van de positie van deWestduitse verdediger <strong>in</strong> strafzaken <strong>in</strong> het algemeen en die van advokatenvan gevangen RAF-leden <strong>in</strong> het bizonder, de drie belangrijksteuitgangspunten voor de verdedig<strong>in</strong>g besproken, zoals deze, vooral ook. onder <strong>in</strong>vloed van de <strong>in</strong>timiderende opstell<strong>in</strong>g van de overheid, <strong>in</strong> eenoverleg tussen advokaten en klienten vorm kregen. Uit die, naar toengeldend recht aanvaardbare uitgangspunten vloeide voort, dat een kollektieveverdedig<strong>in</strong>g moest worden georganiseerd. Ten eerste om degevangenen uit de RAF<strong>in</strong> staat te stellen zich gemeenschappelijk voor tebereiden op de verschilIende tegen hen <strong>in</strong>dividueel aangespannen strafprocessen,die door hen als een proces tegen de RAF werdenbeschouwd. Overigens werd al vrijsnel duidelijk dat door de autoriteitenzeUhet toekomstige proces tegen Baader c. s. als ,het' proces tegen deRAF werd opgevat. Ten tweede om de noodzakelijke kommunikatietussen advokaten en klienten te vergemakkelijken over de mogelijkhedenom zich als kollektief teweer te stellen tegen het op hen kollektieftoegepaste ondragelijke detentie-regime.Onder de titel ,een konflikt zonder opties' beschrijft hoofdstuk IVvervolgens het verzet van de gevangenen uit met name de RAF tegen datdetentie-regime en de reakties van de autoriteiten daarop. Dat verzetbestand onder meer uit kollektieve hongerstak<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> januari/februari1973, <strong>in</strong> mei/juni 1973 en van september 1974 tot februari 1975 en dedaarmee gepaard gaande en vooral door de advokaten <strong>in</strong> samenwerk<strong>in</strong>g679


met de <strong>in</strong> april 1973 opgerichte "Komitees gegen Folter" georganiseerdemobiliser<strong>in</strong>g van een deel van de publieke op<strong>in</strong>ie.Tijdens de laatste hongerstak<strong>in</strong>g stierf op 9 november 1974 HolgerMe<strong>in</strong>s, tot dan toe een van de vijf mede-verdachten <strong>in</strong> het komendeproces tegen Baader c. s. Oe dood van de ondanks dwangvoed<strong>in</strong>g aanondervoed<strong>in</strong>g overleden Me<strong>in</strong>s was volgens de gevangenen uit de RAFeen door staatsveiligheidsfunktionarissen geplande moord, tene<strong>in</strong>de dekollektieve derde hongerstak<strong>in</strong>g te breken. Oe dood van Me<strong>in</strong>s beweesvolgens hen tevens dat de staat de fysieke vernietig<strong>in</strong>g van de gevangenenbeoogde. Voor de autoriteiten daarentegen bevestigde de dood vanMe<strong>in</strong>s hun stell<strong>in</strong>g, dat de gevangenen uit de RAFdoor hongerstak<strong>in</strong>genen met organisatorische steun van hun advokaten hun ,guerrilla' tegende staat vanuit hun cellen voortzetten. Holger Me<strong>in</strong>s zou daarbij als,martelaar' zijn opgeofferd tene<strong>in</strong>de nieuwe RAF-leden te rekruteren.Oaaruit werd, opnieuw, de noodzaak afgeleid de betrokken advokatenuit te schakelen.Hoofdstuk V handelt over de nieuwe juridische strijdmiddelen, waarvande Westduitse overheid zich voorzag om het verloop van het proces<strong>in</strong> regie te kunnen houden. Via de tijdens de derde hongerstak<strong>in</strong>g doorde naar de toenmalige M<strong>in</strong>ister van B<strong>in</strong>nenlandse Zaken genoemdeMaihofer-dokumentatie publicitair voorbereide en <strong>in</strong> ijltempo totstandgekomenzogenaamde Lex RAFwerd daarvoor het noodzakelijke <strong>in</strong>strumentariumgeschapen. Oat waren de op de aanstaande terechtzitt<strong>in</strong>gtegen Baader c. s. toegesneden wettelijke bepal<strong>in</strong>gen, waardoor hetmogelijkwerd: 1 0. advokaten van de verdedig<strong>in</strong>g <strong>in</strong> lopende strafprocessenop korte termijn uit te sluiten wegens verdenk<strong>in</strong>g van deelname aande feiten waarvan hun klienten werden verdacht (<strong>in</strong> casu ondersteun<strong>in</strong>gvan een krim<strong>in</strong>ele verenig<strong>in</strong>g), 2°. het aantal door een verdachte zeUgekozen advokaten tot drie te beperken, 3°. kollektieve verdedig<strong>in</strong>g teverbieden en 4°. procesvoer<strong>in</strong>g mogelijk te maken <strong>in</strong> afwezigheid vanverdachten die ,door eigen schuld' niet <strong>in</strong> staat zijn om aan hun procesdeel te nemen, de zogenaamde hongerstak<strong>in</strong>gsparagraaf. Beschrevenwordt hoe de toepass<strong>in</strong>g van deze wet <strong>in</strong> komb<strong>in</strong>atie met de al voorgeprogrammeerdeverdenk<strong>in</strong>g van ondersteun<strong>in</strong>g van de RAF, kort v66rde aanvang van de terechtzitt<strong>in</strong>g tegen Baader c. s. leidde tot de uitsluit<strong>in</strong>gvan de drie meest <strong>in</strong>gewerkte advokaten Kurt Groenewold, KlausCroissant en Hans-Christian Ströbele.Oe hoofdstukken VI tot en met VIII vormen een drieluik van debeschrijv<strong>in</strong>g en analyse van de terechtzitt<strong>in</strong>g <strong>in</strong> het proces tegen Baaderc. s. van mei 1975 tot oktober 1977.680Hoofdstuk VI behandelt de mise en seime van het openbaar procesv66r de eigenlijke bewijsvoer<strong>in</strong>g, welke periode e<strong>in</strong>d september 1975werd afgesloten met de uitsluit<strong>in</strong>g van de vier verdachten uit het procesmet behulp van de zojuist geYntroduceerde hongerstak<strong>in</strong>gsparagraaf. Oithoofdstuk beg<strong>in</strong>t met een korte weergave van aan Otto Kirchheimerontleende kriteria voor ,politieke justitie' en met enkele aan de handdaarvan en mede op grond van de <strong>in</strong> de vorige hoofdstukken beschrevenvoorgeschiedenis ontwikkelde hypothesen over funktie en betekenisvan de gekozen vorm van vervolg<strong>in</strong>g en berecht<strong>in</strong>g van Baader c. s.Naarmate de rechters zieh leenden voor de realiser<strong>in</strong>g van de door deautoriteiten van de uitvoerende macht gesteide doele<strong>in</strong>den om het ,RAF­Komplex' te depolitiseren en om Baader c. s. als door de staat zeUtotsymboolfiguren uitgeroepen vijanden te elim<strong>in</strong>eren, zulks met terzijdestell<strong>in</strong>gen/of aanpass<strong>in</strong>g van het bestaande recht, was er sprake van'<strong>in</strong>tegratie van de rechterlijke macht <strong>in</strong> het bouwwerk van politieke justitie.Centraal staan vervolgens de ten processe uitgevochten konfliktenover de voorwaarden waaronder het proces zou moeten plaatsv<strong>in</strong>den.Ten eerste: waren de verdachten zodanig <strong>in</strong> hun gezondheid aangetast,dat zijniet of nauwelijks <strong>in</strong> staat waren hun proces te volgen, laat staan tevoeren, en zo ja, was dat te wijten aan de detentie-situatie of aan dedaartegen gerichte hongerstak<strong>in</strong>gen? Ten tweede: kon er nog sprake zijnvan een ,fair trial', gezien de <strong>in</strong>grepen <strong>in</strong> de verdedig<strong>in</strong>g door het gezamenlijkeoptreden van uitvoerende, wetgevende en rechterlijke macht?Ten derde: was er sprake van een wettige en onpartijdige rechter, metname voor wat betreft de voorzitter van het Hof Or. Th. Pr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>g, geziende wijzevan zijn benoem<strong>in</strong>g, zijnbeweerdelijke mede-verantwoordelijkheidvoor de dood van Holger Me<strong>in</strong>s, zijn juridische verantwoordelijkheidvoor de detentie-situatie van de verdachten, zijn opstell<strong>in</strong>g jegenshen en hun advokaten ter zitt<strong>in</strong>g, en zijnbeYnvloed<strong>in</strong>gvan de media? Oithoofdstuk e<strong>in</strong>digt met een besprek<strong>in</strong>g van de uitsluit<strong>in</strong>gvan de verdachtenvan het proces, welk besluit wordt geanalyseerd als een rechterlijkesanktioner<strong>in</strong>g van martel<strong>in</strong>g ("folterbesluit").Het volgende hoofdstuk, procedure op tegenspraak of schijnverton<strong>in</strong>g,is het brede middenpaneel van het drieluik over de terechtzitt<strong>in</strong>g.Aan de hand van het relevante gepresenteerde bewijsmateriaal wordende aanpak van het Openbaar M<strong>in</strong>isterie en die van de verdedig<strong>in</strong>g, voorzovernog aanwezig en <strong>in</strong> staat tot optreden, met elkaar gekontrasteerd.Voor het bewijs van het aanvoerderschap van de RAFen de persoonlijkedeelname van de verdachten aan de bomaanslagen <strong>in</strong> mei 1972 bleekhet Openbaar M<strong>in</strong>isterie verregaand aangewezen op aanwijz<strong>in</strong>gen. Oeontbrekende schakels trachtte het Openbaar M<strong>in</strong>isterie te vervangendoor de verklar<strong>in</strong>gen van de ,kroongetuige' Gerhard Müller, een gevan-681


gene uit de RAF die tijdens de derde hongerstak<strong>in</strong>g zijn verzet hadopgegeven en zichvervolgens als getuige ter beschikk<strong>in</strong>g had gesteid, endoor de presentatie van het beeld van de RAF als enerzijds open,anderzijds volgens streng militair-hierarchische strukturen georganiseerdegroep, waarvan de verdachten de onbetwiste leiders warengeweest en n6g waren.Oe verdedig<strong>in</strong>g stelde dat de RAF niet strafrechtelijk kon wordenberecht, omdat het g<strong>in</strong>g om een oorlog tussen enerzijds het kapitalistischimperialistischewesterse statensysteem onder leid<strong>in</strong>g van de VerenigdeStaten van Amerika en anderzijds de vele revolutionaire bevrijd<strong>in</strong>gsbeweg<strong>in</strong>gen,waar<strong>in</strong> de RAF partij had gekozen anticiperend op de verplaats<strong>in</strong>gvan de revolutionaire strijd tot b<strong>in</strong>nen de metropolen. Konsekwentievan dit standpunt was het verzoek het proces te bee<strong>in</strong>digen ende verdachten overeenkomstig de Conventies van Geneve van 1949 alskrijgsgevangenen te behandelen.Op de feitelijke bewijsvoer<strong>in</strong>g door het Openbaar M<strong>in</strong>isterie g<strong>in</strong>g deverdedig<strong>in</strong>g niet <strong>in</strong>, behalve voorzover daarbij de politieke identiteit vande RAF <strong>in</strong> het ged<strong>in</strong>g was, dan wel <strong>in</strong>dien die bewijsvoer<strong>in</strong>g aanknop<strong>in</strong>gspuntenbood om aan te tonen, dat zich <strong>in</strong> de konfrontatie tussenstaat en (gevangenen uit de) RAF achter de rechtsstaat-fa


Tenslotte wordt <strong>in</strong> hoofdstuk IX, getiteld justitie als <strong>in</strong>strument vanpreventieve caunter<strong>in</strong>surgency, tegen het decor van het proces tegenBaader c. s. een aantal aspekten van de problematiek van politiekeverdedig<strong>in</strong>g <strong>in</strong> strafzaken onderscheiden en worden de latere strafzakentegen de advokaten Kurt Groenewold en Klaus Croissant besproken.Daarbij wordt onder andere gekonkludeerd, dat volgens de Westduitsejustitie gevangenen uit de stadguerrilla, die hun gez<strong>in</strong>dheid na det<strong>in</strong>er<strong>in</strong>gniet opgeven, alleen al daarom, hoe ge"isoleerdvan elkaar zijook magenzijn, een zelfstandige krim<strong>in</strong>ele casu quo terroristische verenig<strong>in</strong>g vormen,en dat vervolgens advokaten zieh <strong>in</strong> beg<strong>in</strong>sel schuldig maken aanstrafbare ondersteun<strong>in</strong>g van deze krim<strong>in</strong>ele verenig<strong>in</strong>g, zodra zijdoor opziehzelflegale en toelaatbare verdedig<strong>in</strong>gsaktiviteiten die gez<strong>in</strong>dheit vanhun klienten zouden, of zouden kunnen ondersteunen.Voor de gevangenen uit de RAF, over wie het <strong>in</strong> dit boek gaat, lijktditte betekenen: afzweren of afsterven. Voor de verdedig<strong>in</strong>g <strong>in</strong> hun politiekestrafproces betekent dit: gedwongen beperk<strong>in</strong>g tot een technischjuridischeverdedig<strong>in</strong>g met negatie van de politieke essentie van de zaak.Curriculum vitaeDer Autor ist am 31. März 1941 <strong>in</strong> Haarlem geboren. Se<strong>in</strong> Abiturgymnasium beta bestand er 1959 am Eerste Vrijz<strong>in</strong>nig-ChristelijkeLyceum<strong>in</strong> Den Haag. Danach studierte er e<strong>in</strong> Jahr an der WesleyanUniversity <strong>in</strong> Middletown, Connecticut'USA. Von 1960 bis 1965 studierteer Rechtswissenschaften an der RijksuniversiteitLeiden. Während desobligatorischen Militärdienstes wurde er ausgebildet zum VerhörspezialistimOffiziersrang für sowjetische Kriegsgefangene beim MilitaireInlicht<strong>in</strong>genDienst <strong>in</strong> Harderwijk. Von 1967 bis 1971 war er Rechtsanwalt <strong>in</strong>Amsterdam. Seit 1971 ist er Dozent für Strafrecht am Willem PompeInstituut voor Strafrechtswetenschappen an der RijksuniversiteitUtrecht.Von 1971 bis 1984 war er außerdem Rechtsanwalt <strong>in</strong> Utrecht. Seit 1984ist er wieder als Anwalt <strong>in</strong> Amsterdam tätig.684685

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